Irisches Roulette - Hannah O'Brien - E-Book
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Irisches Roulette E-Book

Hannah O'Brien

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Beschreibung

Der zweite Fall für die irische Ermittlerin Tom Nolan, Mitarbeiter in einem Wettbüro, wird erschossen. Besitzer des Büros ist der Zwillingsbruder von Graces Kollege Rory. Dieser gilt ab sofort als befangen, ermittelt aber dennoch weiter. Grace und ihr Team dringen bei ihren Recherchen vor bis in die innersten Kreise des irischen Wettgeschäfts. Schnell wird klar, dass eine mächtige internationale Wett-Mafia die Finger im Spiel hat. Doch auch im heimischen Galway sind erstaunlich viele bekannte Gesichter in den Fall verwickelt und es zeigt sich: Nichts ist, wie es scheint. 

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Seitenzahl: 521

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Hannah O’Brien

Irisches Roulette

Kriminalroman

Deutscher Taschenbuch Verlag

 

 

 

Für Nele

Das Meer kräuselte sich um die Zehen des Kindes. Die kleine Graínne Ni Mháille stand mit nackten Füßen auf dem silbern schimmernden feinen Strand ihrer Kindheit. Neben ihr tobte ein ausgelassener Hund, lief hin und her, watete spritzend ins Wasser und kurz darauf wieder heraus.

Graínne sah sich nach ihrem Vater um, der ein Stück von ihr entfernt nach kleinen grauen Schnecken suchte. Das Meer schien vor ihren Augen zu tanzen. Es bewegte sich mal in kleinen spitzen Wellen, mal in großspurig schwappenden Bögen, als könne es sich nicht entscheiden, ob es eine derbe Polka oder ein zierliches Menuett darbieten wollte. Das Meer konnte das Kind zum Lachen bringen.

»Warum geht das Meer weg und kommt dann doch zurück?«

Shaun richtete sich auf und überlegte einen Moment lang. Er schaute in den grauen Himmel, der direkt vom Wasser aufstieg.

»Weil es mit uns spielt, Graínne. Es neckt uns. Es will uns glauben machen, dass es verschwindet. Und wenn wir ganz sicher sind, dass es für immer weg ist, rollt es mit einer Kraft zurück, die uns blinzeln lässt und bei der wir uns erstaunt die Augen reiben.«

»Und warum tut es das?«

»Weil es das Meer ist.«

1

Bevor er den Sicherheitscode eingab, schaute sich Tom Nolan noch einmal um. Nein, es war ihm niemand gefolgt. Die Castle Street lag menschenleer da. Aus den Wohnungen schien kein zusätzliches Licht auf die Straße, die nur dämmrig beleuchtet war. Um diese Zeit, am späten Samstagabend, konnte man das Partytreiben in den Pubs und Restaurants der nahen Fußgängerzone der Stadt Galway noch als fernen Geräuschteppich wahrnehmen. Aber die schmale Gasse, in der sich das Wettbüro befand, wo Tom arbeitete, war nach Geschäftsschluss nahezu ausgestorben. Hier gab es in den zweistöckigen alten Gebäuden schicke Büros für Architekten und trendige Anwaltskanzleien. Dazu das eine oder andere Künstleratelier. Seit Neuestem schossen Cateringfirmen um das Turf no Surf aus dem Boden. Kochte etwa niemand mehr selbst?, fragte Tom sich öfter. Doch er lebte als Junggeselle – er mochte den modernen Ausdruck »Single« nicht – in einem kleinen Appartement in Salthill und ging auch lieber essen, wenn er es sich leisten konnte. In letzter Zeit hatte er es sich fast täglich leisten können.

Mit einem kleinen Schmatz schloss sich die Eingangstür hinter ihm und er betrat sein Büro, das links hinter dem Publikumsschalter lag. Die sonst farbenfroh flackernden Bildschirme unter der Decke waren schwarz und tot. Sie wirkten düster und hinterhältig.

Sein kleiner Schreibtisch war sorgfältig aufgeräumt. Tom setzte sich und zog vorsichtig die Schublade auf, während er seinen Rechner hochfuhr. Er hatte nur die Schreibtischlampe angeknipst. Die an der Decke ignorierte er. Er bewahrte die Ampullen hier auf, statt sie mit nach Hause zu nehmen. Hier sei es sicherer, hatte er geglaubt, niemand käme auf den Gedanken, in einem Wettbüro danach zu suchen.

Die konnten nichts davon wissen. Das war einfach unmöglich. Aber ganz sicher konnte man nie sein, und deshalb musste er handeln.

Tom fingerte an einem verdeckten Schalter ganz hinten in der Schublade herum. Eine Feder sprang auf und gab ein kleines Geheimfach preis. Darin lag, klein zusammengefaltet, ein Stück Papier und eine Schachtel mit den fünf Ampullen, die Tom nun an sich nahm. In dem Moment glaubte er ein Geräusch von draußen zu hören.

Er hielt inne, nahm danach aber nichts mehr wahr. Er musste sich getäuscht haben. Wer sollte nach Geschäftsschluss so spät am Abend hier ins Wettbüro kommen? Er steckte das Papier hastig in das Lederetui seines Handys und die Schachtel mit den Ampullen in die Tasche seines grauen Jacketts. Falls sein Chef ihn überraschte, konnte er immer noch behaupten, dass er etwas vergessen habe.

Er rief nun etwas auf seinem Laptop auf. Drei, vier Klicks und er fand das Gesuchte. Über sein Gesicht huschte ein zufriedenes Lächeln. Gut, das hatte also geklappt. Man konnte sich auf ihn und sein Insiderwissen verlassen, das wussten sie nun. Alle würden mit ihm zusammenarbeiten wollen und er würde das endlich auf eigene Rechnung tun.

Tom Nolan, der äußerlich dem Klischee eines unauffälligen Bankbeamten sehr nahe kam, hätte sich gern als wichtiger Global Player gesehen. Als jemand, der mit heißen Tipps hart, aber fair in der internationalen Finanzwelt jonglierte. Das hätte gut zu ihm gepasst. Tom gestattete sich, für ein paar Sekunden seinen Fantasien nachzuhängen. Dann klappte er den Laptop zu. Wieder meinte er, etwas zu hören. Diesmal war es ein Moped, das sehr langsam, doch ziemlich laut knatternd draußen vorbeifuhr. Komisch, dass man das hier im Raum so genau hören konnte. Das war ihm noch nie aufgefallen.

Bald würde er unabhängig sein und nicht mehr hierherkommen müssen. Nicht, dass ihm die Kollegen missfielen oder sein Chef, Ronan. Der war eigentlich in Ordnung. Aber brauchte man denn jemanden, dem man Rechenschaft für alles ablegen musste? Wenn Ronan tatsächlich mal Schwierigkeiten machte, musste er ihn nur an seinen kleinen Deal mit Garda erinnern.

Das war ein ziemlich cooler Schachzug von Ronan gewesen, das musste man ihm lassen. Wen er da zweimal im Monat bei sich zu Hause beherbergte und zu welchem Zweck … Und sein eigener Zwillingsbruder war ahnungslos. Fantastisch.

Nolan schob den Stuhl wieder an den Tisch zurück und knipste die Lampe aus. Der Raum war nun komplett dunkel, und er tastete sich vorsichtig zur Tür. Doch kurz bevor er sie erreichte, wurde sie plötzlich aufgerissen. Der grelle Strahl einer Taschenlampe traf ihn mitten ins Gesicht und er sah geblendet zu Boden. Einen Augenblick lang herrschte Stille, dann hörte Nolan eine vertraute Stimme: »Oh, du bist es, Tom. Ich dachte schon, es sei ein Einbrecher.«

Tom Nolan schüttelte völlig überrascht den Kopf und kratzte sich am Hinterkopf. Es war das Letzte, was er tat.

2

Am Tag zuvor hatte Grace O’Malley knapp hundert Kilometer an die Küste fahren müssen. Die Scheibenwischer verschmierten die Windschutzscheibe, statt sie vom Wasser zu befreien, das ohne Unterlass von allen Seiten niederprasselte. Grace blinzelte angestrengt und versuchte mit einem Taschentuch die Scheibe von innen abzureiben, um so eine bessere Sicht auf die Straße zu bekommen.

»Scheiß Möwenkacke!«, fluchte sie.

Wenn Rory neben ihr gesessen hätte, wäre er wohl in schallendes Gelächter ausgebrochen und hätte vielleicht noch ein »Sag ich doch« hinterhergeschickt. Doch sie war allein im Wagen. Man hatte sie nach Letterfrack gerufen, wo sie sich mit einem Mann hatte treffen sollen, der angab, ein wichtiger Zeuge in dem Fall zu sein, in dem Grace gerade ermittelte.

Grace bremste und schaltete herunter. Sie musste die kurvenreiche N59 in Richtung Westport langsamer fahren. Bald würde die Abzweigung nach Recess kommen, die sie nehmen wollte, um nicht in entgegengesetzter Richtung den Umweg über Clifden nehmen zu müssen.

Zunächst war Grace irritiert gewesen, als sie merkte, dass sie den langen Weg umsonst gemacht hatte. Der angebliche Zeuge war nicht zum Treffpunkt erschienen. Doch dann beschloss sie, den ungeplant freien Nachmittag zu genießen. Schließlich war sie in Connemara unterwegs, dem spektakulärsten Teil der Grünen Insel, die auch sonst mit beeindruckenden Landschaften gesegnet war. Aber jetzt goss es wie aus Kübeln und man konnte gar nichts mehr vom spektakulären Connemara erkennen. Das Meer musste zu ihrer Linken liegen und die imposanten Berge irgendwo rechts vorne.

Es war kühl für Mitte Juli und so begann die Scheibe bald wieder von innen zu beschlagen. Auf der Straße nach Recess kamen ihr lange Zeit nur zwei Wohnmobile mit französischen Kennzeichen entgegen. Niemand überholte sie. Hier gab es nur ganz wenige Häuser. Ein Hotel und eine Handvoll Bed-and-Breakfast-Pensionen hatten sich als steinerne Wegmarken vor die hohe kahle Bergkette der Twelve Bens positioniert. Grace wischte und blinzelte. Diese Landschaft war archaisch. Unberührt, beeindruckend, dramatisch, bei jedem Wetter.

Ihr Handy trommelte. Sie hatte ein irisches Musikstück als Klingelton geladen, das mit dem keltischen Percussion-Instrument Bodhran begann. Sie liebte Bodhrans, mit Haut bespannte Holzreifen, die ursprünglich mit einem Tierknochen geschlagen wurden.

Es war Rory. Sie schaltete die Freisprechanlage an.

»Bist du noch in Letterfrack, Grace?«

»Nein. Der Typ war nicht im Pub. Ich hab noch mal ein bisschen nach ihm gesucht, aber ohne Erfolg. Dumm gelaufen. Ich bin schon auf dem Rückweg. Was ist?«

Der Kollege schien zu zögern. »Fährst du über Clifden?«

»Wer fährt von Letterfrack über Clifden, wenn er nach Galway will? Das dauert viel länger. Ich habe die Straße über Recess genommen. Warum?«

»Schon gut.«

»Warum, Rory?«, insistierte sie.

»Äh, da gibt es so eine herrliche Krebspastete. Wie man sie früher gemacht hat. Die gibt es im …« Er brach ab und Grace musste lächeln.

»Tut mir leid, Rory. Wenn ich gewusst hätte, dass du auf diese Krustentierpaste stehst, hätte ich gern den Weg über Clifden in Kauf genommen, nur um dir …« In diesem Moment sah sie jemanden mitten auf der Straße stehen, der etwas Undefinierbares im Arm hielt. Sie fluchte wieder.

»Da ist was, Rory. – Bis später!« Sie drückte ihn weg.

Grace stand fast auf der Bremse und konnte den Wagen gerade noch zum Stehen bringen. Die Person auf der Straße – es war, wie sich bei genauerem Hinsehen herausstellte, eine Frau – stand wie angewurzelt da und schaute ihr erwartungsvoll entgegen. Im Arm hielt sie einen zotteligen Border Collie, wie es sie hier auf fast jedem Hof gab. Grace hatte schon ihre Tür geöffnet und sich in den strömenden Regen hinausgelehnt. Da schaute die Frau ganz kurz auf ihre Armbanduhr.

»Brauchen Sie Hilfe?«

Die Frau nickte und kam langsam näher. Sie war klein, trug eine dunkelgrüne Wachsjacke mit violetten Streifen, wie Grace sie noch nie zuvor gesehen hatte, und einen schwarzen Südwester wie ein Hochseefischer, mit tiefgezogenem Kragen, der den Hals hinten vollständig bedeckte. Der Hund in ihren Armen bewegte sich nicht.

»Er muss angefahren worden sein«, murmelte die Frau fast abwesend. Sie streichelte den leblosen Körper. »Können Sie mich bitte ein Stück mitnehmen?«

Grace nickte, stieg aus und hielt ihr die Beifahrertür auf.

Der Frau gelang es nicht, mit dem Hund im Arm einzusteigen. »Könnten Sie ihn bitte einen Moment halten?«

Grace streckte ihr die Arme entgegen, um den Hund in Empfang zu nehmen. Er hatte wie alle Hütehunde ein schwarz-weißes Fell, und nur das linke hintere Bein war, wie Grace bemerkte, komplett tiefschwarz, als hätte er eine schwarze Socke übergestreift.

»Lebt er noch?« Nun streichelte auch Grace den schlaffen Körper des Tieres, tastete nach seiner Halsschlagader und hielt ihr Ohr an seine Schnauze.

Die Frau nickte. Grace bettete den Hund auf den Schoß der anderen und schlug die Wagentür zu.

»In Oughterard gibt es eine Tierklinik. Wenn Sie mich da rauslassen könnten?«

Grace nickte mit einem neugierigen Seitenblick auf ihre unerwarteten Passagiere.

»Woher wissen Sie, dass ich bis Oughterard fahre? Das sind fast noch vierzig Kilometer.« Grace klang amüsiert. Iren wissen immer alles ganz genau, schoss es ihr durch den Kopf. Auch wenn sie keinen Schimmer haben.

Fragt man einen Iren nach dem Weg, wird er ihn immer und unter allen Umständen kennen und ihn genauestens beschreiben können, inklusive einer Zeitangabe, wie lang man brauchte, um dorthin zu gelangen. Das hatte sie in ihren Jahren in Dänemark fast vergessen. Als sie am Anfang ihrer Zeit bei der Polizei in Kopenhagen nach dem Weg gefragt hatte, war sie sehr überrascht gewesen, als Antwort manchmal ein »Tut mir leid, aber das kenne ich nicht« zu hören. Diese Antwort war in Irland nicht vorgesehen. Man war immer hilfsbereit. Den anderen ins Nichts, ins Nirwana, in die irische Wüste zu schicken, weil man nicht zugeben wollte, das gewünschte Ziel nicht zu kennen, war bestenfalls ein zweitrangiger, bedauerlicher Nebeneffekt. Allein die Hilfsbereitschaft zählte.

»Das weiß ich gar nicht. Ich habe es nur angenommen. Zwischen hier und Galway gibt es ja kaum etwas, von dem kleinen Dorf Recess mal abgesehen. Es sei denn, man biegt in Maam Cross nach Rossaveel ab. – Ich heiße übrigens Dixi.« Die Frau, die Ende dreißig sein mochte, lächelte verschmitzt, hob ihre Hand aus dem nassen Fell des Tieres und reichte sie ihr. Die Kommissarin nahm ihre linke Hand vom Steuer und drückte die der anderen fest. Sie musste zugeben, dass sie ihr auf Anhieb sympathisch war.

»Ich heiße Grace. Wollen Sie mir sagen, was passiert ist mit dem … ist das Ihr Hund?« Irgendwo hatte sie die Frau schon einmal gesehen, aber sie hätte sie im Moment nicht einordnen können.

Dixi schüttelte ihren kurzen Fransenschnitt, der unter dem Südwester hervorkam, als sie ihn ausgezogen hatte. Sie drehte sich um, zögerte und warf ihn auf den Rücksitz. Die nassen Strähnen klebten ihr zum Teil am Kopf und gaben der apart aussehenden Frau mit den hohen Wangenknochen kurzzeitig eine Frisur, die Grace entfernt an ein Huhn erinnerte. An ein sehr nasses Huhn.

»Nein, ich habe ihn auf der Straße gefunden.«

»Hier auf der Hauptstraße?«

Die Frau antwortete nicht sofort. Schließlich räusperte sie sich.

»Ja. Am Straßenrand. Als habe ihn jemand dort abgelegt.«

»Oh.« Grace liebte Hunde und der Gedanke, dass jemand einen Hund angefahren hatte, ohne sich um ihn zu kümmern, missfiel ihr.

Beide schwiegen ein paar Sekunden. In Graces Wagen müffelte es nach nassem Fell.

»Und was haben Sie hier mitten in der Wildnis gemacht?« Grace war nicht nur mit Herz und Seele Polizistin – sie leitete seit einigen Monaten die Abteilung für Kapitalverbrechen der Gardai Zentrale in Galway, der viertgrößten Irlands, und war außerdem ein überaus neugieriger Mensch.

Dixi lachte. Es war ein ansteckendes Lachen. Der Hund auf ihrem Schoß bewegte sich nun leicht.

»Sie haben vier Antworten zur Auswahl. A: Ich war wandern und habe mal wieder den Schirm vergessen. Als es richtig herunterprasselte, entschloss ich mich, ein Auto anzuhalten. Der Hund war ein Vorwand. B: Ich habe mich blöderweise verlaufen. Der Hund war nicht eingeplant gewesen. C: Ich habe in dieser gottverlassenen Gegend auf ein Auto mit Garda gewartet, um mich todesmutig mit einem Hunde-Fast-Kadaver auf die Straße zu stellen, den ich vorher aufwendig präpariert hatte …«

Graces Augenbrauen rutschten einen halben Zentimeter nach oben.

»Oder D: Ich habe mich so mit meinem Freund gezankt, dass ich trotz des Regens wutschnaubend aus dem Wagen gestiegen und zu Fuß weitermarschiert bin. Kurz bevor Sie kamen, habe ich den Hund am Straßenrand gefunden.« Dixi klang sehr vergnügt. »Also? «

Grace musste wieder lächeln. Sie mochte die Frau.

»Ich nehme mal D.«

Die Hunderetterin mit der Hühnerfrisur schien mit der Wahl zufrieden, sagte aber nichts.

Als sie auf die N59 nach Galway eingebogen waren, fing Dixi an, von sich selbst zu erzählen. Vorsichtig und fast liebevoll glitten ihre Hände über das zottige Fell des Hundes. Sie sei Hutmacherin und betreibe neben einem Atelier in der Innenstadt Galways auch jeden Samstag einen kleinen Stand auf dem beliebten Wochenmarkt.

»Hutmacherin, interessant!« Grace gefiel der Beruf dieser Frau auf Anhieb.

»Ja, wie in Alice im Wunderland. Da gibt es ja den berühmten Hutmacher.«

Die Kommissarin nickte und blickte sie kurz von der Seite an. »Der heißt ›der verrückte Hutmacher‹, wenn ich mich nicht irre.«

»Das denken die meisten. Stimmt aber nicht. Lewis Caroll hat ihn nie mit dem Wort ›verrückt‹ beschrieben. Das können Sie nachlesen.« Dixi strahlte, was Grace erneut zum Lächeln brachte.

»Der Hutmacher war nicht verrückt, sondern eher eine Spielernatur, wie der Märzhase, sein Freund.« Wieder glitten ihre schmalen Finger über das nasse Fell des Tieres auf ihrem Schoß. Sie trug einen unauffälligen Ring mit einem kleinen Smaragd am rechten Ringfinger.

»Besuchen Sie mich doch mal, Grace! Ich würde mich total freuen. Sie haben ein Hutgesicht. Kommen Sie doch morgen auf den Samstagsmarkt, ganz unverbindlich, nur mal so.«

Prüfend sah die Polizistin sie von der Seite an. Plötzlich bewegte sich der Hund und seufzte, als hätte er einen schönen Traum. Grace schaute kurz zu ihm. »Wie es ihm wohl geht? Wir sind gleich da.«

Ein paar Minuten später tauchte das Ortsschild von Oughterard auf und kurz darauf hielt Grace vor dem Eingang der Tierklinik an der Hauptstraße. Sie half Dixi mit dem Hund aus dem Auto.

»Sie kommen mal vorbei, Grace, versprochen?« Dixi reichte ihr zum Abschied die Hand, während sie mit der anderen den Hundekörper an sich presste.

Grace nickte.

»Verraten Sie mir aber bitte noch eins.« Sie hatte die Stirn gerunzelt. Dixis Gesicht war offen und ihr zugewandt. »Noch mal zu Ihrer Option C …«

»C?« Dixi schien einen Moment verwirrt.

»Woher wissen Sie, dass ich von Garda bin?«

Ihre Blicke trafen sich. In Dixis braunen Augen tanzten kleine Feuerchen. Türkise Sprengsel in Graces schiefergrauen Augen blitzten auf.

»Ich fahre ja keinen offiziellen Wagen, wie ihn die normale Gardai benutzt, der von Weitem gut erkennbar wäre, und ich trage auch keine Uniform.«

Dixi keuchte nun ein wenig unter der Last des Tieres. Schließlich antwortete sie und sah dabei amüsiert aus.

»Ich hab auf Ihrem Rücksitz die Schutzweste für die Dunkelheit gesehen. Da steht groß in Neonlettern GARDA drauf. – Bis bald!«

Grace schaute sie einen Moment lang verblüfft an, schmunzelte und ging dann zum Auto zurück. Als sie sich noch einmal nach ihr umdrehte, war Dixi schon mit dem Hund in der Tierklinik verschwunden.

3

Der Himmel über Galway war zwar bedeckt, doch es war mild an diesem Samstag. Perfektes Wetter zum Einkaufen. Grace hatte nach dem Frühstück kurz mit Peter Burke telefoniert. Sie waren locker für den Sonntag zu einer Wanderung mit anschließendem Abendessen verabredet gewesen, aber nun musste er, wie er betonte, leider doch zu seiner Mutter nach Inis Meáin rüberfahren. Sie brauchte seine Hilfe beim Reparieren eines Zaunes. Normalerweise würde Pattie sich lieber auf die Zunge beißen, als ihren Sohn mit so etwas zu belästigen. Deshalb war er fast froh über ihre Anfrage gewesen. Sie wandte sich seiner Meinung nach viel zu selten an ihn mit einer Bitte und hielt, wie es ihm erschien, manchmal zu sehr Abstand von ihm.

»Ich melde mich, wenn ich zurück bin, okay?«

»Klar. Mach dir keine Sorgen um mich, mir fällt schon nicht die Decke auf den Kopf. Jetzt geh ich erst mal auf den Markt. Das wollte ich schon lange. Der Markt hier ist einfach unschlagbar.«

Nachdem sie aufgelegt hatte, überlegte sie einen Moment, ob ihr Peters Absage leidtat. Seit ihrem Wiedersehen im Frühjahr und seiner unschätzbaren Unterstützung als Privatdetektiv bei der Lösung ihres ersten Falls waren sie sich zwar nähergekommen, aber ein Paar waren sie nicht. Zumindest bis jetzt nicht. Sie fühlte sich durchaus zu ihm hingezogen, aber irgendwie hatte sie Angst, sich auf eine Beziehung einzulassen. Im Moment stellte der neue Job das Wichtigste in ihrem Leben dar – und ihre Tochter Roisin natürlich, obwohl die ja seit den Ereignissen im Mai bei ihrer Mutter Liv in Dänemark lebte.

Grace schenkte sich noch einen Tee ein und trat damit ans Fenster ihrer neuen Wohnung. Ihr Blick fiel auf die schäbige Hauswand gegenüber. Bis vor vier Wochen hatte sie direkt am Meer gewohnt, in einem schick möblierten Appartement, das sie nach ihrem Umzug von Dänemark vorübergehend in Galway angemietet hatte. Die Möbel waren ihr sofort auf die Nerven gegangen, besonders das cremefarbene Ledersofa. Es war ihr wichtig, mit welchen Dingen sie sich umgab.

Nun wohnte sie in drei fast noch leeren Zimmern in St Mary’s Terrace nahe dem Zentrum und ließ sich Zeit mit der Möblierung. Lieber saß sie eine Zeitlang auf Kartons, als vorschnell etwas zu kaufen, das nicht genau das war, was sie sich vorstellte. In einer Woche würden die paar Möbel aus Kopenhagen kommen, die sie dort untergestellt hatte und an denen sie hing. Dann würde es etwas gemütlicher werden.

Grace trug die leere Teetasse in die Küche, band ihre langen Haare zusammen und streifte sich die roten Sandalen über.

 

Als sie sich bald darauf durch das Gedränge in den schmalen Gassen im Zentrum Galways schob, genoss sie es geradezu, in die Menge einzutauchen, mal an dem Stand, mal an jenem stehen zu bleiben und sich das Angebot anzuschauen, zu schnuppern oder etwas auszuprobieren. Seit den frühen neunziger Jahren gab es diesen bunten Wochenmarkt, den sich die Bevölkerung damals gegen die Stadtverwaltung erkämpft hatte. Hier gab es selbstgebackenes Brot von einem Back-Kollektiv aus Clare, der nächsten Grafschaft südlich von Galway. Grace fand das irische Brot zwar besser als das englische, doch ihre Jahre in Dänemark hatten sie nach dunklem Sauerteigbrot süchtig gemacht. Auf den Gedanken, es selbst zu backen, wäre sie nie gekommen.

»Ist das Roggenbrot?« Grace zeigte auf den kompakten rechteckigen Pfundlaib auf dem Tisch. Die junge Frau dahinter nickte zustimmend und kaute weiter an einem Stück Kuchen.

Grace kaufte gleich drei Brote, die sie einfrieren wollte. Wer wusste schon, wann sie es das nächste Mal auf den Markt schaffen würde.

Das Stimmengewirr um sie herum klang europäisch. Direkt neben ihr erörterte ein französisches Paar scheinbar kontrovers die Vorzüge der unterschiedlichen Backwaren. Einen Stand weiter ließen sich drei junge Russen erklären, welches Hummus am mildesten und welches am schärfsten war. Eine schicke Italienerin drängte sich mit einem charmanten »Permesso!« an ihr vorbei und steuerte den Stand mit dem ungewöhnlichen Schmuck an, der Grace auch schon aufgefallen war. Galway vibrierte förmlich. Grace genoss das internationale Flair und schaute sich nach dem Hutstand um, den sie eigentlich von Anfang an gesucht hatte. Sie konnte ihn nirgendwo entdecken, aber man konnte auch nicht sehr weit schauen, so dicht gedrängt war die Menschenmenge. Alle schoben sich geduldig durch das Gewimmel. Der Blumenstand an der Ecke bot wunderschön gebundene Bauernsträuße an. Davon musste sie nachher unbedingt noch einen kaufen.

Plötzlich hatte sie das vage Gefühl, dass sie beobachtet wurde. Sie ließ ihren Blick über die Marktbesucher schweifen, konnte aber niemanden entdecken, der in ihre Richtung sah. Wahrscheinlich hatte sie sich getäuscht.

Sie stellte sich in der langen Schlange für vielversprechendes Biogemüse an. Vor ihr diskutierten zwei Schwedinnen heftig über ihr geplantes Nachmittagsprogramm. Sollten sie auf die Aran-Inseln oder lieber gleich nach Clifden und Connemara fahren?

»Ich rate euch, zuerst zu den Arans zu gehen, und da auf die mittlere Insel, Inis Meáin, und danach weiter nach Clifden.« Grace hatte ihren Ratschlag auf Dänisch formuliert und sofort drehten sich die beiden Skandinavierinnen begeistert um.

»Hei, hei, du kennst dich aus? Machst du auch hier Ferien? Ist ein cooles Land, nicht wahr?«

Sie schüttelte ihren Zopf mit den langen dunkelbraunen Locken. »Ich stamme aus der Grafschaft Mayo, nicht weit von hier, habe aber die letzten Jahre in Kopenhagen gelebt.«

»Du sprichst tolles Dänisch!«

Grace lächelte geschmeichelt. »Meine Mutter ist Dänin, allerdings hat sie den größten Teil ihres Lebens hier in Irland verbracht. Jetzt lebt sie wieder in Aarhus.«

Warum erzählte sie diesen wildfremden Menschen etwas über ihr Privatleben? Sie trat einen Schritt zurück, um mehr Distanz zu schaffen. Offenbar fand sie, wie sie sich nur ungern eingestand, in Galway nur selten Menschen, mit denen sie sich privat austauschen konnte. In Dänemark war sie mit einer Kollegin eng befreundet gewesen. Hier hatte sie niemanden.

»Kann ich euch helfen?« Ein Mann mittleren Alters mit einem spärlichen roten Vollbart und kurzen rotblonden Haaren hatte sich an die beiden Skandinavierinnen gewandt. Er lächelte ein sprödes Lächeln und sprach akzentfreies Englisch, das keinerlei irische Färbung trug. Woher stammte er wohl?, fragte sich Grace, während sie wartete und sich wieder umschaute. Aus Holland, aus Deutschland?

Die Schwedinnen zahlten und verabschiedeten sich von ihr.

»Danke noch mal für den Tipp! Wir nehmen den Bus nach Rossaveel, um Viertel vor drei. Hei, hei!«

Grace hob die Hand zum Gruß und inspizierte dann die Auslage des Gemüsestands.

»Sieht gut aus. Sind die Artischocken selbst gezogen?«

Der Mann nickte. »Alles selbst angebaut. Bio.«

Er war nicht sehr gesprächig, fand Grace. Wirklich sehr unirisch.

»Von woher?«

Der Mann schien unsicher zu sein. »Was meinen Sie genau? Das Gemüse oder ich?«

Grace verzog ihren Mund zu einem freundlichen Grinsen. »Wenn Sie mich schon so fragen, dann würde ich mal sagen, beides.«

»Ich bin Ökobauer und komme ursprünglich aus Norddeutschland, aber das Gemüse gedeiht in der Nähe von Letterfrack in Connemara.« Der Mann klang überaus ernsthaft.

Grace lachte und ließ sich zwei Artischocken einpacken. Dann kaufte sie noch ein paar seltene Mirinda-Tomaten. Auch aus Letterfrack – allerdings, wie der Biobauer betonte, aus seinem Gewächshaus, kein Freiland.

Grace beugte sich vertraulich ein Stück zu ihm hinüber. »Sind Sie schon länger hier auf dem Markt?«

Er nickte verhalten und blieb reserviert.

»Ich suche einen Stand mit Hüten. Die Hutmacherin heißt Dixi. Können Sie mir sagen, wo ich die finde?«

Über sein Gesicht huschte der Anflug eines Lächelns. »Sie meinen Dixi O’Hara?«

Grace zuckte mit den Schultern. »Ich kenne ihren Nachnamen nicht.«

In dem Moment trat eine magere Frau mit strähnigem mausbraunem Haar zu ihm. Sie war hinter einem geparkten grünen Lieferwagen hervorgekommen und hielt einen Stapel Einkaufstüten aus braunem Papier in den Händen. Die Frau warf dem Mann einen abschätzigen Blick zu und legte die Tüten dann seitlich auf den Verkaufstisch. Entschlossen nahm sie dem Bärtigen die Artischocken ab und stopfte sie in eine davon. Neben einer gemalten Stange Lauch und drei Tomaten stand in großen schwarzen Lettern »Frisch aus Connemara« auf dem Papier. Die Frau reichte Grace die Tüte und sah sie prüfend an, sie lächelte nicht dabei.

»Sie sprechen von der exzentrischen Dixi, oder?« Die Beschreibung passte.

»Ja.«

»Da müssen Sie hier die Lombard Street runter und noch ein Stück Richtung Shop Street, und kurz bevor Sie da sind, finden Sie den Stand auf der rechten Seite. Beste Lage.«

Das Letzte hatte nicht nett geklungen. Grace wunderte sich ein wenig, zahlte, nahm dann die Tüte und bahnte sich einen Weg in die beschriebene Richtung. Wieder kam es ihr vor, als würden sich Augen in ihren Rücken bohren. Blitzschnell schaute sie sich um und konnte gerade noch sehen, wie sich jemand wegdrehte und in der Menge untertauchte. Sie zögerte und wäre fast hinter dem Flüchtigen hergelaufen, als sie laut ihren Namen vernahm.

»Grace! Hier bin ich!« Dixi winkte heftig mit beiden Armen, als würde sie ertrinken.

Grace entschied sich, zu ihr zu gehen. Dixis Stand war nicht sehr groß, besaß aber durch einen altmodisch gedrechselten Holzaufbau einen augenfälligen Charme, und die schätzungsweise zwanzig Hüte, die auf und um ihn herum drapiert waren, verliehen ihm eine beinahe fantastische Note. Von kleinen Kappen in bizarren Farben und mit bunten Steinen bestickt über samtweiche Cloches, die an die zwanziger Jahre erinnerten, bis hin zu fragilen Federkonstruktionen und ausladenden Strohhüten mit Obstdeko war alles vertreten, was man sich als Frau nicht nur in den kühnsten Träumen auf den Kopf setzen mochte.

Dixi wirkte neben ihrem bunten Hutstand nicht minder auffällig. Sie trug ein, wie Grace fand, mutiges Gewand »in Bienenoptik«. Es war schwarz-gelb gestreift und reichte der zierlichen Dixi fast bis zu den Knöcheln. Auf dem Kopf balancierte scheinbar prekär ein Gebilde aus fein gewebtem goldenem Stroh mit einem Halbschleier aus einem Hauch von Tüll. Wie sie diese Kopfbedeckung auf den kurzen Hühnerfedern, die ihre Frisur ausmachten, befestigen konnte, war der Polizistin ein Rätsel.

Grace starrte sie unverhohlen an. Dixi ergriff ihre Hand und drückte sie fest.

»Wie schön, dass du hier bist! Ich hatte es gehofft.«

Das Du klang in Graces Ohren selbstverständlich. Sie lächelte amüsiert und wandte sich den Hüten zu. »Und die machst du alle selbst?«

Dixi strich mit ihren Fingern sanft über eine burgunderfarbene Cloche.

»Ich entwerfe und forme sie. Das Nähen übernimmt eine Angestellte und in der Hochsaison wie jetzt gerade kommen noch ein paar Aushilfskräfte dazu. Ich sorge dann für die abschließende Deko und den letzten Pfiff – wie in einer Sterneküche, und ich überprüfe alles, bevor es rausgeht.«

Grace staunte. »Wieso ist im Moment Hochsaison?«

Dixi warf ihr einen belustigten Blick zu. »Die Frage ist nicht ernst gemeint, oder?«

»Doch.« Grace schaute sie fragend an.

»In zehn Tagen beginnen die Galway Races! Das wichtigste Pferderennen Irlands und mit Sicherheit das bunteste. Und am Ladies’ Day, dem Donnerstag, der wiederum der wichtigste Tag der ganzen Rennwoche ist, braucht jede Lady eine scharfe Kopfbedeckung, mit der sie alle anderen ausstechen kann. Dabei bin ich ihnen behilflich.«

Grace grinste und schwieg einen Augenblick. »Ich interessiere mich nicht für Pferderennen«, sagte sie schließlich.

Dixi hatte ihren Kopf mit dem goldenen Hut schief gelegt, aber nichts verrutschte.

»Muss man auch nicht, um zu den Races zu gehen. Eigentlich ist es mehr ein Wettkampf für Zweibeiner.«

»Und ich dachte immer, das Spannende dabei sind die Pferde.«

Dixi hielt einen Moment inne und kicherte dann. »Nö, die sind eher Beiwerk. Ein Vorwand, wenn man so will. Obwohl, für die Pferdeclans sind sie schon immens wichtig. Aber noch wichtiger sind die Hüte und natürlich das gesellschaftliche Drumherum. Die ganze Baubranche Irlands macht zum Beispiel in der Woche der Galway Races dicht, wusstest du das?«

Grace sah sie überrascht an. Ihr schwante nichts Gutes. Ihr Onkel Jim liebte Pferderennen. Für ihn waren die Galway Races sicher einer der Höhepunkte des Jahres.

»Dann treffen die sich in den teuren Champagnerzelten mit den ganzen Politikern und hauen auf den Putz.«

Eine auffällig gut aussehende Frau mit kupferroter, leicht gewellter Mähne trat nun an Dixis Stand und besah sich die Exponate. Dixi zwinkerte Grace kurz zu und stellte sich umgehend neben die potenzielle Kundin.

»Galway Races oder was für jeden Tag, Ma’am?«

Die Frau, die Anfang vierzig sein mochte, lächelte und schaute auf. Im rechten Arm hielt sie eine »Frisch aus Connemara«-Tüte, an der linken Hand baumelte eine Einkaufstasche von Mulligan, dem besten Käseladen Galways, der in der engen Straße direkt gegenüber lag. Feine Sommersprossen überzogen ihre Stirn, die Nase und die Wangen. Sie war dezent geschminkt.

»Haben Sie auch etwas, was sich für beide Anlässe gleichermaßen eignen würde?«

Dixi schaute sie prüfend an und wählte dann einen schwarzen Strohhut, der eine schmale Krempe wie ein Herrenhut hatte, mit einer roten Nelke, die in der Haarfarbe der Kundin schimmerte. Sie setzte ihn ihr auf, strich eine Haarsträhne aus dem Gesicht der Frau und trat einen Schritt zurück.

»Da drüben ist ein Spiegel. Ich muss an Sie gedacht haben, als ich diesen Hut gemacht habe.«

Grace war beeindruckt. Sosehr der Hut auch zu dieser Frau und ihrer gesamten Ausstrahlung passte, Grace fand Dixis Bemerkung etwas dick aufgetragen. Aber wahrscheinlich musste man so verkaufen. Die Frau drehte sich nach allen Seiten, um sich mit dem Hut zu begutachten. Sie war etwa so groß wie Grace, nur von kräftigerer Statur.

»Ja, der gefällt mir sehr gut. Was meinen Sie?« Sie lächelte Grace auffordernd an, nachdem sie sich ein paar Sekunden zuvor suchend nach jemandem umgeschaut hatte.

»Tja, ich muss der Künstlerin recht geben – wie für Sie gemacht«, stellte die Polizistin grinsend fest.

»Mum!«

Im selben Moment sah Grace das Mädchen, das sich durch den Besucherstrom einen Weg zu bahnen versuchte. Sie erkannte es sofort. Es war Maeve, die zwölfjährige Tochter ihres geschätzten Kollegen Rory Coyne, eine von seinen sechs Töchtern, und die keltische Schönheit mit dem schwarzen Hut und der Nelke musste somit die mysteriöse Mrs Coyne sein, die sie bisher leider nie kennengelernt hatte. So ein Zufall! Maeve hatte jetzt nur bewundernde Augen für ihre Mutter.

»Den musst du kaufen, Mum! Sieht cool aus, echt! Dad wird begeistert sein.« Da fiel ihr Blick auf Grace.

»Oh, Grace! Toll! He, Mum, das ist Dads Chefin, Grace O’Malley, die seit Mai die Mord-Garda leitet!«

Das Mädchen streckte Grace die Hand hin. Grace schüttelte sie.

Dixis Blick wanderte belustigt von einer zu anderen, während Mrs Coyne Grace ebenfalls die Hand reichte und sie lange festhielt. »Das freut mich aber. Endlich lerne ich Sie auch mal kennen!«

»Mrs Coyne …«, hob Grace an.

»Kitty, bitte, nennen Sie mich Kitty.«

Grace nickte zufrieden. Dieser Samstag würde ein guter Tag werden. Kitty Coyne kaufte den wunderbaren Hut, Dixi schlug vor, am Abend zusammen essen zu gehen, was Grace gerne annahm, und dann gingen sie zu dritt, Maeve, ihre Mutter und sie in ein gemütliches Café am Spanish Arch und aßen Scones mit Sahne und Himbeermarmelade.

 

»Und, bitte, grüßen Sie Rory ganz herzlich!«

Als Grace eine halbe Stunde später das Café verließ, sah sie ihn. Hilary hatte wohl nicht damit gerechnet, dass sie allein und unabgelenkt aus dem Teehaus kommen würde. Er musste es gewesen sein, der sie auf dem Markt verfolgt hatte. Grace war genervt. Der alte Mann mit den Zahnlücken und dem üblen Körpergeruch, der meist an der Theke im Spaniard’s Head hockte, saß auf der Mauer zum Fluss Corrib und schaute ostentativ in eine andere Richtung, als sei er rein zufällig hier. Festen Schrittes ging sie auf ihn zu, um ihn zur Rede zu stellen. Als er ihre Absicht erkannte, rutschte er von der Mauer, um sich schnell zu verdrücken. Sie stellte sich ihm in den Weg und warf ihm einen wütenden Blick zu.

»Bleiben Sie stehen, Hilary!«

Er folgte ihrer Anweisung und grinste sie dabei verschlagen an.

»Ach, der jüngste Spross des uralten O’Malley-Clans. Was kann ich für Sie tun, Gnädigste?«

Sie wollte sich ihm nicht noch weiter nähern, denn er stank. »Warum spionieren Sie mir hinterher?«

»Ach.« Er dehnte seine Einleitung und ließ sie sich scheinbar auf der Zunge zergehen. Vor dem großen Hotel an der grauen Brücke, nur einen Steinwurf entfernt, begann in diesem Moment eine fünfköpfige Straßenband, eine Jig zu spielen. Zwei Flöten und die Fidel rannten lautstark um die Wette. Um sie zu übertönen, kam Hilary nun näher.

»So, du meinst, ich spioniere dir nach? Warum sollte ich, Gnädigste?«

Sie antwortete ihm nicht, ließ ihn aber nicht aus den Augen.

»Ich schau mich nur um, Miss O’Malley, einfach so, völlig grundlos und ganz ohne Absicht.«

»Das glaube ich Ihnen nicht. Sie sind mir gefolgt.«

Er humpelte noch ein paar Schritte auf sie zu. Grace konnte den Geruch nach getrocknetem Urin und ungelüfteten Kleidern kaum ertragen. Sie wich zurück. Die irische Trommel, die sie so liebte, die Bodhran, hatte jetzt einen Soloeinsatz, wie zum Auftakt einer Fanfare.

»Wenn ich Ihnen einen kleinen Tipp geben darf: Machen Sie nicht den gleichen Fehler wie Ihr werter Onkel«, raunte Hilary ihr zu.

Grace runzelte die Stirn, als er Jim O’Malley erwähnte, ihren Onkel, den sie abgrundtief verachtete.

»Der alte Jim hält sich für unglaublich wichtig.« Er starrte sie durchdringend an, bevor er weitersprach. »Das ist er aber nicht.«

Hilary drehte sich um und ließ Grace einfach stehen.

4

Peter Burke hatte am Vormittag den Gartenzaun am Haus seiner Mutter repariert. Er war guter Laune und pfiff vor sich hin. Pattie hatte das alte Schulhaus auf der ruhigsten der drei Aran-Inseln, der »Mittleren«, wie Inis Meáin aus dem Irischen übersetzt heißt, vor fast zehn Jahren gekauft und in ein gemütliches Refugium mit exklusivem Touch verwandelt. Mit vier Gästezimmern bot sie ein geradezu luxuriöses Bed and Breakfast an: antike Himmelbetten neben hochmodernen Regenduschen aus Connemara-Marmor, Samtensembles zusammengewürfelt mit Lederchesterfields, in denen man vor dem Torfkamin fast verschwinden konnte, und altmodische Rosensträuße aus dem Garten in jedem der individuell gestalteten Zimmer. Woher sie damals das ganze Geld genommen hatte, das für die aufwendige Renovierung der alten Schule nötig gewesen war, war ihm ein Rätsel geblieben. Damals waren die Banken noch schlitzohrig großzügig gewesen, erinnerte er sich, aber wirklich nachgehakt hatte er bei seiner Mutter nie. Und es fiel ihm auch schwer, ihren komfortablen Lebensstil, den er ihr von Herzen gönnte, allein der Vermietung der vier Zimmer während einer zeitlich begrenzten Saison zuzuschreiben. Gut, »Patties Schulhaus B&B« war mittlerweile ein international gehandelter Geheimtipp, auch für sogenannte VIPs.

Auf Inis Meáin wurde, wie auf den anderen beiden Inseln in der Bucht vor Galway, nach wie vor fast ausschließlich Irisch gesprochen. Englisch war Zweitsprache und nur der Kommunikation mit den Besuchern vorbehalten. Ein Meer aus grauen Steinen stieg dort aus dem Atlantik empor und bot seinen Bewohnern seit Jahrtausenden Schutz vor Wind, Regen und vielen Unbilden der Welt, die an der Insel vorbeizogen, ohne sie wirklich zu berühren. Zumindest kam es einem so vor, wenn man die Insel als Außenstehender besuchte.

Während die Steine nach Norden in Richtung Festland beinahe sanft zum Meer hinabflossen und sich schließlich fast unmerklich mit dem Atlantik vereinten, waren die anderen drei Küsten der Insel, besonders jedoch die nach Westen, rauerer Natur.

Peter liebte Inis Meáin und er hatte sich vor dem Abendessen von seiner Mutter verabschiedet, um noch eine kleine Runde durch das Inseldorf zu drehen. Die Burkes stammten aus Mayo, der Grafschaft, die auf dem Festland nördlich an Galway anschloss. Mayos südliche Begrenzung, die Bergkette der Twelve Bens, konnte man an klaren Tagen von hier aus gut erkennen. Die Stadt Galway lag auf der rechten Seite, im Inneren der Galway Bay. Am anderen Ende ganz links, achtzig Kilometer entfernt, wo die Bucht sich zum mitunter recht wilden Ozean hin öffnete, lag die Hauptstadt Connemaras, Clifden.

Peters und Patties ursprüngliche Heimat dagegen befand sich ein ganzes Stück weiter nördlich, hinter der nächsten großen Bucht, auf Achill Island. In der Crew Bay lag auf der kleinen Insel Murrisk auch das Grab der Piratenkönigin Grace O’Malley, deren berühmten Namen die Kommissarin Grace sehr zu ihrem Leidwesen teilte. Die O’Malleys hatten seit mehr als tausend Jahren die Provinz Connacht beherrscht und unter der britischen Kolonialmacht auch auf Achill Island das Sagen gehabt.

»Hallo, Peter!« Tom Walsh, der alte Fischer, stand an seiner Tür und winkte ihm zu. Vor ihm auf der Schwelle schlief ein großer Hund. Oft schien es Peter, als sei Inis Meáin die Insel der schlafenden Hunde.

Obwohl er selbst nie auf der Insel gelebt hatte, kannten ihn fast alle der einhundertsechzig Bewohner. Seine Mutter, die er zärtlich liebte, war hier als Außenstehende mit offenen Armen aufgenommen worden. Pattie sprach fließend Irisch. Sie war im regen kulturellen Leben der drei Inseln aktiv und, wie er immer wieder feststellen konnte, bei den Insulanern sehr beliebt. Peter war stolz auf seine charmante, attraktive Mutter, die ihn nach dem frühen Tod des Vaters zunächst auf Achill großgezogen hatte. Im selben Dorf, aus dem auch Grace O’Malley und ihre Familie stammte. Er seufzte, ohne dass es ihm bewusst war. Graínne, wie sie in ihrer Kindheit hieß. Seit fast vier Monaten war sie zum ersten Mal wieder in seiner Nähe. Nach ihrer anfänglich schroffen Haltung ihm gegenüber waren sie sich wieder ein Stück nähergekommen. Wollte er, dass sie ein Paar würden? Peter blieb einen Moment stehen und schaute unschlüssig vor sich auf den Boden. Er fand Grace immens anziehend. Doch manchmal ärgerte er sich über ihre Art, die häufig kühl und distanziert auf ihn wirkte.

Vor ihm ragte einer der Masten auf, die seit einigen Jahren mitten im Dorfkern standen und die Insel mit exzellentem WLAN versorgten, schneller als die schnellsten Wellen, die sich unten an den Klippen brachen. Offenbar war doch nicht alles an der unauffälligen Insel vorbeigeflossen, dachte Peter und grinste. Die Abendfähre hatte gerade wieder abgelegt und Kurs auf die kleinste der drei Arans genommen, Inis Oírr, die »Kleine«, wie sie auf Irisch genannt wurde.

Peter sah zwei junge blonde Frauen mit Rucksäcken näher kommen, die lachend in ein Gespräch vertieft waren. Er schaute auf seine Uhr und kratzte sich am Kinn. Sollte er umkehren und sich noch vor dem Abendessen ein Guinness im einzigen Pub der Insel genehmigen, der dem Haus seiner Mutter gegenüberlag?

Er fand, das sei eine gute Idee. Peter drehte um und ließ die kleine Kirche rechts liegen. Als er fast schon um die nächste Ecke biegen wollte, hörte er eine Stimme, die ihn rief. Er schaute sich um und sah eine junge Frau etwas weiter oben neben dem Haus bei der Kirche stehen. Sie winkte ihm zu und Peter winkte verwirrt zurück. Als er seinen Weg fortsetzen wollte, hörte er ihre Stimme noch dringlicher als zuvor.

»Peter! Kommen Sie doch bitte mal zurück, ja?«

Der Privatdetektiv hielt inne, zuckte mit den Schultern und lief die Straße wieder hoch. Er hatte die Frau zwar schon häufiger auf der Insel gesehen, aber er konnte sich nicht daran erinnern, jemals mit ihr geredet zu haben.

Schließlich hatte er sie erreicht. Er lächelte sie fragend an. »Ja? Was kann ich für Sie tun?«

Statt einer Antwort streckte sie ihm die Hand hin, und als er sie nahm, hielt sie ihn fest, schaute prüfend nach beiden Seiten und machte dann Anstalten, ihn ins Haus zu ziehen. Peter war mehr als überrascht und leistete nur geringfügigen Widerstand. Seine Neugier war geweckt.

Im Innern des Hauses schloss sie als Erstes die Tür und atmete hörbar aus. In dem kleinen Flur herrschte Dämmerlicht und es roch nach getrockneten Blumen.

»Pst.« Sie legte den Zeigefinger an ihre Lippen und Peter sah, dass er mit einer Mullbinde verbunden war. »Er schläft.« Mit dem verbundenen Finger zeigte sie vage nach oben. Das sah merkwürdig aus und Peter musste sich ein Lachen verkneifen. Was käme als Nächstes?

»Ich bin Mary. Es geht um meinen Mann Henry oder besser, es geht um seinen verdammten Computer.«

Jetzt war Peter der festen Ansicht, dass eine Verwechslung vorlag. Mary warf ihm einen verzweifelten Blick zu.

»Henry ist doch krank und kann nicht raus, und als ich Sie sah, dachte ich mir, Sie schickt unsere liebe Frau.« An dieser Stelle bekreuzigte sie sich flüchtig, fuhr aber gleich weiter fort, bevor Peter den scheinbaren Irrtum klarstellen konnte.

»Es bleibt nur noch wenig Zeit, und da wollte ich Sie bitten, für meinen Mann die Wechselwette zu platzieren. Sein Computer ist abgestürzt und mit ihm das ganze verdammte Internet!«

Mary war schätzungsweise Ende zwanzig, etwas blass wie viele Bewohner der Inseln, hatte krause Haare, die sie in einem Pferdeschwanz bändigte, und sie klang nach Peters Einschätzung äußerst verzweifelt.

Er lächelte sie an. »Mary, beruhigen Sie sich, bitte. Ich würde Ihnen und Ihrem Mann wirklich gern helfen, aber ich weiß noch nicht mal, was Wechselwetten sind.«

Die Frau starrte ihn an, als habe sie gerade ein Gespenst erblickt.

»Haben Sie sich wehgetan?« Er deutete auf den verletzten Finger und sie nickte abgelenkt, als müsse sie nun ihre Gedanken neu ordnen.

»Es ist nichts Schlimmes, kommt immer wieder mal vor.« Erneut schaute sie nervös zum ersten Stock hinauf.

»Wieso?«

»Ich bin Näherin, das ist ein Berufsrisiko. Also, was ist jetzt, kann ich Ihnen das Geld mitgeben?«

Für Peter begann die Situation nun eindeutig unbehaglich zu werden. Sie musste ihn mit jemandem verwechseln, so viel stand fest, nur wie konnte er ihr das klarmachen?

»Arbeiten Sie in der Fabrik?« Eine der exklusivsten Manufakturen, die sündhaft schöne Strickwaren mit hippem Design, aber dennoch in der Tradition der Aran-Inseln herstellte, hatte sich vor über zwei Jahrzehnten hier auf der »Mittleren« angesiedelt, und viele der Frauen, denen man seit Jahrhunderten eine große Geschicklichkeit mit Nadel und Faden nachsagte, waren in der »Fabrik« beschäftigt, wie sie hier alle nannten.

Gedankenverloren schüttelte Mary den Kopf. »Nein, ich nähe für eine Modemacherin.« Sie schien nachzudenken und Peter wollte die Gelegenheit nutzen, um sich aus dem Staub zu machen.

»Tut mir leid, Mary, und gute Besserung für Ihren Mann!«

Er hatte schon die Klinke in der Hand und drückte sie herunter. Mary schob ihn sanft, doch sehr bestimmt beiseite.

»Sie sind doch Peter Burke, Patties Sohn?« Sie lächelte und drängte ihn weiter, in Richtung Küche, ohne eine Antwort abzuwarten.

»Ja, Mary, aber ich kenne mich weder besonders mit Computern aus noch mit Wechselwetten – was auch immer das sein mag.« Er blickte ihr ins Gesicht, während sie zu seiner Verblüffung augenblicklich in ein hysterisches Lachen ausbrach.

»Da bin ich aber erleichtert, Peter«, keuchte sie. »Sie brauchen auch nichts von Wechselwetten zu verstehen, Hauptsache, Pattie hat den Durchblick. So, und jetzt gebe ich Ihnen den dringenden Tipp für Ihre Mutter mit. Ich schreibe Ihnen alles genau auf. Worauf sie für Henry setzen soll, wie viel und wann. Das ist alles wichtig, aber das weiß sie ja.« Mary schrieb schon eifrig, während Peter wie vom Donner gerührt hinter ihr stand.

»Henry weiß, dass er diesmal richtig liegt, deshalb ist die Sache ja so wichtig. Sie verstehen das sicher, Peter.«

Peter verstand immer noch kein Wort, doch er begann allmählich etwas zu ahnen. Als Mary ihm kurz darauf zweihundert Euro in die Hand zählte, räusperte er sich.

»Lohnt sich das denn mit den Wechselwetten?«

Die junge Frau warf ihm einen treuherzigen Blick zu. »Na klar, die gibt es noch nicht so lange, aber Henry findet sie großartig. Da hat jeder eine echte Chance.«

Während Peter noch krampfhaft überlegte, wie er mehr aus ihr hervorlocken könnte, um etwas über die Rolle seiner Mutter bei dem ganzen Spiel zu erfahren, plapperte sie, nun offenbar ganz erleichtert, weiter.

»Und Pattie hat die tollsten Wettangebote weit und breit. Abgesehen davon, dass wir auf Irisch wetten können.« Sie kicherte und nahm Peters entsetzten Blick gar nicht wahr.

»Auf Irisch, wie meinen Sie das?«

»Roghanna Ceilteach, Keltische Möglichkeiten. Den Namen für ihr Business hat sie selbst erfunden. Das war eine wunderbare Idee von Pattie. Finden Sie nicht? Als ihr Sohn müssen Sie sehr stolz auf Ihre Mutter sein.« Mary stellte sich auf die Zehenspitzen und hauchte Peter einen Kuss auf die Wange. »Nochmals vielen Dank!« Damit öffnete sie die Tür.

Einen Moment lang stand er wie benommen auf der Schwelle, dann trat er auf die Straße.

»Und nichts vergessen, Sie haben ja den Zettel. Grüßen Sie Pattie!«

Keltische Möglichkeiten. Peter war fassungslos.

5

»Du hast da ein Stück Erbse am Mund, Onkel Ronan!«

Louise kicherte, während Ronan Coyne sich sofort mit seiner Stoffserviette über Mund und Kinn wischte. Rorys Zwillingsbruder grinste seine Lieblingsnichte quer über den großen Esstisch an.

»Weg?«

Louise nickte ernst.

Rory kehrte gerade mit einer Flasche rotem Chilenen ins Esszimmer zurück, so dass er das noch gehört hatte. Er hatte die Flasche in der Küche entkorkt und goss seinem Bruder und sich nun nach. Es war Samstagabend und fast alle Coynes waren um den großen Esstisch versammelt. Rorys Bruder Ronan hatte keine eigene Familie und war daher gern bei Rory, Kitty und den sechs Töchtern zu Gast.

»Interessant, was Louise so alles sieht.« Rory warf seiner Jüngsten einen belustigten Seitenblick zu.

Louise errötete und nickte heftig. »Ich bin ja noch nicht so alt wie ihr beide und hab einfach bessere Augen!«

Ihre Schwester Brenda kickte sie unter dem Tisch.

»Au!«

»Gib bloß nicht so an! Mit zehn mag man vielleicht besser sehen als Dad, aber das bedeutet nicht, dass man auch begreift, was man sieht. Insofern nützt es einem gar nichts.« Brenda sah sie hochmütig an.

»Und du glaubst im Ernst, dass du mit deinen vierzehn den Durchblick hast?«

In dem Moment kam Kitty Coyne mit einer großen, himmelblau geblümten Terrine ins Zimmer und stellte sie auf den Tisch. Sie trug Jeans und ein grünes ärmelloses Top, das ihr rotes Haar gut zur Geltung brachte. Dann lüftete sie den Deckel und sofort erfüllte ein würziger Duft nach Fleisch und Soße den ganzen Raum.

Rory wedelte mit der rechten Hand vor seiner Nase herum.

»Oh, riecht das lecker!« Da er noch zwischen Tür und Esszimmer stand, umfasste er die Taille seiner Frau, als sie zurück in die Küche eilen wollte. »Du bist die beste Köchin der Welt! Und die schönste.« Er drückte ihr einen Kuss auf den Mund. Lachend machte sie sich frei und verschwand.

»Und deshalb habe ich dich auch geheiratet«, äffte Maeve ihren Vater nach.

Alle vier Schwestern wieherten und auch Ronan verzog sein Gesicht zu einem Grinsen.

»Warum ist Molly nicht hier?«, fragte er in die Runde. »Sie hat doch sicher Semesterferien.«

Die älteste der sechs Coyne-Töchter studierte seit einem Jahr Kunst und Design in Belfast. Noch bis vor gut zehn Jahren wäre es völlig unmöglich gewesen, als Irin aus der Republik in die nordirische Stadt zu ziehen, um dort auch noch zu studieren! Heute war es zwar immer noch ungewöhnlich, doch hatten immer mehr Iren ihre Vorbehalte und Vorurteile gegen den protestantischen Norden, der Teil des Vereinigten Königreichs war, überwunden und sich die sechs Grafschaften Nordirlands mit der wunderschönen Hauptstadt Belfast aus Neugierde zumindest besucht und angeschaut. Das hatten auch die Coynes getan und Molly hatte die Stadt auf Anhieb so gut gefallen, dass sie sich entschloss, dort zu studieren.

»Molly ist schwer verliebt und ihr Liebster stammt von dort«, klärte die zwölfjährige Maeve den Onkel auf. Sie zog ein wichtiges Gesicht dabei.

Ronan lachte verständnisvoll.

»Und wie geht es deiner neuen Kollegin Grace? Hat sie immer noch Stress mit … wie heißt er gleich?«, wandte er sich an seinen Bruder.

Rory ließ sich auf den Stuhl neben Ronan fallen. »Du meinst Kevin Day. Nun arbeite ich schon seit Jahrzehnten mit diesem Typen und du kannst dir immer noch nicht seinen Namen merken.« Er gab seinem Bruder einen liebevollen Knuff in den Oberarm.

Ronan grunzte als Antwort. »Natürlich kann ich das, er war mir nur gerade entfallen. Und Graces Standing hat sich seit dem Erfolg im Mordfall McDoughall sicher entschieden gebessert.«

»Ja, Robin, unser Chef, steht nicht mehr eindeutig auf Days Seite. Graces Ermittlungserfolg hat ihn wohl ziemlich beeindruckt. Und …«

»Hatte sie nicht auch eine Tochter in Brendas Alter, die, wenn ich mich recht erinnere, weggelaufen ist?«, fragte Ronan stirnrunzelnd.

Kitty war mit einem Berg dampfender Gnocchi zurückgekehrt und fing an, das Essen zu verteilen. Die Mädchen hielten ihr ungeduldig die Teller hin.

»Ja. Roisin.« Kitty hatte statt Rory die Frage ihres Schwagers beantwortet. »Die ist vierzehn und wohnt jetzt bei ihrer Großmutter in Aarhus in Dänemark. Ich hab Grace übrigens heute Morgen auf dem Markt endlich mal kennengelernt. Sehr sympathisch.«

Dann nahm Rory wieder den Faden auf. »Ich bin mir aber sicher, dass die Sache noch nicht zu Ende ist.«

»Welche Sache? – Danke, Kitty.« Sie hatte gerade Ronans Teller gefüllt.

»Na, die mit Day«, erklärte Rory. »Der hat es bis heute nicht verkraftet, dass sie ihm den Traumjob vor der Nase weggeschnappt hat. Und er ist hinterhältig. Der hat noch was in petto. Wie stehen eigentlich im Moment die Quoten für das Finale von Connacht?«

Ronan runzelte die Stirn. »Sechs zu eins. Aber was denkst du?«

Ronan Coyne betrieb im Zentrum von Galway ein kleines Wettbüro mit dem kessen Namen Turf no Surf. Das war eine Anspielung auf das populäre Gericht Surf and Turf, das aus Scampi und Steak bestand. Und der englische Begriff »turf«, der so viel wie »der grüne Rasen« bedeutet, stand in Irland schon immer für Pferderennen. Rory Coyne, Ronans Zwillingsbruder und Hauptkommissar des Morddezernats, hatte nicht viel übrig für Sport. Nur zweimal im Jahr zeigte er ein beträchtliches Interesse: das eine Mal für das Finale im gälischen Fußball seiner Heimatprovinz Connacht und das andere Mal für die Galway Races, eine gute Woche später. Und jetzt standen beide Ereignisse kurz bevor.

»Sechs für wen?«

»Machst du Witze? Für Galway natürlich. Mayo ist chancenlos, wenn du mich fragst. – Ich meinte, was denkst du, was Day noch so vorhaben könnte?« Ronan musterte seinen Bruder über den Tisch hinweg. Als er keine Antwort erhielt, drehte er sich stattdessen zur Kleinsten am Tisch, Louise, die ihn treuherzig angrinste.

Rory überlegte und wischte sich mit der Serviette über die Stirn, was seine zweitälteste Tochter Laura mit einem Stirnrunzeln quittierte. Sie empfand ihren Vater oft als stillos. Mit dreizehn fand man Eltern peinlich, mit achtzehn stillos. Rory konnte eher damit umgehen, peinlich zu wirken.

»Keine Ahnung«, erwiderte er.

Ronan schüttelte nachdenklich den Kopf. »Ich kann mir leider gut vorstellen, wie es sich anfühlt, mit jemandem zusammenarbeiten zu müssen, wenn man spürt, dass man ihm nicht hundertprozentig vertrauen kann.«

Er nahm sich noch einen Löffel von dem Bœuf Irlandais, das seine Schwägerin nicht in Rotwein, sondern in Guinness geschmort hatte, und zwinkerte ihr zu. »Kitty, ein Traum!«

Rory hob den Kopf und schaute Ronan fragend an. »Was genau willst du damit sagen?«

»Nichts. Damit will ich gar nichts sagen«, wiegelte er ab.

Rory beugte sich zu seinem Bruder hinüber und versuchte, seinen Blick einzufangen. Ronan wich ihm aus. Plötzlich war es mucksmäuschenstill am Tisch. Die Mädchen, die bis eben noch durcheinandergeredet und gelacht hatten, schwiegen und beobachteten den Vater und den Onkel. Kitty hatte die Hände vor sich auf dem Tisch zusammengelegt und schaute gebannt auf die weiße Tischdecke, als sei es ihr unangenehm, dem Gespräch folgen zu müssen.

»Du bist seit Wochen merkwürdig, Onkel Ronan«, piepste auf einmal Louise.

Ronan war auf seinem Stuhl in sich zusammengesunken. Schweigend aßen sie weiter.

»Und du lachst auch gar nicht mehr so oft.«

»Sie hat vollkommen recht.« Kitty hatte das Wort ergriffen und sah ihrem Schwager direkt in die Augen. Rory schwieg und Ronan entfuhr ein leises Stöhnen.

»Ich mache mir Sorgen, wenn ihr es genau wissen wollt.«

»Um was machst du dir Sorgen? Läuft im Geschäft etwas nicht, wie es sollte?« Kittys Stimme war warm und dunkel, sie ertönte im melodischen Singsang der Menschen der westirischen Provinz Connacht.

»Doch, aber ich mache mir Sorgen um einen meiner Mitarbeiter, um Tom Nolan.«

»Was ist mit Tom?« Rorys Frage kam sehr schnell.

Ronan zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht, aber er verhält sich seit einiger Zeit komisch. Ich hab den Eindruck, dass er mich austrickst oder mir zumindest nicht die Wahrheit sagt.« Ronan hatte das Besteck zur Seite gelegt, lehnte sich zurück und schloss halb die Augen.

»Glaubst du, dass er in etwas verstrickt ist, was deinem Laden schaden kann?«

Ronan öffnete nun wieder die Augen und sah sich suchend um. »Darf ich jetzt rauchen? Meine Pfeife muss hier irgendwo …«

»Ach, Onkel Ronan, nun hör Dad doch mal zu! Schließlich ist er der Profi.« Louise wirkte auf einmal ganz streng. Rory unterdrückte ein Lächeln.

Ronan warf ihr einen Blick zu, bevor er fortfuhr. »Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein und alles ist in bester Ordnung. Ich bin mit den Nerven etwas runter, denn seit diese Wechselwetten und die ganzen anderen Online-Wetten immer mehr Platz einnehmen, läuft in unserem Business nichts mehr so wie früher. Das Internet stellt alles auf den Kopf, was bisher im Wettmilieu galt.«

»Was sind denn Wechselwetten, Ronan?« Kitty hatte diese Frage gestellt, bevor fünf andere im Zimmer sie stellen konnten.

Rory fuhr sich über das Gesicht. Diesmal ohne Stoffserviette. Er sah ratlos aus.

Da ergriff die sechzehnjährige Helena, die von allen sechs Coyne-Mädchen die Schweigsamste war, das Wort. »Wechselwetten gibt es erst, seit es das Internet gibt«, erklärte sie und kaute dabei seelenruhig weiter. »Neu daran ist, dass du nicht auf den wettest, der gewinnt, sondern auch auf den, der verliert.«

»Hat sie recht?«, fragte Brenda in Ronans Richtung.

Der nickte. »Absolut. Und das macht das Ganze so …« Ronan suchte nach dem richtigen Wort.

»Undurchsichtig?«, versuchte sein Bruder ihm zu helfen.

»Das auch, aber ich meine eher, fragil. Außerdem zieht es ungeheure Kreise in jeder Sportart, besonders im Pferderennsport. Nichts ist mehr sicher.« Ronan klang müde.

»Aber Manipulation gab es doch schon immer, mein Lieber.« Kitty legte mitfühlend die Hand auf die ihres Schwagers. »Das kommt beim Zocken einfach vor.«

»Nur jetzt immer häufiger. Das Ausmaß an Korruption und Beeinflussung ist unüberschaubar geworden, glaubt es mir.«

Rory räusperte sich. »Und was ist mit dieser Firma, die diese ganzen Wetten dominiert? Die sitzt doch in London.«

»Du meinst Betfair.«

»Ja, die müssen sich doch an Gesetze halten. Die können nicht einfach machen, was sie wollen.«

Ronan lachte auf. »Klar, aber um die geht es ja nicht. Ich spreche von den kleinen Wettbüros, die es überall gibt. Ganz großes Business ist das mittlerweile geworden. Die sitzen irgendwo außerhalb von Europa, ziehen von dort aus die Strippen und setzen auf unsere Liga.«

»Du meinst, die interessieren sich für den Fußball in Irland?« Die zwölfjährige Maeve klang plötzlich ganz neugierig.

Ronan nickte heftig. »Nicht nur für normalen Fußball, sondern auch und besonders für den gälischen Fußball.«

Kitty schien skeptisch. »Aber Ronan, das kann ich mir wirklich nicht vorstellen. Die Regeln für unseren gälischen Fußball versteht außerhalb Irlands doch niemand. Und es interessiert sich auch niemand dafür.«

Ronan stand auf und schob seinen Stuhl ungeduldig zur Seite. »Ich geh jetzt meine Pfeife holen, ich muss sie draußen in der Jacke stecken gelassen haben. Und dann möchte ich nicht mehr über das Thema reden.«

Louise lachte auf und alle drehten sich zu ihr um. »Onkel Ronan, du darfst einfach nicht alles glauben, was man dir erzählt.«

Ronan lächelte sie an. »So, meinst du etwa, ich bin gutgläubig?«

Die Zehnjährige nickte heftig. »Du glaubst mir ja sogar, dass du ein Stück Erbse am Mund hast – obwohl es bei uns heute gar keine Erbsen gab!«

Ronan fuhr sich überrascht durch die schwarzen Locken, die er etwas kürzer als sein Bruder trug. »Da ist was dran, Louise.«

»Ich wette, Onkel Ronan hat vorhin keine Erbse am Mund gehabt. Und Louise wettet dagegen.« Wieder war es die ruhige Helena, die das einwarf.

Alle starrten sie an und waren einen Moment lang sprachlos.

»Ich habe recht und gewinne gegen Louise. Das war eine Wechselwette. Dabei ist es völlig egal, was uns Mum heute serviert hat.«

Mit einem zufriedenen Lächeln angelte sie sich das letzte Stück von dem selbst gebackenen dunkelbraunen Krümelbrot ihrer Mutter, das ein wenig wie Kuchen schmeckte, und biss hinein.

6

Peter saß seiner Mutter auf der Terrasse ihres exklusiven Bed and Breakfast gegenüber und beobachtete sie verstohlen. Der Tag war zwar bedeckt gewesen, doch jetzt am Abend hatte die Sonne die letzten Wolken über der Bucht in Richtung Atlantik weggeschoben und strahlte unablässig auf die Aran-Inseln, die immer mehr Licht als das nahe Festland abbekamen. Die altmodischen, prall gefüllten Rosen hinter ihnen an der Steinmauer schienen durch ihre Last gebeugt und verströmten einen süßen Duft, der in die Nase und zu Kopf stieg. Pattie Burke hob ihr Weinglas und trank ihrem Sohn zu. Sie lächelte zufrieden.

»Ich danke dir, Peter. Du warst mir eine große Hilfe mit dem Zaun.« Sie nahm einen kleinen Schluck des kühlen Rosé und schaute ihren Sohn zärtlich und stolz an.

Peter fühlte sich zunehmend unwohl und wusste nicht, wie er das unangenehme Gespräch, das er nun führen musste, am besten beginnen sollte.

»Mach ich gern, Mum. Das weißt du doch. Du kannst mich ruhig öfter fragen.«

Sie beugte sich zu ihm und hielt ihm eine Schale mit kleinen Nüssen und selbst gemachtem filigranem Salzgebäck hin. Pattie trug ein mohnrotes Seidenkleid, das knapp ihre Knie bedeckte, und hatte ihren kinnlangen schwarzen Bob im Nacken locker zusammengesteckt. Eine elegante Frau. Er nahm ein paar Nüsse und steckte sie sich in den Mund.

»Wie geht es eigentlich der kleinen Zoe?« Das Kind war im Frühjahr Zeuge eines Mordes auf der Insel geworden und dabei selbst in größte Gefahr geraten. Doch glücklicherweise hatte man sie noch lebend gefunden.

Pattie lächelte. »Sehr viel besser, Gott sei Dank. Sie muss sich noch eine Weile ausruhen, wird aber im neuen Schuljahr wieder zur Schule gehen können, hat mir ihre Mutter neulich anvertraut. Wir sind natürlich alle sehr erleichtert.« Sie schaute ihn prüfend an. »Du wirkst ein wenig nachdenklich. Hast du Sorgen? Läuft deine Firma nicht so gut? Ich bin deine Mutter, du kannst es mir wirklich sagen, Peter.«

Das war das Stichwort, das ihm helfen würde.

Statt einer Antwort schob er die Hand in die rechte Innentasche seiner Leinenjacke und zog einen Umschlag hervor. Er reichte ihn ihr. Pattie sah stirnrunzelnd auf das unadressierte braune Kuvert, während sie es entgegennahm.

»Was ist das?«

»Zweihundert Euro.«

Sie hob die Augenbrauen. »Und was soll ich damit?«

Nun hatte Peter den Zettel, den Mary ihm mitgegeben hatte, aus der anderen Jackentasche gezogen und las vor.

»Henry bittet dich, das Geld sofort auf das Pferd Pink Hat zu setzen, und zwar auf ›Nicht Sieg‹ beim dritten Rennen in Tipperary.«

Jetzt war es raus.

Pattie lächelte noch immer dieses unverbindliche, fast sibyllinische Pattie-Lächeln, das sie sonst speziell für Gäste aufsetzte.

»Ich weiß leider nicht, wovon du sprichst, Peter.« Sie ließ den Umschlag achtlos auf das Tablett gleiten, das neben ihr stand. Ihr Atem ging etwas schneller als normal, was ein Außenstehender nie registriert hätte. Ihr Sohn war aber kein Außenstehender.

»Mum …« Es war dieser bittende Blick, den er schon als Kind aufgesetzt hatte, wenn er etwas ausgefressen hatte.

»Mum, du betreibst ein Wettbüro auf Inis Meáin. Jeder hier weiß es, nur ich nicht. Ich finde das unwürdig.«

Pattie Burke schwieg eine Weile und schien mit sich zu kämpfen. Schließlich legte sie ihre Hand auf seinen Arm, beugte sich zu ihm und sah ihn durchdringend an.

»Na und? Es ist nichts Illegales.« Sie hatte sich offenbar entschlossen, die Flucht nach vorne anzutreten. »Das Gewerbe ist offiziell angemeldet und ich bezahle Steuern. Du brauchst dich nicht so aufzuregen.«

Peter seufzte. Sie nahm ihre Hand weg und lehnte sich im Korbsessel zurück. Sie kontrollierte ihre Nervosität ziemlich gut.

»Ich rege mich nicht auf, ich hätte es nur gern gewusst, um vor deinen Nachbarn hier nicht dumm dazustehen. Wie bist du nur darauf gekommen?«

Pattie lächelte. »Ich brauchte Geld, Peter, als ich mir das hier kaufte und so umgestalten wollte, wie ich es mir erträumte. Ich mag keine halben Sachen. Die mochte ich noch nie, das weißt du.«