Jesus der Zweite - Norbert Schneider - E-Book

Jesus der Zweite E-Book

Norbert Schneider

0,0

Beschreibung

Jesus ist wieder da, jetzt, direkt in unserer Zeit. Diesmal bleibt es nicht beim Predigen. Zunächst wirkt er eher anonym. Er befasst sich mit einzelnen Personen, welche aus niedigen Motiven nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind. Es geht dabei u.a. um Drogenhändler, Waffenschieber, Folterknechte. Jedem dieser einzelnen Spezis bzw. Gruppen zeigt Jesus drastisch die Folgen ihres Handelns. Wie er das jeweils individuell durchführt, läßt er zur Abschreckung über eine Internetplattform verbreiten. Doch dabei bleibt es nicht. Jesus gelingt es das Amt des Papstes zu erobern. Dabei greift er zu sehr unkonventionellen Mitteln. Die Position als Papst ermöglicht ihm die führenden Staatsoberhäupter zu einer Weltrevolution zu bewegen. Die Mittel die er dazu einsetzt, sind skurril. Am Ende ist die Welt nicht mehr so wie sie mal war. Jesus dem Zweiten ist es damit gelungen die Selbstzerstörung der Menschheit zu verhindern. Der Preis dafür ist die verdiente Entmündigung des Menschen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 222

Veröffentlichungsjahr: 2017

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Jesus der Zweite

ALLES ZU RETTEN, MUSS ALLES GEWAGT WERDEN

Friedrich Schiller

Kapitel 1

Wenn Isaiah zur Hauptstraße schaute, sah er meistens nichts, überhaupt nichts. Nur einmal in der Woche kam der Bus vorbei, der zwischen Salmonsla und Modutung verkehrte. Früher hatte er noch angehalten. Dann kamen die Frauen vom Markt zurück oder auch einige wenige Touristen stiegen aus und kamen in ihr Dorf. Aber seit die meisten im Dorf krank wurden, sah Isaiah den Bus immer nur vorbeifahren.

Auch heute erwartete er, dass der Bus vorbeifuhr. Doch diesmal hielt er an. Als er weiterfuhr, sah er einen Mann an der Straße stehen. Ab und zu kam ein Arzt von der Stadt vorbei aber der konnte es nicht sein, denn der kam mit dem Jeep und hatte immer eine Tasche dabei.

Der Fremde kam zielstrebig näher, als wenn er genau wüsste, wo er hinwollte. Beim Näherkommen sah sich Isaiah den Mann genauer an. Er schien gut 30 Jahre alt zu sein, war hoch gewachsen, schlank und hatte ein angenehm geschnittenes Gesicht. Er trug gepflegte Jeans, darüber ein kariertes Hemd und bequeme Ledersandalen. Trotz der großen Hitze war er ohne Hut.

Als er vor der Hütte ankam, vor der Isaiah saß, setzte er sich zu ihm auf den Boden, kreuzte die Beine und sprach ihn in seiner Muttersprache an. Ein immer selten werdender Bantu-Dialekt. Er war stolz darauf ihn noch zu sprechen. Aber die Gelegenheit, ihn an Jüngere weiterzugeben wurde immer geringer. Es interessierte sich niemand dafür.

„Ich grüße dich, ich weiß, du bist Isaiah und hier der Dorfälteste. Du hast großen Kummer. Viele deiner Stammesbrüder und -Schwestern sind todkrank. Es gibt keine Medikamente und auch der Arzt, der öfters vorbeischaut, ist euch kaum eine Hilfe. Auch zu essen habt ihr nicht genug, weil immer weniger von euch noch arbeiten können und daher niemand mehr zum Markt gehen kann. Viele der Kinder haben keine Eltern mehr. Die Krankheit hat die Zukunft eures Dorfes ruiniert“.

Isaiah dachte im ersten Moment, der Fremde komme von der Regierung und wolle ihm die Aufgabe ihres Dorfes vorschlagen. Er hatte auf dem Markt schon von solchen Versuchen gehört.

„Ja“, antwortete Isaiah, „uns geht es zwar sehr schlecht, aber wir glauben daran, dass Gott sich unser erbarmt und die Krankheit verschwindet. Der Arzt, der uns manchmal besucht sagt, dass es bald Medikamente gibt, welche uns helfen werden. Dann ist es vielleicht bald wie früher. Dann kommen vielleicht auch wieder die Touristen und kaufen uns die geflochtenen Körbe oder unsere geschnitzten Masken ab. Ich hoffe nur, dass dann noch genügend von uns leben werden. Auf jeden Fall möchten wir hier bleiben. Hier sind unsere Vorfahren begraben, hier wird auch mal mein Grab sein“.

Der Fremde hörte Isaiah zu, ohne ihn zu unterbrechen und fragte dann: “Kann ich die Kranken sehen?“

„Gehe rüber in unsere größte Hütte, wir haben dort alle kranken Frauen zusammengelegt. Wir hoffen, damit die gesunden Dorfbewohner zu schützen. Die kranken Männer sind alle nebenan in der kleineren Hütte. Die kranken Kinder sind bei Ihren Müttern“. Darauf stand der Fremde auf und ging in eine Hütte, zunächst zu den Frauen.

Isaiah blieb vor seiner Hütte sitzen. Er konnte den Anblick der Todkranken kaum ertragen. Es waren Freunde darunter, bei den Frauen auch seine Lieblingsfrau. Aber auch zwei ihrer gemeinsamen Kinder. Drei seiner Söhne waren schon gestorben.

Meistens begann es mit Durchfall, Erbrechen und quälenden Hustenanfällen. Die Kranken wurden immer schwächer. Dazu kamen meist noch fleckige Ausschläge. Schließlich dämmerten sie nur noch teilnahmslos vor sich hin. Die noch wenigen gesunden Angehörigen versorgten sie dann mit Wasser und fütterten sie mit Hirsebrei oder Bohnen.

Immer öfter wurden Verstorbene aus den Hütten getragen, in einfachste Brettersärge gebettet und hinter dem Dorf begraben. Inzwischen waren auch die Bretter ausgegangen und es mussten einige Tücher genügen. Die Zurückgebliebenen mussten nicht erst beginnen zu trauern. Trauer war im Dorf ohnehin ein Dauerzustand.

Nein, in die Hütten der Kranken ging Isaiah kaum noch. Der Gestank darin erinnerte ihn zu sehr an den Tod.

Isaiah wunderte sich, dass der Fremde so lange in der Hütte blieb. Hören konnte er nur ein leises Gemurmel. Nach etwa zehn Minuten verließ der ihm immer seltsamer vorkommende Fremde die Frauenhütte, um direkt in dem dunklen Eingang der Männerhütte zu verschwinden. Auch hier blieb er einige Zeit und kehrte dann zurück zu Isaiah.

„Sorge dafür, dass genug Wasser verteilt wird, schicke morgen alle Kranken wieder zu ihren Familien und verbrenne dann die beiden Hütten“.

Isaiah verstand nichts davon. Wie und von wem sollte er diese stinkenden Wesen zurück  zu ihren Familien schleppen lassen? Der Fremde musste seine Gedanken lesen können, denn er antwortete: „Morgen wirst du verstehen, was ich meine“. Die Rätsel, die dir bleiben, werden dir noch lange zu denken geben. Aber irgendwann wirst du erfahren, warum ich hier war!“.

Er streckte ihm die Hand entgegen. „Halte dich bei Kräften, du wirst in der nächsten Zeit viel zu tun bekommen. Dein Dorf wird bald jeder kennenlernen wollen“.

Der Händedruck war fest, der Blick in seine Augen eindringlich. Irgendwie verspürte Isaiah, dass gerade etwas Besonderes geschehen war und der Fremde die Wahrheit sagte. Welche, wusste er nicht. Aber bald würde er es erfahren.

Der mysteriöse Fremde machte sich auf den Weg und Isaiah sah ihm nach, bis er in der Ferne verschwand.

Kapitel 2

Sie waren alle gekommen. Die Marketingstrategen der drei großen Pharmariesen, die Patentanwälte von den bestrenommierten Patentbüros aus London und New York. Sie hatten das ganze Hotel gebucht. Selbst hier in Saint Tropez gab es nichts Besseres, nichts Verschwiegeneres als das „La Bastide de St. Tropez“. Sie wollten unter sich sein, wollten feiern, sich an ihrem Erfolg ergötzen, die wirklich ersten großen Lizenzeinnahmen und Patenttantiemen genießen, die Weichen stellen für noch größere Erfolge. Hier konnte man sich abschotten von lästigen Reportern. Die Führung des „La Bastide de St. Tropez“ konnte mit beidem umgehen. Mit denen die gerne gesehen werden wollten in den Gazetten der Journale von London oder Paris, denen es nichts ausmachte, wenn alle Welt von ihrem Reichtum erfuhr, oder auch mit denen, die Diskretion bevorzugten. Nicht jedem war es recht, wenn die Öffentlichkeit mitbekam, dass man für eine Nacht im Doppelzimmer 1000 € ausgeben kann. Da funktionierte die Verschwiegenheit perfekt. So war es bei dem Treffen der Pharmaelite. Das „La Bastide de St. Tropez“ war deswegen einfach wegen Renovierung einige Tage geschlossen. Mit 46 Teilnehmern war das Hotel damit immerhin fast zu dreiviertel belegt.

Eingeladen hatte J.S.Morgenthaler der Patentkanzlei Morgenthaler & Benson. M&B hatten die Hauptgefechte der Patente für diverse Aids-Medikamente der Pharmaindustrie geführt. Die großen Drei hatten sich den Kuchen der Aidspräparate geteilt. Da die Behandlung von Aids nie aus nur einem Wirkstoff, sondern aus einer Mixtur verschiedener Wirkstoffe bestand, gab es für alle Hersteller genug große Stücke davon. Vorausgesetzt, man konnte die Preise hochhalten.

Bisher hatte das hervorragend funktioniert. Bei genügend öffentlichem Druck senkte man zwar kurz die Preise aber die ständig steigende Anzahl der neu Infizierten kompensierte das immer wieder. Zusätzlich ersetzte man ältere Wirkstoffe durch neuere Entwicklungen, für die man weit höhere Preise erzielte. Um dieses Spiel ständig am Laufen zu halten bedurfte es der besten Patentanwälte, die man auftreiben konnte. Und dies war die Agentur M&B.

Aber man verspürte doch zunehmenden Gegenwind. In den Ländern der Dritten Welt, aber auch in Schwellenländern wie Brasilien und Südafrika war man nicht mehr bereit und auch in der Lage, sich die hohen Medikamentenkosten zu leisten. Auch dort gab es clevere Anwälte und auch eine chemische Infrastruktur, welche in der Lage war, HIV-Medikamente nachzukochen und als Generika zu weit niedrigeren Kosten auf den Markt zu werfen. Dies trübte aber nur etwas die Stimmung im „La Bastide de St. Tropez“. Man war sich sicher, auch dagegen die richtigen Gegenmaßnahmen zu finden.

So war auch die Stimmung am ersten Abend alles andere als pessimistisch und man hatte sich zu einem Cocktail am Pool versammelt. Wie so oft im Oktober an der Côte Azur war es auch an diesem Abend herrlich lau und man konnte noch so richtig die Wärme des von der Sommerhitze aufgeheizten Mittelmeeres genießen. Es hatten sich rings um den Pool kleinere Grüppchen gebildet. Obwohl man nach außen hin erbitterter Konkurrent war kannte man sich. Besser als erlaubt. Die Marketingspitzenleute der drei Großen hatten oft Kontakt, wenn auch meist konspirativ. Wäre herausgekommen, welche Weichen in diesen Zirkeln gestellt wurden, wären abgesehen vom Imageverlust Milliardenzahlungen der EU und auch der amerikanischen Aufsichtsbehörden unausweichlich gewesen.

An einem etwas abgelegenen Stehtisch mit herrlichem Blick zum Cap Cameret prostete J.S.Morgenthaler mit feinstem Champagner, einer „Diamond Edition" von De Watère, dem ranghöchsten Marketingmanager, Carl Wenstedt von Abott zu. „Schade, dass wir uns so wenig sehen, Carl. Wir sollten mal wieder mit unseren Frauen was Gemeinsames unternehmen. Hier im Hotel haben sie eine Zwanzig-Meter-Yacht vom Feinsten, wir könnten mal rüber nach Korsika. Ich kenne da ein Fischrestaurant. Liegt an der Ostküste an einem Salzsee, direkt am Meer!“.

„Würde mir schon gefallen, aber du weißt ja, dass Martha schon seekrank wird, wenn sie die „Meuterei auf der Bounty“ guckt. „Dann nehmen uns halt eine Motoryacht, in fünf Stunden sind wir drüben!“. Wenn du vorher mit Martha zusammen eine Flasche Champagner leerst, merkt die davon überhaupt nichts.

„Na ja, bringen wir erst mal das Brasilienproblem hinter uns!“

„Ich nehme das nicht mehr so ernst. Wir haben unverschämtes Glück. Ich habe von unserem Verbindungsmann aus Kapstadt eine Meldung, die kann uns zig Millionen bringen. Dort ist ein besonders aggressiver Virus aufgetreten, gegen den unser bisheriger Dreierpack nichts mehr ausrichtet. Unsere Labors werden sich dem Ding annehmen und sich damit mehr als genügend Zeit lassen. Bis die was haben, haben wir die richtige Durchseuchungsdichte auch bei uns. In der Zwischenzeit reduzieren wir die Preise für unseren bisherigen Mix und schon stehen wir nach außen wieder gut da.

Stell Dir vor: Allein in Westeuropa im ersten Jahr, wenn wir unsere neuen Wirkstoffe einsetzen, 100 000 neue Fälle, das sind pro Infizierten 2000 € pro Jahr. Wir müssen nur abwarten, bis sich genügend Leute infiziert haben. Hoffentlich durchkreuzt uns der Papst nicht mit einer Präservativerlaubnis unsere Pläne“.

„Dann dauert es halt etwas länger...“.

Ihr Gespräch brach abrupt ab, als sich jemand zu ihnen gesellte. J.S.M. aber auch Carl hatten ihn noch nie gesehen. J.S.M. hätte eigentlich jeden Gast kennen sollen und Fremde kamen hier nicht ins Hotel. J.S.M. würde das Hotel nie wieder für ein solches Event anmieten. Das konnte sich auch ein „La Bastide de St.Tropez“ nicht leisten.

„Wen darf ich begrüßen?“ J.S.M. war sofort misstrauisch. Der Fremde war gegen dreißig, gepflegt, machte einen selbstsicheren Eindruck und antwortete:

„Gehen Sie einfach davon aus, dass ich Ihnen sehr wichtig sein werde. Würden Sie mich an die frische Luft setzen, 

wären Sie mit der dann anrollenden Presse überfordert.

Ich interessiere mich für Ihre Geschäfte. Ich kenne alle Ihre Aktivitäten, Ihre Verflechtungen, Ihre Einflussnahmen auf die Politik.

Was Sie vielleicht nicht kennen oder kennen wollen, sind die Folgen daraus. Sie erhalten von mir die einmalige Chance dies hautnah kennenzulernen. Dazu werden Sie bald Gelegenheit haben“.

Bevor es zu einem richtigen Dialog kam, verabschiedete sich der Fremde, verließ den Park und verschwand im Dunkeln.

Carl wollte noch jemanden vom Personal verständigen um den Eindringling zurückzuhalten, aber J.S.M. hielt ihn zurück. “Wenn uns der Fremde die Presse auf den Hals hetzt, tut das unserer Angelegenheit nicht gut!“.

Beide konnten nicht viel mit den wenigen Worten anfangen. Er machte aber nicht den Eindruck, dass er nicht wisse wovon er spreche.

Das seltsame Gespräch war aber schnell vergessen, als sich die Runde vergrößerte und die erwarteten Zahlen fürs nächste Quartal diskutiert wurden.

Kapitel 3

Isaiah lebte und schlief, seit seine Lieblingsfrau gestorben war, alleine in seiner Hütte. In der Nacht nach dem Besuch des seltsamen Fremden schlief er entgegen seiner sonst üblichen Nächte tief und er erwachte auch ungewöhnlich spät. Meist konnte er wegen der Hustenanfälle, die aus den Hütten der Kranken kamen, schlecht einschlafen. Er litt oft mit den armen geplagten Todkranken, denen er doch nicht helfen konnte.

Aber in dieser vergangenen Nacht war es ruhiger als sonst. Auch am Morgen als er aufwachte war es anders als gewöhnlich. Die ersten Geräusche die er meist hörte, waren quälende Hustenanfälle und hie und da das Stöhnen der Todgeweihten. Heute war es anders, er hörte leises Gemurmel, eher freundliche Töne und sogar vereinzeltes Lachen.

Isaiah war neugierig darauf sich selbst ein Bild davon zu machen, was da vor sich ging. Er ging nach draußen und er konnte es kaum fassen. Vor den Hütten der Kranken saßen die, die gestern noch im Sterben lagen, machten miteinander Scherze und verhielten sich so, als wenn sie niemals krank gewesen wären. Natürlich waren die meisten unter ihnen abgemagert bis auf die Knochen, aber ihre Augen strahlten, als wenn ihnen gerade großes Glück widerfahren wäre.

Anscheinend waren bei allen, die noch vor wenigen Stunden ohne Hoffnung vor sich hindämmerten, sämtliche Krankheitssymptome spurlos verschwunden.

Isaiah dachte sofort an den Fremden. Hatte der nicht angedeutet, dass etwas Besonderes in seinem Dorf passieren würde, und dass er viel Arbeit bekommen sollte?

In zwei Tagen erwartete er den Arzt aus der Stadt, bis dahin hatte er noch viel zu tun.

Kapitel 4

J.S. Morgenthaler war ein sehr disziplinierter Mensch. Sich gehen lassen war ihm zuwider. Bei seinen Aufgaben hatte er immer hellwach zu sein. Keine Phase von Schwäche wurde ihm bei seinem Job verziehen. Außer einem Gläschen Champagner hatte er wie immer nichts getrunken. Meist schlief er auch gut und fest. Aber diese Nacht hatte es in sich. Es war noch nicht mal zwei Uhr als er erwachte. Ihm war speiübel. Es schaffte es gerade noch bis zur Toilette, wo er sich übergeben musste. Es wird wohl irgend etwas beim Fischbuffet dabei gewesen sein, das nicht in Ordnung war, dachte er sich und versuchte sich zu beruhigen. Er legte sich wieder ins Bett und versuchte einzuschlafen. Doch ein Hustenreiz, der nicht enden wollte, trieb ihn wieder aus dem Bett. Als Kind hatte er einen Keuchhusten überstanden. Seitdem hatte er nie wieder Ähnliches erlebt. Er fühlte sich wie erschlagen. Er schluckte zwei Aspirin, um endlich etwas Ruhe zu finden. Gegen vier Uhr schlief er wieder kurz ein. Wenig später erwachte er mit Magen- und Darmkrämpfen, stürzte zur Toilette. Dann schien sein Darm zu explodieren. Dazu kam noch ein unwiderstehlicher Brechreiz. Er wusste nicht mehr ob er sitzen bleiben oder sich über die Kloschüssel beugen sollte. Als er sitzen blieb, musste er sich dann doch nochmals übergeben. Zusammengesunken hing er über der Toilette, es wollte einfach nicht aufhören. Irgendwann, als sein Gedärm, sein Magen, sich unter Krämpfen ausgewrungen hatte, kam er wieder einigermaßen zu sich. Bevor die Zimmermädchen kamen, musste er noch schnell das Badezimmer reinigen. Eigentlich war er viel zu schwach dazu, aber diese Blöße wollte er sich nicht geben. Eimer und Putzlappen gab es natürlich nicht in der Suite, aber mit einem Handtuch versuchte er sich zu behelfen. Mit etwas Duschgel und viel Wasser schaffte er es, das Badezimmer wieder einigermaßen zu säubern. Trotzdem, der saure Geruch des Erbrochenen blieb im Raum hängen.

Jetzt erst betrachtete er sich im Spiegel. Was er sah, war nicht der, der sich vor wenigen Stunden in dieser Suite zum Schlafen gelegt hatte. Auf der Stirn stand kalter Schweiß, das Gesicht aschfahl, die Augen rot unterlaufen. Er hatte auch ein eigenartiges taubes Gefühl im Mund. Im Spiegel sah er dann einen weißen Belag in seiner Mundhöhle.

Es war der Moment, in dem er das erste Mal an eine HIV-Infektion dachte. Alle Symptome passten. Er verdrängte sofort diesen ersten Anflug von Panik. Er wusste in diesem Umfeld darüber bestens Bescheid, kannte alle bekannten Übertragungswege, die Inkubationszeiten, den Verlauf dieser Krankheit in allen Facetten.

Es konnte einfach nicht sein!

Er wusste, dass im Zimmer nebenan Dr. Werner untergebracht war, der Mediziner und Chemiker zugleich war. Wenn ihm jemand seinen aktuellen Zustand beschreiben konnte, war er es.

Die Zimmernummer kannte er und damit die Direktanwahl.

„Doktor, ich brauche Ihren Rat“. Er erzählte in kurzen 

Worten was er erlebte, präzise, ohne was auszulassen oder zu übertreiben. Der Doktor sagte zuerst einmal nichts. Nach einer langen Pause bat er ihn zu sich in sein Zimmer. J.S. zog seinen Bademantel über und ging zum Zimmer nebenan. Schon beim ersten Anblick wusste er, Dr. Werner hatte das Gleiche wie er hinter sich. Sie setzten sich nach draußen auf die Terrasse. Von der Bucht von Saint Tropez sah man schon die Morgendämmerung aufziehen. „Doc, was haben wir uns da eingefangen?“.

Die Antwort war, dass er ihm ein Visitenkarten ähnliches Papier hinschob. „Das lag heute Morgen vor meiner Zimmertür, wurde wohl in der Nacht unter der Tür durchgeschoben. Darauf standen nur wenige Worte:

„Gruß von siehe: Google, Johannesburg, Spontanheilung Aids“.

Dr. Werner klappte sein Notebook auf, loggte sich ein und gab die Suchbegriffe ein. Bereits der erste gefundene Link war ein Treffer: Unter http://www.witness.co.za/ fand er folgenden Text.

„Spontanheilung von 46 Aidskranken in einem Dorf nahe KwaZulu Natal!

In dem geöffneten Link waren dann noch die Einzelheiten beschrieben.

Es war eine Meldung der „The Natal Witness“, einer großen Zeitung für die Gegend um KwaZulu Natal.

„Mysteriöse Spontanheilung von Aidskranken in Südafrika. Unser Reporter war vor Ort. Noch bis vorgestern waren in dem Ort 46 Personen an HIV erkrankt. Der zuständige Doktor für dieses Dorf bestätigte uns, dass alle Personen im Dorf, welche an HIV erkrankt waren, über Nacht gesund wurden. Sie waren zwar noch alle sehr schwach, zeigten aber keinerlei Symptome mehr. Der Dorfälteste berichtete, dass am Tag zuvor ein Fremder ins Dorf gekommen wäre, hätte kurz mit ihm gesprochen, dann die Hütten der Kranken besucht und sich dann mit den Worten „Dein Dorf wird bald jeder kennen lernen wollen“ verabschiedet.

Auch wenn uns der Doktor und auch der Dorfälteste diese Geschichte glaubhaft erzählten: Es klingt doch alles zu phantastisch um wahr zu sein. Die zuständigen Gesundheitsbehörden werden sich der Sache annehmen und mit medizinischen Tests wie z.B. umfangreichen Blutuntersuchungen versuchen die mysteriösen Vorgänge aufzuklären“.

Dr. Werner und J.S. Morgenthaler dachten beide sofort an den gestrigen Besucher. Den Schluss den sie daraus zogen war genauso absurd, wie in seiner Konsequenz ungeheuerlich.

Der Fremde hatte ihnen, wie auch immer, die Seuche der Südafrikaner mitgebracht. Nicht nur weitergegeben, sondern wie ein Staffelholz übergeben. Wenn dies stimmte, waren alle 46 Teilnehmer ihres Treffens nun HIV infiziert. Ein grauenvoller Gedanke.

Das Frühstücksbuffet, inzwischen war es fast 8:00 geworden, würde schnell darüber Klarheit bringen.

Der Doktor und J.S.M. hatten seit dem Lesen des Artikels noch kein Wort miteinander gewechselt. Keiner wollte es aussprechen.

Bei schönem Wetter war vorgesehen, das Frühstück auf der Dachterrasse einzunehmen. Das Wetter war sehr angenehm. Die aufgehende Morgensonne wärmte schon etwas und vom Meer her kam eine leichte laue Brise. Als beide die Dachterrasse betraten, war schon mehr als die Hälfte der eingeladenen Gäste eingetroffen. Niemand saß aber an den bereits gedeckten Tischen oder bediente sich am Buffet. Es hatten sich größere Gruppen gebildet, die fast schweigend zusammenstanden. Als sie sich einer Gruppe zugesellten, wussten sie, dass ihre schlimmsten Vermutungen bestätigt waren. Alle hier auf der Terrasse hatten keinen Blick auf das einzigartige Panorama der aufgehenden Sonne über der Bucht von Frejus. Man sah es jedem an. Alle hatten schreckliche Stunden hinter sich.

Doch im Unterschied zu Dr. Werner und J.S. Morgenthaler wussten sie nicht, was sie noch vor sich hatten. Es war wohl der Fisch, das war die allgemeine Ansicht.

Auch Carl ahnte noch nicht, wie recht der Besucher von gestern mit seinen letzten Worten hatte.

Kapitel 5

Auf Postkarten scheint immer die Sonne, überall, also auch in London. Ausnahmsweise aber heute nicht. Sam Berklin kam gegen acht zurück in sein Appartement in der Baywaterstreet. Es war heute kein guter Tag gewesen, keine Leichen, kein spektakulärer Verkehrsunfall, nichts. Außer, dass ein Betrunkener einem Wachsoldaten am Buckingham Palast ans Bein pinkeln wollte. Man hatte ihn dorthin gerufen, damit er wieder eine viertel Seite der Sunday Times füllen sollte. Das war sein Job. Leere Seiten in Zeitungen mit Futter versehen. Dafür wurde er bezahlt. Eher schlecht als ausreichend. Aber er hatte den Ruf, dass seine Beiträge wenigstens wahr waren. Dies verschaffte ihm das Vertrauen der Redakteure. Keine Nachricht von ihm hatte je Regressforderungen wegen Unwahrheiten zur Folge.

Bevor er die Treppenstiegen hinaufging, schaute er wie immer in seinen Briefkasten. Neben der üblichen Werbung war darin ein Briefumschlag. Kein Absender oder ein sonstiger Hinweis war von außen erkennbar.

Sam öffnete den Umschlag. Darin lag ein zusammen gefalteter Brief. Brief wäre zu viel gesagt, eher ein Zettel. Darauf stand mit Maschinenschrift geschrieben ein kurzer Text:

Wenn Sie eine einmalige Story suchen, gehen Sie Morgen gegen 18:00 in den Green Park. Nehmen Sie Ihre Videokamera mit. Setzen Sie sich dort auf die Parkbank unmittelbar nach dem Kinderspielplatz. Etwa 10 Minuten nach 18:00 Uhr wird ein etwa 60 Jahre alter Herr an Ihnen vorbeilaufen. Er führt einen Hund, einen weißen Terrier mit sich. Verfolgen Sie diesen Herrn mit Ihrer Kamera. Ich werde mich anschließend bei Ihnen melden!

Was soll ich damit, dachte sich Sam. Und doch, wenn Morgen, am späten Mittag, nichts unverhofft Schreibenswertes passierte, nahm er sich vor seine Neugierde zu befriedigen und die Aufforderung anzunehmen.

Kapitel 6

Jonathan Fisher war ein auch zu sich selbst gnadenloser Pedant. In Verbindung mit seiner Eigenart nichts dem Zufall zu überlassen, alles bis zum letzten i- Tüpfelchen durchzuplanen, war er zwar ein äußerst erfolgreicher Geschäftsmann geworden, aber niemand wusste mehr über ihn, denn niemand kam mit ihm sonderlich zurecht. So war er einsam reich geworden und konnte sich ein Haus in den besten Lagen Londons leisten.

17:00 bis 17:30 Teestunde, 17:45 mit Sigurd, so nannte er seinen Hund, obwohl zu dessen Statur eigentlich höchstens Bello als Namen passte. 30 Minuten mit ihm um den Park gehen und dies täglich wenn er Zuhause war. Egal wie das Wetter auch war. Das war einfach so in seinem Kopf fest zementiert.

Der Weg führte aus dem Haus direkt in den Park, vorbei an einem Spielplatz. Dahinter kam eine kleine Lichtung mit einer Gedenktafel der Gefallenen beider Weltkriege. Nach etwa einem Kilometer drehte der Rundweg bereits wieder in Richtung Heimweg. Schon bald tauchte im Hintergrund der Umriss seines Hauseinganges auf. Er ließ immer die alte Eingangslaterne, die er unmittelbar vor seiner Haustür installieren ließ, brennen.

Auf den letzten Metern standen rechts und links des Parkweges noch einige Parkbänke. Meistens waren diese aber um diese Zeit leer. Deswegen wunderte es sich doch 

etwas, dass auf einer Bank noch jemand saß. Ein Herr etwa in seinem Alter. Für die Wohngegend hier etwas nachlässig gekleidet. Obwohl es doch schon etwas frisch geworden war, hatte der Mann auf der Parkbank seinen Mantel über dem Schoß liegen. Bevor er aber weiter darüber nachdenken konnte, bemerkte er vor sich, dass die Baustelle der letzten Tage, über die er sich so sehr ärgerte, geräumt war. Mitten auf dem Weg war noch bis gestern ein Loch ausgehoben worden. Der Weg war deswegen abgesperrt. Jonathan musste tagelang um diese Stelle außen herum laufen. Da die Wiese neben dem Weg mit dem Erdaushub doch ziemlich bedeckt war, musste er immer wenn er sein Haus betrat seine Schuhe ausziehen. Wenn es dazu noch regnete, musste er zudem Sigurd noch in die Badewanne stecken.

Jetzt konnte er endlich wieder seinen gewohnten Weg gehen

Kapitel 7

Sam Berklin war pünktlich. Der Erwartete auch. Er musterte ihn kurz im Vorbeilaufen, lief dann aber zielstrebig weiter. Der Hund, den er angeleint führte, trottete neben ihm her. Nachdem er einige Meter entfernt war, traute sich Sam seine Kamera unter dem Mantel hervor zunehmen und den Mann mit Hund zu filmen. Zu was das gut sein sollte wusste er nicht. Nachdem er die ersten Sekunden gefilmt hatte, benahm sich der Hund irgendwie merkwürdig. Während er die Beiden beobachtete, war er eher unauffällig neben seinem Herrchen her gelaufen, wollte er plötzlich nicht mehr weiter. Dem Halter des Hundes gelang es kaum mittels der Leine den Hund zu sich zu ziehen. So nahm er ihn kurzerhand auf den Arm und lief weiter. Die Kamera von Sam Berklin lief immer noch.

Plötzlich, Sam wollte gerade die Kamera abschalten, gab es unmittelbar da, wo sich der Gefilmte befand, einen grellen Blitz und dumpfen Knall. Es war nur noch eine Rauchwolke zu erkennen, keine Einzelheiten mehr. Sam hielt die Kamera auf diese sich so abrupt einstellende Szene. Langsam zog der Rauch ab und es begann sich abzuzeichnen, was geschehen war.

Dort wo die Explosion stattfand, lag auf dem Boden eine zusammen gekrümmte Gestalt. Näheres war aus der Entfernung kaum auszumachen. Als der Rauch völlig abgezogen war, sah Sam Berklin direkt vor dem Daliegenden den Hund. Der Hund hielt zwischen den Zähnen ein etwa halben Meter langes Teil. Sam konnte es zunächst nicht 

ausmachen was dies war und versuchte die Szenerie bei zu zoomen.

Dann sah er Schreckliches. Der Hund, so klein wie er war, hatte ein Bein im Maul, das er hinter sich herzog, da es zu schwer war. Gerade wie ein zu großer Stock, den ein Hund seinem Herrchen zurück bringt, wenn dieser den Stock zum Apportieren vor- her weggeworfen hat.

Die Explosion hatte dem Gefilmten ein Bein abgerissen. Beim genaueren Hinsehen sah er zudem noch, das auch das andere Bein in unnatürlichem Winkel von dem Körper ab stand. Der Knall hatte doch einige Passanten in der Nähe neugierig gemacht. Sam sah die ersten näher kommen. Er schaltete die Kamera aus und versuchte sich unauffällig der ganzen Szenerie zu entziehen. Er wollte, so waren seine ersten Gedanken, nicht mit diesem Ereignis in Zusammenhang gebracht werden.

Warum sollte jemand dieses unwirkliche Geschehen filmen. Was tun mit dem Film?

Die nächste U-Bahnhaltestelle war nur wenige hundert Meter vom Park entfernt. Da die U-Bahn im Zehnminuten-Takt verkehrte, musste er auch nicht lange warten. Mit ihm zusammen stieg nur ein junger Mann ein.

Kapitel 8

Jonathan Fisher war bei vollem Bewusstsein. Er wusste sofort was passiert war. Er kannte auch den Typ der Landmine.

Es war eine PFM-1 eines russischen Herstellers.

Er hatte keine Schmerzen. Nur, dass etwas mit seinen Beinen anders war als sonst fühlte er irgendwie. Er sah an sich hinunter. Dort wo das rechte Hosenbein sein sollte, war nichts. Nur Blut durchdrungener roter Dreck. Das andere Hosenbein war zwar noch vorhanden, aber der blaue Tweedstoff blutgetränkt.

Ihm war auch sofort klar, dass genau ihm das galt, was mit ihm passiert war. Auch dass er es verdient hatte wie kein anderer. Jetzt hatte er bezahlen müssen!

Als er nach oben schaute, blickte er genau in die Augen von Sigurd. Dann erst bemerkte er, dass Sigurd das Bein, das ihm fehlte zwischen den Zähnen hatte. An einem Ende mit einem Schuh, am anderen Ende sah er das passende Stück Fleisch. „Braver Hund“ dachte er noch, dann verlor er das Bewusstsein.

Kapitel 9