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Ein historischer Roman aus den Zeiten der Völkerwanderung.
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Seitenzahl: 667
Veröffentlichungsjahr: 2012
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Jetta
Adolf Hausrath
Inhalt:
Adolf Hausrath – Biografie und Bibliografie
Jetta
Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
Sechszehntes Kapitel.
Siebzehntes Kapitel.
Achtzehntes Kapitel.
Neunzehntes Kapitel.
Zwanzigstes Kapitel.
Einundzwanzigstes Kapitel.
Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Vierundzwanzigstes Kapitel
Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Achtundzwanzigstes Kapitel
Neunundzwanzigstes Kapitel.
Dreißigstes Kapitel
Einunddreißigstes Kapitel.
Jetta, Adolf Hausrath
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849627287
www.jazzybee-verlag.de
Protest. Theolog, geb. 13. Jan. 1837 in Karlsruhe, wo sein Vater August H. (gest. 1847) ein angesehener Prediger und im Verein mit Zittel und Schellenberg Führer der liberalen Partei war. Verstorben am 2. August 1909 in Heidelberg. Wurde 1861 Vikar und Privatdozent in Heidelberg, 1864 Assessor im evangelischen Oberkirchenrat zu Karlsruhe, 1867 außerordentlicher, 1872 ordentlicher Professor der Theologie in Heidelberg. Unter seinen Schriften sind zu nennen: »Neutestamentliche Zeitgeschichte« (Heidelb. 1868–77, 4 Tle., in 2. u. 3. Aufl.), woraus sein Werk »Der Apostel Paulus« (2. Aufl. 1872) einen Ausschnitt bildet; »Religiöse Reden und Betrachtungen« (2. Aufl., Leipz. 1882); »David Friedrich Strauß und die Theologie seiner Zeit« (Heidelb. 1877–78, 2 Bde.); »Kleine Schriften religionsgeschichtlichen Inhalts« (Leipz. 1883); »Arnold von Brescia« (das. 1891); »Peter Abälard, ein Lebensbild« (das. 1893); »Martin Luthers Romfahrt« (Berl. 1893); »Die Arnoldisten« (Leipz. 1895); »Aleander und Luther auf dem Reichstage zu Worms« (Berl. 1897); »Alte Bekannte. Gedächtnisblätter«, I: Zur Erinnerung an Julius Jolly (Leipz. 1899), II: Zur Erinnerung an Heinrich von Treitschke (das. 1901), III: Erinnerungen an Gelehrte und Künstler der badischen Heimat (das. 1902); »Richard Rothe und seine Freunde« (Bd. 1, Berl. 1902); »Luthers Leben« (Bd. 1, das. 1904). Unter dem Pseudonym George Taylor erschienen von ihm die historischen Romane: »Antinous« (Leipz. 1880, 6. Aufl. 1886); »Klytia« (das. 1883. 6. Aufl. 1894); »Jetta« (das. 1884) und »Elfriede« (das. 1885); unter seinem eignen Namen: »Unter dem Katalpenbaum« (das. 1899); »Pater Maternus« (das. 1898); »Potamiäna« (3. Aufl., Stuttg. 1901); »Die Albigenserin« (Leipz. 1902).
Seit die Geschichte spielte, die wir erzählen wollen, sind über anderthalb Jahrtausende verflossen. Neckar und Rhein hießen damals Nicer und Rhenus. Dem Nicer war soeben schwere Unbill widerfahren; Kaiser Valentinianus beschuldigte den alamannischen Strom, daß er mit seinem gewaltigen Wellenschlage die Fundamente des römischen Bollwerks vor Alta Ripa unterwasche. Darum hatte er ihn aus seinem alten Bette geworfen und ihm ein neues gegraben. Nicht wo er gewohnt war, sondern wo der Alleinherrscher es gebot, mußte Nicer fließen. Wie wird der bärtige Rhenus mit dem schilfbekränzten Haupte sich gewundert haben, als sein Genosse an der gewohnten Stelle plötzlich ausblieb, um dann an ganz anderem Platze seine dunkelgrüne Welle mit den blaßgrünen Wogen des größeren Stromes zu vereinigen. Im Winter und Frühjahr, wenn Hochwasser eintrat, schwoll dem kleinen Flußgott freilich gewaltig der Kamm. Im Sommer aber verrieth der Strom, der das am meisten idyllische Thal Germaniens durchzog, keine dieser Launen. Aus tausend schimmernden Augen glänzend zog er friedlich zwischen großen Granitblöcken und gelben Sandbänken dahin und spiegelte an ruhigeren Stellen, gleich der glatten Fläche eines Sees, das stille Bild der Berge und Wälder wieder. An seinem Thalausgange thronte zur Linken der bewaldete Mons Valentiniani mit dem römischen Wartthurm, zur Rechten der Mons Piri, nach dem wilden Birnbaum so genannt, der weithin sichtbar den kahlen Rücken krönte. Zwischen diesen Bergriesen, die wie ein Pylonenpaar den Eingang zum heiligen Wodanwalde hüteten, trat der liebliche Fluß, behaglich sein Bett verbreiternd, in die grüne Ebene des Rhenus hinaus. Einige hundert Schritte unterhalb des Thalausgangs hatte der siegreiche Imperator die alte römische Jochbrücke wieder hergestellt und ein befestigtes Lager, ein Sperrfort würden wir sagen, errichtet, um die an der Brücke sich kreuzenden Straßen zu hüten und zu sorgen, daß das Thal nicht zum Ausfallthore für die Alamannen werde.
Auf der schnurgeraden Hochstraße, die westlich vom Mons Piri die grüne Ebene durchschnitt, war ein reges Leben der römischen Reiter und der zweirädrigen Ochsenkarren der Colonen, die zwischen dem neubefestigten Lopodunum und dem römischen Standquartier den Verkehr vermittelten. Die Maiensonne brannte grimmig auf dem Kiescemente des hohen Wegdamms, der sich zwischen den Ablaufgräben hinzog, von keinem Baume, keiner Mauer beschattet, nur daß von Zeit zu Zeit ein Meilenzeiger, der die Entfernung von Lopodunum angab, oder ein kleines Stationsgebäude einen dunkeln Strich über die blendend weiße Straße warf. Den Kriegern, die die Sonne Africas und Syriens braun gebrannt, mochte diese Gluth behaglich sein, nachdem ihnen die deutschen Winterstürme lang genug den Helmbusch gezaust hatten. Mindern Dank verdiente sich die Maiensonne bei zwei christlichen Wandrern alamannischer Zunge, die barhäuptig hinter zwei hochbepackten Maulthieren und ihrem halbnackten Führer einherschritten. Den Aelteren, eine hagere Gestalt in weißem Untergewande und Ueberwurf, bezeichnete das gestickte Kreuz am Mantelende als Bischof. Der Jüngere, mit dem verwilderten blonden Haupte, der nur mit einem groben dunkeln Mantel seine Blöße deckte, schien einer jener Mönche zu sein, die auch im Abendlande überall auftauchten, seit der Zeit, da der heilige Athanasius etliche Begleiter dieser Art in sein Exil nach Gallien mitgebracht hatte. Dem Bischof wurde schließlich der Trab der munteren Maulthiere zu eilig und ermüdet ließ er sich auf einem Steine nieder, den in früheren Tagen ein Curator der Straßen den Göttern der Doppelwege, Dreiwege und Kreuzwege gesetzt hatte. "Nun, Bruder Vulfilaich", sprach er, "ich hoffe, du zürnest uns nicht mehr wegen der Täuschung, die sich der Diakon mit dir erlaubte. Aser glaubte, du brächtest Kirchengefäße und heilige Gewänder, deren unsere arme, von den Alamannen zehnmal geplünderte Basilica zu Lopodunum sehr bedarf, darum beschwatzte er dich, in unserer Stadt auszusteigen. Wie konnte er auch denken, daß ein Mönch Waffen und weltliches Geräthe in seinen Bündeln birgt?"
"Ich zürne nicht, ehrwürdiger Vater Anaklet, aber mich kränkt, daß ein Diener der heiligen Kirche die Unwahrheit redete und mich täuschte gleich den Kindern der Welt. Hätte ich ihn nicht gefragt, so wäre ich in meinem Schiffe nun längst im Lager."
"Ich werde ihm eine Kirchenbuße auferlegen für seine Lüge, aber du selbst, wie kommst du dazu, dieses Rüstzeug der Welt einem Heiden nachzuführen?"
"Der Heide ist mein Bruder, dem Fleische nach."
"Der gewaltige Alamanne Rothari ist dein Bruder?" fragte der Bischof ungläubig und dieser Gedanke belebte ihn so, daß er aufsprang und wieder den Maulthieren folgte, die inzwischen einen beträchtlichen Vorsprung gewonnen hatten.
"Wie arm und dürftig ich heute vor dir stehe", begann der junge Alamanne, "bin ich dennoch ein Königssohn, der noch vor wenig Jahren brennend und sengend durch Galliens Städte die Römer schreckte. Mein Vater, König Vadomar, ward von Cäsar Julian gefangen und schlug dann im fernen Osten die Schlachten Roms. Wir Söhne, vier an der Zahl, Vithikab, Fraomar, Rothari und ich führten den Krieg weiter und ich denke mit Glück. Ihr zittertet oft genug vor des bleichen Vithikab's Schlachtruf. Dann aber kam Streit und Mißtrauen und Bruderfehde, die uns trennte, und euch zu gut kam." Der junge Mönch schwieg und schien in schmerzliche Erinnerungen zu versinken, der Bischof aber fragte salbungsvoll: "Es war wohl der alte Kampf um mein und dein, der euch entzweite?" Vulfilaich nickte nachdenklich mit dem wirren blonden Haupte, dann fuhr er fort: "Aus dem fernen Syrien kam die Nachricht von des Vaters Tod. Der Aelteste der Sippe sollte nach Recht und Herkommen zwischen den Söhnen die Habe theilen. Aber er war ein untreuer Mann. Er begünstigte den König und Rothari schädigte er, denn er haßte meinen Bruder, der ihn um eines getödteten Knechtes willen gepfändet hatte. So theilte er ungerecht und der böse Satan verblendete mich also, daß ich nahm, was nicht mein war. Rothari, der Schöne, Treue warf mir einen langen, traurigen Blick zu, den ich nicht vergessen werde in meiner Todesstunde, schwang sich auf's Roß und ritt zu den Römern. Seitdem wich das Glück von unserem Stamme. Vithikab, der König, ward von einem Diener ermordet, den der Augustus bestochen hatte. Wir verloren Schlacht auf Schlacht und mußten sogar unsere unrecht erworbenen Schätze in dem festen Ringe auf dem höchsten Gipfel des Taunusgebirges bergen. Bekümmert und traurig gingen mein Bruder Fraomar und ich einher und wir fühlten, wie unsere Achtung sich mindre im Volke. Als es zur Königswahl kam, wählten die Edlen Macrian. Fraomar ward darüber verbittert und hielt im Geheimen zu den Römern. Wie gebrandmarkt ging er einher und nur wenige mochten mit ihm zu thun haben. Am schlimmsten war es mir ergangen. Du weißt, wie im letzten Jahre des Königs Vithikab unsere Jugend den gefrorenen Rhenus überschritt und Mogontiacum ausräumte."
Der Bischof machte mit der Hand eine Gebärde des Abscheus.
"Auf eisigen Schneefeldern zogen wir dahin und schlichen leise wie die Wölfe über den gefrornen Strom. Wir hatten fast das andere Ufer erreicht und alles stürzte eilig dem Lande zu, da brach ich ein und konnte mich nicht emporarbeiten. So oft ich mich nach oben schwingen wollte, brach das Eis auf's neue. In meinem Ohre aber hörte ich deutlich das höhnische Lachen des Nix, der unter der Eisdecke saß und wenn sie brach jedesmal sagte: ›so brachest du dem Bruder die Treue.‹ Endlich ward ich starr, nur noch lose hing ich an meinen krampfigen Armen. Da kamen etliche Nachzügler. Sie zogen mich heraus und schleiften mich nach dem Ufer. Dort aber ließen sie mich im Schneefeld liegen, denn sie sorgten, zu spät zu kommen zur Beute."
"Große Sünde ward dir erspart", sagte der Bischof salbungsvoll. "Du weißt, wie die Deinen, das Fest der Erscheinung nicht achtend, die Basiliken umstellten und alle Heiligen, die zum Theile vom Lande hereingeströmt waren, abführten in die Knechtschaft, wie sie ruchlos die Kirchen des Herrn plünderten und mit den Kelchen des Heiligthums sündige Gelage feierten. Preise den Herrn, mein Bruder, der dich herausgerissen hat gleich einem Brand aus dem Feuer."
"Im Feuer lag ich, ehrwürdiger Vater. In Fiebergluthen fand ich mich auf einem Wagen der Unsern, als ich wieder zu mir kam. Den ganzen Winter war ich krank. Zwei Zehen waren mir abgefroren. Als die Sonne wieder wärmer schien, meinte ich zu genesen. Aber noch viel schwerere Züchtigung hatte mir der Herr verhängt zur Strafe, daß ich seine Kirche hatte plündern wollen. Er hatte mir einen Satansengel zugesellt, der mich mit Fäusten schlägt. Von Zeit zu Zeit kommt er über mich. Meine Glieder sind dann wie zerrissen. Ich rase und tobe und erst nach langem Schlafe komme ich wieder zu mir. Mit meinem Volke ging es unter Macrian's Führung wieder empor und Fraomar ward verjagt, als ihn die Römer zum Könige einsetzen wollten. Mich konnten sie im Kriege nicht mehr brauchen und wollten mich auch nicht, da meine Brüder zu den Römern hielten. So lungerte ich im Walde, lebte der Jagd und geleitete Fremde um Sold, wie auch andere Edelinge thun in unserem Grenzlande. Als ich so eines Tages ausritt, traf ich am Wege sitzend den Diakonen Benedictus, der mit Empfehlungen des Königs Gundomad zu Macrian wollte, ob ihm erlaubt sei, die Christen zu besuchen, die in den Thälern des Taunusgebirges wohnen. Er hatte sich den Fuß verletzt und bat mich, ich möchte ihn auf meinem Rosse nach Aquä Mattiacä bringen. Was er mir dafür geben wolle? fragte ich ihn gierig. Er sagte, den irdischen Preis solle ich bestimmen, dazu wolle er für meine Seele beten. Da lachte ich, half ihm auf mein Roß und führte ihn nach seiner Stadt. Als wir schieden, forderte ich einen unziemlichen Preis. Der ehrwürdige Greis sah mich mit einem sanften Blicke an, gab mir, was ich verlangte, dann noch zwei Hände voll dazu und fragte, ob ich noch mehr wolle? Ich starrte ihn an, ob er wahnsinnig sei? Er aber sprach: ›Du bist noch jung, möge der Herr dich erleuchten, daß du lernest, wie auch die glänzendste Erde nichts ist als Schmutz.‹ Als ich das Geld einsteckte, war mir, als ob ich es heimlich gestohlen hätte. Alle Freude daran war mir hinweggenommen. Ich kam bis vor das Thor. Dann fiel mir ein, wie habsüchtig ich damals gegen meinen liebsten Bruder gehandelt, wie ich ihn verloren und wie ich seitdem weder Glück noch Stern mehr gehabt und ich mußte weinen und weinen und was ich auch thun mochte, die Thränen ließen sich nicht stillen. Da wendete ich mein Roß und sprengte zurück zu dem heiligen Manne und traf ihn vor dem Hause sitzend, wo ich ihn verlassen. Ich sprang vom Pferde, trat vor ihn, ihn anzureden wagte ich kaum, ich reichte ihm nur sein Geld in meiner Tasche. ›Ich wußte, daß du kommen würdest‹, sprach er mild. ›Deine Augen sind hell und klar wie die goldbraunen Bergbäche des Mons Abnoba, der Böse konnte nur auf einen Augenblick dein Herr sein.‹ ›Heiliger Mann‹, erwiderte ich, ›der du mir das Herz im Busen umwenden konntest, schaffe, daß ich meinen Bruder wiederfinde, den ich verloren habe.‹ Auf sein Verlangen erzählte ich ihm meine Geschichte. ›Erst will ich dich mit dem Vater versöhnen‹, sagte er, ›dann mit dem Bruder.‹ So blieb ich bei ihm. Er lehrte mich Gott kennen und seinen Sohn und die lieben Heiligen. Nach langer Prüfung ließ er mich dann zur Taufe zu."
Der Bischof nickte befriedigt mit dem Haupte, dann fragte er: "Und hat es dich nie zurückverlangt aus diesem schlichten Kleide nach der Pracht und den Freuden der Königshalle?"
"Nach den Freuden nie, ehrwürdiger Vater. Die Erinnerung an sie ist mir wie der Geruch des geleerten Bechers am Tage nach dem Gelage. Aber mit der Erinnerung an Kampf und große Thaten versucht mich der böse Feind zuweilen. Noch greift meine Hand nach jeder Waffe, die ich sehe und ich vergesse schwer, daß ich ein Krieger war."
"Lebtest du so still und thatlos bei Benedictus?"
"Viele Wochen begleitete ich den heiligen Mann und diente ihm zur Stütze auf seinen Wanderungen zwischen Mönus und Nicer. Ich lernte, wie man Frauen und Kindern predigt und Helden schreckt mit den Waffen unseres Gottes, aber innerlich hatte ich keine Ruhe, ehe ich mir den Bruder wieder versöhnt und mein großes Unrecht gesühnt hätte. Deßhalb entließ mich Benedictus.
Ich stieg nach dem Ringe auf der Höhe des Mons Taunus hinauf und nahm alles, was an Schätzen von Rothari's Antheil auf mich gefallen und das Meine dazu und schaffte es nach dem Rhenus hinab, dort lud ich es auf einen Kahn und fuhr stromaufwärts. Zu Mogontiacum traf ich den Diakonen, der mich bat, ihn bis Lopodunum mitzunehmen. Das Weitere weißt du. Ich hätte meine Fracht nicht nach Lopodunum hinaufgeschafft, hätte er mir nicht vorgeredet, das Haus des Comes Arator, wo Rothari wohne, sei leichter von euerer Stadt als vom Lager aus zu erreichen."
"Nun, meine Maulthiere haben, denke ich, Afer's fromme Lüge wieder gut gemacht und ich selbst gebe dir zu Arator's Villa das Geleite. Bist du aber auch gewillt, unter dem Dache eines Ungläubigen zu herbergen?"
"Wie soll ich sie bekehren, wenn ich nicht bei ihnen herberge? Hat der Apostel nicht das Gleiche gethan?"
"Wohl, wohl, mein Sohn, aber dieses Haus ist mehr als eine Hütte der Galater, es ist der Tempel Bileam's, die Höhle von Endor, der Palast des Simon Magus und Elymas, es ist der götzendienerischen Jesabel Laube zu Thyatira."
"Du sprichst in Räthseln, mein Vater."
"So wisset, sagte der Bischof in gedämpftem Tone, indem er einige Schritte hinter dem Maulthiertreiber zurückblieb, "daß Arator's Tochter Zauberei treibt. Weit und breit ist kein Weib in den Künsten der Magie so bewandert wie sie. Jeden Vollmond übt sie ihr teuflisches Wesen und gläubige Sklaven sahen sie in tiefer Nacht mit geschlossenen Augen im Mondlichte wandeln, sie schritt auf den höchsten Mauern und Zinnen dahin, ohne zu schwindeln und kehrte auf den unbegreiflichsten Wegen nach ihrer Stube zurück."
Der junge Mönch erbleichte und starrte mit weit aufgerissenen Augen den Bischof an. "Und hast du sie nie beschworen, mein Vater, sie nie mit geweihtem Wasser besprengt, ihr nie in's Gewissen geredet?"
"Gerne hätte ich ihr den Dämon ausgetrieben, aber die Heuchler haben es nicht zugelassen. Ihr Vater ist ungläubig und ein mächtiger Mann. Da müssen wir wohl schweigen zu allen Gräueln, zumal die Kaiserin Justina des Mädchens innige Freundin ist und das Gerücht geht, sie selbst habe Arator's Tochter in der Magie unterwiesen."
"Aber die Kaiserin ist doch getauft. Warum excommunicirst du sie nicht?"
"Die Kaiserin excommuniciren? Bist du wahnwitzig? Was denkst du junger Thor? Sie ist ja die einzige Stütze der Sache des Areios."
"Des Areios!" – rief der junge Mönch entsetzt. "Also ein Arianer bist du?" und er schlug ein Kreuz. "Also darum bin ich bei euch in ein solches Netz von Lügen und Täuschungen gerathen? Nun wundert mich nicht mehr, was ich unter euch erlebte."
"Hüte deine Zunge, du vom Teufel besessener Knabe oder ich werfe dir deine ganze heidnische Ladung auf die Straße und kehre mit meinen Maulthieren nach Lopodunum heim. Wie willst du, junger Fant, über die höchsten Geheimnisse des Glaubens urtheilen?"
"Mein geistlicher Vater Benedictus", sagte der junge Vulfilaich ruhig, "hat mir verboten, mit Arianern zu verkehren, mit ihnen zu wandern auf dem Wege, mit ihnen zu reden auf der Straße, mit ihnen zu essen an einem Tische, mit ihnen zu beten zu einem Gotte, mit ihnen zu wohnen unter einem Dache." Das Auge des alten Bischofs schoß Blitze. Einen Augenblick wollte er seinen Vorsatz ausführen und den Maulthiertreiber abladen lassen. Aber die Thiere waren zu weit voraus, um ihrer sofort habhaft zu werden, auch bedachte der Hochwürdige, daß es der Bruder des mächtigen Rothari sei, der also mit ihm redete.
"Du bist der Ruthe zu frühe entlaufen, junger Alamanne", sagte er kalt. "Wäre ich nicht gewohnt, Böses mit Gutem zu vergelten, so ließe ich dich hier mit deinen Bündeln sitzen, die die Soldaten dir schon erleichtern würden. So leihe ich dir die Thiere bis zu Arator's Haus. Dein zartes Gewissen aber will ich nicht weiter mit meiner Gesellschaft beschweren."
Ohne Gruß kehrte er um und der junge Mönch ließ ihn ziehen ohne Abschied. "So jemand zu euch kommt", sagte er vor sich hin, "und bringet diese Lehre, den nehmet nicht zu Hause auf und grüßet ihn auch nicht. Denn wer ihn grüßet, der macht sich theilhaftig seiner bösen Werke." Doppelt hastig schritt er auf der heißen und staubigen Straße vorwärts, bis der Maulthiertreiber nach einem Hause an dem blühenden Abhange des Mons Piri deutete mit dem Bemerken, dieses sei Arator's Villa. Durch eine weite Wiesenfläche von der staubigen Hochstraße getrennt, lag das Haus, das der junge Vulfilaich suchte, hart am Fuße des Berges. Malerisch hoben sich die blüthenweißen Vorhügel des zweikuppigen Gebirgsstockes ab von den schwarzgrünen Föhrenwäldern darüber. Da, wo der Abhang am sonnigsten sich hinbreitete, hatte der Comes Arator sich und seiner Tochter Jetta einen anmuthigen Wohnsitz geschaffen. Hinter blühenden Bäumen und grün umsponnenen Rebgängen erhob sich das neue Gebäude, dessen weiße Wände in vornehmer Einfachheit durch die Büsche glänzten. Der Lärm der Straße mit ihren militärischen Lastwagen, der Hufschlag der Rosse, das Knarren der rinderbespannten Karren der Colonen drang nur gedämpft zu diesem Eiland, das wohlgepflegte Blumenbeete und dunkle Lauben umgaben. Aber keiner der jungen Krieger, die die Straße ritten, vergaß nach dem Garten hinaufzuschauen, ob etwa zwischen den blühenden Büschen eine hohe weibliche Gestalt sich zeige und nur den Schein ihres weißen Gewandes von ferne erblickt zu haben, galt ihm für Glück. Von der großen Straße sich abzweigend, führte ein sauber mit Flußkies bestreuter Weg durch grüne Matten nach der Villa hinüber. Aber mit ganz anderen Gefühlen als jene Krieger lenkte der junge Mönch in diesen Weg nun ein. Indem er nach der höchsten Zinne des vor ihm liegenden Hauses schaute, dachte er, welch schauerliches Bild es sein müsse, wenn das verruchte Zauberweib im Mondenscheine auf dieser Kante hingehe und er wunderte sich, daß noch kein gläubiger Bruder durch sein Gebet die Dämonen gezwungen, sie loszulassen, so daß sie am Boden zerschellte, wie einst Simon Magus durch Petrus' Gebet bei ähnlicher teuflischer Himmelfahrt sein Ende fand. Der Maulthiertreiber hielt und Bulfilaich mußte zur Schwelle treten, um zu klopfen. Lateinische Runen waren auf dem Steinfließe angebracht, die Vulfilaich mühsam entzifferte. Zuvor schlug er das Kreuz. Aber die Worte klangen ganz ehrbar: "Sei gegrüßt, der du kommst mit aufrichtigem Herzen!" "Auch der Satan nimmt die Gestalt des Engels des Lichtes an" sprach der Mönch in sich hinein und ließ den metallnen Hammer auf das Thor niederfallen. Ein junger Krieger öffnete ihm. Vulfilaich sah in ein gutmüthiges alamannisches Gesicht mit blonden Haaren und freundlichen blauen Augen. "Du bist wohl fehl gegangen", sagte der Diener, des Mönches christlichen Gruß zurückgebend. "Die hier wohnen, sind Heiden."
"Nicht ihre Gastfreundschaft begehre ich", sagte der Mönch. "Ich soll diese Ladung an den Alamannen Rothari bestellen, der hier, wie ich hörte, herbergt."
"Den edlen Rothari erwartet mein Herr, du kannst die Bündel in seine Zimmer tragen, doch wissen wir nicht, ob er heute noch eintrifft. Soll ich dir helfen? Bin doch auch ich ein Christ und ein Alamanne. Hier nennen sie mich freilich Lupicinus."
"Nicht viel anders würden sie meinen Namen Vulfilaich auch übersetzen", lächelte der Mönch, "also, Genosse, nimm diesen Bündel, aber Vorsicht, so, und nun diesen." Behutsam setzten die beiden jungen Männer die klirrende Last am Boden nieder. Die Maulthiere, ihrer Bürde ledig, schüttelten sich fröhlich und kehrten in raschem Trab mit ihrem Führer nach der Straße zurück, während Vulfilaich und Lupicinus Rothari's Schätze nach dessen Gemächern trugen. In geräumiger Stube, die ihr Licht vom Atrium her empfing, packte der junge Mönch die Bündel aus, wobei ihm sein Genosse bereitwillig an die Hand ging. "Stellen wir die Sachen gleich auf", sagte der Mönch, "damit Rothari sofort eine Freude habe, wenn er euer Haus betritt." Flugs kamen nun aus den entrollten Säcken germanische und römische Waffen, silberne Krüge und Schüsseln, kostbare Spangen und Kleinodien aller Art zum Vorschein. Der biedere Lupicinus riß die Augen weit auf bei dieser Pracht und dem Triebe mittheilsamer Jugend folgend, waren die beiden Alamannen bald in einem lebhaften Austausche. Auch der junge Mönch ward bei dem Anblick der alten Beutestücke plötzlich ein Anderer. Seine Augen blitzten und ein lebhaftes Roth färbte seine bleichen Wangen. Freudig erzählte er dem hülfreichen Genossen, wie jedes dieser Beutestücke in den Besitz seiner Familie gekommen sei. "Diesen Becher habe ich selbst von Lugdunum zurückgebracht, als wir vor elf Jahren Gallien plünderten. Das war eine lustige Zeit", rief der junge Alamanne, der sein Mönchsgewand ganz vergessen hatte beim Anblick seines besten Beutestücks. "Es war mein erster Kriegszug", rief er, "und welcher Krieg! Die Römer waren uneinig; war Julian, der eine Feldherr, eingeschlossen, so hatte der Andere, Barbatio, die größte Freude daran und ließ uns immer wissen, wie wir Julian am leichtesten treffen könnten. Als wir unsere Beute in Sicherheit hatten, wollte Julian uns über den Rhenus verfolgen, aber Barbatio verbrannte ihm die Schiffe, daß er nicht herüber konnte. Selbst den Proviant schüttete er in den Rhenus, ehe er abzog, damit Julian's Soldaten verhungern müßten. Mit solchen Feinden ist gut Krieg führen. Es sind eben Ungläubige, Frevler, Hoffärtige, Prahler, den Eltern ungehorsam, unvernünftig, treulos", setzte er dann ernst hinzu, seines Standes sich wieder erinnernd. "Diesen Schild", fuhr er fort, "hat der Verfolger der Kirche, Galerius, meinem Ahnherrn Bappo geschenkt, der der Führer seiner Leibwache war. Hier ist das Schwert eines tapferen Mannes, meines Großoheims, auf dessen nackten Leib Kaiser Constantin im Amphitheater zu Treveri die wilden Thiere hetzte. Möge es ihm nicht angerechnet werden an jenem Tage. Diese ehernen Krüge und krystallenen Becher, den ganzen Haufen von kostbaren Dingen, hat Rothari selbst erbeutet, als er Autosidurum stürmte. Es war ein gutes Jahr für unser Volk. Mogontiācum, Vorbetomăgus, Noviomăgus, Argentoratum, Breucomăgus, Tabernä und Saletio haben wir damals niedergebrannt, blinde Heiden, die wir waren."
"Aber diese silberne Taube, habt ihr die aus einer Kirche geraubt?" sagte Lupicinus kopfschüttelnd.
"Stille, stille", erwiderte leise der Mönch. "Sie gehört nicht mir, sonst hätte ich sie längst zurückgegeben. Sie stammt von Rando's Zug nach Mogontiacum. Es war auf das Fest der Epiphanien. Der Rhenus war fest gefroren, da zog Rando hinüber, während die ganze Gemeinde, das Landvolk mit inbegriffen, in der Basilica versammelt war. Mein Lehrer Benedictus erzählte mir, wie der Bischof gerade predigte von den drei Königen, die dem Himmelskönige huldigten im Namen aller Nationen der Erde und ihm Tribut brachten von allen Gaben, die ihm pflichtig seien. Da plötzlich erscholl der Schlachtruf der Alamannen auf allen Straßen. Die Kirchen wurden umstellt und alle guten Christen wurden als Knechte weggeführt, Mann, Weib und Kind. Ich denke, der Herr hat es zugelassen, damit sie den Samen des Evangeliums ausstreuen in unserem Volke. Die Häuser aber leerten die Unseren von oben bis unten. Die Beute war unermeßlich. Mir aber ward damals das Schwert aus der Hand geschlagen, ehe ich die Kirchen unseres Herrn geschändet." Er seufzte und das gleißende Gold schien ihn plötzlich nicht mehr zu erfreuen. Lupicinus aber schaute über all die glänzenden Stücke hin und fragte bedenklich: "Also Rothari, der hier wohnen will, machte alle diese Raubzüge mit?"
"Allen Andern war er stets voraus und schreckte bis tief hinein nach Gallien die Heere des Augustus."
"Da wundert mich nur", erwiderte nun Lupicinus, "daß dein Herr in unsere Reihen getreten ist und euch nun schreckt."
"Ich habe nur einen Herrn und habe die Schrecken der Menschen überwunden", sagte der junge Mönch, über den plötzlich eine ganz andere Stimmung gekommen zu sein schien. Lupicinus schaute ihn betroffen an, da er sich nicht erklären konnte, warum mit einem Male ein Ausdruck tiefer Niedergeschlagenheit das Antlitz des jungen Mannes überschatte. Aber er hatte keine Zeit weiter zu forschen, denn es wurde laut im Atrium. Ein kleiner Mann mit rothem Barte und scharf geschnittenem Raubvogelgesichte war eingetreten und wurde alsbald von zwei jungen Kriegern begrüßt, die ihn über den in Aussicht stehenden Besuch des germanischen Heerführers befragten, der sie keineswegs zu freuen schien.
"Still!" flüsterte Lupicinus dem Mönche zu. "Der Notar hat wieder gehorcht, ich sah ihn vorhin schon vorbeischleichen."
"Wer sind die Herrn?"
"Unholde Gesellen; der Dicke, der den Mund aufsperrt wie ein gesottener Fisch, ist Statius, ein Vetter meines Herrn. Der Kleine, der wie ein Alräunchen aussieht mit den dünnen Gliedern heißt Nasica und ist Arator gleichfalls verwandt, der dritte mit dem rothen Barte" ....
Weiter kam Lupicinus nicht, denn der Aelteste der drei, von dem er eben reden wollte, drehte sich um und rief mit barscher Stimme: "Was treibt ihr hier und schwatzt von den Heldenthaten der Alamannen?"
"Er hat uns belauscht", dachte Vulftlaich unwillig und schaute mit finsterer Miene zurück, aber er blickte in höhnische, abstoßende Züge. Ein kleiner, vornehm gekleideter Römer von etwa fünfzig Jahren, dessen magere Arme die Toga häßlich zerrten, stand vor ihm. An dem Manne war nichts schön als der rothe Bart, der unter der gewaltigen Römernase wohlgepflegt auf die Brust herabfiel. Ein feindselig in sich zusammengenommenes Selbstgefühl lag in seinem Angesicht und die schwarzen Augen stachen frech unter den rothen Wimpern hervor.
"Der Notar Syagrius", flüsterte Lupicinus, während dieser Vulftlaich mißtrauisch musterte. "Der Mann bringt das Eigenthum des edlen Rothari", sagte Lupicinus entschuldigend, "und wir sind im Begriff, alles an seinen Ort zu stellen."
"Da müßtet ihr es in die Paläste des Augustus durch ganz Gallien wieder vertheilen, wo es gestohlen ist," sagte der Notar scharf und ging mit einem höhnischen Lachen weiter, während die jüngeren Begleiter noch einen neugierigen Blick auf die ausgestellten Schätze zurückwarfen. "Vor dem hüte dich", sagte Lupicinus, als sie hinaus waren. "Der hat scharfe Zähne. Du bleibst doch hier? Ich will meine Zelle mit dir theilen."
"Ich habe an Bischof Ithacius einen Auftrag."
"An Ithacius, den Gottverhaßten, den Mörder, was hast du mit diesem Wolfe, dem Antichrist?"
"Also auch du bist von der Heerde des Arius?" erwiderte der junge Mönch finster. Lupicinus schwieg, aber er runzelte die Stirne. "Es ist mir verboten, mit euch Gemeinschaft zu haben", sagte Vulfilaich zögernd. "Melde Rothari, der dies gebracht, werde morgen wiederkehren. Dir aber wäre besser, du wärest nie zur Kirche getreten, als daß du ein so großes Heil verachtend es nun mit Füßen trittst. Willst du geheilt sein von deinen Irrthümern, so will ich wieder mit dir reden, deine Gastfreundschaft aber annehmen darf ich nicht", damit schritt er hinaus, während ihm Lupicinus verwundert nachschaute.
"Da helfe ich dem frommen Manne, seine Esel abladen, Maulesel, der ich selbst bin, und zum Danke lästert er meinen Glauben. Nun warte, auf des Salvius Rücken soll morgen alles abgezahlt werden, was du mir heute im Namen eueres Gottes angethan hast." Und er machte eine unmißverständliche Bewegung mit der Faust und ging hinaus an seine Arbeit.
Kling! kling! kling! tönte es hell durch den grünen Buchwald, der sich über die breiten Kuppen des Mons Piri hindehnte und der fröhliche Ton des Meißels schallte damals, als der gewaltige Augustus Valentinianus und sein jugendlicher Erbe Gratianus herrschten und Ambrosius von Mailand und Martin von Tours die größten Kirchenlichter des Abendlands waren, eben so hell und herzerfreuend durch den Maienwald, wie wenn heute in den tiefer gelegenen Sandsteinbrüchen fleißige Arbeiter die Steine behauen und dabei vom deutschen Kaiser reden. Damals aber ging der fröhliche Ton von wohl hundert Steinmetzen aus, die über die Lichtungen des Waldes vertheilt, leichtgeschürzt, ja zum Theile halbnackt, immer je zwei und zwei damit beschäftigt waren, die zu Tage stehenden Findlingsblöcke zu riesigen Quadern zuzuhauen, aus denen Kaiser Valentinian ein Kastell auf diesen Höhen zu bauen beabsichtigte. Das hämmerte und pochte und klimperte und musicirte so lustig durch die weißstämmigen Maienbuchen, daß die Vögel mit Staunen zuhörten und beschlossen, ihr Concert weiter rückwärts in den Wald zu verlegen, da man hier vor lauter Klingen und Klopfen seine eigene Stimme nicht mehr verstehe. Dem Klange von oben folgend stiegen zwei vornehme Krieger den geplatteten Weg hinan, der künstlich so geführt war, daß etwaige Angreifer nicht die Schildseite, sondern die offene Brust den Vertheidigern des Berges darbieten mußten. Von Zeit zu Zeit sich die Stirn trocknend von der Anstrengung des Steigens schritten sie rüstig zwischen den weißblühenden Brombeerhecken und den gelben Ginsterfahnen aufwärts. Der Aeltere war eine hohe fürstliche Gestalt mit ergrautem Haupthaar und stolzem Römerkopfe. Ueber dem reichvergoldeten Lederharnisch glänzte der rothe Soldatenmantel, auf der rechten Schulter durch eine goldene Spange in Gestalt eines Löwenhauptes eingehakt. Eine kostbare Agraffe strahlte an dem Gurt des kurzen Römerschwertes. Das war dem Geschmacke der Zeit entsprechend, mehr Schmuck und Farbe als das alte Rom einem Soldaten an der Grenze des Reichs würde gestattet haben. Aber die Haltung des alten Mannes selbst war von einfacher Hoheit. Das vornehme römische Antlitz verrieth durch eine energische Linie zwischen den Brauen den Feldherrn, der es verstand, mit dem Winke seiner Augen Legionen zu lenken und die festgeschlossenen Lippen kündeten den Staatsmann, der gelernt hatte, sich selbst zu beherrschen. In den Augen aber loderte ein geheimnißvolles Feuer, das der gemessenen Kälte des Ausdrucks widersprach. Um so 'einfacher war die germanische Hünengestalt neben ihm angethan. Der Mantel von Rauchwerk, über den der zurückgeschlagene Wolfshelm gleich einer Kapuze herabfiel, der feste Lederwamms und die schweren Soldatenschuhe mochten bei dieser Maienhitze wärmer sein als eben angenehm. Der Träger, eine hohe Jünglingsgestalt mit goldblondem Haare und lichten blauen Augen, schien das nicht zu empfinden und wenn er seinen Schritt anhielt und sich auf seine lange Lanze stützte, in die die Gedächtnißzeichen zahlreicher Schlachten eingeschnitten waren, so geschah es aus Rücksicht auf den neben ihm schreitenden altern Begleiter, dem das Reden beim Steigen oft schwer ward. Der greise Feldherr schaute dann dankbar den jungem Genossen an, denn der Germane hatte freundliche Augen, in die man gern sehen mochte. Ihm hatten die Götter des alamannischen Waldes nur liebliche Runen in's Antlitz geschrieben, kindliche Heiterkeit, die eine unverdorbene Jugend bedeutet und das mädchenhafte Farbenspiel des rasch bewegten Blutes, das ihm die Wange jungfräulich färbte, wenn er Widriges hörte, so daß ihn der Zorn nur verschönte, nicht verzerrte, wie manchen andern Mann.
"Verzeihe, edler Rothari", begann der Alte, "wenn ich den Gastfreund schelte, aber unvorsichtig war es, alle Beutestücke deiner Kriegszeit so offen in deiner Wohnung zur Schau zu stellen. Der Notar Syagrius sah sie und erfüllte meine jugendlichen Neffen mit Groll und Eifersucht auf den neuen Waffengefährten, der mit der Beute prunke, die er uns einst abgenommen."
"Die Götter mögen wissen, wie es zu dieser Ausstellung kam", erwiderte Rothari erröthend. "Ein Mönch soll die Dinge gebracht haben. Ich aber kenne keinen Mönch als etliche, die ich in voriger Woche zu Argentoratum auspeitschen ließ, weil sie Meuterei im Lager anstifteten. Uebrigens ist nur ein Theil dieser Beutestücke mein Eigenthum, das Meiste gehört meinen Brüdern. Ich stand wie verzaubert bei dem Anblick und dein Lupicinus, der Auskunft geben konnte, da er die Sachen in Empfang nahm, war im Dienst, so daß ich rathlos bin über den ganzen Vorfall. Doch denke ich, wenn ich jedem der Kameraden etwas davon verehre, werden sie sich geben."
"Nicht um sie ist's mir", erwiderte der Comes Arator. "Aber Syagrius schreibt Berichte nach Treveri und du kennst Valentinian's Argwohn. Noch stehst du fest in der Gnade des Augustus, aber sahen wir nicht die Festesten über kleinere Anlässe fallen?"
"Ich bin schon gefallen", sagte Rothari lächelnd. "Doch hat er mich vorläufig wieder an's Trockne gezogen."
"Wie so, wer entzweite euch? Sicher wieder die Christin Justina?"
"Nein, dieses Mal ist es seine andere Freundin, die braune Mica gewesen."
"Wer ist Mica?"
"Du kennst Mica nicht? Des Kaisers zottige Hofgenossin, in deren brünstiger Umarmung wohl dreißig brave Männer ihren Geist aushauchten?"
"Du redest in Räthseln."
"Mica, die wohlgepflegte, die unmittelbar unter den Fenstern des kaiserlichen Schlafgemachs gebettet war?"
"Es gab nie einen Mann von strengeren Sitten als Valentinian."
"Oh, streng sind sie schon diese Sitten, denn Mica ist eine Bärin."
"So ist es wahr, daß er die Verbrecher in den Bärenzwinger wirft?"
"Mich selbst hat er hinabgestoßen mit eigener Hand, zum Glück sammt meinem Schwerte und da war ich, denn so kühn, seine Freundin zu durchbohren."
"Unglaublich!"
"Ich hatte ihn beleidigt, wie er wenigstens meinte, und Bischof Ithacius von Ossonuba, derselbe, der auch jetzt wieder am Hofe ist, hetzte ihn, weil ich seine Taufe verschmähe. Da trug es sich zu, daß eines Morgens Valentinian's Streitroß scheute, als er aufsitzen wollte. Er behauptete: der Stallknecht habe es falsch gehalten und brüllte mir zu: ›Du schlägst dem Schurken die Hand ab.‹ Ich nahm den Mann bei Seite und sagte ihm, er solle sich in der Stille halten bis des Kaisers Zorn verraucht sei. Da erfuhr Valentinian durch seine Schranzen, daß ich seinen Befehl nicht ausgeführt hätte. Am Morgen stehe ich am Zwinger und füttere Mica, als plötzlich Valentinian an mich herantritt und fragt: ›Warum hast du dem Knechte die Hand nicht abgehauen?‹
›Weil Hände nicht wieder wachsen‹, erwiderte ich. Da tritt seine Zornesader blau aus der Stirne, seine schielenden Augen starren und ehe ich mich besinnen konnte, hat mich der Riese mit einem tückischen Stoße über die Mauer des Zwingers hinabgestürzt, wo ich unter Mica zu liegen kam, die sich brummend aufrichtete. Ich aber fasse mich rasch und stoße der Bärin das Schwert bis an den Knauf in die Rippen. ›Ein braver Stoß‹, höre ich nun oben Valentinian's Stimme rufen. Er reicht mir die Hand herab und will mich heraufziehen. ›Nicht eher‹, erwiderte ich, ›ehe ich auch der andern Bestie, die deinen Namen schändet, den Odem ausgeblasen.‹
›Ich will sie in die Wälder entlassen‹, sagt er gutmüthig. ›Komme nur herauf, ehe die Leute sehen, wie mein Dämon mich wieder überwältigt hat.‹ Und mit größter Mühe zieht er mich unter eigener Gefahr aus der Grube, bedeckt mein Angesicht mit Küssen und fleht mich an, ich solle ihm verzeihen."
"Ja, ja, das gleicht ihm, so ist er und alle seine Bischöfe und Heiligen haben seinen wilden Sinn nicht gebändigt. Ein sauberer Christ!"
"Christ ist er so wenig als ich oder du. Er erzählte uns einst bei einem Gelage, als er den Wein spürte, wie er schon als Gardetribun in den Geruch der Heiligkeit gekommen sei. Es war in Antiochien und bei der dortigen Hitze war er es furchtbar müde, mit dem göttersüchtigen Julian von einem Tempel zum andern zu laufen. Da führte sein böser Stern ihm einen Apollopriester in den Weg, der ihm in seinem Eifer das Weihwasser in Gesicht und Augen sprengte. Schon damals so grob und zornmüthig wie heute, gab er dem Priester eine Maulschelle. Natürlich zeterte alles über die Tempelschändung und Julian schickte ihn zur Strafe für solche Ungebühr auf ein Kastell nach Aegypten. Seitdem ehrten ihn die Bischöfe als Märtyrer und ihnen hat er zum Theil seine Erhebung zu danken. War er früher grob, so ist er jetzt grausam. Aber er läßt christliche Presbyter so gut auspeitschen wie heidnische Höflinge."
"Wie aber kamst du nach diesem Zusammenstoße zu der Sendung nach Rom?" "Ich glaubte Justina's Einfluß darin zu erkennen, der es Freude macht, mit weicher feiner Frauenhand zu entwirren, was der Männer trübe Leidenschaft zum Knoten schürzte. Am folgenden Tage lud man mich zur Tafel. Als ob ich der heilige Martinus wäre, den er am meisten fürchtet in Gallien und sie am meisten haßt, saß ich zwischen Kaiser und Kaiserin. Wie scherzend theilte Justina mir mit, ich solle eine Botschaft des Kaisers dem hohen Senate überbringen. Hauptsächlich aber müsse ich in Rom täglich zweimal über jedes Forum gehn. Der Anblick eines sieben Fuß hohen Germanen werde hinreichen, die Stadt der sieben Hügel im Gehorsam zu erhalten."
"Traue den süßen Worten nicht zu sehr und den schönen Augen. Sie ist aus Sizilien, der Sirenen Nachbarin."
"Nun, ich bin kein Cyklop und halte beide Augen offen. Mir schien vielmehr, daß ihn meine Gegenwart drücke nach dem häßlichen Vorfall. Hauptsächlich aber wollte er mir keine Legion anvertrauen im Kriege gegen mein Volk, weil er dem Alamannen nicht traute."
"Dir war es wohl lieb, nicht gegen die Deinen zu schlagen?"
"Ja und nein – ich beneide euch doch um den schönen Sieg, den ihr nun ohne mich erfochten."
"Es war ein hartes Stück Arbeit", sagte der Comes. "Sobald wir Vithikab's Tod erfahren hatten" ...
"Das heißt seine Ermordung durch euern Meuchler", unterbrach Rothari bitter und die helle Zornröthe flammte auf in seinem jugendlich schönen Angesichte.
"Die Gelegenheit bot sich", sagte der Comes, "und ich tadle nicht, daß Valentinian sie benützte."
Der Germane schaute finster zur Seite. "Er war dein Bruder, aber dein Feind", sagte Arator. "Doch sei es löblich oder tadelnswerth, mit einer Thatkraft, die wir alle bewunderten, benützte der Augustus die im Lager der Barbaren entstandene Verwirrung. Noch hatten sie keinen neuen König gewählt und schon verkündete der Rauch ihrer Dörfer und Hütten den Weg des Kriegsgotts. Vorsichtig gingen wir vom Rhenus her durch ihre Thäler und Berge vorwärts bis wir endlich bei Solicinium der ersten Feinde ansichtig wurden. Unsere Vorhut meldete, daß die Alamannen den Berg besetzt hielten, der sich wie ein Riegel quer vor das Thal des Nicer lege. Wir hatten keine Lust, solche Höhen zu stürmen und schlugen ein festes Lager. Jeder Theil wartete, daß der andere angreife. Droben lärmten die Barbaren, unten verübten die Unsern vielen Unfug und hielten schlechte Mannszucht. So lagen wir uns lang gegenüber, während die Alamannen uns höhnten und unsere Truppen aus Ungeduld bereits zu meutern begannen. Um nicht Schlimmeres zu erleben, entschloß sich Valentinian zur Schlacht. Comes Sebastianus sollte über die Hügel, die nördlich an die Stellung der Barbaren sich lehnten, den Feind angreifen. Die Legion der Iovianer sollte das Lager und den jugendlichen Augustus Gratian hüten, mit der Masse aber ging der Kaiser selbst gegen die festen Höhen vor, um den Angriff zu wagen, sobald Sebastianus den Feind im Rücken gefaßt hätte. Der Zugang, den die Leute vom Vortrab gesehen hatten, schien dem Imperator aber wenig günstig. Er selbst ritt darum mit seinem Kämmerer und wenigen Begleitern auf Kundschaft aus. Die Niederungen am Berge hin waren noch überschwemmt von dem Frühlingsregen; der Schilf stand mannshoch; da, als der Cäsar dem Berge schon ziemlich nahe gekommen ist, brechen plötzlich hier und dort die Alamannen aus dem Dickicht. Ein hünenhafter Krieger, den Scheitel mit feuerfarbenem Bande umwunden, fällt mit geschwungener Streitaxt dem Pferde des Kämmerers in die Zügel. Ihn mochte er für die beste Beute halten, da er des Kaisers von Steinen und Geschmeide strahlenden Goldhelm trug. An Widerstand war nicht zu denken. Valentinian warf sein Roß herum und jagte, so rasch er konnte, durch Schilf und Sumpf zu uns zurück. Die Flucht des Augustus war es, womit die Schlacht begann und sein Goldhelm, den jeder Soldat kannte und der unser Feldzeichen gewesen in zwanzig Schlachten, war verloren. Helm und Kämmerer sah kein Auge wieder. Auf's neue ward gezögert, gerastet und berathen. Aber bereits hatte Valentinian keine Wahl mehr. Das Heer hatte seine Flucht gesehen, er mußte schlagen und siegen, oder die Soldaten riefen Sebastianus zum Imperator aus. Er selbst ergriff also die goldene Kreuzstange mit dem purpurnen Wimpel, unter deren Zeichen wir fechten. Die Tuba ertönte und wie sie so von Nord und Süd und West Antwort erhielt und dieses Echo den Soldaten sagte, wie stark wir seien, wuchs den Unsern der Muth und den Barbaren sank er, denn von der Ebene und aus den Thälern hörten sie bald hier, bald dort das Schmettern der Drommete. Salvius, ein Scutarier und einer von den Gentilen, Lupicinus, derselbe, der nun in meinem Hause ist, hatten sich zum ersten Angriff erboten. Ihre Lanzen fröhlich schwingend zogen die wackern Knaben singend und jauchzend weit voraus und erstürmten den ersten Hohlweg. Alsbald tobte um jeden Felsblock der Kampf; durch die Hecken und Dornen brachen die Unsern sich Bahn, während die Barbaren von oben schlugen, stachen und warfen. Aber auf einen Alamannen kamen zehn Römer; von allen Seiten wachsen die Römerhelme aus den Büschen empor. Rechts und links sind die Barbaren überflügelt. Immer rascher dringen die Unsern vor, immer matter wird der Widerstand. Als wir die Höhe des Berges erreicht hatten, entsteht nochmals ein furchtbares Ringen. Die Schlacht stand und rechts und links sanken die Todten. Da brach endlich Comes Sebastianus, der auf weitem Umweg die Höhe gewonnen hatte, im Rücken der Feinde aus dem Walde und nun wandten die Barbaren sich heulend zur Flucht. Der ganze Troß, sammt Weibern und Kindern floh eilend abwärts und nach ihren breiten Rücken und blanken Beinen versendeten wir nunmehr von oben alle Geschosse, die noch vorhanden waren, o daß der Berg bis zum Flusse hinab besät war mit blutigen Leichen. Der Rest der wilden Schaar aber verschwand, als wäre sie nie gewesen, in den Wäldern."
"Das also war der Sieg", sagte Rothari, "den Ausonius feiert in seiner Mosella:
"In vereintem Triumph erschauete Vater und Sohn sie, Als sie die Feinde verjagt über Nicer und Lopodunum Und die Quelle des Ister, die Roms Annalen nicht kennen. Jüngst des beendeten Kriegs kam dieser Bericht mit dem Lorbeer."
"Aber solltest du glauben, daß dieser Sieg innerlich Valentinian nur wenig freut, ja, daß er mit stechendem Unmuth an diesen Tag zurückdenkt, so daß man desselben gar nicht erwähnen darf in seiner Gegenwart?"
"Seltsam!" "Die Kaiserin selbst hat es meiner Tochter anvertraut. Er sieht im Geiste sich stets auf der Flucht vor dem alamannischen Häuptling und vor Allem der Helm ist es, dessen Verlust ihn stachelt. Justina aber hört nicht auf, ihn daran zu erinnern. Du weißt, wie abergläubisch sie ist. In allen ihren Träumen erscheint ihr dieses Symbol der augusteischen Herrschaft. Bald trägt ein alamannischer Krieger den Helm und verspottet Valentinian darin vor dem ganzen Heere. Bald sieht sie ihn in der Halle eines Gaukönigs prangen und wenn die Feinde sich berauscht haben in Meth und Gerste setzt Einer nach dem Andern den Kopfschmuck des Alleinherrschers auf sein trunkenes Haupt. Meine Tochter sagt, Justina habe sich auch weissagen lassen, das Omen bedeute einen baldigen Kaiser germanischer Abkunft. Ich lachte, als ich es hörte, aber bei ihr ist der Helm zur fixen Idee geworden. Auch Valentinian wird keinen ehrlichen Frieden schließen mit den Alamannen, ehe sie seinen Helm ihm ausgeliefert haben."
"Das wird schwer halten", sagte Rothari, "der Krieger mit dem rothen Bande war kein Anderer als Rando."
"Weißt du, wohin er die Beute brachte?" fragte der Comes eifrig. Aber Rothari schwieg. Der Jüngling schien in tiefes Sinnen versunken. Nach einer Weile sagte er dann: "Ich wäre gern nach Treveri zurückgekehrt, um mich mit dem Augustus zu verständigen, aber am Mons Brisiacus fand ich die Weisung vor, die Befestigungen am Rhenus zu prüfen und gute Beziehungen mit den Alamannen zu pflegen. Valentinian liege alles daran, daß noch ein Jahr Friede bleibe. Mir war das unlieb. Ich fechte ohne Bedenken gegen das Volk, das mich vertrieb, aber Hinhalten und belügen will ich sie nicht. Ist es wahr, was man mir zu Vindonissa erzählte, der Kaiser wolle die gesammte Ebene an der Biegung des Rhenus und hier am Einfluß des Nicer wieder zum Reiche ziehn?"
Arator deutete nach den Wartthürmen, die vor und hinter ihnen auf den Bergen sich erhoben. "Es ist schon geschehen und ich lobe es. Seit der Grenzwall durchbrochen und aufgegeben ward, begann ein endloser Rückzug. Erst hinter dem Rhenus wähnten wir uns sicher. Aber für die alamannischen Wölfe ist der Rhenus im Sommer seicht genug, um ihn zu durchwaten, im Winter fest genug, um ihn zu überschreiten. Immer und immer wieder ergossen sie sich über Gallien, du kennst ja selbst die Wege, du unser alter Feind!" Rothari lächelte, aber der Andere fuhr eifrig fort. "Als vollends dein Vetter Rando am Epiphanienfeste in Mogontiacum eindrang und die ganze versammelte Gemeinde in der Basilica abfing und als Sclaven wegführte, da entschieden auch die Bischöfe, es müßten auf dieser Seite des Rhenus wieder Wartthürme und Kastelle errichtet werden, damit die Gemeinden in Sicherheit das Wort vernehmen könnten. Mit dieser Aufgabe hat der Augustus mich betraut. Das Lager da unten, Novus Vicus und Lopodunum selbst würden nicht sicher sein, wenn wir nicht diese Höhe befestigen."
"Das ist gegen die Verträge", sagte der Alamanne trocken.
"Die Verträge mit den Barbaren haben Rom nie etwas anderes als Waffenstillstand bedeutet. Ehe unsere Adler wieder auf dem Grenzwall aufgepflanzt sind und der Mons Taunus wieder des Reiches Grenze heißt, keinen Frieden mit Macrian!"
"Du weißt, daß Macrian's Sohn aus Mogontiacum entfloh?" sagte Rothari lächelnd.
"Entfloh?" rief Arator erschrocken. – "Dann wahre der Schuldige sein Haupt vor Valentinian's Zorn."
"Gestern erhielt ich die sichere Botschaft. Ein Germane führte sich mit kaiserlicher Vollmacht bei den Geiseln ein, um sie nach der Sitte unseres Landes in den Waffen zu unterweisen. Kein Geringerer als Comes Merobaudes hatte ihm die Erlaubniß dazu erwirkt, aber schon am folgenden Tage war der Fremde und mit ihm Macrian's Sohn verschwunden. Wie das möglich wurde, ist bis jetzt vollkommen dunkel. Der Knabe fehlte beim Frühmahl und keine Marter konnte die übrigen Jünglinge bestimmen, das Geheimniß dieser Flucht zu verrathen, obwohl Merobaudes sie peitschen ließ bis auf's Blut, die armen Opfer ihrer Treue."
"Schlimm, schlimm", rief Arator. "Das bedeutet Krieg und wir brauchen den Frieden."
"So lang Macrian", tröstete der junge Germane, "seinen Tribut bekommt, wird er den Frieden halten."
"Rom zahlt keinen Tribut", erwiderte der Comes scharf, indem er das Haupt zurückwarf, "es gibt den Barbaren Geschenke."
"Die diese sich holen, falls sie ausbleiben", erwiderte Rothari gleichmüthig.
Der Comes schaute ihn fest an, als wollte er tief in seiner Seele lesen, aber der junge Krieger hielt den Blick aus. "Ich habe mit Gratian Blutbrüderschaft getrunken", sagte er, "das bindet mich auch an seinen Vater. Selbst gegen Volk und Sippe will ich euch Treue wahren, wie es dem Germanen ziemt. Haltet nur auch ihr nicht wieder Hinterlist und Treubruch für das beste Mittel mit den Alamannen fertig zu werden." Unter solchen Gesprächen waren die beiden Männer auf der vorderen Kuppe des Berges angekommen, wo eine weite Aussicht sich aufthat. "Sieh da den Vater der Flüsse, den Rhenus!" rief Rothari freudig aus, "den Germanen und Römern gleich heilig!" In der That war es ein bezauberndes Bild, das sich vor den Augen der beiden Krieger aufthat. Zu ihren Füßen breitete sich bis zu den fernen dämmernden Bergen die grüne Ebene hin und in den sammtenen Teppich zeichnete der schlangenartig gewundene Nicer seine silbernen Arabesken. Am Horizont sah man deutlich den Eintritt des Flusses in den Rhenus, der als glänzender Silberstreif aus der dämmernden blauen Ferne seine blitzenden Strahlen herübersendete, mit seinem hellen Bande bald langgestreckte, bewaldete Inseln umfassend, bald zur Rechten, bald zur Linken von glänzenden breiten Altwassern oder weiten schwarzen Föhrenwäldern umgeben.
"Was ist das für eine Kuppel, die so hell vom Rhenus dort herüberstrahlt?" fragte Rothari.
"Kennst du die ›vergoldete Zinne nicht in der Mitte des Palastes und die bleierne Brustwehr‹, die Symmachus in seiner Rede feiert?"
"Ach, Alta Ripa", rief der Germane. "Wie scharf sich das Munimentum von dem dahinter fließenden hellen Strome scheidet! Aber wie heißt die Stadt hier mit der Brücke, das ist wohl Noviomagus?"
"Ganz recht, die Stadt der Nemeter. Am hellen Tage kann man die Schiffbrücke sehen, die Valentinian geschlagen und mit einem Damme belegt hat. Auch den Hafen siehst du zur Linken, in dem die geschnäbelten Wachtschiffe sich bergen. Hier dagegen nach Norden, wo der blaue Bergrücken sich in seiner Linie vom Himmel abzeichnet, liegt Borbetomagus, die Stadt der Vangiones. ." Von der Ferne kehrte das ermüdete Auge der beiden Krieger zu dem schönen Panorama unter ihren Füßen zurück. "Dieses hier ist meine Villa", sagte der Comes und er deutete nach dem letzten Hause des Novus Vicus, der sich mit seinen Gärten und Obstbäumen hart am Abhange hinbreitete, so daß man in die offenen Viridarien und Peristyle der Häuser hineinzusehen vermochte. Dem Dorfe auf dieser Seite des Flusses entsprach auf der andern ein langer Streifen ärmlicher Häuser und hölzerner Hütten, die die Brücke mit dem diesseitigen Lager verband. Von dieser strahlte ein Stern geradliniger Straßen hinaus nach den benachbarten Römerstädten. Die Ebene war zum Theile wieder bebaut und der baufällige Zustand der Villen und Gehöfte, die hier und dort herüberglänzten, verbarg sich auf diese Entfernung dem Auge.
"Ein gesegnetes Land", rief Rothari aus, "es verlohnt sich um dasselbe zu kämpfen. Wie eine geschmückte Tänzerin, gekleidet in grüne und blaue Gewänder, mit blinkenden Bändern von Silber und Stahl, steht die Landschaft zwischen uns und euch, was Wunders, daß Alamannen und Römer sich um sie raufen. Ich wollte der Gau wäre mein, daß ich all' die Städte wieder bauen könnte, die wir in den letzten zwanzig Jahren verbrannten."
Damit wendete er sich wieder dem Wege nach der Höhe zu, der hier durch einen hohen Wall versperrt ward. "Der alte Ring der Alamannen", sagte Arator, indem er sich anschickte, zwischen den weißblühenden Brombeerhecken hindurch das Steingeröll zu erklimmen, das in der Sonne glühte. Das barbarische Bollwerk war aus großen Blöcken geschichtet, deren Fugen mit kleinen Steinen ausgefüllt waren, und lief als Brustwehr um die ganze Höhe des Bergs. Weiter oben wurde ein engerer Ring sichtbar, der gleichfalls beide Gipfel des Bergstocks einschloß. "Hierher versammelten die Alamannen ihr ganzes Volk mit Kindern, Weibern und Heerden, als der letzte Krieg begann."
"Es muß schwer gewesen sein, diese Schanzen zu stürmen", sagte der Germane.
"Sie räumten sie selbst, nachdem sie überflügelt waren und ich beklage, daß unsere Vorhut trotz meines Verbots gegen ihre Weiber und Kinder arg gewüthet hat."
Die Erinnerung war dem greisen Feldherrn nicht erfreulich und er klomm rasch, dem jüngern Mann voraus, den Steinwall aufwärts.
Während der Römer und der Germane in solchen Gesprächen den Mons Piri emporstiegen, ruhten auf der innern Seite des Rings, der den Gipfel umgab, zwei Alamannen. Zwischen den blühenden Hecken hatten sie sich bequem auf den von der Sonne durchwärmten Steinen hingestreckt, als ob sie von einer mühsamen Wanderung rasteten. Kurze Lederhosen hingen ihnen um die Lenden, der Oberkörper war nackt; den Mantel von Wolfsfell, der sonst den Rücken deckte, hatten sie abgeworfen, um auf ihm zu schlafen. Jetzt gaben sie sich bequem dem Genuß der Sonnenwärme hin und starrten behaglich in den tiefblauen Himmel. Der Pack von Fellen, der neben ihnen lag, ließ vermuthen, daß sie Händler waren, die ihre barbarische Waare nach Gallien trugen. Der Jüngere erhob sich jetzt und reckte die jungen Glieder, um sie wieder geschmeidig zu machen. Schlank wie eine Tanne stand er da, mit seinen gelbblonden Haaren und hellen blauen Augen ein rechtes Bild des alamannischen Stamms. Der Aeltere rührte sich nicht, aber ein Blick väterlichen Wohlgefallens fiel auf den schmucken Knaben.
"Wie viele Jahre, Vater, ist es jetzt, daß der Römer über den Rhenus kam und mit uns Krieg führt?" begann der Jüngling die Unterhaltung.
"Das ist schon lang, Hortari", sagte der bärtige Held, indem er sich behaglich dehnte. "Als der erste Augustus herrschte, nahmen sie Rhätien bis zum Danubius und gegen Mitternacht gingen sie über den Rhenus, da wo er dem großen Wasser zuströmt und drangen dann landaufwärts bis zum Taunus vor. Da sahen die Sueven von Rhätien, von Gallien und vom Mönus her sich dreifach umfaßt von dem treulosen Rom und es ward ihnen unheimisch im Lande ihrer Väter. Darum sammelte König Marobod sein Volk und zog nach Sonnenaufgang und stiftete in Boheim ein mächtiges Reich. Die Römer aber bauten den Pfahlgraben vom Danubius zum Rhenus und schlugen das verlassene Land zu ihrem Gebiete. Aus Rhätien und Gallien kamen nun Welsche aller Stämme und bauten die Felder. Bald war kein Fleck, den sie nicht bestellt hätten und sie saßen in ihren Städten, wo sie sich aufeinanderdrängten wie die Immen und wimmelten wie die Ameisen. Wir aber ließen sie gewähren wohl zweihundert Jahre. Da hatten sie einen Kaiser, den sie Caracalla nannten, der war tückisch wie Loki's Wolf, so daß er sogar seinen eigenen Bruder tödtete, wie ihr erster König auch gethan hat. Es sind jetzt gerade hundertundfünfzig Jahre, da überfiel er am Mönus jenseits ihres Grenzwalles einen Stamm der Sueven, der friedlich sein Land baute, metzelte Weiber und Kinder nieder und verbrannte ihre Hütten – und das Alles nur, damit er sich Germanicus nennen und einen Triumph feiern könne. Da ward der große Bund der Alamannen gestiftet, um Rache zu nehmen an dem treulosen Rom. Der fünfte unseres Stammes vor mir begann diesen Krieg und du, der Siebte, wirst ihn nicht enden. Herüber und hinüber schwankte das Kriegsglück, aber ihr Pfahlgraben ward durchbrochen, ihre Burgen verbrannt, bald standen wir drüben in Gallien und plünderten ihre Städte, bald zogen sie sengend und brennend durch unsere Wälder, aber wir warfen sie immer wieder nach Gallien zurück. Erst in den letzten Jahren geht es nicht mehr wie es sollte. Als du ein vierjähriges Knäbchen warst, verloren wir bei Argentoratum eine große Schlacht. Die Römer hatten einen tapfern und verschlagenen Führer, Julian hieß er, aber sein Kaiser traute ihm nicht und rief ihn ab. Auch der, der jetzt herrscht, ist ein tapferer Mann. Dort drüben am Rhenus liegt die Burg auf unserem Ufer, die er gebaut hat, dort siehst du die Stadt der Nemeter, wo er eine feste Brücke geschlagen und nun wollen sie sich auch hier einrammen, wie ich fürchte. Deßhalb bin ich hier heraufgekommen, um zu sehen, was sie treiben. Aber, Hortari, mein Knabe, nun hast du geruht von unserem harten Marsche, jetzt schlage dich allein durch die Wälder. Sie könnten uns erkennen, wenn wir zusammen blieben. Ist man nicht zu dreien, daß man sich durchschlägt, so geht besser jeder für sich. Halte dich hier oben bis zu dem alten Birnbaum, dann krieche durch die Büsche bis du den Hochwald erreichst, der dich deckt. Von dort gehst du immer gegen Osten bis du Hütten unseres Volkes triffst, sie können nicht fern sein; dort sagt man dir leicht, wie du zu gehen hast."
Noch hatte der Aeltere nicht geendet, als jenseits des Walles Schritte hörbar wurden. "Rasch, rasch!" sprach er, "sie kommen, eile." Der Knabe griff nach seinem Speere, noch einen grüßenden Blick warf er aus seinen hellen Augen auf den Vater, dann tauchte er in die Büsche, während dieser auf seine Wolfsschur zurücksank. Hinter ihm klomm es langsam in die Höhe, man hörte Steine unter den Füßen der Stehenden rollen. Es schienen ihrer zwei. "Was treibst du hier?" hörte der Germane jetzt eine herrische Stimme fragen.
"Felle, Felle", antwortete er, indem er auf seinen Bündel deutete, als ob er die Sprache des Römers nicht verstehe.
"Trolle dich, sonst könnten die Soldaten dein eigenes Fell gerben", erwiderte Arator von oben her und der Germane nahm seine Waare; aber er mußte die Warnung nicht verstanden haben, denn er strebte aufwärts zu den Plätzen der Arbeiter.
Dort hatte soeben ein Hornsignal das Zeichen zur Ruhe gegeben und einer der Soldaten nach dem andern warf sein Werkzeug zur Seite. Die Meisten suchten in der Bauhütte selbst Ruhe und Schatten. Manche streckten sich im hohen Waldgras auf's Ohr und ließen die durch Staub und Arbeit erhitzten Lungen von der köstlichen Waldluft durchströmen, die Uebrigen schliefen oder holten ihren Mundvorrath hervor und stärkten ihre matten Seelen. Nur zwei sehnige Gestalten, die einen großen Eckstein aus einem gewaltigen Felsblocke heraus arbeiteten, fuhren fort zu hantieren, als ob sie das Zeichen zur Ruhe überhört hätten und das Treiben der Uebrigen sie nichts angehe. Dennoch schienen sie aufeinander zu warten, wer zuerst das Werkzeug weglege und finstere, feindselige Blicke gingen zwischen ihnen hin und wieder. Den Blonden kennen wir bereits, Lupicinus, der gestern sich Vulfilaich beim Ordnen von Rothari's Habe hülfreich erwies. Er ward des Wettstreits in der Pflichterfüllung zuerst müde. Mit einem verächtlichen Blicke auf den dunkelfarbigen Genossen warf er das Eisen bei Seite und trat an ein Kohlenfeuer, an dem zwei Töpfe brodelten. Den einen schob er zur Seite, den andern nahm er an sich, um sich mit Andacht über den mit Speck gewürzten Kohl herzumachen. Sein Genosse, der Römer Salvius, arbeitete mit höhnischem Lächeln weiter. Endlich aber wandte auch er sich dem Mahle zu, wie er nun aber sah, daß ihm Luvicinus seine Speisen vom Feuer gerückt, brach er in zornige Scheltreden aus und da im gleichen Augenblicke der Frevler den eigenen Topf wieder auf den Rest der Kohlen stellen wollte, trat er nach ihm, der Topf zerschellte und der Inhalt ergoß sich auf das Feuerchen, das zischend verlöschte. Alsbald lagen sich auch die beiden unholden Gesellen in den Haaren und drangen mit Scheltreden und Püffen aufeinander ein. Die übrigen Arbeiter schienen dieses Schauspiel schon gewöhnt zu sein, denn sie ließen die beiden Kämpfer ruhig gewähren. Aus der Bauhütte kam ein Dutzend Anderer lachend hervor, und an die Holzwand gelehnt, schauten sie behaglich, wie beim Gladiatorenspiele, dem Zweikampfe zu. Während so alle Aufmerksamkeit der Soldaten auf dieses aufregende Schauspiel gerichtet war, ging der fremde Händler ungestört durch die Baustätte hin und wieder, indem seine scharfen und klugen Augen herüber und hinüber spähten. Zuletzt setzte er sich in den Schatten eines Strauchs, von wo er ungestört die ganze Anlage mustern konnte. Inzwischen aber hatte des Feldhern scharfes Ohr in der Ferne vernommen, wie das wohlgefällige Klingen des Meißels häßlichem Geschrei gewichen war. Festen Schrittes stieg der greise Held den zweiten, innern Steinwall hinan und eilte, Rothari hinter sich lassend, der Bauhüte zu. Dort schien eben der dunkle Salvius den wuchtigen Schlägen seines blonden Gegners zu erliegen. Der tückische Romane hatte zuerst nach Lupicinus' Gesicht gezielt und ihm dann rasch einen Stoß auf die Brust gegeben, daß Lupicinus taumelte. Aber alsbald richtete der Blonde sich wieder auf und ein Hagel von wohlgezielten Schlägen fiel nun auf das schwarze Haupt des Welschen, gegen die sich dieser vergeblich zu decken suchte. Da blitzte der rothe Mantel des Feldherrn durch die grünen Büsche. "Was geht hier vor?" fragte Arator's herrische Stimme und sein Adlerauge suchte flammend im Kreise umher den Aufseher. "Der Comes! so ruht doch, der Comes!" rief es von allen Seiten. "Bei den Schmerzen der Gottesgebärerin, so ruht doch!" "Beim Hercules, seid ihr wahnsinnig?" "Daß Mithras euch mit seinem Geschosse treffe, wollt ihr still sein", so tönten die Zurufe wirr durcheinander. Der Aufseher trat verlegen vor. Er zuckte unmuthig die Schultern, dann sprach er kleinlaut: "Die beiden Christianer hassen sich, weil der Eine zum Bischof hält, der Andere zum Presbyter, aber Salvius ist es, der immer den Streit beginnt, man sollte ihn sammt seinem Presbyter über den Rhenus schicken, eher wird kein Friede hier."