Jan ganz groß! - Carlo Andersen - E-Book

Jan ganz groß! E-Book

Carlo Andersen

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Beschreibung

JAN ALS DETEKTIV - die spannende Kultbuchreihe ist zurück - toller denn je! DIE JAN ALS DETEKTIV-REIHE Ist es möglich, gute Kriminalgeschichten für die Jugend zu schreiben? Diese war die Frage, die die Kriminalschriftsteller, Knud Meister und Carlo Andersen, stellten, als sie mit der Jan-Reihe anfingen. 70 Jahre später beweist der Erfolg der Jan-Reihe das Gelingen. Die Reihe zählt mehr als 80 Bücher - 33 in deutscher Übersetzung. In den Romanen geht es um den 14- bis 20-jährigen Jan Helmer und seine Freunde, die in allerlei Abenteuer verwickelt werden. Jan ist der Sohn eines Kopenhagener Kriminalkommissars, dem sein Vater regelmässig von seinem Beruf erzählt, um ihn zu zeigen, dass Mut, kühle Überlegung und restloser Einsatz der ganzen Person vonnöten sind, um dem Kampf mit einem Verbrecher aufzunehmen. Jan kennt keinen andern Gedanken, als später einmal den gleichen Beruf wie sein Vater auszuüben. Natürlich ergreift er jede Gelegenheit, sich im kleinen als 'Detektiv' zu erproben. Die Bücher wenden sich an jüngere Leser.-

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Knud Meister

Carlo Andersen

Jan ganz groß!

Eine Detektivgeschichte

Saga

Jan ganz groß!

Aus dem Dänischen von Dr. Karl Hellwig

Originaltitel: Jan gør sit store kup / Jan og de forsvundne perler / Jan ved mikrofonen © 1964 Carlo Andersen, Knud Meister

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711458310

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

Erster Teil

Der Mann mit der Narbe

1.

In Höppners Hotel zu Hadersleben sassen vier Buben beim Morgenkaffee. Es waren Jan, Erling, Carl und der kleine Jesper, auch «Krümel» genannt. Sie hatten am Strande von Vejers ereignisreiche Ferientage verlebt und wollten sich jetzt im Süden des Landes etwas umsehen. Am vergangenen Tage waren sie durch Ribe gekommen, wo sie die schöne Domkirche und die alten Fachwerkhäuser bestaunt hatten, und von dort am selben Tage nach Hadersleben geradelt. Am späten Abend waren sie angelangt, hatten sich in Höppners Hotel einquartiert und sassen jetzt am reich gedeckten Frühstückstisch.

«Ich muss schon sagen, es lebt sich nicht schlecht in Hadersleben», sagte der dicke Erling mit sichtlicher Befriedigung. «Knusprige Hörnchen, geröstetes Weissbrot, Orangen- und Erdbeermarmelade, frische Butter und heisser Kaffee ... Verdanken wir dir diese beinahe üppige Mahlzeit, Jan? Hast du in Hadersleben gute Beziehungen?»

«Wenn du dich durchaus bedanken willst, Dicker», erwiderte Jan lachend, «dann bedanke dich bei Herrn Höppner persönlich. Als sich gestern abend in der Stadt das Gerücht verbreitete, dass du angekommen bist, hat er natürlich sofort Grossalarm gegeben und alle Vorräte weit über das normale Mass ergänzen lassen.»

«Teurer Freund», sagte Erling, die Stirn runzelnd, «spotte nicht! Wenn mein Magen vor Hunger knurrt, arbeitet mein Gehirn höchst mangelhaft, und dass dieser edelste Teil des zweibeinigen Wesens, das sich Mensch nennt, bald wieder mehr als genug zu tun bekommen wird, dafür wirst du wohl, wie immer, Sorge tragen. Aber wollen wir nicht zulangen?»

Die vier Buben «langten zu», und dass ihnen all die schönen Dinge, die man ihnen aufgetischt hatte, gut schmeckten, sah man an ihrem beneidenswert kräftigen Appetit. Das hinderte aber nicht, dass sie sich gleichzeitig eifrig unterhielten. Natürlich bildeten die ereignisreichen Tage in ihrem Zeltlager am Strande von Vejers den Hauptgegenstand ihrer Unterhaltunga). Alle äusserten ihre Verwunderung darüber, dass ihre drei Freunde Holger, Henning und Jack so wenig Neigung gezeigt hatten, sich der Radfahrt nach dem Süden anzuschliessen.

«Ich möchte wissen, weshalb sie noch in Vejers bleiben wollten», bemerkte Jan. «Sie taten so geheimnisvoll. Ich mache mir so meine Gedanken.»

«Wie meinst du das?» fragte Carl verwundert.

«Es sind nur ganz vage Vermutungen», erwiderte Jan. «Aber ihr kennt ja alle Holger. Man muss sich bei ihm immer auf allerlei Überraschungen gefasst machen. Die Zeit wird lehren, ob hinter ihrer Geheimnistuerei ein tieferer Sinn steckt. Aber wir wollen jetzt lieber an unsere eigenen Angelegenheiten denken. Ich hatte mir gedacht, wir fahren heute bis zur Grenze. Viel weiter werden wir kaum kommen, denn bis Alsen ist es doch ein ganz tüchtiges Stück.»

Erling meinte, wenn sie an einem Tage bis zur Grenze wollten, hätten sie wahrhaftig mehr als genug zu tun. Er habe festgestellt, dass es etwa 50 Kilometer seien. Diese lange Radfahrt bei strahlendem Sonnenschein sei nicht gerade nach seinem Geschmack.

«Nur nicht den Mut verlieren, Dicker!» lachte Jan. «Es wird dir gut tun, wenn du in den Ferien ein paar Kilo verlierst. Du kannst das, wenn du wieder zu Hause bist, leicht wettmachen.»

Erling ergab sich seufzend in sein Schicksal. Eine halbe Stunde später sassen sie alle auf ihren Rädern und verliessen die Stadt in südlicher Richtung.

Es war ein herrlicher Morgen. Die Sonne schien von einem wolkenlosen Himmel hernieder und tauchte die schöne Landschaft in ein helles Licht. Buchenwälder, gelbe Getreidefelder und saftige Wiesen lösten einander ab. Im Osten sahen sie das Meer aufblinken, als sie sich dem Knievsberg näherten. Ein grosses Schild auf der linken Seite der Landstrasse zeigte den Weg an: «Nach der Ruine.»

Jan stieg ab und schien zu überlegen. Die andern folgten seinem Beispiel, blickten ihn aber etwas verwundert an. «Ich dachte, wir wollten uns die Ruine ansehen?» sagte Carl.

«Ich weiss nicht recht, ob es sich lohnt», erwiderte Jan. «Aber da wir nun einmal hier sind, können wir uns den kleinen Abstecher ja wohl leisten. Die Aussicht von der Höhe ist wahrscheinlich interessanter als die Ruine selbst.»

Da der Weg, der zum Gipfel führte, ziemlich steil war, mussten sie die Räder führen. An der Ruine angekommen, stellten sie sie ab. Erling warf einen sehnsuchtsvollen Blick nach der Gastwirtschaft; Jan aber tat, als hätte er es nicht gemerkt.

Wenn man die Überreste des Turmes, der hier einmal gestanden hatte, aus der Nähe betrachtete, bekam man einen Begriff davon, wie gross er gewesen sein musste. Das Fundament bildete noch immer einen gewaltigen Block, von dem aus man eine herrliche Aussicht hatte. Ringsherum lagen ähnliche Blöcke, die zum Teil noch von verbogenen, rostigen Eisenstangen zusammengehalten wurden. Es war gleichzeitig ein imponierender und trostloser Anblick. An manchen Stellen war es gar nicht ungefährlich, über die verwitterten Blöcke zu klettern.

Da sich Jan durchaus nicht bewegen liess, Erlings Wunsch zu erfüllen und der Gastwirtschaft einen Besuch abzustatten, setzte die kleine Schar schon bald die Fahrt nach dem Süden fort. Als sie Apenrade hinter sich hatten, liess sich Jan endlich erweichen, eine kurze Rast einzuschalten. In einem bescheidenen, freundlichen Gasthaus an der Landstrasse kehrten sie ein und bestellten belegte Brote und Limonade.

Erling strahlte vor Zufriedenheit. Er erklärte, belegte Brote nach dänischer Art seien die beste Erfindung auf der Welt. Er hätte sicher nichts dagegen gehabt, wenn sie den Rest des Tages an dieser gastlichen Stätte zugebracht hätten. «Müssen wir unbedingt heute noch weiterfahren?» fragte er. «Was ist an der Grenze überhaupt so Besonderes zu sehen?»

«Sei nicht so faul, Dicker!» tadelte Jan. «Ich weiss wirklich nicht, ob an der Grenze etwas ‚Besonderes‘ zu sehen ist. Aber da wir nun einmal so weit gekommen sind, sollten wir unbedingt auch einen Blick über die Landesgrenze werfen.»

Da Carl und Jesper Jan beistimmten, musste Erling sich fügen. Sie nahmen aber auf ihren dicken Freund Rücksicht, indem sie bei der Weiterfahrt ein langsameres Tempo anschlugen. Daher dauerte es verhältnismässig lange, bis sie in Padburg einfuhren.

Nach ihrer Meinung sah dieser Grenzort keineswegs so aufregend aus, wie sie erwartet hatten. Das einzig auffallende an dem Strassenbild waren die Grenzwächter in ihrer schönen blauen Uniform.

Als sie eine Eisenbahnunterführung durchfahren hatten, teilte sich der Weg, und an der Abzweigung, die nach Süden führte, stand eine grosse Tafel mit der Inschrift «Zur Landesgrenze».

Fünf Minuten später standen sie an der Grenze. Rechts von der Landstrasse lag das Haus, in dem die dänische Grenzwache untergebracht war, und noch weiter rechts lag der Bahndamm, der über die Grenze führte. Die Landstrasse war durch «spanische Reiter» – gekreuzte Balken mit Stacheldraht dazwischen – versperrt. Auf der anderen Seite der Absperrung war die deutsche Zollwache.

Jan wunderte sich etwas über den Zustand der Grenzsperre. Der Stacheldraht war völlig verrostet, und auf der linken Seite, unmittelbar über einem Graben, sah er eine Öffnung, die gross genug war, dass ein Erwachsener bequem hindurchschlüpfen konnte.

Einer der dänischen Grenzwächter, der vor dem Zollhaus gestanden hatte, kam auf die Jungen zu und fragte lächelnd: «Na, Buben, ihr habt doch wohl nicht die Absicht, heimlich über die Grenze zu flitzen?»

«O nein!» antwortete Jan höflich. «Wir bleiben lieber auf dieser Seite. Aber mir scheint, es dürfte nicht schwer sein, durch das Loch dort zu kriechen.»

«Du hast recht», gab der Grenzwächter zu. «Vor ein paar Jahren sah es hier anders aus. Da war die Sperre wirksamer als heute.»

«Kommt es denn jetzt nicht mehr vor, dass einer vom Süden her über die Grenze schlüpft?» fragte Jan.

«Nicht, wenn wir es verhindern können», erwiderte der Wächter lächelnd. «Allerdings ist es nicht so leicht, eine Landesgrenze zu bewachen, wie die meisten Leute glauben. Besonders schlimm ist, dass es Organisationen gibt, die es sich zur Aufgabe machen, Flüchtlinge über die Grenze zu schmuggeln.»

«Das gibt es?» rief Jan verwundert. «Richtige Organisationen?»

«Ja. Freilich, so schlimm, wie es kurz nach dem letzten Kriege war, ist es nicht mehr. Aber es gibt noch immer Menschen, die aus diesem oder jenem Grunde Deutschland verlassen wollen, ohne dass sie ordentliche Papiere haben. Meistens sind es Verbrecher, nach denen gefahndet wird, und die sich auf der anderen Seite der Grenze in Sicherheit bringen wollen.»

«Und was tun sie, wenn ihnen das geglückt ist?» wollte Jan wissen. «Bleiben sie dann hier in Dänemark?»

«Wohl nur höchst selten», antwortete der Grenzwächter. «Die meisten versuchen, nach Schweden zu gelangen und von dort nach Südamerika.»

«Und Sie sagen, es gibt Organisationen, die den Flüchtlingen beim Überschreiten der Grenze helfen? Das ist doch richtiger Menschenschmuggel?»

«Ja, so kann man es nennen», sagte der freundliche Grenzwächter. «Aber dieser Schmuggel erfolgt zum grössten Teil auf dem Wasserwege. Oft überqueren Flüchtlinge zur Nachtzeit die Flensburger Förde und werden auf Alsen an Land gesetzt. Es ist nicht leicht, etwas Wirksames dagegen zu unternehmen ...» Er brach plötzlich ab und deutete nach der anderen Seite der Grenzsperre. «Wenn ich mich nicht sehr irre», fuhr er fort, «haben die deutschen Grenzposten gerade einen Mann erwischt, der über die Grenze schlüpfen wollte.»

Die Buben blickten hinüber. Ein grosser, kräftig aussehender Mann ging zwischen zwei deutschen Grenzwächtern nach der Zollwache. Kurz bevor die drei Männer durch die Tür verschwanden, stellte Jan fest, dass der Mann auf der linken Gesichtshälfte eine kräftige rote Narbe hatte, die sich vom Auge bis zum Halse hinzog und ihn sehr entstellte.

«Der arme Kerl!» meinte Carl, der trotz seinen Bärenkräften ein weiches Gemüt hatte.

Der Grenzwächter zuckte die Schultern. «Ob der Mann wirklich zu bedauern ist, lässt sich unmöglich sagen, wenn man die näheren Umstände nicht kennt. Vielleicht ist er ein Verbrecher, der von der Polizei gesucht wird und sein Schicksal verdient. Die Leute, die versuchen, schwarz über die Grenze zu kommen, haben selten ein reines Gewissen.»

Da es nichts weiter zu sehen gab, verabschiedeten sich die Freunde von dem netten Grenzwächter und schwangen sich wieder auf die Räder. Sie waren aber noch nicht weit gekommen, als etwas Unerwartetes geschah: Sie hörten hinter sich einen Schuss!

Jan blickte sich um und sprang vom Rad. Die drei anderen folgten seinem Beispiel. Jetzt sahen sie, was geschehen war. Der Mann mit der Narbe, den sie vor wenigen Minuten im deutschen Zollhaus hatten verschwinden sehen, war im Begriff, durch das Loch in der Stacheldrahtsperre zu schlüpfen, und rannte gleich darauf über den Eisenbahndamm. Drei deutsche Grenzwächter waren ihm nachgeeilt, machten aber an der Grenzsperre halt. Zwei dänische Grenzwächter, durch den Schuss aufmerksam gemacht, nahmen sofort die Verfolgung des Flüchtlings auf, der jedoch bereits auf der anderen Seite des Bahndamms verschwunden war.

Die Jungen waren sehr verblüfft. Carl rief vergnügt: «Das war der Mann mit der Narbe! Hoffentlich erwischen sie ihn nicht.»

Jan aber sagte ernst: «Denke an die Worte des Grenzwächters, Carl. Man kann nicht urteilen, wenn man die näheren Umstände nicht kennt.»

«Auf jeden Fall war es ein spannendes Erlebnis», bemerkte Jesper.

2.

Als die Buben auf der Landstrasse nach Sonderburg dahinradelten, erörterten sie lebhaft die Vorgänge an der Grenze. Ob es dem Flüchtling wohl gelungen war, seinen Verfolgern zu entkommen? Die deutschen Grenzwächter hatten offenbar auf ihn geschossen, ohne ihn zu treffen, und als der Flüchtling sich nicht mehr auf deutschem Boden befand, hatten sie natürlich die Verfolgung aufgeben müssen.

Unter lebhaftem Geplauder erreichten die vier Freunde den kleinen Ort Alnor, wo sie auf einer Fähre den Egernsund überquerten. Von dort ging die Fahrt weiter nach Düppel, zum Besuch der historischen Mühle, die jetzt als Museum eingerichtet ist und viele Erinnerungen an die alten Kriegszeiten enthält. Nachdem sie das Museum und die Überreste der Düppeler Schanzen zu beiden Seiten der nach Sonderburg führenden Landstrasse besichtigt hatten, erklärte Erling, er sei am Ende seiner Kräfte.

«Lieber Jan», sagte er mit kläglicher Stimme, «du kannst doch unmöglich von uns verlangen, dass wir bis Mitternacht auf den Rädern bleiben. Wir haben uns wahrhaftig abgeplagt. Ich bin so erschöpft, dass ich im Stehen schlafen könnte.»

«Merkwürdig!» lachte Jan. «Bist du denn gar nicht hungrig?»

«Hungrig?» wiederholte Erling. «Ich bin so hungrig, dass ich einen ganzen Ochsen am Spiess verzehren könnte. Wenn ich aber in diesem Augenblick zwischen einem Bett und einem Ochsen wählen müsste, würde ich ganz entschieden das Bett vorziehen.»

«Seid ihr andern auch müde?» fragte Jan.

Carl war natürlich noch bei Kräften, aber der kleine Jesper musste zugeben, es ginge ihm nicht besser als Erling.

«Bravo, Krümel!» sagte Erling anerkennend. «Viel redest du ja nicht, aber wenn du einmal etwas sagst, dann träufeln weise Worte aus deinem Munde. Ich werde dir morgen eine Tüte Rahmbonbons verehren.»

Es wurde ein kurzer «Kriegsrat» gehalten und beschlossen, an der ersten geeigneten Stelle das Zelt aufzuschlagen. Es dauerte denn auch nicht lange, so entdeckten sie in passender Entfernung vom Wege einen günstigen Lagerplatz. Es war eine Wiese mit saftigem Gras, die am Fusse eines kleinen Hügels lag. Offenbar gehörte sie zu dem Bauernhof, den sie in geringer Entfernung erblickten. Während die andern von den Rädern stiegen, fuhr Jan weiter und kehrte eine Viertelstunde später mit der Erlaubnis des Eigentümers zurück. Sie durften auf der Wiese ihr Zelt aufschlagen und ein Lagerfeuer anzünden.

Erling erklärte sich äusserst zufrieden mit dieser Ordnung der Dinge und half trotz seiner Müdigkeit beim Aufschlagen des Zeltes. Hernach sank er mit einem schweren Seufzer auf das Gras und streckte die Glieder. Jan aber versetzte ihm einen freundschaftlichen Puff: «Wenn du etwas essen willst, musst du helfen, Dicker».

«Ach nein, ach nein ... Hab doch nur ein wenig Mitleid mit mir, teurer Freund! Ich habe sonst in einem ganzen Jahr nicht so viel auf die Pedale getrampelt wie an diesem einen Tage ...»

«Steh auf! Du musst aus dem Wald dort Reisig holen.»

«Wozu in aller Welt brauchst du denn Reisig?» stöhnte Erling verzweifelt.

«Fürs Lagerfeuer natürlich. Willst du keinen Tee haben?»

«Nein, danke ...»

«Aber wir andern wollen Tee trinken. Steh auf, Dikker!»

Die drei Freunde lachten, als Erling ächzend auf die Beine kam. Bald darauf trabten er und Carl nach dem Walde. Inzwischen machten Jan und Jesper das Abendessen fertig. Jan war gespannt, was Erling dazu sagen würde, denn es war wirklich keine üppige Mahlzeit: Trockenes Schwarzbrot, Leberpastete, hartgekochte Eier und Käse. Andere Leute mochten denken, das wäre doch wahrlich genug des Guten. Erling pflegte jedoch grössere Ansprüche zu stellen.

Diesmal aber tat Jan seinem dicken Freunde unrecht. Als Erling einen guten Teil der Vorräte verzehrt hatte, erklärte er zufrieden: «Das hat herrlich geschmeckt! Und jetzt wäre es schön, wenn man eine Tasse Tee trinken könnte ...»

«Ich denke, du wolltest keinen Tee haben?» neckte ihn Jan.

«Ich habe meinen Beschluss geändert», erwiderte Erling gelassen. «Tee ist ein herrliches und erfrischendes Getränk.»

Das Lagerfeuer brannte lustig, und die vier Buben waren sich darin einig, dass das Zelten dem Übernachten in einem langweiligen Hotelbett bei weitem vorzuziehen wäre. Ausserdem war es ja viel billiger!

Die Sonne war untergegangen und die Dämmerung brach an. Hin und wieder fuhr ein Radfahrer vorüber und winkte den vier Freunden zu. Schliesslich wurde es so dunkel, dass man nur noch Schatten vorüberhuschen sah. Die Lichtkegel der Autos schnitten durch die Finsternis und tauchten die Baumstämme für eine kurze Weile in ein unnatürlich weisses Licht. Erling gähnte herzhaft und sagte: «Ihr müsst mich entschuldigen, Freunde, aber ich lege mich hin. Meiner Meinung nach hat die menschliche Leistungsfähigkeit ihre Grenzen. Gute Nacht alle miteinander!»

Erlings breite Hinterfront verschwand durch die Zeltöffnung. Wenige Minuten später folgte ihm Jesper. Jan und Carl blieben noch draussen und genossen den schönen Sommerabend. Da Tau gefallen war, benutzten sie ihre Regenmäntel als Unterlage. Eine Weile lagen sie schweigend. Dann fragte Jan: «Nun, Carl? Gefällt es dir? Freust du dich, dass du mitgekommen bist?»

«Sehr!» erwiderte Carl voller Überzeugung. «Du weisst ja, dass ich immer mächtig gern mit euch zusammen bin. Aber ...»

«Aber?»

Carl wurde verlegen und konnte sich offenbar nicht entschliessen, zu erklären, was er auf dem Herzen hatte. Jan liess ihm Zeit. Schliesslich sagte Carl mit etwas unsicherer Stimme: «Ja, siehst du ... Ich habe es nie richtig verstehen können, dass ihr ... na ja, du weisst ja, was ich meine. Ihr seid sogenannte ‚Jungen aus besserem Hause‘ und ich ... ich war ja Laufbursche in einem Milchgeschäft, als wir uns kennenlernten ...»

«Hör doch bloss mit dem Unsinn auf!» unterbrach ihn Jan ärgerlich. «Was bedeutet das denn, wenn man aus ‚besserem Hause‘ ist? Glaubst du vielleicht, man ist ein besserer Mensch, weil man einen Vater mit einem Bankguthaben oder einer Villa hat? Worauf es ankommt, ganz allein ankommt, ist, dass man als Mensch etwas wert ist. Alles übrige ist Nebensache. Und dass du etwas taugst, weisst du selbst genau so gut wie wir.»

«Ich danke dir, Jan», murmelte Carl. «Ich will nur hoffen, dass ich euch einmal für alles, was ihr für mich getan habt, durch eine Tat danken kann ...»

«Hast du ein schlechtes Gedächtnis?» fiel Jan ungeduldig ein.

«Ein schlechtes Gedächtnis? Nein. Weshalb?»

«Hast du denn schon vergessen, dass du vor wenigen Tagen einen unserer Kameraden gerettet hast, als er in Gefahr war, zu ertrinken?»

«Das ist doch wirklich nichts Besonderes.»

«Nichts Besonderes?» rief Jan. Dann fügte er lachend hinzu: «Lieber Carl, du bist grossartig! Du denkst, man ist ‚fein‘, weil man in eine höhere Schule geht. Wenn aber einer sein Leben wagt, um einen anderen zu retten, dann ist das deiner Meinung nach ‚nichts Besonderes‘. Doch wir wollen davon nicht länger reden. Bist du nicht müde?»

«O nein ... Wo soll die Fahrt morgen hingehen?»

«Nach Alsen. Wir wollen uns einmal die Karte ansehen.» Jan breitete eine Landkarte auf dem Gras aus, und die beiden studierten sie im Schein des Lagerfeuers. Jan zeigte mit dem Finger: «Erst wollen wir uns in Sonderburg etwas umschauen. Dann fahren wir nach Kegnäs. Jack sagte ja, dort sei ein schöner Badestrand. Wir werden sicher keine Mühe haben, einen guten Lagerplatz zu finden.»

«Merkwürdig, dass Jack und die andern nicht mitwollten.»

«Ja, sehr merkwürdig», stimmte Jan nachdenklich zu.

Die beiden Freunde plauderten noch eine halbe Stunde miteinander. Aus dem Zelt drangen friedliche Schnarchlaute in die Nacht heraus. Es war Erling, der nach den Strapazen des Tages den Schlaf des Gerechten schlief.

Das Lagerfeuer sank langsam zusammen. Bald musste es erlöschen. Da stand Jan auf und trat sorgfältig die letzte Glut aus. Er wusste, dass bei dem saftigen, taufeuchten Gras keine Gefahr bestand. Aber wenn es sich um Feuer handelte, konnte man nicht vorsichtig genug sein. Jahr für Jahr gingen Millionenwerte in Flammen auf, weil die Leute nicht vorsichtig waren.

Jan und Carl krochen ins Zelt. Jan konnte lange keinen Schlaf finden. Schliesslich wandte er den Kopf nach Carl herum und flüsterte: «Carl, schläfst du?» Es kam keine Antwort. Carl schlief ebenso fest wie Erling und Jesper. Durch den Spalt im Zeltvorhang konnte Jan sehen, dass der Mond aufgegangen war. Hin und wieder hörte er ein Auto auf dem Wege vorüberfahren. Aber es geschah immer seltener, während die Zeit fortschritt.

Es mochten zwei bis drei Stunden vergangen sein, als Jan sich plötzlich aufrichtete und lauschte. Täuschte er sich oder hörte er draussen tatsächlich vorsichtige Schritte? Ja, es war kein Zweifel möglich! Jetzt hielten sie plötzlich an. Wer konnte das sein? Einer von den Leuten auf dem Hof? Oder der Besitzer, der sich vielleicht überzeugen wollte, ob auch alles in Ordnung war?

Plötzlich hörte Jan ein schwaches metallisches Klirren. Und da kam ihm blitzschnell die Erkenntnis: Die Räder!

Er kroch zur Zeltöffnung, schlug den Vorhang beiseite und blickte hinaus. Was war denn das? Eine hohe, kräftige Gestalt beugte sich über die Räder und war offensichtlich im Begriff, eins zu entwenden.

Jan sauste durch die Zeltöffnung, lief auf den Mann zu und rief: «Heda! Was machen Sie da? Wollen Sie ein Rad stehlen?»

Der Mann drehte sich schnell um und liess das Rad zu Boden fallen. Jan hatte ihn schon beinahe erreicht, blieb aber plötzlich stehen und machte grosse Augen. Das Gesicht des Fahrraddiebes war im Mondlicht deutlich zu erkennen. Und was sah Jan? Vom linken Auge bis zum Hals zog sich eine breite Narbe!

«Der Flüchtling von der Grenze!» rief Jan. Weiter kam er nicht. Denn in diesem Augenblick packte der Mann ihn an der Brust, versetzte ihm einen Hieb auf den Kopf und schleuderte ihn heftig zu Boden. Jan hatte das Gefühl, als würde ihm mit einer Keule auf den Hinterkopf geschlagen. Dann wurde es ihm schwarz vor den Augen ...

Als er zu sich kam, blieb er einen Augenblick still liegen und starrte zum mondhellen Himmel empor. Im ersten Augenblick begriff er nicht, was geschehen war. Wo war er? Und weshalb hämmerte es so in seinem Hinterkopf? Er richtete sich mühsam auf, verharrte in sitzender Stellung und blickte sich verwirrt um. Allmählich erinnerte er sich. Er war von einem Fahrraddieb niedergeschlagen worden ... von dem Mann mit der Narbe ... dem Flüchtling von der Grenze ...

Stöhnend stand er auf und griff sich an den Hinterkopf. Scheusslich, dieses Hämmern und Pochen. Wie lange mochte er im Grase gelegen haben? Vielleicht einige Minuten ... vielleicht eine halbe Stunde! Und das eine Rad war verschwunden! Es war Carls Rad, wie er feststellte.

Sein Gehirn arbeitete jetzt wieder mit völliger Klarheit. Er eilte zum Zelt und rief hinein: «Wacht auf! Wacht auf!»

Die schlafenden Freunde liessen ein unwilliges Brummen vernehmen. Allmählich aber dämmerte ihnen doch, was Jan ihnen zu erklären versuchte. Carl war zuerst munter. Im nächsten Augenblick stand er schon neben Jan draussen vor dem Zelt. Seine Stimme bebte vor Erregung: «Was sagst du, Jan? Ein Strolch hat dich zu Boden geschlagen?»

«Ja, und er hat dein Rad gestohlen ...»

«Was bedeutet das Rad?» unterbrach ihn Carl. «Bist du verletzt?»

«Nicht der Rede wert! In meinem Hinterkopf hämmert es etwas. Sonst fehlt mir nichts.»

Carl ballte zornig die starken Fäuste: «Dieser Halunke! Wenn der Kerl mir in den Weg läuft, mache ich Hackfleisch aus ihm ...»

Erling und Jesper waren inzwischen ebenfalls aus dem Zelt gekrochen. Jan sagte: «Wisst ihr, wer der Mann war, der Carls Rad gestohlen hat? Der Mann mit der Narbe, der über die Grenze geflüchtet ist! Wollen wir ihn verfolgen?»

«Natürlich!» riefen die drei Freunde wie aus einem Munde.

«Gut! Ich weiss nicht, wie lange ich bewusstlos war. Vielleicht nur wenige Minuten. In diesem Fall haben wir eine Chance. Wenn ich aber länger bewusstlos war, ist der Kerl natürlich längst über alle Berge.»

«Wir versuchen es auf alle Fälle!» erklärte Carl zornig. «Aber wo sollen wir ihn suchen?»

«Wahrscheinlich ist er in Richtung Sonderburg gefahren», erwiderte Jan. «Er ist ja von Padburg gekommen und wird schwerlich Neigung haben, zur Grenze zurückzukehren. Da wir nur noch drei Räder besitzen und ich mich etwas schwindlig fühle, schlage ich vor, ihr drei fahrt im Spurttempo in Richtung Sonderburg. Wenn ihr den Ausreisser vorher nicht entdeckt habt, kehrt ihr an der Brücke um. Denn dann ist eine weitere Verfolgung aussichtslos.»

Verblüffend schnell hatten sich die drei Buben angezogen, und wenige Minuten später radelten sie, so schnell sie konnten, in Richtung Sonderburg davon. Jan konnte noch längere Zeit das helle Licht ihrer Radlaternen sehen. Er ging langsam vor dem Zelt auf und ab. Am liebsten hätte er sich hingelegt. Aber er liess es bleiben. Es war immerhin möglich, dass er eine kleine Gehirnerschütterung bekommen hatte, und es hiess ja, in einem solchen Fall dürfe man nicht schlafen, jedenfalls nicht sofort.

Jan glaubte, es wäre eine Ewigkeit vergangen, als seine Freunde endlich zurückkehrten. Leider hatten sie nichts erreicht. Sie waren, statt an der Brücke umzukehren, sogar bis Sonderburg gefahren, hatten aber von dem Fahrraddieb keine Spur entdecken können. Jan suchte sie zu trösten: «Da lässt sich nichts machen. Wir wollen uns wieder hinlegen und hoffen, dass heute nacht nicht noch mehr passiert.»

«Und Carls Rad?» fragte Jesper.

«Das werden wir kaum wiedersehen», erwiderte Jan. Lächelnd fügte er hinzu: «Carl muss eben fortan abwechselnd bei uns hinten aufsitzen.»

Carl sah ganz niedergeschlagen aus. Bis zu diesem Augenblick hatte er an das gestohlene Rad kaum gedacht. Jetzt erst kam ihm zum Bewusstsein, wie schwer der Verlust war, den er erlitten hatte. «Es ist scheusslich», sagte er stockend. «Aber es bleibt ja nichts weiter übrig. Morgen fahre ich mit der Bahn nach Hause. Selbst ein gebrauchtes Fahrrad ist ja teuer, und ... in meiner Kasse herrscht wieder einmal Ebbe ...»

«Kommt nicht in Frage!» erklärte Erling ruhig. «Das fehlte noch gerade, dass wir für den Rest der Tour auf deine Gesellschaft verzichten! Nein, mein Freund, morgen früh kaufen wir ein neues Rad für dich. Ich habe genügend Geld mitgenommen.»

«Es wird lange dauern, bis ich das Geld zurückzahlen kann», stammelte Carl verlegen. «Mein Verdienst ist leider nicht danach ...»

«Du kannst jeden Monat eine Krone abzahlen», erwiderte Erling. «Und nun wollen wir nicht mehr davon reden.»

3.

Als die Buben erwachten, stand die Sonne schon hoch am Himmel. Jan war der erste, der den Kopf durch die Zeltöffnung steckte. Die Schmerzen in seinem Hinterkopf waren verschwunden. Mit lauten Zurufen und freundschaftlichen Püffen weckte er seine Kameraden. Die grössten Schwierigkeiten hatte er, wie immer, bei Erling. Der dicke Kerl bat eindringlich und mit flehender Stimme, man solle ihn doch noch ein paar Stunden schlafen lassen. Aber Jan war unerbittlich: «Als wir beschlossen, diese Fahrt zu machen, war es sicher nicht unsere Absicht, die ganze Zeit zu verschlafen. Ermanne dich, Dicker, und mach kein so wehleidiges Gesicht! Auf mit dir!»

Carl holte zwei Eimer Wasser vom Hof, und Jesper besorgte frische Brötchen vom Bäcker. Als sie am Lagerfeuer versammelt waren und sich das Frühstück schmekken liessen, erörterten sie eifrig die Geschehnisse der Nacht. Jesper konnte es nicht lassen, Carl etwas zu nekken: «Du warst ja gestern so begeistert, weil der Mann mit der Narbe den Grenzwächtern entwischte. Bist du noch immer so froh, dass er sich auf freiem Fuss befindet?»

«Meinst du, wegen des Rades?» gab Carl bedrückt zurück. «Ich konnte doch nicht wissen, dass er stehlen würde ...»

«Wir wollen Carl damit nicht necken, Krümel!», mischte Jan sich ein. «Ich verstehe sehr gut, was gestern in ihm vorging, als er sich darüber freute, dass die Flucht geglückt war. Denken wir jetzt lieber daran, einen Plan für den heutigen Tag zu entwerfen. Zuerst und vor allem müssen wir die Polizei in Sonderburg benachrichtigen. Der Diebstahl des Fahrrads wird sie kaum sonderlich interessieren. Ich glaube aber sicher, wenn sie hören, wer das Rad gestohlen hat, werden sie die Ohren spitzen. Der Flüchtling von der Grenze wird vermutlich schon überall gesucht ...»

«Wo mag er stecken?» fragte Jesper.

«Das weiss ich natürlich ebensowenig wie du, Krümel», erwiderte Jan. «Ich halte es aber für sehr wahrscheinlich, dass er sich irgendwo auf Alsen befindet. Er hatte sicher einen ziemlich weiten Weg vor sich. Weshalb hätte er sonst das Wagnis eingehen und das Rad stehlen sollen? Es ist nicht undenkbar, dass er auf Alsen Freunde hat, die ihm auf der Flucht weiterhelfen können ...»

«Vielleicht treffen wir wieder mit ihm zusammen», unterbrach ihn Carl hoffnungsvoll.

Jan schüttelte den Kopf. «Damit rechne lieber nicht, Carl. Nach dem, was heute nacht geschehen ist, wird er sicher sehr vorsichtig sein.»

Ausnahmsweise wurde Erling erstaunlich schnell mit dem Frühstück fertig. Er erhob sich und blinzelte Jan heimlich zu. «Kannst du mit Krümel allein das Zelt abbrechen, Jan?» fragte er. «Inzwischen könnten Carl und ich uns etwas in der Umgegend umsehen.»

«Natürlich», erwiderte Jan, der sofort begriff, was Erling im Sinne hatte.

Die beiden Jungen machten sich auf den Weg, während die Zurückbleibenden aufräumten und das Zelt abbrachen. Eine halbe Stunde später waren sie fertig. Bald darauf kamen Erling und Carl zurück.

Carl stiess ein vor Neuheit funkelndes Rad. Jan rief lachend: «Jetzt besitzt du das beste Rad von uns allen, Carl! Schade, dass der Kerl nicht mein Rad gestohlen hat!»

«Es ist mir eigentlich gar nicht recht», murmelte Carl verlegen. «Erling hat 265 Kronen für das Rad bezahlt, und ich hätte genau so gut das alte Rad nehmen können, das der Mann für 85 Kronen verkaufen wollte ...»

«Ja, das sieht Erling wieder einmal ähnlich», sagte Jan, vergnügt grinsend. «Er findet das Beste gerade einigermassen gut genug. Aber nun wollen wir machen, dass wir nach Sonderburg kommen. Es ist höchste Zeit, dass die Polizei benachrichtigt wird.»

Es dauerte nicht lange, und die Buben waren wieder unterwegs. Da es nach Alsen leicht bergab ging, konnten sie ein gutes Tempo einhalten. Schliesslich beschrieb der Weg eine scharfe Kurve nach rechts, und Sonderburg lag auf der anderen Seite der Meerenge vor ihren Augen. Die Stadt machte im strahlenden Sonnenschein einen festlichen Eindruck. Am äussersten Ende rechter Hand lag das grosse Schloss, in dem Christian der Zweite sieben Jahre lang gefangen gesessen hatte. Wie Erling erzählte, war der Turm, der ihn beherbergt hatte, schon seit langer Zeit niedergerissen. Andere Teile des Schlosses aber waren gut erhalten, obwohl sie aus dem Mittelalter stammten.

Die Buben fuhren sofort nach der nächsten Polizeistation, und Jan erzählte, was sich in der Nacht begeben hatte. Der Wachtmeister machte grosse Augen, als er hörte, der Fahrraddieb wäre mit dem verschwundenen Flüchtling von der Grenze identisch. Er sagte: «Bist du deiner Sache auch sicher?»

«Durchaus!» erklärte Jan ohne Bedenken. «Ich habe ihn an der Grenze ganz deutlich gesehen, und heute nacht hatten wir hellen Mondschein. Ein Irrtum ist ganz ausgeschlossen.»