James Bond 28: Operation Seafire - John Gardner - E-Book

James Bond 28: Operation Seafire E-Book

John Gardner

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Beschreibung

James Bonds Lizenz zum Töten wird erneuert – doch wie lange wird er überleben, um sie zu nutzen? James Bond ist wieder im Einsatz, mit der atemberaubenden Flicka von Grusse an seiner Seite. Sein Ziel ist Sir Maxwell Tarn, ein Geschäftsmann, dessen Imperium den ganzen Erdball umspannt und dessen Reichtum zu einem nicht unerheblichen Teil auf illegalem Waffenhandel beruht. Doch selbst Bond ist nicht darauf vorbereitet, wie schnell sich die Ereignisse überschlagen, als eine Geheimoperation in einem Hotel in Cambridge zu einem Attentat in Spanien und einer Neonazi-Verschwörung in Deutschland führt – bis er in Puerto Rico schließlich in eine Falle tappt. Kann 007 rechtzeitig entkommen, um Tarn aufzuhalten?

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INHALT

1.Die Caribbean Prince

2.Feuer unter Deck

3.Hoffnungsloses Unterfangen

4.Fürst der Finsternis

5.Wahrheit oder Pflicht

6.Rösselsprung

7.Mr Cuthbert und Mr Archibald

8.Boxwood

9.Die Wiege der Geschichte

10.Cathy und Anna

11.Trish Nuzzi

12.Ein furchtbarer Tod

13.Eine unvergessliche Verlobungsfeier

14.Ein rechtlicher Albtraum

15.Tarnenwerder

16.Tot oder lebendig

17.Arbeitsflitterwochen

18.Apokalypse

19.Ein alter texanischer Cowboy

20.Altertum und Moderne

21.Der Plan

22.Das U-Boot

23.In der Zwickmühle

24.SeaFire

25.Ritt der Walküren

26.Tränen auf seinen Wangen

Über den Autor

Für meinen guten Freund Richard Osterlind,der ein ebenso großer Bond-Fan istwie ich ein Fan seines unglaublichen Könnens.

Die Caribbean Prince

Das Kreuzfahrtschiff Caribbean Prince verließ St. Thomas auf den Amerikanischen Jungferninseln um kurz nach achtzehn Uhr. Seine Passagiere freuten sich auf zwei Tage auf See, bevor sie Miami erreichen würden.

Der Piratenüberfall ereignete sich während des Abendessens, kurz nach acht am selben Abend. Später behauptete die Reederei Tarn Cruise Lines Inc., die beteiligten Männer hätten sich in St. Thomas an Bord geschlichen und sich versteckt, bis die sehr wohlhabenden Passagiere des Schiffs mit dem Abendessen begonnen hätten. Der Rest ging schnell vonstatten. Zwei der Angreifer verschafften sich Zutritt zur Brücke und hielten dort den Wachoffizier des Schiffs und seine Männer mit Waffengewalt in Schach. Zwei weitere sicherten die Bereiche, in denen sich die meisten Besatzungsmitglieder während des Abendessens aufhielten. Die verbliebenen sechs Männer stürmten den großen Speisesaal. Ihre Gesichter waren hinter Skimasken verborgen und sie trugen Uzis und Pistolen.

Zwei der mit Uzis bewaffneten Banditen feuerten kurze Salven in die Decke – was Schreie der Damen und gemurmelte Proteste der Herren hervorrief –, während ihr Anführer laut rief, dass niemandem etwas zustoßen würde, solange sie genau das täten, was man ihnen sagte. Derselbe Mann begann sofort, sich einen Weg um die Tische zu bahnen und die Gäste aufzufordern, allen Schmuck abzunehmen und alle Wertsachen einschließlich der Portemonnaies aus ihren Hosen- und Abendhandtaschen zu holen. Alles wurde den Gästen abgenommen und in einen großen Plastikmüllsack geworfen, den der sechste Mann hielt. Es gab keinen Zweifel daran, dass die Angreifer es ernst meinten. Jeder, der sich weigerte oder versuchte, etwas zu unternehmen, riskierte den Tod.

Die ganze Operation wurde mit einer Ruhe und Voraussicht durchgeführt, die auf sorgfältige, militärische Präzision schließen ließ.

James Bond und Fredericka von Grüsse saßen auf der Backbordseite an einem Tisch für vier Personen – den sie mit einem angenehmen Börsenmakler im Ruhestand und seiner Frau aus New Jersey teilten. Als der Anführer und sein Helfer sie erreichten, hatte Bond Flicka bereits mit Blicken und Gesten ein Zeichen gegeben.

Die Frau des Börsenmaklers war der Hysterie nah, aber ihr Mann blieb ruhig und mahnte sie, einfach zu tun, was man ihr sagte. Das sorgte für eine kleine Verzögerung, die den bewaffneten Anführer noch aggressiver werden ließ, sodass er sich hinter Bond stellte und seine automatische Pistole in den Nacken des Agenten rammte.

»Wenn Sie alles haben wollen«, sagte Bond ruhig, »müssen Sie mich aufstehen lassen. Ich habe eine ziemlich wertvolle Taschenuhr an einer Kette, die ich nicht im Sitzen abnehmen kann.«

»Na, dann machen Sie schon. Aber schnell.« Der Anführer trat einen Schritt zurück, damit Bond seinen Stuhl zurückschieben und aufstehen konnte. Der Bewaffnete hielt seinen rechten Arm mit der Pistole ausgestreckt. Das war ein Fehler, denn eine goldene Regel besagte, dass man seine Waffe nie zu nah an der Person halten sollte, die man bedrohte.

Nur wenige konnten tatsächlich sehen, was Bond tat. Es ging so schnell, dass die meisten Gäste noch unruhiger wurden, weil sie dachten, dass die Männer mit den Uzis umgehend Vergeltung üben würden. Bond wirbelte außen an dem ausgestreckten Arm vorbei, den er mit beiden Händen packte und heftig herumriss. Er spürte, wie sein Rücken hart gegen den des Bewaffneten gepresst wurde, aber es bedurfte nur eines kurzen, heftigen Hiebs mit der rechten Handkante, um die Pistole zu greifen, die er Flicka fast lässig über den Tisch zuwarf. Dann wirbelte er wieder herum und verdrehte seinem Opfer mit der linken Hand den Arm auf den Rücken und zog ihn nach oben. Ein Schrei ertönte, gefolgt von einem unangenehmen Knacken, als der Arm brach. Bond legte seinen rechten Unterarm um den Hals des Anführers und drückte fest genug zu, dass dieser kurz davor war, das Bewusstsein zu verlieren.

Der Mann mit dem Müllsack ließ diesen fallen und griff nach der Waffe, die in seinem Hosenbund steckte. Bond war jedoch einen Tick schneller. Er ließ den gebrochenen Arm des Ganoven los und die linke Hand in seinen rechten Ärmel gleiten. Auf einer Reise wie dieser hatte er keine Schusswaffe dabei, aber er ging selten gänzlich unbewaffnet irgendwohin. An der Innenseite seines rechten Arms, hoch oben unter seinem Ärmel, war eine Scheide mit einem Applegate-Fairbairn-Kampfmesser befestigt. Obwohl sich dieses Messer von der Klinge her besser werfen ließ, hatte er keine Zeit für solche Feinheiten – er brauchte nur einen Sekundenbruchteil und das Messer lag in seiner Hand. Eine Viertelsekunde später flog es auf den Mann mit dem Müllbeutel zu. Fünfzehn Zentimeter scharfer, gehärteter Stahl bohrten sich in die Kehle des Mannes. Er war tot, bevor er überhaupt ins Schwanken kam.

Aus dem Augenwinkel sah er, wie einer der mit Uzis bewaffneten Männer auf dem Absatz kehrtmachte, die Mündung seiner Waffe hob und sie in seine Richtung schwang.

»James!«, rief Flicka, wobei sie die Pistole auf die Gefahr richtete. Die Waffe in beiden Händen feuerte sie zweimal. Als die Uzi aus den Fingern des Toten zu Boden glitt, rief Bond: »Das reicht. Ich will nicht, dass noch jemand verletzt wird, und ich werde Ihren Anführer töten, wenn Sie die Waffen nicht fallen lassen.«

Die übrigen drei Männer zögerten zehn Sekunden lang, bevor ihnen klar wurde, dass sie zwar einige der Menschen im Speisesaal töten konnten, aber niemals lebend hier herauskommen würden. Keiner von ihnen hatte damit gerechnet, dass dieser einfache Überfall so enden würde. Langsam ließen sie die Uzis fallen und hoben die Hände, als Flicka von Grüsse ihre Pistole langsam über die möglichen Ziele schwenkte.

Bond zog den Kopf des Anführers dicht an sich heran, sodass seine Lippen fast das Ohr des Mannes berührten. »Wenn Sie leben wollen, mein Freund«, flüsterte er, »sagen Sie mir lieber, ob noch andere Clowns an Bord sind.«

»Auf der Brücke und in den Mannschaftsquartieren«, krächzte der Mann in Bonds Würgegriff.

»Wie viele?«

»Vier. Zwei auf der Brücke und zwei unter Deck.«

»Gute Nacht.« Bond drückte fester zu und unterbrach die Blutzufuhr zum Gehirn seines Opfers, sodass der Mann bewusstlos aufs Deck sackte. Ein schneller Schlag in den Nacken versetzte ihn in Tiefschlaf.

Er verteilte die Uzis an den bestürzten Oberkellner und den Sommelier und überließ Flicka das Kommando, während er sich mit der Pistole des Mannes, der den Müllsack gehalten hatte, auf den Weg zur Brücke machte. Die beiden Männer, die die Geiseln dort festhielten, leisteten nicht allzu viel Widerstand. Sie hatten gedacht, sie hätten den leichten Job, und nicht mit der Härte gerechnet, mit der Bond auf sie losging – er schlug dem ersten bewaffneten Mann auf den Kopf und schoss dem zweiten ins Bein.

Die beiden Männer, die die Besatzung bewachten, wurden vom Kapitän der Caribbean Prince und zwei seiner Offiziere außer Gefecht gesetzt. Schließlich wurden die Toten in der kleinen Leichenhalle neben der Krankenstation aufgebahrt, während die Überlebenden in eine der beiden »Arrestkabinen« gesperrt wurden, die für gewalttätige oder aufmüpfige Besatzungsmitglieder vorgesehen waren. Diese beiden Kabinen hatten auf der Liste der Neuerungen gestanden, als das Schiff ein paar Jahre zuvor komplett überholt worden war.

In den frühen 1980ern war die MS Caribbean Prince eins der Flaggschiffe einer großen Kreuzfahrtgesellschaft gewesen und zwischen Miami und den in der Karibik verstreuten Inseln herumgeschippert. Mit einer Tonnage von etwa 18.000 Bruttoregistertonnen und einer Kapazität für siebenhundert Passagiere sowie einer Besatzung von vierhundert war sie ein beeindruckendes Schiff. Doch zu Beginn der 1990er wurde die Caribbean Prince zu einer Belastung. Mit dem Aufkommen der größeren Kreuzfahrtschiffe – diesen riesigen schwimmenden Hotels, die mehr als zweitausend Passagiere befördern konnten – war die Caribbean Prince wirtschaftlich nicht mehr rentabel. Es sei denn, man hatte den unternehmerischen Weitblick eines Max Tarn.

Tarn hatte die Caribbean Prince 1990 zusammen mit zwei anderen Schiffen ähnlicher Größe gekauft und eine umfassende Umgestaltung veranlasst. Dabei zielte er auf wohlhabende Passagiere als Zielgruppe ab, die sich danach sehnten, die Art von Kreuzfahrten zu erleben, von denen sie entweder gelesen oder die sie in den Tagen erlebt hatten, als Kreuzfahrten noch den Reichen und Berühmten vorbehalten waren.

Der Umbau und die Instandsetzung der Caribbean Prince hatten Millionen gekostet, aber die Arbeiten waren sorgfältig ausgeführt worden und hatten das Schiff in einen schwimmenden Art-déco-Palast verwandelt, der mit dem neuesten Komfort und Luxus ausgestattet war. Die Inneneinrichtung war praktisch in ihre Einzelteile zerlegt worden. Zuerst waren die Kabinen auf dem Hauptdeck und den beiden darunterliegenden Decks herausgerissen worden. An ihre Stelle waren eine Einkaufsmeile mit glitzernden Geschäften, ein neues Theater mit hochmoderner Ausstattung, ein Kino, ein wunderschöner Innenpool und Saunen getreten – passend zum neuen, vergrößerten Pool auf dem Sonnendeck – sowie vier luxuriöse Lounges.

Jetzt bot die Caribbean Prince nur noch Platz für etwa siebzig Passagiere, deren große und schöne Kabinen sich alle entlang des Promenadendecks erstreckten, wobei jede Kabine eine eigene kleine Suite war, komplett mit Badezimmer, das sowohl Dusche als auch Jacuzzi enthielt. In ihrem neuen, prächtigen Zustand stach die Caribbean Prince ab Dezember 1992 zu einer Reihe von vierzehntägigen Kreuzfahrten in See. Bis Ende Februar 1994 erwirtschaftete sie einen ordentlichen Gewinn, denn ihre Passagiere zahlten drei- bis vierhundert Prozent mehr als diejenigen, die ihren siebentägigen Urlaub auf den großen Schiffen verbrachten.

Tarn Cruise Lines hatte – wie die anderen kleinen und besonders exklusiven Kreuzfahrtgesellschaften, in die diverse Millionäre investiert hatten – einen riesigen Gewinn aus dem Unternehmen gezogen. Wie alles in der Geschäftswelt war es ein Glücksspiel gewesen, aber der berühmte Max Tarn hatte darauf gesetzt, dass es immer noch Menschen gab, die bereit waren, jeden Preis für eine andere – protzige – Art von Urlaub zu bezahlen.

Offensichtlich hatte das die Caribbean Prince zu einer lohnenden Zielscheibe gemacht. Passagiere dieser Art kamen mit einer Menge Wertsachen an Bord, manche brachten sogar kleine Vermögen mit, um sich als High Roller an den Glücksspieltischen zu versuchen.

Die Aufregung, die der versuchte Raubüberfall verursacht hatte, ebbte nicht so schnell ab. Diejenigen, die ihre wertvollen Juwelen, ihr Geld und ihre Kreditkarten abgegeben hatten, holten sich ihr Eigentum zurück und schon bald waren Bond und Flicka das Zentrum der Aufmerksamkeit. Sie hätten sich während des Rests der Reise in der Hauptbar umsonst betrinken können – doch leider gab es keinen Rest der Reise.

Feuer unter Deck

Die Explosion ereignete sich kurz nach elf. Sie riss zwei Hüllenplatten unter der Wasserlinie heraus, überflutete eins der Decks der Bordküche und forderte mehrere Verletzte.

Die Tatsache, dass die Caribbean Prince nicht sofort kenterte und sank, sprach für die Bauweise des Schiffs und die hohe Qualität der italienischen Werft, in der das Schiff 1970 vom Stapel gelaufen war.

Kurz vor dem Vorfall hatten sich James Bond und Fredericka von Grüsse von der Bar weggeschlichen, um etwas Zweisamkeit zu suchen.

Sie lehnten dicht an der Reling des Sonnendecks, umgeben von der tiefschwarzen Nacht, und beobachteten die schäumende Gischt des weißen Wassers, die das Schiff im dunklen Meer hinter sich herzog.

»Na, das war wenigstens mal eine Abwechslung.« Flicka lehnte ihren Kopf an seine Schulter. »Der alte Sir Max Tarn hat einen potenziellen Verlust mit viel Geschick in einen großen geschäftlichen Gewinn verwandelt, aber das wird seiner Publicity nicht gerade zuträglich sein.«

»Der Punkt ist«, sagte Bond leise, »dass Tarn zurecht davon überzeugt war, dass es immer noch Leute gibt, die viel Geld für exklusive Kreuzfahrten zahlen. Andere haben das auch schon versucht, aber ist dir aufgefallen, wie sorgfältig das Programm ausgewählt ist? Jeden zweiten Abend gibt es eine neue Show im Theater mit bekannten Entertainern und überall, wo wir waren, lag an diesem Tag kein anderes Kreuzfahrtschiff im Hafen – Jamaika, Curaçao, Venezuela, Barbados, Martinique, Puerto Rico, St. Thomas. Kein anderes Kreuzfahrtschiff in Sicht. Keine Touristenmassen …«

»James.« Sie hob eine Hand, um ihn zu unterbrechen. »James, wir haben in den Fortbildungen schon genug davon geredet und die Feinheiten der Ökonomie stehen dir nicht wirklich, Liebling.« Flicka drehte sich um und lächelte ihn an.

Die Fortbildungen, von denen sie sprach, hatten etwas mehr als ein Jahr in Anspruch genommen. Darunter waren so langweilige Themen wie Buchführung (mit besonderem Schwerpunkt auf Betrug), betrügerischer Währungsumtausch, Methoden zur Gewinnung von Finanzinformationen durch Offshore-Banking, Schmuggel und Geldwäsche, Verstöße gegen die internationale Rüstungskontrolle, die Überwachung des illegalen Waffenhandels in den 1990ern, die Rolle terroristischer Organisationen in Bezug auf Finanzen und illegale Waffentransporte sowie andere verwandte Themen wie Drogen- und Kunstschmuggel im großen Stil gewesen.

Die Offiziere des MI5 und MI6 jammerten über diese Unterrichtsinhalte, die so gar nichts mehr mit den Schulungen zu tun hatten, die sie während des Kalten Krieges absolviert hatten. Doch dann wurden sie schnell daran erinnert, dass der Kalte Krieg vorüber war. Jetzt befanden sie sich in einem Krieg, den man als »lauwarm« bezeichnen konnte: einem Krieg, in dem sogar ihre Verbündeten verdächtig waren und ihre ehemaligen Feinde wie Viren unter einem Mikroskop unter Beobachtung gehalten werden mussten.

Von den achtundzwanzig Männern und Frauen, die an den Kursen teilnahmen, wurden nur zwölf nach einer strengen Prüfung als geeignet eingestuft. James Bond war einer von ihnen, und zu seiner Freude gehörte auch Flicka zu diesen zwölfen.

Fredericka von Grüsse, ehemalige Agentin des Schweizer Geheimdiensts, hatte mit Bond an dem Fall um den berüchtigten David Dragonpol gearbeitet und beide waren dabei bei den Schweizer Behörden in Ungnade gefallen. Nachdem die letzten Punkte im Fall Dragonpol geklärt waren, war Bond daher ebenso überrascht wie Flicka gewesen, als M ihr eine Stelle im britischen Dienst angeboten hatte. Er war auch erstaunt über die herzliche Art, mit der M die Tatsache akzeptiert hatte, dass sie zusammenlebten. Letzteres war definitiv untypisch. Vielleicht, so dachten sie, versuchte der alte Mann verzweifelt, mit der Zeit zu gehen. Vielleicht klammerte er sich sogar an den Posten, den er innehatte, obwohl jeder wusste, dass seine Tage als Chef dieses Geheimdiensts gezählt waren.

Als die Fortbildungen abgeschlossen und die Umstrukturierungen in einer langatmigen Besprechung erläutert worden waren, hatten Bond und Flicka mit Ms Segen ein paar Wochen Urlaub genommen.

»Sie werden ihn gebrauchen können«, hatte ihnen der alte Chef mürrisch erklärt. »Wenn diese neue Doppel-Null-Abteilung richtig funktionieren soll, werden Sie vielleicht für lange Zeit keinen Urlaub mehr bekommen.«

Die neue Doppel-Null-Abteilung hatte keine Ähnlichkeit mehr mit der alten Abteilung dieses Namens, die einst die Lizenz zum Töten innegehabt hatte.

Die Null-Null-Abteilung, wie die neu organisierte Sektion genannt wurde, die nun unter Bonds Kommando stand, umfasste hoch qualifizierte Männer und Frauen, die sich mit Fällen von Verstößen gegen internationales Recht und Verträge befassten, die mit Geheimdienst- und Sicherheitsfragen zu tun hatten.

Die Null-Null-Abteilung konnte entweder vom MI5 oder vom MI6 oder sogar von der Polizei zu einem Fall hinzugezogen werden. Sie unterstand nicht ihrem alten Chef M, sondern einem Überwachungsausschuss, der den Namen MicroGlobe One trug und aus den Chefs des MI5 und MI6, ihren Stellvertretern, einem hochrangigen Commissioner der Polizei und einem neuen Staatssekretär bestand, der den hochtrabenden Titel des Staatssekretärs für verwandte innere und äußere Angelegenheiten trug – ein dämlicher Titel, der von der Presse mit viel Spott bedacht wurde. Niemandem war entgangen, dass diese relativ kleine Behörde im Grunde von der Regierung für die Regierung geführt wurde. Die Null-Null-Abteilung war – genau wie der MI5 und MI6 – keine überparteiliche Organisation, die vom Zentrum der politischen Macht unabhängig agierte.

Bond lächelte verlegen. »Da hast du recht, Flicka.« Er hielt sie fest und neigte sein Gesicht zu ihr, als wollte er sie küssen. »Aber du hast dieses bisschen extrateuren Luxus doch genossen, nicht wahr?«

»Natürlich. Das war eine gute Wahl, James. Ich hätte nichts dagegen, wenn unsere Flitterwochen genau so aussehen würden. Ich habe sogar das kleine Schauspiel heute Abend ziemlich genossen. Ganz wie in alten Zeiten.« Diese letzte Bemerkung machte sie mit einem Augenzwinkern.

»Apropos alte Zeiten, ich denke, wir könnten in unserer herrschaftlichen Kabine mehr Aufregung finden.«

»Mh-hm.« Sie nickte enthusiastisch.

Bond und Flicka wollten sich gerade auf den Weg zu ihrer Kabine machen, da erbebte das Schiff und bäumte sich auf, als die Explosion die Metallplatten an der Steuerbordseite durchschlug.

Das Deck kippte unter ihnen weg und Bond fluchte, als seine Füße den Halt verloren und er aus dem Gleichgewicht kam, während Flicka fast auf ihn fiel.

»Hat es dir auch den Boden unter den Füßen weggezogen?« Ihr blieb die Luft weg. »Was zum Teufel war das?«

Bond war wieder auf den Beinen, mit einer Hand hielt er sich an der Reling fest. »Weiß der Himmel. Komm mit.«

Das Schiff krängte nach steuerbord und der altbekannte Geruch von Sprengstoff war leicht auszumachen. Inzwischen ertönte die Schiffssirene, die alle Passagiere zum Verlassen des Schiffs aufrief – eine Übung, die sie zwei Wochen zuvor beim Verlassen des Hafens von Miami sorgfältig geprobt hatten

Die Schiffsmotoren waren ausgefallen, aber es war nicht einfach, sich an das schiefe Deck zu gewöhnen. Flicka warf ihre Schuhe von sich, als sie langsam zu ihrer Kabine auf der Backbordseite krabbelten.

Eine körperlose Stimme gab über das Bordsystem Anweisungen und im Hintergrund waren panische Schreie zu hören. Als sie zu der langen Reihe von Kabinentüren und großen, mit Vorhängen versehenen, länglichen Fenstern in den Deckaufbauten kamen, konnten sie andere Passagiere sehen, die versuchten, sich auf der schrägen Fläche des Decks aufrecht zu halten.

Die Notbeleuchtung, die innerhalb von Sekunden nach der Explosion eingeschaltet worden war, tauchte das Deck in ein gleißendes Licht. Neben der ersten Tür versuchte ein älterer Mann, seiner Frau zu helfen, die auf dem Deck lag und jämmerlich wimmerte. Bond ging sofort zu ihr, wies den Ehemann an, die Rettungswesten aus der Kabine zu holen, und bedeutete Flicka, dasselbe zu tun.

Die ältere Frau hatte sich offensichtlich den Arm verletzt – vermutlich war er gebrochen – und einen Moment später erschienen zwei Schiffsoffiziere, die an die Kabinentüren hämmerten und alle Passagiere aufforderten, sich bei den Rettungsbooten einzufinden.

Bond wurde angewiesen, einem Besatzungsmitglied zu helfen, das sich an der Tür einer Kabine zu schaffen machte, von der man befürchtete, dass die Passagiere darin irgendwie gefangen waren, in Angst und Schrecken erstarrt. Als er einem weiteren Passagier helfen wollte, sah er ein tödliches Auflodern aus dem vorderen Niedergang.

»Zu den Rettungsbooten!«, schrie er, griff nach dem nächstbesten Feuerlöscher, schlug die Düse gegen eine der Stützen und richtete den Schaum auf die Flammen, die wie schreckliche Klauen nach oben schossen.

Ein weiterer Schiffsoffizier schloss sich diesem Kampf an, den sie schnell verloren. Bond krabbelte nach achtern, schleppte einen weiteren Feuerlöscher zum Niedergang und sprühte erneut Schaum auf die Flammen, während er im Hintergrund hörte, wie die Rettungsboote zu Wasser gelassen wurden. Gleichzeitig hörte er, wie Leute ihm zuriefen, er solle das Schiff verlassen, aber er war bereits dabei, den leeren Feuerlöscher beiseitezuwerfen und sich auf die Suche nach einem dritten zu machen.

Er war kaum zwei Schritte gegangen, als er ein gewaltiges Auflodern hörte und eine Hitzewelle am Rücken spürte. Als er sich umdrehte, sah er, dass der Offizier, der neben ihn das Feuer bekämpft hatte, in Flammen gehüllt war, die aus den unteren Decks schlugen. Der Mann war zu einer schreienden, wandelnden Fackel geworden und kämpfte sich zur Reling des Schiffs vor, fiel aber, bevor er sie erreichen konnte. Bond streifte sein Jackett ab und eilte zu dem todgeweihten Mann. Er schlug mit dem vor Kurzem noch so eleganten Smoking auf das Feuer ein, aber es war zu spät. Die Flammen hatten sich in den Körper des Mannes gefressen und seine Schreie waren verstummt.

Bond spürte jetzt die Auswirkungen der Flammen und des Rauchs am eigenen Leib. Sein Atem ging schwer und er wusste, dass die Hitze und der Rauch ihn überwältigen würden, wenn er noch länger an Bord blieb.

Er stürzte auf die Schiffsreling zu, kletterte darüber, sprang ins Wasser und schwamm sofort auf das nächste Rettungsboot zu.

Der Steuermann eines der Rettungsboote entdeckte Bond im Wasser und wendete in einem sehr couragierten Manöver zum havarierten Schiff zurück, um Bond aus dem Wasser zu ziehen. Sobald er an Bord war, suchte er nach Flicka und fand sie zu seiner Erleichterung in einer Ecke des Boots hockend.

Die Rettungsboote waren von straffen orangen Planen umgeben, die über ein Leichtmetallgerüst gespannt waren. Glimmerplatten schützten den Steuermann und dienten als Lichtquellen an den Seiten. Das Boot, das Bond gerettet hatte, trug etwa vierzig Personen – Passagiere und Besatzung – und kaum war es auf dem Wasser, wurde den Überlebenden bewusst, dass das Meer weniger freundlich war, als es an Bord der Caribbean Prince den Anschein gehabt hatte. Das Rettungsboot schaukelte und schwankte, als es sich mit seinem leisen, fast dumpf brummenden Motor durchs Wasser pflügte.

Als er einen Blick durch eine der vorderen Windschutzscheiben warf, konnte er zwei andere kleine Boote in der Nähe erkennen und erhaschte einen Blick auf das Kreuzfahrtschiff, das rundum erleuchtet war, aber gefährlich kopflastig zu sein schien und in Flammen stand, die mindestens einen Mann das Leben gekostet hatten.

Hinter ihm kümmerte sich ein Sanitäter um die ältere Frau, die vor ihrer Kabinentür gestürzt war. Sie stöhnte immer noch vor Schmerzen, also machte sich Bond auf den Weg nach hinten, um zu sehen, ob er irgendwie helfen konnte.

»Ein gebrochener Arm, eine gebrochene Schulter und vielleicht auch ein gebrochenes Bein«, sagte der Sanitäter mit einem deutlichen skandinavischen Akzent.

»Wissen wir schon, was passiert ist?«

»Sie ist gestürzt.«

»Nein, die Explosion. Wissen wir, was die Ursache war?«

Der Sanitäter zuckte mit den Schultern. »Ein Offizier meinte, es sei ein mechanisches Problem gewesen. Mit den Maschinen. Eine Explosion in den Maschinen. Das ist noch nie passiert. Es könnte aber auch sein, dass diese Ganoven Sprengstoff gelegt haben, den sie zünden wollten, nachdem sie sich aus dem Staub gemacht hatten.«

Durch eins der Bullaugen in der Glimmerplattenverkleidung sah er die Caribbean Prince treiben, deren Lichter und das Feuer einen unheimlichen Schein über das Wasser warfen.

Unpassenderweise murmelte eine ältere Frauenstimme: »Was für eine Stromverschwendung. Man sollte meinen, sie hätten die Lichter ausgeschaltet, als wir von Bord gegangen sind.«

»Das ist noch nie passiert«, wiederholte der Sanitäter, als könnte er kaum glauben, dass es jetzt passiert war.

Nein, dachte Bond. Nein, das war wirklich noch nie passiert und war sicher kein Problem mit den Maschinen gewesen. Im Laufe der Jahre hatte er ein Gespür für bestimmte Gerüche entwickelt, und bei diesem war er sich sicher. Während er das Feuer bekämpft hatte, war seine Nase vom Geruch von Sprengstoff erfüllt gewesen.

Der gleiche Geruch von Sprengstoff und der Gestank von Rauch umgab sie auch noch um halb sechs morgens, als er neben Flicka von Grüsse an der Reling eines der größeren Kreuzfahrtschiffe stand. Mehrere Schiffe – darunter zwei der gigantischen Passagierliner einer anderen Reederei – waren zu dem leckgeschlagenen Schiff geeilt. Die Passagiere waren von den beiden größeren Kreuzfahrtschiffen gerettet worden, und jetzt, in der Morgendämmerung, lagen andere Schiffe abseits vor Anker, während zwei Schiffe der US-Marine, die das Feuer gelöscht hatten, versuchten, die Caribbean Prince ins Schlepptau zu nehmen, um sie im Wasser zu stabilisieren.

»Der Geist der vergangenen Weihnacht«, murmelte Flicka und warf Bond einen fragenden Blick zu.

Er nickte geistesabwesend, doch er wusste, was sie meinte: die Stoppeln an seinem Kinn, das zerzauste Haar, die schlecht sitzende Jeans und das Jeanshemd, die sie als Ersatz für seine durchnässte Kleidung gefunden hatten. »Du selbst siehst auch nicht aus wie aus einer Modezeitschrift.« Noch während er das sagte, dachte Bond, dass das nicht ganz richtig war. Selbst ohne Make-up und obwohl das weiße Abendkleid von Bill Blass – mit einem gewagten Schlitz fast bis zum linken Oberschenkel – sich in einem ähnlichen Zustand wie seine eigene Kleidung befand, gelang es Flicka von Grüsse, umwerfend auszusehen. »Mädchen meiner Träume« nannte er sie oft. Die Ereignisse der letzten Stunden schienen sie kaum berührt zu haben. In ihrem jetzigen, zerzausten Zustand hätte sie einen Empfang für die königliche Familie besuchen können und hätte mit ihrer Eleganz und Ausstrahlung immer noch für Aufsehen gesorgt.

Doch der anhaltende Geruch der Katastrophe lenkte seine Gedanken wieder ab. Es waren keine Schüsse gefallen, es hatte keinen unmittelbaren Angriff gegeben und doch hatte er das Gefühl, dass die Sabotage der Caribbean Prince ein kriegerischer Akt gewesen war. Die wahrscheinlichste Erklärung war die des Sanitäters – dass die Ganoven, die versucht hatten, die Passagiere zu berauben, Sprengladungen angebracht hatten, die explodieren sollten, nachdem sie das Schiff verlassen hatten, wahrscheinlich in einem der Rettungsboote oder sogar in einem Boot, das sie als Teil ihres Plans vorbereitet hatten.

Später würde er anmerken, dass der Vorfall auf dem Kreuzfahrtschiff der wahre Anfang der Gefahren war, die in den nächsten Monaten auf ihn zukommen sollten. Immer noch konnte er die Stimme des Kapitäns hören, der über die Lautsprecher den Befehl gab, von Bord zu gehen, während er vor seinem geistigen Auge den Anflug von Angst in den Gesichtern der Offiziere und der Besatzung sah. In vielerlei Hinsicht waren die Ereignisse sinnbildlich für sein Leben. Nachdem er jahrelang in seinem alten Geheimdienst seinem Land gedient hatte, hatte Bond das Gefühl, nun das sinkende Schiff zu verlassen, indem er das Kommando über die Null-Null-Abteilung übernahm.

Hoffnungsloses Unterfangen

Das neue Hauptquartier von Bonds Null-Null-Abteilung war ein schönes georgianisches Haus am Bedford Square. Es war ein trügerisch ruhiger Ort, nur drei Minuten Fußweg von der belebten Oxford Street entfernt, und sein Büro bot einen schönen Blick auf das, was einst die Wohnsitze der Wohlhabenden gewesen waren. Eingezäunt in der Mitte des Geländes standen Bäume, die die Jahreszeiten widerspiegelten. Das Viertel hatte verschiedene Phasen durchlaufen, von der Opulenz der Einfamilienhäuser über die Umwandlung in Wohnungen bis schließlich zur Umgestaltung in Büros.

Er hatte seinen neuen Posten mit zehn Tagen Verspätung angetreten, da vor ihrer endgültigen Entlassung nach der Rettung noch endlose Formalitäten zu erledigen gewesen waren. Weitere Zeit wurde durch die Befragungen durch das FBI und die Strafverfolgungsbehörde der US-Marine im Zusammenhang mit dem versuchten Überfall in Anspruch genommen, während er außerdem bei der gerichtsmedizinischen Untersuchung zum Feuertod des jungen Offiziers – Mark Neuman – aussagen musste. Zehn Tage konnten sowohl in der Politik als auch im Schattenreich der Geheimdienste eine lange Zeit sein. So wurden Bonds erste Wochen als Direktor der Null-Null-Abteilung zu Stunden und Tagen voller Papierkram und der Art von Verwaltungsarbeit und organisatorischen Sitzungen, die er am meisten verabscheute – ständige Besuche bei nutzlosen Meetings von MicroGlobe One.

Er hatte jedoch die Gelegenheit, die verschiedenen vertraulichen Berichte über die Explosion auf der Caribbean Prince durchzusehen, denn diese gingen automatisch über seinen Schreibtisch, zusammen mit kryptischen Memos über Sir Max Tarn, den Chef von Tarn Cruise Lines, Inc. und Dutzenden anderen Unternehmen in London, Paris und New York.

Bond konnte nur vermuten, dass irgendjemand, möglicherweise die Polizei oder der MI5, den legendären Tarn genau unter die Lupe nahm, denn die Memos kamen in einem beständigen Strom, begleitet von den neuesten Theorien über den Beinaheuntergang der Caribbean Prince – die von Plastiksprengstoff, der von den Möchtegerndieben gelegt worden war, bis hin zu Spuren dessen reichten, was nach Meinung einiger Experten ein Sprengstoff sein könnte, der schon seit kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr erhältlich war.

Ein hochrangiger US-Marineoffizier, ein Experte für durch Waffen verursachte Schäden, hatte einen pointierten, dreiseitigen Bericht verfasst, in dem es hieß, dass die Form und der Zustand des großen Lochs, das in die Seite der Caribbean Prince gesprengt worden war, und das daraus resultierende Feuer mit der Art von Schäden übereinstimmten, die durch einen alten und möglicherweise instabilen Torpedo verursacht würden.

Diese letzte Möglichkeit würde wohl niemand ernst nehmen. Natürlich nicht, dachte Bond, als er mit wachsendem Unglauben feststellte, dass die US Navy die Karibik sowohl zu Wasser als auch aus der Luft mit U-Boot-Jägern abgesucht hatte. Seit dem Bombenanschlag auf das World Trade Center im Jahr 1993 hatten die amerikanischen Streitkräfte eine fast ungewöhnlich schnelle Reaktion entwickelt, wenn es um mögliche terroristische Aktivitäten ging.

Nachdem der Vorfall mit der Caribbean Prince neun Tage lang Aufsehen erregt hatte, schien sich die Angelegenheit bald zu einem weiteren dieser seltsamen Rätsel zu entwickeln, wie die Ereignisse im Bermudadreieck oder das Geheimnis der Marie Celeste. Es war nur noch eine unangenehme, frustrierende Erinnerung für Bond und Flicka, als er am Morgen des 8. April zu einem plötzlichen und unerwarteten Treffen mit MicroGlobe One einberufen wurde, seinen Herren und Meistern.

Der Anruf kam gegen Mittag und er wurde gewarnt, dass das Meeting wahrscheinlich länger dauern würde. Es war ein Freitag und diese Nachricht trug nicht dazu bei, seine Laune zu verbessern, denn er hatte ein langes Wochenende mit Fredericka in Cambridge geplant, einem ihrer Lieblingsorte. Als er sich auf den Weg zum Innenministerium machte, wo das Treffen stattfinden sollte, überlegte Bond, dass Flicka zum Glück ein Profi war und verstand, wie diese Dinge funktionierten. Viele seiner ehemaligen Freundinnen und Liebhaberinnen waren von plötzlichen dienstlichen Verpflichtungen abgeschreckt worden.

Er machte keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen Ausschüsse. Seine ganze Ausbildung und Erfahrung sagten ihm, dass Ausschüsse viel Zeit vergeudeten. Außerdem waren sie berüchtigt dafür, dass geheime Informationen nach außen sickerten.

Der kleine Besprechungsraum im Innenministerium hatte die Atmosphäre eines privaten Clubs: ein langer Tisch, der Duft von Bienenwachs, bequeme Sessel und alte, fast kitschige Gemälde mit Szenen aus dem englischen Landleben, dazu die obligatorische Darstellung Ihrer Majestät am hinteren Ende.

Sein erster Eindruck war, dass dieses außergewöhnliche Treffen auf Drängen des Vertreters der Polizei einberufen worden war – ein kleiner, glatzköpfiger Commissioner namens Claude Wimsey, was seine Freunde und Kollegen zum Anlass nahmen, ihn wie den alten Romandetektiv Lord Peter zu nennen. Heute jedoch spürte er, dass unter der Oberfläche im Besprechungsraum noch etwas anderes brodelte: ein Gefühl der Besorgnis und der unterschwelligen Dringlichkeit, das sich in der Atmosphäre im Raum und den verstohlenen Blicken, die zwischen den Ausschussmitgliedern hin und her gingen, deutlich bemerkbar machte.

Der Staatssekretär rief die Versammlung zur Ordnung und forderte Wimsey auf, die Lage zu erklären, was dieser klar und knapp tat, wie er es sicher von seinen Aussagen vor dem Polizeigericht gewohnt war.

»Sir Maxwell Tarn«, begann er, als würde allein der Name schon Aufmerksamkeit erregen. »Wie die meisten von Ihnen wissen, gehen wir seit einiger Zeit Informationen aus dem Geschäftsimperium Tarns nach. Tarn und seine Frau stehen unter ständiger Beobachtung und wir haben jetzt Grund zu der Annahme, dass er hinter einer Reihe von Scheinfirmen auf der ganzen Welt steht, die mit illegalen Waffen handeln.«

»Davon höre ich zum ersten Mal«, knurrte Bond kaum hörbar.

»Wir gehen immer noch nach dem Prinzip vor, nur relevante Informationen zu teilen.« Der Staatssekretär warf ihm einen kalten Blick zu.

»Ich habe ihnen letzte Woche gesagt, dass man Sie früher hätte einweihen sollen«, sagte M, der wie aus einem tiefen Schlaf erwacht zu sein schien.

»Bitte.« Der Staatssekretär lief vor Verärgerung rot an. »Sie wissen so gut wie ich, dass Captain Bond alle Hände voll zu tun hat, seit er die Null-Null-Abteilung übernommen hat. Er wurde aus Rücksicht auf seine Arbeitsbelastung nicht in die ursprünglichen Besprechungen einbezogen.«

»Zumindest sollte Wimsey ihm sagen, wer den Stein ins Rollen gebracht hat. Wir wollen den Mann nicht im Dunkeln lassen.«

Der Staatssekretär seufzte und Wimsey blätterte in seinen Papieren.

Es war die ruhige, unaufgeregte Stimme der sehr sachlichen Leiterin des MI5, die das angespannte Schweigen beendete. »Ich denke, Captain Bond, der Chief des Secret Intelligence Service möchte, dass Sie wissen, dass sein Dienst für die Informationen aus Max Tarns riesiger und etwas verworrener Organisation verantwortlich ist.« Sie sprach leise und senkte sogar leicht ihre Stimme.

»Nicht nur mein Dienst«, brummte M. »Die Informationen habe ich von einem persönlichen Freund erhalten. Nun, vom Sohn eines persönlichen Freundes.«

»Peter Dolmech«, ergänzte Wimsey.

»Ganz recht. Ich kenne den Vater seit Jahren. Ein alter Schiffskamerad. Dolly Dolmech. Guter Offizier, gute Familie. Der Sohn hatte allerdings keine Lust, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Das kann man ihm nicht verdenken. Er wurde ein sehr guter Buchhalter. Hat sein Studium der Wirtschaftswissenschaften mit Auszeichnung abgeschlossen. Ihm war eine politische Karriere vorbestimmt, aber Tarn hat ihn umgestimmt.«

»Ein Superbuchhalter«, sagte Wimsey trocken und blickte auf seine Notizen. »Ein Buchhalter der Superlative, der vor etwa einem Jahr von einer der renommiertesten Firmen Londons in Tarns Dienste abgeworben wurde. Er hat anscheinend im letzten Monat ein geheimes Treffen mit Admiral … mit M … arrangiert.«

Bond, der nun hellwach war, bat um weitere Details.

Nun war es Wimsey, der verlegen wirkte. »Nun, wenn es sein muss. Wir alle haben die Sache als selbstverständlich angesehen.«

»Ich tue nie etwas als selbstverständlich ab«, knurrte M. »Tatsache ist, James, die Sache war so vertraulich, dass ich mich persönlich darum gekümmert habe. Peter hat mich unter meiner Privatnummer kontaktiert und ich habe ein Treffen arrangiert. Alles sehr diskret und geheim, denn der Mann hatte Todesangst. Ich musste ihn in einem furchtbaren Teehaus ausgerechnet in Croydon treffen.«

»Und was hat er Ihnen erzählt?«

»Ich habe es an Wimsey weitergeleitet. Es scheint alles stichhaltig zu sein und ich vertraue Dolmech. Der Mann hat ein Gewissen, und was er entdeckt hat, hat ihn erschüttert. Nach dem Gesetz ist das eine Polizeiangelegenheit, wenn sie Beweise zusammentragen können …«

»Und die perfekte Gelegenheit, die Null-Null-Abteilung zum ersten Mal einzusetzen«, fügte die Leiterin des MI5 hinzu.

»Genau aus diesem Grund haben wir dieses Treffen einberufen.« Der Staatssekretär konnte seine Verärgerung nicht verbergen. »Ich denke, der Commissioner kann jetzt wahrscheinlich fortfahren und die fehlenden Informationen nachreichen.«

Es entstand eine Pause, in der Wimsey sich in der Runde umsah. Er räusperte sich und setzte erneut an: »Die Quelle behauptet, dass Tarn mindestens vier Firmen benutzt, um Geld zu waschen, das für den illegalen Kauf von Waffen verwendet wird. Diese werden an Kunden weitergegeben, die ihm eine Marge von hundert Prozent zahlen. Er sagt, es gebe eindeutige Beweise dafür, dass eins der Containerschiffe von Tarn Shipping Ltd. mehrmals Waffen und Munition transportiert hat, während eins seiner Schiffe von Tarn Cruise Lines, Inc. im vergangenen Jahr benutzt wurde, um eine Sonderlieferung aus Odessa abzuholen – auf der Passagierliste standen, wie er sagt, lauter Leute, die bei Tarn angestellt sind. Auch Tarn Freight Ltd. hat zweifelhafte Waren auf dem Landweg transportiert. Das gesamte Netzwerk lebt vom Schmuggel und Verkauf von Waffen. Daher kommt das wirklich große Geld – und aus ein paar anderen fragwürdigen Quellen: zwielichtiger Kunsthandel und dergleichen. Das Tarn-Imperium scheint seit jeher auf Waffengeschäften aufgebaut zu sein.«

»Und wo kauft er die Waffen?«, unterbrach Bond.

»Überall, wo er sie bekommen kann. Früher hat er viel Zeit damit verbracht, Embargos zu umgehen, indem er Endverbraucherzertifikate gefälscht hat, und er hat von jedem gekauft, der verkaufen wollte – sogar von britischen und amerikanischen Unternehmen. Jetzt ist das Feld natürlich weit offen. Unter der Hand aus den alten Ostblockländern, aus Russland, über Zwischenhändler in der Schweiz und in Luxemburg und natürlich aus all den alten Quellen. Es ist ein großes Geschäft, und je größer seine Aufträge sind, desto unwahrscheinlicher ist es, dass Fragen gestellt werden. Er hat Konten auf den Cayman-Inseln, den Bermudas und wer weiß wo sonst noch. Unsere Quelle sagt, dass es ohne ihre Hilfe Monate dauern würde, die verschiedenen riesigen Geldbeträge aufzuspüren. Wie M sagt, hat Dolmech einen gehörigen Schrecken bekommen, als er über das ganze Ausmaß von Tarns Operation gestolpert ist …«

»Das da wäre?«

»Es handelt sich nicht nur um die üblichen paar Kisten mit Kleinkalibern und Munition, Plastiksprengstoff, halb automatischen Waffen und dergleichen. Tarn hat offenbar größere Pläne. Flugzeuge, Panzer, Raketen, Spitzenausrüstung.« Er schien seine Kollegen um den Tisch herum anzustarren, als wollte er sie herausfordern, seine Aussage zu bestreiten. Als er weitersprach, waren seine Sätze abgehackt, als wollte er nur ein kurzes Resümee ziehen. »Es wird kein Spaziergang sein, Sir Max festzunageln. Der Mann denkt wahrscheinlich, er sei unantastbar. Immerhin ist er einer der wohlhabendsten Männer der Welt. Tarn International ist, wie wir alle wissen, eine Dachgesellschaft für eine große Anzahl von Tochterunternehmen, die überall verstreut sind. Dolmech will nur ungern Dokumente aus dem Hauptbüro schmuggeln, weil er zu viel Angst hat. Wir müssten ihn also ebenfalls festnehmen und uns von ihm durch die Unterlagen führen lassen.«

»Was schlagen Sie also vor?« Bond ahnte bereits, warum er zu dieser Sache hinzugezogen worden war.

»Wir haben mehrere Optionen.« Wimsey sah ihm nicht in die Augen. »Wir haben Tarn und seine Frau in den letzten zehn Tagen observiert und ich habe Durchsuchungs- und Beschlagnahmungsbeschlüsse für Dokumente in den Büros von Tarn International. Außerdem haben wir die Befugnis, Tarn, seine Frau und unseren Mann festzunehmen, was der einfachste Weg zu sein scheint. Vorläufig planen wir, das gleich am Montagmorgen zu tun. Aber … dann wird er seine Rechtsabteilung auf uns hetzen und die Medien werden sich die Hände reiben. Verhaftungen, Beschlagnahmungen und all diese Dinge könnten jeden Fall, den wir vorbringen könnten, zunichtemachen, denn ich habe keinen Zweifel daran, dass die Organisation von Tarn eine Art Selbstzerstörungsstrategie hat für den Fall, dass die Behörden einschreiten.«

»Sie haben also einen anderen Plan, Sir?«

»Ja, es gibt einen anderen Weg. Das Problem ist nur, dass wir einige Zeit brauchen, um ihn umzusetzen, und eine Verzögerung könnte die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Erfolgs zunichtemachen.«

»Sie denken doch nicht etwa daran, ihn aus der Reserve zu locken, indem Sie einen meiner Leute einschleusen?«

»Das ist eine Überlegung.« Wimsey ließ die Worte in der Luft hängen.

»Und genau dabei sollte es auch bleiben. Bei einer Überlegung.« Bond versuchte nicht einmal, seine Wut zu verbergen. »Haben Sie eine Vorstellung davon, wie lange es dauern würde, jemanden einzuschleusen? Wochen, Monate. Das wäre wieder wie in den Zeiten des Kalten Krieges: wie jemanden in den Ostblock zu schleusen. Ich habe schon erlebt, dass es Jahre dauert, bis man Vertrauen aufgebaut hat und das Ziel anbeißt. Wenn Tarn so gut ist, wie Sie sagen, hat er die Ressourcen eines kleinen Landes. Das könnte verdammt lange dauern.«

»Wie wäre es mit einem falschen Überläufer?« M musterte seinen ehemaligen Agenten ausdruckslos.

»Sie schlagen vor, dass einer meiner Leute Sir Max anruft und alles auf den Tisch legt? Dass er zu ihm sagt: ›Hören Sie, alter Knabe. Ich weiß, dass Sie ein anständiger Mensch sind, aber ich weiß auch, dass die Behörden vorhaben, Sie hochzunehmen und Ihre Akten zu durchwühlen wie die Trüffelschweine, wenn Sie wissen, was ich meine.‹«

»Ja, so was in der Art.« M sah ihm immer noch in die Augen.

»Wen würden Sie vorschlagen?«

M stieß einen langen Seufzer aus. Er nahm einen gewaltigen Atemzug und stieß ihn wieder aus. Er klang wie eine alte Dampflok, wenn auch nicht so harmlos. »Muss ich es Ihnen erst buchstabieren, Captain Bond?« Das »James« war verschwunden, ein sicheres Zeichen dafür, dass sein alter Chef gereizt war. »Vor Kurzem gab es einen Vorfall auf einem von Tarns Kreuzfahrtschiffen, der Caribbean Prince, einem der drei Schiffe, die er unter Tarn Cruise Lines, Inc. betreibt. Auf der Passagierliste dieses Luxusschiffs standen ein Mr James Busby und seine Frau. Mr Busby hatte einen britischen Reisepass bei sich, der ihn als Beamten des Ministeriums für Inneres und Äußeres auswies. Können Sie mir folgen, Captain Bond? JB, James Busby. JB, James Bond.«

»Ah, der erwähnte Mr Busby geht also zu Sir Max Tarn und sagt, er wisse ein oder zwei Dinge über den Vorfall mit der Caribbean Prince und werde alles ausplaudern …«

»Nicht ganz«, blaffte Wimsey. »Die Idee ist, dass Mr James Busby einige vertrauliche Dokumente gesehen hat, die er bereit ist, mit Sir Max zu teilen.«

»Welche Art von vertraulichen Dokumenten?«

»Zunächst einmal sollten Sie wissen, dass Dolmech uns eine mündliche Liste einiger Käufe gegeben hat, die Tarn kürzlich getätigt hat, und zwar unter dem Deckmantel der Beschaffung von Artefakten für ein Militärmuseum, das er auf einer der Karibikinseln als besondere Attraktion für die Passagiere seiner Kreuzfahrtschiffe einrichten will. Ein Gegenstand macht uns dabei Sorgen. Letzten Herbst hat er ein U-Boot erworben.«

»Ein U-Boot?«

»Ein altes U-Boot zugegebenermaßen. Möglicherweise ein sehr frühes russisches U-Boot der Victor-II-Klasse.«

»Wir haben keine Ahnung, wo er das verdammte Ding versteckt.« Ms Tonfall war knapp und streng. »Aber wir sind ziemlich sicher, dass die Caribbean Prince entweder versehentlich oder absichtlich von einem kleinen, ebenso alten Torpedo aus diesem U-Boot getroffen wurde. Verdammt, Bond, Sie haben die Zeichen gesehen: all die vertraulichen Dinge, die zwischen den Amerikanern und uns ausgetauscht wurden.«

»Ich habe nichts gesehen, was darauf hindeutet, dass der gute alte Sir Max – wie ihn die britische Klatschpresse so gern nennt – ein eigenes U-Boot besitzt, das herumfährt und seine Kreuzfahrtschiffe abschießt.« Sir Maxwell Tarn wurde von der britischen Regenbogenpresse heiß geliebt – ein Selfmademan mit unklarem Hintergrund, ein Milliardär, der große Spenden für wohltätige Zwecke verteilte und den Kolumnisten guten Stoff lieferte. »Worauf wollen Sie wirklich hinaus, Sir?«

»Auf die Tatsache, dass Sie und Ihre Kollegin Fräulein von Grüsse bereits Vertrauen aufgebaut haben. Der gute alte Sir Max, wie Sie es ausdrücken, kennt den Namen von so ziemlich jedem Passagier, der auf seinen Schiffen reist. Er ist ein Mann, der auf solche Details achtet. Das wissen wir von Peter Dolmech. Max Tarn hält Ausschau nach Leuten, die ihm von Nutzen sein können, und ich könnte mir gut vorstellen, dass James Busby, ein Beamter mit Verbindungen zum Innen- und Außenministerium, ihm aufgefallen ist. Jemand mit einer solchen Stellenbeschreibung kann eigentlich nur in einer Branche tätig sein – im Geheimdienst. In vielerlei Hinsicht bin ich überrascht, dass Sie nicht schon von Tarn gehört haben. Immerhin haben Sie die Situation gerettet, indem Sie den versuchten Überfall vereitelt haben. Sie sind wie geschaffen für diese Mission und ich gehe davon aus, dass Sie planen, dieses Wochenende im University Arms in Cambridge zu verbringen, nicht wahr?«

»Wie zum …?«, setzte Bond an.

»Spielen Sie nicht den Dummen, Bond. Der MI5 hat alle Buchungen in diesem Hotel für das gesamte Wochenende überprüft, als er entdeckt hat, dass Sir Max und Lady Tarn dort übernachten würden. Der gute alte Sir Max hält morgen Abend eine Rede vor einem Kongress von Wirtschaftswissenschaftlern. Er hat das Zimmer bis Montagmorgen reserviert. Mr und Mrs James Busby sind ebenfalls bis Montagmorgen im Hotel eingebucht. Ich hoffe sehr, dass Sie vorhaben, am Montag in aller Herrgottsfrühe abzureisen, damit Sie um neun in Ihren jeweiligen Büros sein können.«

»Das war der Plan«, sagte Bond mit leiser Stimme. »Aber was stellen Sie sich vor, wie diese Scharade laufen soll?«

»Ich bin sicher, Ihnen fällt schon etwas ein. Finden Sie die richtigen Worte. Setzen Sie den Hebel an, wie wir früher zu sagen pflegten. Wir müssen den Kerl aus der Reserve locken, damit die Klatschpresse verkünden kann, dass der gute alte Sir Max und die gute alte Lady Trish verschwunden sind. Die Idee, mein Junge, ist, dass sie sich in irgendeinem sicheren Anwesen verschanzen, damit wir den Damen und Herren von der Presse und vom Fernsehen einen anderen Grund vorschieben können, warum die Jungs und Mädels des Commissioners in das grässliche Gebäude von Tarn International am Ende der Fleet Street spazieren. Wie Sherlock Holmes werden sie nach Hinweisen suchen.«

»Und ich soll ihm sagen, dass Sie ihm auf der Spur sind?«

»Sie kennen das Prozedere. Machen Sie sich keine Sorgen, Sie werden nicht allein sein. Die Jungs und Mädels vom Security Service werden Sie unterstützen – ungehört und ungesehen, aber sie werden Sie trotzdem unterstützen, nicht wahr, Ma’am?« Er schenkte der Direktorin des MI5 ein fast schon strahlendes Lächeln.

»Unsichtbare Mauer.« Die Direktorin erwiderte sein Lächeln düster.

»Gut. Damit wäre das geklärt.«

»Ist das ein Befehl, Sir, oder spielen wir nur mit einer Idee?«

»Nun …« Der Staatssekretär zog das Wort in die Länge und ließ Bond keinen Zweifel daran, dass alles schon beschlossene Sache gewesen war, bevor er zu dem Treffen gerufen worden war. »Nun«, wiederholte er, »wir sind der Ansicht, dass diese Vorgehensweise die beste ist.«

»Ihre Aufgabe ist es, ihn aus der Reserve zu locken. Ihn zum Untertauchen zu bringen.« Wimseys Körpersprache verriet große Nervosität. »Geben Sie ihm zu verstehen, dass die Dinge nicht so sicher sind, wie er vielleicht denkt. Danach können wir ihn überallhin verfolgen – und ich glaube nicht, dass es London sein wird. Wir schlagen vor, dass Sie ihm die Nachricht irgendwann am späten Sonntagnachmittag überbringen. Wir werden in der Zwischenzeit so ziemlich jedes Telefon in Reichweite abhören lassen – auch das in seinem Rolls.«

»Und Sie sind überzeugt, dass das sicherer ist, als alle gleich am Montagmorgen zu verhaften?«

»Unendlich viel sicherer.« Der Staatssekretär blickte auf seine Uhr. »Wir haben ein dünnes, unvollständiges Dossier über Tarn, das Sie sich ansehen sollten.« Er schob eine braune Aktenmappe über den Tisch. »Sie machen sich am besten auf den Weg, Captain Bond, sonst schaffen Sie es nicht, rechtzeitig zum Abendessen in Cambridge zu sein.«

»Vielen Dank, Staatssekretär. Es wäre furchtbar, das Abendessen zu verpassen.« Er erhob sich.

»Sie wissen schon, dass Sie so ziemlich die einzige Person sind, der wir das hier zutrauen?«, fragte Wimsey.

»Oh ja. Als ehemalige Passagiere auf seinem Kreuzfahrtschiff, das mit einem Torpedo in die Luft gejagt wurde, genießen wir sicher sein volles Vertrauen. Ich hoffe nur, dass wir nicht alle ein wenig naiv an diese Sache herangehen.«

»Oh, ich denke, wir sind auf der richtigen Spur, Bond. Wir bleiben in Kontakt. Auf die übliche Art, versteht sich.«

»Natürlich.« Innerlich kochend verließ Bond den Raum. Flicka würde nicht so überzeugt sein wie die anderen Mitglieder von MicroGlobe One. Die Worte »hoffnungsloses Unterfangen« verfolgten ihn, als er ein Taxi rief.

Fürst der Finsternis

»Sie wollen, dass wir was tun?« Flicka war gerade dabei, halbherzig einen Wochenendkoffer zu packen, als er in die Wohnung in Chelsea zurückkehrte. »Ich hätte nicht gedacht, dass du rechtzeitig zurück bist, um nach Cambridge zu fahren. Und jetzt sagst du mir, dass wir diesen verdammten Finanzheini auffliegen lassen sollen.«

»Er ist bisschen mehr als nur ein verdammter Finanzheini, meine Liebe.« Er hatte ihr nur eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse gegeben.

Fredericka hatte die äußerst ablenkende Angewohnheit, im Haus nur in der spärlichsten Bekleidung herumzulaufen.

»Warum vergisst du das mit dem Anziehen nicht für eine Weile, Liebes?« Er schenkte ihr dieses Lächeln, von dem manche Leute fanden, es hätte etwas Grausames an sich. »Lass uns eine kleine Auszeit nehmen.«

Seit dem ersten Mal, als sie sich nur wenige Stunden nach ihrem ersten Treffen in einem Schweizer Hotel in den Armen gelegen hatten, empfand Bond dieses flüchtige, plötzliche und unlogische Gefühl sowohl in seinem Herzen als auch in seinem Kopf, das entweder tiefe Lust oder etwas Dauerhafteres signalisierte.

Da sie gemeinsam Gefahren durchgestanden hatten und zusammenlebten, war ihm klar geworden, dass es etwas anderes als Lust war. Mit dem Auftauchen von Flicka von Grüsse hatten sich die Dinge verändert. Was als angenehme, etwas gewagte Affäre begonnen hatte, war in der Zeit, die sie unter Umständen verbracht hatten, in denen sie leicht hätten sterben können, zu etwas Reiferem geworden. In dieser Zeit waren sie sich nähergekommen und er hatte bald gemerkt, dass sie in vielerlei Hinsicht zusammenpassten. Beide verabscheuten Untätigkeit und Papierkram, Flicka war schlagfertig und hatte einen ausgeprägten Sinn für Humor sowie einen Körper, der zum Sterben war: fit, gesund und bestens vorbereitet auf die härtesten Einsätze oder die sanftesten Freuden des Ehebetts. Sie wurde auch sehr schnell eifersüchtig auf jede andere Frau, die sich in Bonds Leben schlich, aber ihre geteilte Faszination für den Lebensstil in der geheimen Welt der Spionage verdrängte bald andere mögliche Tändeleien aus seinem Kopf.

Jetzt, mehr als ein Jahr nach ihrer ersten Begegnung, teilten sie ihr Leben und lernten die Vergangenheit, Vorlieben, Abneigungen und Gewohnheiten des jeweils anderen kennen. Das Leben mit Flicka gab Bond allmählich etwas, das er bei keiner anderen Frau je erlebt hatte. Seine Leidenschaft für Jazz teilte Flicka nicht, ihr Geschmack waren eher die romantischeren klassischen Komponisten. Aber so sammelten sie beide neue Erfahrungen. Sie lernte die vielfältigen Nuancen des Jazz zu schätzen, während er sich für Musik erwärmte, die er immer als hochtrabend betrachtet hatte.

Er war nie ein großer Theater- oder Kinobesucher gewesen. Sie begeisterte sich für beide Kunstformen und während der Schulungen vor der Gründung der neuen Null-Null-Abteilung saßen sie an vielen Abenden zusammen und sahen sich klassische Filme auf Video an. Daraus entwickelte sich ein Spiel, das sie oft beim Abendessen spielten: Sie stellten sich gegenseitig Fragen zu bekannten und unbekannten Filmen oder zitierten Sätze und beschrieben Szenen, die den Filmen zugeordnet werden mussten, aus denen sie stammten.

Kleine Denkübungen wie diese brachten subtile Veränderungen mit sich, eine Erweiterung ihrer persönlichen Horizonte. Schon bald wurde deutlich, dass sie langsam voneinander abhängig wurden.

Jetzt lagen sie erschöpft und nackt in der Dunkelheit auf dem großen Doppelbett.

»Müssen wir heute Abend wirklich noch nach Cambridge fahren, Liebster?«, fragte sie und fuhr mit den Fingerspitzen ihrer rechten Hand Bonds linken Oberschenkel entlang. »Alles, was ich will, ist etwas essen und in deinen Armen einschlafen.«

Nach einem langen Schweigen sagte er, dass er nichts lieber täte. »Leider, meine liebste Fredericka, sind wir wie Mönche … nun, ich bin ein Mönch, du bist eher eine Nonne.«

»Dann tragen wir eine schwere Todsünde mit uns herum, Bruder Bond.«

»Ja, Schwester Flicka. Eine sehr schwere.«

Er rief im University Arms Hotel an und sagte, dass sie sich verspäten würden. Sie packten die Wochenendkoffer, gingen aus und aßen in einem nahe gelegenen italienischen Restaurant.

»Ich werde in Cambridge einen langen Spaziergang machen müssen«, sagte sie und tätschelte sich den Bauch. »Diese ganze Pasta …«

»Ganz zu schweigen von dem Kalbfleisch und den Erdbeeren mit Sahne.« Er warf ihr einen spielerisch tadelnden Blick zu, den sie mit einem süffisanten Grinsen erwiderte.

Als sie gerade ihren Kaffee ausgetrunken hatten, fragte sie: »Warum, James? Warum konnten sie sich nicht einfach an ihren ersten Plan halten – die Tarns am Montagmorgen festnehmen, die Büros von Tarn International durchsuchen und es so aussehen lassen, als wäre dieser Buchhalter – wie hieß er noch gleich?«

»Dolmech. Peter Dolmech …«

»Und es so aussehen lassen, als wäre Dolmech ebenfalls verhaftet worden, und dann von da aus weitermachen. Warum konnten sie nicht das tun? Das war doch der ursprüngliche Plan, hast du gesagt.«

»Ich bezweifle, dass das wirklich der ursprüngliche Plan war. Möglicherweise war es eine letzte Option – die nur im Notfall angewandt werden sollte. Ich glaube, das ist eine Frage von Politik und Geld. Ich habe den Eindruck, dass sie Dolmech nicht ganz trauen, seinen Teil der Abmachung auch tatsächlich einzuhalten. Er hat zwar versprochen zu liefern, aber dafür haben sie nur Ms Wort. Dolmech ist Ms Mann. Es gibt viele interne Eifersüchteleien und persönliche Rivalitäten innerhalb von MicroGlobe One. Meiner Meinung nach trauen die Mitglieder des Komitees sich nicht mal untereinander. Das ist das Problem bei so einer Organisation: Sie ist immer gespalten. Außerdem glaube ich nicht, dass der Staatssekretär wirklich sein eigener Herr ist. Du erinnerst dich doch an den alten Knittelvers:

Große Flöhe haben kleine Flöhe,

werden getrieben von ihrem Reiter.

Kleine Flöhe haben winzige Flöhe,

Und so weiter und so weiter.

Ich glaube, genau so werden wir auch geführt. Wir haben es mit dem mittleren Management zu tun, MicroGlobe One, und die wollen nichts riskieren – schon gar nicht, wenn es um jemanden geht, der so reich und mächtig ist wie Tarn. Dolmech hat bereits gesagt, dass sie ohne ihn aus den Dokumenten nicht schlau werden. Wenn man also alle festnimmt und kistenweise Akten und Computerbänder von Tarn International wegkarrt, was hat man dann?«

»Was?«