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Alles beginnt mit einer zufälligen Begegnung - und nur einen Tag später ist nichts mehr, wie es war. Flynn liebt die Musik - fast ebenso sehr wie seinen Lebensgefährten Arne. Der unterstützt Flynn auf jede erdenkliche Weise dabei, seinen großen Traum zu verwirklichen und Pianist zu werden. Doch unter der Oberfläche brodelt es, denn Arne hat sehr genaue Vorstellungen davon, wie ihr gemeinsames Leben auszusehen hat, und setzt dies bisweilen mit unschönen Methoden durch. Auch finanziell begegnen Arne und Flynn einander nicht auf Augenhöhe, und als sein Partner ihm einen völlig überteuerten Wellnesstag in einem Luxushotel schenkt, ist Flynn alles andere als begeistert. Doch auf dem Weg dorthin trifft er auf den Obdachlosen Pit und seinen Hund Seco. Obwohl sie auf den ersten Blick wenig gemeinsam haben, verbringen die beiden jungen Männer einen unvergesslichen Tag zusammen und Flynn beginnt, seine Beziehung zu Arne zu hinterfragen. Doch was, wenn Arne von Flynns Abenteuer erfährt? Wird Flynn dann noch den Mut finden, seinen eigenen Weg zu gehen? Und werden Pit und Seco ihn dabei begleiten? »Nur ein Tag« ist eine vorweihnachtliche Geschichte über Freundschaft, Selbstfindung und den Mut, loszulassen - voller Sehnsucht, Zärtlichkeit und Hoffnung.
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Eva Bolsani
Nur ein Tag
Gayromance
Contentnotes: Häusliche Gewalt, toxische Beziehung
Bei allen Figuren handelt es sich um erfundene Charaktere. Sollte es Ähnlichkeiten zu lebenden oder verstorbenen Personen geben, wären sie rein zufällig. Sofern Namen real existierender Personen und Orte verwendet werden, geschieht dies in einem rein fiktiven Zusammenhang.
Covergestaltung: Eva Bolsani unter Verwendung von Motiven vonshutterstock.com: © tavizta, © JosepPerianes, © alla_line
Kapitelzierden: Eva Bolsani unter Verwendung von Motiven von
shutterstock.com: © pingebat, © Lukimodo
© 2023 Eva Bolsani
Nur ein Tag
München, Dezember 2023
In dem Moment, in dem Flynns Finger die Tasten berührten, schien die Zeit stillzustehen. Sanft und scheinbar schwerelos entspann sich eine Melodie, zunächst zart wie der Flug eines Schmetterlings, ehe sie nach und nach an Kraft gewann und das ganze Musikzimmer füllte. Flynns Finger huschten über die Tasten des schwarz glänzenden Flügels und ein kleines Lächeln zupfte an seinen Mundwinkeln, während er sich immer mehr in der Musik verlor.
Schriiiing!
Plötzlich durchbrach ein schiefer, schriller Klang die Harmonie und die fröhliche Leichtigkeit des Liedes fand ein jähes Ende. Flynn zuckte zusammen und seine Hände erstarrten. Angespannt lauschte er dem falschen Ton nach. Das konnte doch nicht wahr sein! Er war so, so kurz davor gewesen, das perfekte Musikstück zu erschaffen.
Das perfekte Stück für Arne. Es sollte ein Weihnachtsgeschenk für seinen Lebensgefährten werden, doch obwohl sich Flynn seit Wochen damit abmühte, hatte er die perfekte Melodie immer noch nicht gefunden. Eine Melodie, die all das widerspiegeln sollte, was er für Arne empfand: seine Liebe, seine Bewunderung, seine Dankbarkeit. Keine der bisherigen Versionen fühlte sich richtig an. So schlecht, wie es gerade lief, war Arne mit einem Paar Socken oder einer Krawatte wahrscheinlich besser dran!
Flynn blinzelte heftig. Er würde jetzt nicht weinen! Stattdessen straffte er energisch die Schultern und versuchte, die Melodie erneut entstehen zu lassen. Diesmal mit einem wohlklingenden Finale. Doch nun, da er aus seiner Konzentration herausgerissen worden war, wollte ihm gar nichts mehr gelingen. Selbst den vielversprechenden Anfang von vorhin bekam er nicht mehr richtig hin.
Er komponierte doch nicht zum ersten Mal! Niedergeschlagen strich Flynn sich eine seiner widerspenstigen Locken aus der Stirn. Normalerweise floss die Musik wie von selbst aus seinen Fingern. Aber er versuchte es schon so viele Stunden lang, feilte an verschiedenen Melodien, probierte diverse Takte aus und variierte die Harmonien – ohne Ergebnis. Es waren nur noch zehn Tage bis Weihnachten und er hatte das Gefühl, dass er bis dahin nichts zustande bringen würde, das würdig war, es Arne zu schenken.
Gerade wollte Flynn erneut von vorn beginnen, als er dank der nur angelehnten Tür zum Musikzimmer plötzlich Arnes Stimme hörte. Sofort sprang er auf. Auch wenn er gerne noch ein bisschen weitergemacht hätte, dass Arne früher heimkam als erwartet, würde ihm ganz gewiss nicht leidtun! Flynn riss die Tür zum Musikzimmer vollends auf und blickte an das andere Ende des langen Flurs, wo Hannelore gerade dabei war, Arne seinen Mantel abzunehmen und ihn sorgfältig aufzuhängen.
»Kann ich sonst noch etwas für Sie tun, Herr Bender?«, fragte sie dabei ein wenig atemlos.
Es wunderte Flynn jeden Abend aufs Neue, dass die Haushälterin mit dem strengen Dutt und der stets blütenweißen Schürze bei dieser Frage nicht auch noch einen Knicks machte. Schließlich behandelte sie ihren Arbeitgeber ansonsten in jeder Hinsicht so, als handle es sich bei ihm um King Charles höchstpersönlich. Obwohl Flynn zugeben musste, dass sein Lebensgefährte ihn manchmal auch ein wenig einschüchterte. Als wäre dieser tatsächlich der englische König.
»Nein danke, Hannelore«, sagte Arne in diesem Moment allerdings überaus freundlich. Dabei schenkte er seiner Angestellten jedoch keinerlei Beachtung, sondern blickte unverwandt zu Flynn. »Ich habe alles, was ich brauche.«
Flynns Herz machte einen erfreuten Satz, während die Haushälterin recht spröde entgegnete: »Dann wünsche ich den Herrschaften einen angenehmen Abend.«
Mit einiger Mühe unterdrückte Flynn ein Kichern. Doch er riss sich zusammen, denn Arne mochte es nicht, wenn Flynn sich über Hannelore lustig machte. Natürlich hatte er recht damit, das gehörte sich nicht. Die Haushälterin stammte nun mal aus einer anderen Generation, in der gleichgeschlechtliche Beziehungen noch ein No-Go gewesen waren. Außerdem war Hannelore auch dann freundlich zu ihm, wenn Arne nicht hinsah, und darüber war Flynn wirklich froh.
Das Kichern wäre Flynn allerdings so oder so recht schnell vergangen, denn sobald Hannelore außer Sicht war, wurde Arnes Blick intensiver, es schien, als würde er Flynn förmlich mit seinen Augen verschlingen. In solchen Momenten kam Flynn sich stets wie der begehrenswerteste Mensch der Welt vor. Dann war es ihm gleichgültig, dass er keine durchtrainierte Sportlerfigur besaß, im Gegenteil, mit seiner schlaksigen Statur sah er immer noch ein wenig so aus, als müsse er erst in den Körper eines erwachsenen Mannes hineinwachsen. Selbst Flynns widerspenstige rotblonde Locken und die Sommersprossen spielten keine Rolle, wenn Arne wie jetzt seine Arme ausbreitete und ihn so wortlos dazu aufforderte, zu ihm zu kommen und sich eine Umarmung und einen Begrüßungskuss abzuholen.
In Flynns Bauch kribbelte es wohlig, als er zu seinem Lebensgefährten eilte. »Du bist früh zurück …«, begann er, doch weiter kam er nicht, da schlangen sich schon zwei starke Arme um ihn und sein Mund wurde mit einem innigen Kuss verschlossen. Der luxuriöse Duft von Arnes Aftershave hüllte Flynn ein. So musste es in einem italienischen Zitrusgarten riechen, frisch und erdig zugleich. Flynn seufzte in den Kuss hinein, und seine Lippen öffneten sich einladend – doch leider schien sein Partner nicht mehr im Sinn zu haben als eine liebevolle Begrüßung. Viel zu schnell löste Arne sich wieder von ihm, legte den Kopf ein wenig zurück und sah Flynn lächelnd an. »Ich habe einen Bärenhunger. Würdest du den Tisch decken und holen, was Hannelore uns Leckeres gekocht hat?«, fragte er. »Dann kann ich mich so lange umziehen.«
»Natürlich!« Rasch stahl Flynn sich noch einen kleinen Kuss. »Obwohl du richtig heiß aussiehst mit Anzug und Krawatte.«
»Schwindler«, brummte Arne gutmütig, zog sich jedoch beschwingt pfeifend in sein Ankleidezimmer zurück. In Wahrheit wusste er sicher ganz genau, wie sehr Flynn ihn für seine elegante Erscheinung bewunderte. Auch nach einem langen Arbeitstag im Büro stimmte von dem perfekt in Form geföhntem dunklen Haar bis hin zu den auf Hochglanz polierten Schuhen jedes Detail.
Flynn eilte in die Küche, doch das Lächeln in seinem Gesicht blieb. Er freute sich über Arnes gute Laune. Sein Lebensgefährte hatte einen sehr anstrengenden Job als Finanzmanager, und mitunter kam Arne reichlich gestresst und genervt von der Arbeit nach Hause. Zwar verstand Flynn das durchaus, und er versuchte, in solchen Situationen für seinen Partner da zu sein, aber der fröhliche Arne war ihm trotzdem lieber.
Eifrig trug Flynn die Teller ins Esszimmer, auch wenn »lecker« bei ihm nicht unbedingt etwas damit zu tun hatte, was die Haushälterin für sie gekocht hatte. Grünkernsalat mit Granatapfelkernen, gegrilltes Gemüse, Vollkornbrot mit Avocadoaufstrich und einige dünne Scheiben gedünstete Putenbrust – Arne stand auf Vollwerternährung.
Natürlich wollte Flynn auch in einigen Jahren noch gesund und schlank sein, genauso wie Arne. Aber hin und wieder eine Pizza oder ein Burger mit Pommes konnten doch so schlimm nicht sein, oder? Aber ganz sicher würde er ihnen den Abend nicht verderben, indem er nun am Essen herummäkelte.
»Ah, sehr schön«, sagte Arne, als er kurz nach Flynn das Esszimmer betrat. »Danke, Liebling.«
Sie nahmen beide an dem riesigen Eichenholztisch Platz, und Arne erkundigte sich aufgeräumt nach Flynns Klavierspiel. Da Flynn Arne schlecht von seinen erfolglosen Bemühungen erzählen konnte, ein Menuett für ihn zu komponieren, berichtete er stattdessen von seinem Unterricht.
»Wir haben heute mit ›Winter Wind‹ von Chopin begonnen«, sagte er. »Es ist ziemlich schwer. Herr Thalberg war nicht gerade begeistert von meinen ersten Versuchen.«
Arne streckte seine Hand aus und drückte tröstend Flynns Arm. »Du hast Talent, aber du musst eben noch sehr viel üben. Aber ich bin für dich da. Ich unterstütze deinen Traum, Pianist zu werden, so gut ich eben kann.«
»Ich weiß. Ohne dich hätte ich keine Chance. Das kann ich nie wieder gutmachen«, sagte Flynn, und spürte, wie das schlechte Gewissen ihn mal wieder zwickte. Arne gab ihm so viel. Ohne ihn würde Flynn immer noch als Verkäufer in einem exklusiven Herrenmodegeschäft arbeiten und könnte sich weder den täglichen Klavierunterricht leisten, noch hätte er die Zeit, mehrere Stunden am Tag zu spielen.
»Ich tue es gerne«, entgegnete Arne, wie schon so oft. »Wenngleich es mich freuen würde, wenn ich der Erste wäre, dem du eines Tages deine Interpretation von ›Winter Wind‹ vorspielst. Wer hat schon das Glück, zu Hause von einem professionellen Klavierspieler unterhalten zu werden?«
Arne legte den Kopf ein wenig schief und sah Flynn unverwandt an. Seine Augen schienen mit einem Mal zu leuchten. Flynn schluckte hart. So, wie Arne ihn gerade ansah, dachte er aber an eine andere Art von Unterhaltung. An die Art von Unterhaltung, die später im Bett stattfinden würde. Flynns Haut kribbelte, dort, wo Arnes Blick sanft darüber strich. O ja, da war er sofort dabei!
»Wie … war denn dein Tag?«, fragte er ein wenig atemlos und schob sich schnell den letzten Rest Grünkernsalat in den Mund. Es war wirklich ein wenig peinlich, wie intensiv er immer auf Arne reagierte, aber er liebte seinen Partner eben nicht nur von ganzem Herzen, Arne hatte ihm auch gezeigt, wie großartig Sex mit einem erfahrenen Liebhaber sein konnte, und nun konnte Flynn gar nicht genug davon bekommen.
Ein Lächeln umspielte Arnes Mund, als ahne er genau, in welchen Regionen sich Flynns Blut gerade sammelte. »Ich stehe kurz davor, Freiherr von Ahlenbrück als neuen Kunden zu gewinnen«, erzählte er und lenkte Flynn mit einer langweiligen Aufzählung der Vermögenswerte des potenziellen Kunden zum Glück ein wenig von der Hitze in seiner Körpermitte ab. Flynn verstand nur die Hälfte, aber es hörte sich definitiv so an, als sei es ein toller Erfolg, zukünftig der Vermögensverwalter des etwas kauzigen Milliardärs zu werden.
»Gratuliere! Du bist der Beste.«
»Noch ist nichts in trockenen Tüchern«, wiegelte Arne ab. »Aber immerhin hat von Ahlenbrück einem weiteren Treffen zugestimmt, diesmal sogar in einem privaten Rahmen! Ich habe ihn am Donnerstag vor Weihnachten zum Dinner bei uns eingeladen, und es würde mich sehr wundern, wenn er uns verlässt, ohne vorher den Vertrag zu unterzeichnen.«
»Aber … Donnerstag, das ist ja der 21. Dezember«, meinte Flynn zögernd, und ein ganz mulmiges Gefühl beschlich ihn. Er biss sich auf die Unterlippe, redete dann jedoch entschlossen weiter. »Da ist doch die Eröffnung von Dantes Wellnessoase, und ich trete doch dort auf … ich werde erst gegen sechs Uhr wieder hier sein können …« Immer dünner wurde seine Stimme, aber vielleicht wollte Arne ihn ja bei dem Treffen mit dem Kunden gar nicht dabeihaben?
Doch Arne wischte Flynns Worte mit einer knappen Handbewegung einfach beiseite. »Das wirst du natürlich absagen. Freiherr von Ahlenbrück freut sich schon darauf, meinen Lebensgefährten kennenzulernen, da wirst du nicht abgehetzt oder gar zu spät hier auftauchen.«
Flynn schluckte. »Aber … das ist doch mein erstes richtiges Engagement«, protestierte er. »Kannst du nicht … einen anderen Tag … vielleicht …?«
Arne kniff die Augen zusammen. »Ich kann froh sein, dass von Ahlenbrück in der Weihnachtszeit überhaupt noch einen Termin frei hatte. Du weißt genau, wie wichtig es in meiner Branche ist, eine persönliche Beziehung zu seinen Klienten aufzubauen! Vertrauen ist in unserem Geschäft das A und O«, dozierte Arne. »Und ein millionenschwerer Kunde ist ja wohl wichtiger als die Eröffnung eines drittklassigen Massagestudios. Ich bin wirklich sehr, sehr enttäuscht, dass du das nicht auch so siehst!«
Damit war die Angelegenheit für Arne offenbar geklärt. Flynn wusste, dass er besser einlenken sollte. Aber er hatte sich so auf den Auftritt gefreut. Als er die Anzeige in der Zeitung gesehen hatte, hatte er sich keine allzu großen Chancen ausgerechnet. Dennoch hatte er all seinen Mut zusammengenommen und dort angerufen. Tatsächlich war Flynn daraufhin nicht nur zum Vorspielen eingeladen worden, nein, die junge Geschäftsführerin engagierte ihn sofort für die Eröffnungsfeier, nachdem Flynn nur ein einziges Lied gespielt hatte! Das wollte er jetzt nicht einfach sausen lassen, für ein Abendessen mit einem Mann, der ihn doch sowieso kaum beachten würde.
»Ich könnte fragen, ob ich eine halbe Stunde früher Schluss machen kann, dann bin ich auf jeden Fall wieder pünktlich hier«, schlug er geradezu flehentlich vor. »Sie … bezahlen mich doch auch dafür.«
Arne lachte verächtlich. »Was sie dir da angeboten haben, ist keine Bezahlung. Das ist eine winzige Aufwandsentschädigung und ein Gutschein für eine Massage. Das ist ein Witz und kein richtiges Engagement. Ich kann nicht glauben, dass du mich dafür im Stich lassen willst.«
Flynn spürte, wie seine Wangen brannten. Weniger wegen Arnes abfälliger Bemerkung, sondern weil er sich fragte, wieso zum Teufel es denn nicht reichte, wenn er pünktlich zum Essen wieder hier war.
»Aber Hannelore wird doch bestimmt alles perfekt vorbereiten«, entgegnete er trotzig. »Da wäre ich doch eh nur im Weg!«
»Flynn«, sagte Arne warnend. »Dein Ton gefällt mir überhaupt nicht.«
Doch Flynn wollte, er konnte nicht einfach so nachgeben. »Mir ist der Auftritt aber wichtig. Was hat denn dieser von Ahlenbrück davon, wenn ich den ganzen Nachmittag hier herumsitze, wenn er doch eh erst abends kommt, hm?«
»Die Frage ist auch nicht, was mein Kunde davon hat, sondern was ich davon habe. Ich habe doch deutlich gesagt, dass ich dich an diesem wichtigen Tag hier an meiner Seite haben möchte. Das ist eine einfache, leicht zu erfüllende Bitte, oder etwa nicht? Ich würde das nicht verlangen, wenn du wirklich einen bedeutenden Auftritt hättest, aber wir wissen doch beide, dass diese Veranstaltung weit unter dem Niveau ist, das wir beide für deine Zukunft anstreben.«
»Aber … es wäre eine tolle Übung!«
»Übung bekommst du, indem du tust, was Herr Thalberg sagt«, bügelte Arne den Einwand ab. »Den ich bezahle, muss ich dich wirklich daran erinnern, Flynn?«
Jetzt glühte Flynns Gesicht förmlich. Diesmal nicht vor Wut, sondern vor Scham. Ja, Arne bezahlte seinen Unterricht. Es war auch Arnes Steinway-Flügel, auf dem er spielen durfte. In Arnes Musikzimmer.
»Ich scheue wirklich weder Kosten noch Mühen, um dich zu fördern«, sagte Arne.
Auch das stimmte. Flynn musste weder für die Klavierstunden noch für seinen Lebensunterhalt aufkommen. Er musste nicht mal kochen oder seine Wäsche selbst waschen, das machte Hannelore.
»Und alles, was ich dafür verlange, ist, dass mein Lebensgefährte bei offiziellen Anlässen hin und wieder an meiner Seite ist. Ist das wirklich schon zu viel verlangt?«
Flynn konnte Arne nicht länger ansehen. »Nein«, krächzte er und drehte den Kopf zu Seite, »natürlich nicht.«
»Ich bin wirklich froh, dass du das einsiehst«, sagte Arne. »Auch wenn du mich gerade sehr verletzt hast.«
»Das wollte ich nicht«, flüsterte Flynn erstickt.
Arne seufzte. »Dann lass uns einen Schlussstrich unter diese leidige Diskussion ziehen. Geh in mein Arbeitszimmer und bring mir das Lineal.«
Flynn keuchte. »Nein Arne. Bitte nicht!«
»Flynn. Wir sind uns doch einig, dass du dich gerade sehr schlecht benommen hast. Willst du dich wirklich weiter wie ein kleines Kind aufführen oder willst du dich wie ein Mann den Konsequenzen stellen?«
»Bitte, Arne. Ich sage den Auftritt ja ab …«
»Natürlich wirst du das«, entgegnete Arne grimmig. »Davon bin ich selbstverständlich ausgegangen. Das macht dein unreifes Verhalten aber nicht wieder wett. Also, ich sage es zum letzten Mal: Hol das Lineal.«
Flynn konnte nur noch nicken. Er versuchte, die Tränen, die sich bereits in seinen Augenwinkeln sammelten, zurückzudrängen. Der Weg ins Arbeitszimmer schien ihm mit einem Mal unendlich lang. Als würde der Weg dorthin durch zähen Schlamm führen und nicht etwa über blankpolierte Marmorfliesen. Er verabscheute es, dass Arne ihn jedes Mal selbst das Lineal holen ließ. Als wäre das, was unweigerlich folgen würde, nicht schon schlimm genug.
Mit zitternden Händen ergriff er schließlich das lange Holzlineal, das immer neben der ledernen Schreibtischunterlage lag. Dabei hatte Flynn noch nie gesehen, dass Arne es für seine Büroarbeit benötigte. Es schien einzig und allein deshalb hier zu liegen, um Flynn daran zu erinnern, wer in diesem Haus das Sagen hatte.
Warum hatte er auch nicht eher eingelenkt? Er wusste doch, wie Arne war, und sein Lebensgefährte tat ja wirklich so viel für ihn. Ohne Arne würde er niemals eine Chance bekommen, Pianist zu werden. Dennoch hasste er das, was ihm bevorstand, er hasste es so sehr, dass er am liebsten aus der Wohnungstür hinausgelaufen wäre, anstatt zurück ins Esszimmer zu gehen.
Aber das war natürlich Unsinn. Wo sollte er denn hin? Außerdem hatte Arne ja recht, er musste lernen, mit den Konsequenzen seines Handelns klarzukommen.
Mit weichen Knien trat er schließlich wieder vor Arne. »Bitte. Es tut mir doch leid«, versuchte er es nochmal.
»Setz dich«, sagte Arne streng und zog Flynns Stuhl ein wenig näher an seinen heran, sodass sie einander direkt gegenübersitzen würden. »Flynn. Es macht mir doch auch keinen Spaß, dir wehzutun. Aber es gehört mehr dazu, ein Pianist zu werden, als jeden Tag Klavier zu üben. Du musst auch lernen, Abmachungen einzuhalten und die Menschen, die dich unterstützen, nicht vor den Kopf zu stoßen. Zum Beispiel, indem du dich deinen Gönnern gegenüber angemessen dankbar verhältst. Wir wissen beide, dass deine Erziehung in diesen Punkten versagt hat, und wir waren uns einig, dass ich dich auch dabei unterstütze, diese wichtigen Charaktereigenschaften zu entwickeln. Ist es nicht so?«
»Ja«, sagte Flynn, auch wenn es eher Arne war, der das beschlossen hatte. Aber er wusste, dass sein Lebensgefährte sich jetzt nicht mehr umstimmen lassen würde, und da war es besser, einfach zu tun, was von ihm erwartet wurde, anstatt es immer noch weiter hinauszuzögern und es nur noch schlimmer zu machen. »Okay«, presste er mühsam heraus und streckte Arne das Lineal hin, ohne ihm dabei in die Augen sehen zu können.
»Gut«, sagte Arne, klang aber alles andere als zufrieden dabei. »Du wirst zehn Schläge erhalten.«
»Was?!« So viele waren es noch nie gewesen!
»Streck deine Hände aus«, sagte Arne unerbittlich, und wie paralysiert gehorchte Flynn. Aber zehn Stück?! Das waren fast doppelt so viele wie beim letzten Mal.
Er keuchte, als das Lineal das erste Mal auf seine ungeschützten Handflächen traf. Sofort löste sich eine der bis dahin mühsam zurückgehaltenen Tränen und kullerte über seine rechte Wange. Schlug Arne heute besonders fest zu? Den zweiten und dritten Schlag hielt Flynn noch durch, schaffte es irgendwie, Arne seine Hände hinzuhalten, aber der vierte Hieb traf genau auf die gleiche Stelle wie der Schlag zuvor, Flynn jaulte auf und presste seine brennenden Finger schluchzend an seine Brust.
»Bitte Arne, bitte hör auf. Es tut so weh!« Verzweifelt wiegte er sich vor und zurück, hoffte wider besseren Wissens, dass sein Lebensgefährte einlenken würde.
»Mir hat deine Zurückweisung auch wehgetan«, sagte Arne jedoch unerbittlich, »streck die Arme wieder aus.«
Irgendwie schaffte Flynn es, doch nach einem weiteren Schlag war es um seine Selbstbeherrschung endgültig geschehen. »Bitte, bitte, Arne, das ist genug«, jammerte er. Inzwischen rannen die Tränen ungebremst über sein Gesicht und verzweifelt versteckte er seine Hände unter den Achseln. »Bitte, ich flehe dich an! Ich werde mir mehr Mühe geben, Arne, ganz bestimmt! Aber bitte, hör auf!«
»Nein Flynn, so geht das nicht. Du willst dich doch auf mein Wort verlassen können, oder? Ich habe zehn gesagt, also wirst du zehn Schläge bekommen. Du möchtest sicher ebenso wenig, dass ich plötzlich beschließe, zwölf oder dreizehn Hiebe wären besser, oder?«
Alles, nur das nicht! Flynn schluchzte jetzt hemmungslos, und doch gelang es ihm irgendwie, Arne seine Hände wieder hinzuhalten. Wieder traf das Lineal auf seine schmerzenden Finger, und dann ging es nicht mehr, er brachte es einfach nicht über sich, die Hände in Erwartung des nächsten Schlages ruhigzuhalten. Er flehte und bettelte, versuchte, seine Hände vor Arne zu verstecken. Es war Flynn auch ganz gleich, dass Arne ihn einen Feigling nannte, weil er nicht genug Willenskraft aufbrachte, um seine Lektion wie ein Mann zu ertragen – Arne sollte ihn ruhig weiter verspotten, wenn er nur aufhören würde, ihn zu schlagen!
Doch unerbittlich fixierte Arne Flynns Handgelenke auf der Lehne seines Stuhls und verpasste ihm unnachgiebig die noch ausstehenden Hiebe, während Flynn vor Schmerzen schrie.
»Es ist vorbei«, sagte Arne schließlich ruhig, doch Flynn hörte ihn kaum. Es tat so schrecklich weh! Er schaukelte auf seinem Stuhl herum, versteckte seine Hände erst hinter dem Rücken, nur, um sie dann eine Sekunde später verzweifelt aneinander zu reiben, auf der aussichtslosen Suche nach irgendetwas, das diese furchtbare Pein lindern würde. Flynn spürte, wie ihm Tränen und Rotz über das Gesicht liefen, doch im Vergleich zu dem Inferno, das in seinen Fingern tobte, schien ihm das geradezu nebensächlich.
Arne ließ ihn in Ruhe, und tatsächlich wurde das unerträgliche Stechen langsam, aber sicher zu einem dumpfen Pochen, immer noch wahnsinnig unangenehm, aber etwas leichter zu ertragen. Flynn zog die Nase hoch.
»Und?«, sagte Arne.
Flynn wusste, was Arne erwartete. Aber es ging nicht. Dort, wo das Lineal ihn getroffen hatte, war seine Haut ganz rot und geschwollen, teilweise bildeten sich bereits blaue Flecken, es tat immer noch furchtbar weh, doch das Wissen darum, dass sein erstes Engagement geplatzt war, schmerzte fast noch mehr. Ja, er wusste, was er sagen sollte, aber er konnte nicht.
»Flynn! Hast du deine Lektion etwa immer noch nicht gelernt?«
Flynn zuckte vor dem scharfen Unterton in Arnes Stimme zurück. »Doch! Aber ich … ich …«, stammelte er, »ich weiß ja, dass du es nur gut mit mir meinst, Arne, das weiß ich ganz bestimmt! Ich weiß auch, dass ich mich dumm benommen habe! Aber es tut so weh und ich … ich … kann mich einfach nicht dafür bedanken, dass du mir so wehgetan hast …«
»Ach Flynn«, sagte Arne sanft. »Jetzt komm erstmal her zu mir.«
Er klopfte einladend auf seine Oberschenkel, und Flynn sehnte sich so sehr nach Trost, dass er keine Sekunde zögerte, sondern sich auf Arnes Schoß setzte. Der schlang die Arme um ihn, zog ihn sanft an seine Brust und gab ihm einen Kuss auf die Schläfe. »Ich habe doch auch keine Freude daran, dich zu maßregeln. Aber ich möchte, dass du dich zu einem verantwortungsbewussten Mann mit tadellosen Manieren entwickelst, denn nur dann wirst du erfolgreich sein. Aber ich kann dir nur helfen, wenn du auch verstehst, warum ich das tun muss. Ich verlange nicht, dass du dich für die Schläge bedankst, weil ich dich demütigen will! Aber ich muss wissen, ob du dein Fehlverhalten erkennst, es bereust und verstehst, dass ich nur das Beste für dich will, indem ich deine Charaktermängel korrigiere. Der Schmerz allein wird das nicht schaffen, du musst auch einsehen, wie wichtig das ist, was ich hier für dich tue. Wenn dir das Lineal dabei nicht hilft, hat es seinen Zweck verfehlt und ich muss mir etwas anderes ausdenken.«
»Etwas anderes?«, fragte Flynn bang, umarmte Arne dessen ungeachtet ein wenig fester, als könne der Mann ihn vor seinen eigenen Worten beschützen.
»Vielleicht würde es dir mehr helfen, dich daran zu erinnern, was wirklich wichtig ist, wenn ich deine Unterrichtsstunden für ein oder zwei Wochen streichen würde«, schlug Arne ungerührt vor.
O nein, nur das nicht! Schlagartig wurde Flynn mal wieder bewusst, dass er ohne Arnes Unterstützung niemals Karriere machen würde. Denn sein Partner zahlte nicht nur seine Ausbildung, er kannte auch viele prominente Musiker persönlich und war bereit, seine Kontakte zu nutzen, um Flynn zu helfen. Denn Flynn spielte zwar seit seiner Kindheit Klavier, hatte jedoch nicht wie andere die Möglichkeit gehabt, ein Netzwerk aufzubauen, dass ihm helfen würde, einen einflussreichen Lehrer zu finden oder bedeutsame Engagements zu bekommen. Für Arne war das kein Problem, ganz selbstverständlich unterstützte er Flynn, wo er nur konnte. War es da nicht wirklich schrecklich undankbar gewesen, auf dem Auftritt in der Wellnessoase zu beharren, nachdem sein Lebensgefährte ihm gesagt hatte, wie wichtig es ihm war, Flynn an diesem Tag hier zu haben? Flynn schluchzte erneut.
»Sag mir, was du denkst«, bat Arne.
»Ich schäme mich so! Du hast recht, ich war so dumm und undankbar.«
»Schau mich mal an«, sagte Arne, und als Flynn gehorchte, nahm Arne seine Stoffserviette in die Hand und wischte Flynns Gesicht sauber.
»Du bist so gut zu mir.