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Alexandras Leben ist beschaulich. Die Arbeitsbelastung neigt sich zusammen mit dem ersten Jahr bei ihrer neuen Stelle dem Ende zu und sie freut sich auf ein paar freie Tage, als das Glück bei ihr Einzug hält und sie den Jackpot im Lotto knackt. Was sich aber als Weg zur Sorglosigkeit anhört, birgt mehr Verantwortung, als sie gedacht hätte. Was macht man, wenn man plötzlich über Nacht mehrfache Millionärin wird? Und noch bevor sie wieder den Boden unter den Füßen spürt, bekommt die Presse einen Tipp und ihr Gesicht ist allgegenwärtig in den Nachrichten. Doch ein gutaussehender Rechtsanwalt eilt ihr zu Hilfe und schickt sie auf eine Reise quer durch Südeuropa. Auf ihrem Weg warten nicht nur neue Eindrücke und das lang ersehnte Urlaubsgefühl. Es ist eine Reise voller Begegnungen. Und so bleibt am Ende nur zu klären: Wenn Dir alle Türen offen stehen, für welche entscheidest Du Dich?
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Seitenzahl: 449
Veröffentlichungsjahr: 2018
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Hallo! Mein Name ist Alexandra Hofmann. Alex für meine Freunde. Und eigentlich bin ich ganz normal. Naja, zumindest war ich das mal, bis ich im Lotto den Jackpot geknackt habe. Auf einmal waren da 31 Millionen Euro auf meinem Konto. Das hat mich ganz schön umgehauen. Und gerade als ich es irgendwie geschafft hatte, den Schock zu verdrängen und zur Tagesordnung zurück zu kehren, lächelte ich mir eines Morgens selbst von den Zeitungen in meinem Lieblingskiosk entgegen.
Die Lottogesellschaft hatte mir sofort einen Anwalt zur Seite gestellt. Eddie. Eigentlich Eduard von Lichtenstein. Er hatte mich dann irgendwie davon überzeugt, das Land zu verlassen, bis Gras über die Sache gewachsen wäre. Da ich Flugangst habe, besorgten wir einen Camper und ich verließ innerhalb weniger Tage das Land in Richtung Südspanien. Und los ging es auf eine wundervolle Reise voller kleiner Abenteuer. Mit im Gepäck die Frage aller Fragen…
Was macht man mit 31 Millionen Euro?
Für alle Sekretärinnen und Assistentinnen. Für alle Träumer. Für alle, die dieses Buch gefunden haben. Für alle, die wie ich, mit Alex diese Reise antreten und sie begleiten. Für alle, die mein Leben mit mir teilen in Freude, in Leid und an allen anderen Tagen.
Sandra Meijer ist ein Kind der 80er Jahre. Sie wurde im Münsterland geboren und lebt bis heute dort. Bereits in jungen Jahren entdeckte sie das Schreiben für sich. Angefangen mit handgeschriebenen Geschichten in Schulheften, über Gedichte und Kurzgeschichten, bis hin zum Roman. Sie ist Sekretärin im Baugewerbe. Dort bereits viele Jahre erfolgreich tätig. Unter anderem war sie vier Jahre für ein Projekt in den Niederlanden.
Für Dich
Kapitel
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Es war einmal, an einem Freitag den Dreizehnten, als sich mein Leben für immer verändern sollte. Doch als an diesem besagten Morgen der Wecker klingelte, fühlte es sich an wie ein ganz normaler Tag. Wenn er auch, wie so oft in den vorherigen Monaten, viel zu früh begann.
Um 5:15 Uhr gab der Wecker in meinem Handy den eingestellten nervigen Piepston von sich. Doch ich war bereits wach. Zumindest halb. Müde streckte ich mich und kuschelte mich noch mal in die Decke, drehte mich auf die Seite und wischte auf dem Display nach rechts um den Alarm auszustellen.
Nach meiner Ausbildung hatte ich lediglich befristete Verträge ergattern können. Sobald ich irgendwie in einem Unternehmen angekommen war, ging es auch schon wieder weiter. Bis ich vor anderthalb Jahren über eine Zeitarbeitsfirma in einem Bauunternehmen angefangen hatte.
Nach sechs Monaten geriet das Unternehmen in eine Krise und wurde von einem großen Konzern übernommen. Ich hatte schon befürchtet, dass ich mich mal wieder auf die Suche nach einer neuen Arbeitsstelle machen müsste, doch stattdessen bot man mir einen unbefristeten Arbeitsvertrag als persönliche Assistentin für den neuen Geschäftsführer an. Und ich akzeptierte.
Seit dem war die Zeit nur so gerast und so sehr ich es auch genoss, endlich eine berufliche Heimat gefunden zu haben, meine Freizeit hatte arg darunter gelitten.
Johannes, mein neuer Chef, war Mitte 40 und damit um einiges jünger als unser früherer Geschäftsführer. Und er machte sich den Job nicht einfach. Er arbeitete viel, lange und hart, um das Unternehmen wieder in die schwarzen Zahlen zu bringen, den Respekt und das Vertrauen der Mitarbeiter zu erhalten und um seinen Vorgesetzten, dem Vorstand des großen Konzerns, zu beweisen, dass sie den Richtigen an diese Stelle gesetzt hatten. Und da er all seine Freizeit opferte, war das mit meiner eben auch eher mau. Denn, obwohl ich all diese lachhaften Vorurteile kenne, die es über Sekretärinnen und Assistentinnen gibt, sieht die Realität doch anders aus.
Machen wir uns nichts vor, das Klischee besagt doch, dass eine Sekretärin den ganzen Tag schnatternd an ihrem Computer sitzt und sich die Nägel lackiert. Dann ab und an dem Chef ein bisschen Kaffee holt und weiter schnattert. Doch in Wirklichkeit bist du als Sekretärin, oder Assistentin wie es heute heißt, ein Allrounder.
Du musst in allen Bereichen, die dein Chef bearbeitet, Bescheid wissen und möglichst immer auf dem Laufenden sein. Du musst an alles denken, was er eventuell vergessen könnte. Du musst seine Termine koordinieren und vorbereiten, die Zeiten im Auge behalten, Hotelbuchungen vornehmen und Abläufe organisieren. Nebenbei alle anfallenden Arbeiten erledigen, ihn bei Laune halten und unterstützen.
Und das Wichtigste von allem ist, genau zu wissen, was dein Chef benötigt und zwar zehn Minuten bevor er das weiß.
Aber genug der Lobeshymnen auf meinen Berufsstand.
Es war also an einem Freitagmorgen. Johannes hatte an diesem Tag DAS Meeting beim Konzern in Köln. Er musste Bilanzen und aktuelle Projekte vorstellen und seine Pläne für das kommende Jahr präsentieren. Es war also DER Tag, an dem der Vorstand genau wissen wollte, was der neue Geschäftsführer im Münsterland veranstaltete. Und es sollte vorläufig auch das Ende des Marathons sein, der die letzten zwölf Monate angedauert hatte.
Denn die Auftragsbücher waren gut gefüllt und die ersten internen Umstrukturierungen hatte Johannes bereits auf den Weg gebracht. Man konnte sagen, Herr Johannes Krämer, war angekommen und hatte die Zügel fest in der Hand.
Das alles hatte uns beide viele Nerven und vor allem viele Überstunden gekostet. Teilweise sogar bis spät in die Nacht. Doch letztendlich hatte es sich gelohnt. Denn ohne Veränderungen hätten wohl alle 354 Mitarbeiter unserer Firma keinen Job mehr gehabt.
Nur war ich mittlerweile auch am Ende meiner Kräfte angekommen. Doch wenn der Termin an diesem Tag erst einmal hinter uns lag, so hatte Johannes mir versprochen, würden wir den Sommeranfang ruhiger angehen lassen und eventuell auch mal wieder richtig Urlaub machen. Also quälte ich mich aus dem Bett und schlurfte unter die Dusche.
Dreißig Minuten später saß ich im Wagen auf dem Weg ins Büro. Ich ließ die Fensterscheiben meines geliebten alten Kleinwagens herunter und genoss die kühle Brise.
Das Wetter war in diesem Jahr besonders verrückt. Wir hatten Tage vollkommener Hitze, gefolgt von tagelangen Regenschauern. Und anschließend wieder Hitze. Für das kommende Wochenende waren mal wieder 30 Grad angekündigt. Ich war nur froh, dass es nicht wochentags so warm gewesen war, denn eine Klimaanlage gab es in unserem Büro nicht. Und so war es nicht auszuhalten, wenn die Temperaturen so hoch hinaus schossen.
Ich hielt bei meinem Lieblingszeitungskiosk an. Hatte die letzte Schachtel Zigaretten am Vorabend leer gemacht und brauchte für den Tag unbedingt neue.
„Guten Morgen Inge“, begrüßte ich die ältere Dame hinter der Ladentheke.
„Guten Morgen Liebchen. Du bist ja mal wieder früh dran. Das Übliche?“
Sie griff hinter sich in die Auslage und nahm zwei Päckchen meiner Marke heraus.
„Ja. Und natürlich einen Lottoschein. Schließlich haben wir heute wieder einen Glückstag.“
Obwohl ich nicht abergläubisch war, hatte ich diese Eigenart irgendwann aufgeschnappt und spielte an jedem Freitag den Dreizehnten Lotto.
„Ach ja. Schon der zweite dieses Jahr. Ich glaube es lohnt sich. Der Jackpot ist wieder mal ziemlich hoch. Viele Leute haben in den letzten Wochen gespielt.“
Sie reichte mir einen Schein und ich trug wahllos irgendwelche Zahlen ein. Ich schob ihr den Schein über die Theke, nahm die Zigaretten und zahlte beides.
„Ich wünsche Dir ein schönes Wochenende. Genieß das schöne Wetter.“
„Danke mein Liebchen. Das wünsche ich Dir auch. Mach nicht so lange heute.“
Um viertel nach sechs fuhr ich auf den leeren Parkplatz vor dem Büro. Ich stieg aus und zündete mir eine Zigarette an. So viel Zeit musste sein. Johannes würde in ein paar Minuten ebenfalls auftauchen, doch der Rest des Büropersonals kam gewöhnlich erst gegen halb acht, wenn der Büroalltag offiziell beginnen würde.
Dass ich die Erste morgens war, hatte sich mittlerweile eingespielt. Daher besaß ich einen der vier Generalschlüssel im Unternehmen. An der Eingangstür schaltete ich die Alarmanlage ab und warf die Zigarette, nur halb aufgeraucht, in den Aschenbecher. Auf dem Weg ins Büro kam ich an der Küche vorbei und stellte schon mal die Kaffeemaschine an. Auf meinem Schreibtisch lagen die letzten Änderungen für die Unterlagen von Johannes. Ich fuhr den Rechner hoch und arbeitete sie ein. Als der Drucker mit seinen Arbeiten begann, ging ich wieder in die Küche und holte zwei Tassen Kaffee. Zurück an meinem Arbeitsplatz stellte ich eine Tasse auf den Schreibtisch in Johannes Büro, das von meinem abging. Ich saß gerade wieder vor meinem Monitor, als er durch die Tür kam.
„Guten Morgen Alexandra. Schön, dass du schon da bist.“
„Guten Morgen Johannes. Kaffee auf dem Schreibtisch. Die Unterlagen werden gerade gedruckt. Sie sollten gleich fertig sein, dann binde ich sie und bringe sie Dir. Per Mail hast Du sie bereits erhalten.“
Er lächelte verschmitzt und legte sich theatralisch die Hand vor die Stirn. „Was würde ich nur ohne Dich machen? Dich schickt der Himmel!“
„Ja. Genau.“
Seine Gute Laune war ansteckend, auch mein Gesicht zierte ein Lächeln, „Du solltest dich spätestens um sieben Uhr auf den Weg machen. Brauchst du noch irgendwas?“
„Nein, Danke. Ich werde noch ein paar Mails bearbeiten und die restlichen Sachen einpacken.“, sprach‘s und verschwand in sein Büro.
Zwanzig Minuten später fand ich ihn in Gedanken versunken auf seinen Monitor starrend.
„Hier die Unterlagen.“
Ich legte ihm die Mappen auf den Tisch und nahm seine leere Tasse.
„Möchtest du noch einen?“
Er schüttelte nur den Kopf und sah nicht auf.
„Ist alles okay?“
„Ja. Nur der Termin.“
Er legte eine Pause ein und brachte seinen Gedanken zu Ende.
„Ich gehe alle Zahlen noch mal durch.“
„Die hast Du im Kopf. Mach Dir keine Sorgen, der Termin wird super laufen. Entspann‘ Dich.“
Er sah mich an.
„Ja, Du hast ja Recht.“
Achselzuckend sagte er: „Ansonsten musst Du Dir einen anderen Chef erziehen.“
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht.
Nun war ich es, die theatralisch die Hand vor die Stirn warf. „Oh nein!! Alles nur das nicht!!“
Wir lachten beide. Seine Augen bekamen wieder das Strahlen, das ich so an ihm mochte.
Johannes schaltete seinen Rechner aus und packte die Unterlagen in seine Tasche. In einer fließenden Bewegung stand er auf und nahm sie und sein Sakko, dass er über die Rückenlehne seines Stuhls gelegt hatte.
„Okay. Ich mach mich auf den Weg. Wenn ich fertig bin, rufe ich Dich an. Und wenn alles gut läuft, lade ich Dich heute Abend, zur Feier des Tages, zum Abendessen ein. Deal?“
„Ja. Deal. Ich reserviere uns schon mal einen Tisch. Irgendwelche Vorlieben?“
„Nein. Such‘ Du was aus.“
Er ging aus dem Büro, blieb jedoch in der Tür stehen und drehte sich noch mal zu mir um.
„Habe ich alles? Mir kommt es so vor, als hätte ich irgendwas vergessen.“
„Für den Termin hast Du alles, aber Montag ist Euer Hochzeitstag und du hast noch kein Geschenk. Aber keine Sorge, ich besorge nachher noch schnell was, bevor wir zu Abend essen.“
„Du bist wirklich spitze. Danke!“, strahlend nickte er kurz und verschwand dann.
Der Rest des Tages verlief schnell und stressig. Durch die Vorbereitungen für den Termin war viel liegengeblieben. Und so war ich an diesem Tag auch die Letzte als ich den Rechner um vier Uhr ausmachte und das Büro verließ. Eigentlich war freitags schon um Eins Schluss.
Ich fuhr in die Innenstadt und klapperte die Läden ab nach einem passenden Geschenk für den Hochzeitstag. Das waren immer die kniffligsten Aufgaben. Auch wenn sie offiziell, selbstredend, nicht in meiner Tätigkeitsbeschreibung standen, war es doch ein Teil davon geworden. Die Frau an Johannes Seite hieß Monique. Bevor sie aus Köln für den Job hierher gezogen waren, arbeitete sie halbtags in einer exquisiten Boutique an der teuersten Einkaufsmeile in Düsseldorf. Mit sowas konnte man hier im Münsterland natürlich nicht dienen, und so arbeitete bei den beiden eben nur ‚der Mann im Haus‘.
Mich faszinierte ihre Art. Sie war so vollkommen anders als ich und so fiel es mir oft schwer ihr die passenden Geschenke zu besorgen. Und Johannes war da keine große Hilfe.
Als ich mich gerade bei einem der exklusivsten Juweliere der Stadt beraten ließ, klingelte mein Handy. Ich entschuldigte mich bei der Verkäuferin und nahm den Anruf entgegen.
„Hofmann.“
„Hallo Alexandra! Johannes hier.“
Ich hörte schon an seiner Stimme, dass der Termin gut gelaufen war. Er klang entspannt und freudig.
„Hallo Johannes. Ich stehe gerade beim Juwelier wegen dem Geschenk, irgendwelche Vorgaben?“
„Nein, nein. Ich vertraue auf Dein weibliches Gespür. Bin auf der Autobahn auf dem Weg zurück, wo hast du reserviert?“
„Also haben wir beide noch einen Job?“
Die Verkäuferin sah mich stirnrunzelnd an.
„Absolut. Der Termin lief hervorragend. Ich erzähl Dir nachher alles. Muss noch ein paar Telefonate führen.“
„Okay. Ich hab zu sieben Uhr bestellt, bei dem Griechen an der Kolpingstraße.“
„Klingt gut. Ich fahre direkt dorthin. Bis gleich.“
Er legte auf und ich widmete mich wieder der Verkäuferin.
Eine halbe Stunde später verließ ich den Laden mit einem sündhaft teuren Armband aus Silber. Ich besorgte noch eine passende Karte und verbummelte die restliche Zeit damit, durch die Geschäfte zu stöbern, um mir ebenfalls etwas Gutes zu tun. In einem Buchladen wurde ich fündig.
Der neueste Bestseller-Roman. Vielleicht fand ich ja bald mal wieder Zeit, in Ruhe zu lesen, wo wir doch jetzt den Sommeranfang ruhiger angehen lassen würden.
An der Kasse zückte ich mit breitem Grinsen die Kreditkarte, die Johannes mir für die Geschenkeinkäufe gegeben hatte und mit der ich bereits das Armband bezahlt hatte.
„Bitte als Geschenk einpacken.“
Pünktlich um sieben saß ich im Biergarten des griechischen Restaurants. Man hatte uns einen Tisch unter einer Eiche reserviert. Und so saß ich geschafft von der aufkommenden Wärme und dem Stress der letzten Tage seufzend im kühlen Schatten. Der Laden war gut besucht und die Tische im Biergarten alle besetzt. Ich lehnte mich zurück und ließ den Blick über die anderen Gäste schweifen.
Einige Pärchen. Ein paar Freunde. Herren in Anzügen. Damen in Kleidchen. Aber auch in Jeans und T-Shirt. Ich sah an mir herunter. Mir lag noch nie viel an Mode und so sah mein Kleiderschrank wohl auch nicht wie der einer Geschäftsführer-Assistentin einer Bank oder Versicherung aus. Ich trug Jeans und ein kurzärmeliges Top, meinen Blazer hatte ich im Wagen gelassen. Keines meiner Kleidungsstücke trug einen hochtrabenden Markennamen.
„Darf ich Ihnen etwas zu trinken und die Karte bringen?“
Ein junger Kellner kam an meinen Tisch und zückte Stift und Papier.
„Bringen Sie mir bitte ein Glas Wasser. Die Karte bitte etwas später, ich erwarte noch jemanden.“
„Sehr gerne.“
Und er drehte sich um und ging zum Nebentisch, um die Bestellung dort aufzunehmen.
Johannes kam in den Biergarten und sah sich suchend um. Ich winkte ihm zu, er nickte und bahnte sich einen Weg zu mir. Nicht, ohne den Blick einiger der weiblichen Anwesenden auf sich zu lenken.
„Hey.“
Zur Begrüßung stand ich auf und er nahm mich zu meiner Überraschung kurz in den Arm.
„Hey Alexandra. Ich danke Dir! Ohne Dich hätte ich das nie hinbekommen.“
Eine leichte Röte schoss mir in die Wangen. Und ich war für einen Moment sprachlos angesichts dieser Geste. Doch Johannes ging nicht darauf ein. Er zog den Stuhl neben mir unter dem Tisch hervor und setzte sich. Ich tat es ihm gleich.
„Hast du schon bestellt?“
„Nein. Ich hab auf Dich gewartet. Erzähl. Wie ist es gelaufen?“
„Sehr gut. Die Besprechung begann um 10 Uhr und wir haben zunächst ewig über allgemeine Dinge und Abläufe im Konzern gesprochen. Nach dem Mittagessen war ich dann dran. Und ich habe meinen Vortrag gehalten. Die Unterlagen verteilt und die Zahlen erläutert. Und dann gab es diesen einen Moment. Als ich fertig war. Vollkommene Stille.“
Er legte ebenfalls eine Pause ein und ich hielt unbewusst den Atem an.
„Und dann applaudierten alle und der Vorstandsvorsitzende stand auf und gab mir die Hand, um mir zum erfolgreichen Jahr zu gratulieren. Das war ein tolles Gefühl.“
Er strahlte bis über beide Ohren.
„Und auch meine Vorschläge, wie wir den Arbeitsprozess eventuell noch ein wenig verbessern können, sind alle positiv aufgenommen worden. Sie haben alles akzeptiert und mir gesagt, sie lassen mir freie Hand.“
„Wow. Johannes, das ist ja super.“
„Ja. Das ist es. Und wir beide haben jetzt wirklich einen Grund zum Feiern.“
Er winkte den Kellner heran.
„Champagner?“, er sah mich fragend an.
„Nein, danke. Ich glaube nicht, dass die sowas hier haben, und ich muss noch fahren.“
Eine Stunde später saßen wir vor unseren leeren Tellern und waren in ein Gespräch über die anstehenden Arbeiten für die kommende Woche vertieft, als sein Handy klingelte. Er sah kurz auf das Display und nahm das Gespräch an.
„Hallo Schatz. Du, ich sitze noch mit Alexandra beim Essen. Ich denke, so in einer halben Stunde bin ich zu Hause.“
Ich hörte ihre Stimme am Telefon etwas antworten.
„Ja. Ist gut. Ich komme dann nach. Ich beeil mich.“
Er legte auf und sah mich an.
„Wir sind dann durch soweit, oder? Wir sollten langsam ins Wochenende eintauchen. Genug von der Arbeit.“
„Ja, fast. Ich hab noch was für Dich.“
Ich zog meine Tasche unter dem Tisch hervor und kramte die beiden Geschenke daraus hervor. Ich legte sie vor ihm auf den Tisch.
„Zwei Geschenke?“
„Ja. Das eine, ist ein sündhaft teures Armband, das Monique sicher sehr gefallen wird, vorausgesetzt, du vergisst es Montag nicht. Und das andere...“
Ich sah ihn vielsagend an und zog das eingepackte Buch mit der Fingerspitze ein Stück weit in meine Richtung.
Er lachte lauthals.
„Was bin ich doch für ein Charmeur. Selbstverständlich habe ich Dir auch ein Geschenk besorgt, für Deine gute Arbeit. Was schenke ich Dir denn?“
„Du schenkst mir ein Buch. Damit ich die versprochene freie Zeit in den nächsten Wochen sinnvoll nutzen kann.“, sagte ich schelmisch grinsend.
„Das ist gut. Seit ich Dich habe, mache ich lauter passende Geschenke. Nochmals danke für alles.“
Er winkte dem Kellner und bat um die Rechnung.
Das Wochenende flog nur so an mir vorbei. Ich hatte eine lange Liste mit Dingen, die ich zu erledigen hatte. Hausputz, Einkauf, die Wäsche, und, und, und.
Am Sonntag fuhr ich noch kurz zum Abendessen zu meinen Eltern und ehe ich mich versah, war auch schon wieder Montag.
Dieses Mal ging der Wecker erst um sechs Uhr. Doch für meinen Geschmack immer noch zu früh. Aufstehen. Duschen. Anziehen. Und ab ins Auto.
Trotz tropischer Temperaturen am vorherigen Tag war es kühl am Morgen. Es nieselte leicht und sah mal wieder nach einem Temperaturumschwung aus.
Um kurz nach halb sieben hielt ich vor dem Kiosk. Es war schon leichter Verkehr auf den Straßen und ein junger Mann verließ gerade den Laden. Er hielt mir lächelnd die Tür auf.
„Danke.“, nickte ich ihm zu und schon kam der Gruß der Ladenbesitzerin über die Theke.
„Guten Morgen Liebchen! Das Übliche?“
„Guten Morgen Inge. Ja. Aber gib mir nur eine Schachtel, bitte. Ich muss langsam mal runterfahren oder vermutlich besser noch ganz damit aufhören.“
„Aber doch nicht auf einem Montag, Liebchen.“, lachte sie.
Sie hatte irgendwie einfach immer gute Laune und ich fand es ansteckend. Am Montagmorgen keinem Muffel über den Weg zu laufen, war definitiv ein Plus.
Als ich mein Portemonnaie herauskramte um zu bezahlen, flog mir der Lotto-Schein entgegen.
„Oh ja. Und natürlich mein mega Gewinn.“
Ich legte ihn zusammen mit einem Fünf-Euro-Schein auf den Tisch.
„Hast du gewonnen?“
„Keine Ahnung. Hab die Ziehung nicht gesehen. Lass einfach mal durchlaufen, dann wissen wir mehr.“
Sie nahm den Schein und schob ihn in ein Lesegerät. Dann runzelte sie die Stirn und tippte irgendwas ein.
„Hm. Die gute Nachricht ist, du hast anscheinend gewonnen, aber ich kann es Dir nicht auszahlen.“
„Wieso nicht?“
„Hier steht, du musst den Antrag...“, sie begann in Schubladen zu wühlen. „Ah. Hier ist er.“
Es kam ein offiziell aussehendes Stück Papier ans Tageslicht.
„Also, den musst du ausfüllen und an die oben aufgedruckte Adresse schicken, siehst Du?“
Sie legte ihn vor mir auf die Theke und zeigte auf das bereits eingetragene Adressfeld.
„Aber wieso kannst Du es mir nicht auszahlen?“
Ich überflog das Papier.
„Naja, ab einer gewissen Summe bekommen wir eine Nachricht auf den Apparat und dann muss der Gewinner das bei der Lottogesellschaft anfordern.“
Mein Herz pochte. „Ab einer gewissen Summe?“
„Ja, Liebchen. Ich glaube ab tausend Euro oder so?“
„Heißt das, ich habe tausend Euro gewonnen?“
Sie zuckte mit den Schultern.
„Weiß ich nicht, Liebchen. Ich kann nur sehen, dass Du darüber liegst. Wie viel es genau ist, wird dann nicht mehr angezeigt.“
‚Wow! Tausend Euro!!‘ schoss es mir durch den Kopf.
„Soll ich mal die Zahlen vergleichen und schauen, wie viel es ist?“
Ich sah auf die Uhr. „Nein, ich muss langsam wirklich los. Dann lasse ich mich einfach mal überraschen.“
„Okay.“
Sie nahm die fünf Euro und gab mir den Lottoschein und die Schachtel Zigaretten.
„Dann mal einen schönen Montag, Liebchen.“
„Danke, den wünsche ich Dir auch.“
Ich verstaute alles in meiner Handtasche und fuhr zum Büro.
Mein Nacken hatte sich verspannt und ich legte meine Hand darauf als ich mich am späten Abend auf meinem Bürostuhl reckte. Ich war mal wieder die Letzte.
„So viel zum Thema wir arbeiten jetzt nicht mehr so viel.“, flüsterte ich mürrisch.
Draußen prasselte dicker Regen gegen die Fensterscheiben.
„Na toll. Jetzt werde ich auch noch pitschnass.“
Die letzten Dateien sendete ich noch per Mail an Johannes, der in Bonn bei Auftragsverhandlungen war. Da er dort auch am nächsten Tag sein würde, würde das dann zumindest ein ruhiger Tag. Vielleicht.
Als ich meine Sachen in meine Handtasche verstaute, fiel mir der Antrag auf Auszahlung des Lottogewinnes entgegen. Ich hatte ihn schon wieder total vergessen.
Augen rollend nahm ich einen Kugelschreiber und füllte die Felder aus. ‚Was für ein Aufwand für tausend Euro.‘ dachte ich und schweifte mit den Gedanken etwas ab, als ich überlegte, wie ich das Geld wohl anlegen würde. Eventuell mal ein paar neue Klamotten. Aber das Meiste würde ich an die Seite legen müssen, da ich langsam aber sicher für ein neues Auto sparen musste.
Seufzend kontrollierte ich noch mal meine Angaben, unterschrieb das Formular und zog aus meiner Schublade einen Umschlag und eine Briefmarke, die ich dort deponiert hatte.
Auf dem Weg nach Hause warf ich den Umschlag in einen Briefkasten.
Der Rest der Woche verflog nur so. Aufstehen, zur Arbeit fahren, viel zu lange arbeiten, abends ins Bett fallen und am nächsten Morgen von vorne.
Johannes hatte den Auftrag aus Bonn mitgebracht, sodass wir die Vorbereitungen für das Projekt treffen mussten. Es wurden erste Nachunternehmer zu Auftragsverhandlungen eingeladen, die Mitarbeiter eingeteilt und mit ihnen Vorbereitungsgespräche geführt.
Obwohl das Meiste von den Kollegen in den verschiedenen Abteilungen organisiert und ausgeführt wurde, war ich bei fast allen Besprechungen anwesend und versuchte den Überblick zu behalten. Denn Johannes war seit seinem Termin in Bonn wegen anderer Termine nur unterwegs und rief mich alle paar Stunden an, um sich auf dem Laufenden zu halten.
Obendrein stand für Freitag der kommenden Woche eine große interne Besprechung auf dem Programm, indem er die Ergebnisse von seinem Gespräch in Köln den Abteilungsleitern vortragen und nochmal einige Änderungen im Unternehmen ansprechen wollte.
Als ich Donnerstagabend gerade im totalen Chaos zu versinken drohte, klingelte mein Handy. Ich zog es unter einem Stapel mit Präsentationsunterlagen hervor. Eine mir unbekannte Nummer. Aus der Ortsvorwahl konnte ich erkennen, dass sie wohl aus Münster kommen musste.
Ich nahm den Anruf entgegen und klemmte das Handy zwischen Ohr und Schulter.
„Alexandra Hofmann.“, meldete ich mich dem Anrufer, während meine Finger weiter über die Tastatur flogen und die Mail formulierten, an der ich gerade gearbeitet hatte.
„Guten Tag, Frau Hofmann. Hier ist Gunter Langhaus. Ich arbeite für die Lottogesellschaft.“
„Guten Tag, Herr Langhaus, wie kann ich Ihnen helfen?“ Mit einem Knopfdruck auf ‚Senden‘ war die Mail raus und ich lehnte mich im Bürostuhl zurück, um mich auf das Gespräch zu konzentrieren.
„Zunächst einmal möchte ich Ihnen herzlich zu Ihrem Gewinn gratulieren.“
„Und dafür rufen Sie extra an?“
Ich war verwirrt.
„Wenn Sie das bei jedem machen, haben Sie aber viel zu tun.“
Der Mann am anderen Ende der Leitung hüstelte leicht.
„Nun Frau Hofmann, in Ihrem Fall machen wir gerne eine Ausnahme. Bei einer solchen Summe ist es üblich, dass wir uns melden.“
Ich runzelte die Stirn.
„Wieso? Wie hoch ist die Summe denn?“
Eine kurze Pause entstand. „Sie wissen es noch nicht?“
„Nein. Ich hatte noch keine Gelegenheit die Zahlen zu vergleichen. Und um ehrlich zu sein, fehlt mir jetzt gerade auch ein wenig die Zeit. Ich möchte also nicht unhöflich sein, aber wäre es möglich, dass Sie mir das Geld einfach auf mein Konto überweisen?“
„Das verstehe ich Frau Hofmann, ich würde Sie jedoch gerne persönlich treffen. Dies tun wir immer bei einem solchen Gewinn. Ich würde gerne ein paar Dinge mit Ihnen besprechen.“
Meine Aufmerksamkeit war längst wieder auf meinem Monitor, da eine weitere Mail mit Anweisungen von Johannes eingetroffen war.
„Ja. Okay. Wann denn?“
„Ich richte mich da ganz nach Ihnen, wann wäre es Ihnen Recht?“
„Morgen Nachmittag habe ich frei, dann könnte ich. Sagen wir um drei Uhr?“
„Ja, selbstverständlich gerne Frau Hofmann. Ich werde dann um drei Uhr bei Ihnen sein.“
„Ja. In Ordnung. Bis morgen dann.“
Ich legte auf, öffnete die Mail und las sie genauer durch. Am Ende der Mail angelangt stockte ich kurz.
„Bei mir?“
Ich sah nochmal auf das Handy. Ich suchte die Nummer aus meiner Anruferliste und gab sie in die Internetsuchmaschine ein. Ja, Herr Langhaus hatte offensichtlich tatsächlich von einer Filiale der Lottogesellschaft in Münster angerufen. Was ging hier eigentlich vor?
Ich wollte gerade die Nummern von der Samstagsziehung heraussuchen, als das Telefon auf meinem Schreibtisch klingelte. Diese Nummer erkannte ich sofort.
„Hallo Johannes. Ich habe Deine Mail bekommen.“
„Schön, können wir sie kurz durchgehen? Ich bin in fünf Minuten wieder im Meeting.“
„Ja. Sicher.“
Und schon war das vorherige Gespräch wieder vergessen.
Am nächsten Tag nahm Johannes den Stapel Papiere, die wir gerade durchgegangen waren und schlug sie mit der Unterkante zwei Mal auf den Schreibtisch, um sie wieder zu sortieren.
„Sehr schön Alexandra. Alles perfekt vorbereitet, wie immer.“
Er schenkte mir ein warmes Lächeln.
„Danke. Dann sind wir für diese Woche durch?“
„Ja. Gott sei Dank. Jede Woche so einen Marathon brauche ich wirklich nicht. All dieses Gefasel bei den Gesprächen.“
Er legte die Unterlagen an die Seite.
„Hattest Du nicht auch irgendeinen Termin?“
Ich sah auf meine Uhr, es war bereits zehn Minuten vor drei.
„Ach ja. Mist. Und ich bin spät dran.“
„Was war das nochmal für ein Termin?“
„Ich habe anscheinend im Lotto gewonnen und da kommt ein Mitarbeiter von der Lotterie vorbei. Keine Ahnung. Vielleicht hat er ja einen Koffer mit tausend Euro dabei.“
„Oder über dreißig Millionen. Der Jackpot wurde geknackt und sie rätseln, wer ihn wohl gewonnen hat. Lief in einer Tour in den Radionachrichten.“
Er lehnte sich im Stuhl zurück und hob die Arme hinter den Kopf. „Ich bin wirklich zu viel Auto gefahren diese Woche.“, er seufzte.
„Ja genau, ich habe den Jackpot gewonnen. Wie hoch waren noch mal die Chancen? Keine Ahnung. Vielleicht will er mir auch ein Abo verkaufen. Ich hoffe nur, ich werde ihn schnell wieder los. Im Moment will ich einfach nur auf die Couch. Genug für diese Woche.“
„Dann mal los. Je eher Du mit dem Gespräch beginnst, desto schneller ist er wieder weg.“
Ich stand auf.
„Ich wünsche Dir ein schönes Wochenende. Wir sehen uns am Montag.“
„Das wünsche ich Dir auch. Bis Montag.“
Und als ich schon aus dem Büro war, rief er mir hinterher. „Ach und wenn du doch die Millionen gewonnen hast, dein Job ist hier. Ohne Dich komme ich nicht klar, Alexandra.“
Amüsiert zwinkerte er mir zu. Ich musste grinsen. ‚Kleiner Schleimer‘ dachte ich. Doch seine Worte gingen runter wie Öl. Johannes war ein toller Vorgesetzter, er erwartete viel und forderte viel Einsatz, doch er war immer umgänglich und ließ mich wissen, wie viel ihm meine Arbeit bedeutete.
Leise pfeifend sammelte ich meine Sachen ein und machte mich auf den Weg nach Hause. Das erste Mal in dieser Woche nicht als Letzte.
Als ich auf den Parkplatz vor dem Wohnhaus fuhr, in dem meine Wohnung war, sah ich die fremde schwarze Limousine mit dem Münsteraner Kennzeichen sofort. Vor der Haustür wartete ein Mann in den Fünfzigern. Ich parkte meinen Wagen und stieg aus.
„Herr Langhaus?“, ich streckte ihm meine Hand entgegen als ich auf ihn zuging.
„Frau Hofmann, nehme ich an?“
Er nahm sie und schüttelte sie.
„Ja. Wollen wir nicht lieber irgendwo hingehen? Um die Ecke ist ein nettes kleines Café.“
„Nein. Es wäre besser, wenn wir das, was wir zu besprechen haben, unter vier Augen tun.“
Er sah mir beim Gespräch direkt in die Augen. Er hatte so eine ruhige Art an sich, dass ich mich keiner Gefahr wähnte. Also nickte ich nur und zog die Schlüssel hervor. In meiner Wohnung angekommen deutete ich auf einen Stuhl am Küchentisch.
„Würden Sie bitte Platz nehmen. Verzeihen Sie die Verspätung, kann ich Ihnen was anbieten?“
„Ein Glas Wasser wäre nett.“
„Selbstverständlich.“
Ich nahm zwei Gläser aus dem Schrank und holte eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank. Eines der Gläser stellte ich ihm hin und goss ein. Dann setzte ich mich ihm gegenüber. Mir fielen keine passenden Worte ein und so sah ich ihn nur erwartungsvoll an.
„Nun Frau Hofmann. Zunächst wäre es gut, wenn Sie mir ihren Personalausweis zeigen würden. Sie haben leider versäumt, eine Kopie mit dem Antrag zu senden.“
Stirnrunzelnd nahm ich mein Portemonnaie aus der Handtasche, die ich auf den Boden gelegt hatte. Ich zog meinen Ausweis hervor und legte ihn auf den Tisch. Er nahm seinerseits eine Aktentasche, die er bei sich getragen hatte, holte daraus einige Unterlagen hervor und eine Brille, die er sich aufsetzte.
Er studierte kurz meinen Ausweis, verglich ihn mit den Daten auf irgendwelchen Formularen und legte dann beides wieder vor sich.
„Schön. Das sieht alles sehr gut aus.“
„Wie viel habe ich denn nun gewonnen, dass Sie extra zu mir kommen?“
„Sie wissen es immer noch nicht?“
„Nun, ich habe gestern die Lottozahlen herausgesucht, aber leider habe ich den Lottoschein nicht kopiert, bevor ich ihn verschickt habe. Und da ich keine bestimmten Nummern gespielt habe...“
Ich zuckte mit den Schultern.
Er lachte ein leises, aber wärmendes Lachen. Wühlte dann in seinen Unterlagen und brachte, wie ich vermutete, meinen Tippschein zu Tage.
„Hier. Den werden Sie sicher behalten wollen.“
Er schob ihn über den Tisch zu mir herüber. Dann setzte er fort, und seine Stimme klang, als würde er das Folgende auswendig gelernt aufsagen.
„Sehr geehrte Frau Hofmann, es freut mich außerordentlich, Ihnen mitteilen zu können, dass Sie den Jackpot geknackt haben und somit nun mehrfache Millionärin sind. Um genau zu sein, nennen Sie nun etwas über einunddreißig Millionen Euro Ihr Eigen.“
Ich hatte ein Schluck Wasser genommen und verschluckte mich fast.
„Wie bitte?“
„Ihr Lottoschein hat die korrekte Zahlenfolge und die Superzahl, somit sind Sie die Gewinnerin des Jackpots. Und wie ich hinzufügen möchte, die wohl meistgesuchte Person in der Bundesrepublik derzeit.“
Er lächelte mich strahlend an.
Ich versuchte mich zu fangen.
„Ist das irgendwie ein Scherz? Versteckte Kamera oder so?“
„Nein Frau Hofmann. Das ist mein völliger Ernst. Und wenn sie mir nicht glauben sollten, wird Ihnen Ihr Bankkonto in etwa drei Stunden dies bestätigen.“
Mein Kopf war plötzlich wie leergefegt. Nur die Worte ‚einunddreißig Millionen Euro‘ hallten dort wieder und wieder unterstützt von lautem dröhnenden Wummern meines Herzens. Als ich plötzlich am ganzen Körper zu zittern begann.
Es war bereits weit nach elf Uhr abends. Der Qualm der gefühlten hundertsten Zigarette stieg langsam von meinem Mund zur Zimmerdecke. Und mein Blick folgte ihm. Ich hatte die Beine auf den Schreibtisch gelegt und mich auf dem Stuhl zurückgelehnt. Die Arme um mich geschlungen sah ich wieder auf die Zahlen auf dem Computerbildschirm. Und da waren sie.
Noch immer.
Ich starrte auf die Internetseite meiner Bank, welche mir meine Kontodaten anzeigte. Die Zahlen lachten mich freundlich an.
Mein aktueller Kontostand lag bei 31.351.124,73 Euro.
Mir drehte sich der Magen um. Nicht zum ersten Mal am heutigen Tage. Zum Glück hatte ich ihn im Zaun halten können, bis Herr Langhaus schließlich und endlich meine Wohnung verlassen hatte. Er hatte mir einiges an Lektüre und guten Ratschlägen dagelassen. Doch sobald die Wohnungstür ins Schloss gefallen war, entließ ich meinen Mageninhalt in die Toilette. Da ich allerdings lange nichts mehr zu mir genommen hatte, hatte sich mein Magen schließlich damit abgefunden nur noch zu rumoren und zu verkrampfen.
„Heilige Scheiße.“, flüsterte ich.
Ebenfalls nicht zum ersten Mal. Ich fühlte mich vollkommen außer Stande irgendwas zu tun. Mein Körper hatte durch die Aufregungen die weiße Fahne gehisst. Und so begnügte ich mich damit, dort zu sitzen und meinen Computermonitor anzustarren, auf der verzweifelten Suche nach einem vernünftigen Gedanken.
Als mein Handy dann in die schwere Stille seine fröhliche Melodie gab, um mir mitzuteilen, dass mich jemand sprechen wollte, zuckte ich zusammen. Ich sah auf das Display. ‚Mark ruft an‘ Ich nahm den Anruf sofort entgegen und ließ ein keuchendes „Endlich.“ als Begrüßung hören.
„Hey Süße. Was ist denn los? Du klingst ja völlig durch den Wind.“
Die vertraute Stimme meines besten Freundes löste die letzten Dämme und mir liefen dicke Tränen die Wangen herunter. Ich war außer Stande etwas zu sagen.
„Verdammt, Alex. Was ist los? Ich war noch auf einem Geburtstag und hab gerade erst gesehen, dass du angerufen hast. Was ist los? Geht es Dir gut?“
Ich hörte, dass er unterwegs war. Ich hörte die Geräusche des Motors seines Wagens. Und ich wollte nicht, dass er noch einen Unfall baute, also bemühte ich mich ruhiger zu werden und sagte: „Ja, Mark. Es geht mir gut, aber hast du einen Moment. Kannst du rechts ranfahren?“
Wieder überwältigten mich die Tränen.
„Ja klar, warte einen Moment.“
Ich drehte das Handy so, dass es weg von meinem Mund war und ich ihn doch hören konnte. Ich atmete ein paar Mal tief ein und aus. Wischte mir die Tränen vom Gesicht. Ich hörte wie er den Blinker setzte und langsamer fuhr. Er sagte nichts mehr. Schließlich verstummte sein Motor und er schaltete mich von der Freisprecheinrichtung auf das Telefon um.
„Okay Süße. Was ist passiert?“
Ich schniefte.
"Stell Dir vor, Du hättest einunddreißig Millionen Euro gewonnen beim Lotto, was würdest Du tun?“
„Was hat das denn jetzt damit zu tun? Süße, was ist los?“
Seine Stimme wurde energischer.
„Nein, ernsthaft. Was würdest Du tun?“
„Keine Ahnung. Eine riesige Feier vermutlich. Und mit meiner besseren Hälfte erst mal rund um die Welt. Bisschen was anlegen und den Rest des Lebens sorgenlos verbringen.“
Alleine seine Stimme zu hören, beruhigte meine Nerven. Ihm bei seiner Planung zuzuhören brachte mich sogar zu einem kleinen Lächeln. Ja, die Welt bereisen klang gut. Wenn man nur davon träumte und nicht plötzlich tatsächlich einunddreißig Millionen Euro auf dem Konto liegen hatte!
„Warum fragst Du?“
Ich seufzte, nahm einen tiefen Atemzug und sagte: „Weil ich einunddreißig Millionen gewonnen habe bei der Ziehung am letzten Samstag.“
„Du machst Witze.“
„Nein. Ist nicht meine Art.“
Ein kurzer Moment der Stille. Und es folgte ein „Ach, du heilige Scheiße.“ von ihm.
Wieder zauberte er ein Lächeln auf meine Lippen. „Ja. So kann man das auch sagen.“
„Aber das ist doch was tolles. Das ist der Hammer! Warum bist du so durch den Wind?“
„Weil es einfacher ist, sich vorzustellen man hätte plötzlich im Lotto die richtigen Zahlen, als sie dann tatsächlich zu haben. Ich habe überhaupt keinen Plan, was ich mit so viel Geld anfangen soll. Ich meine klar, das ist super und ausgesorgt und so... aber...“
Ich ließ den Satz offen. Um ehrlich zu sein, wusste ich nicht wie er weiter gehen sollte. Seit dem Anblick meines neuen Kontostandes war es so, als würde ich plötzlich eine riesige Last auf den Schultern tragen.
Wieso konnte ich nicht feiern, genießen? Das tun, was ich schon immer tun wollte?
„Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung, was ich mit all dem Geld anfangen soll. Es war nicht geplant. Ich hab mein Leben im Griff. Komme mit dem aus, was ich habe, auch wenn es manchmal etwas mehr sein könnte. Aber einunddreißig Millionen Euro!!“, ich versuchte meine Gedanken zu sortieren.
„Sie haben es in allen Nachrichten gebracht, die ganze Woche schon.“, meinte Mark leise.
„Ja. Das ist noch so ein Desaster. Was, wenn die rauskriegen, dass ich es bin. Dann belagern die mich doch.“
„Vermutlich. Und Du wirst sicher ein paar neue ‚Freunde‘ dazu gewinnen.“
Sein Einwurf war wie ein Tropfen, der in einen See fällt. Er zog Kreis um Kreis und wurde dabei immer größer.
„Scheiße.“
„Nein, Süße. Wunderbar. Du bist so ein guter Mensch und ich kenne kaum jemanden, dem ich es mehr gönne und dem ich zutraue, es genau richtig anzulegen.“
„Ich habe doch gar keine Ahnung von Bankgeschäften.“
„Nein, vielleicht nicht, aber du wirst was Gutes damit bewirken, das weiß ich.“
Mein Kopf war überreizt und wieder flossen leise die Tränen meine Wangen hinab. Doch nicht leise genug.
„Süße, Kopf hoch. Geh‘ ins Bett. Morgen ist ein neuer Tag. Und dann machst Du Dir Pläne. Wie wäre es zum Beispiel mal mit einem schönen langen Urlaub? Du bist seit Monaten gestresst und überarbeitet. Mal rauskommen würde Dir gut tun.“
„Und wo soll ich hin?“
„Dir steht die Welt offen. Du hast 31 Millionen Euro. Du kannst fahren wohin auch immer Du willst.“
Ich hörte das Lächeln in seiner Stimme.
„Danke Mark.“, sagte ich leise und nach einer Sekunde fuhr ich fort: „Ein Mitarbeiter von der Lottogesellschaft war heute da. Er meinte, ich solle es am besten niemanden erzählen. Zumindest nicht so lange ich mir nicht sicher bin, was ich damit anfangen will.“
„Das scheint mir ein guter Rat zu sein. Und wie gesagt, fahr mal erst runter. Geh ins Bett. Und wenn irgendwas ist, ruf an oder setz Dich ins Auto und komm her. Du bist bei uns jederzeit willkommen.“
„Danke! Und auch dafür, dass ich Dich habe und dass Du nicht gefragt hast, ob ich Dir was von dem Geld abgebe.“
Er lachte.
„Klar Süße. Immer! Und im Übrigen werde ich Dir meine Rechnung über hunderttausend Euro zukommen lassen.“
Sein Gesicht tauchte vor meinem inneren Auge auf. Mit diesem Strahlen, das ihm so stand. Auch wenn er nicht bei mir war, so konnte ich es doch am Klang seiner Stimme erkennen. Und ich hätte ihn drücken können.
„Bestell Simone bitte liebe Grüße von mir.“
„Das mach ich. Wie gesagt, wenn es Dir gut tun würde, dann komm vorbei. Wir haben immer Platz für Dich. Und jetzt geh ins Bett.“
„Ja, mach ich. Danke! Schlaf gut. Bis bald.“
„Bis bald Alex.“
Und wir legten auf.
Noch bevor ich einen weiteren Blick auf das Konto werfen konnte, nur um dann wieder durchzudrehen, loggte ich mich aus, schloss den Internetbrowser und fuhr den Rechner runter. Und mit dem dumpfen Gefühl eines leeren Kopfes und eines leeren Magens ging ich ins Bett und schlief einen traumlosen Schlaf.
Als ich am nächsten Morgen wach wurde, war es bereits nach elf Uhr. Und für einen kurzen wundervollen Moment hatte ich das Gefühl, dass alles einfach ein sonderbarer Traum gewesen wäre. Doch ein Blick auf mein Handy holte mich zurück in diesen Alptraum. Mark hatte mir eine Nachricht geschickt mit einem Link zu einer Nachrichtenseite.
„Guten Morgen Süße! Ich hoffe, Du hast ein bisschen geschlafen. Ja, Du bist immer noch Millionärin. Aber sei vorsichtig, wem Du es sagst, sie sind Dir auf der Spur. Melde Dich, wenn was ist. Ganz liebe Grüße von Simone.“
Ich drückte auf den Link und die Internetseite öffnete sich. In großen Lettern war dort zu lesen.
„Der Gewinner des Jackpots ist gefunden!“
Wieder rumorte mein Magen. Aber ich hatte beschlossen, dass wir da jetzt beide durch müssten. Also legte ich meine Hand auf den Bauch und las den Artikel durch.
„Aus nicht näher genannten Kreisen der Lotteriegesellschaft hört man, dass der Gewinner des Jackpots von letzter Woche Samstag gefunden und benachrichtigt wurde. Wie die Quelle, die unbekannt bleiben möchte, mitteilte, handelt es sich bei dem glücklichen Gewinner um eine Person aus dem Münsterland. Da es sich um nur eine Person handelt, die die korrekten Zahlen getippt hatte, darf sich diese Person über einen neuen Kontostand in Höhe von mindestens 30 Millionen Euro freuen. Wir gratulieren herzlich zum Gewinn und halten sie, treue Leser, selbstverständlich weiter auf dem Laufenden.“
Naja. Sie wussten nur, dass es eine Person aus dem Münsterland war. Und ich war nun wirklich keine Litfaßsäule. Sie würden vielleicht noch ein paar Wochen spekulieren und dann würde diese Nachricht von anderen Nachrichten übertroffen und vergessen werden.
Ich stand auf und ging zum Laptop. Während er hochfuhr, nahm ich mir aus dem Kühlschrank etwas Aufschnitt und machte mir ein Brot. Wieder vor dem Laptop frühstückte ich und suchte nach weiteren Artikeln.
Es gab einige mit ähnlichem Wortlaut. Aber alle hatten sich mit der Angabe ‚eine nicht weiter bekannte Person aus dem Münsterland‘ zufriedengegeben.
Zumindest etwas.
Ich öffnete erneut mein Onlinekonto und noch bevor mein Magen auch nur auf die Idee kommen konnte zu rumoren, tippte ich eilig eine Überweisung ein, mit der ich dreißig Millionen Euro auf mein Sparkonto buchte. Ich zweifelte erst, ob eine solche Überweisung überhaupt möglich sei, doch nach Eingabe der TAN Nummer überwies das Programm brav den größten Teil des Gewinns.
Nun standen ‚nur noch‘ etwas über 1 Million Euro auf meinem Tageskonto. Immer noch viel, aber es kam mir überschaubarer vor. Ich schloss das Internetprogramm und schaltete den Rechner aus. Zeit für einen Plan.
Eine halbe Stunde später saß ich ratlos über einem gähnend leeren Zettel am Küchentisch. Ich hatte nur ein paar Blumen auf den Rand gezeichnet und nicht das Gefühl, dass auch nur ein vernünftiger Gedanke meinen Kopf verlassen würde.
Was wollte ich? Was wollte ich jetzt anfangen?
Den Job kündigen? Verreisen?
Kann man überhaupt von 31 Millionen leben?
Ich erstellte eine kleine Rechnung auf dem Zettel. Mein Gehalt mal 12 mal 37.
Das wäre also, was ich an Gehalt bekommen würde, wenn ich die nächsten 37 Jahre, also bis 67 arbeiten würde. Da mein Kopf versagte zückte ich den Taschenrechner in meinem Handy. Die Zahl war beunruhigend.
Selbst wenn ich eine großzügige Gehaltserhöhung berücksichtigte und den Bruttolohn nahm, kam am Ende ‚nicht mehr‘ dabei rum als knapp anderthalb Millionen Euro. Also würde ich mit dem Geld leben können. Aber wollte ich das überhaupt?
Wieder begann mein Magen zu flattern.
Urlaub klang verlockend. Aber den Rest meines Lebens nie wieder arbeiten?
Ich nahm den Stift in die Hand und schrieb eine Pro-und-Contra Liste.
Das Schreiben beruhigte.
Es war als würde sich langsam und allmählich das Chaos in meinem Kopf lichten. Auch wenn ich schon beim ersten Pro wusste, dass das nichts war, was ich wirklich in Betracht zog. Mir bedeutete ein geregeltes Leben viel und auch mein Job machte mir Spaß. Und ich könnte diese Entscheidung später immer noch treffen.
Als die Liste fertig war umkreiste ich die Contra-Liste und blätterte zur nächsten Seite. Denn bei der Aufstellung war mir ein Gedanke gekommen.
‚Schulden abbezahlen‘ schrieb ich in die oberste Zeile. Ich notierte kurz die beinahe abgetragenen Schulden, die ich wegen meiner Wohnung hatte machen müssen. Doch ich war nicht die Einzige, die von diesem Gewinn profitieren sollte. Und so schrieb ich die Namen meiner Eltern darunter. Auch Marks Name landete auf der Liste. Und die Namen von ein paar wenigen weiteren engen Freunden.
Ich überflog noch einmal die Liste und beschloss, der Planung direkt Taten folgen zu lassen. Also holte ich mein Handy aus dem Schlafzimmer, um meine Eltern anzurufen und für den Abend zum Essen einzuladen.
Auf dem Display war ein Anruf in Abwesenheit vermerkt, eine Mobilnummer, die mir nicht bekannt war. Ich grübelte kurz, ob ich zurückrufen sollte, als das Handy wieder ging mit derselben Nummer. Ich nahm das Gespräch an.
„Hofmann.“
„Frau Hofmann, hier spricht Herr Langhaus. Es tut mir sehr leid, Sie an einem Samstag zu stören, aber ich weiß nicht, ob Sie heute Morgen bereits einen Blick in die Zeitung geworfen haben.“
„Ja. Das habe ich.“
„Okay. Es tut mir sehr leid. Wir haben noch nicht herausfinden können, wer die unbekannte Quelle ist, aber wir sind bereits verstärkt auf der Suche. Wir vermuten, dass sich ein Mitarbeiter für diese Information hat bezahlen lassen. Das kommt normalerweise nicht vor. Wir wissen nicht, welche Informationen dem entsprechenden Mitarbeiter zur Verfügung gestanden haben, aber die Wahrscheinlichkeit, dass er Zugriff auf Ihre Daten hat, sind sehr gering.“
Mein Herz begann zu klopfen. „Was bedeutet sehr gering?“
„Ich möchte Sie nicht beunruhigen. Aber ich werde mich schnellstmöglich darum kümmern und Ihnen weitere Informationen geben, wenn wir etwas herausgefunden haben.“
Ich verdrehte die Augen. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Aber wirklich was daran ändern konnte ich nicht, vermutlich genauso wenig wie Herr Langhaus.
„Okay. Bitte rufen Sie mich an, sobald Sie etwas Neues wissen. Sie können mich über meine Handynummer erreichen. Ich werde Ihre Nummer abspeichern.“
„Vielen Dank für Ihr Verständnis, Frau Hofmann. Ich melde mich bei Ihnen.“
Er legte auf.
Na toll, eine blödsinnige Floskel. Verständnis? Naja, das Kind war ja noch nicht in den Brunnen gefallen und wenn der Mitarbeiter meinen Namen gehabt hätte, hätte er ihn sicher gleich mit angegeben.
Ich speicherte die Nummer von Herrn Langhaus ein. Gerade als ich das Handy wieder weglegen wollte, erinnerte ich mich daran, was ich eigentlich vorhatte und wählte die Telefonnummer meiner Eltern.
Am frühen Abend holte ich sie ab und wir fuhren in eines ihrer Lieblingslokale. Wir setzten uns in den Biergarten. Lachten, aßen und tauschten die neuesten, naja bis auf eine, Informationen aus.
Als dann schließlich alle Teller wieder abgeräumt waren, herrschte plötzlich angespannte Stille. Ich ließ es einen Moment auf mich wirken und aus der Ruhe, die ich geschöpft hatte, erhob sich wieder das flaue aufgeregte Gefühl im Magen, das ich mittlerweile nur zu gut kannte.
Aus meiner Handtasche nestelte ich den ausgedruckten Artikel und legte ihn so auf den Tisch, dass die Schlagzeile über den Lottogewinner oben auf lag.
„Habt ihr das von dem Lottogewinn gehört?“
Die beiden sahen mich fragend an.
„Ja, klar.“, sagte meine Mutter „Ich habe es im Radio gehört.“
„Sag bloß, du hast gewonnen.“, lachte mein Vater. Meine Mutter sah mich neugierig an.
Ich holte tief Luft und sagte: „Ja. Genau das habe ich. Auf meinem Konto sind jetzt 31 Millionen Euro.“
Es laut auszusprechen machte es irgendwie nicht einfacher. Ich setzte mich auf. Mit einem hektischen Blick checkte ich die Umgebung. ‚Verdammt, wenn das jetzt einer gehört hat.‘ dachte ich. Doch die anderen Gäste im Biergarten waren bereits gegangen, oder in ihren Gesprächen vertieft. Na toll, jetzt bekam ich auch noch Verfolgungswahn.
„Ist das ein Scherz?“, fragte mein Vater.
„Nein. Ich fürchte das ist die Realität. Ich habe letzte Woche Freitag gespielt.“
„Stimmt. War ja der dreizehnte.“, murmelte er und nickte, während er einen imaginären Krümel von der Tischdecke zupfte.
„Ja. Genau. Und gestern kam dann ein Mitarbeiter von der Lottogesellschaft vorbei und überbrachte mir die frohe Kunde. Ich hatte es total vergessen und erst an einen Scherz geglaubt. Doch sie haben das Geld gestern Abend noch überwiesen.“
Eine schwere Stille legte sich über den Tisch.
Nach einer gefühlten Ewigkeit war es meine Mutter, die die Stille durchbrach. „Und was hast du jetzt vor, mit so viel Geld?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich habe keinen Schimmer. Mich hat das ganz schön umgehauen. Und ich muss mir da erst noch drüber klar werden. Aber eine Idee habe ich schon. Ich möchte meine Schulden abbezahlen. Und dann Eure.“
Wieder ließ ich ihnen einen Moment, um die Neuigkeiten zu verdauen. Dann nahm ich die Unterhaltung wieder auf.
„Ich möchte, dass diese Info erst mal unter uns bleibt. Mark, mein bester Freund, weiß es auch. Ansonsten denke ich, dass ich es erst mal für mich behalte. Ich muss nicht unbedingt eines Morgens mein Bild in der Tageszeitung entdecken. Also behaltet es bitte für Euch.“
Beide nickten gedankenverloren.
„Gut. Dann war es das erst mal. Wie schon gesagt, ich habe keinen Schimmer, was ich mit dem Geld anfange. Und da mich das selber gerade tierisch überfordert, wäre ich Euch dankbar, wenn wir das vorläufig nicht weiter thematisieren. Gebt mir einfach Eure Kontodaten und die Höhe Eurer Schulden, dann werde ich die schon mal bezahlen. Alles andere sehen wir dann.“
Ich fühlte mich gut. Etwas Sinnvolles und Gutes mit dem Geld getan zu haben. Auch wenn es natürlich noch nicht wirklich getan war. Aber mir schien es schon mal ein guter Anfang. Und Zufriedenheit legte sich über meine Aufregung.
Den Sonntag verbrachte ich mit Nichts-tun. Ich sah mir viele dieser nichts sagenden Serien im Fernsehen an und verschlief den halben Tag.
Am Montagmorgen war wieder Routine eingekehrt und ich hatte den Gewinn in eine der hintersten Ecken meiner Gedanken manövriert. Die übliche Hektik eines Montagmorgens im Büro half dabei ungemein.
Gegen Mittag kam Johannes zu mir und bat mich zu sich. Wir gingen die Wochenpläne durch und die letzten Details für die große Besprechung. Als ich meine Sachen zusammenpackte und aufstand fragte Johannes jedoch „Was ist eigentlich aus Deinem Termin am Freitag geworden?“
Ich erstarrte in der Bewegung. Soviel zu dem Plan, das alles vorläufig zu ignorieren. Ich war kein Typ für Geheimnisse und schon gar nicht vor Johannes. Der sah mich nur fragend an. Ich war kreidebleich.
„Ist alles okay, Alexandra?“
Ich ging zur Tür und schloss sie.
„Wow. Jetzt machst du mir Angst. Doch die Lottomillionärin?“, scherzte er.
„Ja.“, sagte ich tonlos.
Johannes richtete sich auf. „Das war ein Scherz.“
„Ja, ich weiß. Aber es ist leider tatsächlich wahr. Ich habe den großen Jackpot abgeräumt.“
Er ließ die Worte einen Moment sacken.
„Wow. Glückwünsche scheinen nicht angebracht.“
„Ich bin einfach total durcheinander. Ich weiß nicht, wie es jetzt weiter gehen soll und was ich damit anfange.“
„Verstehe.“, er faltete die Hände und legte sie an seine Lippen.
„Was denkst du?“, fragte ich.
„Du wirst nicht gehen, oder?“
„Nein. Vorläufig nicht. Zumindest nicht, wenn Du mich hier noch brauchst.“
„Machst Du Witze?“, er legte den Kopf schief.
Ja, das war definitiv auf der Contra-Seite.
„Hör zu, ich weiß nicht, was da gerade abläuft. Ich hab das selber noch nicht im Griff. Können wir einfach so weitermachen wie bisher? Die Arbeit lenkt mich ab. Das tut mir gut. Ich habe das Gefühl als überrennt mich das Ganze. Und die Routine hier und die Aufgaben helfen mir dabei, erst mal auf Kurs zu bleiben.“
„Willst Du ein paar Tage frei machen? Ich genehmige Dir den Urlaub sofort. Ich gehe wahrscheinlich auch ab nächster oder übernächster Woche für drei Wochen. Dann kannst Du Dir auch eine Auszeit nehmen.“
„Das ist nett Johannes, aber ich weiß wirklich nicht wohin und ob ich das möchte. Aber wenn du gehst, werde ich darüber nachdenken.“
„Okay. Dann reden wir darüber, wenn es soweit ist. Und bis dahin. Hopp, Hopp an die Arbeit junge Frau. Wir haben noch einiges zu erledigen.“
Lächelnd sah er mich an.
„Jawohl Chef.“
Ich salutierte kurz und ging wieder an meinen Arbeitsplatz.
Ab Donnerstag begann dann alles kompliziert zu werden. Ich hatte wieder mal keine Zigaretten und hielt beim Kiosk. Ein Typ, vielleicht sogar derselbe wie eine Woche zuvor, kam mir entgegen und hielt mir die Tür auf. Er sah mir verschlafen entgegen. Doch sofort kam Leben in ihn, als hätte er mich erkannt.
„Guten Morgen, schöne Frau. Darf ich Ihnen die Tür öffnen?“
Ich runzelte die Stirn. Zunächst einmal tat er das ja schon und zum anderen ‚schöne Frau‘? Ich meine, ich bin keine völlige Verunstaltung, aber an diesem frühen Morgen sicher auch keine Schönheit. Doch seine Schmeichelei verfehlte nicht mein Ego.
„Danke schön.“
„Sehr gerne. Hoffe wir sehen uns bald mal wieder.“
Ich ging verwundert rein, drehte mich noch mal zu ihm um, doch er war bereits verschwunden.
Als ich mich wieder zur Ladentheke wandte, wusste ich genau, warum er auf einmal so freundlich war. Fast auf sämtlichen Zeitungen prangte ein Bild von mir. Daneben in großen Lettern „Alexandra (30) ist unsere glückliche Lottoprinzessin!“
Auf einer Zeitung stand darunter noch: „Und sie ist noch zu haben.“
„Wie zum Teufel?“, rief ich.
„Guten Morgen, Liebchen. Herzlichen Glückwunsch!“, die Ladenbesitzerin strahlte mich mütterlich an.
Ich kochte vor Wut. „Morgen.“, knurrte ich. Studierte genauer die Zeitschriftenwand und nahm mir schließlich ein Exemplar.
Ich war gerade dabei den Artikel und die Fotos genauer zu studieren, als ein weiterer Kunde in den Laden kam. Beim Klingeln der Türglocke drehte ich mich zu ihm um. Ein junger Mann in Arbeiterklamotten. Er brauchte nicht lange, was nicht weiter verwunderlich war, war doch die komplette Wand hinter mir mit hübschen Bildern von mir gespickt.
„Ey cool. Bist du das auf den Bildern?“
Er zeigte mit dem Finger auf die Zeitschriften hinter mir.
Ich verdrehte die Augen. Legte die Zeitschrift auf die Ladentheke und sagte zur alten Dame. „Gibst Du mir bitte noch zwei Schachteln?“
Sie nickte nur und zog die Schachteln aus der Halterung. Genug Zeit für meinen neuen Fan, um sein Handy zu zücken und Fotos von mir zu machen.
„Hey! Krieg ich eins mit dir zusammen drauf?“
Er stellte sich schon in Pose für ein gemeinsames Selfie.
Ich versuchte ihn wegzuschieben, legte schnell Geld auf die Theke, griff nach der Zeitung und den Zigaretten und verließ so schnell wie irgend möglich den Laden. Begleitet vom klickenden Geräusch der Handykamera.
Als ich im Büro ankam war ich alleine. Und ich genoss die Stille. Mein ganzer Körper zitterte und ich hatte die ganze Fahrt bis hierher immer wieder in den Rückspiegel gesehen. Total bescheuert. Ich setzte mich an meinen Arbeitsplatz und holte die Zeitung aus meiner Handtasche.
Dieses Mal sah ich mir die Bilder genauer an. Es waren Aufnahmen vor einem Supermarkt, ich erinnerte mich daran, wie ich dort vor zwei Tagen einkaufen war. Und noch eines, wie ich gestern getankt hatte. Wieso hatte ich nicht bemerkt, dass man mich fotografierte? Und wieso war es sonst keinem aufgefallen?
Verdammt!
Ich nahm mein Handy aus der Tasche und wählte die Nummer von Herrn Langhaus.
„Guten Morgen, Frau Hofmann.“, begrüßte er mich.
„Guten Morgen, Herr Langhaus. Gibt es Neuigkeiten?“