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"Auf der ganzen Welt gilt es als ausgemachte Wahrheit, dass ein begüterter Junggeselle unbedingt nach einer Frau Ausschau halten muss." Mit diesem Eröffnungssatz beginnt ein Meisterwerk der Weltliteratur, das seit über zwei Jahrhunderten Generationen von Lesern in seinen Bann zieht. Im England des frühen 19. Jahrhunderts kreuzen sich die Wege der klugen, schlagfertigen Elizabeth Bennet und des vermögenden, in sich gekehrten Mr. Darcy. Was als Zusammentreffen voller Missverständnisse beginnt, entfaltet sich zu einem meisterhaften Spiel der Emotionen, in dem Jane Austen mit unnachahmlicher Präzision die Beweggründe ihrer Figuren und die Gesellschaft ihrer Zeit durchleuchtet. Mit feiner Ironie und psychologischem Gespür entfaltet sich eine Geschichte über die Macht von Vorurteilen und die Grenzen gesellschaftlicher Konventionen. Austens zeitlose Erzählkunst begleitet den Leser durch ein Labyrinth aus Stolz, Standesdünkel und aufkeimender Zuneigung – bis hin zu der zeitlosen Erkenntnis, dass wahre Liebe alle Schranken zu überwinden vermag. Diese E-Book-Ausgabe ist mit einem einführenden Kommentar ausgestattet.
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Jane Austen
Stolz und Vorurteil
Deutsche Ausgabe von „Pride and Prejudice“ mit einführendem Kommentar
Copyright © 2024 Novelaris Verlag
ISBN: 978-3-68931-084-4
Einführung
Entstehungskontext und Publikationsgeschichte
Jane Austens literarische Innovation
Zentrale Themen und Motive
Figurenkonstellation und Charakterentwicklung
Rezeption und kulturelle Nachwirkung
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebzehntes Kapitel
Achtzehntes Kapitel
Neunzehntes Kapitel
Zwanzigstes Kapitel
Einundzwanzigstes Kapitel
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Vierundzwanzigstes Kapitel
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Siebenundzwanzigstes Kapitel
Achtundzwanzigstes Kapitel
Neunundzwanzigstes Kapitel
Dreißigstes Kapitel
Einunddreißigstes Kapitel
Zweiunddreißigstes Kapitel
Dreiunddreißigstes Kapitel
Vierunddreißigstes Kapitel
Fünfunddreißigstes Kapitel
Sechsunddreißigstes Kapitel
Siebenunddreißigstes Kapitel
Achtunddreißigstes Kapitel
Neununddreißigstes Kapitel
Vierzigstes Kapitel
Einundvierzigstes Kapitel
Zweiundvierzigstes Kapitel
Dreiundvierzigstes Kapitel
Vierundvierzigstes Kapitel
Fünfundvierzigstes Kapitel
Sechsundvierzigstes Kapitel
Siebenundvierzigstes Kapitel
Achtundvierzigstes Kapitel
Neunundvierzigstes Kapitel
Fünfzigstes Kapitel
Einundfünfzigstes Kapitel
Zweiundfünfzigstes Kapitel
Dreiundfünfzigstes Kapitel
Vierundfünfzigstes Kapitel
Fünfundfünfzigstes Kapitel
Sechsundfünfzigstes Kapitel
Siebenundfünfzigstes Kapitel
Achtundfünfzigstes Kapitel
Neunundfünfzigstes Kapitel
Sechzigstes Kapitel
Einundsechzigstes Kapitel
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Cover
“Stolz und Vorurteil” gehört heute zu den meistgelesenen Romanen der englischen Literatur, doch der Weg zur Veröffentlichung des Werks war keineswegs geradlinig. Die Geschichte des Romans beginnt bereits im Oktober 1796, als die damals zwanzigjährige Jane Austen die erste Version unter dem Titel “First Impressions” (“Erste Eindrücke”) fertigstellte. Dieser frühe Entwurf, der leider nicht erhalten ist, entstand in einer besonders produktiven Phase der jungen Autorin, während sie noch im Pfarrhaus ihres Vaters in Steventon, Hampshire, lebte.
George Austen, der das literarische Talent seiner Tochter früh erkannte und förderte, unternahm bereits 1797 einen ersten Versuch, das Manuskript beim Londoner Verleger Thomas Cadell zu platzieren. Das Angebot wurde jedoch ungelesen mit der Post zurückgeschickt – ein Schicksal, das viele unbekannte Autoren der Zeit teilten. Die Ablehnung ist im historischen Kontext zu verstehen: Der Buchmarkt des späten 18. Jahrhunderts war von einer Flut von Romanen geprägt, insbesondere von sentimentalen und gotischen Geschichten, die oft von Frauen verfasst wurden. Verleger verhielten sich entsprechend vorsichtig gegenüber Manuskripten unbekannter Autorinnen.
Die folgenden Jahre brachten einschneidende Veränderungen in Jane Austens Leben: 1801 zog die Familie nach Bath, 1805 starb ihr Vater, was die finanzielle Situation der Familie deutlich verschlechterte. In dieser Phase der Unsicherheit scheint die literarische Produktion der Autorin zu stocken. Erst nach der Übersiedlung nach Chawton 1809, wo Jane Austen mit ihrer Mutter und Schwester Cassandra ein Cottage bezog, nahm sie die intensive schriftstellerische Arbeit wieder auf.
Die Überarbeitung von “First Impressions” zu dem Roman, den wir heute als “Stolz und Vorurteil” kennen, fällt in diese Zeit der wiedergewonnenen Stabilität. Der neue Titel war möglicherweise von “Pride and Prejudice, or The New Elizabeth” inspiriert, einem 1804 erschienenen Roman von Margaret Holford. Eine weitere Motivation für die Titeländerung lag darin, dass seit der ersten Version bereits mehrere andere Werke unter dem Titel “First Impressions” erschienen waren.
Die Überarbeitungsphase zeigt Austens gewachsenes künstlerisches Selbstbewusstsein und ihre gereifte literarische Technik. Der Text wurde gestrafft, die ironische Erzählhaltung geschärft und die psychologische Tiefe der Charaktere ausgearbeitet. Besonders die Figur des Mr. Darcy gewann in dieser Überarbeitung an Komplexität. Die ursprünglich möglicherweise schematischere Gegenüberstellung von Stolz und Vorurteil wurde zu einer nuancierteren Darstellung gesellschaftlicher und individueller Konflikte entwickelt.
Der historische Kontext der Regency-Epoche, in der die finale Version entstand, prägt den Roman maßgeblich. Die Jahre zwischen 1811 und 1820, als der Prince of Wales als Regent für seinen geisteskranken Vater George III. regierte, waren von tiefgreifenden gesellschaftlichen Umbrüchen gekennzeichnet. Die Napoleonischen Kriege, die industrielle Revolution und soziale Reformbewegungen veränderten die englische Gesellschaft fundamental. Austens Roman reflektiert diese Spannungen, indem er die traditionellen Strukturen der Landadelswelt mit den aufstrebenden bürgerlichen Schichten konfrontiert.
Die Publikation erfolgte schließlich im Januar 1813 beim Verleger Thomas Egerton, der zuvor bereits “Sense and Sensibility” veröffentlicht hatte. Austen verkaufte die Rechte für £110 – eine bescheidene Summe, die jedoch für die damalige Zeit nicht unüblich war. Die erste Auflage von etwa 1500 Exemplaren war innerhalb eines halben Jahres ausverkauft, noch zu Austens Lebzeiten erschienen zwei weitere Auflagen.
Die zeitgenössische Aufnahme des Romans war überwiegend positiv. Bereits kurz nach Erscheinen wurde “Stolz und Vorurteil” in privaten Lesekreisen begeistert aufgenommen, was sich in Briefen und Tagebüchern der Zeit nachweisen lässt. Der schottische Schriftsteller Walter Scott lobte in einer einflussreichen Rezension die lebendige Darstellung des alltäglichen Lebens und die gelungene Charakterzeichnung. Austens eigene Äußerungen zu ihrem Werk sind von einer charakteristischen Mischung aus Stolz und Selbstironie geprägt. In einem Brief an ihre Schwester Cassandra bezeichnet sie den Roman als ihr “eigenes geliebtes Kind” und bemerkt scherzhaft, er sei “zu leicht, zu spritzig, ihm fehlt es an Schatten.”
Die Entstehungs- und Publikationsgeschichte von “Stolz und Vorurteil” spiegelt exemplarisch die Bedingungen weiblicher Autorschaft im frühen 19. Jahrhundert wider. Der lange Weg von der ersten Version bis zur Veröffentlichung, die notwendige Anonymität der Autorin – der Roman erschien lediglich mit dem Hinweis “By the Author of Sense and Sensibility” – und die bescheidene finanzielle Vergütung waren typisch für die Situation schreibender Frauen der Zeit. Dass der Roman trotz dieser Hindernisse zu einem der einflussreichsten Werke der englischen Literatur werden konnte, zeugt nicht nur von Austens außergewöhnlichem Talent, sondern auch von ihrer Beharrlichkeit und ihrem künstlerischen Selbstbewusstsein.
Jane Austens besondere Stellung in der Literaturgeschichte beruht wesentlich auf ihren stilistischen und erzähltechnischen Innovationen, die in “Stolz und Vorurteil” ihre vielleicht vollkommenste Ausprägung finden. Drei zentrale Aspekte kennzeichnen ihre literarische Innovation: die Weiterentwicklung des freien indirekten Stils, die Perfektionierung der gesellschaftlichen Satire durch subtile Ironie und die neuartige Darstellung der weiblichen Innenperspektive.
Der freie indirekte Stil (erlebte Rede) stellt Austens wichtigste erzähltechnische Innovation dar. Diese Technik ermöglicht es, zwischen der Erzählerstimme und dem Bewusstsein der Figuren nahtlos zu wechseln, ohne dies durch Inquit-Formeln oder andere sprachliche Marker explizit zu kennzeichnen. Wenn Elizabeth Bennet etwa Mr. Darcy zum ersten Mal auf dem Ball in Meryton begegnet, verschmelzen die Wahrnehmungen der Figur mit dem Kommentar des Erzählers: “Er wurde für den stolzesten, unangenehmsten Menschen der Welt gehalten, und jedermann hoffte, dass er nicht wieder auf einem ihrer Bälle erscheinen würde.” Die grammatische Form suggeriert einen objektiven Erzählerbericht, tatsächlich wird aber die subjektive Wahrnehmung der Gesellschaft und insbesondere Elizabeths wiedergegeben.
Diese Technik erlaubt Austen eine bis dahin ungekannte psychologische Tiefe in der Charakterdarstellung. Sie kann die Selbsttäuschungen ihrer Figuren aufzeigen, ohne sie explizit zu kommentieren. Wenn Elizabeth sich ihrer Vorurteile gegen Mr. Darcy sicher ist, lässt die Erzählweise bereits durchscheinen, dass ihre Urteile auf schwankendem Grund stehen. Die Leser werden so zu aktiven Interpreten der psychologischen Vorgänge, müssen selbst die verschiedenen Perspektiven gegeneinander abwägen und werden Teil des hermeneutischen Prozesses.
Die zweite große Innovation liegt in Austens Handhabung der Ironie. Anders als die drastische Satire des 18. Jahrhunderts, etwa bei Jonathan Swift oder Henry Fielding, entwickelt Austen eine Form der subtilen ironischen Brechung, die sich oft erst beim zweiten Lesen vollständig erschließt. Bereits der berühmte erste Satz des Romans – “Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass ein Junggeselle im Besitz eines schönen Vermögens nichts dringender braucht als eine Frau” – demonstriert diese Technik. Die scheinbar axiomatische Aussage wird durch ihre übertriebene Formalität (“allgemein anerkannte Wahrheit”) als gesellschaftliches Vorurteil entlarvt, ohne dass der Erzähler explizit Stellung beziehen müsste.
Diese Form der Ironie durchzieht den gesamten Roman auf verschiedenen Ebenen. Sie findet sich in den Dialogen, wenn etwa Elizabeth und Mr. Darcy sich in doppelbödigen Konversationen ergehen, deren wahre Bedeutung sich erst im Nachhinein erschließt. Sie zeigt sich in der Handlungsführung, wenn scheinbar festgefügte Urteile über Charaktere sich als vorschnell erweisen. Und sie prägt die Erzählhaltung insgesamt, die stets eine feine Balance zwischen Sympathie und kritischer Distanz zu den Figuren wahrt.
Die vielleicht wichtigste Innovation betrifft die Darstellung der weiblichen Perspektive. Austen entwickelt in “Stolz und Vorurteil” eine Form des Romans, die die spezifisch weibliche Erfahrung ihrer Zeit ernst nimmt, ohne sie zu romantisieren oder zu dramatisieren. Elizabeth Bennet ist keine passive Heldin wie in den zeitgenössischen Liebesromanen, aber auch keine rebellische Figur, die sich außerhalb der gesellschaftlichen Konventionen stellt. Stattdessen zeigt Austen, wie eine intelligente junge Frau innerhalb der engen Grenzen ihrer Zeit nach Selbstbestimmung und authentischer Erfahrung sucht.
Diese Darstellung gelingt nicht zuletzt durch die innovative Verschränkung von äußerer und innerer Handlung. Die gesellschaftlichen Ereignisse – Bälle, Besuche, Spaziergänge – werden stets in ihrer Bedeutung für die innere Entwicklung der Protagonistin gezeigt. Wenn Elizabeth nach Pemberley reist, ist die Beschreibung des Anwesens zugleich eine Metapher für ihre sich wandelnde Wahrnehmung von Mr. Darcy. Die äußere Reise spiegelt die innere Reise zur Selbsterkenntnis.
Austens technische Innovationen haben die Entwicklung des Romans nachhaltig beeinflusst. Der freie indirekte Stil wurde von späteren Autoren wie Gustave Flaubert und Henry James aufgegriffen und weiterentwickelt. Ihre Form der subtilen Ironie findet sich in der gesamten Tradition des gesellschaftskritischen Romans wieder. Und ihre Art, die weibliche Perspektive darzustellen, hat nicht nur den englischen Roman beeinflusst, sondern die Entwicklung des psychologischen Romans insgesamt.
Was Austens Innovationen besonders bemerkenswert macht, ist ihre scheinbare Mühelosigkeit. Die technische Virtuosität tritt nie in den Vordergrund, sondern steht immer im Dienst der Geschichte und der Charakterentwicklung. Dadurch schuf sie einen Roman, der sowohl auf der Ebene der Unterhaltung als auch auf der Ebene der literarischen Komplexität überzeugt – eine Balance, die bis heute Maßstäbe setzt.
Die thematische Komplexität von “Stolz und Vorurteil” offenbart sich in drei eng miteinander verwobenen Hauptsträngen: der Ökonomie der Heirat, dem ausgeprägten Klassenbewusstsein der Regency-Zeit und dem grundlegenden Konflikt zwischen Vernunft und Gefühl. In ihrer Verschränkung bilden diese Themen ein dichtes Gewebe gesellschaftlicher und psychologischer Beobachtungen.
Die Ökonomie der Heirat durchzieht den Roman wie ein roter Faden. Bereits der ironische Einleitungssatz etabliert die Heirat als ökonomische Notwendigkeit. Für die fünf Bennet-Töchter ist eine vorteilhafte Verbindung nicht nur eine Frage des persönlichen Glücks, sondern der existenziellen Absicherung. Das Erbe ist durch die Regelung des “entail” an den männlichen Zweig der Familie gebunden – nach dem Tod des Vaters würden die Töchter mittellos dastehen. Diese rechtliche Konstruktion war in der englischen Gentry keine Seltenheit und zwang viele Frauen in die ökonomische Abhängigkeit von der Ehe.
Austen zeigt die verschiedenen Strategien, mit dieser Situation umzugehen: Charlotte Lucas wählt mit Mr. Collins eine Vernunftehe, die ihr soziale Sicherheit garantiert. Lydia Bennet lässt sich von romantischen Vorstellungen zu einer unbedachten Flucht mit Wickham verleiten, die nur durch das finanzielle Eingreifen Darcys nicht in der Katastrophe endet. Jane und Elizabeth schließlich finden in Bingley und Darcy Partner, die sowohl ihre emotionalen als auch ihre materiellen Bedürfnisse erfüllen können – eine im Roman als ideal dargestellte, aber keineswegs selbstverständliche Lösung.
Das ausgeprägte Klassenbewusstsein der Zeit spiegelt sich in nahezu jeder sozialen Interaktion des Romans. Die feine Abstufung zwischen den verschiedenen Schichten der Gentry, der Unterschied zwischen altem Landadel und neureichem Bürgertum, die Bedeutung von Bildung und Manieren als Kennzeichen der sozialen Zugehörigkeit – all diese Aspekte werden von Austen mit großer Präzision dargestellt.
Besonders deutlich wird dies in der Figur der Lady Catherine de Bourgh, die als Vertreterin des Hochadels die traditionelle Standesordnung verteidigt. Ihr Versuch, die Verbindung zwischen Elizabeth und Darcy zu verhindern, scheitert jedoch – ein Zeichen für die sich langsam wandelnden sozialen Strukturen der Regency-Zeit. Die aufstrebende Mittelschicht, repräsentiert durch die Gardiners, Elizabeths Onkel und Tante aus dem Handel, wird von Austen deutlich positiver dargestellt als der degenerierte Landadel, verkörpert etwa durch Mr. Collins.
Die soziale Mobilität, die der Roman thematisiert, ist dabei streng begrenzt: Es geht nicht um einen radikalen Umbau der Gesellschaft, sondern um die vorsichtige Öffnung der traditionellen Eliten für verdiente Vertreter der Mittelschicht. Elizabeth kann durch ihre Bildung, ihren Verstand und ihre moralische Integrität den sozialen Aufstieg legitim vollziehen – anders als etwa Wickham, dessen Versuch des sozialen Aufstiegs durch Täuschung scheitern muss.
Der fundamentale Konflikt zwischen Vernunft und Gefühl manifestiert sich auf verschiedenen Ebenen. Zunächst in der persönlichen Entwicklung der Hauptfiguren: Elizabeth muss lernen, ihre vorschnellen emotionalen Urteile durch vernünftige Reflexion zu korrigieren, während Darcy seine rationalen Vorbehalte gegen eine Verbindung mit Elizabeth durch echte Gefühle überwinden muss. Beide durchlaufen einen Prozess der Integration von Vernunft und Gefühl, der sie erst zu einer wahrhaft gleichberechtigten Partnerschaft befähigt.
Dieser Konflikt spiegelt sich auch in den verschiedenen Beziehungsmodellen des Romans. Die rein gefühlsgesteuerte Verbindung von Lydia und Wickham führt ebenso ins Unglück wie die rein vernunftbasierte Ehe von Charlotte und Mr. Collins. Nur die Balance zwischen emotionaler und rationaler Komponente, wie sie sich in den Beziehungen von Elizabeth und Darcy sowie Jane und Bingley findet, wird als tragfähiges Modell präsentiert.
Auf einer abstrakteren Ebene verhandelt der Roman damit auch die philosophischen Strömungen seiner Zeit: Die Spannung zwischen Aufklärung und Romantik, zwischen rationalem Kalkül und emotionaler Authentizität wird nicht einseitig aufgelöst, sondern in eine produktive Synthese überführt. Dies zeigt sich besonders deutlich in Austens Behandlung der Liebe: Sie wird weder als rein romantisches Gefühl noch als bloßes soziales Arrangement dargestellt, sondern als komplexe Verbindung von emotionaler und rationaler Komponente.
Die drei Hauptthemen des Romans – Heiratsökonomie, Klassenbewusstsein und der Vernunft-Gefühl-Konflikt – sind dabei eng miteinander verwoben. Die ökonomischen Zwänge der Heirat werden durch soziale Klassenschranken verstärkt und können nur durch eine kluge Balance von Gefühl und Vernunft bewältigt werden. Diese thematische Verdichtung macht “Stolz und Vorurteil” zu mehr als einem Liebesroman: Er ist zugleich Gesellschaftsanalyse, psychologische Studie und philosophische Reflexion über die Bedingungen gelingender menschlicher Beziehungen.
Die besondere Qualität von “Stolz und Vorurteil” zeigt sich in der komplexen Figurenkonstellation und der subtilen Charakterentwicklung der Hauptpersonen. Im Zentrum steht Elizabeth Bennet als moderne Heldin, deren Entwicklung sich in dynamischer Wechselwirkung mit der Transformation Mr. Darcys vollzieht. Um dieses zentrale Paar gruppieren sich weitere Charaktere in kunstvoll arrangierten Kontrastpaaren, die die Haupthandlung spiegeln und kommentieren.
Elizabeth Bennet verkörpert einen neuen Typ der Romanheldin. Anders als die passiven, tugendhaften Heroinen der zeitgenössischen Literatur zeichnet sie sich durch Intelligenz, Schlagfertigkeit und einen ausgeprägten eigenen Willen aus. Ihre “feinen Augen” – von Darcy wiederholt bewundernd erwähnt – stehen symbolisch für ihren scharfen Beobachtungsgeist. Doch gerade ihre Fähigkeit zur präzisen Beobachtung führt sie zunächst in die Irre: Ihre Vorurteile gegen Darcy und ihre positive Einschätzung Wickhams basieren auf oberflächlichen ersten Eindrücken, die sie für tiefe Menschenkenntnis hält.
Elizabeths Entwicklung im Verlauf des Romans besteht nicht in einer fundamentalen Charakteränderung, sondern in einem Prozess der Selbsterkenntnis. Nach der Lektüre von Darcys Brief muss sie sich eingestehen: “Bis zu diesem Augenblick habe ich mich selbst nicht gekannt.” Diese schmerzhafte Einsicht in die eigenen Vorurteile und die Begrenztheit der eigenen Perspektive macht sie reifer, ohne ihre grundlegenden Charaktereigenschaften – Intelligenz, Witz, moralische Integrität – zu verändern.
Die Transformation Mr. Darcys erscheint auf den ersten Blick drastischer. Seine anfängliche Arroganz und gesellschaftliche Überheblichkeit weichen einer differenzierteren Wahrnehmung und der Fähigkeit, über seinen aristokratischen Schatten zu springen. Doch auch hier handelt es sich weniger um eine fundamentale Charakteränderung als um die Entwicklung bereits angelegter positiver Eigenschaften. Seine Fürsorglichkeit für seine Schwester Georgiana, seine Großzügigkeit gegenüber seinen Pächtern und seine grundsätzliche Ehrenhaftigkeit sind von Anfang an vorhanden, werden aber erst im Laufe der Handlung für Elizabeth (und die Leser) sichtbar.
Die Entwicklung beider Hauptfiguren vollzieht sich in einer komplexen Wechselwirkung. Elizabeth lernt, hinter Darcys steifer Fassade seine wahren Qualitäten zu erkennen, während Darcy durch Elizabeths Kritik lernt, sein Verhalten anderen gegenüber zu überdenken. Der Stolz des einen und die Vorurteile der anderen erweisen sich dabei als zwei Seiten derselben Medaille: Beide müssen lernen, ihre vorgefassten Urteile zu revidieren und den anderen in seiner Individualität wahrzunehmen.
Diese zentrale Entwicklung wird durch sorgfältig komponierte Kontrastpaare in den Nebenhandlungen gespiegelt und variiert. Jane Bennet und Charles Bingley bilden das “natürliche” Paar, dessen Weg zueinander nur durch äußere Umstände und die Einmischung anderer verzögert wird. Ihre unkomplizierte, auf gegenseitiger Zuneigung basierende Beziehung kontrastiert mit dem komplexeren Verhältnis von Elizabeth und Darcy, das erst verschiedene Hindernisse überwinden muss.
Lydia Bennet und George Wickham repräsentieren die negative Variante der Haupthandlung. Ihre “Flucht” ist eine pervertierte Version der romantischen Liebe, basierend auf Oberflächlichkeit und mangelnder moralischer Substanz. Wickham, der zunächst als positiver Gegenentwurf zu Darcy erscheint, entpuppt sich als dessen moralisches Negativ: äußerlich charmant, aber innerlich verdorben.
Das Ehepaar Collins bietet eine weitere Kontrastfolie. Charlotte Lucas’ pragmatische Entscheidung für eine Vernunftehe mit dem lächerlichen Mr. Collins wird von Elizabeth zunächst scharf verurteilt, erscheint im Laufe des Romans aber in einem differenzierteren Licht. Austen zeigt hier die begrenzten Optionen, die Frauen ihrer Zeit zur Verfügung standen, ohne eindeutig Partei zu ergreifen.
Lady Catherine de Bourgh und Mrs. Bennet bilden ein ironisches Kontrastpaar an den entgegengesetzten Enden der sozialen Skala. Beide sind in ihrer Art vulgär und ohne echtes Verständnis für die Gefühle ihrer Mitmenschen, die eine durch übersteigertes Standesbewusstsein, die andere durch ihre nervöse Fixierung auf die Verheiratung ihrer Töchter. Ihre Interventionen in die Haupthandlung haben gegenteilige Wirkungen: Mrs. Bennets taktloses Verhalten droht die Verbindung zwischen Jane und Bingley zu verhindern, während Lady Catherines Versuch, die Verbindung zwischen Elizabeth und Darcy zu unterbinden, diese paradoxerweise befördert.
Die kunstvoll arrangierte Figurenkonstellation erlaubt es Austen, verschiedene Variationen ihrer Hauptthemen durchzuspielen. Die unterschiedlichen Paarbeziehungen beleuchten verschiedene Aspekte der Liebes- und Heiratsproblematik, während die einzelnen Charaktere unterschiedliche soziale Positionen und moralische Haltungen repräsentieren. Dabei vermeidet Austen jedoch jede schematische Schwarz-Weiß-Zeichnung. Selbst problematische Figuren wie Mrs. Bennet oder Lady Catherine werden mit einem gewissen Maß an Empathie gezeichnet, ihre Beweggründe werden nachvollziehbar gemacht, auch wenn ihr Verhalten kritisch dargestellt wird.
Die Rezeptionsgeschichte von “Stolz und Vorurteil” ist ein faszinierendes Beispiel dafür, wie ein literarisches Werk über zwei Jahrhunderte hinweg immer neue Lesarten und kulturelle Adaptionen hervorbringt. Von den ersten Leserreaktionen über die akademische Neubewertung bis hin zur globalen Populärkultur spannt sich ein weiter Bogen der Interpretation und Aneignung.
Die zeitgenössische Aufnahme des Romans war überwiegend positiv, wenn auch zunächst in einem relativ kleinen Kreis. In der ersten dokumentierten Rezension im “British Critic” von 1813 wurde besonders die lebendige Charakterzeichnung hervorgehoben. Der einflussreiche Literaturkritiker Walter Scott lobte in der “Quarterly Review” die realistische Darstellung des alltäglichen Lebens – ein wichtiges Urteil, da es den Roman aus der Kategorie der “bloßen” Unterhaltungsliteratur heraushob. In privaten Lesekreisen wurde der Roman begeistert aufgenommen, wie zahlreiche Briefe und Tagebucheinträge belegen.
Dennoch blieb Austens Reputation im 19. Jahrhundert zwiespältig. Einerseits wuchs ihre Leserschaft stetig, andererseits wurde sie von der sich etablierenden Literaturkritik oft als “mere novelist” eingestuft – eine Autorin, die sich auf die Darstellung häuslicher Szenen beschränkte. Diese Einschätzung wurde durch die erste Biographie, geschrieben von ihrem Neffen James Edward Austen-Leigh (1870), noch verstärkt, die das Bild der “Dear Aunt Jane” prägte: eine bescheidene Amateurin, die nebenbei charmante Familiengeschichten verfasste.
Eine fundamentale Neubewertung setzte erst im frühen 20. Jahrhundert ein. Virginia Woolf erkannte in “A Room of One’s Own” (1929) Austens bahnbrechende Bedeutung für die Entwicklung des weiblichen Schreibens. Die akademische Austen-Forschung begann in den 1930er Jahren mit Mary Lascelles’ “Jane Austen and Her Art” (1939), das erstmals Austens technische Innovationen systematisch analysierte.
Der eigentliche Durchbruch in der akademischen Rezeption erfolgte in den 1950er und 60er Jahren. Ian Watts’ “The Rise of the Novel” (1957) etablierte Austen als zentrale Figur in der Entwicklung des modernen Romans. Literaturwissenschaftler wie F.R. Leavis in “The Great Tradition” (1948) stellten sie in eine Reihe mit den bedeutendsten englischen Romanciers. Die strukturalistische und narratologische Forschung der 1970er Jahre entdeckte die Komplexität ihrer Erzähltechnik, während die feministische Literaturwissenschaft sie als frühe Kritikerin patriarchaler Strukturen interpretierte.
Besonders fruchtbar erwies sich die kulturwissenschaftliche Wende der 1980er Jahre. Arbeiten wie Claudia Johnsons “Jane Austen: Women, Politics and the Novel” (1988) zeigten, wie der scheinbar unpolitische Roman subtil zeitgenössische soziale und politische Debatten reflektiert. Die postkoloniale Forschung entdeckte die Spuren des britischen Imperialismus im Text, etwa in der Figur des in den Kolonien zu Reichtum gekommenen Mr. Gardiner.
Parallel zur akademischen Neubewertung vollzog sich eine bemerkenswerte Karriere in der Populärkultur. Erste Verfilmungen entstanden bereits in der Stummfilmzeit, doch den Durchbruch brachte die BBC-Adaption von 1995 mit Colin Firth als Mr. Darcy. Die Serie löste eine regelrechte “Austenmania” aus, die sich in zahllosen Adaptionen, Modernisierungen und Weiterschreibungen niederschlug. Von Bollywood (“Bride and Prejudice”, 2004) bis YouTube (“The Lizzie Bennet Diaries”, 2012) wurde der Stoff in immer neue kulturelle Kontexte übertragen.
Bemerkenswert ist dabei die Vielfalt der Aneignungen: “Pride and Prejudice and Zombies” (2009) verknüpft den Roman mit Elementen des Horror-Genres, “Bridget Jones’s Diary” (1996) überträgt die Handlung in die moderne Single-Kultur Londons, während akademische Weiterschreibungen wie Jo Bakers “Longbourn” (2013) die Geschichte aus der Perspektive der Dienstboten erzählen. Diese Adaptionen zeugen von der anhaltenden Aktualität der grundlegenden Themen: die Suche nach authentischer Liebe in einem von sozialen und ökonomischen Zwängen geprägten Umfeld.
Die globale Rezeption hat den Roman zunehmend aus seinem spezifisch englischen Kontext gelöst. In verschiedenen kulturellen Kontexten werden unterschiedliche Aspekte betont: Während westliche Adaptionen oft die romantische Komponente in den Vordergrund stellen, betonen etwa asiatische Versionen stärker die Familiendynamik und soziale Hierarchien. Der Roman erweist sich dabei als bemerkenswert anpassungsfähig an verschiedene kulturelle Codes.
Die akademische Forschung der letzten Jahre hat sich verstärkt der digitalen Rezeption zugewandt. Die aktive Austen-Fangemeinde im Internet, die sich in Blogs, Fanfiction und sozialen Medien manifestiert, wird als Beispiel für neue Formen der literarischen Aneignung untersucht. Gleichzeitig ermöglichen digitale Methoden neue Zugänge zum Text selbst, etwa durch computergestützte Analysen von Austens Erzähltechnik.
Die anhaltende Popularität von “Stolz und Vorurteil” erklärt sich nicht zuletzt aus dieser Vielschichtigkeit der möglichen Lesarten. Der Roman funktioniert gleichzeitig als zeitlose Liebesgeschichte, als präzise Gesellschaftsanalyse und als literarisches Kunstwerk – eine Kombination, die ihn für immer neue Generationen von Lesern und Interpreten interessant macht.
Auf der ganzen Welt gilt es als ausgemachte Wahrheit, dass ein begüterter Junggeselle unbedingt nach einer Frau Ausschau halten muss …
Welcher Art die Gefühle und Wünsche eines solchen Mannes im Übrigen auch immer sein mögen, diese Wahrheit hat eine so unumstößliche Geltung, dass er schon bei seinem ersten Auftauchen von sämtlichen benachbarten Familien als rechtmäßiger Besitz der einen oder anderen ihrer Töchter betrachtet wird.
„Mein lieber Bennet“, sprach eines Tages Mrs. Bennet zu ihm, „hast du schon gehört, dass Netherfield Park endlich einen Mieter gefunden hat?“
Mr. Bennet erwiderte, er habe es noch nicht gehört.
„Trotzdem ist es so, wie ich sage“, beharrte Mrs. Bennet. „Mrs. Long war gerade hier und hat es mir erzählt — Willst du denn nicht wissen, wer der neue Mieter ist?“ fuhr sie mit ungeduldiger Stimme fort.
„Du willst es mir doch gerade erzählen, und ich habe nichts dagegen.“
Einer deutlicheren Aufforderung bedurfte es nicht.
„Also, Mrs. Long erzählte, dass Netherfield von einem sehr wohlhabenden jungen Mann aus Nordengland gepachtet wurde. Er kam letzten Montag im Vierspänner an, um das Haus zu besichtigen, und er war so begeistert davon, dass er sogleich mit Mr. Morris abschloss. Noch vor Michaelis will er einziehen, und seine Dienerschaft soll zum Teil schon Ende dieser Woche herkommen.“
„Wie heißt er denn?“
„Bingley.“
„Verheiratet?“
„Aber nein! Unverheiratet! Natürlich unverheiratet! Ein steinreicher Junggeselle, mit vier- oder fünftausend Pfund im Jahr! Welch ein Glück für unsere Kinder!“
„Wieso? Wieso für unsere Kinder?“
„Du bist aber auch zu langweilig, mein Lieber. Verstehst du denn nicht, dass er vielleicht eine unserer Töchter heiraten wird?“
„Kommt er deshalb hierher?“
„Deshalb? Was redest du da? Unsinn! Aber es ist doch sehr gut möglich, dass er sich in eine von ihnen verliebt; und daher musst du ihm einen Besuch machen, sobald er eingezogen ist.“
„Weshalb denn? Du kannst ja mit den Mädchen hinübergehen. Oder besser noch, du schickst sie allein; denn da du noch ebenso gut aussiehst wie jede von deinen Töchtern, würde sich Mr. Bingley vielleicht gar dich aus dem Schwarm aussuchen.“
„Ach, du Schmeichler. Gewiss, ich bin einmal recht schön gewesen, aber jetzt bilde ich mir nicht mehr ein, irgendetwas Besonderes vorzustellen. Wenn eine Frau fünf erwachsene Töchter hat, tut sie gut daran, alle Gedanken an ihre eigene Schönheit fallen zu lassen. Du musst aber unbedingt Mr. Bingley aufsuchen, sobald er unser Nachbar ist.“
„Ich gebe dir heute nur die Versicherung, dass ich es dir nicht versprechen kann.“
„Aber denk doch an deine Töchter! Denk doch an die gesellschaftliche Stellung, die es für eine von ihnen bedeuten mag! Sogar Sir William und Lady Lucas sind fest entschlossen, ihm nur deshalb einen Besuch zu machen; du weißt, wie wenig sie sich sonst um Neuankömmlinge kümmern. Du musst unter allen Umständen hingehen; denn wie sollen wir ihn besuchen können, wenn du es nicht zuerst tust?“
„Du bist viel zu korrekt; ich bin überzeugt, Mr. Bingley wird sich sehr freuen, euch bei sich begrüßen zu dürfen. Ich kann dir ja ein paar Zeilen mitgeben und ihm aufs herzlichste meine Einwilligung zusichern für den Fall, dass er sich eine von meinen Töchtern aussuchen und sie heiraten will. Für meine kleine Lizzy will ich dabei ein besonders gutes Wort einlegen.“
„Ich will sehr hoffen, dass du nichts dergleichen tust. Lizzy ist nicht einen Deut besser als die anderen. Im Gegenteil, ich finde sie nicht halb so hübsch wie Jane und nicht halb so reizend wie Lydia. Aber du musst sie ja immer vorziehen.“
„Du hast Recht. Wirklich empfehlen könnte ich keine von ihnen“, erwiderte Mr. Bennet. „Sie sind albern und unwissend wie alle jungen Mädchen; nur Lizzy ist wenigstens etwas lebhafter als ihre Schwestern.“
„Aber hör mal, wie kannst du deine eigenen Kinder so herabsetzen! Es macht dir offenbar Spaß, mich zu ärgern. Du hast eben gar kein Mitgefühl mit meinen armen Nerven!“
„Da verkennst du mich ganz und gar, meine Liebe. Ich hege die größte Achtung vor deinen Nerven. Seit zwanzig Jahren höre ich mir nun schon das mit deinen Nerven an; sie sind mir nun gute alte Bekannte geworden.“
„Ach, du ahnst nicht, wie sehr ich unter ihnen leiden muss!“
„Aber ich hoffe, du überstehst es auch dieses Mal und erlebst, dass noch viele andere junge Männer mit viertausend Pfund im Jahr sich in unserer Nachbarschaft niederlassen.“
„Und wenn zwanzig kämen, was nützt es uns, wenn du sie doch nicht besuchen willst?“
„Verlass dich auf mich, meine Liebe: wenn es erst zwanzig sind, werde ich sie nacheinander aufsuchen.“
Mr. Bennet stellte eine so eigenartige Mischung von klugem Verstand und Ironie, von Zurückhaltung und Schalkhaftigkeit dar, dass eine dreiundzwanzigjährige Erfahrung nicht genügt hatte, um seine Frau diesen Charakter verstehen zu lassen. Ihre Gedankengänge zu ergründen war einfacher: sie war eine unbedeutende Frau mit geringem Wissen und unberechenbarer Laune. War sie mit etwas unzufrieden, liebte sie es, die Nervöse zu spielen. Ihre Lebensaufgabe bestand darin, ihre Töchter zu verheiraten. Besuche machen und Neuigkeiten austauschen war ihre Erholung.
Mr. Bennet gehörte zu den ersten, die Mr. Bingley auf Netherfield begrüßten. Er war von vornherein entschlossen gewesen, den neuen Nachbarn aufzusuchen, so sehr er seiner Frau auch immer wieder das Gegenteil versicherte; und so wusste sie noch am Abend nichts von seinem Besuch am Morgen.
Mr. Bennet machte seiner Familie auf folgende Weise Mitteilung von seinem Antrittsbesuch: eine Weile sah er seiner zweiten Tochter Elisabeth zu, wie sie an einem Hut arbeitete, und sagte dann plötzlich: „Hoffentlich wird er Mr. Bingley gefallen, Lizzy.“
„Leider ist es uns ja nicht möglich, Mr. Bingleys Geschmack festzustellen“, sagte seine Frau vorwurfsvoll, „da wir ihn nicht besuchen können.“
„Du vergisst aber, Mama“, sagte Elisabeth, „dass wir ihn auf einem von den Bällen treffen werden. Mrs. Long hat versprochen, ihn uns vorzustellen.“
„Mrs. Long wird sich hüten! Sie hat ja selbst zwei Nichten. Mrs. Long ist eine selbstsüchtige und falsche Person, ich habe keine gute Meinung von ihr.“
„Ganz recht, ich auch nicht“, sagte Mr. Bennet. „Ich freue mich, dass du dich nicht auf ihre Gutmütigkeit verlassen willst.“
Seine Frau würdigte ihn keiner Antwort. Aber da nichts zu sagen über ihre Kraft gegangen wäre, fing sie an, eine ihrer Töchter zu schelten: „Hör um Himmels willen mit deinem Husten auf, Kitty! Nimm doch ein wenig Rücksicht auf meine Nerven — du zerreißt sie mir ja geradezu!“
„Kitty hustet ohne jedes Taktgefühl“, meinte ihr Vater, „sie hustet in einem sehr unpassenden Augenblick.“
„Ich huste nicht zum Vergnügen“, erwiderte Kitty störrisch. „Wann ist denn dein nächster Ball, Lizzy?“
„Morgen in vierzehn Tagen.“
„Richtig“, rief ihre Mutter, „und Mrs. Long kommt erst einen Tag vorher zurück; sie kann ihn euch also gar nicht vorstellen, denn sie wird ihn selbst noch nicht kennen!“
„Dann wirst du, meine Liebe, gegen deine Freundin großmütig sein können und Mr. Bingley ihr vorstellen.“
„Ausgeschlossen, Bennet, ganz ausgeschlossen! Ich kenne ihn ja auch nicht. Warum musst du mich immer ärgern?“
„Deine Vorsicht macht dir alle Ehre. Eine vierzehntägige Bekanntschaft genügt allerdings kaum, um jemand kennenzulernen; man kann einen Menschen nach so kurzer Zeit noch nicht beurteilen. Aber wenn wir es nicht tun, dann tut es jemand anders; Mrs. Long und ihre Nichten müssen das Risiko eben auf sich nehmen. Wenn du also glaubst, es nicht verantworten zu können — Mrs. Long wird das sicherlich als einen besonderen Beweis deiner Freundschaft anerkennen —, dann will ich es übernehmen.“
Die Mädchen starrten ihren Vater an. Mrs. Bennet sagte bloß: „Unsinn, Unsinn!“
„Was willst du mit deinem ›Unsinn‹ sagen?“ fragte Mr. Bennet. „Etwa, dass die Förmlichkeit des Vorstellens und das Gewicht, das man dieser Förmlichkeit beimisst, Unsinn ist? In dem einen Punkt müsste ich dann verschiedener Meinung mit dir sein. Was meinst du dazu, Mary? Du denkst doch, soviel ich weiß, tief über alles nach und liest dicke Bücher und machst dir Notizen und Auszüge.“
Mary hätte für ihr Leben gern etwas sehr Kluges gesagt, aber ihr fiel nichts Passendes ein.
„Während Mary ihre Gedanken ordnet“, fuhr ihr Vater fort, „wollen wir zu Mr. Bingley zurückkehren.“
„Ich kann den Namen nicht mehr hören!“ rief seine Frau.
„Das täte mir wirklich sehr leid. Aber warum sagtest du es mir nicht eher? Hätte ich es heute Morgen schon gewusst, wäre mein Besuch bei ihm bestimmt unterblieben. Zu schade —, aber nun ist es einmal geschehen, und wir werden uns seiner Bekanntschaft nicht mehr entziehen können.“
Das Erstaunen seiner Familie war so groß und so lebhaft, wie er es sich gewünscht hatte. Mrs. Bennet übertraf auch hierin die anderen, wenn auch nur um ein weniges. Nichtsdestoweniger erklärte sie, nachdem man sich wieder etwas beruhigt hatte, sie habe es sich schon die ganze Zeit gedacht.
„Das war einmal richtig nett von dir. Aber ich wusste ja, dass ich dich würde überreden können. Ich wusste ja, dass du deine Kinder viel zu liebhast, als dass du eine solche Bekanntschaft vernachlässigt hättest. Wie ich mich freue! Und wie gut dir dein Scherz gelungen ist —, heute Morgen bist du schon bei ihm gewesen, und jetzt erzählst du uns erst davon!“
„So, Kitty, jetzt kannst du husten, so viel es dir Spaß macht“, mit diesen Worten verließ Mr. Bennet das Zimmer, offensichtlich ziemlich mitgenommen von dem Begeisterungsausbruch seiner Frau.
„Ihr Mädchen habt einen einzigartigen Vater“, sagte sie, als die Tür sich geschlossen hatte. „Ich weiß nicht, wie ihr ihm je seine Güte werdet danken können — ich übrigens auch nicht. In unserem Alter ist es kein Vergnügen, kann ich euch versichern, täglich neue Bekanntschaften machen zu müssen. Aber für euch tun wir eben alles. Lydia, mein Liebling, du bist zwar sehr jung, aber ich bin fest davon überzeugt, dass Mr. Bingley auf dem nächsten Ball mit dir tanzen wird.“
„Och“, sagte Lydia stolz, „ich hab’ keine Angst. Ich bin wohl die Jüngste, aber auch die Größte von uns.“
Den Rest des Abends verbrachten sie auf das angenehmste damit, zu überlegen, wann wohl Mr. Bingleys Gegenbesuch zu erwarten sei und wann sie ihn dann zum Essen laden könnten.
So sehr sich indessen Mrs. Bennet, eifrig von ihren fünf Töchtern unterstützt, darum bemühte, es war keine auch nur einigermaßen zufriedenstellende Beschreibung des neuen Nachbarn aus ihrem Mann herauszubekommen. Die Angriffe erfolgten von den verschiedensten Seiten, geradewegs als Fragen oder unter Harmlosigkeit getarnt oder wieder als scheinbar ganz fern-liegende Andeutungen, aber er ließ sich in keine Falle locken. Zuletzt mussten sie sich mit dem zufriedengeben, was Lady Lucas ihnen aus zweiter Hand berichten konnte. Sir William war entzückt gewesen. Er sei noch sehr jung, ungewöhnlich gutaussehend, außerordentlich wohlerzogen, und, als Krönung des Ganzen, er beabsichtige, an dem nächsten Ball mit einer größeren Gesellschaft teilzunehmen … Wo konnte es da noch fehlen! Zwischen gern tanzen und sich verlieben war nur noch ein kleiner, ein fast unvermeidlicher Schritt! Mr. Bingleys Herz wurde Gegenstand der lebhaftesten Erörterungen und Erwartungen.
„Wenn ich es erleben darf, dass eine meiner Töchter als Herrin in Netherfield einzieht“, sagte Mrs. Bennet zu ihrem Mann, „und wenn es mir gelingen sollte, die anderen ebenso gut unterzubringen, dann wird mir jeder Wunsch erfüllt sein.“
Nach einigen Tagen erwiderte Mr. Bingley Mr. Bennets Besuch und blieb mit ihm etwa zehn Minuten in der Bibliothek. Er hatte die leise Hoffnung gehabt, wenigstens einen Blick auf die jungen Damen werfen zu dürfen, von deren Schönheit er schon viel gehört hatte; aber der Vater war alles, was er zu sehen bekam. Die Damen selbst waren ein wenig mehr vom Glück begünstigt; gelang es ihnen doch, von einem Fenster im oberen Stock festzustellen, dass er einen blauen Mantel trug und ein schwarzes Pferd ritt.
Bald darauf wurde auch die Einladung zum Essen abgeschickt. Mrs. Bennet war sich schon über alle Gerichte und Gänge klar, mit denen sie hausfrauliche Ehre einzulegen gedachte; da kam seine Antwort und schob all die schönen Pläne auf unbestimmte Zeit auf. Mr. Bingley bedauerte sehr, am folgenden Tag nach London fahren und sich daher des Vergnügens berauben zu müssen, der Einladung usw. usw. Mrs. Bennet war ganz unglücklich. Sie konnte sich gar nicht denken, was das für eine Angelegenheit sein mochte, die ihn schon so bald nach seiner Ankunft in Hertfordshire nach London zurückrief. Der Gedanke, er könne vielleicht zu der Sorte junger Männer gehören, die ständig von einem Ort zum anderen flattern, anstatt sich mit einem festen Wohnsitz zu begnügen — in diesem Fall Netherfield —, wie es sich gehörte, begann sie ernstlich zu beunruhigen. Und sie schöpfte erst wieder ein wenig Mut, als Lady Lucas ihr gegenüber die Möglichkeit erwähnte, er sei doch vielleicht nur nach London gefahren, um seine große Ballgesellschaft nach Netherfield zu holen. Bald darauf verbreitete sich das aus sicheren Quellen stammende Gerücht, Mr. Bingley werde mit zwölf Damen und sieben Herren auf dem Fest erscheinen. Zwölf Damen! Die jungen Mädchen hörten diese Nachricht mit großer Besorgnis. Aber auch sie fassten wieder Mut, als die Zahl zwölf am Tage vor dem Ball auf sechs — fünf Schwestern und eine Cousine — berichtigt wurde. Die Gesellschaft, die tatsächlich den großen Festsaal betrat, war dann schließlich nicht zahlreicher als insgesamt nur fünf Personen: Mr. Bingley, seine beiden Schwestern, der Gatte der älteren und ein unbekannter junger Mann.
Mr. Bingley sah sehr gut aus und machte einen vornehmen Eindruck. Seine ganze Haltung und Art, sich zu geben, waren natürlich und von einer ungezwungenen Freundlichkeit. Die Schwestern waren mit gutem, eigenem Geschmack nach der letzten Mode gekleidet und mussten zweifellos zu den Schönheiten der Londoner Gesellschaft gezählt werden. Mr. Hurst, dem Schwager Mr. Bingleys, war die gute Familie anzusehen; mehr allerdings auch nicht. Mr. Darcy, der junge Freund, dagegen war bald mit seiner großen, schlanken Figur, seinem angenehmen Äußeren und seinem vornehmen Auftreten Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des ganzen Saales. Kein Wunder, dass in weniger als fünf Minuten die verbürgte Nachricht ihren Lauf über alle Lippen nahm, Mr. Darcy verfüge über zehntausend Pfund im Jahr. Die Herren gestanden ihm sein ungewöhnlich stattliches und männliches Wesen zu, die Damen versicherten, er sehe noch besser aus als Mr. Bingley, und die Blicke von jedermann folgten ihm bewundernd den halben Abend lang; dann aber wandelte sich die anfängliche Auffassung von der Vornehmheit seines Auftretens vollständig in das Gegenteil um, woraufhin die Hochflut der Achtung, die man ihm entgegengebracht hatte, rasch abzuebben begann. Denn man konnte nicht umhin, die Feststellung zu machen, dass Mr. Darcy hochmütig war, auf die anwesende Gesellschaft herabsah und an nichts Anteil nehmen wollte. Nichts, nicht einmal sein großer Grundbesitz in Derbyshire, war ein Ausgleich für sein abweisendes und wenig freundliches Benehmen. Jedenfalls konnte er in keiner Weise mit seinem Freund Mr. Bingley verglichen werden.
Mr. Bingley hatte sich bald schon mit all den vornehmlichsten Anwesenden bekanntgemacht. Er tanzte jeden Tanz, war lebhaft und aufgeräumt, ärgerte sich nur darüber, dass das Fest so früh zu Ende sein sollte, und sprach davon, einen Ball auf Netherfield zu geben. Solche Liebenswürdigkeit bedarf keiner weiteren Lobesworte. Welch ein Gegensatz zwischen ihm und seinem Freund! Mr. Darcy tanzte nur je einmal mit Mrs. Hurst und mit Miss Bingley und lehnte es ab, irgendeiner anderen Dame vorgestellt zu werden. Den größten Teil des Abends brachte er damit zu, im Saal herumzugehen und hin und wieder mit dem einen oder der anderen von seinen Bekannten ein paar Worte zu wechseln. Über seinen Charakter brauchte auch kein Wort mehr verloren zu werden. Er war der hochmütigste, unangenehmste Mensch auf der Welt, und man konnte nur hoffen, dass man ihn zum letzten Male gesehen hatte.
Seine heftigste Gegnerin war Mrs. Bennet; denn zu der allgemeinen Missstimmung kam bei ihr ein persönlicher Grund hinzu, der ihre Abneigung noch bedeutend verschärfte: Mr. Darcy hatte eine ihrer Töchter beleidigt.
Da die Herren sehr in der Minderzahl waren, hatte Elisabeth zwei Tänze auslassen müssen; und in dieser Zeit war Mr. Darcy während seines gelangweilten Rundganges für einen kurzen Augenblick ihr so nahegekommen, dass sie nicht umhin konnte, ein Gespräch zwischen ihm und Mr. Bingley mit anzuhören; der hatte die Tanzenden verlassen, um seinen Freund aus seiner Interesselosigkeit zu reißen.
„Los, Darcy“, sagte er, „du musst auch einmal tanzen. Es wird mir zu dumm, dich in dieser blöden Weise hier allein herumstehen zu sehen. Wenn du doch schon hier bist, ist es viel vernünftiger, du tanzt.“
„Alles andere lieber als das! Du weißt, wie sehr ich es verabscheue, mit jemand zu tanzen, den ich nicht kenne. Und in einer Gesellschaft wie dieser hier wäre es geradezu unerträglich. Deine Schwestern haben beide einen Partner, und außer ihnen gibt es auch nicht ein einziges Mädchen im ganzen Saal, mit dem sich zu zeigen nicht eine Strafe wäre.“
„Nicht für ein Königreich möcht’ ich solch ein Mäkler sein wie du!“ rief Bingley aus. „Auf Ehre, ich hab’ noch nie so viele nette Mädchen auf einmal kennengelernt wie heute Abend; viele sind sogar ganz ungewöhnlich hübsch.“
„Du tanzt ja auch mit dem einzigen Mädchen, das hier wirklich gut aussieht“, erwiderte Darcy und schaute gleichzeitig zu Jane hinüber.
„Ja, sie ist das wunderbarste Geschöpf, das mir je vor Augen gekommen ist! Aber gerade hinter dir sitzt eine ihrer Schwestern, die sehr nett aussieht und wahrscheinlich auch sehr nett ist. Ich werde meine Dame bitten, dich ihr vorzustellen.“
„Welche meinst du?“ Darcy drehte sich um und betrachtete Elisabeth, bis sie unter seinem Blick hochsah. Daraufhin wandte er sich wieder an seinen Freund und meinte gleichgültig: „Erträglich, aber nicht genügend, um mich zu reizen. Außerdem habe ich heute keine Lust, mich mit jungen Damen abzugeben, die von den anderen Herren sitzengelassen worden sind. Kehr du nur wieder zu deiner Tänzerin zurück und sonne dich in ihrem Lächeln; bei mir vergeudest du doch nur deine Zeit.“
Mr. Bingley folgte seinem Rat, und Darcy nahm seinen Rundgang wieder auf. Elisabeths Ansicht über ihn war nicht sehr freundlich, aber nichtsdestoweniger berichtete sie ihren Freundinnen voll Humor ihr kleines Erlebnis; denn da sie selbst von Natur lustig und heiter war, lachte sie gern, auch wenn es auf ihre eigenen Kosten ging.
Im Übrigen verlief jedoch der Abend zur vollsten Zufriedenheit der ganzen Familie. Mrs. Bennet hatte die Freude gehabt, ihre älteste Tochter von dem Netherfield-Kreis akzeptiert zu sehen: Mr. Bingley hatte zweimal mit ihr getanzt, und seine Schwestern zeichneten sie durch größte Zuvorkommenheit aus. Janes Freude und Stolz hierüber waren wohl nicht geringer als die ihrer Mutter, aber sie ließ es sich nicht so sehr anmerken. Elisabeth teilte als gute Schwester Janes Freude. Mary hatte sich Miss Bingley gegenüber als das gebildetste junge Mädchen aus der ganzen Nachbarschaft rühmen gehört. Und die beiden Jüngsten, Catherine und Lydia, konnten das unwahrscheinlichste Glück für sich in Anspruch nehmen, nicht einen einzigen Tanz ausgelassen zu haben, und das war das einzige, worauf es ihnen vorläufig bei einem Ball ankam.
Sie kehrten daher alle in bester Laune nach Longbourn zurück, dem Dorf, dessen vornehmstes Haus das ihre war. Mr. Bennet war noch auf. In Gesellschaft eines guten Buches vergaß er die Zeit. Am heutigen Abend kam noch ein gut Teil Neugierde hinzu, ihn wach zu halten; er wollte doch gern wissen, wie das Fest verlaufen war, das so viele Hoffnungen erweckt hatte. Im Stillen hatte er wohl erwartet, die vorgefasste Meinung seiner Frau über den neuen Nachbarn enttäuscht zu sehen; dass er sich seinerseits getäuscht hatte, darüber wurde er nicht lange im Zweifel gelassen.
„Wir haben einen herrlichen Abend verbracht.“ Damit kam sie ins Zimmer. „Ein wundervoller Ball! Ich wünschte, du wärst dagewesen. Jane wurde bewundert — es ist gar nicht zu beschreiben! Alle sagten, wie gut sie aussehe; und Mr. Bingley fand sie wunderschön und hat zweimal mit ihr getanzt! Stell’ dir das bitte vor, mein Lieber! Zweimal hat er mit ihr getanzt! Und sonst hat er keine einzige zum zweiten Mal aufgefordert! Zuerst forderte er Miss Lucas auf. Ich hab’ mich richtig geärgert, als er mit ihr tanzte; doch er hat sie gar nicht gemocht, na ja, weißt du, das wäre wohl auch schwer möglich gewesen. Aber schon während des ersten Tanzes schien ihm Jane aufzufallen; er erkundigte sich, wer sie sei, ließ sich vorstellen, und bat sie um den nächsten Tanz. Dann tanzte er den dritten mit Miss King und den vierten mit Maria Lucas und den fünften wieder mit Jane und den sechsten mit Lizzy und dann noch ein Boulanger-Menuett hinterher …“
„Um Gottes willen, ich will nichts mehr von Mr. Bingleys Tänzerinnen hören!“ unterbrach Mr. Bennet sie ungeduldig. „Wäre er ein wenig rücksichtsvoller gegen mich gewesen, hätte er nur halb so viel getanzt. Schade, dass er sich nicht schon beim ersten Tanz den Fuß verstaucht hat.“
„Aber“, fuhr Mrs. Bennet fort, „ich bin ganz entzückt von ihm! Er sieht ungewöhnlich gut aus! Und seine Schwestern sind reizende Damen. Ihre Kleider waren das eleganteste, was ich je gesehen habe. Die Spitzen an Mrs. Hursts Kleid haben gut und gerne …“
Sie wurde wieder unterbrochen. Ihr Mann legte auf das energischste Verwahrung dagegen ein, jetzt einen Diskurs über Spitzen und Moden ertragen zu müssen. Sie sah sich daher gezwungen, das Thema in eine andere Richtung abzulenken, und berichtete mit ehrlicher Entrüstung und einigen Übertreibungen von dem unglaublichen Betragen des Mr. Darcy.
„Aber das weiß ich und das kann ich dir versichern“, schloss sie nach einiger Zeit, „Lizzy verliert nicht viel, wenn sie seinem Geschmack nicht entspricht; er ist ein ganz schrecklich unangenehmer, scheußlicher Mensch und gar nicht wert, dass man sich um ihn kümmert. Nicht zum Aushalten war es, wie hochmütig und eingebildet er hin- und herging und sich wunder wie großartig vorkam! ›Erträglich — aber nicht genügend, um ihn zu reizen —!‹ Ich wünschte, du wärst dagewesen, mein Lieber, um ihn ein wenig zurechtzustutzen, du verstehst dich so gut darauf. Ich finde den Menschen abscheulich!“
Als Jane und Elisabeth in ihrem Zimmer allein waren, vertraute die Ältere, die bis dahin kaum in die Lobpreisungen Mr. Bingleys eingestimmt hatte, ihrer Schwester an, wie sehr sie ihn bewundere. „Er ist alles, was ein junger Mann sein sollte“, sagte sie, „vernünftig und doch fröhlich und lebhaft; und sein Auftreten — ich hab’ noch nie so etwas erlebt: gleichzeitig so ungezwungen und so wohlerzogen!“
„Gut aussehen tut er auch“, erwiderte Elisabeth, „das kann einem jungen Mann ebenfalls nicht schaden. Also alles in allem, ein idealer Typ!“
„Dass er mich ein zweites Mal zum Tanzen aufforderte, das war doch sehr schmeichelhaft. Das hatte ich gar nicht erwartet!“
„Nicht? Ich ja. Das ist der große Unterschied zwischen uns: dich überrascht so etwas immer, mich nie. Was hätte selbstverständlicher sein können, als dass er dich noch einmal aufforderte? Es konnte ihm ja nicht gut entgangen sein, dass du mindestens fünfmal hübscher warst als alle anderen Mädchen im Saal. Nein, das war keine besondere Höflichkeit von ihm. Aber es stimmt, er ist wirklich sehr nett, und meinen Segen hast du. Dir haben schon ganz andere Hohlköpfe gefallen!“
„Aber Lizzy!“
„Ich weiß — du hast eine reichlich übertriebene Neigung, jedermann nett zu finden. Du entdeckst niemals einen Fehler an Menschen. Die ganze Welt ist in deinen Augen gut und schön. Ich glaube, ich habe dich noch nie über irgendwen etwas Unfreundliches sagen hören!“
„Ich möchte natürlich nicht unüberlegt und hastig urteilen; aber ich sage doch immer, was ich wirklich denke.“
„Eben, das weiß ich ja — das ist ja gerade das Wunder: so vernünftig zu sein, wie du es doch bist, und dabei so rührend blind gegenüber den Torheiten und der Dummheit deiner Mitmenschen! Gespielte Aufrichtigkeit ist eine gewöhnliche Erscheinung — man trifft sie überall. Aber Aufrichtigkeit ohne Hintergedanken oder Nebenabsichten, nur das Beste in jedem sehen und das noch verbessern, während man das Schlechte nicht beachtet, und das noch in aller Aufrichtigkeit — das kannst nur du! Seine Schwestern mochtest du also auch? Ganz so wohlerzogen wie er sind sie ja wohl nicht.“
„Das allerdings nicht, wenigstens erscheint es zunächst so. Aber die beiden sind ganz reizend, wenn man mit ihnen spricht. Miss Bingley wird auch auf Netherfield wohnen bleiben und ihrem Bruder das Haus führen. Es sollte mich sehr wundern, wenn wir in ihr nicht eine sehr angenehme Nachbarin bekämen.“
Elisabeth schwieg dazu; sie war davon nicht so überzeugt wie ihre Schwester. Das Auftreten der beiden Damen aus London war nicht danach gewesen, um ihr uneingeschränktes Gefallen zu erregen; sie beobachtete schärfer und war nicht so vorschnell in ihrem Urteil, zumal sie sich nicht, wie ihre Schwester, durch ein persönliches Interesse verpflichtet fühlte. Zweifellos, die beiden waren wirkliche Damen; sehr wohl in der Lage, in bester Stimmung zu sein, solange sie sich gut unterhalten fühlten, und freundlich, sobald ihnen so zumute war, aber zweifellos ebenso hochmütig und eingebildet. Sie sahen recht gut aus, hatten eine vortreffliche Erziehung in einer der vornehmsten Schulen Londons genossen, konnten über ein Vermögen von zwanzigtausend Pfund verfügen, waren gewohnt, mehr auszugeben, als ihrem Vermögen entsprach, und verkehrten in der besten Gesellschaft — kurz, sie hatten allen Grund, das Beste von sich selber und weniger gut von anderen zu denken. Außerdem gehörten sie einer angesehenen nordenglischen Familie an, eine Tatsache, die ihnen ständig mehr gegenwärtig zu sein schien als die andere Tatsache, dass das Familienvermögen aus Handelsgeschäften stammte.
Mr. Bingleys Vater, der immer den Wunsch gehegt hatte, sich einen Landbesitz zu kaufen, aber zu früh gestorben war, um sich seinen Wunsch erfüllen zu können, hinterließ seinem Sohn ein Erbe von nahezu einhunderttausend Pfund. Mr. Bingley beabsichtigte nun auszuführen, was seinem Vater versagt geblieben war; bald dachte er an diese Gegend, bald an jene. Aber da er jetzt ein schönes Haus in London besaß und dazu noch über Netherfield verfügen konnte, erschien es allen, die seine Genügsamkeit kannten, als höchst wahrscheinlich, dass er sich nun nicht weiter umsehen, sondern den Ankauf eines Landbesitzes der nächsten Generation überlassen werde.
Seine Schwestern waren nicht so genügsam und hätten es lieber gesehen, wenn ihr Bruder auf eigenem Grund und Boden säße. Das hielt aber keineswegs die jüngere davon ab, in dem nur gemieteten Netherfield dem Haushalt vorzustehen; und die ältere Schwester, Mrs. Hurst, die einen Mann in hoher gesellschaftlicher Stellung und in schlechten Vermögensverhältnissen geheiratet hatte, betrachtete dieses Netherfield nach Bedarf als ihr eigenes Heim.
Mr. Bingley hatte erst zwei Jahre die Freiheit des Mündigseins genossen, als eine zufällige Empfehlung ihm Netherfield House verlockend schilderte. Er fuhr hin, sah es sich eine halbe Stunde lang drinnen und draußen an, fand Gefallen an der Lage und den Räumlichkeiten und wurde mit dem Eigentümer sehr schnell einig.
Zwischen ihm und Darcy bestand, trotz der großen charakterlichen Verschiedenheit, eine langjährige, feste Freundschaft. Darcy schätzte an Bingley sein natürliches Wesen, seine Freimütigkeit und seine Lenkbarkeit — Eigenschaften, die in keinem größeren Gegensatz zu seinen eigenen hätten stehen können, obgleich er mit seinen eigenen gar nicht unzufrieden zu sein schien. Und Bingley seinerseits fand eine starke Stütze in der Achtung, die sein Freund ihm entgegenbrachte, und vertraute fest seiner überlegenen Menschenkenntnis und Welterfahrung. Darcy war auch der Intelligentere von ihnen; nicht, dass Bingley dumm war, aber Darcy war eben der Überlegenere. Gleichzeitig hatte Darcy aber einen Zug von Hochmut, Verschlossenheit und Verwöhntheit, und sein ganzes Wesen war, wenn auch nicht gerade unhöflich, so doch nicht sehr entgegenkommend. In dieser Hinsicht lief ihm sein Freund entschieden den Rang ab. Bingley war überall gern gesehen; Darcy eckte ständig an.
Die Art, in der sie sich über den Ball in Meryton unterhielten, war für beide bezeichnend. Bingley glaubte, noch nie nettere Leute und hübschere Mädchen gesehen zu haben; alle waren äußerst freundlich und zuvorkommend gegen ihn gewesen, keine Spur von Förmlichkeit oder Steifheit, er hatte sich gleich gut Freund mit allen Anwesenden gefühlt; und was Jane betraf, er hätte sich kein engelhafteres Wesen vorstellen können. Darcy dagegen hatte nur eine große Menschenmenge gesehen, die durch wenig Schönheit und viel Ungeschick auffiel, für die er beim besten Willen kein Interesse hatte aufbringen können und von der er weder Vergnügen gehabt noch Entgegenkommen erfahren hatte … Miss Bennet — ja, er gab zu, dass sie nett aussah, nur lächelte sie zu viel. Mrs. Hurst und ihre Schwester erhoben hiergegen weiter keinen Einspruch, aber sie gestanden ihre Zuneigung und Bewunderung für Jane ein und erklärten, sie sei ein liebes Mädchen, dessen Freundschaft sie nicht ungern weiter pflegen wollten. Damit war also Miss Bennet zum „lieben Mädchen“ ernannt, und Bingley fühlte sich durch diese Empfehlung berechtigt, von ihr und über sie zu denken, wie es ihm beliebte.
Nur einen kurzen Weg von Longbourn entfernt wohnte eine Familie, die zu den engeren Freunden der Bennets zählte. Sir William Lucas hatte früher ein Geschäft in Meryton geführt, das ihm zu einem annehmbaren Vermögen verholfen hatte. Eine Ansprache an den König während seiner Bürgermeisterzeit hatte ihm den Titel „Sir“ eingebracht. Die Ehrung war ihm ein wenig zu Kopfe gestiegen; er fasste eine plötzliche Abneigung gegen das Geschäft und gegen sein Haus in dem kleinen Marktflecken, gab beides auf und bezog mit seiner Familie etwas außerhalb Merytons ein Landhaus, das von da an Lucas Lodge hieß. Hier konnte er zu seinem ständigen Vergnügen über seine eigene Bedeutsamkeit Betrachtungen anstellen und, ungehindert von jedweder Arbeit, sich damit beschäftigen, gegen die ganze Welt höflich zu sein. Denn wenn sein Titel ihn auch erhöht hatte, er machte ihn nicht hochfahrend; im Gegenteil, er war mehr denn je eines jeden gehorsamer Diener. Von Natur aus schon liebenswürdig, freundlich und gefällig, hatte seine Vorstellung bei Hofe ihn nur noch höflicher gemacht.
Lady Lucas war eine sehr gute Frau und nicht klug genug, um eine schlechte Nachbarin für Mrs. Bennet abzugeben. Die älteste von den Lucas-Kindern, Charlotte, eine ruhige, vernünftige junge Dame von siebenundzwanzig, war Elisabeths beste Freundin.
Es war natürlich unumgänglich notwendig, dass die Schwestern Lucas und die Schwestern Bennet den Ball gemeinsam durchsprachen. Am Morgen nach dem Fest erschienen jene in Longbourn, um zu hören und gehört zu werden.
„Du hast aber den Abend gut begonnen, Charlotte“, sagte Mrs. Bennet mit höflicher Selbstbeherrschung zu Miss Lucas. „Dich hat ja Mr. Bingley sich zuerst ausgesucht.“
„Ja, aber seine zweite Wahl schien ihm besser zu gefallen.“
„Ach so, du meinst Jane — weil er zweimal mit ihr getanzt hat; du hast recht, das machte allerdings den Eindruck, als ob er sie bevorzugte. Hm, weißt du, ich glaube, er zog sie den anderen tatsächlich vor; ja, ja, ich hörte so etwas, ich weiß nicht mehr genau was … irgendetwas von Mr. Robinson —“
„Sie meinen wahrscheinlich das Gespräch zwischen ihm und Mr. Bingley, das ich zufälligerweise mit anhörte; hab’ ich Ihnen noch nicht davon erzählt? Mr. Robinson fragte ihn, wie ihm unser Ball in Meryton gefalle und ob er nicht auch der Meinung sei, dass eine ungewöhnlich große Anzahl schöner Damen anwesend wäre; und dann fragte Mr. Robinson ihn noch, welche er denn am schönsten finde? Worauf er sogleich erwiderte: aber da gibt es doch gar keinen Zweifel, die älteste Schwester Bennet natürlich!“
„Was du nicht sagst! Das ist allerdings sehr deutlich.“
„Ich hab’ wenigstens etwas Nettes zu hören bekommen, Lizzy, wenn auch nur über andere“, sagte Charlotte zu ihrer Freundin. „Mr. Darcy zuzuhören lohnt sich nicht so sehr wie seinem Freund. Arme Lizzy, nur gerade noch erträglich zu sein!“
„Ich bitte dich, Charlotte, versuch nicht, Lizzy auch noch mit seiner Unhöflichkeit zu ärgern; er ist ein so scheußlicher Mensch, dass es geradezu ein Unglück wäre, ihm zu gefallen. Mrs. Long erzählte mir, er habe eine halbe Stunde neben ihr gesessen, ohne ein einziges Mal den Mund aufzumachen.“
„Hat sie das gesagt, Mutter? Hat sie sich nicht vielleicht geirrt?“ fragte Jane. „Ich sah genau, wie er zu ihr sprach.“
„Ja, da hatte sie ihn gerade gefragt, wie ihm Netherfield gefalle, und darauf musste er ja wohl oder übel etwas sagen; aber sie sagt, er sei richtig wütend gewesen, angesprochen zu werden.“
„Miss Bingley erzählte mir“, sagte Jane, „dass er nie sehr viel redet außer im engsten Freundeskreis. Dann kann er ganz ungewöhnlich sympathisch und freundlich sein.“
„Ich glaube nicht ein Wort davon, meine Liebe. Wenn er das wäre, dann hätte er mit Mrs. Long gesprochen. Ich kann mir schon denken, was los war: alle Welt weiß, dass er vor Hochmut beinahe erstickt, und er hat wahrscheinlich von irgendjemand erfahren, dass Mrs. Long sich keinen eigenen Wagen halten kann und in einer Mietskutsche zum Ball gekommen war.“
„Dass er nicht mit Mrs. Long geredet hat, stört mich nicht weiter“, meinte Charlotte, „aber ich wünschte, er hätte mit Lizzy getanzt.“
„Ein anderes Mal, Lizzy“, sagte Mrs. Bennet, „würde ich nicht mit ihm tanzen, wenn ich du wäre.“
„Ich glaube, ich kann dir ziemlich fest versprechen, überhaupt nie mit ihm zu tanzen, Mutter.“
„Sein Hochmut verletzt mich nicht einmal so sehr, wie es sonst der Fall wäre“, sagte Charlotte, „denn er hat doch eine Art Entschuldigung dafür. Man kann sich eigentlich nicht darüber wundern, dass ein so stattlicher junger Mann von so vornehmer Familie und so großem Vermögen sich selbst sehr hoch einschätzt. Ich finde, er hat gewissermaßen ein Recht zum Hochmut.“
„Ganz richtig“, erwiderte Elisabeth, „ich könnte ihm seinen Hochmut auch leicht verzeihen, wenn er nicht meinen Stolz gekränkt hätte.“
„Stolz“, sagte Mary, die auf die Tiefsinnigkeit ihrer Gedanken stolz war, „gehört zu den verbreitetsten unter allen menschlichen Schwächen, wenn ich mich nicht irre. Denn nach allem, was ich bisher gelesen habe, bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass es so ist: Die menschliche Natur neigt überaus leicht dazu, diesem Übel zu verfallen, und es gibt nur wenige Menschen, die frei davon sind, aus diesem oder jenem, tatsächlichen oder eingebildeten Grunde ein Gefühl von Selbstgefälligkeit zu verspüren. Man muss auch Stolz und Eitelkeit auseinanderhalten, wenn die beiden Worte auch oft für ein und dieselbe Sache gebraucht werden: man kann stolz sein, ohne eitel zu sein. Der Stolz bezieht sich mehr auf unsere eigene Meinung von uns selbst, die Eitelkeit jedoch auf die Meinung, die wir gern von anderen über uns hören möchten.“
„Wenn ich so reich wäre wie Mr. Darcy“, rief der junge Lucas, der seine ältere Schwester begleitet hatte, in die achtungsvolle Stille, die nach Marys Alltagsweisheit eingetreten war, „wenn ich so reich wäre, dann könnte ich gar nicht stolz genug sein! Ich würde Fuchsjagden reiten und jeden Abend eine Flasche Wein trinken.“
„Das wäre viel zu viel für dein Alter“, meinte Mrs. Bennet, „und wenn ich dich dabei träfe, würde ich dir die Flasche sofort wegnehmen.“
Der Junge trumpfte auf, das dürfe sie ja gar nicht; und sie bestand darauf, sie würde es doch tun, und das Hin und Her fand erst mit dem Besuch sein Ende.
Die Damen von Longbourn machten bald darauf denen von Netherfield ihre Aufwartung, und der Besuch wurde in aller Form erwidert. Janes natürliches und freundliches Wesen gewann ihr schnell die Zuneigung von Mrs. Hurst und deren Schwester Caroline. Die Mutter Bennet war ja zwar kaum zu ertragen, und zu den beiden jüngeren Mädchen auch nur höflich zu sein, lohnte sich eigentlich nicht; aber mit den beiden älteren Freundschaft zu schließen, erschien ihnen wünschenswert. Jane erwiderte diesen Wunsch voller Dankbarkeit und aus ganzem Herzen; aber Elisabeth erkannte die Anmaßung, die allen Äußerungen der Damen in Netherfield zu Grunde lag, nicht zum wenigsten Jane gegenüber, und sie konnte es nicht über sich bringen, ihr anfängliches Misstrauen fallen zu lassen; mochte ihre Freundlichkeit gegen Jane, wenn man es schon so nennen wollte, auch dadurch einen gewissen Wert annehmen, dass sie ihren Ursprung in der Bewunderung des Bruders, Mr. Bingley, hatte.
Dass eine solche Bewunderung wirklich bestand, war ganz unverkennbar, so oft sie zusammenkamen. Und für Elisabeth war es ebenso unverkennbar, dass Jane der Neigung, die sie von Anfang an für ihn empfunden hatte, nachzugeben begann und auf dem besten Wege war, sich gründlich zu verlieben. Der Gedanke, dass die anderen diesen Zustand nicht so bald würden entdecken können, war ihr eine große Beruhigung; denn Jane verband mit der Fähigkeit eines tiefen Gefühls eine Gleichmäßigkeit und ständige Heiterkeit, die sie vor Verdächtigungen und üblen Nachreden böser Zungen bewahrte. Sie sprach darüber mit ihrer Freundin Charlotte.
„Es mag schon nützlich sein“, meinte diese, „in solchen Fällen der Umwelt etwas vormachen zu können; aber es kann einem auch schaden, wenn man zu beherrscht ist. Wenn eine Frau dem Gegenstand ihrer Neigung ihre Gefühle ebenso geschickt verbirgt, wird sie sich leicht um die Gelegenheit bringen, diese Gefühle eines Tages ausdrücken zu dürfen; und der Trost, dass die Welt ja nichts davon erfahren hat, scheint mir sehr schwach zu sein. In fast jeder Liebe steckt ein kleiner Kern von Eitelkeit oder Dankbarkeit, und den sollte man nicht sich selbst überlassen. Wir machen alle den ersten Schritt ganz unbefangen — dass man einen Menschen einem anderen vorzieht, ist meist selbstverständlich; aber nur die wenigsten von uns haben ein Herz, das groß genug ist, um ohne Ermunterung und Nachhilfe zu lieben. In neun von zehn Fällen ist es ratsam für eine Frau, eher mehr zu zeigen, als sie fühlt. Bingley mag deine Schwester ganz ohne Zweifel; doch, wenn sie ihm nicht weiterhilft, wird er vielleicht nie etwas anderes tun, als sie nur mögen.“
„Aber sie tut ja schon so viel, wie ihre Natur es ihr erlaubt. Wenn ich ihre Zuneigung entdecken kann, dann muss er schon sehr dumm sein, wenn er nicht dasselbe entdeckt.“
„Vergiss nicht, Lizzy, dass er Janes Art nicht so gut kennt wie du.“
„Wenn eine Frau einen Mann bewundert und ihre Bewunderung nicht bewusst verbirgt, dann muss er es schon selbst merken.“