Jeff - Ménage à trois - Lucia Bolsani - E-Book

Jeff - Ménage à trois E-Book

Lucia Bolsani

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Beschreibung

Zwei unzertrennliche Freunde. Eine schüchterne junge Frau. Fesseln, die befreien. Eine Beziehung, die ihr Leben für immer verändern wird. Als Jeff auf einem Weihnachtsmarkt auf die schüchterne Sheryl trifft, ahnt er noch nicht, wie gut die wunderschöne junge Frau zu seinen Neigungen passt. Gemeinsam erkunden sie eine Welt, in der Fesseln die Freiheit schenken, Schmerzen Lust bereiten - und die Anwesenheit von Jeffs bestem Freund Vico ihren intimsten Momenten erst den besonderen Kick verleiht. Schon bald sind die drei unzertrennlich und schenken einander unvergessliche Stunden. Doch was, wenn einem die Liebe dazwischenkommt? Können die drei jungen Menschen damit umgehen oder steuert ihre Ménage à trois auf eine Katastrophe zu?

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JEFF

 

Ménage à trois

 

 

Prequel zu »Vico - Il Conte«

 

 

von

Lucia Bolsani

 

 

 

Lektorat: Andrea Benesch | www.lektorat-federundeselsohr.de

 

Covergestaltung: Schattmaier Design | www.schattmaier-design.com

unter Verwendung von Motiven von Adobe Stock.com

 

© 2022 Lucia Bolsani

 

Vorwort

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

nach Möglichkeit versuche ich Bücher zu schreiben, die nicht so dick sind, dass Du scheußliche blaue Zehen davonträgst, sollte Dir das Werk versehentlich aus der Hand fallen. Deswegen habe ich die Ereignisse rund um Sheryl, Jeff und Vico in meinem letzten Buch nur kurz angerissen. Schade eigentlich.

Fanden Jeff und Sheryl wohl auch. Bis in meine Träume hinein haben sie mich verfolgt, und damit endlich Ruhe ist, bekommen die beiden hiermit ihr eigenes Buch. Denn mit einem hatten sie recht: Ihre Geschichte ist ganz gewiss erzählenswert.

Gewalttätig geht es diesmal nicht zu, und auf Italienisch geflucht wird auch nicht, was Dir meine kruden Übersetzungen erspart. Dafür haben die Protagonisten deutlich mehr Sex – wie sich das eben für junge Leute gehört. Die Hauptpersonen experimentieren dabei auch mit einigen Praktiken aus dem BDSM-Bereich. Wenn das also nichts für Dich ist, weil Du eher in Richtung Romantic Thrill tendierst, muss ich Dich wohl auf mein nächstes Buch vertrösten.

Lesen kannst Du diese Geschichte übrigens völlig unabhängig von den Cortone-Clan-Büchern, vorher, hinterher, dazwischen – lediglich eine Seite hiervon, eine Seite davon würde ich nicht empfehlen.

Nachdem nun hoffentlich alles geklärt ist, kann es ja losgehen. Ich wünsche Dir viel Spaß in einem München, in dem das Mittelalter noch lebt!

 

Deine Lu

Prolog

 

 

Sommer 1998, München-Au

 

»Das würde ich an deiner Stelle hübsch bleiben lassen.«

Ich lasse die Plane fallen, die vor dem Eingang des bunten Zeltes hängt. Kacke! Von der Security geschnappt zu werden, ist der Höhepunkt eines absolut beschissenen Tages. Der damit anfing, dass Dad beim Frühstück über die Fünf in Chemie reden wollte. Nicht, dass ich einen Anschiss kassiert hätte, weil ich keinen Bock hatte zu lernen. Mein Vater war mal wieder superverständnisvoll. Was mich innerhalb von zwei Sekunden auf die Palme brachte. Mann, ich bin erst zwölf, bis zum Abi sinds noch ein paar Jahre. Wir wissen doch beide, dass ich könnte, wenn ich wollte. Ich wollte halt nicht.

Dann rief auch noch Fred an und erklärte, er könne nicht mit mir losziehen. Fred hat auch eine Fünf in Chemie und dann noch versucht, die Unterschrift zu fälschen, damit seine Eltern davon nichts erfahren. Blöd nur, dass er aufgeflogen ist. Jetzt hat ihm sein Vater das Taschengeld gestrichen und er hat Hausarrest.

Ich hatte noch nie Hausarrest und Kohle bekomme ich, so viel ich will. Klar. Ich bin ja auch ein Psycho. Da geht so was natürlich nicht, da kriegt man höchstens noch ein paar Extrasitzungen beim Seelenklempner aufgebrummt. Nervig genug. Immer diese ausdruckslosen Gesichter. Wahrscheinlich gehen diese Psychoheinis zum Lachen in den Keller.

Nach alldem hatte ich jedenfalls überhaupt keinen Bock, den ganzen Tag zu Hause rumzuhängen. Wohl oder übel bin ich also allein zu diesem Mittelaltermarkt auf dem Mariahilfplatz gelatscht. Wo mein Frust wie weggeblasen war, als ich den Schwertkampf gesehen habe. Klar wusste ich, dass da Kämpfe stattfinden, stand ja groß und breit auf dem Plakat. Aber ich dachte, das wäre so ein bisschen Folklore, wo alle nur so tun, als ob – wie beim Wrestling. Aber die Kämpfer wirkten so … echt.

Am Schluss hat der eine Typ seinen Gegner mit der flachen Seite seiner Waffe am Arm getroffen. Die Kämpfer hatten wattierte Jacken an, aber das muss doch trotzdem sauweh tun! Der Kerl ließ auch prompt seine Deckung fallen und schon zielte die Schwertspitze des Gegners auf seinen Hals. Der Verlierer hat ihm daraufhin sein Schwert zu Füßen gelegt. Das Publikum ist voll ausgerastet. Irre!

Ich muss einfach wissen, ob die so richtig mit scharfen Schwertern aufeinander los sind oder ob das so stumpfe Dinger waren. Also bin ich den Kämpfern heimlich bis zu diesem Zelt gefolgt. Nur, um kurz vor dem Ziel erwischt zu werden. Scheiße! Resigniert drehe ich mich um.

Doch es ist gar nicht die Security, sondern ein Junge mit genauso komischen Klamotten, wie sie auch die Darsteller tragen. Er ist viel kräftiger und ein ganzes Stück größer als ich. Trotzdem: Das ist ein Junge. Der hat mir nicht zu sagen, was ich zu tun und zu lassen habe! Was bildet der sich überhaupt ein?

»Ach ja?«, entgegne ich aggressiv.

Er nickt überheblich. »Allerdings. Sir Malcom schätzt seine Privatsphäre nach einem Kampf.«

Pah!

»Du siehst nicht so aus, als hättest du hier etwas zu suchen«, fügt er hinzu und streicht sich eine Strähne seines schulterlangen, blonden Haares hinters Ohr. Aufgeblasener Wichtigtuer!

»Und du siehst nicht so aus, als ginge dich das was an.«

»Falsch gedacht. Was willst du von Sir Malcom?«

»Ich habe eine wichtige Angelegenheit mit ihm zu besprechen«, erkläre ich mit der ganzen Überheblichkeit, zu der ein Victorio Moreno D’Vergy, Erbe eines Grafentitels und letzter Spross eines uralten italienischen Adelsgeschlechts, fähig ist. Nicht gerade wenig, sollte man meinen.

Doch dem Jungen imponiert das überhaupt nicht. »Und die wäre?«, fragt er hochnäsig.

»Ich gedenke, Unterricht im Schwertkampf zu nehmen«, verkünde ich hochgestochen. Das hatte ich zwar gar nicht vor, aber jetzt, wo ich das sage, kommt es mir wie eine super Idee vor.

Der Kerl ging mir von Anfang an auf den Wecker, aber seine Reaktion schlägt dem Fass den Boden aus.

»Vergiss es!«, sagt er spöttisch und dann lacht er – lacht mich aus.

Sofort ist die Wut wieder da. Die Wut, die immer in meinem Bauch beginnt und sich von dort wie ein Feuerball in meinem ganzen Körper ausbreitet, bis meine Muskeln verkrampfen und mein Blickfeld schrumpft, während in meinem Kopf ein wilder Sturm tobt. Die Wut, die heute schon Dad und Fred zu spüren bekommen haben, weil ich beide mal wieder zur Sau gemacht habe.

Aber jetzt reichts endgültig! Noch jemanden anzubrüllen, ist nicht genug. Ohne nachzudenken, stürze ich auf den Kerl zu, die Fäuste bereits erhoben. Er schafft es locker, meinem laienhaften Angriff auszuweichen, doch die Wut verleiht mir ungeahnte Kräfte. Ich wirble herum und renne ihn einfach über den Haufen. Wir gehen zu Boden, ich versuche zuzuschlagen, doch in dem wilden Gerangel schaffe ich es nicht, richtig auszuholen. Er schlägt nicht zurück, was mich noch rasender macht. Schon sind wir nur noch ein wirres Knäuel aus Armen und Beinen, das sich am Boden wälzt.

»Was zum Teufel geht hier vor?«

Jemand packt mich am Kragen meiner Jacke, der Stoff ächzt und ich werde auf die Füße gezogen. Ich schlage wild um mich, doch die Hand, die mich gepackt hat, bohrt sich nun wie ein Schraubstock in meinen Nacken, sodass ich schließlich aufgebe und schwer atmend innehalte. Mein Gegner hat sich ebenfalls hochgerappelt und ich stelle zufrieden fest, dass ich zumindest den hochmütigen Ausdruck aus seinem Gesicht gewischt habe. Doch dann wird mir schlagartig klar, wer mich da festhält: der Sieger des Schwertkampfes. Und er hat offenbar keinerlei Probleme damit, den Druck seiner Finger noch weiter zu verstärken. Verdammt, was für eine Kraft hat der Mann denn allein in seiner Hand! Sieht so aus, als steckte ich echt in der Klemme.

Doch zunächst ist es der Junge, der Probleme kriegt.

»Ich erwarte eine Erklärung, Jeff«, knurrt der Schwertkämpfer meinen Gegner an.

Der steht nun kerzengerade da und sieht dem Mann fest in die Augen. Ich rechne natürlich damit, dass dieser Jeff jetzt sagt, dass ich völlig unvermittelt wie ein Berserker auf ihn los bin, stattdessen meint er: »Es war mein Fehler, Sir. Ich habe mich über den Burschen lustig gemacht.«

»Soso«, sagt der beißend und seine Finger bohren sich noch fester in meine Haut.

Das wäre definitiv der richtige Zeitpunkt, um zuzugeben, dass die Rauferei meine Schuld war, aber ich kriege kein Wort raus.

»Hältst du so ein Benehmen für angebracht?«, herrscht der Mann diesen Jeff an.

»Nein, Sir.«

»Das wird Konsequenzen haben.«

»Natürlich, Sir«, sagt Jeff, ohne eine Miene zu verziehen.

Der Schwertkämpfer nickt, lässt mich endlich los und offenbar ist damit alles gesagt, denn er verschwindet wieder in dem Zelt. Nur mit Mühe widerstehe ich der Versuchung, mir über die schmerzende Stelle im Nacken zu reiben.

Eigentlich gehe ich ja davon aus, dass Jeff mir erst mal einen Einlauf verpasst, weil ich nix gesagt habe, doch er sagt nur: »Ich meine das ernst, Junge, es tut mir leid.«

»Ach ja?«, sage ich grantig.

Nicht nur, dass ich diesem Sir Malcom nicht mal einen einzigen Satz – oder auch nur einen verfluchten Blick! - wert war, nein, jetzt entschuldigt sich Jeff auch noch dafür, dass ich auf ihn los bin! Haben die beiden vielleicht schon gespannt, dass ich nicht ganz richtig im Kopf bin?

»Weil es unter deiner Würde ist, mit einem wie mir zu raufen?«, schiebe ich genervt hinterher.

»Nein. Ich hätte dir einfach erklären sollen, dass Sir Malcom derzeit keine neuen Schüler annimmt. Entschuldige, wenn ich da einen wunden Punkt bei dir getroffen habe.«

Ich schlucke. Der aufgeblasene Kerl meint das doch nicht ernst, kein Grund also, meine Meinung über ihn zu ändern. Oder? Immer noch schaffe ich es nicht, mich ebenfalls zu entschuldigen, obwohl das echt angesagt wäre.

»Keine Schüler?«, frage ich stattdessen. »Und was ist mit dir?«

»Ich bin sein Knappe«, sagt Jeff stolz. »Das ist etwas anderes.«

»Das ist ein Diener, oder?«, frage ich verblüfft. Diener sollten nicht so anmaßend auftreten!

»So was Ähnliches.« Er grinst frech. »Sir Malcolm nimmt das alles hier sehr ernst.«

Aha?

»Aber du findest bestimmt eine andere Schule in München.« Er nickt mir zu. »Ich sollte zusehen, dass ich meinen Arsch ins Zelt schwinge. War wirklich nett, dich kennenzulernen.«

»Du hast sie doch nicht mehr alle!«

»Schon möglich. Das bringt der Job hier so mit sich.«

Er zwinkert mir zu, dann verschwindet auch er hinter der Plane.

Wieder bin ich wütend, aber diesmal fühlt es sich anders an. Ich bin wütend auf mich. Weil ich so feige war und Jeff die Sache nun allein ausbaden muss.

Normalerweise fällt es mir total leicht, mein schlechtes Benehmen dem Umstand in die Schuhe zu schieben, dass ich nicht ganz sauber ticke. Aber heute fühle ich mich echt beschissen deswegen.

»Du siehst nicht so aus, als hättest du hier etwas zu suchen«, tönt es hinter mir.

Was ist denn jetzt? Täglich grüßt das Murmeltier, oder was? Ich fahre herum. Doch diesmal ist es tatsächlich die Security.

»Abmarsch, du Bengel!«, sagt der grobschlächtige Mann und packt mich am Arm.

Na super! Es kann also echt immer noch ein bisschen schlimmer kommen.

 

Trotzdem bin ich auch am nächsten Tag fest entschlossen, das zu lernen, also das mit dem Schwertkampf. Auf den Plakaten, die immer noch überall rumhängen und auf den Mittelaltermarkt hinweisen, stehen auch die Namen der Teilnehmer, und so ist es ein Leichtes, Sir Malcolms Schwertkampfschule ausfindig zu machen.

Anstatt meinem Dad damit auf den Wecker zu gehen, dass er mir einen Lehrer besorgen und ein Schwert kaufen soll, latsche ich nun jeden Tag nach der Schule zu der Adresse im Stadtteil Au, zu einem uralten dreistöckigen Haus. Mit seinem grauen Putz, den dunklen Fensterläden und dem bogenartigen Eingang passt es perfekt zu einer Schwertkampfschule.

Am ersten Tag wage ich mich bis zu dem Schaukasten an der Wand direkt neben dem Eingang vor, in dem einige Zeitungsartikel hängen. Der Besitzer der Schule scheint eine große Nummer bei den mittelalterlichen Schwertkämpfen zu sein. Außerdem trägt er den Titel »Sir« zu Recht. Die Queen selbst hat ihn zum »Knight Bachelor« ernannt wegen seiner Verdienste um den Erhalt schottischer Traditionen, was auch immer das heißen mag. Klingt jedenfalls ganz schön cool.

Tagelang beziehe ich nun auf der gegenüberliegenden Straßenseite Stellung und hoffe, dass Jeff aufkreuzt. Ich will die Entschuldigung hinter mich bringen. Vielleicht empfiehlt er mir dann auch einen Lehrer. Den Türklopfer in Form eines Löwenmauls zu betätigen und nach Jeff zu fragen, traue ich mich nicht. Was, wenn Sir Malcolm aufmacht? Den möchte ich lieber nicht wiedersehen. Stattdessen lungere ich jeden Tag auf dem Bürgersteig gegenüber herum und hoffe, dass sich mein Problem von selbst löst.

»Hartnäckig bist du ja, das muss man dir lassen.«

Ich zucke zusammen, als Jeff unvermittelt neben mir steht, als wäre er soeben wie ein Pilz aus dem Boden geschossen. Er trägt wieder so komische Klamotten und mit seinen schulterlangen Haaren und dem Medaillon um den Hals sieht er ein bisschen aus wie ein Hippie.

»Äh …«, mache ich.

»Du willst also immer noch Unterricht nehmen?«, fragt Jeff interessiert.

»Deswegen bin ich nicht hier«, sage ich verlegen und scharre mit den Füßen. Verdammt, was wollte ich noch mal sagen?

»Ich kann diese Wut nicht steuern«, platze ich heraus. »Es ist, als wäre ich ferngesteuert.«

»Ich weiß«, sagt Jeff. »Deswegen ist die Rauferei auch meine Schuld. Ich hätte sehen müssen, was los ist, und dich nicht auch noch foppen sollen.«

Ich glotze ihn an.

»Es gehört zu meiner Ausbildung, zu erkennen, in welcher Verfassung mein Gegenüber ist«, erklärt er, wobei er wieder diesen angeberischen Ton draufhat.

Ich schnaube durch die Nase, da fällt mir plötzlich auf, dass sich über Jeffs ganzen Unterarm ein scheußlicher blauer Fleck zieht, der sich bereits grüngelb verfärbt. Der war aber am Wochenende noch nicht da. »Er hat dich geschlagen«, sage ich entsetzt.

»Was?« Jeff folgt meinem Blick. »Ach so«, sagt er ein wenig verlegen und zieht seinen Ärmel über die Stelle. »Das Training ist ein bisschen härter ausgefallen in den letzten Tagen.«

Wobei es sich zweifellos um die angedrohten Konsequenzen handelt.

»Tut mir leid«, sage ich. Endlich.

Jeff grinst nur. »Mein Fehler«, wiederholt er stur.

Ich will nicht erneut mit ihm streiten, und weil mir sonst nichts dazu einfällt, erzähle ich Jeff, wie es angefangen hat mit den Wutanfällen. Ist ja nicht so, als hätte ich das noch nie erzählt – früher oder später bringen einen die Psychofuzzis immer zum Reden. Aber Jeff hat es verdient zu erfahren, was da für ein Freak vor ihm steht.

Es gibt eigentlich nur zwei Reaktionen auf meine Story: Entweder die Seelenklempner stürzen sich auf die Tatsache, dass ich mich nicht an das Gesicht meiner Mutter erinnern kann, obwohl ich weiß, dass es eine Zeit in meinem Leben gab, in der sie da war, oder sie hacken darauf rum, dass mein Dad schwul ist.

Jeff tut nichts dergleichen. Sieht mich nur an.

»Los, sag schon, dass ich total irre bin«, fauche ich.

»Das finde ich nicht«, sagt er ruhig. »Ich finde, du hast allen Grund, wütend zu sein.«

Wow! Das hat jetzt echt noch niemand gesagt. Allen geht es immer nur darum, mich irgendwie wieder hinzukriegen.

Jeff fährt sich durch die Haare und wirkt zum ersten Mal ein wenig unsicher. »Hör mal. Ich kann dir was über Schwertkampf beibringen. Ich kann dir zeigen, wie du diese Wut für dich nutzen kannst, anstatt von ihr beherrscht zu werden. Aber mit dem Problem, das du da mit dir rumschleppst, bin ich echt überfordert.«

Ich winke ab. »Das ist jeder. Du ahnst ja nicht, wen Dad schon alles angeschleppt hat: Psychologen, Psychotherapeuten, Hypnotiseure, Meditationsexperten, Wunderheiler … Der letzte Guru hat meinen ganzen Körper mit stinkenden Ölen eingerieben, um die schlechten Körpersäfte herauszuziehen. Der Geruch hing tagelang im Haus. Danach hat Dad beschlossen, es gut sein zu lassen. Geholfen hat eh alles nix. Mein Gehirn sieht aus wie eine beschissene Geheimakte, in der große Teile mit dicken schwarzen Balken übermalt wurden.« Ich grinse schief. »Sag mal, was meinst du denn damit, dass du mir was über Schwertkampf beibringen kannst?«

»Na, deswegen hängst du doch seit Tagen hier rum, oder? Sir Malcolm hat mir erlaubt, dir Unterricht zu geben. Ich mein’, ich bin jetzt nicht so gut wie der große Meister«, fügt er frech hinzu, »aber um dich halbe Portion in die Schranken zu weisen, reicht es allemal.«

»Wie bitte?«, knurre ich. Schwertkampf hin oder her, ich lasse mich nicht beleidigen! Schon fühlt sich mein Magen an, als hätte ich ein Glas Säure ex gekippt.

Jeff kommt einen Schritt näher. So nah, dass unsere Nasen sich fast berühren.

Ich balle die Fäuste, doch er bleibt ganz cool.

»Jetzt atme einmal tief durch und sag deiner Wut, dass sie im Augenblick nicht hilfreich ist. Denn wenn du mir eine reinhaust, überlege ich mir das vielleicht noch mal mit dem Unterricht. Wenn du das wirklich durchziehen willst, musst du wohl oder übel damit klarkommen, dass dein Lehrer ein arroganter Sack ist.«

»Was?«, krächze ich.

Jeff grinst und vergrößert den Abstand zwischen uns wieder. »Geht doch. Ich könnte dir ja sagen, woran ich erkenne, dass du gleich ausflippst, aber da wäre ich ja schön blöd.«

Zu meiner Überraschung merke ich, dass der brennende Ball in meiner Körpermitte tatsächlich verschwunden ist. Da ich nicht recht weiß, wie ich damit umgehen soll, beschließe ich, so zu tun, als wäre gar nichts Ungewöhnliches passiert.

»Du wärst schön blöd, wenn du es dir noch mal überlegst. Einen so zahlungskräftigen Schüler findest du so schnell nicht wieder«, behaupte ich großspurig.

»Oh, Sir Malcolm erlaubt nicht, dass ich Geld annehme. Was nicht bedeutet, dass ich nichts dafür will, dass ich dich unterrichte.«

»Aha?«, erwidere ich misstrauisch.

»Pass auf, Junge, das wird kein Kindergeburtstag. Wir trainieren hart und ich erwarte, dass du tust, was ich sage. Dazu gehört auch, dass du mir bei meinen Aufgaben zur Hand gehen wirst, selbst wenn das bedeutet, dass du dir die Hände schmutzig machen musst. Überleg es dir in Ruhe. Ich verstehe das durchaus, wenn du dich überfordert fühlst. Wenn nicht, sei morgen um drei wieder hier.«

Damit wendet er sich ab, ohne auch nur zu fragen, ob mir das passt oder nicht. Ich sage meiner Wut, dass sie gerade nicht hilfreich ist, bevor ich ihm hinterherrufe: »Ich heiße Vico! Und ich werde da sein!«

 

Kapitel 1

 

 

3. Dezember 2005, Bundesstraße 959

 

»Sag mal, die Heizung dieser blöden Karre hat doch keinen Plan, was eigentlich ihr Job wäre, oder?«, mault Kai und fummelt zum gefühlt hundertsten Mal an den Reglern herum.

»Wenn du so weitermachst, hast du die Knöpfe bald in der Hand«, knurre ich. »Willst du Sir Malcolm wirklich erklären, wieso er seinen Transporter ramponiert zurückkriegt?«

Beleidigt lässt Kai sich in den Beifahrersitz zurückfallen und zieht eine Grimasse. »Mann, Jeff, es ist arschkalt hier drin!«

»Ich hab’s dir gesagt: Zieh die dicke Weste an.«

»Na ja … Linda meint, ich missachte die Würde der Tiere, wenn ich deren Fell anziehe … deshalb hat sie die Weste entsorgt.«

»Du meinst weggeworfen?«, frage ich perplex und steuere den Transporter vorsichtig durch eine enge Kurve.

Kai nickt zögernd.

»Mensch, Kai, ich find’s ja toll, wenn sich dein Mädel für die Rechte von Tieren einsetzt – aber sie kann doch nicht einfach deinen Kram in den Müll schmeißen! Ein Wunder, dass du noch eine Hose anhast.«

»Hat sie noch nicht gemerkt, dass die aus Leder ist«, murmelt Kai und schaut demonstrativ aus dem Fenster, als sähe er das winterliche Münchner Umland zum ersten Mal.

»Großartig! Also, eines sag’ ich dir: Sir Malcolm ist es vielleicht schnurz, ob du eine Weste anhast oder nicht. Aber er lässt sicher keinen Schwertkämpfer ohne Hose bei seinen Vorführungen auftreten. Mann, Mann, Mann, das Mädel tanzt dir fei ganz schön auf der Nase rum!«

Bei mir gäb’s solche Unverschämtheiten definitiv nicht. Ich bin echt fassungslos.

»Mach dir doch warme Gedanken«, meldet sich Dirk von der Rückbank aus zu Wort und deutet mit den Händen Lindas riesige Möpse vor seiner Brust an, was eine Lachsalve von Markus zur Folge hat, der neben ihm sitzt.

»Hey, sprich nicht so von meiner Freundin!«, knurrt Kai. Er dreht sich halb auf dem Beifahrersitz herum und deutet einen Faustschlag nach hinten an. Markus versucht, Kai am Kragen zu packen, rammt dabei jedoch seinen Ellenbogen in die Seite von Dirk, der prompt theatralisch jault.

»Aufhören!«, knurre ich und die Jungs stellen ihr Gerangel sofort ein und setzen sich wieder manierlich hin. Hat schon seine Vorteile, wenn man mit Typen unterwegs ist, die man seit Jahren unterrichtet. In meinem Training fuchtelt keiner mit einer scharfen Waffe herum, der nicht in der Lage ist, meinen Anweisungen punktgenau zu folgen – und das färbt erfreulicherweise aufs Privatleben ab.

»Halleluja!«, sagt Kai und deutet auf einen Wegweiser mit der Aufschrift Mittelalterlicher Weihnachtsmarkt, nach 500 m rechts, »wir werden ankommen, bevor wir zu Eis erstarrt sind!«

Als Darsteller dürfen wir den Wagen direkt hinter der Bühne parken. Ich schicke die Jungs schon mal los, um sich was Warmes zum Trinken zu besorgen. Alkohol vor der Vorführung verbiete ich, auch wenn ich davon ausgehe, dass meine Autorität merklich nachlässt, wenn sie erst außer Sicht sind. Ich zucke mit den Schultern. Sie werden sich schon nicht komplett besaufen – also nicht mein Problem.

Rasch kontrolliere ich unsere Ausrüstung, dann mache ich mich auf die Suche nach Sir Malcolm, dem Leiter unserer Schwertkampfschule und zudem meinem Chef. Er quatscht mit einem der Veranstalter, nimmt nur kurz zur Kenntnis, dass wir heil angekommen sind, dann bin ich auch schon wieder entlassen.

Also bummle ich ebenfalls über den Markt. Der Geruch nach heißem Met, frisch gebackenem Brot und Raclette hängt zwischen den zahlreichen Buden, die von mittelalterlichen Klamotten über Schmuck, Waffen und Musikinstrumente bis hin zu Tontöpfen alles anbieten, was ein Fan vergangener Zeiten so braucht. Ich entdecke einen Stand mit Fellwesten und tatsächlich gibt es auch eine vegane Version. 173 Euro soll das Teil kosten. Ja, spinnen die?

Schade, dass Vico heute von seinem Vater mit Beschlag belegt wird, der würde die Weste sofort kaufen. Mein bester Freund hat Geld ohne Ende und kein Problem damit, es für seine Kumpel auszugeben. Raushängen lässt er es auch nicht, als Erstes hätte er wahrscheinlich das Preisschild ins nächste Lagerfeuer geworfen und behauptet, er könne sich an den Preis nicht mehr genau erinnern.

Ich schlendere weiter und halte vor einer Bude an, die mit derartig vielen Sträußen aus getrockneten Kräutern dekoriert ist, dass man den Kopf der Verkäuferin gar nicht mehr sieht. Dass es eine Verkäuferin ist, ist allerdings eindeutig, denn ihr grünes Kleid mit dem großen Ausschnitt setzt ein sehr interessantes Dekolleté in Szene.

»Du solltest einen Schal tragen«, sage ich streng, was die Verkäuferin dazu bewegt, sich ein Stück nach unten zu beugen und zwischen den Kräutern hindurchzublinzeln.

Ich schlucke. Blondes, langes Haar umrahmt ein liebliches Gesicht. Ihre strahlend blauen Augen weiten sich, als ihr Blick auf mich fällt.

»Wir … Wir haben Kräutermischungen, die das Immunsystem stärken«, sagt sie mit einer leisen, melodischen Stimme, die genau zu diesem hübschen Engel passt.

Ich verschränke die Arme vor der Brust. Eine recht einschüchternde Pose, aber wenn sie schon so süß unter den Sträußen hindurch zu mir aufsieht, soll sie auch was zu sehen bekommen. Ich beglückwünsche mich selbst dazu, dass ich keine Freundin habe, die es wagen würde, den schwarzen Wollumhang mit Fellüberwurf zu entsorgen. Das Teil macht ganz schön was her.

»Mit meinem Immunsystem ist alles in Ordnung«, erkläre ich ihr.

Sie nickt. »Vielleicht … darf ich dir etwas anderes zeigen?«

Ihr respektvoller Ton und die Art, wie sie noch immer zu mir hochschauen muss, heizen mir mehr ein, als ein Becher mit heißem Met es je könnte.

»Möglich, dass ich etwas sehen möchte«, meine ich, würdige das Angebot des Standes jedoch mit keinem Blick, sondern sehe unverwandt nur sie an.

Ihre blassen Wangen röten sich ganz entzückend, aber unangenehm scheint ihr die Musterung nicht zu sein.

»Wir haben auch Kräutercremes«, plappert sie los. »Sicher hast du raue Hände, oder? Ich meine … ich wollte nicht andeuten … aber du bist doch einer der Schwertkämpfer, ich habe das Plakat gesehen, also … da wäre eine Creme … Das wäre bestimmt …«

Ihre Aufregung ist so süß, und dass sie mich erkennt, lässt mich gleich noch mal ein Stück wachsen. Dabei dominiert natürlich Sir Malcolm das Bild, das unsere Tour über die Weihnachtsmärkte ankündigt. Er steht in der Mitte und stützt sich auf sein Schwert, flankiert von Vico und mir, die mit verschränkten Armen schräg hinter ihm stehen. Bleibt nur zu hoffen, dass dieser Engel hier sich wirklich in den blonden Hünen verguckt hat und nicht etwa in den schicken Italiener auf der anderen Seite. In dem Fall müsste ich meinem besten Freund leider sofort den Hals umdrehen, sobald ich wieder in München bin.

»Ich trage Handschuhe im Kampf und will sie ungern mit einer Creme verschmieren«, sage ich bestimmt.

»Oh, natürlich! Sie zieht ganz schnell ein! Hm … willst du es ausprobieren?«

Ich nicke und sie bückt sich und holt einen kleinen Tiegel hervor. Mein Blick heftet sich auf ihr Dekolleté, das mir in dieser Position noch tiefere Einblicke gewährt. Fuck! Mein Mund wird ganz trocken und meine Lederhose spannt plötzlich unangenehm. So kurz vor einem Kampf sollte ich mich wirklich nicht derartig ablenken lassen. Selbstbeherrschung ist alles und normalerweise kein Problem mehr für mich, aber jetzt …

Die Verkäuferin erhebt sich wieder, doch statt mir den Tiegel zu reichen, womit ich eigentlich gerechnet hätte – eine gute Gelegenheit, um sie wie zufällig zu berühren –, öffnet sie eine Tür in der Seitenwand der Bude. »Komm«, sagt sie.

Ich umrunde mehrere Büschel getrockneten Lavendels und stehe ihr nun direkt gegenüber. Sie ist einen Kopf kleiner als ich, was für eine Frau recht groß ist, dennoch wirkt alles an ihr fein und zierlich. Ich fand sie zuvor schon schön, aber das Gesamtbild ist mehr als sehenswert. Doch vor allem liebe ich die Art, wie sie mich nun mit bebenden Lippen ansieht.

»Darf ich …?«

»Nur zu«, sage ich und beobachte fasziniert, wie ihre schlanken Hände die Dose öffnen und sie ihre Finger anmutig in die Creme tunkt.

Ihre Lider hält sie nun sittsam gesenkt. Als sie eine meiner Hände nimmt und zärtlich beginnt, die Creme einzumassieren, fühle ich mich, als würde mein Herz einen Moment aussetzen.

»Wie heißt du?«, raune ich leise, um sie nicht zu unterbrechen.

»Sheryl«, sagt sie, ziemlich atemlos.

»Sheryl«, flüstere ich. »Und wo kommst du her, Sheryl? Direkt aus dem Reich der Feen?«

Eigentlich bin ich nicht so der Süßholzraspler, aber die Art, wie sie ehrfürchtig meine Hände eincremt, bringt mich ziemlich aus dem Takt.

»Ich … also meine Großmutter … sie hat einen Laden, Tee und Kräuter in München, da wohne ich jetzt … bei Oma … seit sechs Wochen … Eigentlich komme ich aus einem kleinen Ort bei Kempten … nicht aus München.«

Die Creme zieht echt rasch ein, womit sie leider keinen Grund mehr hat, mich zu berühren. Stattdessen streicht sie bewundernd über die Intarsien meiner ledernen Armschienen.

»Oh, Entschuldigung!«

Als sie merkt, was sie da tut, versteckt sie ihre Arme rasch hinter dem Rücken und zwinkert mich verlegen an. Klar, ich hätte ihre zarten Finger gerne überall auf meinem Körper. Aber heute scheint mein Glückstag zu sein: Sie weiß, dass sie meine Erlaubnis dafür braucht. Dieses wundervolle Wesen steht aber nicht nur auf mich – ich fress’ auch einen Besen, wenn sie nicht devot ist. Ich sollte mich verabschieden, denn wenn meine Gedanken in diese Richtung weiterwandern, marschiere ich hier mit einem gewaltigen Ständer davon und dann wird es kein Spaß, vor dem Kampf den Tiefschutz anzulegen.

Trotzdem will ich es jetzt genau wissen.

»Ich sag’ dir was, Sheryl: Wenn ich meinen Kampf nachher gewinne, komme ich vorbei und kaufe dir einen Tiegel deiner Creme ab, was meinst du?«, fange ich unverfänglich an, auch wenn die ganze Kohle, die ich eingesteckt habe, für so ein Döschen draufgehen würde.

Sie strahlt.

»Ich werde mir die Vorführung ansehen. Lilith löst mich gleich ab.«

»Wenn ich zurückkomme, wirst du einen Schal tragen«, sage ich knapp, mit einem leichten Grollen in der Stimme.

»Oh, wir haben einen Heizlüfter hier drin …«

Ich kann auch noch eine Oktave tiefer.

»Darum geht es nicht«, knurre ich.

Keiner soll sie ansehen, so wie ich sie gerade ansehe. Ihre Lider flackern und ihre Wangen sind inzwischen knallrot. Ihr Atem hat sich beschleunigt und ihre Brust hebt und senkt sich in schneller Folge – ein Anblick für die Götter! Ich beschließe spontan, nie genug davon zu bekommen, sie so zu sehen.

»Natürlich …« Sie zögert.

»Du darfst mich Jeff nennen«, sage ich, wieder ganz freundlich. »Bis später, Sheryl!«

 

Ich bin heilfroh, dass Sir Malcolm heute Dirk für seine Demonstration ausgewählt hat. Niemand macht eine gute Figur, wenn er dem Schotten mit seinem uralten Schwert gegenübersteht. Ich werde später mit Kai einen Kampf mit dem Anderthalbhänder austragen. Leider sind in diesem Fall Fechtmasken vorgeschrieben, die Teile machen einen nicht gerade attraktiver. Aber wenigstens sieht man im Winter, wenn wir eh die dicken Klamotten anhaben, nichts von der restlichen Schutzausrüstung. Logisch, dass ich gut aussehen will, wenn Sheryl im Publikum steht.

Bei unseren Kämpfen ist nichts abgesprochen. Trotzdem geben wir uns natürlich alle Mühe, den Zuschauern eine tolle Show zu bieten, zum Beispiel indem wir eine kleine Story um den Kampf stricken. Heute geht es darum, dass Kai angeblich beim Kartenspiel betrogen hat. Wir beginnen damit, ziemlich angeberisch herumzustapfen, ziehen dabei schon mal wie nebenbei unsere Schwerter und werfen uns allerlei kreative Schimpfwörter an den Kopf. »Perückenschaf« und »Zipfelschwinger« scheinen heute die Favoriten des Publikums zu sein. Lautes Gelächter begleitet uns und erste Anfeuerungsrufe werden laut.

Seit Linda bei Kai eingezogen ist, lässt er das Training ziemlich schleifen, und ich hatte sowieso vor, die Gelegenheit zu nutzen, um ihm deswegen eine Lektion zu erteilen. Eine öffentliche Demütigung ist in der Regel recht lehrreich. Und nun, da ich weiß, dass Sheryl zusehen wird, kann ich dem Knaben erst recht keinen einzigen Treffer erlauben.

Ich lasse ihn kommen. Beschränke mich darauf, seine Angriffe mit beleidigender Lässigkeit zu parieren. Ich kann seine wachsende Frustration ebenso erkennen wie seine zunehmende Atemlosigkeit – die Folgen von zu vielen Kuschelabenden mit Linda statt intensiven Trainings mit mir. Tja, meine Schuld ist das nicht!

Da dem Publikum nun klar sein dürfte, dass Kai zumindest theoretisch in der Lage wäre, sein Schwert zu führen, wenn er denn regelmäßig auf dem Kampfboden aufkreuzen würde, kann ich ja anfangen. Schritt, Schlag, Schritt, Stich. Ich jage Kai einmal rückwärts über die Bühne, mache es ihm vorgeblich leicht, indem ich eine bekannte Kombination aus dem Training einsetze. In Wahrheit geht es mir hauptsächlich darum, ihm überhaupt eine Chance zur Parade zu lassen, schließlich wollen die Zuschauer ein bisschen was sehen.

Dann kommt noch ein wenig Show dazu. Ich führe mein Schwert jetzt weit ausladend, nichts, was ich bei einem ernst zu nehmenden Gegner täte, muss ich meine Deckung dabei doch viel zu weit aufmachen. Aber Kais Arme zittern schon, er ist gar nicht in der Lage, diesen winzigen Vorteil zu nutzen. Ich schlage nicht mit voller Kraft zu, um die Sache noch ein wenig hinauszuzögern. Doch schließlich mache ich dem Schauspiel ein Ende, durchbreche seine Deckung, Metall trifft auf Metall, ich tauche nach unten weg, treffe seine Waffe erneut direkt unterhalb des Griffs. Unter der Wucht des Angriffs lässt Kai seine Waffe los, ich mache einen Schritt zurück, mein Schwert schneidet durch die Luft, bis die Spitze kurz vor seinem Hals zum Stehen kommt. Vereinzelte Schreie aus dem Publikum, aber außer Kais Stolz wurde niemand verletzt.

»Nun?«, knurre ich und bewege den Stahl einen Millimeter weiter auf seinen Hals zu.

Er stöhnt frustriert, kennt mich aber zu gut. Er weiß, dass ich nicht nachgeben werde. Steif beugt er ein Knie, senkt den Kopf und gesteht, ganz wie unsere Story es vorsieht, mit gezinkten Karten gespielt zu haben.

Jubel von den Zuschauern. Ich nehme meine Waffe von seinem Hals, reiche Kai die Hand, ziehe ihn hoch und wir verbeugen uns artig vor den Leuten. Dann mache ich, dass ich von der Bühne herunterkomme. Der Kampf war der letzte Teil unserer Vorführung und die Jungs werden bald nach Hause wollen – vor allem Kai, um sich bei Linda auszuheulen. Und ich will ja noch schnell bei Sheryl vorbei. Ich habe da etwas, das ich ihr geben möchte.

 

Sheryl wartet vor der Bude auf mich, eine Cremedose in der Hand. Sie trägt einen dicken, schwarzen Schal, der weder zu ihrem hübschen Kleid noch überhaupt zu einem mittelalterlichen Outfit passt, aber hervorragend geeignet ist, andere Männer davon abzuhalten, auf ihre Brüste zu starren. Sie hat mir also gehorcht. Braves Mädchen!

»Ich muss gleich zurück … Der Kampf war so toll … Bei uns geht es nach einer Vorstellung immer richtig rund … Dein Gegner hat mir fast leidgetan … Aber jetzt muss ich Lilith helfen … Bitte, darf ich dir die Creme schenken? Dann … Dann hast du etwas, das dich an mich erinnert …«, redet sie ohne Punkt und Komma auf mich ein und hält mir die Dose hin. »Ich meine … Ich dachte …«

Ich fange ihre Hände ein, umschließe ihre Finger und die kleine Dose. Sofort ist sie still und schaut mich mit diesen großen Augen an.

»Ich brauche sicher nichts, um an dich erinnert zu werden, Sheryl, aber ich nehme dein Geschenk gern an. Danke!«, sage ich ruhiger, als ich mich fühle.

Denn jetzt ist der Moment gekommen, in dem ich mich entscheiden muss, ob ich ihr den Flyer gebe oder nicht. Natürlich ist es allein ihre Entscheidung, ob sie sich darauf einlässt, aber ich werde ihr ein Stück von jenem Jeff zeigen, der sonst nur im Verborgenen existiert, und das einer Frau gegenüber, die ich kaum länger als fünf Minuten kenne. Doch ihre bebenden Lippen und die großen Augen, mit denen sie mich sehnsüchtig ansieht, machen mir die Entscheidung leicht. Sheryl ist die pure Versuchung auf zwei Beinen, und wenn ich nicht komplett danebenliege, wird sie schon bald mir gehören.

Ich stecke die Creme weg und hole den Flyer heraus, der seit Tagen im Handschuhfach des Transporters herumfliegt, weil ich immer noch auf eine Eingebung hoffe, wie ich das Geld für den Workshop zusammenkratzen könnte.

»Ich nehme nächsten Sonntag an einem Seminar teil. Man kann jemanden zum Üben mitbringen und ich würde mich freuen, wenn du mich begleitest.« Ihre Miene spiegelt ihre Verwirrung wider, doch sie wird ja eine ganze Woche Zeit haben, darüber nachzudenken. »Überleg es dir in Ruhe. Ich bin dir nicht böse, wenn du nicht willst, man kann auch ohne Partner mitmachen. Aber wenn du magst, treffen wir uns eine Viertelstunde vor Beginn an dieser Adresse.«

Ich tippe auf den Flyer. Natürlich wäre es schöner, wenn wir Nummern austauschen und bis dahin ab und an miteinander telefonieren könnten, aber ich will sie nicht bedrängen. Wenn wir uns das nächste Mal sehen, soll sie freiwillig zu mir kommen. In dem Wissen, auf was sie sich einlässt.

Sie nimmt den Flyer, betrachtet stirnrunzelnd die Vorderseite, die nichts verrät, da sie lediglich Mr. Sungs Japanischen Garten zeigt. Noch einmal ergreife ich ihre Hand, führe sie zu meinem Mund und hauche einen Kuss darauf.

»Hoffentlich bis bald, schöne Elfe!«, murmle ich, auch wenn ich dabei innerlich über mich selbst den Kopf schütteln muss. Aber eine kleine Charmeoffensive wird ja wohl erlaubt sein! »Und jetzt lauf und hilf deiner Kollegin.«

Sie nickt und huscht davon. So gehorsam! Ich kann und mag mir gar nicht vorstellen, dass ich mich getäuscht habe. Aber ich will sie – so sehr, dass ich sogar in Kauf nehme, Vico um das Geld für das Shibari-Seminar bitten zu müssen. Sheryl ist mir das allemal wert.

Kapitel 2

 

 

3. Dezember 2005, München-Nymphenburg

 

Kai ist stinkig, weil die Heizung im Transporter am Arsch ist. Ich hab ihm beim Kampf ordentlich eingeheizt, aber das war ihm auch wieder nicht recht!

Ich grinse, als ich Jeffs SMS auf meine Frage, wie es auf dem Weihnachtsmarkt gelaufen ist, lese. Wahrscheinlich hat Kai gedacht, er hätte bei Jeff was gut, weil er für mich eingesprungen ist. Aber Jeff sieht das genauso wie Sir Malcolm: Es ist eine verdammte Ehre, überhaupt unter dem Banner unserer Schule auf der Bühne zu stehen. Da hat man sich gefälligst die Wochen davor den Arsch aufzureißen, damit man eine gute Figur macht. Sollte Kai eigentlich wissen.

Was hat er erwartet? Eine Belobigung, weil er ständig das Training schwänzt?, erreicht mich prompt die nächste Nachricht. Aber wie wars bei dir? Sag deinem Dad herzlichen Glückwunsch zu der Auszeichnung!

Ich bedanke mich und verspreche, es auszurichten. Jeff ist recht gesprächig, normalerweise tippt er nicht so viel. Er behauptet immer, seine Finger seien zu groß für die Tasten des Handys. Also war der Auftritt wohl wirklich gut. Je grantiger Jeff ist, desto wortkarger wird er auch. Echt schade, dass ich nicht dabei war. Aber Jeff ist der Letzte, der nicht versteht, dass ich auch meinem Vater gegenüber Verpflichtungen habe. Wir verabreden uns für den nächsten Nachmittag zum Training und ich stecke das Handy weg.

Der einzige Vorteil, den ich jetzt habe – mal abgesehen davon, dass mir die Heimfahrt in einem Transporter erspart bleibt, in dem wohl nicht nur die Temperaturen eisig sind –: Nachdem ich den ganzen Abend den braven Sohn gemimt habe, bleibt immer noch genug Zeit, um mit meinen Kommilitonen durch die Kneipen zu ziehen. Ich werfe das Jackett meines dunklen Anzugs auf die Rückbank von Dads Auto und die Krawatte gleich hinterher. Wenn ich heute noch ein Mädel aufreißen will, sollte ich nicht aussehen wie ein Bankangestellter im dritten Ausbildungsjahr.

 

Ein Konzept, das mal wieder aufgegangen ist. Drei Stunden später stehe ich in Freimann in einem chaotischen WG-Zimmer und ignoriere geflissentlich das Poster von DJ Ötzi über dem Bett. Stattdessen konzentriere ich mich lieber darauf, die Bewohnerin dieses Zimmers aus einer ziemlich interessanten Korsage herauszuschälen, die verdammt eng im Rücken geschnürt wurde. Es wundert mich wirklich, dass die Trägerin überhaupt noch Luft bekommt.

»Du musst ganz vorsichtig die Schnüre durch die Ösen ziehen, damit sich nichts verheddert!«

»Keine Sorge, Chayenne, dein Korsett ist bei mir in guten Händen«, raune ich und hauche einen Kuss auf ihre nackte Schulter.

Da wir uns erst zwei Stunden kennen, will ich ungern thematisieren, dass sie kaum auf jemanden treffen wird, der mehr Erfahrung im Anlegen – und Ausziehen – von diffiziler Damenwäsche hat. Das könnte eventuell zu Missverständnissen führen, obwohl meine Fertigkeiten einzig und allein daher rühren, dass im Hause D’Vergy das Ensemble einer Travestieshow ein- und ausgeht. Was bedeutet, dass für die Anprobe der hauchzarten Kostüme häufig eine helfende Hand benötigt wird. Allerdings bin ich nicht mit Chayenne mitgekommen, um ihr meine häuslichen Verhältnisse zu erläutern. Ich küsse ihren Hals und lasse meine Finger über ihre Wirbelsäule hinunterwandern, ehe ich mich wieder der Schnürung zuwende.

»Was machst du denn da so lange? Wenn du einen Knoten reingemacht hast, musst du ihn ganz vorsichtig lösen. Versuch bloß nicht, ihn mit Gewalt irgendwo durchzuziehen!«

»Ich lasse mir nur ein wenig Zeit.«