Jenseits von Freiheit und Würde - B. F. Skinner - E-Book

Jenseits von Freiheit und Würde E-Book

B. F. Skinner

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Beschreibung

In seinem höchst beunruhigenden und provokativen Buch hat B. F. Skinner aus Methoden und Resultaten seiner jahrzehntelangen Forschungsarbeit die Summe gezogen und darauf eine Analyse von Zustand und Zukunft der Gesellschaft und des einzelnen Menschen aufgebaut. Die Krise, in der sich die Weltzivilisation befindet, kann nur überwunden werden, wenn das Verhalten des Menschen von Grund auf neu motiviert wird. Die einzige Überlebenschance sieht Skinner in einer radikalen Revision der geheiligten Ideale von Freiheit und Würde. Diese machtvoll wirksamen Wertvorstellungen haben in der Geschichte stets eine wesentliche Rolle gespielt beim Kampf des Menschen gegen Tyrannei, Despotie und andere Formen autoritärer Herrschaft. Obwohl Skinner ihre wichtige historische Funktion durchaus sieht, gibt er den nahezu religiös verehrten Dogmen von Freiheit und Würde die Hauptschuld an dem gefährlichen Götzenkult, in welchem mittlerweile der Idee vom autonomen Menschen gehuldigt wird. Freiheit und Würde sind Tabus, ihre kritiklose Verinnerlichung hat schwerwiegende Folgen, vor allem weil sie uns an der hergebrachten Bestrafungsethik festhalten lassen und so die Entwicklung einer effektiveren kulturellen Praxis vereiteln.

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B. F. Skinner

Jenseits von Freiheit und Würde

Aus dem Englischen von Edwin Ortmann

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

In seinem höchst beunruhigenden und provokativen Buch hat B. F. Skinner aus Methoden und Resultaten seiner jahrzehntelangen Forschungsarbeit die Summe gezogen und darauf eine Analyse von Zustand und Zukunft der Gesellschaft und des einzelnen Menschen aufgebaut.

Die Krise, in der sich die Weltzivilisation befindet, kann nur überwunden werden, wenn das Verhalten des Menschen von Grund auf neu motiviert wird. Die einzige Überlebenschance sieht Skinner in einer radikalen Revision der geheiligten Ideale von Freiheit und Würde. Diese machtvoll wirksamen Wertvorstellungen haben in der Geschichte stets eine wesentliche Rolle gespielt beim Kampf des Menschen gegen Tyrannei, Despotie und andere Formen autoritärer Herrschaft. Obwohl Skinner ihre wichtige historische Funktion durchaus sieht, gibt er den nahezu religiös verehrten Dogmen von Freiheit und Würde die Hauptschuld an dem gefährlichen Götzenkult, in welchem mittlerweile der Idee vom autonomen Menschen gehuldigt wird. Freiheit und Würde sind Tabus, ihre kritiklose Verinnerlichung hat schwerwiegende Folgen, vor allem weil sie uns an der hergebrachten Bestrafungsethik festhalten lassen und so die Entwicklung einer effektiveren kulturellen Praxis vereiteln.

Über B. F. Skinner

B. F. Skinner (1904–1990) war ein US-amerikanischer Psychologe und Vertreter des Behaviorismus.

Inhaltsübersicht

Justine und ihrer ...1 Eine Technologie des Verhaltens2 Freiheit3 Würde4 Bestrafung5 Alternativen zur Bestrafung6 Werte7 Die Evolution einer Kultur8 Der Entwurf einer Kultur9 Was ist der Mensch?Danksagungen

Justine und ihrer Welt gewidmet

1 Eine Technologie des Verhaltens

Versagen der Technologien. Bei dem Versuch, mit den erschreckenden Problemen fertig zu werden, denen wir in der Welt von heute gegenüberstehen, halten wir uns natürlich an die Dinge, die wir am besten beherrschen. Wir gehen von dem Bereich aus, in dem wir stark sind, von Wissenschaft und Technologie. Um eine Bevölkerungsexplosion einzudämmen, suchen wir nach besseren Methoden der Geburtenregelung. Bedroht von einer nuklearen Massenvernichtung, bauen wir immer stärkere Abschreckungswaffen und Anti-Raketen-Systeme. Eine weltweite Hungersnot versuchen wir dadurch hinauszuschieben, daß wir neue Nahrungsmittel und effektivere Erzeugungsmethoden entwickeln. Eine fortschrittliche Medizin und ein verbessertes Gesundheitswesen werden, so hoffen wir, Krankheiten und Seuchen kontrollieren, besseres Wohn- und Transportwesen sollen das Problem der Slums lösen helfen; mit neuen Verfahren der Müllvernichtung oder -beseitigung versuchen wir der Umweltverschmutzung Herr zu werden. Auf all diesen Gebieten können wir bemerkenswerte Leistungen vorweisen, und so überrascht es niemanden, wenn wir versuchen, diese Leistungen noch weiter auszubauen. Doch die Lage der Dinge verschlimmert sich ständig, und es ist entmutigend, wenn man entdeckt, daß sogar die Technologie selbst immer häufiger versagt. Medizin und Gesundheitswesen haben die Bevölkerungsprobleme noch schmerzhafter hervortreten lassen, der Krieg hat mit der Erfindung der Atomwaffe noch schrecklichere Dimensionen angenommen, und die übertriebene Jagd nach dem Glück ist großenteils für die Verschmutzung unserer Umwelt verantwortlich. Darlington[*] erklärte dazu: «Jede neue Quelle, aus der der Mensch seine Macht auf dieser Erde verstärkte, ist benutzt worden, um die Zukunftsaussichten seiner Nachkommen zu beeinträchtigen. Seinen ganzen Fortschritt hat er erzielt durch seiner Umwelt zugefügten Schaden, den er nicht vorhersehen konnte und der nicht wiedergutzumachen ist.»

Ob dieser Schaden vorhersehbar war oder nicht, der Mensch muß ihn wiedergutmachen, oder alles ist verloren. Das kann er aber nur, wenn er die Natur des Problems durchschaut. Allerdings wird er seine Schwierigkeiten nicht lösen können, wenn er sich dabei ausschließlich auf die physikalischen oder biologischen Wissenschaften verläßt, denn die erforderlichen Lösungen müssen auf anderem Gebiet gefunden werden. Bessere Empfängnisverhütungsmittel werden den Bevölkerungszuwachs nur darin kontrollieren, wenn die Menschen sie auch benutzen. Neue Kampfmittel können zu neuen Verteidigungsmethoden führen und umgekehrt, doch läßt sich eine atomare Massenvernichtung nur dann verhindern, wenn die Bedingungen, auf deren Grund Völker einander bekriegen, geändert werden können. Neue Verfahren der Landwirtschaft oder der Medizin bleiben nutzlos, wenn sie nicht auch praktisch angewandt werden, und das Wohnwesen hat nicht nur mit Städten und Häusern zu tun, sondern auch damit, wie Menschen überhaupt leben. Bevölkerungsballungen können nur dann vermieden werden, wenn die Menschen dazu gebracht werden können, nicht mehr in Ballungsgebiete zu ziehen, und mit unserer Umwelt wird es so lange bergab gehen, bis man die Verschmutzungspraktiken aufgeben wird.

Kurzum, wir müssen im Verhalten des Menschen weitreichende Veränderungen herbeiführen, was allerdings unmöglich ist, wenn wir uns dazu nur der Physik oder Biologie bedienen, ganz gleich, wie sehr wir uns auch bemühen. (Außerdem gibt es noch andere Probleme, wie zum Beispiel das Versagen unseres Erziehungssystems und die Unzufriedenheit und Revolte der Jugend, zu deren Lösung physikalische und biologische Technologien so offensichtlich ungeeignet sind, daß man sie in diesem Rahmen überhaupt nicht ernst anzuwenden versucht hat.) Es genügt nicht, ‹die Technologie Hand in Hand mit einem tieferen Verständnis für menschliche Probleme einzusetzen›, es genügt nicht, ‹die Technologie in den Dienst der geistigen Bedürfnisse des Menschen zu stellen›, und genausowenig genügt es, ‹Technologen anzuspornen, daß sie sich auch mit menschlichen Problemen befassen›. Solche Formulierungen implizieren, daß dort, wo menschliches Verhalten beginnt, die Technologie aufhört und daß wir so weitermachen müssen wie bisher, mit dem nämlich, daß wir aus persönlicher Erfahrung oder aus der Ansammlung von persönlichen Erfahrungen namens Geschichte gelernt haben, oder auch mit jenem Extrakt aus Erfahrung, der uns in Volksweisheiten und praktischen Daumenregeln begegnet. All das steht seit Jahrhunderten zur Verfügung; doch was es uns eingebracht hat, ist die Lage, in der sich die Welt heute befindet.

 

Entwurf einer Verhaltenstechnologie. Was wir brauchen, ist eine Technologie des Verhaltens. Wir wären imstande, unsere Probleme rasch genug zu lösen, wenn sich das Wachstum der Weltbevölkerung genauso exakt regulieren ließe, wie wir den Kurs eines Raumschiffes regulieren, oder wenn wir Landwirtschaft und Industrie mit der gleichen Sicherheit verbessern könnten, mit dem wir zum Beispiel Elektronen beschleunigen, oder wenn wir einer friedlichen Welt in der Art des unablässigen Fortschritts entgegenstrebten, mit dem die Physik dem absoluten Nullpunkt näher gekommen ist (obgleich vermutlich beide unerreichbar bleiben werden). Doch eine solche Verhaltenstechnologie, die in ihrer Wirksamkeit und ihrer Präzision der physikalischen und biologischen Technologie vergleichbar wäre, gibt es nicht. Jene, die ihre Möglichkeiten an sich nicht lächerlich finden, dürften von dieser Möglichkeit zudem eher erschreckt als beruhigt sein. So weit entfernt sind wir also von einem ‹Verständnis für menschliche Probleme› in dem Sinn, in dem zum Beispiel Physik und Biologie ihren jeweiligen Fachbereich verstehen; so weit entfernt sind wir also von der Verhütung der Katastrophe, der die Welt unerbittlich entgegenzutreiben scheint.

 

Menschliche Natur und menschliches Verhalten. Vor zweitausendfünfhundert Jahren hätte man vielleicht sagen können, daß der Mensch sich genausogut verstand wie jeden anderen Teil seiner Welt. Heute versteht er sich selbst am wenigsten. Physik und Biologie haben einen weiten Weg hinter sich, doch eine vergleichbare Entwicklung einer Wissenschaft vom menschlichen Verhalten hat es nicht gegeben. Die Physik und die Biologie der alten Griechen sind heute nur mehr von historischem Interesse (kein zeitgenössischer Physiker oder Biologe würde heute noch Rat bei Aristoteles suchen), während die Dialoge von Platon immer noch von Studenten gelesen werden müssen und so zitiert werden, als verschafften sie uns Einblick in menschliches Verhalten. Aristoteles wäre unfähig, eine Seite aus einem modernen Lehrbuch der Physik oder Biologie zu verstehen, während Sokrates und seine Familie nur wenig Mühe hätten, den aktuellsten Diskussionen über menschliche Probleme zu folgen. Was nun die Technologie anlangt, so haben wir bei der Beherrschung der physikalischen und biologischen Welten gewaltige Fortschritte erzielt, während wir unsere Praxis im Bereich des Regierens, der Erziehung und eines Großteils der Wirtschaft zwar äußerst unterschiedlichen Bedingungen angepaßt haben, ohne sie jedoch sonderlich zu verbessern.

Dies läßt sich wohl kaum mit der Behauptung erklären, daß die alten Griechen alles wußten, was über menschliches Verhalten wißbar war. Gewiß, sie wußten mehr darüber als über die physikalische Welt, aber sehr viel war das trotzdem nicht. Dazu kommt noch, daß ihrer Art, über menschliches Verhalten nachzudenken, eine fatale Schwäche innewohnte. Während die Physik und Biologie der alten Griechen, auch wenn sie noch so unausgegoren gewesen sein mögen, schließlich zur modernen Wissenschaft geführt haben, führten ihre Theorien über das Verhalten des Menschen nirgendwohin. Und wenn ihre Thesen auch heute noch gültig sind, so nicht deshalb, weil sie irgendeine ewige Wahrheit ausdrückten, sondern weil sie nicht den Keim zu irgend etwas Besserem in sich trugen.

Natürlich läßt sich immer behaupten, das Verhalten des Menschen sei ein besonders schwieriger Gegenstand. Das stimmt, und wir sind ganz besonders geneigt, so zu denken, eben weil wir so unfähig sind, uns mit diesem Verhalten wirksam auseinanderzusetzen. Andererseits befassen sich die Physik und Biologie von heute höchst erfolgreich mit Problemen, die gewiß nicht einfacher als viele Aspekte des menschlichen Verhaltens sind. Der Unterschied ist, daß die Instrumente und Methoden, die heute von Physik und Biologie benutzt werden, sich durch eine angemessene Komplexität auszeichnen. Die Tatsache, daß auf dem Gebiet des menschlichen Verhaltens ähnlich wirksame Instrumente und Methoden nicht verfügbar sind, ist keine Erklärung; sie ist nur ein Teil des Problems. War es tatsächlich einfacher, einen Menschen auf den Mond zu senden als die Erziehung in unseren Volksschulen zu verbessern? War das einfacher als die Schaffung besserer Wohnbedingungen für einen jeden von uns? War das einfacher als es jedermann möglich zu machen, einem einträglichen Beruf nachzugehen und sich so eines höheren Lebensstandards zu erfreuen? Wir haben es hier nicht mit einer Frage von Prioritäten zu tun; denn niemand kann allen Ernstes behaupten, es sei wichtiger gewesen, auf den Mond zu gelangen, denn ihre Realisierbarkeit, Wissenschaft und Technologie waren an dem Punkt angelangt, von dem aus diese Leistung mit einer einzigen gewaltigen Anstrengung vollbracht werden konnte. Einen vergleichbaren Anreiz bei den Problemen, die das menschliche Verhalten aufwirft, gibt es nicht. Lösungen lassen sich hier noch nicht absehen.

Es ist allzu einfach, daraus zu folgern, etwas am menschlichen Verhalten mache eine wissenschaftliche Analyse und damit eine wirksame Technologie unmöglich, denn was dagegen spricht, ist die Tatsache, daß auf diesem Gebiet noch längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind. In einem gewissen Sinn kann man sagen, daß wir die Methoden der Wissenschaft noch kaum auf menschliches Verhalten angewandt haben. Wir haben die Instrumente der Wissenschaft benutzt; wir haben berechnet, gemessen und verglichen; doch etwas, was jeder wissenschaftlichen Praxis wesentlich ist, geht fast allen aktuellen Diskussionen über menschliches Verhalten ab. Zu tun hat das mit unserer Behandlung der Ursachen von Verhalten. (Der Begriff ‹Ursache› ist in anspruchsvollem wissenschaftlichem Schrifttum nicht mehr allgemein gebräuchlich[*], doch mag er für unsere Zwecke genügen.)

 

Personifizierung in den Wissenschaften. Die erste Erfahrung des Menschen mit Ursachen ergab sich wahrscheinlich aus seinem eigenen Verhalten: Dinge bewegten sich, weil er sie bewegte. Wenn andere Dinge sich bewegten, dann deshalb, weil sie jemand anderer bewegte, und wenn der sie Bewegende nicht zu sehen war, dann deshalb, weil er unsichtbar war. Auf diese Weise dienten die griechischen Götter als Ursache für physikalische Erscheinungen. Gewöhnlich wurden sie außerhalb der Dinge, die sich bewegten, angenommen, doch konnten sie auch in diese eindringen, so daß diese von ihnen ‹besessen›[*] wurden. Physik und Biologie gaben Erklärungen dieser Art bald auf und wandten sich nützlicheren Ursachen zu; ein entscheidender Schritt, zu dem es jedoch auf dem Gebiet des menschlichen Verhaltens nicht gekommen ist. Zwar glaubt heute kein intelligenter Mensch mehr, daß Menschen von Dämonen besessen sein können (was jedoch nicht hindert, daß es gelegentlich noch zu Teufelsaustreibungen kommt und daß das Dämonische in den Schriften von Psychotherapeuten seinen neuerlichen Einzug gehalten hat), doch schreibt man menschliches Verhalten gewöhnlich nach wie vor einem ihm innewohnenden Agens zu. So behauptet man zum Beispiel von einem jugendlichen Kriminellen, er leide an einer gestörten Persönlichkeit. Es wäre widersinnig, das zu behaupten, wenn diese Persönlichkeit nicht auf irgendeine Weise als unterschieden von dem Körper gesehen würde, der sich in Unannehmlichkeiten gebracht hat. Diese Unterscheidung leuchtet ein, wenn von einem Körper behauptet wird, er enthalte mehrere Persönlichkeiten, die ihn zu verschiedenen Zeiten auf verschiedene Weise kontrollieren. Psychoanalytiker haben drei solche Persönlichkeiten ausgemacht – das Ich, das Über-Ich und das Es –, und von den Wechselwirkungen zwischen diesen behauptet man, sie seien für das Verhalten des Menschen, dem diese Persönlichkeiten innewohnen, verantwortlich.

Obgleich die Physik bald aufhörte, auf diese Weise Dinge zu personifizieren, bediente sie sich noch lange Zeit eines Vokabulars, das den Eindruck vermittelt, als hätten die Dinge einen Willen, Impulse, Empfindungen, Zielbewußtsein und andere fragmentarische Eigenschaften eines ihnen innewohnenden Agens. Butterfield[*] zufolge lehrte Aristoteles, ein fallender Körper beschleunigte sich deshalb, weil er um so stärker frohlocke, je mehr er sich seinem Zuhause nähere. Spätere Autoritäten nahmen an, ein Geschoß würde von einem Impetus vorangetrieben, der zuweilen auch als ‹Impetuosität› bezeichnet wurde. Von all diesen Dingen kam man mit der Zeit ab, zum Nutzen der Naturwissenschaft; aber die Verhaltenswissenschaften berufen sich immer noch auf ähnliche innere Zustände. Niemand ist heute überrascht, wenn er sagen hört, daß ein Mensch mit guten Nachrichten rascher geht, weil er innerlich frohlockt, daß ein Mensch auf Grund seiner ‹Impetuosität› oder seines Ungestüms unvorsichtig handelt oder daß ein Mensch auf Grund seiner bloßen Willenskraft hartnäckig an einer ganz bestimmten Handlungsweise festhält. Sowohl in der Physik als auch in der Biologie findet man zwar gelegentlich noch den Verweis auf ‹Absichten›, doch die echte wissenschaftliche Praxis hat keinen Platz dafür; fast jeder aber führt menschliches Verhalten stets auf Ziele, Zwecke und Absichten zurück. Wenn es immer noch möglich ist zu fragen, ob eine Maschine etwas ‹bezweckt›, so geht aus dieser Frage hervor, daß die Maschine, wenn sie etwas ‹bezweckt›, menschenähnlicher wird.

Physik und Biologie entfernen sich weiter von personifizierten Ursachen, als sie das Verhalten von Dingen, Substanzen, Qualitäten oder natürlichen Beschaffenheiten zuzuschreiben begannen. So mochte zum Beispiel ein Alchimist im Mittelalter einiger der Eigenschaften eines Stoffes seiner merkurischen Essenz zuschreiben, während Stoffe auf Grund einer Art ‹Chemie der individuellen Unterschiede› verglichen wurden. Newton beklagte dieses Verfahren bei seinen Zeitgenossen: «Wenn man uns sagt, daß jeder Gegenstand mit seiner okkulten spezifischen Qualität ausgestattet ist, durch die er handelt und manifeste Wirkungen hervorbringt, so sagt uns das gar nichts.» (Okkulte Qualitäten waren ein Beispiel für jene Hypothesen, die Newton mit seinem Ausspruch «Hypotheses non fingo» verwarf, obgleich er seiner eigenen Äußerung auch nicht immer gerecht wurde.) Die Biologie fuhr noch lange Zeit fort, sich auf die Natur von lebenden Dingen zu berufen, und von den sogenannten Lebenskräften kam sie erst im 20. Jahrhundert ab. Verhalten jedoch wird nach wie vor der menschlichen Natur zugeschrieben, und so verfügen wir über eine umfassende ‹Psychologie der individuellen Unterschiede›, in der Personen miteinander verglichen und beschrieben werden: mittels Begriffen wie ‹Charakterzüge›, ‹Talent› oder ‹Fähigkeiten›.

 

Vorwissenschaftliche Sprache. Fast jeder, der mit menschlichen Angelegenheiten zu tun hat – sei er nun Politikwissenschaftler, Philosoph, Schriftsteller, Volkswissenschaftler, Psychologe, Sprachwissenschaftler, Soziologe, Theologe, Anthropologe, Erzieher oder Psychotherapeut –, spricht auch heute noch in dieser vorwissenschaftlichen Art über menschliches Verhalten. Jede Nummer einer Tageszeitung, jede Zeitschrift, jedes Fachjournal, jedes Buch – alle liefern Beispiele hierfür, wenn sie in irgendeiner Weise über menschliches Verhalten berichten. Um die Weltbevölkerung zu kontrollieren, müßten wir, so erklärt man uns, unsere Einstellung Kindern gegenüber ändern, wir müßten unseren Stolz auf eine große Familie oder auf sexuelle Potenz überwinden, wir müßten ein gewisses Verantwortungsgefühl gegenüber unseren Nachkommen fördern, und wir müßten die Rolle, die eine große Familie für uns spielt, einschränken, indem wir mehr Anteilnahme für alte Menschen entwickeln. Um für den Frieden zu wirken, müssen wir uns mit dem Willen zur Macht oder den paranoiden Täuschungsmanövern von Volksführern auseinandersetzen, dürfen wir nicht vergessen, daß Kriege im Geist des Menschen beginnen, daß der Mensch selbstmörderische Züge – vielleicht einen Todesinstinkt – sein eigen nennt, die zum Krieg führen, und daß der Mensch von Natur aggressiv ist. Um die Probleme der Armen zu lösen, müssen wir zur Selbstachtung ermutigen, Unternehmungsgeist wecken und Frustrationen eindämmen. Um die Unzufriedenheit der Jungen zu besänftigen, müssen wir in ihnen Zielbewußtsein wachrufen und Gefühle der Entfremdung oder Hoffnungslosigkeit bekämpfen. Und wenn wir erkennen, daß wir über keine wirksamen Mittel verfügen, um irgendeines dieser Ziele zu erreichen, mögen wir selbst eine Glaubenskrise erleben oder an einem Vertrauensschwund leiden, beides Dinge, die nur ins rechte Lot gebracht werden können, wenn wir auf das Vertrauen in die innere Kraft des Menschen zurückgreifen. – Das ist der Stand der Dinge. Zweifel daran hegt fast niemand. Nichts dergleichen wie in einem Großteil der Biologie, und das erklärt vielleicht, warum eine Wissenschaft und eine Technologie des Verhaltens so lange Zeit auf sich haben warten lassen.

 

Geist und Körper. Gewöhnlich wird angenommen, die ‹behaviouristischen› Bedenken gegen Ideen, Empfindungen, Charakterzüge, Willen und so fort gälten der Substanz, aus der diese angeblich gemacht sind. Gewisse hartnäckige Fragen über die Natur des menschlichen Geistes sind mehr als zweitausendfünfhundert Jahre lang diskutiert worden, ohne bis heute beantwortet worden zu sein. Nehmen wir als Beispiel die Frage, wie der Geist den Körper bewegen kann. Noch 1965 konnte Karl Popper diese Frage folgendermaßen formulieren: «Wie solche nicht-physikalischen Dinge wie Absichten, Überlegungen, Pläne, Entschlüsse, Theorien, Spannungen und Wertvorstellungen bei physikalischen Veränderungen in der physikalischen Welt eine Rolle spielen können, das ist es, was wir wissen wollen.»[*] Aber selbstverständlich wollen wir auch wissen, wo diese nicht-physikalischen Dinge herkommen. Auf diese Frage hatten die alten Griechen eine einfache Antwort parat: von den Göttern. Wie Dodds[*] gezeigt hat, glaubten die Griechen, daß ein Mann sich deshalb unklug verhielte, weil ein ihm feindlich gesinnter Gott ἄτη (Verblendung) in seine Brust gepflanzt hatte. Ein wohlgesinnter Gott dagegen mochte einen Krieger mit zusätzlichem μένος versehen, mit dessen Hilfe sich dieser im Kampf hervortun konnte. Aristoteles glaubte, dem Denken wohne etwas Göttliches inne, und Zeno meinte, der Geist sei Gott.

Solche Erklärungen sind heute natürlich unmöglich geworden, und die verbreitetste Alternative besteht darin, daß man sich auf vorausgegangene physikalische Prozesse beruft. Die Erbanlage einer Person, Ergebnis der Evolution der Spezies, soll wenigstens teilweise geistige Vorgänge erklären; als verantwortlich für den restlichen Teil gilt die persönliche Entwicklungsgeschichte. So kennt zum Beispiel der Mensch von heute auf Grund des (körperlichen) Wettbewerbs im Laufe der Evolution (nicht-körperliche) Aggressionsempfindungen, die ihrerseits zu (körperlichen) Akten von Feindseligkeit führen. Ein weiteres Beispiel ist die (körperliche) Bestrafung eines kleinen Kindes, weil es sich sexuell selbst erregt hat. Diese Bestrafung hat (nicht-körperliche) Angstgefühle zur Folge, die sich auf sein späteres (körperliches) sexuelles Verhalten störend auswirken. Das nicht-körperliche Stadium überbrückt offenbar lange Zeitperioden: Die Aggression reicht zurück in Millionen von Jahren der Evolutionsgeschichte, und die Angst, die der Mensch als Kind erwirbt, lebt fort bis ins hohe Alter hinein.

 

Monistische Erklärungen. Das Problem, von einem Erscheinungszustand zum anderen wechseln zu müssen, ließe sich vermeiden, wenn alles entweder geistig oder körperlich wäre, und beide dieser Möglichkeiten sind natürlich erwogen worden. Einige Philosophen haben versucht, die Grenzen der geistig-seelischen Welt nicht zu überschreiten, indem sie argumentieren, daß nur unmittelbare Erfahrung wirklich sei, und die experimentelle Psychologie begann als der Versuch, die Gesetze zu entdecken, die den Wechselwirkungen zwischen mentalen Elementen zugrunde liegen. Die heutigen ‹intrapsychischen› Theorien der Psychotherapie schildern, wie eine Empfindung zur anderen führt (wie zum Beispiel Frustration Aggression erzeugt), wie Empfindungen aufeinander einwirken und wie Empfindungen, die man verdrängt hat, sich ihren Weg zurück in unser Bewußtsein bahnen. Den hierzu komplementären Weg, nach dem das mentale Stadium in Wirklichkeit physischer Art sein soll, hat seltsamerweise Freud eingeschlagen, der glaubte, die Physiologie würde am Ende das Funktionieren des mentalen Apparats erklären. Ähnlich steht es mit vielen Vertretern der physiologischen Psychologie, die nach wie vor völlig ungeniert über Geisteszustände, Empfindungen und so weiter sprechen, in dem Glauben, es sei nur eine Frage der Zeit, bis wir deren körperliche Natur verstehen lernen.

Die Dimensionen der Welt des Geistes[*] und das Überwechseln von einer Welt in die andere ziehen zwar verwirrende Probleme nach sich. Sie werden gewöhnlich ignoriert, was eine ausgezeichnete Strategie sein mag, da der wesentliche Einwand gegen den Mentalismus völlig anderer Art ist. Die mentale Welt spielt alle anderen an die Wand. Verhalten wird nicht erkannt als ein Forschungsgegenstand per se. In der Psychotherapie gilt zum Beispiel das uns verstörende Tun oder Reden eines Menschen fast immer nur als Symptom. Verglichen mit den faszinierenden Dramen, die sich in den Tiefen des Geistes abspielen, scheint das Verhalten selbst in der Tat eine recht oberflächliche Erscheinung zu sein. In der Sprachwissenschaft und in der Literaturkritik wird das, was eine Person sagt, fast immer für eine Äußerung von Ideen oder Empfindungen genommen. In der Politikwissenschaft, der Technologie und der Wirtschaftswissenschaft wird Verhalten gewöhnlich als das Material betrachtet, aus dem man Einstellungen, Absichten, Bedürfnisse und so weiter herleitet. Seit mehr als zweitausendfünfhundert Jahren hat man sich aufmerksam mit dem geistigen Leben befaßt, während man sich erst seit kurzem bemüht, menschliches Verhalten als etwas zu untersuchen, daß mehr als ein bloßes Nebenprodukt ist.

Die Bedingungen, die Verhalten zur Funktion haben, werden ebenfalls vernachlässigt. Die mentale Erklärung erstickt jede Neugierde im Keim. Beiläufige Gespräche veranschaulichen die Auswirkungen. Wenn wir jemand fragen: «Warum bist du ins Theater gegangen?», und wenn er antwortet: «Weil ich Lust hatte, ins Theater zu gehen», sind wir geneigt, diese Antwort als eine Art Erklärung zu akzeptieren. Aber wesentlich wichtiger wäre doch zu erfahren, was geschah, als er früher ins Theater ging, was er über das Stück, das er sich nun angesehen hat, gelesen oder gehört hat und welche andere Dinge seiner vergangenen oder gegenwärtigen Umwelt ihn veranlaßt haben mögen, ins Theater zu gehen (anstatt etwas anderes zu tun). Statt dessen aber akzeptieren wir dieses ‹Weil ich Lust hatte› als eine Art Zusammenfassung all dieser Dinge und neigen dazu, uns nicht nach Einzelheiten zu erkundigen.

 

William James’ Gefühlstheorie. Der professionelle Psychologe macht häufig am selben Punkt halt. Vor langer Zeit schon korrigierte William James[*] eine vorherrschende Meinung über die Relation zwischen Empfindungen und Handlungen, indem er behauptete, daß wir nicht fortlaufen, weil wir Angst haben, sondern daß wir Angst haben, weil wir fortlaufen. Anders ausgedrückt heißt das, daß es unser Verhalten ist, was wir empfinden, wenn wir Angst haben – dasselbe Verhalten, welches der tradierten Meinung nach die Empfindung ausdrückt und durch sie erklärt wird. Doch wie viele unter jenen, die sich mit James’ Argument befaßt haben, haben bemerkt, daß er in der Tat auf kein vorausgegangenes Ereignis hingewiesen hat? Auch dieses ‹Weil› sollte nicht ernst genommen werden. Es ist keine Erklärung darüber abgegeben worden, warum wir fortlaufen und Angst haben.

 

Der ‹autonome Mensch›. Ob wir uns nun als Person betrachten, die Empfindungen erklären oder das Verhalten, das angeblich von Empfindungen ausgelöst wird; wir schenken in beiden Fällen vorausgegangenen Umständen nur sehr wenig Aufmerksamkeit. Der Psychotherapeut erfährt vom früheren Leben seines Patienten fast ausschließlich durch die Erinnerungen des Patienten, von denen bekannt ist, daß sie unzuverlässig sind; er mag sogar argumentieren, daß nicht das, was tatsächlich passiert ist, wichtig sei, sondern das, woran sich der Patient erinnere. In der psychoanalytischen Literatur muß es wohl für jede auf eine Episode einer Bestrafung, die Angst zur Folge gehabt haben mag, mindestens an die hundert Bezugnahmen auf tatsächlich empfundene Angst geben. Ja, wir scheinen sogar jene vorausgegangenen Entwicklungen vorzuziehen, die sich unserem Zugriff eindeutig entziehen. So interessiert man sich zum Beispiel, um menschliches Verhalten zu erklären, sehr stark für das, was sich während der Evolution der Spezies zugetragen haben muß, und wir scheinen ein ganz besonderes Selbstvertrauen an den Tag zu legen, eben weil man auf das, was sich da tatsächlich zugetragen hat, nur schließen kann.

Unfähig zu begreifen, wie oder warum die Person, die wir sehen, sich so verhält, schreiben wir ihr Verhalten einer Person zu, die wir nicht sehen können. Deren Verhalten können wir zwar ebensowenig erklären, doch sind wir in ihrem Fall nicht geneigt, über sie Fragen zu stellen. Wir greifen zu dieser Strategie wahrscheinlich weniger aus Mangel an Kraft oder Interesse, sondern aus der seit altersher bestehenden Überzeugung heraus, daß es für einen großen Teil menschlichen Verhaltens kein relevantes Vorgeschehen gibt. Die Funktion des ‹inneren Menschen› besteht darin, daß er uns eine Erklärung liefert, die jedoch ihrerseits unerklärt bleibt. Mit dem inneren Menschen endet die Erklärung. Er ist kein Mittler zwischen vergangener Geschichte und gegenwärtigem Verhalten, er ist ein Zentrum, dem Verhalten entspringt. Er leitet ein, erzeugt und schafft, wobei er das bleibt, was er schon für die Griechen war – nämlich göttlich. Wir behaupten, er sei autonom – das aber bedeutet in bezug auf eine Wissenschaft des Verhaltens ‹übernatürlich›.

Diese Position ist natürlich angreifbar. Der ‹autonome Mensch› dient lediglich zur Erklärung der Dinge, die wir noch nicht auf andere Weise erklären können. Seine Existenz gründet sich auf unsere Unwissenheit, so daß er natürlich immer mehr von seinem Status einbüßt, je mehr wir über das menschliche Verhalten in Erfahrung bringen. Die Aufgabe einer wissenschaftlichen Analyse ist es, zu erklären, wie das Verhalten einer Person als physisches System auf die Bedingungen bezogen ist, unter denen sich die menschliche Spezies entwickelte, und auf die Bedingungen, unter denen die Einzelperson lebt. Diese Dinge müssen zueinander in Bezug gesetzt werden, und in der Tat bedarf es hier keiner zwischengeschalteter Systeme, es sei denn, es gibt tatsächlich solche launenhaften oder kreativen Interventionen. Die Bedingungszusammenhänge, unter denen der Mensch überlebt, verantwortlich für die Erbanlage, würden Neigungen, aggressiv zu handeln, jedoch nicht Gefühle der Aggression erzeugen. Die Bestrafung sexuellen Verhaltens verändert sexuelles Verhalten, und Gefühle, die daraus entstehen mögen, sind höchstens Nebenprodukte. Unser Zeitalter leidet nicht unter der Angst, sondern unter den Unfällen, den Verbrechen, den Kriegen und anderen gefährlichen und schmerzhaften Dingen, denen die Menschen häufig ausgesetzt sind. Junge Leute kehren der Schule den Rücken, weigern sich zu arbeiten und tun sich nur mit anderen Gleichaltrigen zusammen, aber nicht, weil sie sich entfremdet fühlten, sondern auf Grund einer defekten sozialen Umwelt zu Hause, in der Schule, in der Fabrik und anderswo.

 

Die Umwelt. Wir können den Weg, den Physik und Biologie eingeschlagen haben, nachvollziehen, wenn wir uns an die Verbindungen des Verhaltens mit der Umwelt halten, dagegen geistige Zustände, die angeblich vermittelnd wirken, bewußt hintansetzen. Fortschritte in der Physik werden nicht erzielt, weil man sich näher mit dem Frohlocken eines fallenden Körpers befaßte, genausowenig wie es mit der Biologie vorwärts ging, weil sie sich mit der Natur von Lebensgeistern auseinandersetzte; aus demselben Grund aber ist es für eine wissenschaftliche Verhaltensanalyse unnötig, herausfinden zu wollen, in welcher Ordnung Persönlichkeit, Geisteszustände, Empfindungen. Wesenszüge, Pläne, Absichten, Intentionen oder all die anderen Voraussetzungen des ‹autonomen Menschen› wirksam sind.

 

Selbstbeobachtung. Es gibt Gründe dafür, warum wir so lange gebraucht haben, um diesen Punkt zu erreichen. Die Dinge, welche die Biologie oder die Physik erforscht, zeigen Verhalten, das sich von dem des Menschen sehr stark unterscheidet, so daß einem am Schluß das Frohlocken eines fallenden Körpers oder die ‹Impetuosität› eines Geschosses ziemlich lächerlich vorkommen; aber Menschen verhalten sich eben wie Menschen, und der äußere Mensch, dessen Verhalten erklärt werden soll, könnte jenem inneren Menschen sehr ähnlich sein, dessen Verhalten des erstgenannten angeblich erklärt. Der innere Mensch ist nach dem Bilde des äußeren geschaffen worden.

Ein wichtiger Grund ist der, daß man den inneren Menschen manchmal direkt zu beobachten scheint. Das ‹Frohlocken› eines fallenden Körpers müssen wir von etwas herleiten – doch ist es nicht so, daß wir unser eigenes Frohlocken fühlen können? Wir fühlen in der Tat Dinge innerhalb unserer eigenen Haut, aber wir fühlen nicht die Dinge, die erfunden worden sind, um Verhalten zu erklären. Der Besessene fühlt nicht den Dämon, von dem er besessen ist, und er kann die Existenz eines solchen sogar abstreiten. Der jugendliche Kriminelle fühlt nicht seine gestörte Persönlichkeit. Der intelligente Mensch fühlt nicht seine Intelligenz und der Introvertierte nicht seine Introversion. (In der Tat behauptet man von diesen Dimensionen des Geistes oder Charakters, sie seien nur durch komplexe statistische Verfahren erfaßbar.) Der Sprechende fühlt nicht die grammatischen Regeln, derer er sich beim Bau von Sätzen bedient, und die Menschen folgten einer Grammatik Tausende von Jahren, bevor jemand entdeckte, daß es Regeln gibt. Wer einen Fragebogen auszufüllen hat, fühlt nicht die Einstellungen und Meinungen, die ihn veranlassen, die anfallenden Punkte so und nicht anders zu beantworten. Wir fühlen zwar, wie gewisse Zustände unseres Körpers mit Verhalten verbunden sind, doch wie Freud bereits gezeigt hat, verhalten wir uns genauso, wenn wir diese Zustände nicht fühlen; sie sind Nebenprodukte und dürfen nicht mit Ursachen verwechselt werden.

 

Selektion. Es gibt einen wesentlich wichtigeren Grund für die Tatsache, daß wir so lange brauchten, um mentalistische Erklärungen auszurangieren: es ist schwierig gewesen, Alternativen zu finden. Wahrscheinlich müssen wir uns nach ihnen in der äußeren Umwelt umsehen, doch ist die Rolle, welche diese Umwelt spielt, keineswegs klar. Die Geschichte der Evolutionstheorie veranschaulicht dieses Problem. Vor dem 19. Jahrhundert erblickte man in der Umwelt lediglich einen passiven Rahmen, in dem viele verschiedene Arten von Organismus geboren wurden, sich fortpflanzten und starben. Niemand erkannte, daß die Umwelt für die Existenz vieler verschiedener Arten verantwortlich ist (eine Tatsache, die, und das ist bezeichnend, auf einen schöpferischen Geist zurückgeführt wurde). Das Problem bestand darin, daß die Umwelt unauffällig agiert: sie drängt nicht und treibt nicht, sondern sie liest aus. Tausende von Jahren lang fand in der Geschichte des menschlichen Geistes der Prozeß der natürlichen Auslese trotz seiner ungewöhnlichen Bedeutung keine Beachtung. Und als man ihn schließlich entdeckte, wurde er natürlich zum Schlüssel der Evolutionstheorie.

Die Auswirkungen der Umwelt auf das Verhalten[*] blieben sogar noch länger im dunkeln. Zwar sehen wir, wie Organismen auf die Umwelt, die sie umgibt, einwirken, wenn sie von ihr nehmen, was sie brauchen, und wenn sie ihre Gefahren abwehren; doch man erkennt nicht so leicht, wie die Umwelt mit ihnen verfährt. Es war Descartes, der als erster – in seinem ‹Traité de l’homme› (1662) – meinte, die Umwelt könne bei der Determination von Verhalten eine aktive Rolle spielen, doch kam er offenbar nur durch einen entscheidenden Wink darauf. Er kannte gewisse Automaten in den königlichen Gärten von Frankreich, die hydraulisch mit versteckten Ventilen betrieben wurden. Descartes beschreibt, wie die Besucher der Gärten «notgedrungen auf gewisse Platten oder Fliesen treten, die so angelegt sind, daß sie [die Besucher], wenn sie sich einer badenden Diana nähern, diese veranlassen, sich in den Rosenbüschen zu verstecken, und wenn sie ihr daraufhin zu folgen versuchen, bewirken sie, daß ihnen ein Neptun entgegentritt, der sie mit seinem Dreizack bedroht». Diese Figuren waren unterhaltsam, weil sie sich wie Menschen verhielten, und so schien es, daß etwas, das menschlichem Verhalten sehr ähnlich war, mechanisch erklärt werden könnte. Descartes verstand den Wink: Lebende Organismen könnten sich aus ähnlichen Gründen bewegen. (Den menschlichen Organismus klammert er dabei aus, vermutlich um religiöse Kontroversen zu vermeiden.)

 

Reiz, Reaktion, Reflex. Die auslösende Handlung der Umwelt nannte man schließlich ‹Stimulus› – das lateinische Wort für ‹Reiz› – und die Auswirkung auf einen Organismus ‹Reaktion›, und zusammen bezeichnete man die beiden als ‹Reflex›. Reflexe wies man zuerst an geköpften Tieren nach, zum Beispiel an Salamandern, und es ist sicher aufschlußreich, daß dieses Prinzip das ganze 19. Jahrhundert hindurch angefochten wurde, weil es die Existenz eines autonomen Agens (jene ‹Seele des Rückenmarks›) zu widerlegen schien, dem die Bewegung eines geköpften Körpers zugeschrieben worden war. Als Pawlow zeigte, wie neue Reflexe durch Konditionierung erzeugt werden können, erblickte eine voll entwickelte Reiz-Reaktions-Psychologie das Licht der Welt, in der nun alles Verhalten als Reaktion auf Reize betrachtet wurde. Ein Autor drückte dies folgendermaßen aus: «Wir werden durchs Leben gestoßen oder gepeitscht.»[*] Dieses Reiz-Reaktions-Modell war nie sehr überzeugend, und es löste das Grundproblem auch nicht; denn wieder mußte eine Art von innerer Mensch oder Geist erfunden werden, damit ein Reiz in eine Reaktion verwandelt werden konnte. Die Informationstheorie geriet ins Netz desselben Problems, als ein innerer ‹Verarbeiter› erfunden werden mußte, um Input in Output umzusetzen.

Die Wirkung eines auslösenden Reizes ist relativ einfach zu erkennen, und so überrascht es nicht, daß Descartes’ Hypothese in der Verhaltenstheorie lange Zeit eine beherrschende Position einnahm. Doch diese Spur war falsch. Erst heute erholt sich die wissenschaftliche Analyse von diesem Irrtum. Die Umwelt ‹stößt oder peitscht› nicht nur voran: sie liest aus. Ihre Rolle ähnelt der der natürlichen Auslese, obwohl sich die jeweiligen Zeitskalen, auf denen sich das Geschehen abspielt, stark voneinander unterscheiden. Und diese Rolle wurde aus demselben Grund übersehen. Es liegt heute auf der Hand, daß wir das, was die Umwelt mit einem Organismus macht, nicht nur vor, sondern auch nach dessen Reaktion durchleuchten müssen. Verhalten wird geprägt und aufrechterhalten durch seine Folgen. Wenn diese Tatsache einmal erkannt ist, können wir die Wechselwirkung zwischen Organismus und Umwelt auf wesentlich umfassendere Art formulieren.

 

Was sind ‹Kontingenzen›? Wir verfügen nun über zwei wichtige Ergebnisse. Das eine betrifft die grundlegende Analyse. Verhalten, das auf die Umwelt einwirkt, um Folgen zu erzeugen («operatives Verhalten»[*]), kann untersucht werden, indem man Umwelten arrangiert, in denen spezifische Folgen von eben jenem Verhalten abhängig sind. Diese Abhängigkeiten oder ‹Kontingenzen›, die erforscht werden, sind ständig komplexer geworden, und nach und nach übernehmen sie die erklärenden Funktionen, die früher Persönlichkeiten, Geisteszuständen, Empfindungen, Wesenzügen und Absichten zugeschrieben worden sind. Das zweite Ergebnis ist praktischer Art: Die Umwelt kann manipuliert werden. Es ist richtig, daß die Erbanlage des Menschen nur sehr langsam verändert werden kann, doch haben Veränderungen in der Umwelt der Einzelperson rasche und dramatische Folgen. Eine Technologie operativen Verhaltens ist, wie wir sehen werden, bereits stark fortgeschritten, und vielleicht wird sie sich als unseren Problemen gewachsen erweisen.[*]

Diese Möglichkeit führt jedoch zu einem weiteren Problem, das gelöst werden muß, wenn wir aus dem bisher Gewonnenen Vorteile ziehen wollen. Wir sind weitergekommen, indem wir den ‹autonomen Menschen› seiner Rechte entkleideten, doch leistet er immer noch Widerstand. Er führt eine Art Rückzugsgefecht, in dem er unglücklicherweise gewaltige Unterstützung genießt. Noch immer spielt er eine wesentliche Rolle in der Politikwissenschaft, im Rechtswesen, in der Religion, der Wirtschaft, der Anthropologie, in der Soziologie, der Psychotherapie, der Philosophie, in der Ethik, der Geschichte, der Erziehung, in der Jugendpflege, der Linguistik, der Architektur, in der Stadtplanung und im Familienleben. Alle diese Fachgebiete besitzen ihre Fachleute, und jeder Fachmann hat seine Theorie, und in fast jeder Theorie ist die Autonomie des Menschen unbestritten. Der ‹innere Mensch› ist nicht ernstlich bedroht durch Daten, die das Ergebnis von gelegentlichen Beobachtungen oder von Untersuchungen der Verhaltensstruktur sind; außerdem befassen sich viele dieser Gebiete lediglich mit Personengruppen, innerhalb derer statistische oder versicherungsstatistische Daten der Einzelpersonen nur geringfügige Beschränkungen auferlegen. Das Ergebnis ist eine gewaltige Bürde an tradiertem ‹Wissen›, das durch eine wissenschaftliche Analyse korrigiert oder ersetzt werden muß.

 

Freiheit. Zwei Grundzüge des ‹autonomen Menschen› sind besonders störend. Der überlieferten Meinung nach ist eine Person frei. Sie ist frei in dem Sinne, als ihr Verhalten nicht verursacht ist. Daher kann sie für ihr Tun verantwortlich gemacht und kann sie mit Recht bestraft werden, wenn sie Unrecht tut. Diese Ansicht muß, zusammen mit den damit verbundenen Praktiken, neu überprüft werden, wenn eine wissenschaftliche Analyse zwischen Verhalten und Umwelt unerwartet kontrollierende Bezüge an den Tag bringt. Ein gewisses Ausmaß an äußerer Kontrolle wird häufig toleriert. Theologen haben die Tatsache akzeptiert, daß dem Menschen Handlungen vorbestimmt sind, von denen ein allwissender Gott weiß, daß er sie begehen wird, und die griechischen Dramatiker erkoren sich das unerbittliche Schicksal zu ihrem Lieblingsthema. Weissager und Astrologen behaupten häufig, das vorauszusagen, was der Mensch tun wird, weshalb sie schon immer gefragt waren. Biographen und Historiker haben im Leben von Einzelpersonen und ganzen Völkern nach ‹Einflüssen› gesucht. Volksweisheiten oder manche Erkenntnisse von Essayisten wie Montaigne und Bacon deuten ein gewisses Ausmaß an Voraussagbarkeit von menschlichem Verhalten an, und die statistischen und versicherungsstatistischen Zeugnisse der Sozialwissenschaften weisen in dieselbe Richtung.

Der ‹autonome Mensch› überlebt angesichts all dieser Dinge, weil er die glückliche Ausnahme ist. Theologen haben Vorherbestimmung und freien Willen unter einen Hut gebracht, und die griechischen Zuschauer, ergriffen von der Darstellung eines unentrinnbaren Schicksals, verließen das Theater als freie Menschen. Der Lauf der Geschichte hat eine andere Wendung genommen durch den Tod eines Führers oder durch einen Sturm auf See, genauso wie sich Menschenleben verändert haben durch einen Lehrer oder eine Liebesgeschichte, doch stoßen diese Dinge nicht jedem zu, und sie berühren nicht jeden in derselben Weise. Einige Historiker haben aus der Nichtvorhersagbarkeit der Geschichte eine Tugend gemacht. Versicherungsstatistisches Material wird einfach übersehen; wir lesen, daß Hunderte durch Unfälle an Urlaubswochenenden getötet werden und fahren trotzdem ins Grüne, als seien wir persönlich ausgenommen. Nur ein sehr geringer Teil der Verhaltenswissenschaft malt ‹das Gespenst vom voraussagbaren Menschen› an die Wand. Im Gegenteil, viele Anthropologen, Soziologen und Psychologen haben ihr Fachwissen benutzt, um zu beweisen, daß der Mensch frei, zielbewußt und verantwortlich ist. Freud war – wenn nicht auf Grund einer Evidenz, so auf Grund seiner Überzeugung – Determinist, doch zögern viele Freudianer nicht, ihren Patienten zu versichern, daß sie frei wählen könnten zwischen verschiedenen Handlungsweisen und daß sie, auf die Dauer gesehen, die Gestalter ihres eigenen Schicksals sind.

Dieser Fluchtweg erweist sich jedoch langsam als Sackgasse, da neue Beweise für die Voraussagbarkeit menschlichen Verhaltens entdeckt werden. Da sich die wissenschaftliche Analyse fortentwickelt, beginnt man – vor allem im Hinblick auf das Verhalten der Einzelperson – der persönlichen Ausnahme von einem totalen Determinismus abzuschwören. Joseph Wodd Krutch[*] hat die versicherungsstatistischen Fakten anerkannt, bestand jedoch gleichzeitig auf der persönlichen Freiheit: «Mit erheblicher Genauigkeit können wir vorhersagen, wie viele Leute an einem Tag, an dem die Temperatur einen gewissen Stand erreicht, ans Meer fahren werden, ja sogar, wie viele von einer Brücke springen werden … obgleich weder ich noch du gezwungen bist, das eine oder andere zu tun.» Damit kann er aber doch wohl kaum meinen, daß die Leute, die ans Meer fahren, das nicht aus gutem Grund tun oder daß gewisse Umstände im Leben eines Selbstmörders für die Tatsache, daß er von einer Brücke springt, ohne Bedeutung sind. Jene Unterscheidung ist nur so lange haltbar, so lange ein Begriff wie ‹zwingen› auf eine besonders auffallende und wirksame Art von Kontrolle schließen läßt. Eine wissenschaftliche Analyse zielt natürlich dahin, alle Arten von kontrollierenden Relationen zu klären.

 

Würde. Indem sie die Kontrolle, welche der ‹autonome Mensch› ausübt, in Zweifel zieht, und indem sie die Kontrolle, welche die Umwelt ausübt, unter Beweis stellt, scheint eine Verhaltenswissenschaft auch die Vorstellung vom Wert oder von der Würde des Menschen anzuzweifeln. Eine Person ist verantwortlich für ihr Verhalten nicht nur in dem Sinne, daß sie mit Recht getadelt oder bestraft werden kann, wenn sie sich schlecht beträgt, sondern auch in dem Sinne, daß sie für ihre Leistungen gelobt und bewundert wird. Wissenschaftliche Analyse weist das Lob wie den Tadel der Umwelt zu, und folglich sind traditionelle Praktiken nicht mehr zu rechtfertigen. Dies sind umwälzende Veränderungen, und jene, die traditionellen Theorien und Praktiken verpflichtet sind, widersetzen sich ihnen natürlich.

Außerdem gibt es noch eine dritte Quelle der Besorgnis. Wenn sich das Gewicht auf die Umwelt verlagert, scheint die Einzelperson einer neuen Art von Gefahr ausgesetzt zu sein. Wer soll die kontrollierende Umwelt mit welchem Endziel schaffen? Der ‹autonome Mensch› kontrolliert sich vermutlich selbst – gemäß einer Reihe eingebauter Wertvorstellungen; er setzt sich für das ein, was er für gut hält. Was aber wird jener mutmaßliche Kontrolleur für gut halten, und wird es auch gut sein für jene, die er kontrolliert? Antworten auf Fragen dieser Art fallen natürlich so aus, daß sie zu Werturteilen auffordern.

Freiheit, Wert und Würde sind wichtige Streitpunkte, und unglücklicherweise wird der Streit um so heftiger, je mehr sich das Vermögen einer Technologie des Verhaltens den anfallenden Problemen gewachsen zeigt. Eben die Entwicklung, die einige Hoffnung auf eine Lösung geweckt hat, ist gleichzeitig verantwortlich für eine wachsende Opposition gegen die vorgeschlagene Art von Lösung. Dieser Konflikt ist selbst ein Problem des menschlichen Verhaltens und kann als solches angegangen werden. Die Verhaltenswissenschaft ist keineswegs so weit fortgeschritten wie Physik oder Biologie, doch besteht ihr Vorteil darin, daß sie ihre eigenen Schwierigkeiten ins rechte Licht rücken kann. Wissenschaft ist menschliches Verhalten, und dasselbe gilt für Opposition gegen die Wissenschaft. Was geschah im Kampf des Menschen um Freiheit und Würde, welche Probleme ergeben sich, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse in diesem Kampf eine entscheidende Rolle zu spielen beginnen? Antworten auf diese Fragen mögen den Weg ebnen helfen für die Technologie, die wir so dringend benötigen.

 

Die wissenschaftliche Verhaltensanalyse.