Jan gewinnt die dritte Runde - Carlo Andersen - E-Book

Jan gewinnt die dritte Runde E-Book

Carlo Andersen

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Beschreibung

Am Vormittag wurde wie immer eine Weile im Walde nach vergrabenen Schätzen gesucht. Eine halbe Stunde mochte vergangen sein, seit sich die Buben getrennt hatten, als Jan plötzlich Jesper rufen hörte: "Jan!. Jan! Wo bist du?""Hier!" rief er. "Ich komme!" Nach wenigen Minuten hatte er Jesper gefunden, der gespannt fragte: "Du, Jan, was ist das hier?""Er reichte Jan einen hier und da glitzernden, mit Erde beschmierten Gegenstand. Jan entfernte die Erde sorgsam, und siehe da, eine kleine goldene Scheibe bot sich den bewundernden Blicken der Knaben. Jan konnte kaum die Worte stammeln: "Ein Heimfallsfund, Jesper! Ein alter Goldschmuck!JAN ALS DETEKTIV - die spannende Kultbuchreihe ist zurück - toller denn je!DIE JAN ALS DETEKTIV-REIHEIst es möglich, gute Kriminalgeschichten für die Jugend zu schreiben?Diese war die Frage, die die Kriminalschriftsteller, Knud Meister und Carlo Andersen, stellten, als sie mit der Jan-Reihe anfingen. 70 Jahre später beweist der Erfolg der Jan-Reihe das Gelingen. Die Reihe zählt mehr als 80 Bücher - 33 in deutscher Übersetzung. In den Romanen geht es um den 14- bis 20-jährigen Jan Helmer und seine Freunde, die in allerlei Abenteuer verwickelt werden. Jan ist der Sohn eines Kopenhagener Kriminalkommissars, dem sein Vater regelmässig von seinem Beruf erzählt, um ihn zu zeigen, dass Mut, kühle Überlegung und restloser Einsatz der ganzen Person vonnöten sind, um dem Kampf mit einem Verbrecher aufzunehmen. Jan kennt keinen andern Gedanken, als später einmal den gleichen Beruf wie sein Vater auszuüben. Natürlich ergreift er jede Gelegenheit, sich im kleinen als 'Detektiv' zu erproben.Die Bücher wenden sich an jüngere Leser.-

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Knud Meister

Carlo Andersen

Jan gewinnt die dritte Runde

Detektivgeschichtefür Buben und Mädchen

Saga

Jan gewinnt die dritte Runde

Aus dem Dänischen von Dr. Karl Hellwig

Originaltitel: Jan vinder 3. omgang © 1953 Carlo Andersen, Knud Meister

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711458327

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

Erstes Kapitel

Frohe Fahrt

Jan sass mit seinen Freunden Erling und Carl vor dem Klubhaus im Helleruper Segelboothafen. Sie genossen das schöne sonnige Wetter und belustigten sich über die frechen Sperlinge, die ganz ungeniert auf den kleinen Tischen herumhüpften, um Kuchenkrümel aufzupicken.

Die drei Buben tranken ihren Nachmittagskaffee und dösten vor sich hin. Sie hofften, der Wind würde bald etwas auffrischen, denn sie hatten die Absicht, mit ihrem Segelboot «Rex», das im Hafen vertäut lag, während der Ferien eine Kreuzfahrt zu machen.

Erling nahm das letzte Stück Sandtorte in Angriff und wandte sich an Jan: «Lieber Kapitän, es lässt sich gewiss nicht leugnen, dass es sich hier sehr schön sitzt, aber ich hätte doch nichts dagegen, wenn wir bald loskämen ...»

Jan nickte. «Dagegen hätten wir alle drei nichts, Dikker», erwiderte er etwas verdrossen. «Aber hast du schon einmal ein Segelboot gesehen, das bei Windstille segeln kann?»

Vom Klubhaus ertönte plötzlich eine Stimme: «Es wird gegen Abend auffrischen, meine Herrschaften. Ihr braucht also den Kopf nicht hängen zu lassen.»

Diese tröstliche Bemerkung kam von «Proviantmeister» Andersen, der das kleine, aber gemütliche Restaurant des Segelklubs führte. Er kannte Jan und Erling seit dem Tage, als sie in die Jugendmannschaft des Helleruper Segelklubs eingetreten waren. Nach seiner eigenen Aussage hatte er seinen nicht unbeträchtlichen Umsatz im Geschäft in erster Linie Erling Krag zu verdanken. Er behauptete, Erling vertilge ebensoviel Kaffee, Schokolade, Kuchen usw. wie alle übrigen Mitglieder des Klubs zusammen.

Ein kleiner blonder Bub drängte sich in diesem Augenblick an Andersen vorüber, und Erling rief verwundert: «Ich will ein Stockfisch sein, wenn dort nicht unser Freund Krümel in höchsteigener Person auf dem Schauplatz erscheint.»

«Hallo!» grüsste der kleine Jesper vergnügt. «Da sitzt ihr ja und habt es richtig gemütlich!»

«Bis jetzt hatten wir es wirklich gemütlich, Krümel», sagte Erling mit umwölkter Stirn. «Die Gemütlichkeit pflegt aber leider zu verschwinden, sobald du in der Gegend aufkreuzt.»

Da Jesper seinen gutmütigen, dicken Klassenkameraden zur Genüge kannte, nahm er dessen Worte nicht allzu ernst. Er lachte und fragte dann Jan mit etwas überraschendem Eifer: «Du, Jan, kann ich nicht mitkommen?»

Jan betrachtete den Kleinen ein wenig verwundert, ehe er antwortete. «Ich weiss wirklich nicht recht, Krümel ...», sagte er schliesslich. «Ich möchte nicht gern ungastlich sein, aber unser Boot ist ja keine Luxusjacht mit unbegrenzt viel Platz.»

«Ich brauche doch nicht viel Platz», wandte Krümel ein.

Erling nickte freundlich. «Da hast du recht, Krümel. Mein Seesack ist nicht ganz ausgefüllt. Du kannst ganz gut darin schlafen. Vielleicht wird er dann gerade voll. Zu schwer wird er jedenfalls nicht. So ein kleiner Floh wie du wiegt ja nicht viel ...»

«Das ist fein, Dicker», sagte Jesper vergnügt. «Ich kann dir dann ja auch beim Kochen helfen.»

Erling schlug die Hände zusammen und verdrehte die Augen. «Um Gottes willen, Krümel!» rief er in komischer Verzweiflung. «Ich will nicht bestreiten, dass du viele schätzenswerte Eigenschaften hast, aber ein brauchbarer Küchenjunge wirst du nie. Ein richtiger Küchenjunge muss zum Beispiel Weizenmehl von Staubzucker unterscheiden können. Man kann Weissbrot nicht aus Staubzucker backen, und du bist ...»

«Lass es genug sein, Dicker!» unterbrach Jan seinen Freund lächelnd. Dann fragte er Jesper: «Weshalb willst du denn so gern mitkommen, Krümel?»

Jesper wollte nicht recht mit der Sprache heraus. «Das ... das werde ich dir erzählen, wenn ... wenn wir in Vordingborg sind.»

«Weshalb nicht jetzt?»

«Ich ... nein ... lieber nicht ...»

Erling betrachtete ihn misstrauisch. «Eine innere Stimme sagt mir, dass du irgend etwas im Schilde führst, Krümel. Sollte das wirklich der Fall sein, dann werde ich dich über einem schwachen Feuer langsam rösten und dann Carl bitten, dich ordentlich mürbe zu klopfen. Einverstanden, Carl?»

«Abgemacht!» sagte der starke Carl grinsend und liess seine Muskeln spielen.

Der kleine Jesper liess sich aber von dieser fürchterlichen Drohung nicht einschüchtern; denn er kannte nicht nur Erling, sondern auch den gutmütigen Carl, der es kaum fertigbrachte, einer Fliege etwas anzutun, und der von seinen Kräften nur Gebrauch machte, wenn sich seine Freunde in einer misslichen Lage befanden.

Schliesslich wurde beschlossen, Jesper mitzunehmen. Er bedankte sich und rannte davon, um sein Gepäck zu holen. Zwei Stunden später stellte er sich wieder im Segelboothafen ein. Der Wind hatte etwas aufgefrischt, so dass die Stimmung an Bord ausgezeichnet war. Auf dem Dach der kleinen Kajüte lag Jans steter Begleiter, der Polizeihund Boy, und genoss den Sonnenschein. Er war schon öfter an Bord des kleinen Segelboots gewesen und wusste eine Kreuzfahrt zu schätzen. Seekrankheit und andere Leiden, die mit einer Segelfahrt verbunden sein können, waren ihm fremd.

Der Wind kam von Nordwesten. Das Boot machte gute Fahrt. Jan sass am Ruder, als sie an der Küste von Amager entlang strichen. Dann ging es in die Köge-Bucht hinaus. Gegen Sonnenuntergang kam Stevns Klint in Sicht. Die Buben bewunderten den Kreidefelsen, der steil aus dem Meere aufragte und sehr eindrucksvoll aussah. Er ist nicht sehr hoch, aber erstaunlich breit und in zwei Stockwerke gegliedert. Der untere Teil besteht aus hellgelber Kreide, der obere aus Kalkstein, der unter der Einwirkung der Luft eine graue Färbung angenommen hat. Auf der Höhe ragte der Leuchtturm empor und etwas weiter im Süden die halb eingestürzte Kirche von Höjerup.

Die Ruine des uralten Gotteshauses war in den Glanz der untergehenden Sonne getaucht und machte einen märchenhaften Eindruck. Der in der Geschichte sehr beschlagene Erling wusste von ihr zu erzählen:

«Vor vielen hundert Jahren geriet ein Seemann vor Stevns Klint in Seenot. Er betete zu Gott und versprach ihm, eine Kirche zu bauen, wenn er heil an Land käme. Gott erhörte ihn. Aber der Seemann baute die Kirche so nahe am Rande des Felsens, dass das Meer den Untergrund auswusch. Trotzdem blieb sie mindestens ein halbes Jahrtausend heil, weil sie in jeder Weihnachtsnacht einen Schritt landeinwärts wanderte. Doch das Meer war ein hartnäckiger Gegner. Es frass immer mehr von der weichen Kreide weg, und im Jahre 1910 stand die Kirche so nahe am Rande des Felsens, dass sie geschlossen werden musste. Teile des Kirchhofs stürzten zuerst ins Meer. Im Jahre 1928 nahm der Chor der Kirche denselben Weg. Unter furchtbarem Getöse rutschten Mauern, Bäume und alte Särge ins Meer, wo sich eine kleine Halbinsel bildete. Es ist ein merkwürdiger Gedanke, dass man noch vor etwa fünfundvierzig Jahren in der Ruine Gottesdienste abhielt. Die neue Kirche hat man weiter landeinwärts erbaut.»

Eine Stunde nach Sonnenuntergang glitt die «Rex» in den kleinen Hafen von Rödvig und machte fest.

Die Buben unternahmen einen Spaziergang durch den hübschen Badeort. Es waren viele Sommergäste auf der Strasse. Seinerzeit hatte man den Hafen von Rödvig gebaut, um von dort aus die von Stevns Klint stammende Kreide zu verschiffen. Später entdeckten dann die Großstädter die Schönheit des Ortes und machten ihn zu einer beliebten Sommerfrische.

Es fiel Erling schwer, an dem bekannten Wirtshaus «Rödvig Kro» vorüberzugehen. Er verlangsamte merklich den Schritt und zupfte Jan am Ärmel. «Lieber Kapitän, ich spüre plötzlich ein heftiges Verlangen nach einem wirklich guten Apfelkuchen, und ich habe mir erzählen lassen ...»

«Dass er hier ganz besonders gut sein soll», fuhr Jan lächelnd fort. «Nichts zu machen, Dicker! Wenn du erst einmal von dem Apfelkuchen gekostet hast, kommen wir in absehbarer Zeit nicht in die Kojen.»

«Ich lade euch ein!» erklärte Erling mit einer grosszügigen Handbewegung. «Ziert euch nur nicht lange! Kommt!»

Aber Jan war unerbittlich, und eine halbe Stunde später waren die Buben wieder an Bord ihres Bootes versammelt. Das Abendessen bestand aus Tee, Schiffszwieback und Orangenmarmelade. Selbst Erling musste zugeben, dass es sich hier an dem warmen Sommerabend recht gemütlich sass, während die Badegäste ihren letzten Spaziergang nach der Mole machten und von einem kleinen schwedischen Dampfer, der Holz löschte, Handharmonikaspiel zu ihnen herüberdrang.

Carl schien ganz besonders begeistert zu sein; denn plötzlich sprudelte er hervor: «Es ist wirklich sehr nett von euch, dass ihr mich auf eine so wunderschöne Fahrt mitgenommen habt ...»

«Rede keinen Unsinn, Carl!» unterbrach ihn Jan. «Es ist im Gegenteil nett von dir, dass du dich bereit erklärt hast, uns zu begleiten. Man weiss ja nie, was geschehen kann, und du hast schon oft Gelegenheit gehabt, mit deinen festen Fäusten einzugreifen, wenn wir in eine Klemme gerieten.»

«Kommen wir morgen nach Vordingborg?» fragte Jesper gespannt.

Jan nickte. «Ja, gegen Mittag, vorausgesetzt, das Wetter meint es einigermassen gut mit uns.»

«Warum bist du eigentlich so versessen auf Vordingborg, Krümel?» fragte Erling misstrauisch. «Die Sache kommt mir verdächtig vor. Ich fürchte sehr, du hast irgendeinen Streich im Auge. Aber du weisst ja, was Carl und ich dir versprochen haben. Wenn du Dummheiten machst, wird unsere alte, ruhmreiche Schule dich nie wieder zu sehen bekommen ...»

«Das wäre kein grosses Unglück», meinte Jesper.

«Sehr vernünftig gesprochen», antwortete Erling anerkennend. «Du bist nie auf den Mund gefallen – ausgenommen, wenn du in der Klasse aufgerufen wirst. Ich glaube, ich nehme mir noch einen Zwieback ...»

Jan lachte. «Du weisst auch, wozu der Mund da ist, Dicker – wenn du nur irgendwo etwas zum Naschen findest.»

Als es zehn Uhr war, krochen die Buben in ihre Kojen, während Boy an Deck blieb und sich in einem geschützten Winkel zusammenrollte. Wenn er Wache hielt, konnte man sicher sein, dass es keine unangenehmen Überraschungen gab.

Am nächsten Morgen gegen sechs purrte Jan seine drei Kameraden hoch. Wenige Minuten später rannten sie schon über den Strand. Ein kleines Morgenbad machte sie schnell munter, und hernach schmeckte das Frühstück natürlich um so besser. Selbst unter so primitiven Umständen war Erling ein wahrer Meisterkoch, der es verstand, die vortrefflichsten Speisen hervorzuzaubern. Er hatte den kleinen Jesper als Küchenjungen angenommen, rechnete aber nicht damit, dass er ihm von grossem Nutzen sein würde; denn Krümel hatte schon bei einer früheren Gelegenheit bewiesen, dass er vom Kochen nichts verstand. Immerhin konnte man ihn verwenden, wenn es sich darum handelte, Wasser zu holen, Lebensmittel einzukaufen oder Reisig für das Lagerfeuer herbeizuschleppen. Diese Arbeit ersparte sich Erling gern.

Gegen acht Uhr blieb der Hafen von Rödvig hinter der «Rex» zurück. Dann ging es mit südöstlichem Kurs über die Faxe-Bucht auf Möen zu. Der Wind war noch stärker geworden, und das Boot, mit Jan am Ruder, machte gute Fahrt. Bald war die Stege-Bucht erreicht, und nach einer ganz besonders schönen Strecke mit den Inseln auf der einen, herrlichen Wäldern auf der anderen Seite, glitt das kleine Segelboot um die Mittagszeit in den Hafen von Vordingborg.

«Wie du siehst, Krümel, sind wir jetzt in Vordingborg», sagte Erling zu Jesper. «Bekommen wir nun endlich zu hören, was du hier zu tun gedenkst? Heraus damit! Was ist los?»

Jesper schüttelte jedoch den Kopf und antwortete: «Ich muss erst mit meinem Onkel sprechen.»

«Mit deinem Onkel?» wiederholte Erling verwundert.

«Ja. Er besitzt eine Villa am Rande der Stadt. Ich schlage vor, dass wir ihn besuchen. Ich kann dir versprechen, Dicker, dass seine Küche nicht schlecht ist.»

«Das klingt nicht übel», bemerkte Erling anerkennend. «Wenn die Küche deines Onkels wirklich gut ist, sollen dir viele Sünden vergeben sein.»

«Du wirst nicht zu klagen haben», erklärte Jesper eifrig. Mit einem seltsamen Lächeln fügte er hinzu: «Vielleicht liegt mir an deiner Vergebung gerade jetzt viel.»

Jan hatte inzwischen das Boot in den alten, gemütlichen Hafen gesteuert, der wegen der geringen Wassertiefe nur kleineren Fahrzeugen Unterschlupf bot.

Bald trabten die vier Buben, von Boy getreulich begleitet, durch die Stadt. Hoch über die Dächer erhob sich der massive runde Gänseturm. Erling deutete darauf und sagte lächelnd: «Der Turm steht noch immer da, Krümel. Ich hatte schon geglaubt, er sei gestohlen worden, und du wolltest Jan verlocken, den Dieb ausfindig zu machen. Weisst du übrigens, wer hier die erste Burg gebaut hat?»

«Waldemar natürlich», erwiderte Jesper mit überlegener Miene.

«Welcher Waldemar?» fragte Erling.

«Der Vierte», riet Jesper.

Erling schüttelte bekümmert den Kopf: «Du wirst niemals Geschichtsprofessor werden, Krümel. Die erste Burg erbaute Waldemar der Grosse. Zum Schutz gegen die Wenden. Waldemar der Vierte dagegen baute den Gänseturm, der heute zu den am besten erhaltenen Festungstürmen aus dem Mittelalter zählt.»

Jan rief lachend: «Das ist ja sehr interessant, Dicker. Aber noch mehr würde es mich interessieren, von Krümel zu hören, was er hier in Vordingborg eigentlich vorhat. Nun sind wir ja angelangt. Also, heraus damit!»

Jesper warf einen schadenfrohen Blick auf den dicken Erling: «Ich wollte nichts sagen, solange wir nicht hier waren», erklärte er dann. «Erling macht ja immer Schwierigkeiten, sobald ein spannendes Abenteuer auftaucht, das irgendwie nach einem Kriminalfall aussieht. Ich dachte, er würde wieder versuchen, alles zu verderben ...»

«Du elender Floh!» rief Erling drohend. «Willst du damit etwa sagen, dass unsere Ferienreise wieder einmal dahin sein soll?»

Jesper nickte frohlockend. «Ich weiss, dass Jan nicht nein sagen kann, wenn er die Geschichte hört. Sie ist nämlich sehr spannend. Wartet ab, mein Onkel wird euch alles berichten.»

Erling stöhnte vor Verzweiflung laut auf.

Zweites Kapitel

Der Heimfallsfund

Jespers Onkel und Tante wohnten in einer schönen Villa am Rande der Stadt. Die Buben wurden von ihnen mit grosser Freundlichkeit aufgenommen. Man sah auf den ersten Blick, dass Herr Berg sehr wohlhabend war. Aber der Reichtum freute ihn offenbar nicht sehr. Obwohl er grosse Liebenswürdigkeit zeigte, merkte Jan schnell, dass er Mühe hatte, seine Nervosität zu verbergen. Irgend etwas musste ihn bedrücken.

Wie es schien, hatte Jesper seinem Onkel schon allerlei über Jan erzählt; denn während der Tisch zum Mittagessen gedeckt wurde, sagte Herr Berg ohne weitere Umschweife: «Mein Neffe hat mir viel von dir erzählt, Jan. Vielleicht kannst du mir helfen, ein Rätsel zu lösen, das mir sehr zu schaffen macht ...»

Jan hob abwehrend die Hand.

«Keine falsche Bescheidenheit, Jan!» fuhr Herr Berg fort. «Vielleicht kannst du mir helfen, vielleicht auch nicht.»

«Worum handelt es sich denn?» fragte Jan vorsichtig.

Herr Berg überlegte einen Augenblick und schaute die Buben forschend an. «Ich bin sicher», begann er, «dass ich mich auf euch verlassen kann. Ich werde also die Karten offen auf den Tisch legen. Ungefähr fünf Kilometer von der Stadt entfernt beginnt Knudshoved Odde, eine schmale Landzunge, die fünfzehn Kilometer weit ins Meer hinausragt. In der Mitte der Landzunge liegt ein kleiner Wald, und in der Nähe dieses Waldes besitze ich ein Sommerhaus. Als ich eines Tages im Walde spazierenging, stiess mein Fuss gegen einen Gegenstand. Ich bückte mich, um zu sehen, was es war, und da erlebte ich eine grosse Überraschung. Es war ein schwerer Armring mit wunderschönen Verzierungen.»

«Ein Heimfallsfund?» fragte Erling interessiert.

«Ja», bestätigte Herr Berg leicht erstaunt. «Als ich den Ring von der Erde gereinigt hatte, sah ich, dass er aus Gold war, und dass es sich um ein sehr altes Schmuckstück handelte. Es stammt vielleicht aus derselben Zeit wie das berühmte Goldhorn, das in Nord-Schleswig gefunden wurde.» Er wandte sich lächelnd an Erling: «Du scheinst ja etwas von diesen Dingen zu verstehen. Weisst du auch, was das merkwürdige Wort ‚Heimfallsfund‘ bedeutet?»

Erling nickte. «Alle Zeugnisse einer vergangenen Kultur, die man irgendwo in Dänemark findet, fallen dem Staat anheim und müssen daher abgeliefert werden.»

«Richtig!» sagte Herr Berg. «Hast du dich schon näher mit Heimfallsfunden beschäftigt?»

«Nein, das nicht», erwiderte Erling. «Aber ich interessiere mich für die Geschichte unseres Landes, und die Heimfallsfunde sind ja für die Kenntnis der Kultur unserer Vorväter von grosser Bedeutung.»

Herr Berg nickte beifällig. «Ja, das sind sie. In alter Zeit mussten alle derartigen Funde an den König abgeliefert werden. Jetzt gehören sie dem Staat, und man ist verpflichtet, die Behörden zu unterrichten, wenn man etwas dergleichen gefunden hat. Man erhält dann den Goldwert ausbezahlt und ausserdem eine Belohnung, deren Höhe von der archäologischen und ethnographischen Bedeutung des Fundes abhängt. Doch nun kommt etwas sehr Betrübliches ...» Er strich sich über die Stirn und fuhr nach einer kurzen Pause fort: «Am Abend nahm ich den Goldschmuck mit nach Hause. Am nächsten Morgen aber war er verschwunden ...»

«Gestohlen?» fragte Jan gespannt.

«Eine andere Erklärung gibt es leider nicht», antwortete Herr Berg ernst. «Ich muss mir selbst den Vorwurf machen, dass ich wohl etwas leichtsinnig gewesen bin. Da ich gar nicht auf den Gedanken kam, dass ein Dieb ins Haus eindringen könnte, um sich ausgerechnet den Goldring zu holen, hatte ich das Schmuckstück in die unverschlossene Schublade meines Schreibtisches gelegt. Am nächsten Morgen wollte ich die Behörde von meinem Fund unterrichten. Aber ... ich unterliess es. Ich habe weder etwas von meinem Fund noch von dem Diebstahl gemeldet.»

«Weshalb nicht?» erkundigte sich Jan.

Herr Berg stand auf und ging nervös im Zimmer auf und ab. Schliesslich blieb er stehen und sagte: «Also hört zu! Leider habe ich den Verdacht, dass einer von den Hausbewohnern der Dieb ist. Ich bin meiner Sache aber keineswegs sicher und möchte den Verdacht nicht auf einen Unschuldigen lenken.»

«Und wen haben Sie im Verdacht?» fragte Jan, als Herr Berg verstummte.

«Meinen eigenen Sohn», seufzte Herr Berg. «Leider. Als ich am Abend mit dem Schmuck nach Hause kam, zeigte ich ihn meiner Frau und meinem Sohn, und Jörgen war dabei, als ich ihn in die Schublade meines Schreibtisches legte.»

Die Buben machten sehr ernste Gesichter, und Jans Stimme klang etwas unsicher, als er fragte: «Haben Sie früher schon Grund gehabt, an der Ehrlichkeit Ihres Sohnes zu zweifeln, Herr Berg?»

Herr Berg schüttelte den Kopf. «Nein, nie. Jörgen ist ein guter Junge. Er ist unser einziges Kind. Aber ... in der letzten Zeit ist er in schlechte Gesellschaft geraten. Es gibt hier in der Stadt einige sehr leichtsinnige junge Menschen, die viel Geld brauchen und stets auf ihr Vergnügen aus sind. Leider hat Jörgen sich mit der Schwester eines dieser jungen Menschen verlobt ...»

«Ist sie auch nicht viel wert?» fragte Jan.

«Darüber bin ich mir nicht klar», erwiderte Herr Berg. «Ich kenne sie zu wenig. Das klingt vielleicht etwas sonderbar, aber wegen ihres Bruders sehe ich sie nicht gern bei uns im Hause, obwohl die Verlobung mit Jörgen durchaus kein Geheimnis ist.»

Jan schien zu überlegen. Endlich sagte er: «Offen gestanden, Herr Berg, sehe ich nicht, wie wir Ihnen helfen könnten. Ich verstehe natürlich, dass es Ihnen schwerfällt, aber das richtigste wäre doch, Sie machten eine Anzeige bei der Kriminalpolizei.»

«Die Sache liegt nicht so einfach, wie du denkst», entgegnete Herr Berg, den Kopf schüttelnd. «Ich wurde ja nicht bestohlen. Der Goldring war ein Heimfallsfund; er gehörte dem Staat von dem Augenblick an, als ich ihn zufällig entdeckte. In Wahrheit wurde also der Staat bestohlen, und das macht die Sache sehr verwickelt. Deshalb liegt mir unendlich viel daran, den Schmuck wieder herbeizuschaffen, damit ich ihn bei der Behörde abliefern kann.»

«Vielleicht ist er schon eingeschmolzen», wandte Erling ein. «So etwas ist schon vorgekommen.»

«Das ist ziemlich ausgeschlossen», sagte Jan. «Der Dieb selber kann das sicher nicht, und er findet auch nicht so ohne weiteres einen Menschen, der es für ihn besorgt. Vermutlich wartet er auf eine günstige Gelegenheit, um den Schmuck zu verwerten. Aber bringt uns das weiter?»

«Vielleicht doch», meinte Herr Berg. «Jörgen hat seinen Kameraden von dem Fund erzählt. Eines Abends brachte er ein paar von ihnen mit, und der eine – er heisst Georg – wollte durchaus wissen, wo ich den Schmuck gefunden habe. Er wusste nur, dass es in der Nähe des Waldes auf der Landzunge gewesen war, und ich fühlte natürlich keinerlei Veranlassung, ihm nähere Erklärungen zu geben. Nun habe ich gehört, einige junge Leute hätten in den letzten Tagen im Walde herumgestöbert. Es ist nicht schwer zu erraten, was sie dort gesucht haben.»

«Ja, das ist wirklich nicht schwer zu erraten», sagte Erling. «Gewöhnlich besteht so ein alter Schmuck aus mehreren Stücken. Natürlich hoffen sie, die andern Teile zu finden, und wenn sie genau wüssten, wo der Ring gefunden wurde, wäre es wohl denkbar, dass sie mit ihrer Suche Erfolg hätten.»

«Ich weiss wirklich nicht, was ich tun soll», sagte Herr Berg. «Ich denke aber, wenn ihr Buben draussen bei dem Walde eine Weile kampieren würdet, könntet ihr vielleicht diese oder jene Beobachtung machen. Möglicherweise gelingt es uns dann, das Rätsel zu lösen, ohne dass die Kriminalpolizei herangezogen werden muss. Jesper hat mir so viel von dir erzählt, Jan, dass ich glaube, du könntest mir bei dieser peinlichen Sache vielleicht helfen.»

Jan wurde rot. «Es ist sehr nett von Jesper, dass er so von mir gesprochen hat, aber Wunder können wir auch nicht vollbringen.»

«Versucht es wenigstens!» bat Herr Berg. «Ich habe bereits dafür gesorgt, dass ihr euer Lager am Walde aufschlagen dürft. In dem nahe gelegenen Gehöft könnt ihr Milch und Wasser bekommen. Es ist sehr schön dort draussen, und ihr versäumt sicher nichts, wenn ihr euch eine Woche lang auf der Landzunge aufhaltet.»

Schliesslich willigte Jan ein. Für seine Kameraden war es selbstverständlich, dass sie seinen Entschluss billigten. Herr Berg stellte ihnen vier Fahrräder zur Verfügung. Da sich in der Gegend des Waldes keine Anlegebrücke befand, wo sie ihr Segelboot hätten vertäuen können, musste die «Rex» einstweilen im Vordingborger Hafen liegen bleiben.

«Wann kommt Ihr Sohn nach Hause, Herr Berg?» fragte Jan.

«Zwischen vier und fünf; das Büro, in dem er arbeitet, schliesst um vier Uhr. Warum willst du das wissen?»

«Ich würde ihn gern sehen, möchte aber nicht, dass er uns kennenlernt.»

Auch diese Sache wurde geordnet. Es wurde vereinbart, dass sich Jan und Jesper um vier Uhr in der Nähe von Jörgens Büro einfinden sollten.

Nach dem Mittagessen, an dem selbst Erling nicht das geringste auszusetzen hatte, kehrten die Buben nach dem Hafen zurück, wo sie ein paar vergnügte Stunden verbrachten. Sie waren alle in glänzender Stimmung, sogar Erling, der es eigentlich gar nicht schätzte, wenn sich Jan Gelegenheit bot, sich als Detektiv zu betätigen. Seiner Meinung nach kam für sie dabei im allgemeinen nichts anderes heraus, als dass sie um den ungestörten Genuss ihrer Ferien gebracht wurden. Diesmal aber lag die Sache anders. Die Geschichte der nordischen Länder war stets sein Lieblingsfach gewesen, und der Gedanke, dass sie bei dem Versuch, den Diebstahl aufzuklären, vielleicht noch auf andere Zeugnisse einer alten Kultur stossen würden, hatte für ihn viel Verlockendes.

Als die Zeit gekommen war, machten sich Jan und Jesper auf den Weg. Am Ende der langen Hauptstrasse blieb Jesper stehen und sagte: «Mein Vetter arbeitet in dem Haus dort an der Ecke. Wenn er uns nicht sehen soll, ist es das beste, wir warten hier. Aber weisst du, Jan, wenn du meine Meinung hören willst, so traue ich Jörgen nichts Schlechtes zu.»

«Ich auch nicht, Krümel. Jedenfalls nicht, solange seine Schuld nicht erwiesen ist. Wir wollen uns hier im Torweg verstecken.»

Nach ein paar Minuten zupfte Jesper seinen Freund am Ärmel und raunte ihm zu: «Du, Jan, das junge Mädchen da drüben ist Jörgens Braut!»

Jan blickte vorsichtig in die angedeutete Richtung und sah ein blondes junges Mädchen, das ein geblümtes Sommerkleid trug und langsam auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig auf und ab ging. Wahrscheinlich