Irrsinn - Dean Koontz - E-Book

Irrsinn E-Book

Dean Koontz

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Beschreibung

Der Meister unserer dunkelsten Träume!

Als Billy Wiles in einer obskuren Nachricht vor die Wahl gestellt wird, welcher von zwei Menschen ermordet werden soll, hält er das für einen makabren Scherz. In Wirklichkeit ist es der Auftakt zu dem irrsinnigen Feldzug eines psychopathischen Mörders.

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Seitenzahl: 483

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DAS BUCH

Barkeeper Billy Wiles führt ein zurückgezogenes Leben. Er verbringt seine freie Zeit mit Holzschnitzereien und damit, sich um seine Freundin zu kümmern, die seit Jahren in Koma liegt. Eines Tages findet Billy eine perfide Nachricht an seiner Windschutzscheibe. Darin wird er aufgefordert, zu entscheiden, welche von zwei Frauen umgebracht werden soll. Wenn er zur Polizei geht – so heißt es da –, wird eine junge hübsche Lehrerin sterben müssen, wenn nicht, eine ältere Frau, die viel für andere Menschen tut. Was Billy zunächst für einen grausamen Scherz hält, entpuppt sich am nächsten Morgen als schockierende Wirklichkeit. Und er erhält weitere Nachrichten, die ihn auffordern, über Leben und Tod weiterer Opfer zu entscheiden. Als sein alter Freund, der Polizist Lanny, ermordet wird, erkennt Billy, dass der Mörder sein ganz persönliches tödliches Spiel inszeniert hat, das Billy und alle, die ihm nahestehen, vernichten soll.

»Visuell, temporeich, mit wunderbaren Charakteren und jeder Menge nervenzerrüttender Spannung – mit diesem Roman zeigt sich Koontz auf der Höhe seiner Meisterschaft.«

Publishers Weekly

DER AUTOR

Dean Koontz wurde 1945 in Pennsylvania geboren und lebt heute mit seiner Frau in Kalifornien. Seine zahlreichen Romane – Thriller und Horrorromane – wurden sämtlich zu internationalen Bestsellern und in über dreißig Sprachen übersetzt. Weltweit hat er bislang über 300 Millionen Exemplare seiner Bücher verkauft. Zuletzt bei Heyne erschienen: Todesregen.

LIEFERBARE TITEL

Das Haus der Angst – Todesregen – Trauma – Frankenstein/Die Kreatur – Der Wächter – Zwielicht – Frankenstein/Das Gesicht – Die Anbetung – Todesdämmerung – Kalt

Inhaltsverzeichnis

DAS BUCHDER AUTORLIEFERBARE TITELERSTER TEIL - Du hast die Wahl
Kapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16
ZWEITER TEIL - Bist du bereit für deine zweite Wunde?
Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37Kapitel 38Kapitel 39Kapitel 40Kapitel 41Kapitel 42Kapitel 43Kapitel 44Kapitel 45Kapitel 46Kapitel 47Kapitel 48Kapitel 49Kapitel 50Kapitel 51
DRITTER TEIL - Wie du lebst, ist alles, was du hast
Kapitel 52Kapitel 53Kapitel 54Kapitel 55Kapitel 56Kapitel 57Kapitel 58Kapitel 59Kapitel 60Kapitel 61Kapitel 62Kapitel 63Kapitel 64Kapitel 65Kapitel 66Kapitel 67Kapitel 68Kapitel 69Kapitel 70Kapitel 71Kapitel 72Kapitel 73Kapitel 74Kapitel 75Kapitel 76Kapitel 77
ANMERKUNGEN DES AUTORSCopyright

Dieses Buch ist Donna und Steve Dunio,Vito und Lynn Cerra sowie Ross und RosemaryCerra gewidmet.

Ich werde nie herausbekommen, wieso Gerdaja zu mir gesagt hat.Aber nun hat deine Familie einen spleenigen Zweig.

Ein Mensch kann vernichtet, aber nicht besiegt werden.

ERNEST HEMINGWAY, Der alte Mann und das Meer

Und nun lebt ihr verstreut an Straßenbändern,

Und kein Mensch kennt den Nächsten oder kümmert sich um ihn,

Falls dieser Nächste ihm nicht zu sehr auf die Nerven geht,

Doch alle jagen hin und her in ihren Wagen,

Vertraut nur mit den Straßen, nirgends sesshaft.

T.S. ELIOT, Chöre aus: »The Rock«

ERSTER TEIL

Du hast die Wahl

1

Mit einem frisch gezapften Bier und einem breiten Lächeln brachte Ned Pearsall einen Trinkspruch auf seinen verstorbenen Nachbarn Henry Friddle aus, über dessen Tod er eine ungeheure Genugtuung empfand.

Henry war durch einen Gartenzwerg ums Leben gekommen, als er vom Dach seines zweistöckigen Hauses auf die fröhlich dreinblickende Figur gefallen war. Der Zwerg war aus Beton, Henry hingegen nicht.

Ein gebrochener Hals, ein geborstener Schädel – Henry war auf der Stelle tot gewesen.

Dieser Tod durch Zwerg war nun schon vier Jahre her. Trotzdem trank Ned Pearsall noch immer mindestens einmal in der Woche auf Henrys Ableben.

Der einzige weitere Gast – ein Auswärtiger, der am anderen Ende der polierten Mahagonitheke auf seinem Hocker saß – äußerte sein Erstaunen über Neds anhaltende Erbitterung.

»Wie kann der arme Kerl als Nachbar bloß so schlimm gewesen sein, dass Sie immer noch derart sauer auf ihn sind?«

Normalerweise hätte Ned die Frage womöglich einfach ignoriert. Fremde mochte er nämlich noch weniger als Salzbrezeln.

Die Kneipe stellte für ihre Gäste Schalen mit kostenlosen Salzbrezeln bereit, weil die billig waren. Ned war es lieber, seinen Durst mit gut gesalzenen Erdnüssen aufrechtzuerhalten.

Damit Ned Trinkgeld gab, überließ ihm Billy Wiles, der Barkeeper, gelegentlich kostenlos einen Beutel seines Lieblingsfutters.

Meist musste Ned für seine Erdnüsse jedoch bezahlen. Das ärgerte ihn, entweder weil er kein Verständnis für die ökonomischen Realitäten der Gastronomie besaß, oder weil er sich gerne ärgern ließ. Wahrscheinlich traf Letzteres zu.

Obwohl man beim Anblick seines Kopfs unwillkürlich an einen Squashball denken musste und bei seinen massigen Schultern an die eines Sumoringers, konnte Ned nur als athletischer Typ gelten, wenn man das Praktizieren von Kneipengewäsch und Groll als Sport bezeichnete. In diesen Disziplinen erreichte er olympische Qualitäten.

Was den verstorbenen Henry Friddle anging, konnte Ned gegenüber Auswärtigen genauso gesprächig werden wie gegenüber alteingesessenen Bewohnern von Vineyard Hills. Denn wenn außer einem Fremden kein weiterer Gast zugegen war, fand Ned die Unterhaltung mit einem von diesen »auswärtigen Teufeln« immer noch angenehmer als zu schweigen.

Billy war noch nie besonders gesprächig gewesen. Er war keiner jener Barkeeper, die ihren Platz hinter dem Tresen als Bühne betrachten. Lieber hörte er zu.

An den Auswärtigen gewandt, erklärte Ned: »Henry Friddle war ein Schwein.«

Sein Gesprächspartner hatte Haare, die so schwarz waren wie Kohlenstaub, doch mit Spuren von Asche an den Schläfen, und eine leise, aber volltönende Stimme. In seinen grauen Augen funkelte ein trockener Humor. »Das ist ein schwerwiegender Ausdruck – Schwein.«

»Wissen Sie, was dieser Perversling auf seinem Dach getrieben hat? Er hat versucht, an mein Esszimmerfenster zu pinkeln!«

Billy Wiles, der gerade den Tresen abwischte, warf nicht einmal einen Blick auf den Fremden. Er hatte die Geschichte schon so oft gehört, dass er alle Reaktionen darauf kannte.

»Friddle, dieses Schwein, hat gemeint, durch die Höhe würde sein Strahl ein Stück weiter reichen«, erklärte Ned.

»War er etwa Fachmann für so was – zum Beispiel Luftfahrtingenieur? «, fragte der Fremde.

»Er war Professor am College. Da hat er zeitgenössische Literatur gelehrt.«

»Vielleicht hat ihn das Lesen dieses Zeugs in den Selbstmord getrieben«, sagte der Fremde, was ihn für Billy interessanter machte, als dieser zuerst gedacht hatte.

»Nein, nein«, sagte Ned ungehalten. »Der Sturz war ein Unfall.«

»War er betrunken?«

»Wieso meinen Sie, dass er betrunken war?«, fragte Ned verwundert.

Der Fremde zuckte die Achseln. »Schließlich ist er aufs Dach geklettert, um auf Ihr Fenster zu pinkeln.«

»Er war ein kranker Mann«, sagte Ned und tippte mit dem Fingernagel an sein leeres Glas, um seinen Wunsch nach Nachschub kundzutun.

Während Billy ein Budweiser zapfte, sagte er: »Henry Friddle wurde von Rachsucht verzehrt.«

Nach einem schweigenden Zug aus seinem Bierglas fragte der Fremde, an Ned Pearsall gewandt: »Von Rachsucht? Also haben zuerst Sie an Friddles Fenster gepinkelt?«

»Das war ganz was anderes!«, protestierte Ned in einem rauen Ton, der dem Fremden den Rat gab, nicht vorschnell Stellung zu beziehen.

»Ned hat es nicht von seinem Dach aus gemacht«, sagte Billy.

»Genau. Ich bin zu seinem Haus gegangen wie ein Mann, hab mich auf seinen Rasen gestellt und auf sein Esszimmerfenster gezielt.«

»Da saßen Henry und seine Frau gerade beim Abendessen«, sagte Billy.

Bevor der Fremde seinen Ekel über den Zeitpunkt des Angriffs ausdrücken konnte, sagte Ned: »Die beiden haben Wachteln gegessen, können Sie sich das vorstellen?«

»Sie haben deren Fenster angepinkelt, weil sie Wachteln gegessen haben?«

Ned geriet vor Wut regelrecht ins Stottern. »Nein, natürlich nicht! Mach ich vielleicht den Eindruck, ich bin wahnsinnig? « Er sah Billy augenrollend an.

Billy hob die Augenbrauen, als wollte er sagen: Was kann man von einem Auswärtigen schon erwarten?

»Ich versuche bloß, Ihnen klarzumachen, wie hochnäsig die Leute waren«, sagte Ned. »Immer haben sie Wachteln oder Schnecken gegessen – oder Mangold.«

»Was für miese Typen«, sagte der Fremde mit einem so feinen Anflug von Spott, dass Ned Pearsall ihn nicht wahrnahm, Billy hingegen schon.

»Eben«, pflichtete ihm Ned bei. »Henry Friddle fuhr einen Jaguar, und seine Frau fuhr einen Wagen – Sie werden’s nicht glauben –, einen Wagen, der in Schweden hergestellt wird.«

»Ein Auto aus Detroit war wohl zu gewöhnlich für die«, sagte der Fremde.

»Genau. Was muss man für ein Snob sein, wenn man ein Auto die ganze Strecke von Schweden hierher transportieren lässt!«

»Ich möchte wetten, die waren auch Weinkenner.«

»Erraten! Sagen Sie mal, haben Sie die etwa gekannt?«

»Ich kenne bloß den Typ. Sie hatten eine Menge Bücher, stimmt’s?«

»Und ob. Immer haben sie auf der vorderen Veranda gesessen, haben an ihrem Wein geschnüffelt und Bücher gelesen. «

»In aller Öffentlichkeit. Kaum vorzustellen. Aber wenn Sie denen nicht ans Esszimmerfenster gepinkelt haben, weil es Snobs waren, weshalb haben Sie’s dann getan?«

»Es gab ’ne Menge Gründe«, sagte Ned. »Der Vorfall mit dem Stinktier. Der Vorfall mit dem Rasendünger. Die abgestorbenen Petunien.«

»Und der Gartenzwerg«, fügte Billy hinzu, während er Gläser ausspülte.

»Der Gartenzwerg hat das Fass zum Überlaufen gebracht«, stimmte Ned ihm zu.

»Ich kann zwar verstehen, wenn man von rosa Plastikflamingos im Garten zu einer Pinkelattacke getrieben wird«, sagte der Fremde, »aber von einem Gartenzwerg?«

Neds Miene verfinsterte sich, als er an den Affront dachte. »Ariadne hat ihm meine Gesichtszüge gegeben.«

»Ariadne?«

»Die Frau von Henry Friddle. Haben Sie schon mal ’nen hochnäsigeren Namen gehört?«

»Na ja, in Kombination mit Friddle wird er wieder bodenständig. «

»Sie war am selben College Professorin für Kunst. Sie hat den Zwerg modelliert, die Gussform hergestellt, Zement hineingegossen und das Ding dann eigenhändig bemalt.«

»Als Vorbild für eine Skulptur zu dienen, kann doch eine Ehre sein.«

»Er war ein Zwerg, Kumpel!« Durch den Bierschaum auf der Oberlippe sah Ned regelrecht tollwütig aus. »Ein besoffener Zwerg. Die Nase war rot wie ein Apfel. In jeder Hand hatte er eine Bierflasche.«

»Und sein Hosenladen stand offen«, ergänzte Billy.

»Vielen Dank, dass du mich da auch noch dran erinnerst«, knurrte Ned. »Schlimmer noch – aus seiner Hose hingen Kopf und Hals einer toten Gans.«

»Wie kreativ«, sagte der Fremde.

»Zuerst hab ich gar nicht gewusst, was zum Teufel das bedeuten sollte …«

»Symbolismus. Ein Stilmittel.«

»Ja, ja. Bin dann schon draufgekommen. Alle, die an ihrem Haus vorbeigekommen sind, haben es gesehen und sich auf meine Kosten amüsiert.«

»Dazu hätte man den Zwerg gar nicht mal sehen müssen«, sagte der Fremde.

»Genau!«, sagte Ned, der die Bemerkung missverstand. »Die Leute haben schon gelacht, wenn sie davon gehört haben. Deshalb hab ich den Zwerg mit einem Vorschlaghammer zertrümmert.«

»Woraufhin man Sie verklagt hat.«

»Schlimmer. Die haben einen anderen Zwerg aufgestellt. Weil Ariadne sich schon gedacht hatte, dass ich den ersten demoliere, hatte sie gleich noch einen gegossen und bemalt. «

»Ich dachte, hier im Weinland geht es nett und freundlich zu.«

»Und dann sagen die mir«, fuhr Ned fort, »wenn ich den zweiten auch noch demoliere, stellen sie sich nicht nur einen dritten auf den Rasen, sondern produzieren eine ganze Serie und verkaufen die an alle, die einen Ned-Pearsall-Zwerg wollen.«

»Das klingt aber nach einer leeren Drohung«, sagte der Fremde. »Gibt’s denn wirklich Leute, die so was haben wollen? «

»Massenhaft«, versicherte ihm Billy.

»Mit diesem Ort geht es den Bach runter, seit dieses hochgestochene Volk aus San Francisco hierher zieht«, sagte Ned verdrossen.

»Da Sie es sich also nicht erlauben konnten, auch den zweiten Zwerg mit dem Vorschlaghammer zu zertrümmern, hatten Sie keine andere Wahl, als denen ans Fenster zu pinkeln. «

»Genau. Allerdings hab ich nicht vorschnell gehandelt. Ich hab eine Woche lang über die Lage nachgedacht und dann erst zugeschlagen.«

»Woraufhin Henry Friddle mit voller Blase auf sein Dach geklettert ist, um sich zu rächen.«

»Richtig. Aber er hat gewartet, bis ich ein Geburtstagsessen für meine Mom veranstaltet hab.«

»Unverzeihlich«, kommentierte Billy.

»Greift etwa die Mafia unschuldige Familienmitglieder an?«, fragte Ned empört.

Obgleich die Frage rhetorischer Natur gewesen war, antwortete Billy im Hinblick auf sein Trinkgeld: »Nein. Die Mafia hat Anstand.«

»Und das ist ein Wort, das diese Akademikertypen nicht mal buchstabieren können«, sagte Ned. »Meine Mom war sechsundsiebzig. Sie hätte einen Herzinfarkt erleiden können.«

»Also«, sagte der Fremde, »während Friddle versucht hat, gegen Ihr Esszimmerfenster zu pinkeln, ist er vom Dach gefallen und hat sich beim Aufprall auf den Ned-Pearsall-Zwerg das Genick gebrochen. Nette Ironie.«

»Ironie?«, sagte Ned. »Keine Ahnung. Jedenfalls war’s ungemein befriedigend.«

»Erzähl ihm doch, was deine Mom gesagt hat«, drängte ihn Billy.

Nach einem Schluck Bier sagte Ned: »Meine Mom hat zu mir gesagt: ›Junge, lass uns den Herrn preisen! Das beweist, dass es einen Gott im Himmel gibt.‹«

Der Fremde brauchte einen Augenblick, um diese Worte zu verdauen. »Sieht ganz so aus, als wäre sie sehr religiös«, meinte er dann.

»War sie nicht immer. Aber mit zweiundsiebzig hat sie ’ne Lungenentzündung bekommen.«

»Es ist sehr praktisch, in einer solchen Lage Zuflucht zu Gott nehmen zu können.«

»Sie hat sich gedacht, wenn es Gott gibt, dann rettet er sie vielleicht. Und wenn’s ihn nicht gibt, dann hat es sie nichts gekostet als das bisschen Zeit, das sie fürs Beten verschwendet hat.«

»Zeit«, meinte der Fremde weise, »ist unser wertvollster Besitz.«

»Stimmt schon«, sagte Ned. »Aber meine Mom hätte sowieso nicht viel davon vergeudet, weil sie meistens beim Fernsehen gebetet hat.«

»Was für eine beeindruckende Geschichte«, sagte der Fremde und bestellte sich noch ein Bier.

Billy öffnete eine Flasche Heineken, stellte ein frisch gekühltes Glas auf den Tresen und flüsterte: »Geht aufs Haus.«

»Das ist aber nett von Ihnen. Danke. Ich hab schon gedacht, für einen Barkeeper sind Sie ein ganz schön ruhiger und zurückhaltender Typ. Na ja, eventuell verstehe ich jetzt, warum.«

An seinem einsamen Außenposten am anderen Ende der Theke hob Ned Pearsall sein Glas zum Toast. »Auf Ariadne! Möge sie in Frieden ruhen.«

Womöglich gegen seinen Willen zeigte der Fremde wieder Interesse. »Doch nicht etwa noch eine Gartenzwergtragödie? «, fragte er.

»Krebs«, sagte Ned. »Zwei Jahre, nachdem Henry vom Dach gefallen war. Ist jammerschade.«

Der Fremde goss das frische Bier in sein seitlich geneigtes Glas. »Ja, der Tod relativiert so manchen kleinlichen Streit«, sagte er.

»Ich vermisse sie«, sagte Ned. »Sie hatte ’nen echt heißen Vorbau, und sie hat nicht immer ’nen BH getragen.«

Der Fremde zuckte zusammen.

»Wenn sie im Garten gearbeitet oder den Hund ausgeführt hat«, erinnerte sich Ned fast träumerisch, »dann waren die Möpse so hübsch am Baumeln und Hüpfen, dass einem ganz schwummerig geworden ist.«

Nun warf der Fremde einen Blick in den Spiegel hinter dem Tresen, vielleicht um festzustellen, ob er genauso entsetzt aussah, wie er sich fühlte.

»Billy«, sagte Ned, »hatte sie nicht die tollsten Dinger, die man sich vorstellen kann?«

»Und ob!«, pflichtete Billy ihm bei.

Ned rutschte von seinem Hocker und watschelte in Richtung Toilette. Als er an dem Fremden vorbeikam, blieb er stehen. »Selbst als der Krebs sie aufgefressen hat, ist ihr Vorbau kein bisschen geschrumpft. Je dürrer sie wurde, desto größer haben ihre Dinger ausgesehen. Sie war echt heiß, fast bis zum Ende. Was ’ne Schande, oder, Billy?«

»Was ’ne Schande«, echote der Barkeeper, während Ned seinen Weg fortsetzte.

Nach einer Weile gemeinsamen Schweigens sagte der Fremde: »Sie sind ein interessanter Bursche, Billy.«

»Ich? Also, ich hab noch nie jemandem ans Fenster gepinkelt. «

»Ich hab den Eindruck, Sie sind wie ein Schwamm. Sie nehmen alles in sich auf.«

Billy griff nach einem Geschirrtuch, um einige Pilsgläser zu polieren, die gewaschen und getrocknet im Ablauf standen.

»Aber außerdem sind Sie ein Stein«, fuhr der Fremde fort, »denn wenn man Sie ausquetscht, lassen Sie nichts heraus.«

Billy polierte weiter seine Gläser.

Die grauen, amüsiert glänzenden Augen wurden noch heller. »Sie sind ein Philosoph, und das ist heutzutage ungewöhnlich, weil die meisten Leute nicht mehr wissen, wer sie sind, was sie glauben oder warum sie das tun.«

Auch dies war eine Sorte Kneipengewäsch, mit der Billy vertraut war, obgleich er sie nicht oft hörte. Verglichen mit Ned Pearsalls Lästereien mochten solche beschwipsten Beobachtungen intelligent erscheinen, aber im Grund handelte es sich doch nur um biergetränkte Psychoanalyse.

Er war enttäuscht. Einen Moment lang hatte er den Eindruck gehabt, der Fremde unterscheide sich von den zweibackigen Heizkörpern, die sonst den Kunststoffbezug der Hocker wärmten.

Billy schüttelte den Kopf. »Ein Philosoph«, sagte er lächelnd. »Das ist wirklich zu viel der Ehre.«

Der Fremde schlürfte sein Bier.

Obgleich Billy eigentlich nicht vorgehabt hatte, dem etwas hinzuzufügen, hörte er sich sagen: »Nicht auffallen, ruhig bleiben, nichts verkomplizieren, nicht viel erwarten und genießen, was man hat.«

Der Fremde lächelte. »Selbstgenügsam sein, sich raushalten und die Welt zum Teufel gehen lassen, wenn sie das will.«

»Schon möglich«, gab Billy zu.

»Zugegeben, mit Platon kann das nicht konkurrieren«, sagte der Fremde, »aber eine bestimmte Philosophie ist es doch.«

»Haben Sie auch eine?«, erkundigte sich Billy.

»Momentan bin ich der Meinung, dass mein Leben besser und sinnvoller sein wird, wenn ich jeder weiteren Unterhaltung mit Ned aus dem Weg gehen kann.«

»Das ist keine Philosophie«, beschied ihm Billy, »sondern eine Tatsache.«

Um zehn nach vier kam Ivy Elgin zur Arbeit. Sie war nicht nur eine ausgezeichnete Kellnerin, sondern auch ein Objekt der Begierde, das seinesgleichen suchte.

Billy mochte sie, begehrte sie jedoch nicht. Was das anging, war er unter den Männern, die in der Kneipe tranken oder arbeiteten, eine Besonderheit.

Ivy hatte mahagonibraunes Haar, klare, brandyfarbene Augen und einen Körper, nach dem Hugh Hefner sein ganzes Leben lang gesucht hatte.

Trotz ihrer vierundzwanzig Jahre schien ihr tatsächlich nicht klar zu sein, dass sie eine zu Fleisch und Blut gewordene männliche Fantasie darstellte. Sie verhielt sich nie verführerisch. Gelegentlich war sie kokett, jedoch nur auf angenehme Weise. Ihre Schönheit und ihr schulmädchenhafter Charme bildeten eine regelrecht exotische Kombination.

»Tag, Billy«, sagte Ivy, während sie auf den Tresen zuging. »Ich hab an der Old Mill Road eine tote Beutelratte liegen sehen, etwa einen halben Kilometer von der Kornell Lane entfernt.«

»Natürlicher Tod oder überfahren?«

»Eindeutig Letzteres.«

»Und was bedeutet das deiner Meinung nach?«

»Noch nichts Besonderes«, sagte sie und gab ihm ihre Handtasche, damit er sie unter dem Tresen verstauen konnte. »Das ist das erste tote Viech, das ich seit einer Woche gesehen hab, also hängt es davon ab, was für andere Leichen noch auftauchen, falls überhaupt.«

Die liebe Ivy hielt sich für eine Haruspizin. Haruspizes und Haruspizinnen hatten im alten Rom eine Gilde von Priestern gebildet, die aus den Eingeweiden von Opfertieren die Zukunft vorhersagten. Von ihren Landsleuten waren sie geachtet, ja verehrt worden, aber zu Partys hatte man sie wahrscheinlich nicht besonders häufig eingeladen.

Ivy hatte durchaus keine morbide Fantasie. Ihr Interesse am Orakel stand nicht im Mittelpunkt ihres Lebens, und mit Gästen sprach sie nur selten darüber. Abgesehen davon brachte sie es nicht fertig, in Innereien zu wühlen. Für eine Haruspizin war sie ziemlich zimperlich.

Ihre Interpretation leitete sie daher von der Spezies des Kadavers ab, von den Umständen seiner Entdeckung, von seiner Lage in Beziehung zur Windrichtung und von weiteren geheimnisvollen Aspekten seines Zustands.

Ihre Vorhersagen bewahrheiteten sich nur selten, falls überhaupt, doch Ivy gab nicht auf.

»Egal, welche Bedeutung sich ergeben wird«, sagte sie zu Billy, während sie Bestellblock und Bleistift an sich nahm, »es ist ein schlechtes Zeichen. Eine tote Beutelratte verweist nie auf glückliche Umstände.«

»Das ist mir auch schon aufgefallen.«

»Besonders nicht, wenn ihre Nase nach Norden weist und ihr Schwanz nach Osten.«

Es dauerte nicht lange, da strömten durstige Männer durch die Tür, als wäre Ivy die Fata Morgana einer Oase gewesen, die sie den ganzen Tag verfolgt hatten. Nur wenige setzten sich an den Tresen, die anderen ließen sich von ihr an den Tischen bedienen.

Obgleich die gutbürgerliche Kundschaft der Kneipe durchaus nicht verschwenderisch veranlagt war, überstieg Ivys Einkommen an Trinkgeld das, was sie mit einem Doktortitel in Wirtschaftswissenschaft verdient hätte.

Eine Stunde später, um fünf, kam Shirley Trueblood, die zweite Kellnerin, zum Dienst. Shirley war sechsundfünfzig und korpulent, sie duftete nach Jasmin und hatte ihre eigene Gefolgschaft. Gewisse Männer kamen in die Kneipe, weil sie bemuttert werden wollten. Manche Frauen ebenfalls.

Ben Vernon, der tagsüber arbeitende Koch, ging nach Hause, und sein Kollege Ramon Padillo kam an Bord. Es gab lediglich typisches Kneipenfutter: Cheeseburger, Pommes, Chicken Wings, Quesadillas, Nachos und so weiter.

Ramon war aufgefallen, dass sich die scharf gewürzten Sachen an Abenden, an denen Ivy Elgin bediente, besser verkauften als sonst. Die Gäste bestellten mehr Sachen in pfeffriger Tomatensauce, verbrauchten massenhaft kleine Fläschchen Tabasco und ließen sich ihre Burger mit gehackten Chilischoten belegen.

»Ich glaube«, hatte Ramon einmal zu Billy gesagt, »die heizen unbewusst ihren Geschlechtsdrüsen ein, damit sie bereit sind, falls Ivy sie anmachen sollte.«

»Niemand in diesem Laden hat bei ihr eine Chance«, hatte Billy ihm versichert.

»Das weiß man nie«, hatte Ramon verschämt bemerkt.

»Sag mir bloß nicht, du lässt dir auch Chili in den Burger packen!«

»So viel, dass ich manchmal furchtbares Sodbrennen kriege«, hatte Ramon gesagt. »Aber ich bin bereit.«

Gemeinsam mit Ramon kam Steve Zillis, der zweite Barkeeper, dessen Schicht sich um eine Stunde mit der von Billy überschnitt. Mit seinen vierundzwanzig Jahren war er zehn Jahre jünger als Billy, aber zwanzig Jahre unreifer.

Für Steve bestand der Gipfel des gepflegten Humors aus einem Limerick, der obszön genug war, um erwachsene Männer erröten zu lassen.

Er konnte mit der Zunge einen Knoten in einen Kirschstängel machen, sein rechtes Nasenloch mit Erdnüssen laden, um diese treffsicher in ein Zielglas abzufeuern, sowie Zigarettenrauch aus dem rechten Ohr blasen.

Wie üblich schwang sich Steve elegant über die Schwingtür im Tresen, statt hindurchzugehen. »Sei mir gegrüßt, Blutsbruder!«, sagte er. »Na, was geht ab?«

»Noch eine Stunde«, sagte Billy, »dann gehört mein Leben wieder mir.«

»Das ist das Leben«, protestierte Steve. »Hier sind wir im Mittelpunkt der Action!«

Das Tragische an Steve Zillis war, dass er meinte, was er sagte. Für ihn war diese stinknormale Kneipe eine Bühne voller Glamour.

Nachdem er sich eine Schürze umgebunden hatte, schnappte er sich aus einer Schale drei Oliven, jonglierte sie in erstaunlichem Tempo und fing sie dann nacheinander mit dem Mund auf.

Als zwei am Tresen hockende Besoffene laut klatschten, sonnte Steve sich in ihrem Applaus, als wäre er der Startenor eines renommierten Opernhauses und hätte soeben die Verehrung eines hochgebildeten Publikums erworben.

Obwohl es ziemlich nervig war, mit Steve Zillis zusammenzuarbeiten, verging die letzte Stunde von Billys Schicht wie im Flug. Beide Barkeeper waren ständig beschäftigt, weil die Nachmittagspichler sich mit dem Heimweg Zeit ließen, während schon die Abendsäufer eintrafen.

In dieser Übergangszeit fühlte Billy sich an seinem Arbeitsplatz am wohlsten. Die Gäste waren noch bei klarem Verstand und vergnügter als später, wenn der Alkohol sie melancholisch machte.

Weil die Fenster nach Osten gingen und die Sonne nun im Westen stand, lag ein ganz weiches Licht auf den Fensterscheiben. Die Deckenlampen warfen einen kupferfarbenen Glanz auf das dunkelrote Mahagoni der Täfelung und der Sitznischen.

Die Luft war schwanger vom Duft des mit schalem Bier, Kerzenwachs, Cheeseburgern und gebratenen Zwiebelringen imprägnierten Parketts. Trotzdem gefiel es Billy nicht gut genug, als dass er nach dem Ende seiner Schicht geblieben wäre. Pünktlich um sieben trat er aus der Tür. Wäre er Steve Zillis gewesen, dann hätte er aus seinem Abgang eine Show gemacht. So aber verschwand er so still und leise wie ein Gespenst, das an seinem Schlupfwinkel entmaterialisiert.

Draußen waren kaum noch zwei Stunden sommerliches Tageslicht übrig. Der Himmel war im Osten ekstatisch blau, im Westen, wo die Sonne ihn noch bleichte, deutlich blässer.

Als Billy auf seinen SUV zuging, fiel ihm auf, dass unter dem Scheibenwischer der Fahrerseite ein weißer Zettel steckte.

Er setzte sich hinters Lenkrad, ohne die Tür zu schließen, und faltete den Zettel auf. Statt Werbung für eine Autowaschanlage oder eine Reinigungsfirma entdeckte er eine sauber per Computer getippte Botschaft:

Wenn du diese Nachricht nicht zur Polizei bringst, um sie einzuschalten, werde ich irgendwo in Napa County eine hübsche blonde Lehrerin umbringen.

Wenn du diese Nachricht zur Polizei bringst, werde ich stattdessen eine ältere Frau umbringen, die sich sozial engagiert.

Dir bleiben sechs Stunden, um dich zu entscheiden. Du hast die Wahl.

Billy spürte in diesem Augenblick nicht, wie der Boden unter ihm zur Seite kippte, doch das war der Fall. Der Absturz hatte zwar noch nicht begonnen, aber das würde er tun. Bald.

2

Micky Maus erwischte eine Kugel in der Kehle.

In rascher Folge krachte die 9-mm-Pistole weiter dreimal. Diese Schüsse zerfetzten das Gesicht von Donald Duck.

Lanny Olsen, der Schütze, wohnte am Ende einer rissigen Asphaltstraße an einem steinigen Hang, wo niemals Trauben gewachsen wären. Er hatte keinen Blick auf die berühmten Weinberge im Napa Valley.

Zum Ausgleich für die wenig mondäne Adresse wurde das Grundstück von wunderschönen Pflaumenbäumen und riesigen Ulmen beschattet. Wilde Azaleen lieferten Farbtupfer. Außerdem war es abgeschieden.

Der nächste Nachbar wohnte so weit entfernt, dass Lanny täglich rund um die Uhr hätte Partys feiern können, ohne irgendjemanden zu stören. Das nützte ihm allerdings nichts, weil er normalerweise schon um halb zehn ins Bett ging. Zu seiner Vorstellung einer Party gehörten ein paar Sixpacks Bier, eine Tüte Chips und ein Pokerspiel.

Für Schießübungen war die Lage seines Hauses jedoch ideal. Er war der sicherste Schütze in der Truppe des Sheriffs von Napa County.

Als Junge hatte er Cartoonist werden wollen. Talent dafür hatte er durchaus. Die originalgetreuen Porträts von Micky Maus und Donald Duck, die an den als Kugelfang dienenden Heuballen befestigt waren, stammten von Lannys Hand.

Lanny nahm das verbrauchte Magazin aus seiner Pistole. »Du hättest mal gestern hier sein sollen«, sagte er. »Ich hab nacheinander zwölf Road Runnern ’nen Kopfschuss verpasst, ohne eine einzige Patrone zu vergeuden.«

»Wile E. Coyote wäre begeistert gewesen«, sagte Billy. »Schießt du eigentlich auch mal auf stinknormale Zielscheiben? «

»Das macht doch keinen Spaß.«

»Wie steht es mit den Simpsons?«

»Homer, Bart und so weiter, die kommen alle dran – bis auf Marge. Die nehme ich nie.«

Vielleicht hätte es Lenny bis auf die Kunstakademie geschafft, hätte sein dominanter Vater Ansel nicht darauf bestanden, dass sein Sohn der Familientradition folgte und zur Polizei ging, wie schon Ansel in die Fußstapfen seines Vaters getreten war.

Pearl, Lannys Mutter, hatte so gut für ihn gesorgt, wie ihre Krankheit es zuließ. Als Lanny sechzehn war, hatte man bei ihr ein malignes Lymphom diagnostiziert.

Die Bestrahlungen und die Chemotherapie laugten sie aus. Selbst in den Perioden, in denen der Krebs unter Kontrolle war, erholte sie sich nicht vollständig.

Aus Sorge, dass sein Vater nicht als Krankenpfleger taugte, verzichtete Lanny darauf, es auf der Kunstakademie zu versuchen. Er blieb zu Hause, meldete sich bei der Polizei und kümmerte sich um seine Mutter.

Unerwartet starb Ansel dann als Erster. Als er einen Autofahrer anhielt, um ihm einen Strafzettel wegen Geschwindigkeitsübertretung zu verpassen, griff dieser zu seiner Achtunddreißiger und hinderte ihn mit einem Schuss aus nächster Nähe daran.

Obwohl Pearl in ungewöhnlich jungem Alter an einem Lymphom erkrankt war, lebte sie erstaunlich lange damit. Inzwischen lag ihr Tod aber auch schon zehn Jahre zurück.

Damals war Lanny sechsunddreißig gewesen, also noch jung genug, um sich neu zu orientieren und doch noch auf die Akademie zu gehen. Seine Trägheit hatte sich jedoch als stärker erwiesen als der Wunsch nach einem neuen Leben.

Er hatte das Haus geerbt, einen hübschen viktorianischen Bau mit aufwändigen Holzdekorationen und einer Veranda ringsum, für dessen makellosen Zustand er sorgte. Da er seinen Beruf als Job und nicht als Leidenschaft sah, und da er keine eigene Familie hatte, blieb ihm viel Zeit für Renovierungsarbeiten.

Während Lanny ein neues Magazin in die Pistole schob, zog Billy den Zettel mit der Botschaft aus der Tasche. »Sag mal, was hältst du davon?«, fragte er.

Lanny las die beiden Absätze. Da deshalb Stille herrschte, kehrten die Krähen in die höheren Äste der Ulmen zurück.

Die Botschaft entlockte Lanny weder ein Stirnrunzeln noch ein Lächeln, obwohl Billy das eine oder das andere erwartet hatte. »Wo hast du das her?«, fragte Lanny lediglich.

»Das hat mir jemand unter den Scheibenwischer geklemmt. «

»Wo stand der Wagen?«

»Vor der Kneipe.«

»War ein Umschlag dabei?«

»Nein.«

»Ist dir aufgefallen, ob jemand dich beobachtet hat? Als du den Zettel an dich genommen und gelesen hast, meine ich.«

»Niemand.«

»Was hältst du davon?«

»Die Frage hab ich eigentlich dir gestellt«, rief Billy in Erinnerung.

»Ein Jux. Ein kranker Scherz.«

Billy starrte auf die ominösen Zeilen. »So hab ich zuerst auch reagiert, aber dann …«

Lanny trat zur Seite und postierte sich vor eine Reihe neuer Heuballen, auf denen Zeichnungen von Elmer Fudd und Bugs Bunny befestigt waren. »Aber dann hast du dich gefragt: Was wäre, wenn?«

»Hättest du das nicht getan?«

»Doch, klar. Das tut jeder Cop ständig, sonst beißt er früher ins Gras als nötig. Oder er drückt ab, wenn er es nicht tun sollte.«

Es war noch nicht lange her, da hatte Lanny einen renitenten Betrunkenen angeschossen, den er für bewaffnet gehalten hatte. Dabei hatte der Kerl bloß ein Handy geschwenkt.

»Aber solche Fragen kann man sich nicht ewig stellen«, fuhr er fort. »Man muss sich auf seinen Instinkt verlassen, und da sagt deiner dir doch dasselbe wie meiner. Es ist ein Jux. Außerdem hast du doch ’nen Verdacht, wer es getan hat, oder?«

»Steve Zillis«, sagte Billy.

»Eben.«

Lanny nahm eine Position ein, bei der das rechte Bein zur Balance ein Stück zurückgestellt und das linke Knie gebeugt war. Die Pistole hielt er mit beiden Händen. Er holte tief Luft, dann durchlöcherte er Elmer fünfmal, während aus den Bäumen ein Schrapnell aus Krähen explodierte und sich in den Himmel schwang.

Nachdem Billy vier tödliche Treffer und eine Verwundung gezählt hatte, sagte er: »Die Sache ist bloß so … ich hab nicht den Eindruck, dass Steve so was tun würde – oder tun könnte.«

»Wieso nicht?«

»Er ist ein Typ, der in der Tasche eine kleine Gummiblase mit sich herumträgt, um damit laut zu furzen, wenn er das gerade für lustig hält.«

»Was willst du damit sagen?«

Billy faltete den Zettel zusammen und steckte ihn in seine Brusttasche. »Für Steve kommt mir so etwas zu komplex vor, zu … subtil.«

»Der gute Steve ist tatsächlich so subtil wie ein Vorschlaghammer«, sagte Lanny, ging wieder in Stellung und verwendete die zweite Hälfte seines Magazins auf Bugs Bunny, dem er ebenfalls fünf tödliche Treffer zufügte.

»Was ist, wenn es ernst gemeint ist?«, fragte Billy.

»Ist es nicht.«

»Aber wenn doch?«

»Solche Spielchen spielen irre Mörder nur im Kino. Im wahren Leben bringen sie einfach jemanden um. Es geht ihnen um Macht und manchmal auch um gewaltsamen Sex, nicht darum, irgendjemanden mit Denksportaufgaben oder Rätseln zu veräppeln.«

Auf dem Rasen lagen ausgeworfene Patronenhülsen. Die untergehende Sonne polierte ihr Messing zu blutigem Gold.

Lanny merkte offenbar, dass er Billys Zweifel damit immer noch nicht gestillt hatte. »Selbst wenn es ernst gemeint wäre, was es nicht ist, was könntest du dann unternehmen?«

»Blonde Lehrerinnen, ältere Damen.«

»Irgendwo in Napa County.«

»Genau.«

»Unser County ist zwar nicht San Francisco«, sagte Lanny, »aber eine menschenleere Wüste ist es auch nicht. ’ne Menge Leute in ’ner Menge Orte. Selbst wenn man die Leute des Sheriffs und sämtliche anderen Polizeikräfte zusammenzählt, hätte man nicht genug Personal, um alle infrage kommenden Personen zu beschützen.«

»Man braucht sie ja nicht alle zu beschützen. Schließlich bezeichnet er sein Ziel genau: eine hübsche blonde Lehrerin.«

»Das ist eine Geschmacksfrage«, widersprach Lanny. »Gut möglich, dass du bestimmte blonde Lehrerinnen für hübsch hältst, während ich sie ganz grässlich finde.«

»Ich wusste gar nicht, dass du an Frauen so hohe Anforderungen stellst.«

Lanny grinste. »Bin eben anspruchsvoll.«

»Abgesehen davon gibt’s da auch noch die ältere Frau, die sich sozial engagiert.«

Lanny steckte das dritte Magazin in die Pistole. »Viele ältere Frauen engagieren sich sozial. Schließlich stammen sie aus einer Generation, in der man sich noch um seine Nachbarn gekümmert hat.«

»Also wirst du überhaupt nichts unternehmen?«

»Was soll ich deiner Meinung nach denn tun?«

Einen Vorschlag hatte Billy nicht parat, nur eine Bemerkung: »Jedenfalls hab ich den Eindruck, dass wir was unternehmen sollten.«

»Die Polizei ist von Natur aus darauf eingestellt, zu reagieren, statt die Initiative zu ergreifen.«

»Dann muss er zuerst jemanden umbringen?«

»Der wird überhaupt niemanden umbringen.«

»Aber er behauptet es«, wandte Billy ein.

»Es ist ein Jux. Offenbar hat Steve Zillis seine infantile Phase endlich hinter sich gelassen.«

Billy nickte. »Wahrscheinlich hast du recht.«

»Bestimmt hab ich recht.« Lanny deutete auf die noch unversehrten bunten Figuren, die an der dreifachen Mauer aus Heuballen befestigt waren. »Und jetzt will ich die versammelte Mannschaft von Shrek abschießen, bevor ich wegen der Dämmerung nicht mehr richtig zielen kann.«

»Ich dachte, das wären gute Filme.«

»Ich bin kein Kritiker«, sagte Lenny ungeduldig, »bloß jemand, der sich ein wenig amüsiert und seine beruflichen Fähigkeiten auf Vordermann bringt.«

»Okay, okay, ich geh ja schon. Also, dann bis Freitag beim Poker.«

»Bring was mit«, sagte Lanny.

»Was denn?«

»José bringt seinen Schmortopf mit Schweinefleisch und Reis mit, Leroy fünf Arten Salsa und eine Menge Maischips. Wie wär’s, wenn du deine berühmten Tamales mitbringst?«

Bei diesen Worten zog Billy eine Grimasse. »Das hört sich ja an wie ein paar alte Jungfern, die sich zum Stricken treffen. «

»Wir sind zwar traurige Tröpfe«, sagte Lanny, »aber tot sind wir immerhin noch nicht.«

»Woher wissen wir das eigentlich?«

»Wenn wir tot und in der Hölle wären, würde man mir nicht den Spaß erlauben, den ich beim Cartoonzeichnen hab. Und im Himmel sind wir definitiv nicht.«

Während Billy auf seinen in der Einfahrt stehenden Wagen zuging, ballerte Lanny Olsen bereits auf Shrek, Prinzessin Fiona, Esel und Genossen.

Der Himmel im Osten war saphirblau. Am westlichen Gewölbe franste das Blau bereits aus. Darunter kam Gold zum Vorschein, gemischt mit einem Anflug von roter Kreide.

An seinem Wagen angelangt, blieb Billy stehen und beobachtete noch einen Augenblick, wie Lanny seine Treffsicherheit vervollkommnete und zum tausendsten Mal versuchte, seinen unerfüllten Traum abzutöten, Cartoonist zu werden.

3

Eine verzauberte Prinzessin, die in einem Schlossturm ruhte und die Jahre verträumte, bis sie von einem Kuss geweckt wurde, hätte nicht schöner sein können als Barbara Mandel, wie sie da in ihrem Bett lag.

Im sanften Lampenschein breitete sich ihr blondes Haar auf dem Kissen aus, so leuchtend wie aus einem Schmelzkessel gegossenes Gold.

Billy Wiles, der am Bett stand, konnte sich nicht vorstellen, dass eine Porzellanpuppe einen so blassen und makellosen Teint hatte wie Barbara. Ihre Haut sah durchscheinend aus, als würde das Licht die Oberfläche durchdringen und das Gesicht von innen her erhellen.

Hätte Billy die dünne Decke und das Laken angehoben, so hätte er eine Schmach gesehen, die man verzauberten Prinzessinnen nicht zufügte. In die Bauchdecke war operativ eine PEG-Sonde eingesetzt worden.

Die Ärzte hatten eine kontinuierliche künstliche Ernährung angeordnet. Mit leisem Summen lieferte eine Pumpe eine immerwährende Mahlzeit.

Fast vier Jahre lag Barbara nun schon im Koma.

Ihr Zustand war nicht ganz extrem. Gelegentlich gähnte oder seufzte sie, oder die rechte Hand bewegte sich zum Gesicht, zum Hals, zur Brust.

Manchmal sagte sie sogar etwas, allerdings nie mehr als ein paar kryptische Worte, die nicht an jemanden im Zimmer gerichtet waren, sondern an irgendein Phantom in ihren Gedanken.

Selbst wenn sie etwas sagte oder die Hand bewegte, nahm sie nichts von ihrer Umgebung wahr. Auf äußere Reize reagierte sie nicht.

Im Augenblick lag sie ruhig da. Die Stirn war so glatt wie in einem Eimer stehende Milch, die Augen unter den Lidern bewegten sich nicht, die Lippen standen leicht offen. Kein Gespenst hätte lautloser atmen können.

Aus der Jackentasche zog Billy ein kleines Notizbuch mit Spiralbindung. Ein kurzer Kugelschreiber steckte daran. Er legte beides auf den Nachttisch.

Der kleine Raum war einfach möbliert: ein Krankenbett, ein Nachttisch, ein Stuhl. Vor langem schon hatte Billy zusätzlich einen Barhocker mitgebracht, damit er hoch genug sitzen konnte, um über Barbara zu wachen.

Das Pflegeheim bot eine gute Versorgung, stellte jedoch eine äußerst nüchterne Umgebung dar. Die Hälfte der Patienten befand sich im Zustand der Genesung, die andere Hälfte wurde einfach nur eingelagert.

Auf dem Hocker neben dem Bett sitzend, berichtete Billy Barbara von seinem Tag. Er begann mit einer Beschreibung des Sonnenaufgangs und endete mit Lannys Schießstand voller Comicfiguren.

Obgleich Barbara nie auf irgendetwas reagierte, das er sagte, vermutete Billy, dass sie ihn hinter ihrem tiefen Bollwerk hörte. Er musste einfach glauben, dass seine Gegenwart, seine Stimme, seine Zuneigung sie trösteten.

Als er nichts mehr zu sagen hatte, betrachtete er sie nur noch. Er sah sie nicht immer so, wie sie jetzt war. Manchmal sah er sie auch so, wie sie einmal gewesen war – lebhaft, munter – und wie sie noch hätte sein können, wäre das Schicksal gütiger zu ihr gewesen.

Nach einer Weile zog er die zusammengefaltete Botschaft aus der Brusttasche und las sie noch einmal vor.

Er war kaum damit fertig, als Barbara Worte murmelte, deren Bedeutung fast schneller dahinschmolz, als das Ohr sie hören konnte: »Ich will wissen, was es sagt …«

Elektrisiert glitt Billy von seinem Hocker und beugte sich über das Seitengitter, um sie genauer anzuschauen.

Noch nie hatte irgendetwas, das sie in ihrem Koma gemurmelt hatte, sich scheinbar auf etwas bezogen, das er bei seinen Besuchen gesagt oder getan hatte. »Barbara?«

Sie blieb still liegen, mit geschlossenen Augen und leicht offenen Lippen, scheinbar nicht lebendiger als ein Objekt der Trauer auf dem Katafalk.

»Kannst du mich hören?«

Mit bebenden Fingerspitzen berührte er ihr Gesicht. Sie reagierte nicht.

Obwohl er ihr den Inhalt der seltsamen Botschaft bereits mitgeteilt hatte, las er den Zettel noch einmal vor, falls Barbaras Worte sich tatsächlich darauf bezogen hatten.

Als er fertig war, reagierte sie nicht. Er nannte sie beim Namen, doch sie zeigte keine Regung.

Billy setzte sich wieder auf den Hocker und nahm das kleine Notizbuch vom Nachttisch. Mit dem Kugelschreiber notierte er die sechs Wörter und das Datum, an dem Barbara sie gesprochen hatte.

Für jedes Jahr ihres unnatürlichen Schlafs besaß er ein solches Notizbuch. Alle enthielten nicht mehr als hundert acht mal zwölf Zentimeter große Seiten, doch keines war voll, da sie nicht bei jedem Besuch etwas sagte. Im Gegenteil, meist war das mitnichten der Fall.

Ich will wissen, was es sagt.

Nachdem er diese ungewöhnlich vollständige Bemerkung datiert hatte, blätterte er in dem Buch und studierte einige der anderen Bruchstücke, ohne auf das jeweilige Datum zu achten.

Lämmer können nicht verzeihenrotgesichtige kleine Jungenmeine kindliche Zungedie Autorität seines GrabsteinsPapa, Pollen, Pony, Pflaumen, PrismaZeit der Dunkelheites schwillt vorangroße Wogenalles flitzt davondreiundzwanzig, dreiundzwanzig …

In keinem dieser Worte fand Billy irgendeinen Zusammenhang oder einen Hinweis, was sie bedeuten mochten.

Im Lauf der Wochen und Monate spielte Barbara von Zeit zu Zeit ein Lächeln um die Lippen. Zweimal hatte Billy sogar erlebt, wie sie leise gelacht hatte.

An anderen Tagen verstörten ihre geflüsterten Worte ihn jedoch. Manchmal erschreckten sie ihn sogar.

zerrissen, verwundet, keuchend, blutendBlut und FeuerBeile, Messer, BajonetteRot in ihren Augen, ihren wilden Augen

Selbst solche bestürzenden Bemerkungen äußerte Barbara nicht in betrübtem Tonfall. Sie kamen mit demselben ausdruckslosen Murmeln von ihren Lippen wie alles andere.

Dennoch war Billy beunruhigt. Er machte sich Sorgen, dass Barbara sich am Grunde ihres Komas an einem dunklen, furchterregenden Ort befand, wo sie sich gefangen und bedroht fühlte – und allein.

Nun legte sich ihre Stirn in Falten, und sie sagte: »Das Meer …«

Während Billy das niederschrieb, fuhr sie fort: »Was es immer …«

Die Stille im Raum wurde tiefer. Es war, als verdichtete die Atmosphäre sich so sehr, dass alle Strömungen aus der Luft gepresst wurden, damit Barbaras leise Stimme bis zu Billy vordrang.

Ihre rechte Hand bewegte sich zu ihren Lippen, wie um die Struktur der dort entstehenden Wörter zu betasten. »Was es immer wieder sagt.«

So zusammenhängend hatte sie sich in ihrem Koma noch nie ausgedrückt, und nur selten hatte sie während eines Besuchs so viel gesagt.

»Barbara?«

»Ich will wissen, was es sagt … das Meer.«

Die Hand bewegte sich zur Brust, und die Falten auf der Stirn verschwanden. Die Augen, die sich beim Sprechen unter den Lidern bewegt hatten, wurden wieder starr.

Mit gehobenem Kugelschreiber wartete Billy, doch nun war Barbara so still wie das ganze Zimmer. Wieder wurde die Stille tiefer, bis er das Gefühl hatte, nun gehen zu müssen, damit er nicht das Schicksal einer in Bernstein eingeschlossenen Fliege erlitt.

In diesem Schweigen würde Barbara nun stunden- oder tagelang liegen, vielleicht auch für immer.

Er küsste sie, aber nicht auf den Mund. Das wäre ihm wie eine Schändung vorgekommen. Ihre Wange war weich und kühl unter seinen Lippen.

Drei Jahre, zehn Monate und vier Tage lag sie nun schon in diesem Koma, in dem sie einen Monat nach dem Tag versunken war, an dem sie von Billy den Verlobungsring überreicht bekommen hatte.

4

Auf die völlige Abgeschiedenheit, die Lanny genoss, musste Billy zwar verzichten, doch immerhin wohnte er auf einem riesigen, von Erlen und Himalajazedern abgeschirmten Grundstück, an einer Straße mit wenigen Häusern.

Seine Nachbarn kannte er nicht. Womöglich hätte er sie selbst dann nicht gekannt, wenn sie in größerer Nähe gewohnt hätten. Er war dankbar für ihr Desinteresse.

Die Erbauer des Hauses und der Architekt hatten sich offenbar nach zähen Verhandlungen auf einen Kompromiss geeinigt, der halb wie ein Bungalow und halb wie eine noble Blockhütte aussah. Der Grundriss war der eines Bungalows. Die vom Wetter versilberte Verschalung aus Zedernholz erinnerte ebenso an eine Blockhütte wie die vordere Veranda, deren Dach von roh behauenen Pfosten getragen wurde.

Im Gegensatz zu den meisten architektonisch widersprüchlichen Häusern sah dieses gemütlich aus. Die Fenster aus geschliffenem Glas – echter Bungalowstil – funkelten wie Diamanten, wenn innen Licht brannte. Auf dem Dach drehte sich eine Wetterfahne in Form eines springenden Hirschs selbst dann mit träger Anmut, wenn der Wind böig wurde.

Hinter dem Haus stand eine Garage, in der Billy auch seine Holzwerkstatt untergebracht hatte.

Nachdem er den Wagen dort abgestellt und das große Tor geschlossen hatte, ging er durch den Garten aufs Haus zu. Er hörte eine Eule schreien, und als er sich umwandte, sah er den Vogel auf dem First des Garagendachs sitzen.

Keine andere Eule antwortete, doch Billy meinte, Mäuse quieken zu hören. Fast konnte er spüren, wie sie unter dem Gesträuch zitterten und sich nach dem hohen Gras jenseits des Gartens sehnten.

Sein Hirn fühlte sich benebelt an, seine Gedanken waren konfus. Er blieb kurz stehen und atmete tief ein. Der würzige Duft, den die Rinde und die Nadeln der Zedern verströmten, war so scharf, dass sein Kopf wieder klar wurde.

Leider war diese Klarheit unerfreulich. Billy trank zwar kaum Alkohol, aber jetzt wollte er ein Bier und einen Schnaps.

Die Sterne sahen hart aus. Sie standen hell am wolkenlosen Himmel, doch das Gefühl, das sie ihm vermittelten, war Härte.

Weder die Treppenstufen noch die Bohlen der Veranda knarrten. Er hatte viel Zeit, dafür zu sorgen, dass sein Haus in einem guten Zustand war.

Die Küche hatte er nach dem Einzug vollständig ausgeräumt und dann eigenhändig mit neuen Schränken ausgestattet. Sie waren aus Kirschholz mit dunkler Maserung.

Auch die Bodenfliesen hatte er selbst gelegt, Quadrate aus schwarzem Granit. Aus demselben Stein waren die Arbeitsflächen.

Schnörkellos und einfach. In diesem Stil hatte er das ganze Haus renovieren wollen, war dann jedoch vom Weg abgekommen.

Er goss eine Flasche kaltes Guinness in einen Bierkrug und fügte einen Schuss Bourbon hinzu. Wenn er schon mal etwas trank, dann wollte er einen kräftigen Geschmack. Als er sich gerade ein Sandwich mit Rauchfleisch machte, läutete das Telefon. »Hallo?«

Der Anrufer meldete sich selbst dann nicht, als Billy noch einmal hallo sagte. Normalerweise hätte Billy angenommen, dass die Leitung tot war. Heute Abend nicht.

Während er lauschte, zog er die Botschaft aus seiner Tasche. Er faltete sie auseinander, legte sie auf die schwarze Granitplatte und glättete sie mit der Hand.

Hohl wie eine Glocke ohne Klöppel war die offene Leitung, die keinerlei statisches Rauschen von sich gab. Billy hörte den Anrufer weder ein- noch ausatmen, als wäre der Bursche tot und bräuchte keine Luft mehr.

Egal, ob es sich nun um einen Scherzbold oder etwas Schlimmeres handelte, er wollte Billy verhöhnen und einschüchtern. Deshalb verweigerte ihm dieser die Genugtuung eines dritten Hallos.

Die beiden lauschten gegenseitig ihrem Schweigen, als hätte man von reinem Nichts etwas erfahren können.

Nach etwa einer Minute fragte sich Billy allmählich, ob die Person am anderen Ende der Leitung womöglich nur in seiner Fantasie existierte.

Falls er tatsächlich mit dem Urheber der Botschaft verbunden war, dann war es ein Fehler, als Erster aufzulegen. Das würde als Zeichen von Angst oder zumindest von Schwäche interpretiert werden.

Das Leben hatte Billy gelehrt, geduldig zu sein. Außerdem gestand er es sich zu, von anderen ab und zu mal für töricht gehalten zu werden, weshalb er sich deshalb keine Sorgen machte. Er wartete.

Als der Anrufer auflegte, bewies das charakteristische Klicken dieses Vorgangs, dass er tatsächlich vorhanden gewesen war. Dann kam das Amtszeichen.

Bevor Billy sich weiter mit seinem Sandwich beschäftigte, machte er die Runde durch seine vier Zimmer und das Bad. An allen Fenstern ließ er die Jalousien herunter.

Am Küchentisch verzehrte er das Sandwich und zwei Essiggurken. Dann trank er ein zweites Bier, diesmal ohne Bourbon.

Er besaß keinen Fernseher. Unterhaltungssendungen langweilten ihn, und auf die Nachrichten konnte er verzichten.

Seine Gedanken waren das Einzige, was ihm beim Essen Gesellschaft leistete. Er ließ sich dabei nicht mehr Zeit, als unbedingt nötig war.

Das Bücherregal an der einen Wand des Wohnzimmers reichte vom Boden bis zur Decke. Früher war Billy ein unersättlicher Leser gewesen.

Vor drei Jahren, zehn Monaten und vier Tagen hatte er dann das Interesse am Lesen verloren. Die gemeinsame Liebe zu Büchern, zu Prosa jedes Genres, hatte ihn und Barbara zusammengeführt.

Auf einem Regalbrett stand eine Gesamtausgabe des Werks von Charles Dickens, die Barbara ihm zu Weihnachten geschenkt hatte. Dickens war ihr Lieblingsautor gewesen.

Inzwischen musste Billy sich ständig mit etwas Praktischem beschäftigen. Einfach mit einem Buch im Sessel zu sitzen, ließ ihn unruhig werden. Er fühlte sich dann irgendwie verwundbar.

Außerdem enthielten manche Bücher beunruhigende Ideen. Sie brachten einen dazu, über Dinge nachzudenken, die man vergessen wollte, und selbst wenn diese Gedanken unerträglich wurden, konnte man sie nicht unterdrücken.

Die Kassettendecke des Wohnzimmers war eine Folge des Bedürfnisses, sich ständig zu beschäftigen. Jede Kassette war am Rand mit klassizistischen Zierleisten geschmückt. In der Mitte befand sich jeweils ein Büschel Akanthusblätter, das Billy von Hand aus Weißeichenholz geschnitzt und gebeizt hatte, damit es zum Mahagoni der Kassetten passte.

Der Stil dieser Decke hingegen passte weder zu einem Blockhaus noch zu einem Bungalow. Das war ihm egal. Wichtig war nur, dass das Projekt ihn monatelang in Anspruch genommen hatte.

Im Arbeitszimmer befand sich eine Kassettendecke, die noch überladener war als die im Wohnzimmer.

Er ging nicht zum Schreibtisch, wo der unbenutzte Computer ihn verhöhnte. Stattdessen setzte er sich an einen Werktisch, auf dem sein Schnitzwerkzeug lag.

Außerdem waren dort Klötze aus Weißeiche aufgestapelt, die einen angenehm süßen Holzgeruch verströmten. Sie waren das Rohmaterial für die Ornamente, mit denen er die Schlafzimmerdecke ausstatten wollte, die momentan lediglich weiß verputzt war.

Auf dem Tisch stand ein CD-Spieler mit zwei kleinen Lautsprechern. Eine Scheibe mit Zydeco, kreolischer Folkmusik, war eingelegt. Billy drückte die Play-Taste.

Er schnitzte, bis seine Hände schmerzten und ihm alles vor den Augen verschwamm. Dann schaltete er die Musik aus und ging zu Bett.

Im Dunkeln auf dem Rücken liegend, starrte er an die Decke, die er nicht sehen konnte, und wartete darauf, dass ihm die Augen zufielen. Er wartete.

Auf dem Dach hörte er ein Geräusch. Irgendetwas kratzte an den Zedernschindeln. Die Eule zweifellos.

Die Eule stieß keinen Schrei aus. Vielleicht war es ein Waschbär. Oder etwas anderes.

Er warf einen Blick auf die Digitaluhr auf dem Nachttisch. Zwanzig Minuten nach Mitternacht.

Dir bleiben sechs Stunden, um dich zu entscheiden. Du hast die Wahl.

Am Morgen würde alles wieder im Lot sein. Schließlich war es immer so. Na gut, nicht richtig im Lot, aber doch so weit, dass man weitermachen konnte.

Ich will wissen, was es sagt, das Meer. Was es immer wieder sagt.

Einige Male schloss er bewusst die Augen, doch das nützte nichts. Sie mussten von selbst zufallen, wenn er einschlafen wollte.

Er betrachtete die Uhr, während sie von 12:59 auf 01:00 umsprang.

Die Botschaft hatte unter dem Scheibenwischer gesteckt, als er um sieben Uhr abends aus der Kneipe gekommen war. Seither waren sechs Stunden vergangen.

Jemand war ermordet worden. Oder nicht. Bestimmt nicht.

Unter den kratzenden Klauen der Eule, falls es eine Eule war, schlief er ein.

5

Die Kneipe hatte keinen Namen. Genauer gesagt: Ihre Funktion war ihr Name. Auf dem Schild an der Spitze eines Masts, das man sah, bevor man von der Landstraße auf den von Ulmen umrahmten Parkplatz einbog, stand lediglich BAR.

Der Besitzer des Lokals hieß Jackie O’Hara. Er war beleibt, sommersprossig und freundlich, und jedermann sah ihn als Freund oder Onkel ehrenhalber.

Er hegte nicht den geringsten Wunsch, seinen Namen auf dem Schild zu sehen.

Als Junge hatte Jackie Priester werden wollen. Er wollte den Menschen helfen und sie zu Gott führen.

Die Zeit hatte ihn dann gelehrt, dass er womöglich nicht in der Lage sein würde, seine Begierden zu beherrschen. Noch in jungen Jahren war er zu dem Schluss gekommen, dass er einen schlechten Priester abgeben würde, und das war nicht das, wovon er geträumt hatte.

Seine Erfüllung fand er stattdessen darin, ein sauberes und freundliches Lokal zu führen. Es nach sich selbst zu nennen wäre ihm jedoch eitel vorgekommen, statt ein legitimer Ausdruck von Selbstbewusstsein zu sein.

Billy Wiles war der Ansicht, Jackie hätte durchaus einen guten Priester abgegeben. Schließlich hatte jeder Mensch Begierden, die schwer zu beherrschen waren, doch nur wenige besaßen Demut, Güte und ein Bewusstsein der eigenen Schwächen.

Die Gäste kamen immer wieder mit Namen für das Lokal an, doch Jackie fand ihre Vorschläge entweder peinlich oder unpassend, wenn nicht gar beides.

Als Billy am Dienstagmorgen um Viertel vor elf eintraf – fünfzehn Minuten, bevor das Lokal aufmachte –, standen nur zwei Autos auf dem Parkplatz, das von Jackie und das von Ben Vernon, dem Koch.

Neben seinem Wagen stehend, betrachtete Billy die niedrigen Erdhügel, die ein Stück jenseits der Straße aufragten. Sie waren dunkelbraun, wo sie von Baumaschinen skalpiert worden waren, und hellbraun, wo das Grün der wilden Gräser durch die Sommerhitze ausgebleicht war.

Eine internationale Immobilienfirma baute dort auf knapp vierhundert Hektar Grund eine erstklassige Ferienanlage, die den Namen »Vineland« tragen sollte. Neben einem Hotel mit Golfplatz, drei Swimmingpools, einem Tennisclub und anderen Annehmlichkeiten umfasste das Projekt einhundertneunzig Villen. Für einen Stückpreis von jeweils mehreren Millionen Dollar standen sie zum Kauf durch Leute bereit, die ihre Freizeit wirklich ernst nahmen.

Im Frühling waren die Fundamente gegossen worden, nun stiegen bereits die Mauern in die Höhe.

Wesentlich näher als die palastartigen Bauten auf den Hügeln stand in einer Wiese, kaum dreißig Meter von der Straße entfernt, ein dramatisches, dreidimensionales Kunstwerk, das der Vollendung entgegensah. Es war zwanzig Meter hoch und fünfzig Meter lang. Aus Holz gefertigt, war es grau bemalt und mit schwarzer Schattierung versehen.

Im Stile des Art déco stellte das Werk eine mächtige Maschinerie dar, die unter anderem aus den mit Kuppelstangen verbundenen Antriebsrädern einer Lokomotive bestand. Dazu kamen gewaltige Zahnräder, merkwürdige Armaturen und geheimnisvolle mechanische Formen, die nichts mit einer Eisenbahn zu tun hatten.

In dem Teil, der an eine Lokomotive erinnerte, war die riesige, stilisierte Gestalt eines Mannes in Arbeitskleidung dargestellt. Sein Körper war geneigt wie gegen einen starken Wind, während er eines der monströsen Antriebsräder drehte, als wäre er in der Maschine gefangen und bewegte sich nun mit ebenso viel Panik wie Entschlossenheit vorwärts, weil er bei der geringsten Ruhepause aus dem Takt geraten und in Stücke gerissen worden wäre.

Manche Teile der Konstruktion waren beweglich. Obwohl sie noch nicht in Gang gesetzt werden konnten, vermittelte das Ganze bereits eine überzeugende Illusion von Bewegung und Geschwindigkeit.

Es handelte sich um ein Auftragswerk, entworfen von einem berühmten Künstler, der sich den Namen »Valis« gegeben hatte. Mit Hilfe von sechzehn Mitarbeitern hatte er es auch errichtet.

Symbolisch stellte es den rastlosen Rhythmus des modernen Lebens dar, in dem das gepeinigte Individuum von den Kräften der Gesellschaft überwältigt wurde.

An dem Tag, an dem die Ferienanlage eröffnet wurde, sollte Valis persönlich das Ding anzünden und niederbrennen. Dieser wiederum symbolische Akt sollte ausdrücken, dass man in der entstandenen Anlage Freiheit von der Hektik des Lebens fand.

Die meisten Bewohner von Vineyard Hills und Umgebung machten sich über das Werk lustig. Wenn sie es überhaupt als Kunst bezeichneten, sprachen sie das Wort in Anführungszeichen aus.

Billy mochte das monströse Ding ganz gern, wenngleich es aus seiner Sicht keinen Sinn ergab, es niederzubrennen.

Derselbe Künstler hatte einmal zwanzigtausend mit Helium gefüllte, rote Luftballons an einer australischen Brücke befestigt, sodass es aussah, als würde diese davongetragen. Mit Hilfe einer Fernbedienung hatte er dann alle zwanzigtausend auf einmal platzen lassen.

In diesem Fall begriff Billy weder den künstlerischen Aspekt noch die Idee, die Ballons zum Platzen zu bringen.

Er war zwar kein Fachmann, doch er hatte das Gefühl, dass es sich bei dem riesigen Relief entweder um niedere Kunst oder um hohes Handwerk handelte. Es zu verbrennen kam ihm genauso sinnlos vor, wie wenn ein Museum seine Rembrandt-Gemälde auf den Scheiterhaufen geworfen hätte.

An der zeitgenössischen Gesellschaft ärgerte ihn jedoch so vieles, dass er sich wegen dieser kleinen Sache keine grauen Haare wachsen ließ. Allerdings würde er an dem Abend, an dem das Werk verbrannt wurde, auch nicht herkommen, um sich das Feuer anzuschauen.

Er betrat das Lokal.

In der Luft lag ein so würziger Duft, dass man ihn fast auf der Zunge schmecken konnte. Im Topf von Ben Vernon kochte gerade Chili con Carne.

Jackie O’Hara stand hinter dem Tresen und machte eine Bestandsaufnahme des Alkoholvorrats. »Sag mal, Billy, hast du gestern Abend die Reportage über UFOs gesehen?«, fragte er.

»Nein.«

»Ehrlich? Da ging es um Entführungen durch Außerirdische. «

»Ich hab Zydeco gehört und geschnitzt.«

»Da trat einer auf, der behauptet, er wäre in ein Mutterschiff gebeamt worden, das die Erde umkreist.«

»Das ist doch nichts Neues. So Zeug hört man schon die ganze Zeit.«

»Er sagt, die Aliens hätten eine proktologische Untersuchung bei ihm durchgeführt.«

Billy trat durch die Schwingtür im Tresen. »Das sagen sie alle.«

»Ich weiß, ich weiß. Aber kapieren tu ich es trotzdem nicht.« Jackie runzelte die Stirn. »Wieso sollte eine überlegene außerirdische Rasse, die tausendmal intelligenter ist als wir, viele Billionen Kilometer weit durchs Universum reisen, bloß um uns in den Hintern zu schauen? Sind die pervers oder was?«

»Meinen haben sie bisher verschont«, sagte Billy. »Und dass sie diesem Burschen im Fernsehen reingeglotzt haben, wage ich ebenfalls zu bezweifeln.«

»Der ist aber ziemlich glaubwürdig. Schließlich ist er Autor, und das Buch, um das es ging, ist nicht sein erstes. Er hat schon ’nen ganzen Haufen andere geschrieben.«

Billy nahm eine Schürze aus der Schublade und band sie sich um. »Bloß weil jemand ein Buch herausbringt, ist er noch nicht automatisch glaubwürdig. Hitler hat auch Bücher geschrieben.«

»Ehrlich?«, fragte Jackie.

»Ehrlich.«

»Der Hitler?«

»Ein und derselbe.«

»Du willst mich veräppeln.«

»Schau doch im Lexikon nach.«

»Was hat er denn geschrieben – Spionageromane oder so was in der Richtung?«

»So was in der Richtung«, sagte Billy.

»Der Bursche im Fernsehen hat Science Fiction geschrieben. «

»Wen wundert’s.«

»Wissenschaftliche Science Fiction«, präzisierte Jackie. »Die Sendung war wirklich alarmierend.« Er nahm ein weißes Schälchen von der Arbeitstheke und stieß ein verärgertes Brummen aus. »Das gibt’s doch nicht! Muss ich Steve etwa allmählich was vom Lohn abziehen?«

Im Schälchen lagen etwa zwanzig Stängel von Maraschinokirschen, samt und sonders zu einem Knoten gebunden.

»Die Gäste finden ihn amüsant«, sagte Billy.

»Weil sie halb besoffen sind. Der tut doch bloß so, als ob er ein lustiger Typ ist, aber das ist er im Grunde gar nicht.«

»Jeder hat seine eigene Vorstellung davon, was lustig ist.«

»Nein, ich meine, dass er so tut, als wäre er lässig und unbeschwert, obwohl er es nicht ist.«

»So hab ich ihn aber auch immer gesehen«, sagte Billy.

»Frag doch mal Celia Reynolds.«

»Wer ist das?«

»Die wohnt neben Steve.«

»Nachbarn sind oft zerstritten«, meinte Billy. »Da kann man nicht immer glauben, was sie sagen.«

»Celia sagt, er spielt im Garten den wilden Mann.«

»Was soll das denn heißen?«

»Er rastet völlig aus, sagt sie. Macht irgendwelche Sachen kurz und klein.«

»Was für Sachen?«

»Zum Beispiel einen Esszimmerstuhl.«

»Wessen Stuhl?«

»Seinen eigenen. Er hat ihn zerhackt, bis bloß noch Splitter übrig waren.«

»Und wieso?«

»Er flucht laut auf Gott und die Welt, wenn er so was macht. Offenbar baut er damit Wut ab.«

»An einem Stuhl.«

»Ja. Auch auf Wassermelonen geht er mit der Axt los.«

»Vielleicht mag er Wassermelonen«, meinte Billy.

»Er isst sie aber nicht. Er hackt bloß so lange darauf ein, bis nur noch Matsch übrig ist.«

»Und flucht dabei.«

»Genau. Er flucht, er grunzt, er faucht wie ein wildes Tier. Ganze Wassermelonen. Ein paarmal hat er sogar Puppen zerhackt. «

»Was für Puppen?«

»Du weißt schon, solche aus dem Kaufhaus.«

»Schaufensterpuppen?«

»Genau. Er geht mit der Axt und dem Vorschlaghammer auf sie los.«

»Wo kriegt er denn Schaufensterpuppen her?«

»Keine blasse Ahnung.«

»Klingt aber gar nicht gut.«

»Sprich mal mit Celia. Die wird dich ins Bild setzen.«

»Hat sie Steve gefragt, weshalb er sich so verhält?«

»Nein. Sie hat Angst davor.«

»Glaubst du ihr?«

»Celia ist keine Lügnerin.«

»Meinst du, Steve ist gefährlich?«, fragte Billy.

»Wahrscheinlich nicht, aber wer weiß.«

»Vielleicht solltest du ihn rausschmeißen.«

Jackie hob die Augenbrauen. »Und dann entpuppt er sich als einer von den Typen, die man in den Fernsehnachrichten sieht? Was ist, wenn er hier mit ’ner Axt reinmarschiert?«

»Irgendwie hört sich das nicht besonders plausibel an«, sagte Billy. »Im Grunde glaubst du’s doch selbst nicht.«

»Doch, das tu ich. Schließlich geht Celia dreimal die Woche zur Messe.«

»Jackie, du flachst mit Steve doch immer herum. Du kommst gut mit ihm aus.«

»Ich bin immer ein wenig wachsam.«

»Das ist mir noch nie aufgefallen.«

»Trotzdem bin ich es. Ich will ihm gegenüber nur nicht unfair sein.«

»Unfair?«

»Er ist ein guter Barkeeper und macht seine Arbeit.« Ein