Jet Die Geschichte des Strahlantriebs - Wolfgang Brix - E-Book

Jet Die Geschichte des Strahlantriebs E-Book

Wolfgang Brix

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Beschreibung

Fliegen gehört heutzutage zu unserem Leben. Wir können in bequemen Sitzen um die halbe Welt fast jedes Ziel in fernen Ländern erreichen. Nur wenige Passagiere aber wissen, dass die Triebwerke (im Volksmund Düsen genannt), die man aus dem Flugzeugfenster unter dem Flügel sieht, erst vor 85 Jahren erfunden, gebaut und getestet wurden. Am Anfang standen Erfinder, winzige Flugzeuge und kleine Triebwerke, die sich dann im Laufe der Jahrzehnte zu heutigen Großflugzeugen, schubstarken Jets und gigantischen Firmen entwickelt haben. Die Geschichte dieser technischen Entwicklung ist äusserst spannend und unterhaltsam, wer mehr darüber wissen will, findet eine Fülle von Informationen und technischen Details. Noch nie wurde ein Buch mit dieser Bandbreite von Erfindern, Strahltriebwerken, Strahlflugzeugen und heutigen Triebwerksfirmen verfasst.

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Die Erfinder

2.1 Das Strahltriebwerk

2.2 Die erste Gasturbine von Aegidius Elling

2.3 Die ersten Triebwerksideen

2.4 Der erste Strahlflug von Henri Coanda

2.5 Das Patent des Maxime Guillaume

2.6 Der Stern Report

2.7 Das Buch des Aurel Stodola

2.8 Alan Arnold Griffith

2.9 Frank Whittle

2.10 Alf Lysholm von Milo

2.11 Herbert Wagner und Max Adolf Müller

2.12 Hans-Joachim Pabst von Ohain

2.13 Helmut Schelp und Hans Mauch

2.14 Die Serienproduktion

2.15 BMW in München

2.16 Bramo und BMW

2.17 Junkers in Dessau

2.18 Daimler-Benz in Stuttgart

2.19 Heinkel He S 011

Die zivilen Turbostrahlflugzeuge

3.1 Die erste Generation

3.2 Die zweite Generation

3.3 Die drei großen Jets

Die Triebwerksfirmen

4.1 Rolls-Royce

4.2 General Electric

4.3 Pratt&Whitney

4.4 CFM International

4.5 International Aero Engines

4.6 Rolls-Royce Deutschland

4.7 Engine Alliance

Bildnachweis, Danksagungen

1 Einleitung

Dieses Buch erzählt von der Entwicklung des Strahlantriebs, vom ersten Flug eines Turbostrahltriebwerks am 27.August 1939 bis in die heutige Zeit, von der Heinkel He 178 mit dem Heinkel He S 3 B bis zur A380 mit dem Trent 900.

Ich habe diesen Weg über Jahrzehnte hin verfolgt. Nach dem Studium der Luft- und Raumfahrt mit dem Spezialfach Flugtriebwerke an der TU Berlin habe ich im August 1969 bei der Bremer Firma VFW in der Triebwerksabteilung angefangen und dann 36 Jahre lang Triebwerke begutachtet und nachgerechnet. Als ich 2005 in den Ruhestand ging, hieß meine Firma Airbus Deutschland und ich hatte an allen Projekten und Programmen mal mehr oder mal weniger mitgemacht.

Mein Archiv an Berichten, Informationen und Fotos hatte einen respektablen Umfang angenommen und bei Betrachtung all dieser Unterlagen kam mir die Idee, darüber ein Buch zu schreiben.

Das war dann aber doch mühsamer und langwieriger als ich anfangs angenommen hatte. Als erstes Kapitel hatte ich mir die Erfinder vorgenommen, denn ich hatte mal das Glück gehabt, an dem Symposium „50 Jahre Turbostrahlflug“ in München am 27.8.1989 als Zuschauer teilzunehmen. Bei dieser Gelegenheit bekam ich unter vielen Berühmtheiten auch die deutschen Erfinder Hans von Ohain und Anselm Franz zu sehen. Der englische Erfinder Frank Whittle hatte leider abgesagt. Als ich dann 2007 mit dem näheren Studium der Erfinder begann, waren die drei erwähnten Herren schon lange nicht mehr unter uns und ich musste mich mit meinen Fragen, die sich ganz zwangsläufig ergaben, anderweitig orientieren. Eine große Hilfe war mir da Dr.Volker Koos aus Rostock, der schon einige Bücher über Ernst Heinkel, seine Flugzeuge und seine Triebwerke geschrieben hatte. Über ihn bekam ich dann Kontakt zur Familie des Hans von Ohain, zu seinem Schwiegersohn und zu seinem besten Freund. Und dann war es ein Glücksfall, dass 2008 Ian Whittle, der Sohn des Frank Whittle, in Hamburg einen Vortrag über seinen Vater und über Hans von Ohain hielt. Der Austausch mit all den erwähnten Personen ergab dann eine ganz umfangreiche Sammlung von Unterlagen über die Geschichte der Erfinder und ihrer Erfindungen.

Der Inhalt des Buches basiert also prinzipiell auf diesen Quellen:

auf dem Fachwissen, das ich mir in den 36 Jahren angeeignet habe

auf den Erfahrungen von befragten Zeitzeugen und Experten

auf dem Studium von Publikationen, Büchern und dem Internet

Es muss an dieser Stelle erwähnt werden: das Buch ist nicht komplett. Wer jemals im „Jane‘s Aero-Engines“ oder in der „World Encyclopedia of Aero Engines“ geblättert hat, wird wissen, dass die Anzahl der gebauten Turbostrahltriebwerke nur dem Namen nach schon in die Hunderte geht und sich dann mit der Anzahl der Varianten noch mal mit 3 oder gar mit 10 multipliziert. So kann denn die von mir behandelte Menge nur eine Auswahl darstellen. So habe ich auch die russischen Triebwerke völlig weggelassen, zum einen, weil sie in der Arbeit der Firma nicht vorkamen, und zum zweiten, weil es wenig verlässliche Unterlagen gibt.

Über jedes erwähnte Triebwerk habe ich eine Art Steckbrief verfasst mit den wichtigsten Informationen und einem Foto. Bei den Schubangaben bin ich zweigleisig gefahren: da die allermeisten Triebwerke aus dem englischsprachigen Raum stammen, gibt es den Schub in pound (lb) und ich habe als zweite Dimension kiloNewton (kN) gewählt mit der Umrechnungsformel

FN (lb) * 4,4483/1000 ergibt FN (kN)

Die Dimensionen Kilopond (kp) und Tonne (to) waren vor langen Zeiten vor allem in Deutschland gebräuchlich, sind in der Fachwelt aber längst verschwunden. In der Geschichte der deutschen Triebwerke vor 1945 gab es nur das (kp) und da habe ich eine Ausnahme gemacht und habe sogar, damit der Vergleich stimmt, die englischen (lb) in (kp) umgerechnet.

Bei allen Zahlenwerten bitte ich um Nachsicht. Wer zehn Quellen durchforstet, findet zuweilen 5 oder mehr verschiedene Angaben zu einem Datum oder Schub oder irgendeinem anderen Wert. Da muss man vergleichen und werten, welche Zahl am vertrauenswürdigsten ist. Auch im Internet und bei Wikipedia sind nicht alle Zahlen konsistent. Zumal bei technischen Entwicklungen der Zeitfaktor eine Rolle spielt. Das Abfluggewicht eines Flugzeuges ändert sich in der Projektphase von Halbjahr zu Halbjahr und ist auch später im Liniendienst noch von diversen Faktoren abhängig.

Die Übermacht der englischen Sprache in der Luft- und Raumfahrt ist Fakt und ich habe manchen Begriff auch übersetzt, aber eben nicht immer und vertraue darauf, dass der interessierte Leser der englischen Sprache mächtig ist. So habe ich auch bei verwendeten Grafiken aus dem englischen Raum nicht jedes kleine Wort übersetzt.

Bei allen Flugzeugen und Triebwerken, die bis in die Gegenwart gebaut werden, habe ich versucht, den Status Ende 2022 anzugeben. Das war dann nicht mehr Teil meiner Arbeit in der Firma, die wie erwähnt, 2005 endete, und ich musste die fehlenden Informationen im Internet finden. Und die Zahlen und Informationen ändern sich fortlaufend weiter.

Großartige Formeln habe ich vermieden. Dafür habe ich Plots gebastelt, weil ein Bild, eine Grafik doch mehr sagt als viele Worte.

Ich wünsche dem geneigten Leser ein kurzweiliges Vergnügen beim Lesen. Mein Ziel wäre erreicht, wenn der Leser zuweilen denkt: Wo hat er das nur her, oder: das habe ich noch nicht gewußt, oder: das hat er gut erklärt. Nach meinem Vortrag über Hans von Ohain am 27.8.2009 in Rostock kam eine Dame auf mich zu und sagte: Jetzt habe ich verstanden, wie ein Triebwerk funktioniert. Da war ich ein bißchen glücklich und ein bißchen stolz.

Über dieses Buch bin ich es auch.

Wolfgang Brix

Juni 2022

2 Die Erfinder

2.1 Das Strahltriebwerk

Das einfachste Strahltriebwerk ist der Luftballon, allen Kindern wohlbekannt. Wenn man ihn aufbläst und dann loslässt, fliegt er davon, getrieben von einer (sicherlich kleinen) Kraft, die dadurch entsteht, dass die Luft mit einer gewissen Geschwindigkeit den Ballon durch die Düse (das Loch, durch das man den Ballon aufbläst) verlässt. Dabei berechnet sich der Schub:

Im speziellen Fall dieses Ballon gibt es (wie beim Raketentriebwerk) keinen Eintrittsdurchsatz, so dass sich ergibt:

Schnell ist ersichtlich, dass dieses Strahltriebwerk nicht lange funktioniert, der Ballon landet nach wenigen Sekunden in der Zimmerecke. Der Grund ist auch schnell erkennbar: die Luftmenge im Ballon nimmt stetig ab, der Überdruck nimmt stetig ab und wenn der Ballon leer ist, geht der Schub gegen Null.

An dieser Stelle teilen sich die Strahltriebwerke in zwei Hauptgruppen: in die Raketentriebwerke, die wie der Ballon das Medium der Schuberzeugung im Inneren mit sich führen und dieses Medium verbrauchen, bis es alle ist. Bei den Raketen nennt sich das Brennschluss. Die zweite Gruppe holt sich Nachschub aus der Luft, in der das Fluggerät fliegt: die gleiche Luftmenge, die in der Düse den Schub erzeugt, wird im Einlauf des Triebwerks wieder zugeführt.

Bei hohen Fluggeschwindigkeiten, so ab Schallgeschwindigkeit, also Mach=1, hat die eintretende Luft durch den Aufstau einen ausreichend hohen Druck, um das Triebwerk am Laufen, also am Schuberzeugen zu halten. Diese sogenannten Staustrahltriebwerke benötigen keinen weiteren mechanischen Verdichter, der Aufstau hat diese Aufgabe bereits übernommen.

Bei kleinen Fluggeschwindigkeiten liefert der Aufstau zu wenig Druck, beim Start ist der Aufstau gleich Null. Will man da nun ein Strahltriebwerk länger funktionieren lassen, muss man die Luftmenge im Ballon, also im Triebwerk, mit der gleichen Geschwindigkeit und mit dem geforderten Überdruck nachfüllen. Zur Erzielung dieses Nachfüllvorgangs benötigt man also eine Maschine, die eine definierte Luftmenge mit einem definierten Druck erzeugt, also einen Verdichter oder ein Gebläse. Und diese benötigen einen Antrieb, die Energie zur Erzeugung von Druckluft muss schließlich irgendwo herkommen.

Damit ist die Aufgabenstellung klar umrissen: Für ein Strahltriebwerk für Start und Unterschallgeschwindigkeiten benötigt man einen Verdichter, einen Antrieb für den Verdichter und eine Düse, in der die verdichtete Luft auf Düsengeschwindigkeit beschleunigt wird, damit aus Durchsatz und Düsengeschwindigkeit ein Schub entsteht.

2.2 Die erste Gasturbine von Aegidius Elling

Für den Antrieb des Verdichters wird also eine Maschine gesucht, die mechanische Leistung erzeugt und diese über eine Welle dem Verdichter zuführt. Zwei solche Maschinen stehen zur Verfügung: einmal der Kolbenmotor und zum zweiten die Turbine. Im letzteren Fall kann diese Turbine mit allen möglichen Medien betrieben werden, mit Wasser, mit Dampf oder mit Luft. Wenn der Verdichter aber Luft fördert, kann man annehmen, dass die Turbine auch mit Luft betrieben wird, dann ist es eine Gasturbine.

Die verschiedenen Strahltriebwerkstypen

Das Staustrahltriebwerk für Geschwindigkeiten ab Mach=1

Das Turbostrahltriebwerk mit einer Turbine als Antrieb für den Verdichter

Das Motorstrahltriebwerk mit einem Kolbenmotor als Antrieb für den Verdichter

(Die schmatischen Darstellungen oben stammen von Helmut Schelp, einem Mitarbeiter des RLM, des Reichsluftfahrtministeriums1940)

Von den möglichen Antrieben sind um 1900 nur bekannt:

Der Kolbenmotor

Die Dampfturbine

Die Gasturbine ist zu dieser Zeit noch nicht erfunden. Aber es dauert nicht lange, da wird sie nicht nur erfunden, sondern auch gebaut.

1903 liefert ein Norweger den ersten Beitrag auf dem Weg zum Turbostrahltriebwerk, er liefert das Wort „Turbo“, nämlich die Gasturbine. Sein Name ist Aegidius Elling, er wird 1861 in Oslo geboren und arbeitet nach dem Studium am Christina Technicum 1881 hauptsächlich auf dem Gebiet der Schiffsdampfturbinen in Schweden und in Norwegen. Schon 1884 lässt er ein erstes Gasturbinenpatent registrieren, es ist allerdings nicht funktionsfähig, wie er selber auch zugibt. Die nächsten 19 Jahre von Elling liegen im Dunklen, dann aber kommt ein großer Tag: am 27.Juni 1903 schreibt Jens William Aegidius Elling in sein Tagebuch:

„Ich habe jetzt die erste Gasturbine der Welt geschaffen, die positive Energie geleistet hat.“

Aegidius Elling (1861-1949)

Auf diesem Foto sieht man die Versuchsanordnung von Ellings Gasturbine von 1903, so wie man sie heute noch im Norwegischen Technischen Museum in Oslo besichtigen kann. Auf dem Foto in der Mitte die Zentripetalturbine, links und rechts sechs Radialverdichter.

Diese Arbeiten des Aegidius Elling sind außerhalb von Norwegen seinerzeit nicht bekannt geworden. Erst in den 60er Jahren schreibt Prof.Dag Johnson einen Artikel (in norwegisch) über Elling und schickt ihn an Frank Whittle in England. Als dann die englische Version vorliegt, schreibt Whittle:

„… ich habe den Bericht über Aegidius Ellings Arbeit mit großem Interesse gelesen und bin sehr beeindruckt von dem Ausmaß, mit dem er spätere Ereignisse vorausgeahnt hat. Mein Eindruck ist, wären das Material und die aerodynamischen Kenntnisse, die später mir zur Verfügung standen, Elling bekannt gewesen, hätten wir die Gasturbine 20-30 Jahre früher gehabt. Unglücklicherweise hatte er das Pech, viele Jahre seiner Zeit voraus gewesen zu sein, wie es so oft mit großen Erfindungen passiert.

Whittle“

Das erste Turbostrahltriebwerk läuft erst Anfang 1937, 34 Jahre nach Ellings erfolgreichem Gasturbinenlauf.

2.3 Die ersten Triebwerksideen

Die allerersten Ideen, ein Strahltriebwerk zu entwerfen, liegen sicherlich im Dunkel der Geschichte. Kurz vor 1910 tauchen dann die ersten Vorschläge in Form von Artikeln in Fachzeitschriften und in Form von Patentanmeldungen auf. Mehrere Franzosen machen den Anfang.

1908 meldet René Lorin ein Patent an, das einen Kolbenmotor zeigt, dessen Abgase in langen Einzeldüsen den Druck in Geschwindigkeit umwandeln und somit Schub erzeugen. Wenn das Ansaugen der Luft mittels des nockengesteuerten Ventils ebenfalls durch die lange Düse erfolgt, dann findet in jeder Düse eine hin- und hergehende Strömung statt, was die Frage aufwirft, ob dabei überhaupt ein Schub entsteht.

1909 meldet M.Georges Marconnet ein Patent an, das mehrere Lösungen zeigt. Die Fig.1 zeigt ein Triebwerk mit Einlauf 2, Verdichter 1 und Brenner 4, die erhitzte Druckluft wird über eine Zwischenkammer 6 in die Düse 8 geleitet, wo sie Schub erzeugt. Die Fig. 2 zeigt eine ähnliche Anordnung, wobei hier die erhitzte Druckluft noch mittels eines Flügelrades 9 in intermittierende Ströme zerhackt wird, bevor diese dann über 10 und 11 in die Düse 8 gelangen. Wie allerdings Verdichter und Flügelrad angetrieben werden, ist den Skizzen nicht zu entnehmen.

1913 arbeitet der oben schon erwähnte René Lorin weiter an der Idee eines Strahltriebwerks und meldet neue Ideen zum Patent an. Die Abb.8 und 10 sind reine Staustrahltriebwerke mit unterschiedlichen Düsen, während Abb. 7 und 9 mit dem Gebläse G die Kompression der Luft durchführen, wobei auch hier noch nicht gezeigt wird, wie diese Gebläse angetrieben werden. Diese Vorschläge sind wiedermal unvollständig und höchst skizzenhaft.

2.4 Der erste Strahlflug von Henri Coanda

1910 taucht ein Name auf, der heute noch der Luftfahrtwelt geläufig, damals aber völlig unbekannt ist. Auch das Land aus dem er kommt, hat bis dato mit Luftfahrt nichts am Hut. Der Mann heißt Henri Coanda und kommt aus Rumänien. Auf der Luftfahrtausstellung von 1910 in Paris stellt er ein fertiges Flugzeug aus, das die Fachwelt verblüfft, weil es keinen Propeller besitzt.

Coandas Flugapparat ist ein Doppeldecker mit extrem schlankem Rumpf und einem Motor ohne Propeller.

Das Plakat der Ausstellung betont dieses Novum: Seuls Aeroplanes sans Hélices heißt : einzige Flugzeuge ohne Propeller. Ein Foto aus den Tagen der Ausstellung zeigt (unten rechts) das Flugzeug im Hintergrund und neben den Personen auf einem Podest einen Teil des Motors. Schemenhaft kann man lesen: Turbine Propulsive 50 hp.

Das Plakat

Der Motor

Im Mai 1911 erhält Coanda in der Schweiz ein Patent über einen Antrieb (Propulseur) ohne Propeller. Es darf vermutet werden, dass es sich um den Motor seines Flugapparates vom Vorjahr handelt. Es ist ein Radialverdichter, der die komprimierte Luft, die er vorne ansaugt (hier also von oben), über eine ringförmige Düse nach hinten (hier also nach unten) ausstößt.

Henri Coanda

(1886-1972)

Es folgt der Originalbericht von Henri Coanda über einen Flug mit diesem Flugzeug :

„Es war am 10. Dezember 1910. Ich hatte nicht die Absicht, an diesem Tag zu fliegen. Ich plante, den Betrieb des Düsenmotors nahe am Boden zu überprüfen, aber die Hitze des Düsenstrahls, der zu mir zurückkam war größer, als ich erwartet hatte und ich befürchtete, das Flugzeug in Brand zu setzen. Deshalb konzentrierte ich mich darauf, die Düse richtig einzustellen und bemerkte überhaupt nicht, dass das Flugzeug schnell an Geschwindigkeit gewann. Dann schaute ich auf und sah die Mauern von Paris schnell näher kommen. Es blieb keine Zeit mehr, zu stoppen oder umzukehren und ich entschloss mich, es auszuprobieren und stattdessen zu fliegen. Unglücklicherweise hatte ich keine Erfahrung im Fliegen und wusste nicht genau, wie man die Schalthebel im Flugzeug bediente. Die Maschine machte einen kurzen Steilflug und landete dann mit einem heftigen Ruck. Erst schlug der linke Flügel auf dem Boden auf und dann zerschellte die Maschine auf dem Boden. Ich war nicht angeschnallt und wurde deshalb glücklicherweise aus der brennenden Maschine geschleudert.“

Es ist der erste Strahlflug der Luftfahrtgeschichte! Aber noch kein Turbostrahlflug, der kommt am 27.8.1939

2.5 Das Patent des Maxime Guillaume

Es wird oft zitiert, allerdings nur von versierten Historikern: das Patent No 534.801 des Franzosen Maxime Guillaume, angemeldet am 3.Mai 1921, erteilt am 13.Januar 1922 und veröffentlicht am 3.April 1922. Es trägt den Titel „Propulseur par réaction sur l’air“ (Antrieb durch Reaktion auf Luft), wobei sicherlich mit Reaktion die Kraft gemeint ist, die nach dem alten Prinzip Actio=Reactio entsteht, im deutschen wird dabei vom Impulssatz gesprochen.

Maxime Guillaume wird 1888 in der Region Le Berry in Frankreich geboren. Er studiert allgemeine Ingenieurwissenschaften an der Nationalen Schule von „Arts et Métiers“ (Kunst und Handwerk) in Paris. Gleich nach dem Studium schreibt er sein berühmtes Patent und widmet sich dann der Landwirtschaft und geht nach Marokko und wird Direktor und Inspektor der Plantagen und Bodenwiederherstellung des Gebiets von Safi. 1970 erscheint sein Buch "Der Boden macht das Klima" (LE SOL FAIT LE CLIMAT). Er wird zweimal als Ritter geehrt, sein Sterbedatum ist unbekannt.

Der Titel der Patentschrift

Das einzige bekannte Foto von Maxime Guillaume

Die Abbildung aus der Patentschrift zeigt eindeutig eine Gasturbine, bestehend aus einem Verdichter, einer Brennkammer und einer Turbine. Die Einzelteile werden zum Teil detailliert beschrieben :

Verdichter und Turbine sitzen auf einer gemeinsamen Welle

Die Stufen in Verdichter und Turbine bestehen jeweils aus Laufschaufeln und Leitschaufeln

In der Brennkammer wird durch Verbrennung von Benzin Energie zugeführt

Die Verbrennungsanlage besteht aus einem druckbeaufschlagtem Benzintank, einem Benzinhahn, einem Regler, Füllstutzen, Leitungen und einem Ventil

Es gibt eine elektrische Anlage mit Magnetzünder und Zündkerze

Es gibt einen Starter: eine Handkurbel, die über ein Zahnradgetriebe die Welle dreht (es gibt einen Freilauf, die Kurbel dreht bei höheren Drehzahlen nicht mit)

Die Welle ist an den Enden in Kugellagern in einem Lagergehäuse gelagert

Zur vollständigen Beschreibung einer funktionsfähigen Gasturbine fehlen allerdings :

Eine Beschreibung der Führung des Gasstromes vor dem Verdichter (gemeinhin Einlauf genannt)

Eine Beschreibung der Führung des Gasstromes hinter der Turbine (gemeinhin Düse genannt)

Maxime Guillaume macht sich die Beschreibung des Schubes seiner Erfindung sehr einfach, er konstatiert einfach, dass er mit seiner Gasturbine eine Kraft, einen Vortrieb erzeugt. Er erwähnt nicht, dass diese Kraft natürlich in Richtung der Fluggeschwindigkeit gerichtet sein muss (denn wenn er Pech hat, ergibt sein Kreisprozess, dass die Energie hinter der Turbine so schwach ist, dass die Düsengeschwindigkeit unter der Fluggeschwindigkeit liegt und das Aggregat einen Widerstand, einen negativen Schub erzeugt).

Guillaumes Beschreibung der Kraft seiner Erfindung. Guillaume müsste die Begriffe Kreisprozess, Einlauf, Eintrittsimpuls, Düse, Austrittsimpuls und Nettoschub erwähnen, aber er kennt sie nicht.

...Verluste aller Naturen und erhalten die Kraft des gewünschten Vortriebs durch Reaktion auf die Luft, welche gebildet wird durch die Summe der Kräfte herrührend vom Ansaugen der Luft vor dem Kompressor und dem Ausstoß der Luft hinter der Turbine.

Fazit : Dieses Patent des Maxime Guillaume ist noch kein vollständiges Turbostrahl - triebwerk! Erst mit einem Einlauf und einer Düse würde es ein funktionsfähiges Turbostrahl - triebwerk darstellen.

Die Handkurbel von Guillaumes Triebwerk lässt erahnen, dass der Erfinder noch keine rechte Vorstellung von einem Turbostrahltriebwerk hat. Die Leistung eines Menschen würde ein solches Triebwerk niemals auf höhere Drehzahlen bringen. Die gleiche Anzahl von Verdichterstufen und Turbinenstufen ist aus heutiger Sicht auch wirklichkeitsfern, gebaute Triebwerke können mit einer Turbinenstufe 5-10 Verdichterstufen antreiben (Ausnahme sind die Fans mit höherem Bypassverhältnis).

2.6 Der Stern Report

Im Jahr 1919 wird vom neugegründeten Luftfahrtministerium (Air Ministry) in England ein Report in Auftrag gegeben an den Direktor des South Kensington Laboratory Dr.W.J.Stern. Er soll die Möglichkeiten eines hypothetischen Triebwerks mit einer Gasturbine von 1000 hp (etwa 1000 PS) abschätzen. Der Bericht erscheint im September 1920 und trägt den Titel : ARC Engine Subcommittee Report No 54 „The Internal Combustion Turbine“, Price 2 Shillings.

Stern basiert alle seine Berechnungen und Annahmen auf dem Stand der Technik von 1920. So nimmt er als höchste Gastemperatur 500 °C an, für den Turbinenrotor nimmt er Bronze als Material und in der Brennkammer verwendet er Gusseisen. Bei der Annahme von Komponentenwirkungsgraden nimmt er an :…..ein Verdichtungswirkungsgrad von 60-65 % kann nur bei niedrigen Geschwindigkeiten erreicht werden, was zu massigen Rotoren führt. Ein Wirkungsgrad von 70% kann nur in Großanlagen realisiert werden mit wohl ausgelegten Zwischenkühlern zwischen den Stufen.“

Als Resultat seiner Arbeit schreibt Stern : „In einem Entwurf für Flugzeuge würde das Gewicht einer 1000 hp Anlage mit ungefähr 10 lb/hp herauskommen, mit einem Kraftstoffverbrauch von 1,5 lb pro hp und Stunde.“

Das heißt: die 1000 hp Gasturbine würde 10.000 lb (4536 kg) wiegen und pro Stunde 1500 lb (680 kg) Kraftstoff verbrauchen. Dieses Resultat ist eine gute Nachricht für die Hersteller aller konventionellen Kolbenmotoren für Flugzeuge. Die Internal Combustion Turbine ist als Konkurrenz so schlecht, dass man sie nicht weiter oder näher zu betrachten braucht.

Die Kolbenmotoren der Zeit liegen im Gewicht unter 1.7 kg/hp und im Verbrauch unter 200 g/hp/hr. Das ergibt für einen 1000 hp Motor ein Gewicht von 1700 kg und einen Verbrauch von 200 kg/hr. Die Werte der späteren Flugtriebwerke Heinkel He S 3 B und Whittle W1 zeigen dann, dass Stern mit dem Gewicht um eine Größenordnung zu hoch liegt, beim Kraftstoffverbrauch aber fast richtig.

Der Stern Report im Vergleich

Dieser Stern Report wird im Air Ministry wohl verwahrt, aber nie fortgeführt, also nie auf neuesten Stand gebracht. Stern hat ja auch keinerlei Aussagen gemacht über die Zukunft der Materialien und Wirkungsgrade. Als der Stern Report 1929 aus dem Archiv geholt wird, um die Arbeit eines Frank Whittle zu beurteilen, ist er um 9 Jahre veraltet.

2.7 Das Buch des Aurel Stodola

Prof. Aurel Boreslav Stodola (1859 - 1942)

Der Titel eines der ersten Bücher von Stodola aus dem Jahr 1906. Von 1905 bis 1927 erscheinen 6 Auflagen in 5 Sprachen, das Werk mit über 1000 Seiten wird zur Bibel aller Dampf- und Gasturbineningenieure

Sir Frank Whittle kennt das Stodola Buch. Sein Sohn Ian Whittle schreibt :„My father certainly had Stodolas relevant books. After he died, amongst much else, I gave his copy of the 1927 Stodola book to the IMechE in London. He (my father) studied the fundamentals of steam turbine technology as a school boy (probably when he was 15 years old” (Das war dann 1922). Die Nernst Turbine taucht sogar in Whittles Buch “Gas Turbine Aero Thermodynamics“ auf (unten die linke Skizze).

Dr. Hans von Ohain kennt das Stodola Buch, denn dort findet er die Nernst Turbine, die zum Ausgangspunkt seiner Erfindungen wird (unten die rechte Skizze).

Die Nernst Turbine, links im Whittle Buch, rechts im Stodola Buch

Sir Stanley Hooker, der spätere Chef von Rolls-Royce und Bristol Engines, beginnt seine Karriere mit der Lektüre von Stodolas Buch, denn er hat am Anfang keine Ahnung von Superchargern und Radialverdichtern. Er schreibt :

“I had never even seen a supercharger, and had no idea how it managed to compress air by centrifugal action. I rushed to the library and borrowed two books, The internal Combustion Engine, by D.R.Pye and Stodola’s great work on Steam Turbines.”

Diese unglaublich einfache Idee des Walther Nernst (Nobelpreisträger 1920 für den 3.Hauptsatz der Thermodynamik) wird zum Ausgangspunkt der Erfindungen von Hans von Ohain und Frank Whittle und der Karriere des Stanley Hooker!

2.8 Alan Arnold Griffith

Dr. Alan Arnold G|riffith (1893-1963)

Alan Arnold Griffith gehört in den innersten Kreis der Strahltriebwerkspioniere, ein vollständiges Triebwerk hat er aber erst nach 1939 bei Roll-Royce gebaut. Seine großer Verdienst liegt in der Entwicklung von Verdichtern und Turbinen, er ist der erste, der die Gasturbine mit Propeller als Flugzeugantrieb vorschlägt. Die Chance seines Lebens ist ein Treffen mit Frank Whittle 1929, der seine Erfindung vorträgt und von Griffith abgelehnt wird. Whittle muss danach bis 1936 warten, bis er mit seiner Idee weiterkommt, Griffith macht sogar eine Pause bis 1938.

Nach dem Studium des Maschinenbaus und der Promotion an der Universität von Liverpool beginnt Griffith 1916 seine Laufbahn am Royal Aircraft Establishment (kurz RAE, eine Forschungseinrichtung des Verteidigungsministeriums) und arbeitet fast 10 Jahre auf dem Gebiet der Metallurgie, der Materialermüdung und der Rissfortschreitung. Dann wechselt er komplett das Thema und schreibt im Juli 1926 ein Papier mit dem Titel "An Aerodynamic Theory of Turbine Design". Er zeigt auf, dass die schlechten Wirkungsgrade bisheriger axialer Verdichter und Turbinen (ca 60%) darauf zurückzuführen sind, dass diese im abgerissenen Zustand operieren. Er schlägt vor, die Schaufeln wie kleine Tragflügel auszubilden und (nach Messungen im Windkanal) als solche rechnerisch zu behandeln. Er prophezeit Wirkungsgrade bis 90% und schlussfolgert, dass mit solchen effizienten Verdichtern und Turbinen der Bau von Gasturbinen möglich sei, die ein Flugzeug mittels Propeller antreiben könnten.

Vor Griffith ist das Thema "Gasturbine für Flugzeuge" nur einmal abgehandelt worden: im Stern Report von 1920, oben bereits erwähnt. Sterns Papier wird noch 10 bis 15 Jahre später wie ein Katechismus hochgehalten, wenn dieses Thema von irgendwelchen Erfindern erwähnt wird.

Im Oktober 1926 präsentiert Griffith seine Idee einer Flugzeug-Gasturbine einem Komitee, das vom Air Ministry und dem Aeronautical Research Committee (mit Vertretern aus der Industrie und aus Universitäten) besteht. Am Ende des Tages wird vorgeschlagen, zuerst einmal Tests mit Komponenten durchzuführen. Ein stationäres Schaufelgitter und ein Modell einer Verdichter+Turbinenstufe von 10 cm Durchmesser werden bis 1929 erprobt und erzielen einen Spitzenwirkungsgrad von 91 %.

Sein erstes Ziel hat Griffith erreicht, dann aber bleibt er stecken. Bei seinen Rechnungen und Überlegungen über Axialverdichter meint er festzustellen, dass bei Betrieb außerhalb des Auslegungspunktes der Wirkungsgrad so schnell abfällt, dass eine Anwendung eines derartigen Axial-Verdichters unpraktisch und ineffizient sei. Griffith findet dann aber eine Lösung, das "Contraflow" - Triebwerk. Bei diesem besitzt jede Verdichterstufe ihre eigene Welle und Turbinenstufe. Am Ende des Verdichters wird die Strömung in der Brennkammer um 180° umgelenkt und strömt dann entgegen der Richtung des inneren Verdichter (daher die Bezeichnung contraflow) durch die Turbinenstufen, die außen auf den Verdichterstufen sitzen. Das vermeintliche Problem der Wirkungsgrade in der Teillast hat Griffith damit gelöst, aber um den Preis einer Komplexität, die diese Bauart später scheitern lässt.

Das Contraflow-Triebwerk, die Welle für den Propeller fehlt

1929 schreibt Griffith einen zweiten Report betitelt "The present position of the internal combustion turbine as a powerplant for aircraft". Er stellt das Contraflow-Triebwerk vor (als Gasturbine mit Propeller) und vertritt die Meinung, dass es dem Kolbentriebwerk in wesentlichen Punkten überlegen sei. Nach 9 Jahren sei der Stern-Report damit als überholt anzusehen.

Ende 1929 kommt es zum historischen Treffen zwischen Whittle und Griffith. Das Urteil von Griffith lautet totale Ablehnung. Griffith findet einen größeren Fehler in den Berechnungen von Whittle und ist generell gegen das Prinzip des reinen Strahls. Dabei kann aber angenommen werden, dass Griffith die Berechnung der Schubkraft eines Düsenstrahls beherrscht hat, auch bei seiner eigenen Idee, aber er sieht zum Beispiel Probleme, wenn der Strahl auf den Rasen der Startbahn trifft. Zum Teil wiederholt Griffith die Argumente des Stern-Reports, obwohl sie sich auch gegen sein Propellertriebwerk richten. Warum er letzlich so entschieden Whittles Idee ablehnt, bleibt bis heute ein Rätsel. Whittle vermutet später eine Mischung aus Inkompetenz, professionellem Neid und intellektueller Unehrlichkeit.

Anfang 1930 tagt das Aeronautical Research Committee erneut und begutachtet die durchgeführten Versuche und den neuen Report von Griffith. Das abschließende Urteil ist bestenfalls lauwarm zu nennen: die Überlegenheit über das Kolbentriebwerk wird nicht gesehen und es wird dem Air Ministry nicht empfohlen, für die Entwicklung dieses Triebwerks größere Geldsummen auszugeben. Als Trostpflästerchen wird empfohlen, eine Testversion eines Contraflow-Verdichters zu testen und ebenfalls Versuche zum Thema Verbrennung durchzuführen.

Griffith ist von diesem Urteil derart entmutigt, dass er für 6 Jahre alle Arbeiten auf dem Sektor Gasturbine für Flugzeuge einstellt. Der vorgeschlagene Contraflow-Verdichter wird erst 1938 von der RAE entworfen, von Armstrong Siddeley gebaut und 1940 vom RAE mit wenig Erfolg getestet. Die Beschaufelung ist nicht gut und die Leckagen zwischen den einzelnen Stufen sind höher als erwartet.

Im Juni 1939 geht Griffith zu Rolls-Royce und kann dort aus dem Vollen schöpfen, hier sind mehr Expertise, mehr Geld und mehr Vorwärtsdrang vorhanden. In den nächsten Jahren wirkt Griffith bei der Entwicklung der Triebwerke Avon, Conway, RB-108 und bei den Programmen Ziviler Senkrechstart und Überschall mit. 1960 geht er in den Ruhestand und stirbt nur 3 Jahre später.

2.9 Frank Whittle

Sir Frank Whittle (1907-1996)

Frank Whittle ist der englische Erfinder des Turbostrahltriebwerks, ihm gebührt der Ruhm, das erste Patent eines Turbostrahltriebwerks angemeldet zu haben, das die Vortriebskraft mit dem Strahl und nicht mit einem Propeller erzielt (Anmeldetag: 16.1.1930). Der Pilot und RAF Offizier Frank Whittle ist 1930 seiner Zeit um mindestens 5 Jahre voraus, keiner versteht ihn, keiner kann die erforderlichen Materialien zur Verfügung stellen, keiner gibt ihm Geld. Er muss lange warten und lange kämpfen. Sein Patent verfällt Ende 1933, sein erstes Triebwerk läuft erst am 12.4.1937, fast zeitgleich mit dem ersten Triebwerk des deutschen Erfinders Hans von Ohain. Das Rennen um den ersten Flug eines Turbostrahlflugzeuges gewinnen die Deutschen, am 27.8.1939 fliegt die Heinkel He 178. Die englische Gloster/Whittle E.28/39 hebt erst anderthalb Jahre später am 15.5.1941 ab.

Frank Whittle beginnt seine berufliche Laufbahn 1926 am RAF College in Cranwell. Er ist 19 und will Pilot werden. Nach 3 Jahren darf er fliegen, er ist ein guter Pilot, aber auch undiszipliniert. 1928 muss er sich auch schriftlich beweisen, seine erste Arbeit beschäftigt sich mit "Chemistry in the Service of the RAF". Seine 2. Arbeit lautet: "Future Developments in Aircraft Design" und beschäftigt sich mit dem Hochgeschwindigkeitsflug in großen Höhen. Er geht weit über den Stand der Technik hinaus: die Jäger der RAF fliegen 150 mph (241 km/h) schnell und erreichen Höhen von 20000 feet (6096 m), Whittle denkt an 500 mph (805 km/h) in viel größeren Höhen. Wie viele andere, die in den nächsten Jahren über schnellere Flugzeuge nachdenken, kommt er zu dem Schluss, dass der Kolbenmotor mit Propeller diesen Anforderungen nicht mehr genügt. Als alternative Antriebe kommen Raketenantrieb und die Gasturbine in Frage, die letztere allerdings nur in Verbindung mit einem klassischen Propeller. Die Gasturbine ist zu dieser Zeit aber nur als hochgewichtige stationäre Maschine bekannt, eine Anwendung für Flugzeuge wurde von Stern 1920 und von Griffith 1926 zwar schon zweimal angedacht, konnte aber das Gewichtsproblem auch nicht ansatzweise lösen.

Ende 1929 wird Whittle in die Central Flying School in Wittering versetzt. Er wird zum Fluglehrer ausgebildet und findet nebenbei Zeit, über den Antrieb seines schnellen Höhenflugzeuges weiter nachzudenken. Und geht in Gedanken den Weg, den auch andere finden : er beginnt mit dem bekannten Kolbenmotor, der bekanntermaßen in der Höhe deutlich an Leistung verliert, er addiert einen Höhenlader, also einen Vorverdichter, der vom Motor angetrieben wird, und er installiert beide Aggregate in einer Gondel, die wie heutige Triebwerksgondeln einen Einlauf und eine Düse besitzt. Seine Rechnungen zeigen, dass die Vortriebskraft des Strahls in der Düse durch die Wärmeentwicklung des Kolbenmotors nicht ausreicht, durch zusätzliche Verbrennung von Kraftstoff vor dem Austritt aus der Düse aber gesteigert werden kann. Das Resultat ist ein schweres Gerät mit exzessivem Kraftstoffverbrauch. Auch der Italiener Campini wird 10 Jahre später zu diesem Ergebnis kommen, geht den Weg aber zu Ende und baut und fliegt diesen Antrieb in einem speziellen Flugzeug.

Frank Whittle ist mit den Früchten seiner Überlegungen noch nicht so recht zufrieden. Und dann fällt der Penny, wie er später einmal erwähnt, er ersetzt den Kolbenmotor durch eine Turbine, die wiederum den Verdichter treibt und ordnet die Kraftstoffverbrennung vor dieser Turbine an. Seine Nachrechnungen zeigen ihm, dass dieser Antrieb mit Strahl allen anderen Konzepten weit überlegen ist. Einen Propeller braucht sein Strahltriebwerk nicht mehr.

Der Geniestreich ist getan, die Erfindung ist fertig.

Das alles entscheidende Detail dieser Erfindung ist die Erzeugung der Vortriebskraft, des Schubes, mittels des Düsenstrahles, ganz korrekt: durch die Differenz von Austrittsimpuls und Eintrittsimpuls, ohne Zuhilfenahme eines Propellers. Nur diese Anordnung verdient den Namen Strahltriebwerk (jet engine). Whittle hat diesen Endpunkt einer ganzen Gedankenkaskade gefunden, und von Ohain und Wagner haben ihn auch gefunden, nur Griffith klebt am Propeller. Unbegreifbar, dass er seine Propellerturbine rechnen kann und diesen letzten Schritt nicht findet. Oder nicht gehen will oder Gründe dagegen findet. Wir werden es nie erfahren.

Frank Whittle hat nur Wochen (oder vielleicht nur einen Nachmittag?) gebraucht, um seine Erfindung zu machen. Und dann beginnt für ihn die alte Erfahrung, dass eine Erfindung zu 1% aus Inspiration und zu 99% aus Transpiration besteht. Er offenbart seine große Idee zuerst Kameraden, einer davon ist Patentexperte, dann einem Vorgesetzten, dann dem örtlichen Kommandanten. Alle sind tief beeindruckt und helfen ihm sofort weiter. Der Kommandant schickt Whittle ins Air Ministry und dort wird er weitergereicht zu Dr.A.A.Griffith, der als Experte gilt und der auch schon eine Erfindung im Kopf hat. Ende 1929 sitzen sich Whittle und Griffith gegenüber.

Beide wollen die Gasturbine zum Flugzeugantrieb benutzen. Whittle hat die Idee des reinen Strahltriebwerks, die Vortriebskraft entsteht einzig und allein durch den Strahl in der Düse. Griffiths Idee hingegen beinhaltet noch den Propeller. Das Urteil von Griffith ist strikte Ablehnung. Griffith findet einen größeren Fehler in den Berechnungen von Whittle (und Whittle findet Tage später einen zweiten Fehler, der den ersten praktisch neutralisiert) und ist generell gegen das Prinzip des reinen Strahls. So sieht er zum Beispiel Probleme, wenn der Strahl beim Start auf den Rasen der Startbahn trifft. Griffith sieht nicht, dass ein Propeller in größeren Höhen und vor allem bei größeren Geschwindigkeiten schnell Leistung verliert, der Strahl aber nicht. Griffith sieht den erhöhten Kraftstoffverbrauch beim Strahltriebwerk, übersieht aber das geringere Gewicht, die große Einfachheit in der Bauweise und das niedrige Vibrationsniveau, immer im Vergleich mit dem Kolbenmotor. Griffith sieht auch nicht, dass die Zukunft bessere Wirkungsgrade und bessere Materialien bringen wird.

Die Frage, was passiert wäre, hätte Griffith ein posives Urteil abgegeben, ist zwar hypothetisch, wurde aber mal so beantwortet: die Einfachheit des Whittle Triebwerks hätte deutlich weniger Gelder gebraucht, um einen Prototyp zu bauen, da hätte das Air Ministry schon helfen können. Und Griffiths Propellertriebwerk hätte auch besser ausgesehen und vielleicht schnellere Förderung erhalten. Andererseits gibt Whittle sehr viel später zu, dass sein Triebwerk 1930 einfach um etliche Jahre zu früh dran war.

Kurze Zeit nach seinem Treffen mit Griffith im Luftfahrtministerium erhält Frank Whittle, wohl Anfang 1930 einen Brief des Ministeriums mit folgendem Inhalt: „