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Dr. Isabell Konrad begegnet der Kunststudentin Eva Talheim bei einer Vernissage. Isabell von ihren Freunden Bella genannt, lädt Eva ein, einige Tage ihr Gast zu sein. In Bellas exklusivem Haus taucht Eva nicht nur in das Leben der Cora Talheim ein. Sie begegnet hier auch ihrer großen Liebe. Wird Eva durch unglückliche Ereignisse Coras Schicksal teilen?
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Seitenzahl: 143
Veröffentlichungsjahr: 2012
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Liebende begegnen sich nicht
eines Tages irgendwo, sie sind
immer einer im anderen
Rumi
Dr. Isabell Konrad begegnet der Kunststudentin Eva Talheim bei einer Vernissage. Isabell, von ihren Freunden Bella genannt, lädt Eva ein, einige Zeit ihr Gast zu sein. In Bellas exklusivem Haus taucht Eva nicht nur in das Leben der Cora Talheim ein. Sie begegnet hier auch ihrer großen Liebe. Wird Eva durch unglückliche Ereignisse Coras Schicksal teilen?
Als Dr. Isabella Konrad die Kunststudentin Eva Talheim in der Galerie erblickt, geht sie freudig auf sie zu: >Sie müssen eine nahe Verwandte von Cora Talheim sein. Wenn ich Sie mir so anschaue, fühle ich mich in meine frühe Jugend zurückversetzt.< Vor Eva steht eine zierliche Frau. Eine glatte Strähne ihres schweren, hellgrauen Haares fällt schmeichelnd über einen Teil des fast faltenlosen, kaum geschminkten Gesichts. Sie trägt lange Ohrringe, die ausnehmend gut zu ihrem Outfit passen.>Sie sind wohl eine Freundin meiner Tante Cora?<, fragt Eva. >Eine Freundin? Nein mein Kind. Nicht nur eine Freundin. Ich bin ihre Beste Freundin. < Die Galeristin gibt Eva ein Zeichen, dass sie gebraucht wird. >Entschuldigen Sie mich für einen Augenblick. Aber bitte, gehen Sie nicht weg. Sie haben mich neugierig gemacht<, sagt Eva. Isabella Konrad gibt ihr zu verstehen, dass sie das keineswegs vorhat. Eva kommt zurück und stellt sich vor: >Ich bin Eva Talheim. < Sie ergreift die ihr gereichte Hand. >Und ich bin Isabella Konrad; aber Sie dürfen mich Bella nennen, wie das alle meine Freunde tun<, sagt sie mit einem hinreißenden Lächeln.> Ich würde gerne mehr über Cora und die Familie meines Vaters erfahren.< >Es ist mir ein Bedürfnis, mit Ihnen über meine geliebte Freundin zu reden. Auch über Coras Elternaus kann ich Ihnen erzählen, denn wir sind als Nachbarskinder aufgewachsen. Was halten Sie davon, wenn sie mich heute Abend besuchen? Ich wohne gar nicht weit von hier. Sie können mich zu Fuß erreichen. < Mit diesen Worten holt Bella ihre Visitenkarte aus der Handtasche. >Heute klappt es leider nicht mehr. Wir haben am Abend noch einen kleinen Umtrunk mit der Galeristin <, erwidert Eva. >Rufen Sie mich morgen einfach an und sagen Sie mir, wann Sie mich besuchen kommen. Ich freue mich auf Sie.< Eva verlässt ziemlich spät die Galerie. Sie ist froh, ein Hotelzimmer genommen zu haben, obgleich die Entfernung zu ihrem Zuhause nicht allzu weit ist.
Als Eva am nächsten Tag aufwacht, ist es für das Frühstück im Hotel schon zu spät. Am liebsten wäre sie gleich nach Hause gefahren, um sich auf die nächste Ausstellung vorzubereiten. Andererseits weiß sie durch den frühen Unfalltod ihrer Eltern vor allem über die Familie ihres Vaters wenig. Bella könnte Licht in die Vergangenheit bringen. Gegen elf Uhr ruft Eva bei Bella an: >Ist es okay, wenn ich um sechzehn Uhr zu Ihnen komme? < >Kommen Sie Eva, ich freue mich auf Sie. < >Bis später dann Bella, ich freue mich auch.<
Eva checkt aus und bringt das Gepäck zu ihrem Auto in die Tiefgarage des Hotels. In einem nahe gelegenen Café wählt sie einen Tisch in Fensternähe, bestellt Tee und ein Croissant. Anschließend bummelt sie noch ein wenig durch die Straßen, macht einen kurzen Besuch in der Galerie und danach noch ein paar Einkäufe im Supermarkt.
Wegen der Ausstellungsvorbereitungen kam sie nicht dazu, ihren Kühlschrank aufzufüllen. Eva verstaut ihre Einkaufstüten im Auto. Dann geht sie zum Mittagessen in das kleine italienische Restaurant, das sie unterwegs entdeckte. Inzwischen ist es fünfzehn Uhr. Sie wird den Weg durch den Park nehmen.
Die kleine hessische Stadt ist Eva nicht fremd. Hier besuchte sie als Kind zusammen mit den Eltern ihren Onkel Max und Tante Angelika Talheim. Das kinderlose Ehepaar bewohnte die Jugendstilvilla ihrer Großeltern, in der auch Tante Cora ihre Kindheit und Jugend verbrachte. Die Villa hat inzwischen den Besitzer gewechselt. Die Erbengemeinschaft, zu der auch sie gehört, hat das Anwesen nach dem Tod von Onkel und Tante Talheim verkauft.
In Gedanken versunken geht Eva durch den Park. Mit ihrer Tante Angelika ist sie oft durch diese Anlage geschlendert. Wenn sie in die Nähe des Spielplatzes kamen, riss sie sich von der Hand ihrer Tante los, um einen Platz auf der Schaukel zu erwischen. Am Spielplatz angelangt, setzt Eva sich wie selbstverständlich auf die Schaukel. Wann saß sie hier zum letzten Mal? Vielleicht vor vierzehn oder fünfzehn Jahren. Sie ist jetzt einundzwanzig. Solange sie sich zurückerinnern kann, wollte sie Malerin werden. Es war daher naheliegend, dass sie nach dem Abitur das Kunststudium begann. Mit ihrer Malerei liegt sie im Trend. Durch den Verkauf ihrer Bilder kann sie sich eine Miniwohnung mit Atelier leisten.
Eva blickt auf die Uhr. Sie hat lange sinnierend auf der Schaukel gesessen. Nun muss sie sich beeilen, wenn sie um sechszehn Uhr bei Bella eintreffen will. Die Straße findet sie bald. Auf beiden Seiten präsentieren sich moderne Villen in großzügigen Gartenanlagen. Sie schaut auf die Visitenkarte. Bella wohnt in Nummer 12, also gegenüber muss es sein. Eva steht vor einem eindrucksvollen Tor. An beiden Seiten des Tors erstreckt sich eine halbhohe, weiße Mauer, die den Blick auf ein entfernt liegendes, weißes Haus freigibt. Die Bezeichnung Haus wird allerdings diesem architektonischen Kunstwerk nicht gerecht. Hier also hat Bella eine Wohnung. Auf dem Namensschild liest Eva: Dr. med. Isabella Konrad. Bella ist also Ärztin, und ihr gehört dieses Prachtstück. Sie drückt auf die Klingel und hört bald darauf Bellas Stimme. >Hallo, Eva, ich sehe Sie im Monitor. Drücken Sie ein wenig gegen die Tür, und gleich darf ich Sie hier bei mir begrüßen.<
Der Weg zum Haus ist beiderseits mit Strauchund Stammrosen in den Farben Gelb und Weiß gesäumt. Der Rasen gleicht dem Fairway eines gepflegten Golfplatzes. Eine breite Treppe führt zum Eingang. In einem langen, smaragdgrünen Gewand steht Bella an der Tür. Eva ist als Künstlerin von diesem Anblick entzückt und als Frau erstaunt: Wie kann man in diesem Alter so umwerfend aussehen? Bella umarmt Eva wie eine alte Bekannte und führt sie ins Haus. Allein für den Anblick, der sich ihr bietet, lohnt es sich, die Einladung angenommen zu haben. Vor Eva öffnet sich ein saalartiger Raum. Die Einrichtung zeugt von erlesenem Geschmack. Durch die große Fensterfront hat man einen wunderbaren Blick auf die großzügige Terrasse und den hinteren Teil des Gartens, der an Schönheit den vorderen Bereich noch übertrifft. Voller Andacht bewundert Eva diese Pracht. >Bella, Sie leben im Paradies. < >Allein im Paradies<, entgegnet Bella. >Oh, das tut mir leid:< >Das muss Ihnen nicht leidtun, Eva. Mein Mann war ein bekannter Architekt und wir hatten einen großen und interessanten Freundeskreis. Wenn dieser auch mit zunehmendem Alter etwas schrumpft, so sind mir doch noch Freunde geblieben, mit denen ich mich regelmäßig treffe. Und dann ist da noch mein Sohn Andreas, der mich in Abständen besucht. Eine verbitterte alte Frau bin ich nicht; dafür habe ich zu viele Interessen. Es gibt immer noch Dinge, die ich bewundern, und auch solche, über die ich mich wundern kann<, sagt Bella lächelnd. >Auf mich machen sie keineswegs einen verbitterten und schon gar keinen alten Eindruck. Ich finde Sie einfach umwerfend, wenn ich mir diese Äußerung erlauben darf. < Bella schmunzelt. >Möchten Sie Tee oder Kaffee? < Mit diesen Worten führt sie Eva zu dem schön gedeckten Tisch. Bella deutet auf eine kleine Silberschale mit Ingwerstangen. >Das ist das Lieblingsnaschwerk Ihrer Tante. < >Merkwürdig<, meint Eva, >wenn ich mir etwas Gutes tun will, kaufe ich mir Ingwerstangen. < Das Kaffetrinken dauert länger als von Eva eingeplant. Bella will viel von Eva erfahren, und Eva berichtet bereitwillig über ihre Kindheit auf dem Weingut ihrer Großeltern in Vilandry und ihre Schulzeit in einem Schweizer Internat: >Meine Mutter war Französin. Wir lebten in Frankreich und kamen nur zu Besuch nach Deutschland. Als meine Eltern durch einen Unfall ums Leben kamen, war ich acht Jahre. < >Dann verlief Ihr Leben auch nicht so, wie man es sich wünscht<, sagt Bella. >Ja, das stimmt schon, dennoch habe ich schöne Erinnerungen an meine Kindheit. < >Und wie sieht es mit Ihrem Liebesleben aus? Entschuldigen Sie diese indiskrete Frage. < >Nicht so rosig<, erwidert Eva. >Von meinem langjährigen Freund habe ich mich vor ein paar Wochen getrennt. < >Dann sind sie frei für eine neue Beziehung<, sagt Bella und lächelt. Bella macht eine einladende Bewegung in Richtung der beiden in Fensternähe stehenden Sessel. >Lassen Sie uns einen Sherry nehmen oder trinken Sie lieber ein Glas Champagner? < Eva wehrt ab. >Ich habe noch eine Autofahrt vor mir. Ein Glas Mineralwasser nehme ich gerne. < Bella legt ihre Hand auf Evas Arm: >Kind, ich bitte Sie, seien Sie heute Nacht mein Gast. Wenn ich Ihnen von meiner Freundin erzähle, brauchen wir Zeit und ich vermute, es wird ein langer Abend. Ich schlage Champagner vor, der wird meiner geliebten Cora am ehesten gerecht. < >Um Ihnen Coras Leben verständlich zu machen, muss ich weit ausholen<, beginnt Bella:
Die ehrwürdige Jugendstilvilla, in der Cora mit ihrem Vater, einem Physikprofessor mit Lehrstuhl an der Universität der benachbarten Stadt, den Geschwistern und ihrer Stiefmutter Mathilde lebt, steht in einem parkartigen Garten mit altem Baumbestand. Professor Talheim hat das Haus kurz vor seiner Heirat gekauft. Cora und ihre Brüder Max und Stephan sind hier geboren. Die beiden anderen Kinder, Gabriele und Friedhelm, brachte später die zweite Frau mit in die Ehe.
Cora hat gestern ihren sechzehnten Geburtstag gefeiert. Man soll vielleicht sagen: sie wurde sechzehn Jahre, denn im Hause Talheim wird nicht gefeiert; hier führt man Gespräche. An dem besagten sechzehnten Geburtstag war es für Cora ein für ihre Zukunft entscheidendes Gespräch. Ihr Vater bestimmte, dass sie nach Beendigung des laufenden Schuljahres das Gymnasium verlassen muss: „Mädchen heiraten und sollen sich auf die Aufgabe als Ehefrau und Mutter vorbereiten“ sagte er. Den Besuch einer Hauswirtschaftsschule hält er daher für angebracht.
Bella findet ihre Freundin Cora mit rot verweinten Augen im Bett kauernd vor. >Der Traum vom gemeinsamen Medizinstudium ist ausgeträumt<, schluchzt sie. >Mein Vater verlangt, dass ich im kommenden Jahr das Gymnasium verlasse und auf eine Hauswirtschaftsschule gehe. < >Das darf nicht wahr sein<, sagt Bella. >Das kann er doch nicht machen, du bist unsere Klassenbeste. Das wäre ja Vergeudung von Intelligenz. Soll ich einmal mit ihm reden? < >Bloß nicht<, erwidert Cora. > du würdest dich bei ihm nur unsympathisch machen und am Ende würde er dich gar nicht mehr ins Haus lassen.<
>Glauben Sie mir, Eva, im Hause Talheim herrschte ein strenges Regime, ganz im Gegensatz zu meinem Elternhaus. Ich war ein Einzelkind. Mein Vater war wie Professor Talheim Wissenschaftler, aber weit jünger und weltoffener. Ich werde versuchen, Ihnen Ihren Großvater näher zu bringen, denn er spielt eine große Rolle in Coras leben. <
Professor Bernhard Talheim war jahrelang Junggeselle. Das lag nicht daran, dass er Frauen nicht mochte; ganz im Gegenteil: Schöne Frauen faszinierten ihn, vor allem dann, wenn sich Schönheit mit Intelligenz paarte. In seinem Elternhaus mit vier Geschwistern und dem Einkommen eines Dorfschullehrers ging es sehr bescheiden zu. Bernhard Talheim wollte erst heiraten, wenn er seiner Ehefrau ein standesgemäßes, besser noch, ein luxuriöses Leben bieten konnte.
Als Bernhard Talheim Amelie bei einem Verbindungsfest begegnet, ist er über vierzig. Das schlanke, rothaarige Mädchen ist die Schwester eines Bundesbruders. Talheim sucht bei jeder sich bietenden Möglichkeit Amelies Nähe. Er ist nicht nur von ihrem liebreizenden Äußeren, sondem auch von ihrer sprühenden Intelligenz überwältigt. Bernhard Talheim findet es ganz in Ordnung, einer jungen Dame von knapp neunzehn Jahren den Hof zu machen. Talheim glaubt, zum ersten Mal wirklich verliebt zu sein, und Amelie fühlt sich geschmeichelt, dass ein so gut aussehender, reifer Mann sich um sie bemüht. Es folgen ein paar Verabredungen, bei denen sie sich näher kommen. Amelie weiß nicht, ob es die Große Liebeist, was sie für Bernhard Talheim empfindet; dafür fehlt ihr die Erfahrung. Das, was sie für ihn fühlt, reicht jedoch aus, um ja zu sagen, als er sie fragt, ob sie seine Frau werden möchte.
Amelies Eltern sind überrascht, als sie von den Heiratsplänen ihrer Tochter erfahren. Sie ging doch vor kurzem noch zur Schule und war voller -auch beruflicher - Pläne. Andererseits ist da ein reifer Mann in besten sozialen und finanziellen Verhältnissen, der ihrer Tochter ein unbeschwertes Familienleben zu bieten hat. Als Professor Dr. Bernhard Talheim um die Hand ihrer Tochter anhält, wird er als Schwiegersohn herzlich in die Familie aufgenommen.
Noch vor der Hochzeit hat Talheim die Jugendstilvilla gekauft und mit großem Aufwand nach seinem Geschmack eingerichtet. Es kommt ihm nicht in den Sinn, Amelie nach ihren Wünschen zu fragen. In den folgenden fünf Jahren werden Maximilian, genannt Max, Caroline, die sie Cora rufen, und Stephan geboren. Bernhard Talheim liebt seine Frau immer noch abgöttisch, aber auf seine besitzergreifende, alles bestimmende Art.
Amelie ist dreiunddreißig, hat drei Kinder und einen Mann Mitte fünfzig. Von ihrer anziehenden Schönheit hat sie schon einiges eingebüßt, was nicht zuletzt daran liegt, dass Talheim ihr vorschreibt, wie sie ihre Haare zu tragen und wie sie sich zu kleiden hat. Das dunkle Haus mit der dunklen Einrichtung trägt nicht dazu bei, ihre Stimmung zu heben. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sie sich in Dieter Baum, den jungen Klavierlehrer ihres ältesten Sohnes, verliebt. Sie bewundert an ihm sein glänzendes Haar, seine jugendliche Haut, seinen leichten Gang und seine schönen Hände. Sie liebt es, von ihm auf diese ganz besondere Art angesehen zu werden. Talheim fällt auf, dass immer dann, wenn sein Sohn Klavierunterricht hat, ein zarter Parfümgeruch die Räume durchzieht. Er merkt auch, dass seine Frau ihr rotes Haar offen trägt und Kleidung wählt, in der er sie vor und am Anfang der Ehe so gerne sah. Und dann kommt der Tag, an dem er zu wissen glaubt, dass seine Frau ihn mit dem Klavierlehrer betrügt.
Amélie hat ihren Mann schon in vielen Situationen wütend gesehen, aber dennoch hat er immer die Contenance bewahrt. Jetzt lernt sie eine ganz andere Seite an ihm kennen. Er führt sich auf wie ein Besessener: Bernhard schreit, beschimpft sie und nennt sie ein Flittchen. Das hätte er nicht sagen dürfen. Dieter Baum hat nur lange ihre Hand gehalten und sie ganz zaghaft auf die Wange geküsst. Mehr war da nicht; aber es geschah in dem Moment, als Talheim die Tür öffnete.
Amelie schließt sich im Gästezimmer ein. Sie ist durch nichts zu bewegen, die Tür zu öffnen. Talheim hat am nächsten Morgen eine wichtige Vorlesung und geht deshalb früh aus dem Haus. Als er abends nach Hause kommt, findet er einen Brief von Amelie vor, in dem sie ihm mitteilt, dass sie mit den Kindern bei ihren Eltern ist und sich mit dem Gedanken trägt, nicht mehr zu ihm zurückzukehren. Talheim liebt seine Frau und vermisst seine Kinder. Er schickt Amelie Blumen und für die Kinder Geschenke, und beteuert in seinen Briefen immer wieder, wie Leid ihm sein Auftritt und seine ungebührende Beschimpfung tut. Er verspricht seiner Frau, ihr jeden Wunsch zu erfüllen, wenn sie nur wieder mit den Kindern zu ihm zurückkomme.
Die Kinder fragen Amelie, warum sie nicht nach Hause zu ihren Spielsachen und zu ihren Freunden dürfen. Aber Amelie ist noch nicht so weit zurückzukehren. Sie genießt die elterliche Fürsorge und die Freiheit, auf die sie so lange verzichten musste. Nach langem Flehen hat Talheim erreicht, dass sich Amelie und die Kinder mit ihm in einem Ausflugslokal treffen. Für Amelie bringt er Parfum und für die Kinder Spielzeug mit. Die Kinder vergnügen sich mit ihren Geschenken auf dem Spielplatz. Talheim macht Amelie Komplimente: Er lobt ihre geschmackvolle Kleidung und die neue Kurzhaarfrisur. Er nimmt ihre Hand, küsst sie ganz zart auf die Innenfläche - so etwas hat er bisher nie getan -. >Komm nach Hause, bitte, ich flehe dich an, ich vermisse dich, ich liebe dich<, sagt er. Amelie ist gerührt. Ist das wirklich der Mann, mit dem sie vierzehn Jahre gelebt hat? Der Mann, der ihr nicht nur vorschrieb, wie sie sich zu kleiden und zu frisieren, sondern auch wie sie sich zu benehmen habe? Vielleicht hat ihn die Trennung verändert. Amelie ist nicht mehr abgeneigt, zu ihm zurückzukommen, aber leicht will sie es ihm nicht machen. Sie möchte künftig nicht auf ihre Freunde und auf ein wenig Spaß verzichten. Das wird sie ihrem Mann klarmachen, bevor sie sich auf ein neues Zusammenleben einlässt >Ich brauche noch etwas Zeit, und es muss sich wirklich einiges ändern, wenn wir wieder zusammenleben möchten <, sagt sie. Talheim deutet dies als Zusage. Er nimmt sich fest vor, künftig mehr auf die Wünsche und Bedürfnisse seiner Frau einzugehen. Als sie sich trennen, macht er einen glücklichen Eindruck. Er umarmt die Kinder und hält lange Amelies Hand.
Das ist das letzte Mal, dass Talheim seine Frau lebend sieht: Ein paar Tage später nimmt sie eine Einladung zum Segelfliegen an und verunglückt zusammen mit dem Piloten tödlich. Diesen Schicksalsschlag hat Talheim nie wirklich überwunden. Er redet sich ein, schuld an Amelies Tod zu sein. Wenn er sie nicht beleidigt hätte, wäre sie nicht mit den Kindern zu ihren Eltern geflüchtet, und sie hätte nicht an diesem Segelflug teilgenommen. Inzwischen glaubt er längst nicht mehr, einen Grund für seinen Verdacht zu haben. Sicher war der Klavierlehrer nur verschossen in seine schöne Frau und das, was er beobachtet hat, war der Ausrutscher eines Verliebten.