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Auf meiner Geburtstagsparty ging es hoch her. Längst schon hatte ich den Überblick über meine Gäste verloren. Dann traf ein weiterer Gast ein. Die Lifttür ging auf, und ein Mann fiel mir in die Arme. Aus seinem Rücken ragte der Griff eines Dolchs. Bevor er starb flüsterte er noch: "Die vier Engel." Damit war der ausgelassene Teil der Feier blitzartig vorbei, und Phil und ich steckten mitten in einem Fall, der nichts Engelhaftes an sich hatte...
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Seitenzahl: 184
Veröffentlichungsjahr: 2016
Cover
Impressum
Eine Leiche zum Geburtstag
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: »Nachtratten«/ddp-images
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-3852-2
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Eine Leiche zum Geburtstag
1963 startete der Bastei Verlag die Jerry Cotton Taschenbücher in Ergänzung zu der Heftromanserie, die zu diesem Zeitpunkt schon in der zweiten Auflage war.
Damals fragte der Klappentext der Taschenbücher noch: Wer ist G-man Jerry Cotton? Und gab auch gleich die Antwort:
»Er ist ein breitschultriger, gutaussehender FBI-Beamter, der sein Leben dem Kampf gegen Gangster gewidmet hat. Durch seinen Mut und seine Entschlossenheit hat er die Herzen von Millionen Lesern in mehr als 40 Ländern erobert.«
Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer Ausgabe.
Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen 60er Jahre bis in das neue Jahrtausend.
1
Ich hatte Geburtstag und feierte ihn mit einer großen Party. Dauernd stießen neue Gäste dazu, und jeder hatte sich eine kleine Überraschung ausgedacht. Freddie Hampton, der Besitzer des Luga-Luga-Nachtclubs, rückte mit seiner Drei-Mann-Combo an. Josuah Poolbrath, der Bildreporter, rollte mit einer riesigen Torte an.
Mr High, mein Chef beim FBI, kam um Mitternacht.
»Es geht ja mächtig hoch her, Jerry, was sagen denn die Nachbarn dazu?«
»Sind alle eingeladen und damit entschärft. Sorgen machen mir nur die Leute in den umliegenden Häusern.«
Mr High zog mich in eine ruhige Ecke. »Ich wollte Ihnen eigentlich ein kleines Geschenk mitbringen, Jerry«, sagte er. »Drei Tage Sonderurlaub. Aber es geht nicht, nicht zu diesem Zeitpunkt.«
Ich zog die Brauen zusammen.
»Ist etwas passiert?«
»Allerdings«, sagte Mr High in seiner ruhigen, konzentrierten Art. »Toro Massena ist heute Abend in New York angekommen!«
Ich stieß einen Pfiff aus. »Ich denke, er wollte die nächsten Wochen in Florida bleiben?«
»So lauteten die letzten Berichte. Aber sie stimmten nicht. Unsere Leute haben sich geirrt. Er ist vorhin angekommen. Er hat den South Express benutzt. Der Abteilschaffner im Zug hat ihn erkannt. Der Mann arbeitet für uns.«
»Und?«, fragte ich.
»Ich habe Phil sofort losgeschickt. Er soll versuchen, Massena zu folgen und herauszufinden, wo sich der Gangster niederlässt.«
»Hat Phil Erfolg gehabt?«
»Ich habe noch nichts von ihm gehört. Aber es ist auch noch zu früh.«
»Und Carto?«
»Roy Cartenogese ist in New York«, sagte Mr High.
»Dann gute Nacht«, sagte ich. »Dann können wir uns auf einiges gefasst machen.«
Massenas plötzliche Rückkehr nach New York ließ allerhand Rückschlüsse zu. Keiner von ihnen eröffnete friedliche Aussichten.
»Mir ist diese Party ganz lieb«, sagte Mr High. »Ich weiß nicht, inwieweit die Gangster über unsere Maßnahmen informiert sind, sehr wahrscheinlich wissen sie einiges. Eine so groß angelegte Aktion ist einfach nicht geheim zu halten. Aber wenn sie es darauf angelegt haben, uns zu täuschen, werden sie glauben, dass ihnen das gelungen ist. Wer auf Gangsterjagd ist, feiert keine Partys.«
»Da ist was dran«, räumte ich ein.
»Schön, Jerry, das wäre eigentlich alles. Ich fahre jetzt ins Büro zurück und warte auf Phils Anruf.«
»Ich kann hier Schluss machen und mitkommen.«
»Nein, nein«, wehrte er ab. »Das würde die Bande nur misstrauisch machen. Dass Sie hier feiern, beweist ihnen, dass wir ahnungslos sind, und in diesem Glauben sollten wir sie lassen. Ich verschwinde jetzt unauffällig. Wenn es etwas Neues gibt, rufe ich an.«
»Mein Telefon funktioniert leider nicht!«
»Ach so, nun, dann schicke ich jemand vorbei. Wir sehen uns später, Jerry.« Er drängte sich durch die Menge und war gleich darauf verschwunden.
Nachdenklich ging ich an die Bar und mixte mir einen Scotch – wenig Whisky, viel Soda.
Plötzlich ging die Tür auf. Ein Mann im seidenen Morgenmantel stand dort und blinzelte durch seine Brille. Es war Alan Heaverside, mein Wohnungsnachbar. Er hatte sich schon vor einer Stunde zurückgezogen.
»Sie suche ich, Mister Cotton«, schnaubte er wütend.
»Wir hören bald auf«, sagte ich besänftigend.
»Das meine ich nicht. Sie werden am Telefon verlangt, und zwar an meinem Telefon!« Böse sah er mich an.
»Das tut mir leid …«
»Mir tut es leid, denn ich wurde aus dem Bett geklingelt. Ich hab dem Burschen gesagt, er solle, verdammt noch mal, bei Ihnen anrufen, aber er behauptet, da komme er nicht durch, und es sei dringend.«
»Hat er seinen Namen genannt?«
»Nein, aber der Kerl hat eine ordinäre Stimme. Er behauptet, es sei äußerst dringend. Ich kann mir zwar beim besten Willen nicht vorstellen, welchen dringenden Grund es gibt, morgens um ein Uhr friedliche Bürger aus dem Schlaf zu holen …«
»Schon gut«, sagte ich, »es ist wirklich sehr nett, dass Sie mich verständigt haben.«
***
Das Telefon war in seinem Schlafzimmer neben dem Bett. Er wies mit gekränkter Miene auf den Hörer, der danebenlag, und setzte sich so, dass er gut hören konnte.
Ich nahm den Hörer. »Hallo?«, sagte ich.
Keine Antwort. Nur ein leises Rauschen und dazwischen Stimmengewirr. Es war offenkundig, dass der Anrufer noch nicht aufgelegt hatte. »Hallo«, rief ich. »Wer ist da?«
Nichts. Ich sah Heaverside an. »Hat der Mann gesagt, dass er am Apparat bleiben werde?«, erkundigte ich mich.
Er nickte. »Ja, er hat doch gesagt, es gehe um Leben und Tod. Nun kennt man ja diese Tricks …«
»Hallo«, rief ich wieder.
In diesem Augenblick meldete sich eine Stimme. »Hallo, spricht da jemand?«
»Ja«, sagte ich verwundert. »Hier ist Jerry Cotton. Ich, denke, Sie haben eben hier angerufen und nach mir verlangt?«
»O nein, nichts dergleichen. Sind Sie etwa der FBI-Agent Jerry Cotton?«
»Der bin ich!«
»Ich bin Dick Hunter, Besitzer von der Moonlight Bar. Ich kenne Sie, Agent Cotton. Mein Lokal ist gleich gegenüber Ihrer Wohnung.«
»Schön – aber was soll das Ganze?«
»Bei mir war eben ein Gast, schien es ziemlich eilig zu haben. Er verlangte eine Telefonmünze und stürzte in die Zelle. Gleich darauf kam er wieder heraus und lief davon. Nach einer Weile fiel mir auf, dass in der Zelle das Licht noch brannte. Ich ging hinein, entdeckte, dass der Hörer nicht aufgelegt war, und hörte Sie gleichzeitig sprechen.«
Ich überlegte einen Augenblick. »Können Sie den Mann beschreiben?«
»Ich denke schon.«
»Schön, ich komme gleich zu Ihnen rüber.«
Ich legte auf. Alan Heaverside sah mich giftig an.
Ich verließ mit einer weiteren Entschuldigung die Wohnung, ging zum Aufzug. Ich drückte den Knopf und wartete. Ich brauchte nicht lange zu warten, bis der Lift kam und die Tür sich öffnete.
Vor mir stand ein Mann. Er war untersetzt und hatte ein feistes Gesicht, das durch einen schmalkrempigen Hut beschattet war. Er trug einen hellen Regenmantel, dessen Kragen hochgeschlagen war, und sah mich an, als wolle er etwas sagen und könne es nicht.
Dann hob er seine Hände, als wolle er nach mir greifen. Im nächsten Augenblick begann er zu taumeln.
Ich fing ihn auf und spürte, wie der glatte Mantelstoff durch meine Finger glitt. Langsam sank der Mann zu Boden. Ich merkte, wie meine Hände feucht wurden, und als ich sie hob, sah ich, dass sie rot von Blut waren.
Jetzt entdeckte ich den Dolchgriff, der aus dem Rücken des Mannes ragte.
Einen Augenblick war ich wie erstarrt. Dann beugte ich mich über den Mann. Sein Mund bewegte sich in der verzweifelten Anstrengung, etwas zu sagen. Ganz dicht brachte ich mein Ohr daran.
»Jerry Cotton«, ächzte der Mann.
»Ja«, sagte ich. »Der bin ich. Reden Sie, Mann, was ist passiert?«
Er setzte mehrmals zum Sprechen an. Es war offensichtlich, dass seine Kräfte schwanden. »Ich wollte zu Ihnen …«, kam es stoßweise heraus, kaum hörbar.
»Wer war es?«, fragte ich eindringlich. »Der Name!«
In einer letzten verzweifelten Anstrengung bäumte er sich auf. »Die vier Engel«, brach es aus ihm heraus. Dann fiel sein Kopf zur Seite. Er war tot.
Behutsam ließ ich den Körper zu Boden gleiten. Es bedurfte keiner Fantasie, um sich vorzustellen, was geschehen war. Der Mann hatte mit einer wichtigen Information zu mir gewollt. Er wurde verfolgt und wusste das.
Da er damit rechnete, dass mein Haus beobachtet wurde, hatte er von der Moonlight Bar aus bei mir angerufen. Dort hatte ihn der Mörder entdeckt. Der Mann war geflohen, aber hier in der Halle hatte man ihn erwischt.
Die vier Engel! Was hatte er damit gemeint?
Ich nahm mein Taschentuch und fasste damit nach seiner Brieftasche. Vorsichtig, um keine Fingerabdrücke zu zerstören, zog ich sie heraus und klappte sie auf.
Ein Führerschein fiel mir entgegen – ausgestellt in Reta Village, Florida. Der Name des Mannes lautete Bill Tide. Er war geboren am 7.6.1920 in San Louis Obispo, Kalifornien. Beruf: Chauffeur.
Achselzuckend steckte ich die Karte wieder weg. Damit konnte ich nichts anfangen. Ich war sicher, den Mann weder zuvor gesehen noch seinen Namen gehört zu haben. Einen Augenblick überlegte ich. Aus meiner Wohnung kam gedämpft das Geräusch der Party. Es fehlte jetzt nur noch, dass jemand von dort erschien und die Leiche sah.
Kurz entschlossen stellte ich den Fahrstuhl auf Halt, ließ die Türen zugleiten – der Tote lag im Fahrstuhl – und sperrte den Mechanismus mit Hilfe meines Dietrichs ab. Ohne Schlüssel konnte jetzt niemand den Fahrstuhl öffnen.
Einen Augenblick überlegte ich, ob ich nicht zu Alan Heaverside gehen und dessen Telefon benutzen sollte, aber dann entschied ich mich für das Telefon in der Moonlight Bar. Dort würde es keine Mithörer geben.
Ich lief über die Treppe nach unten, trat vor das Gebäude und wartete, um ein sich langsam näherndes Fahrzeug vorbeizulassen. Der Wagen bremste aber, und ich bemerkte, dass es ein Streifenwagen der New Yorker City Police war. Das erleichterte die Sache gewaltig. Ich hob den Arm, und der Wagen stoppte neben mir.
»Hallo«, sagte ich, bückte mich und forschte in den Gesichtern der Männer, ob mir einer bekannt war. Das war nicht der Fall. Vier Cops saßen in dem Wagen und sahen mich finster an.
Vier Mann in einem Streifenwagen, das war eine ungewöhnliche Besetzung. Aber ich schenkte diesem Punkt weiter keine Beachtung.
»Hallo«, sagte ich nochmals. »Ich bin Jerry Cotton, Agent des FBI …«
»Sind Sie der Jerry Cotton, der hier im Hause wohnt?«, quetschte der Mann heraus, der neben dem Fahrer saß. Er hatte einen bulligen Schädel und kleine, verkniffene Augen, die ganz im Schatten der sechseckigen Mütze lagen.
»Ja«, sagte ich.
»Tut uns leid, wir müssen Sie mitnehmen. Gegen Sie liegt eine Anzeige vor. Ein gewisser Alan Heaverside hat Sie wegen ruhestörenden Lärms angezeigt!«
»Über den Punkt können wir uns gleich unterhalten«, sagte ich. »Mein Fall ist dringender. Bitte geben Sie mir über Funk eine Verbindung zum Hauptquartier!«
Der Mann stieg aus und baute sich vor mir auf. Er überragte mich um einen halben Kopf. »Das kann jeder sagen«, meinte er gedehnt.
»Die Angelegenheit ist dienstlich«, sagte ich scharf. Ich holte meinen Ausweis hervor und zeigte ihn dem Cop. »Sie ist außerdem dringend«, sagte ich.
Der Cop warf einen flüchtigen Blick auf den Ausweis, dann schüttelte er den Kopf. »Tut mir leid – mit faulen Ausreden kommen Sie bei mir nicht durch!«
Langsam verlor ich die Geduld. »Mann – hier geht es um einen Mordfall. Also lassen Sie mich Ihr Funkgerät benutzen! Ihr Vorgesetzter reißt Ihnen den Kopf ab, wenn er hört, dass Sie mir Schwierigkeiten gemacht haben.«
»Meinen Sie?«, fragte eine Stimme hinter mir. Gleichzeitig spürte ich ein harter Gegenstand in meinem Rücken. Einer der Männer im Wagenfond war ausgestiegen und bohrte mir seinen Revolver zwischen die Schulterblätter.
Ich erstarrte. Eine Falle! Ich hätte es merken müssen aber ich hatte ja nur den Wunsch gehabt, schnellstens die Mordkommission zu verständigen. Und wer denkt sich schon Böses, wenn er es mit einem Streifenwagen der Polizei zu tun hat!
»Ihr kommt euch wohl mächtig stark vor«, sagte ich.
»Das sind wir auch – stark und gerissen«, sagte der Mann. Er sprach in dem weichen Dialekt, den man in den Südstaaten hören kann.
»Also jetzt keine Zicken, Cotton!«, knurrte der Bulle. »Gegen uns hast du keine Chance!«
Mit einer sicheren Bewegung holte er meinen 38er aus der Schulterhalfter. Die Bewegung zeigte eindeutig, dass der Mann ein Profi war – er war auf jeden Überraschungsangriff von meiner Seite gefasst –, genau wie die anderen Männer, die mich schweigend musterten. Es blieb mir nichts übrig, als mitzumachen.
Die Wagentür klappte auf. »Einsteigen!«, sagte der Südstaatler.
In diesem Augenblick öffnete sich die Schwingtür zur Moonshine Bar auf der anderen Straßenseite. Ein Pärchen kam heraus. Das Mädchen lachte laut auf, als ihr Begleiter ihr etwas erzählte. Dann sahen sie uns und stutzten.
Unmerklich verstärkte sich der Druck in meinem Rücken. »Mach keine Dummheiten!«, raunte mir der Südstaatler ins Ohr. »Steig ein, aber schnell!«
Zögernd folgte ich der Aufforderung. Das Paar hatte inzwischen die Straße überquert, kam auf dem Bürgersteig näher und blieb stehen.
Der Bullige sagte laut: »Ein guter Fang, der Captain wird sich freuen!« Er stutzte und tat, als bemerke er erst jetzt die beiden. »Weitergehen!«, rief er laut. »Hier gibt es nichts zu sehen!«
Die mächtige Gestalt in der Uniform eines Polizisten hatte Autorität. Eilig setzten sich die beiden in Bewegung. Einen flüchtigen Blick erhaschte ich auf das Gesicht des Mädchens. Ich kannte sie, sie war Verkäuferin in dem Blumengeschäft an der Ecke. Und sie kannte auch mich.
Einen kurzen Blick wechselten wir, dann waren die beiden vorbei.
Ob sie die richtigen Schlüsse ziehen würde? Sie wusste, welchen Beruf ich hatte, und die Tatsache, dass ich verhaftet wurde, musste für sie eine Sensation sein. Aber ob sie Verdacht schöpfen würde? Da stand der Streifenwagen, vertraut und echt wirkend. Und da waren die Polizisten in Uniform! Nein, ich durfte mich keinen falschen Erwartungen hingeben.
Ich ließ mich neben dem Fahrer nieder, und die Schnelligkeit, mit der eine Revolvermündung meinen Nacken berührte, zeigte mir, mit was für Leuten ich es zu tun hatte.
»Fahr los!«, sagte der Südstaatler hinter mir zu dem Fahrer. »Immer die Straße entlang!«
»Wohin fahren wir?«, fragte ich.
»Das wirst du früh genug merken!«
»Hört mal, ihr wisst doch, welche Strafgesetze ihr verletzt …«
»Soll ich ihm eins auf die Nase geben, Grant?«, fragte der Bullige. »Ich vertrage Leute nicht, die mir mit den Strafgesetzen kommen.«
»Nein«, sagte der Südstaatler gelangweilt. Ich notierte es innerlich. Grant hieß der Bursche. Er schien der Anführer der Bande zu sein.
Jetzt beugte sich Grant vor und langte sich den Hörer des Funkgeräts. Ich versuchte, einen Blick auf die Skala des Gerätes zu werfen, aber der Revolver in meinem Nacken gab ein unmissverständliches Zeichen.
»Hallo«, sagte Grant, »wir haben ihn. Es gab keine Schwierigkeiten!«
»Okay«, sagte eine tiefe Stimme im Lautsprecher. »Dann fahrt zu Joe und wechselt die Kleidung!«
»In Ordnung«, sagte Grant und hängte ein.
Der Fahrer kurbelte das Lenkrad nach links, und wir bogen in die Amsterdam Avenue ein und dann erreichten wir am Sherman Square den Broadway. Wir fuhren ihn in nördlicher Richtung entlang.
***
Es war kein starker Verkehr mehr. New York City hatte sich für ein paar Stunden zur Ruhe begeben. Am Mitchell Square ging es rechts ab, und über die Washington-Brücke erreichten wir die Bronx. Es ging durch ein paar enge Straßen. Dann fuhr der Wagen durch ein Garagentor, das sich sofort hinter uns automatisch schloss.
Es schien sich um eine Firmengarage zu handeln, die nur tagsüber benutzt wurde. Bis auf einen klapprigen Ford war die geräumige Halle leer. Die vier Türen des Polizeiwagens klappten gleichzeitig auf, und die Männer stiegen aus.
»Los, Cotton!«, sagte Grant. »Steig aus und stell dich da drüben vor die Wand! Und für den Fall, dass dir eine besonders originelle Idee kommt, niete ich ihn um!« Er strich liebevoll über seinen Revolver.
Es blieb mir nichts übrig, als dem Befehl zu folgen. Zehn Meter von den Männern entfernt stand ich vor einer weiß gekalkten Betonwand und sah ihnen zu. Es war die einfachste und zugleich wirkungsvollste Maßnahme, mich außer Gefecht zu setzen. Während sie arbeiteten, sahen sie kaum einmal zu mir herüber. Aber bei der geringsten Bewegung meinerseits hätte sich das geändert und die zehn Meter gaben ihnen die Zeit, die sie brauchten.
Sie gingen mit raschen Bewegungen vor. Jeder Handgriff saß. Von dem Wagen wurden verschiedenfarbige Plastikfolien abgezogen, mit denen die Aufschrift Polizei und die Streifennummer angebracht gewesen war. Blinklichter und Sirene waren durch einfache Steckkontakte befestigt und mit wenigen Handgriffen zu entfernen. Die große Heckantenne wurde abmontiert.
Es dauerte knapp zwei Minuten, dann stand ein normaler Chevrolet vor mir, dem äußerlich nicht das Geringste anzumerken war. Als Grant schließlich noch auf einen Knopf am Armaturenbrett drückte, klappten automatisch die Nummernschilder herum. Zum Vorschein kamen andere Schilder.
Nicht viel anders machten sie es mit ihren Uniformen. Die Mützen verschwanden im Kofferraum. Die Rangabzeichen waren einfach aufgesteckt und ließen sich leicht abnehmen. Als sie schließlich die hellen Gabardinemäntel anzogen, die Grant aus dem Kofferraum holte, war die Verwandlung perfekt. Sie hatte nicht einmal drei Minuten gedauert.
Grant setzte sich einen schmalkrempigen Hut auf und machte eine Kopfbewegung zu mir herüber. »Einsteigen, Cotton, es geht weiter!«
»Hübsche Modenschau«, sagte ich.
»Oh – was das angeht, sind wir Experten«, grinste der Gangster.
Der Bullige brauchte einen Augenblick, um das zu verstehen. Inzwischen brachte Grant ein Nylonseil zum Vorschein. »Wir werden dich fesseln, Cotton. Bert macht das. Ich empfehle dir, ihn nicht zu reizen!«
Bert hatte bisher noch kein Wort gesprochen. Ein kleiner, dunkler Mann mit einem völlig ausdruckslosen Gesicht. Er gefiel mir überhaupt nicht.
Mit sicheren Bewegungen fesselte er meine Arme auf den Rücken. Die Stricke schnitten in meine Handgelenke ein. Grant klappte den Kofferraumdeckel auf. »Da hinein, Schnüffler! Nicht sehr bequem, aber dafür wirst du gratis befördert.«
Es blieb mir nichts übrig, als dem Befehl zu folgen. Sie hatten alle Trümpfe in der Hand. Es wäre dumm gewesen, das nicht einzusehen.
Dann lag ich zusammengekrümmt im Kofferraum. Der Deckel klappte zu. Um mich wurde es dunkel. Ich hörte die Wagentür klappen, dann sprang der Motor an. Das Fahrzeug setzte sich in Bewegung.
Ich veränderte meine Stellung und überprüfte die Festigkeit meiner Fesseln. Es gab nicht viel zu prüfen. Die Knoten saßen stramm. Ich konnte nur die Fingerspitzen bewegen. Außerdem verhinderte der enge Raum große Manöver.
Der Wagen erhöhte jetzt seine Geschwindigkeit. Was mochten die Burschen vorhaben? Es war müßig, sich das vorzustellen. Bestimmt hatten sie nicht die Absicht, mich wieder freizulassen. Die Möglichkeit, die dann noch übrig blieb, war ziemlich eindeutig.
Am hinteren Ende des Kofferraumes fiel ein millimeterbreiter Lichtstrahl herein, erzeugt von der Nummernschildbeleuchtung. Jetzt, da sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte ich Einzelheiten unterscheiden. Neben mir ragte die Ausbuchtung des Reserverades hervor. Daneben lag ein Benzinkanister.
Ich presste meine Knie dagegen und stellte am Gewicht fest, dass er gefüllt war. Ich begann, den Raum rings um mich, soweit er mir erreichbar war, mit den Fingern abzutasten. Irgendetwas Scharfkantiges.
Ich fühlte plötzlich einen harten Gegenstand, betastete ihn und stellte fest, dass ich den Blechstern an einer der Polizeimützen in den Fingern hatte. Das war eine Chance.
Ich presste den Stern gegen den Stoff der Mütze, brachte den Nylonstrick über einen der Zacken und zog ihn unter Druck hin und her.
Nach fünf Minuten erlosch dieser Hoffnungsstrahl. Eher hätte ich eine Stahltrosse der George Washington Bridge durchgesäbelt als diesen Nylonstrick. Viel Zeit blieb mir nicht mehr. Wir waren sicher schon eine Viertelstunde unterwegs, vielleicht gar länger.
Ein Gedanke durchfuhr mich. Meine Uhr! Die Gangster hatten sie mir nicht abgenommen.
Mit aller Anstrengung bog ich meine Finger, bis ich das Elastikarmband fassen konnte. Der Schweiß lief mir in Strömen über das Gesicht. Das Seil schnitt tief in meine Handgelenke ein. Der Schmerz war fast unerträglich, aber ich schaffte es und löste den Verschluss. Zwei Minuten später hielt ich die Uhr zwischen den Zähnen.
Ich zögerte einen Augenblick, dann biss ich kräftig zu. Knirschend zerbrach das Glas. Etwas Blut lief über meine aufgeschnittenen Lippen. Ich achtete nicht darauf, drehte mich mühsam um und tastete nach den Glassplittern.
Endlich hatte ich ein scharfkantiges Stück gefunden. Jetzt begann eine mühsame Arbeit. Ich nahm den Glassplitter zwischen zwei Finger und begann, das Seil an einer Stelle durchzusäbeln.
Die Anstrengung war fast unerträglich. Ich glaube nicht, dass ich es geschafft hätte, wenn wir nicht regelmäßig in unseren Trainingskursen besondere Fingerübungen veranstaltet hätten. Aber dann spürte ich tatsächlich, wie das straff gespannte Seil mit einem Ruck zerriss und die Fesseln sich lockerten. Rasch löste ich sie ganz, und dann lag ich still, atmete tief durch und wartete, dass das Hämmern meines Pulsschlages nachlassen würde.
***
Ich hatte eine Zeit lang regungslos dagelegen und mich von der Anstrengung erholt. Plötzlich horchte ich auf. Der Wagen verlangsamte seine Geschwindigkeit und fuhr eine scharfe Kurve. Kies knirschte unter den Pneus. Dann stoppte er.
Ich konzentrierte mich auf den hellen Lichtstreifen, der anzeigte, dass die Beleuchtung eingeschaltet war. Jetzt erstarb der Motor. Doppelt bleiern wirkte die Stille, nachdem das Dröhnen weg war.
Jetzt, der Lichtstreifen verschwand. Blitzschnell drückte ich den Deckel herunter und ließ den Verschluss einschnappen. Die Bombe war scharf gemacht.
Türen klappten. Schritte knirschten. Kratzend fuhr ein Schlüssel ins Schloss. Der Kofferraumdeckel federte empor.
Ich erfasste mit einem Blick die vier Gesichter, die sich über mich beugten und nahm mir Grant vor. Er war der Anführer, und ohne ihn würden die anderen es nicht wagen, mich umzubringen.
Mit einem Ruck stieß ich mich vom Boden ab und knallte mit dem Schädel hart unter Grants Kinn. Mit einem erstickten Aufschrei kippte der Gangster rückwärts um.
Ich fiel ebenfalls zu Boden. Aber im Fallen riss ich dem Mann, den sie Bert nannten, die Beine weg, und als er umkippte, fiel er genau in einen mächtigen Schwinger hinein, den der Bullige losließ. Bert wurde durch die Wucht des Schlages hochgehoben und fiel wie ein nasser Sack zu Boden.
Der dritte Mann zerrte seinen Revolver aus der Tasche. Ich kam wieder auf die Beine, trieb ihm mit der flachen Hand den Hut über die Augen und schaltete ihn mit einem rechten Haken aus.
Sekundenbruchteile später explodierte ein Hufeisen an meinem linken Ohr. Der Bullige hatte seinen Fehlschlag verdaut und stürzte sich jetzt mit gefährlicher Wut auf mich.