Jan ruft SOS - Carlo Andersen - E-Book

Jan ruft SOS E-Book

Carlo Andersen

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Beschreibung

Teil 1, Der Schmuck im Hafermehl: Jan Helmer, der 14-jährige Sohn eines Kopenhagener Kriminalkommissars, ist sich sicher, dass er später einmal den gleichen Beruf wie sein Vater ausüben will. Natürlich ergreift jede Gelegenheit, sich im kleinen als 'Detektiv' zu erproben. Als er schliesslich über die Medien erfährt, dass Diebe ein Juwelengeschäft in Kopenhagen überfallen haben, entscheidet er sich diese Angelegenheit genauer zu beleuchten und bringt sich dabei selbst in Gefahr. Teil 2, Jesper wider Tod und Teufel: Jan Helmer, der 14-jährige Sohn eines Kopenhagener Kriminalkommissars, ist sich sicher, dass er später einmal den gleichen Beruf wie sein Vater ausüben will. Natürlich ergreift jede Gelegenheit, sich im kleinen als 'Detektiv' zu erproben. Während einem Ferienaufenthalt im Strandhaus seiner Freunde stellt Jan fest, dass im Keller des Hauses Geld versteckt ist. Jan und seine Freunde wollen dem Grund dafür auf die Spur gehen und bringen sich dabei in Teufelsküche. Zum Guten Glück hat Jan in seinem Freund Jesper einen tapferen Begleiter an seiner Seite. – Mit viel Humor und Feingefühl führen die Autoren den Leser durch Jans Helmers Abenteuer. Empfehlenswert, insbesondere auch für jüngere Leser.-

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Knud Meister und Carlo Andersen

Jan ruft SOS

Zwei Detektivgeschichtenfür Buben und Mädchen

Saga

Jan ruft SOS

Aus dem Danish von Karl Hellwig

Originaltitel: Jan sender SOS © 1959 Carlo Andersen, Knud Meister

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711458877

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

Erster Teil

Der Schmuck im Hafermehl

Erstes kapitel

Ferienfreuden

«Ich liebe dich wie nichts auf dieser Erden ... Ich liebe dich ... Ich liebe dich ...!»

«Dicker! Hör endlich auf mit dem Gegröle!»

Aber Erling war nicht so leicht zum Schweigen zu bringen. Er saß auf dem Deck der Segeljolle «Rex» und sang aus vollem Halse. In der Rechten hielt er eine Scheibe Brot mit Preßwurst (viel Senf!), und diesem belegten Brot galt seine Liebeserklärung, die Jespers Unwillen erregte.

«Ich liebe dich ... ich liiiiiiebe dich ... Ich ... puh ...!»

Der kleine Jesper, von den Kameraden «Krümel» genannt, hatte seinem dicken Freund einen Eimer voll Wasser mitten ins Gesicht geklatscht und ihn so — freilich auf eine etwas drastische Weise — zum Verstummen gebracht. Carl, der sich durch ungewöhnliche Körperkräfte auszeichnete und seinen Freunden an Alter etwas voraus war, mußte über Erlings Gesicht derart lachen, daß er beinahe die Fockschot, die er gerade festmachen wollte, hätte fahrenlassen. Jan endlich, der vierte im Bunde, der an der Ruderpinne saß, grinste stillvergnügt.

Erling spie das Salzwasser aus, legte sein Wurstbrot aus der Hand, setzte sich langsam aber unaufhaltsam in Bewegung und steuerte geradenwegs auf den Übeltäter zu. «Das sollst du mir büßen, Krümel!» drohte er.

«Gnade, Gnade ... großer Herr!» rief Krümel erschrocken. «Es war nicht bös gemeint! ... Erling, laß nach! ... Sei doch nicht so gemein ...!»

Aber Erling packte mit der einen Hand den Missetäter beim Haarschopf und griff mit der andern nach Jespers Eimer. «Rache ist süß!» sagte er grimmig.

Dabei schwang er den Eimer an der Leine über Bord, zog ihn herauf und ließ das kühle Meerwasser langsam über Kopf und Rücken des Sünders hinunterrinnen.

Jesper brüllte aus voller Kehle, als ginge es ihm ans Leben. Doch es half ihm nichts; Erling hielt ihn mit starker Hand gepackt und ließ erst los, als der Eimer leer war. Jesper schüttelte sich noch eine Weile. Da er aber nur eine Badehose trug, war der Schaden nicht groß. Schnell war der Friede geschlossen, und die beiden Kampfhähne wälzten sich nebeneinander lachend auf dem Deck der Segeljolle, bis Erling plötzlich aufsprang und voller Entsetzen rief: «Mein Wurstbrot!!!»

Das belegte Brot hatte in der heißen Sonne gelegen; die Wurstscheiben krümmten sich und die dick aufgestrichene Butter begann zu zerfließen.

«Siehst du!» fuhr Erling aufgebracht fort, «nun schmilzt schon die Butter! Das ist ganz allein deine Schuld, du elender Wurm!»

«Meine Schuld?» gab Jesper zurück. «Nicht die Spur! Du bist selber schuld! Denn hättest du nicht das blöde Lied von Aarestrup gegrölt ...»

«Aarestrup ...!» Erling machte ein Gesicht, als habe er auf einen wurzelkranken Zahn gebissen.

«Kleiner Krümel!» begann er, traurig den Kopf schüttelnd. «Aus dir wird nie etwas Rechtes! Wie soll das bloß enden? Jedermann wird sagen: ‚Gewiß, er ist ein ganz netter Kerl ... aber begabt? Nicht die Spur! Und gebildet? Nicht die Spur! Man denke sich: er kriegt es fertig, Aarestrup mit Andersen zu verwechseln, bloß weil sie beide mit einem ‚A’ anfangen. Mit dergleichen beklagenswerten Irrtümern schreitet er nun durchs Leben und streut sie um sich, wie man Asche auf die Schlittenbahn streut!»

«Ist das Gedicht nicht von Aarestrup?» fragte Jesper verwundert. «Ist es von Andersen? Ehrenwort?»

«Von H. C. Andersen!» bestätigte Erling. «Merke es dir für den unwahrscheinlichen Fall, daß du eines Tages eingeladen werden solltest, am Rundfunkquiz teilzunehmen.»

«Und die Melodie?» fragte Carl. «Man hört das Lied manchmal im Radio. Freilich tat Erling sein Möglichstes, um es unkenntlich zu machen. Von wem ist die Melodie?»

«Von Grieg!» erwiderte Jesper schnell. «War es diesmal richtig, Dicker?» fügte er etwas kleinlaut hinzu.

«Manchmal findet selbst ein blindes Huhn ein Korn», sagte Erling gutmütig; dabei biß er mit sichtlichem Behagen in sein Wurstbrot, das augenscheinlich immer noch genießbar war.

Die Wellen plätscherten munter gegen die Seiten des Boots. Der Wind frischte spürbar auf. Die Küste der Insel Fünen lag im hellen Sonnenschein.

Carl stand auf und streckte die Glieder. «Bald sind wir in Nyborg», sagte er und holte die Fockschot etwas ein, um dichter an den Wind zu gehen.

«Bald sind wir in Nyborg», wiederholte Jesper. Seine Stimme klang nicht gerade begeistert. «Das bedeutet, daß für mich die Ferien nun bald zu Ende sind ... Schade!»

«Du brauchst doch nur bei uns zu bleiben», meinte Jan. «Wir schicken dich nicht fort. Das weißt du ja.»

«Natürlich weiß ich das, Jan», sagte Jesper. «Aber ich habe nun einmal versprochen, daß ich von Nyborg aus direkt nach Hause fahre. Ein Vetter aus der Provinz erweist unserem geringen Hause die Ehre. Es würde wirklich nicht gut aussehen, wenn es da hieße, ich mache gerade mit meinen Freunden eine Segelfahrt. Der Besuch kommt nämlich eigentlich nur meinetwegen nach Kopenhagen ... oder wenigstens rechnet er bestimmt darauf, daß ich da bin. Da ist nichts zu machen. Sobald wir in Nyborg sind, nehme ich die erste Fähre nach Korsör und dampfe ab.»

«Schade, kleiner Krümel!» sagte Erling mit aufrichtigem Bedauern. «Du wirst mir fehlen.»

«Du mir auch, dickes Dromedar!» erwiderte Jesper.

Erling war aufgestanden und verneigte sich vor seinem kleinen Freunde mit chinesischer Förmlichkeit. Dieser folgte seinem Beispiel.

«Was habt ihr eigentlich in Nyborg vor?» fragte Jesper, als sie wieder saßen.

«Nichts Besonderes», erwiderte Jan. «Wollen bloß die Stadt ein bißchen ansehen. Dann kann die Reise gleich weitergehen. Ich dachte daran, die Südküste von Seeland zu umsegeln, wenn das Wetter günstig bleibt. Schade, daß du nicht mitfahren kannst!»

Jan hielt stetigen Kurs auf die Küste, die man schon erkennen konnte. Eine Eisenbahnfähre, die von Korsör herüberkam, hielt auf die Einfahrt des Nyborger Hafens zu.

«Hoffentlich kommen wir mit der Hafengebühr billig weg», meinte Carl. «Wir müssen sparen.»

«Die Hafengebühr?» lachte Jan. «Wenn es weiter nichts wäre! Viel schlimmer wird es über unser Geld hergehen, wenn Erling den Wagen mit den warmen Würstchen entdeckt.»

«Sagtest du warme Würstchen?» rief Erling aufgeregt. «Und wir sind noch nicht an Land? Ha! Warme Würstchen! Mit Brot und Senf! Munter, Käpt’n! Mehr Fahrt, wenn ich bitten darf!»

«Immer mit der Ruhe, Dicker!» lachte Jan. «Es sind genug warme Würstchen da!»

«Vergiß nicht, daß wir noch Ferien haben! Da pflegen immer viele Touristen an Bord der Fähre zu sein! Stelle dir vor, die esse alles auf!»

«Du hast Glück, Erling!» beruhigte ihn Carl. «Da kommt eine kleine Bö! Jetzt machen wir gute Fahrt. Soll ich das Ruder übernehmen, Jan?»

«Nicht nötig, Carl! Ich bin zwar kein Berufsseemann wie du. Aber der Nyborger Hafen bietet für einen Sportsegler kaum Schwierigkeiten.»

«So war es auch nicht gemeint, Jan!» entschuldigte sich der starke, aber gutmütige Carl, der sich auf das Steuermannsexamen vorbereitete. «Einem so tüchtigen Sportsegler, wie du es bist, dürfte es kaum passieren, daß er mit einer Boje kollidiert. Die Hauptsache ist: du bohrst das Fährschiff nicht in den Grund!»

Etwas später waren sie an Land und legten im Segelhafen an. Jesper ergriff seinen kleinen Koffer. Dann wanderten die vier Freunde nebeneinander am Kai entlang bis zur Liegestelle der Eisenbahnfähren, die die Inseln Fünen und Seeland miteinander verbinden.

An der Liegestelle waren zahlreiche Autos aufgefahren, die auf die Fähre warteten, und vor dem Wagen mit den warmen Würstchen hatte sich eine ziemlich lange Schlange gebildet. Aber es war keine Not. Ein jeder bekam seine Wurst.

Sie hatten noch nicht ganz aufgegessen — Erling schlug gerade vor, sie sollten zum Nachtisch noch eine Eiswaffel genehmigen — als die Fähre schon anlegte. Kurz darauf fuhren die ersten Autos an Land.

Die Buben betrachteten interessiert die vielen eleganten Wagen, die teilweise, wie man an den Nummernschildern sah, aus England, Deutschland, Frankreich, Holland und Belgien kamen, und spähten nach Typen aus, die sie vielleicht noch nicht kannten.

Das mächtige Fährschiff entlud sich schnell, und es waren nicht mehr viele Autos an Bord, als plötzlich eine Stockung eintrat. Ein gelber viersitziger Sportwagen, mit einer jungen Dame am Steuerrad und einer zweiten als Passagier, fuhr zu schnell von der Fähre herunter, und da der schwarze Chevrolet, der in der Reihe vor dem Sportwagen fuhr, im selben Augenblick bremsen mußte, prallte der Sportwagen auf das Heck des Vordermanns.

Es knirschte und krachte, und beide Wagen wurden ziemlich schwer beschädigt. Die Dame, die in dem Sportwagen neben der Fahrerin saß, hatte sich gerade etwas vorgebeugt. Bei dem Zusammenprall wurde sie gegen die Windschutzscheibe geschleudert und über dem linken Auge — glücklicherweise nur leicht — verletzt.

Jan und seine Freunde gingen hin, um sich die beiden beschädigten Wagen aus der Nähe anzuschauen. So wurden sie in ein Abenteuer verwickelt, das sie in der friedlichen Stadt Nyborg wirklich nicht erwartet hatten.

Zweites kapitel

Jan schöpft Verdacht

Als die Buben vor den beiden Autos standen, sahen sie sofort, daß der Sportwagen bei dem Zusammenstoß am schlimmsten gelitten hatte. Die vorderen Kotflügel waren stark verbeult, die Motorhaube war eingedrückt, und die Scheinwerfer waren zerbrochen.

Der Chevrolet — eine schwarze Limousine — hatte ebenfalls einige böse Schäden abbekommen; der Deckel des Kofferraums hatte sich verbogen, die hintere Stoßstange war abgerissen und die Schlußlichter waren zertrümmert.

Jan und seine Freunde waren nur aus Neugier hingegangen, um sich den Schaden anzusehen, und sie waren nicht die einzigen. Eine größere Zahl von Menschen, die auf dem Kai gestanden hatten, als die Fähre anlegte, hatte sich angesammelt. Sicherlich hatten sie aber nicht erwartet, Zeugen einer unerfreulichen Zankerei zu werden. Ein jüngerer blonder Mann stieg aus dem Chevrolet aus und ging schnell zu dem Sportwagen hinüber, wo die hübsche Fahrerin in hellgrauen weiten Hosen und einer karierten Bluse gerade dabei war, den Schaden zu besichtigen.

«Wie kann man nur so unvernünftig fahren!» rief der junge Mann. «Mein Wagen ist schön zugerichtet!»

Daß auch der Sportwagen Schaden genommen hatte, schien ihn nicht zu interessieren. Er schenkte ihm kaum einen flüchtigen Blick, betrachtete dagegen mit größter Aufmerksamkeit die Schäden, die sein eigener Wagen erlitten hatte.

«Es tut mir schrecklich leid», stammelte die junge Dame. «Ich begreife nicht ...»

«Begreife nicht ... Nein! Ich würde mich auch sehr wundern, wenn es eine vernünftige Erklärung dafür gäbe», fauchte der Mann und wandte sein Interesse wieder seinem Wagen zu.

Die junge Dame stand hilflos da. Es zitterte um ihren Mund, als wären ihr die Tränen nahe.

Ein Mann in einem hellgrauen eleganten Jackettanzug war inzwischen ebenfalls aus dem Chevrolet ausgestiegen, und auch die andere Dame, die im Sportwagen gesessen hatte, gesellte sich zu den übrigen. Sie trug wie ihre Freundin eine weite Hose und eine Bluse. «Typische Touristen!» dachte Jan, und seine Augen glitten über die vier Lederkoffer, die hinten in dem Sportwagen aufgestapelt waren. Es waren offenbar zwei wohlhabende junge Damen, die in die Ferien fuhren. Und nun war es zu diesem Zusammenstoß gekommen, der ihre Ferienfreude etwas zu trüben drohte. Aber schlimm war es doch eigentlich nicht. Die Wagen mußten für eine Weile in die Reparaturwerkstatt. Hinterher würden sie genau so elegant aussehen wie zuvor.

Der Mann, der zuletzt aus dem Chevrolet ausgestiegen war, betrachtete lächelnd die anderen. Er hatte die Hände in die Rocktaschen gesteckt und sich eine Zigarette angezündet. Sein dunkles Haar glänzte in der Sonne.

«Auch die Rücklichter sind hin», sagte der andere Mann wütend. «Also können wir nicht weiterfahren.»

Er blickte den dunkelhaarigen Mann an, als erwarte er von ihm eine Äußerung. Der aber zuckte nur die Schultern und sagte nichts. Die beiden jungen Damen blickten einander ratlos an.

«Das bringt auch nur eine Frau fertig! Da kann man noch soviel reden ...»

Er brach mitten im Satz ab, denn in diesem Augenblick kam ein Polizist herbei und fragte: «Was ist geschehen?»

Der Mann blickte ihn flüchtig an und verzog zum ersten Mal sein Gesicht zu einem Lächeln.

«Ein kleiner unverschuldeter Unfall», murmelte er. «Als wir von Bord fuhren, kollidierten die Wagen. Sie haben ein paar Beulen bekommen. Nichts von Belang ...»

«Wollen Sie das selber in Ordnung bringen, oder ist es etwas Ernstes?» fragte der Polizist, der anscheinend nicht viel Lust hatte, ein Protokoll aufzunehmen?»

«Wir werden allein damit fertig», sagte der Mann.

«Darf ich Ihren Führerschein sehen?»

«Bitte sehr.»

Der Polizist warf einen gleichgültigen Blick auf das Dokument und gab es dem Mann zurück. Dann wandte er sich an die junge Dame, die den Sportwagen gefahren hatte. «Ihren Führerschein, bitte?»

Sie holte ihre Tasche, die auf dem Vordersitz des Wagens lag, kramte darin herum und nahm den Führerschein heraus. Der Polizist sah ihn an, nickte und reichte ihn zurück. «Sie wünschen also nicht, daß ich ein Protokoll aufnehme?»

«O nein», stammelte sie, eifrig den Kopf schüttelnd. «Natürlich ersetze ich den Schaden, den ich angerichtet habe ...»

«Wollen Sie nicht, daß die Versicherung ihn ersetzt?» fragte der Polizist etwas verwundert.

«Das ist nicht nötig, Herr Wachtmeister», sagte der Mann, liebenswürdig lächelnd. «Es handelt sich ja eigentlich nur um ein paar Schrammen.»

«Na, ein paar Schrammen ist nicht gerade der richtige Ausdruck. Die Reparatur dürfte sogar ziemlich viel Geld kosten», meinte der Polizist. «Doch wie Sie wollen. Schaffen Sie die Wagen weg, damit die anderen Wagen passieren können.»

«Sofort.»

Der Polizist grüßte und ermahnte die vielen Zuschauer, weiterzugehen.

Sobald er fort war und die Zuschauermenge sich zu zerstreuen begann, sagte Erling: «Wir wollten doch noch eine Eiswaffel essen.»

«Ja, richtig!» rief der kleine Jesper. «Daß wir bloß das Wichtigste nicht vergessen! Komm, Jan!»

«Geht nur schon voraus», sagte Jan. «Ich komme gleich nach.»

Jesper hatte den Eindruck, daß Jans Gedanken woanders waren. Er sagte aber nichts, sondern folgte Carl und Erling, als sie sich nach dem Wagen des Eisverkäufers wandten.

Jan ging langsam um die beiden Autos herum und tat so, als interessiere er sich für die Schäden, die sie erlitten hatten. Die anderen Zuschauer hatten sich fast alle entfernt. Da hörte er den Mann, der den Chevrolet gefahren hatte, die Dame vom Sportwagen anfauchen: «Du mußt auch immer wie eine Verrückte fahren!»

Statt sie selber antworten zu lassen, sagte ihre Begleiterin zornig: «Und du benimmst dich immer wie ein Tolpatsch, Henrik!»

«Misch dich nicht ein! Es ist mein Wagen.»

«Das brauchst du mir nicht immer wieder zu erzählen. Ich habe es wirklich schon oft genug gehört. Der Schaden, den Jens’ Wagen erlitten hat, scheint dir völlig gleichgültig zu sein.»

Jetzt nahm der dunkelhaarige Mann das Wort: «Hört doch auf!» sagte er beruhigend. «Laßt uns nicht mehr davon reden. Nur kein Aufsehen, bitte.»

Er blickte sich um. Eine Sekunde lang begegneten sich seine und Jans Augen. Es war nur eine Sekunde. Dann blickten sie beide woanders hin, und Jan begann leise zu pfeifen, als habe er nichts gesehen und nichts gehört, sich vielmehr bloß die Autos angeschaut.

«Wir müssen sehen, daß die beiden Wagen schnell in eine Werkstatt kommen», sagte der dunkelhaarige Mann. «Wir bleiben derweilen im Sommerhaus.»

Jan folgte seinen Kameraden, die bereits mit dem Eismann verhandelten. Erling streckte ihm ein Eis am Stiel entgegen und sagte: «Na, alter Detektiv? Hast du das Geheimnis der beiden Autos schon aufgeklärt?»

«Weißt du nun, wie es kam, daß sie zusammenstießen?» fragte der kleine Jesper mit frommer Miene.

Erling lachte. «Im letzten Kapitel erklärt Jan das Ganze der staunenden Freundesschar!» sagte er. «‚Also’, spricht der Detektiv und blickt sich im Kreise um. ‚Das Ganze ist in Wirklichkeit furchtbar einfach. Der eine Wagen fuhr zu schnell und der andere bremste plötzlich. Noch bevor der Fahrer des hinteren Autos auf die Bremse treten konnte, rammte sein Wagen mit voller Kraft den Chevrolet, und so entstanden schwere Schäden! Genial, nicht wahr?’»

«Ungemein einfach, lieber Watson!» fuhr Jesper spöttisch fort. «Das Ganze war eine Frage schlechter Reaktionsfähigkeit bei der Fahrerin des Sportwagens. Die junge Dame wurde, wie erinnerlich, im zweiten Kapitel von einem einäugigen Chinesen entführt und war davon immer noch verstört ...»

«Ach, hört endlich auf!» sagte Jan ärgerlich. «Wenn ihr glaubt, ihr seid witzig ...»

«Dann haben wir vollkommen recht», fiel Erling ein.

«Laßt Jan doch in Ruhe», brummte Carl. «Wenn ihr beiden einmal mit euren Albereien angefangen habt, dann findet ihr kein Ende mehr. Laßt euern Witz doch aneinander aus, statt Jan zu ärgern. Das ist viel besser!»

«Gönne den Kleinen ihren Spaß!» sagte Jan friedlich. «Sowohl Erling wie Krümel würden sich sehr wundern, wenn ihnen aufginge, daß die Sache mit den beiden Autos in Wirklichkeit recht merkwürdig ist. Man kann freilich nicht erwarten, daß so einfältige Gemüter das ohne weiteres begreifen. Hätten sie ihre Augen und Ohren gebraucht, dann wären ihnen viele seltsame Dinge aufgefallen. Sie hatten aber nichts anderes im Kopf als Eiswaffeln, und daher entging ihnen allerlei, was des Nachdenkens wohl wert ist.»

Erling stutzte. Nach einer kurzen Pause meinte er: «Du willst doch nicht etwa sagen, daß ...»

Jan nickte: «Doch, das will ich sagen ...»

Erling wollte gerade wieder an seiner Eiswaffel schlecken, vergaß es aber ganz und starrte Jan mit offenem Munde an. «Ach nein!» sagte er flehentlich. «Ach nein ...»

«Steht ein neues Abenteuer bevor?» fragte Carl erwartungsfreudig. «Ist es so, dann frisch ans Werk! Ich stimme deshalb keine Klagelieder an wie der dicke Faulpelz dort! Erzähle uns lieber, was du entdeckt hast!»

«Und ich hatte mich schon gefreut, wie wunderbar ruhig und friedlich wir es haben würden, wenn wir Krümel erst nach Hause geschickt hätten!» sagte Erling betrübt. «Nun ist alles verdorben, und du kannst ebensogut bei uns bleiben, Krümel; denn jetzt hat Jan ein neues Problem entdeckt, das uns die ganze nächste Zeit keine Ruhe mehr lassen wird!»

«Unsinn!» sagte Jan. «Halb so schlimm! Ich habe nur behauptet, daß bei den vier Leuten in den Autos irgend etwas nicht zu stimmen scheint. Die beiden Wagen kommen in die Werkstatt. Zum mindesten müssen die Scheinwerfer des Sportwagens und die Rücklichter samt der Stoßstange des Chevrolets in Ordnung gebracht werden. Vorher können die Leute nicht weiterfahren.»

«Was ist denn daran merkwürdig?»

«Daran natürlich nichts. Aber die Leute kennen einander.»

«Das ist doch auch nicht weiter merkwürdig», meinte Erling.

«Hört mal!» nahm Jesper das Wort. «Wenn ich mich nicht beeile, versäume ich die Fähre. Das darf ich aber leider nicht, weil ich sonst in Korsör keinen Anschluß bekomme. Ich habe keine Lust, drüben ein paar Stunden am Hafen zu stehen und zu warten. Bringt ihr mich zur Fähre?»

«Natürlich!» sagte Erling. «Aber wundere dich nicht, wenn ich beim Abschied zu weinen anfange. Bist du erst weg, dann habe ich niemand mehr, über den ich mich ärgern kann.»

Bald darauf nahm Jesper Abschied von seinen Kameraden und ging an Bord.

Jan, Carl und Erling blieben am Kai zurück und winkten, als die Fähre sich in Bewegung setzte.

«Schreibt, wenn ihr etwas Spannendes erlebt!» rief Jesper.

Auf dem Weg zur Liegestelle der Fähre hatte Jan erzählt, was er gehört und gesehen hatte. Jesper war also einigermaßen im Bilde.

«Mir scheint», hatte Jan gesagt, «es ist doch etwas merkwürdig, daß die Leute einander gut kennen, aber, sobald andere zugegen sind, so tun, als seien sie einander fremd. Und weshalb fahren sie in zwei Wagen?»

«Vielleicht bringen sie den einen Wagen für Freunde herüber», meinte Erling. «Oder vielleicht gehört dem einen Paar der Chevrolet, dem anderen der Sportwagen, sie können aber nicht miteinander fahren.»

«Wie meinst du das? ... Ach so, ich verstehe. Du meinst, daß einer der beiden Herren seinen Wagen nicht selber fahren kann?»

«Stimmt. Vielleicht hat der eine Mann zum Beispiel seinen Führerschein verloren oder vergessen.»

«Es könnte möglich sein, daß du recht hast. Aber auch dann ist es doch merkwürdig, daß sie vor Fremden tun, als kennten sie einander nicht. Ich hatte den Eindruck, daß der Mann, der den Chevrolet fuhr, mit der Dame verheiratet ist, die am Steuer des Sportwagens saß. Und weshalb wollte er durchaus nicht, daß der Polizist ein Protokoll aufnahm?»

«Das vermeiden viele Fahrer in solchen Fällen, wenn es eben geht. So ein Protokoll bringt eine Menge Scherereien.»

«Gut. Dann beruhigen wir uns also dabei und nehmen an, daß es so ist», schloß Jan seinen Bericht. «Es sieht tatsächlich so aus, als hätte ich am hellichten Tage Gespenster gesehen. Wahrscheinlich ist mit den vieren alles in Ordnung, und du kannst in Ruhe und Frieden deine Ferien genießen, Dicker.»

«Das klingt zu schön, um wahr zu sein», erwiderte Erling.

Dann hatte die Abschiedsstunde geschlagen. Die Fähre mit Jesper an Bord war auf dem Wege nach Korsör. Jan, Erling und Carl aber gingen in die Stadt.

Jan blieb etwas hinter den beiden andern zurück. Immer wieder mußte er an die vier Leute in den beiden Wagen denken. Bei der ersten Autowerkstatt, an der er vorüber kam, spähte er in den Hof. Wie er erwartet hatte, standen dort die beschädigten Autos. Ein Mechaniker stellte gerade den Umfang der Schäden fest, und der Mann, der den Chevrolet gefahren hatte, äußerte seine Wünsche; die anderen waren nicht zu sehen.

«Sorgen Sie vor allem dafür, daß die Wagen so schnell wie möglich repariert werden», hörte Jan den Mann sagen. «Wir haben nur wenig Zeit. Wir müssen weiter ...»

«Aber wir haben jetzt gerade sehr viel zu tun», wandte der Mechaniker ein.

«Ich bezahle den doppelten Preis, wenn Sie unsere Wagen sogleich in Angriff nehmen», sagte der Mann. Der Mechaniker blickte ihn verwundert an. Eine solche Großzügigkeit war er offenbar nicht gewohnt. Er kratzte sich am Nacken.