JFK - Staatsstreich in Amerika - Mathias Bröckers - E-Book

JFK - Staatsstreich in Amerika E-Book

Mathias Bröckers

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Beschreibung

Warum musste J.F. Kennedy sterben? – Neueste erkenntnisse der Kenney-Forschung zum 100. Geburtstag JFKs. Seit dem Mord an J. F. Kennedy vor fünfzig Jahren treibt die Frage nach dem "Wer war's?" die Forschung um. Mathias Bröckers will aber wissen: Warum musste Kennedy sterben? In der Neuauflage seines Buchs von 2013 unterzieht er die neuesten Erkenntnisse und Deutungen der verschiedenen Lager einer umfassenden Pru¨fung. Behörden, Geheimdienste und Militär halten seit Jahrzehnten mit dem Verweis auf die "nationale Sicherheit" Akten zum Fall Kennedy zurück. Warum, wenn es tatsächlich nur um einen einsamen verwirrten Einzeltäter ginge? Das spannend erzählte und faktenreiche Buch belegt: Die von Kennedy begonnene Politik der Deeskalation des Kalten Krieges sollte mit allen Mitteln verhindert werden.

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Ebook Edition

Mathias Bröckers

JFK

Staatsstreich in Amerika

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-86489-668-2

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2017

Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich

Inhalt

Titel
Inhalt
Einleitung
Teil 1:Wie alles begann
Eine kurze Geschichte der CIA
Ein kurze Geschichte der Mafia
Ein kurze Geschichte der kubanischen Revolution
Joe Kennedy
John F. Kennedy
Der Wandel eines kalten Kriegers
Die Schweinebucht – 1961
Die Kubakrise – 1962
Vietnam – 1963
»Die Göttin hinter dem Thron«
Teil 2: Die Schüsse von Dallas
Zum Abschuss freigegeben
Der Chicago-Plot
Drei Schüsse
Lee Harvey Oswald
Teil 3: Das Cover-up
»I am a patsy« – Die Zurichtung eines Sündenbocks
Magic Bullet – Die magische Kugel
Mexiko
Secret Service außer Dienst
Jack Ruby
Im Labyrinth der ­Verschwörungstheorien
Teil 4 Regimechange in Amerika
Robert F. Kennedy
Martin Luther King
Staatsverbrechen gegen die Demokratie
Nachwort zur Neuauflage
Anmerkungen
Einleitung
Teil 1: Wie alles begann
Teil 2: Die Schüsse von Dallas
Teil 3: Das Cover-up
Teil 4: Regimechange in Amerika
Nachwort zur Neuauflage
Glossar
Literatur

Einleitung

Es gibt Tausende von Büchern und Dokumentationen über den Mord an John F. Kennedy – vom Untersuchungsbericht der am 29. November 1963 unter der Leitung des Verfassungsrichters Earl Warren eingesetzten offiziellen Untersuchungskommission, dem Warren-Report (WR) und seinem 26-bändigen Anhang, über den Report der zweiten offiziellen Untersuchung des House Select Committees on Assassination (HSCA) 19781 bis zu den unzähligen wissenschaftlichen und journalistischen Werken, die von 1963 bis heute dazu erschienen sind. Warum also ein weiteres Buch über diesen Fall, warum die Mühe, sich dafür durch ein unübersehbares Dickicht von Dokumenten und Akten, von Beweisen und Gegenbeweisen, Thesen und Antithesen zu kämpfen, wenn die historische Wahrheit auch nach 50 Jahren und trotz Millionen von Seiten und Protokollen und der Arbeit von Tausenden Autoren und Historikern sich noch immer verbirgt?

Die Antwort auf diese Frage ist ebenso einfach wie der Fall komplex. Wäre der Mord am 35. Präsidenten der Vereinigten Staaten tatsächlich nur das Werk des verwirrten Einzeltäters Lee Harvey Oswald gewesen, wäre er längst und bis ins letzte Detail geklärt; zumindest so weit, dass jeder mit einem IQ über Zimmertemperatur und gesundem Menschenverstand ausgestattete Beobachter diese Klärung als wahrheitsgemäß und nachvollziehbar akzeptieren müsste. Doch davon kann keine Rede sein, denn schon die zweite offizielle Untersuchung des Mords, der HSCA-Report, äußerte erhebliche Zweifel an dem Untersuchungsergebnis der Warren-Kommission, demzufolge John F. Kennedy das Opfer eines Einzeltäters gewesen sei, und stellte fest, dass eine »Verschwörung« zu diesem Mord geführt habe. Wer aber diese Verschwörer waren, ließ das House Select Committee offen, die Frage, wer wirklich für den Mord an JFK verantwortlich war, blieb ungeklärt – und sie ist es bis heute.

Ein wesentlicher Grund dafür liegt darin, dass Behörden, Geheimdienste und Militär mit dem Verweis auf die nationale Sicherheit jahrzehntelang Dokumente und Akten zurückhielten und zurückhalten, die von Wissenschaftlern und Forschern im Rahmen des Freedom of Information Act (FOIA) angefordert wurden und werden. Für eine solche Geheimhaltungspolitik bestünde keinerlei Grund, ginge es hier nur um die Täterschaft eines »lone nut«, eines einsamen Verwirrten namens Lee Harvey Oswald; andererseits beweist sie aber auch noch nicht das Gegenteil, dass nämlich staatliche Stellen selbst in die Ermordung des Präsidenten verwickelt waren. Doch sie befeuert diesen Verdacht und bildet somit ein Biotop für die zahlreichen Hypothesen, die über das Attentat kursieren – und die dazu geführt haben, dass der Kennedy-Mord als »Mutter aller Verschwörungstheorien« bezeichnet worden ist. Dies ist in zweifacher Hinsicht zutreffend, denn zum einen bildet das vielfältige und komplexe Puzzle dieses Mords so etwas wie einen Rorschachtest, in dem jeder Beobachter genau jene Theorie bestätigt finden kann, die er ohnehin schon gehegt hatte. Und zum anderen versandte die Abteilung für Psychological Warfare der Central Intelligence Agency (CIA) im Januar 1967 ein Memo an alle Dienststellen und ihre verdeckten Mitarbeiter in den großen Medien, in denen sie Anweisungen und Tipps gab, wie mit den wachsenden Zweifeln an der Einzeltäter-These des Warren-Reports umzugehen und »Verschwörungstheorien« zu kontern seien. Mit diesem erst sehr viel später öffentlich bekannt gewordenen Memo der CIA wird der neutrale Ausdruck »Verschwörungstheorie« erstmals zu einem Kampfbegriff der psychologischen Kriegsführung und des öffentlichen Wahrnehmungsmanagements gemünzt – und werden Kritiker der offiziellen Version grundsätzlich als unseriös, staatsfeindlich oder nur kommerziellen Interessen folgend abgestempelt.

Der Grund, warum drei Jahre nach dem Attentat die bis dahin für die Zweifel an der offiziellen Ermittlung der Warren-Kommission in den Medien gebräuchliche und ebenfalls neutrale Begriff »assassination theories« (Attentatstheorien) auf Drängen der CIA durch negativ konnotierte »conspiracy theories« ersetzt wird, ist nicht allein in den zuvor veröffentlichten und viel gelesenen Bücher der ersten Kritiker2 des Warren-Reports zu suchen, sondern in der Tatsache, dass seit Ende 1966 auch ein Bezirksstaatsanwalt in New Orleans zu diesen Kritikern gehörte und auf eigene Faust in seinem Distrikt ermittelte, in dem Lee Harvey Oswald bis kurz vor dem Attentat gelebt hatte. Dieser Staatsanwalt hieß Jim Garrison. Er war das glatte Gegenteil eines unseriösen oder gar staatsfeindlichen »Verschwörungstheoretikers«, er hatte während des Zweiten Weltkriegs als Pilot und danach ein weiteres Jahrzehnt beim US-Militär gedient, nach dem Jurastudium beim FBI und als Anwalt gearbeitet, war 18 Monate zuvor zum District Attorney von New Orleans gewählt worden und bezeichnete sich selbst als »altmodischen Patrioten«. Als solcher hatte er auch das im Oktober 1964 veröffentlichte Ergebnis des Warren-Reports – Lee Harvey Oswald als Einzeltäter – bedenkenlos akzeptiert, zumal sein ehemaliger Arbeitgeber, das FBI, für sämtliche Ermittlungen des Falls zuständig gewesen war. Doch das änderte sich, als er sich – nach einem Gespräch mit dem Senator von Louisiana, Russell Long, der an diesen Ermittlungen zweifelte – den WR und seine 26 Begleitbände mit den Zeugenaussagen erstmals kommen ließ. Und bei der Lektüre verlor er schnell den Respekt vor dem erhabenen Ruf der Kommissionsmitglieder unter der Leitung des Verfassungsrichters Earl Warren. Die Auslassungen und die selektive Beweisauswahl, so schreibt Garrison in seinen Erinnerungen, »stellten eine Beleidigung meiner Berufsauffassung als Staatsanwalt dar«.3 Hätte er zu diesem Zeitpunkt geahnt, was seine Ermittlungen über Lee Harvey Oswald und sein Umfeld im Sommer 1963 zur Folge haben würde, hätte er diese Beleidigung vermutlich hingenommen – so aber trat er ihr entgegen und stach in ein Wespennest, dessen Brut nicht nur seine Ermittlungen, sondern auch seine Karriere ruinieren sollten. Dass seine Ehre 25 Jahre später von Oliver Stone und dessen Film JFK zumindest im Kino gerettet werden würde, war noch nicht abzusehen. Fürs erste wurde der konservative Jurist Jim Garrison zum betrügerischen, ehrgeizgetriebenen, wahnsinnigen Verschwörungstheoretiker Nr. 1 – und blieb es auf Jahre hinaus.

Dass das Unterfangen eines Provinzstaatsanwalts, das Verbrechen des Jahrhunderts gegen den Willen der Mächtigen – der Regierung, der Geheimdienste, des Militärs und des FBI – aufzuklären und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen, scheitern musste, ist keine Überraschung. Doch war dieser brutale Gegenwind für die Ein-Mann-Armee des aufrechten Patrioten Garrison zumindest zu Beginn seiner Ermittlungen genauso wenig abzusehen wie die Tatsache, dass in sein Heer von »freiwilligen« Helfern und Unterstützern ein Dutzend Agenten und Zuträger der CIA und des FBI eingeschmuggelt worden waren.

Auch diese mittlerweile gut belegte Sabotage und Denunziation der Garrison-Ermittlung von Seiten des Establishments in Washington wäre völlig unnötig gewesen, hätte es sich dabei nur um die Aktion eines überkandidelten Querkopfs gehandelt, der sich anmaßte, die soliden und seriösen Ergebnisse einer hochmögenden staatlichen Untersuchungskommission anzuzweifeln. Und so zeigte auch das Scheitern Garrisons nur einmal mehr, dass es sich bei dem verrückten Einzeltäter Oswald als Kennedy-Mörder gerade nicht um ein solides Ermittlungsergebnis handelte und die seriös besetzte Kommission keine wirkliche Untersuchung durchgeführt hatte, sondern nur etwas zu belegen versuchte, was offensichtlich als unantastbar von vornherein feststand.

Dass Garrison mit seiner Anklage gegen den Geschäftsmann Clay Shaw scheiterte, den er des Kontakts mit der CIA und mit Lee Harvey Oswald verdächtigte, führte freilich nicht dazu, dass dadurch die Ergebnisse der Warren-Kommission an Glaubwürdigkeit gewannen. Vielmehr war spätestens dann eher das Gegenteil der Fall, als Oliver Stones Film 1991 das Augenmerk einer breiten Öffentlichkeit auf die nach wie vor ungeklärten Umstände des Mords an Kennedy lenkte. Mit der Folge, dass nun zahlreiche Bürger und Initiativen endlich Aufklärung und die Freigabe zurückgehaltener Dokumente forderten, was im Kongress zu einem Gesetz über die Veröffentlichung (Assassination Records Collection Act) und 1994 zur Gründung des Assassination Records Review Board (ARRB) führte.4 In den folgenden Jahren gelang es diesem Ausschuss zur Sichtung der Morddokumente zwar nicht, sämtliche von den Behörden zurückgehaltenen Akten frei zu bekommen und, wie von vielen Aktivisten gewünscht, eine komplette offizielle Neuuntersuchung des Falls zu erreichen. Dennoch machen es die veröffentlichten Unterlagen heute möglich, einer Klärung der Mordumstände sehr viel näher zu kommen, als es Jim Garrison Ende der 60er Jahre und dem HSCA Ende der 70er Jahre vergönnt war.

Auch wenn sich die Frage nach dem »Wer?« der Todesschüsse noch immer nicht definitiv beantworten lässt, können das »Wie?« und das »Warum?« mit hoher Genauigkeit geklärt werden. Es lässt sich beweisen, dass die Warren-Kommission von Beginn an eine Nicht-Untersuchung veranstaltete; es lässt sich beweisen, dass der offizielle Autopsiebericht des ermordeten Präsidenten ein Betrug und die im Nationalarchiv deponierten Bilder gefälscht waren; es lässt sich zeigen, wie der »Täter« Oswald zu dem gemacht wurde, was er wirklich war und was er von sich selbst behauptete, bevor er von Jack Ruby vor laufenden Kameras erschossen wurde – ein »patsy«, ein Sündenbock; es lässt sich zeigen, dass die Schüsse in Dallas, der letzten Station von Kennedys Wahlkampfreise, nur der erfolgreiche von mehreren geplanten Anschlägen waren, mit ähnlich präparierten Sündenböcken. Und es lässt sich in der historischen Rückschau vor allem zeigen, was mit diesem Mord – und den fünf Jahre späteren an Martin Luther King und Robert F. Kennedy – mit Amerika geschah. Und wie die Abkehr von dem, was John F. Kennedy begonnen hatte – der Deeskalation des Kalten Kriegs im Allgemeinen und der Raketenkrise in Kuba und des Konflikts in Vietnam im Besonderen –, zum schlimmsten außenpolitischen Desaster der Vereinigten Staaten führte. Sowie zu einer imperialen Politik rein militärischer Machtausübung, die das Gesicht der USA in der Welt bis heute prägt – und die den Mord an dem Präsidenten, der eine solche Zukunft verhindern wollte, noch immer relevant macht.

Teil 1:Wie alles begann

Eine kurze Geschichte der CIA

Die Schüsse von Dallas am 22. November 1963 waren nicht nur das tragische Finale der Präsidentschaft John F. Kennedys, sie waren auch eine Premiere. Bis dahin waren verdeckte Operationen zum Zwecke eines »regime change« nur im Ausland durchgeführt worden. Im Iran, Kongo, in Guatemala, Honduras und vielen weiteren Ländern hatte die CIA mithilfe paramilitärischer »Aufständischer« und gedungener Killerkommandos erfolgreich unliebsame Regierungen entfernt und die geschäftlichen und politischen Interessen der USA damit effektiv – und verglichen mit militärischen Interventionen – äußerst kostengünstig durchgesetzt. Da nach den Atombomben in Hiroshima und Nagasaki am Ende des Zweiten Weltkriegs und der folgenden nuklearen Aufrüstung sowohl des westlichen als auch des östlichen Blocks ein »großer« Krieg nicht mehr oder nur noch um den Preis von Millionen Menschenleben auf beiden Seiten geführt werden konnte, waren verdeckte Operationen zum Mittel der Wahl geworden – und die CIA von einem Nachrichtendienst zu einem aktiven, operativen Arm der militärischen Einflussnahme. »Intelligence« – die Sammlung und Auswertung von für die nationale Sicherheit wichtigen Informationen als Hauptaufgabe eines Nachrichtendiensts – wurde zu einer Nebenbeschäftigung der Agentur, die fortan als Tarnung und Cover-up für die eigentlichen CIA-Aktivitäten diente. Aktivitäten, die, wie einer der Väter der CIA, Allen Dulles, später in seinen Memoiren schrieb, notwendig waren, um »alle Aspekte des unsichtbaren Kriegs«, die von sowjetischen Kommunisten orchestriert werden, »zu kontern«.1

Das hatte Präsident Harry Truman, der die CIA als Nachfolgerin des Operational Strategic Service (OSS) 1947 ins Leben gerufen hatte, noch anders gesehen: Er wollte eine Central Intelligence Agency, die die Informationen der separaten Nachrichtendienste der Armee, der Navy, der Air Force und weiterer Behörden bündeln sollte, um den Präsidenten jederzeit auf dem neuesten Stand zu halten. Dies geschieht bis heute in Form des täglichen »presidential briefing«, bei dem der Direktor oder CIA-Offiziere dem Präsidenten ihre aktuellen Erkenntnisse zur nationalen und internationalen Lage präsentieren. Doch dieses Ritual war nicht der Grund, aus dem Truman zehn Jahre nach dem Ende seiner Amtszeit und vier Wochen nach der Ermordung John F. Kennedys zur Feder griff, um in der Washington Post explizit zu warnen:

»Ich halte es für erforderlich, einen neuen Blick auf den Zweck und die Operationen unserer Central Intelligence Agency zu werfen. … Seit einiger Zeit bin ich beunruhigt darüber, wie sich die CIA von ihren ursprünglichen Aufgaben entfernt hat. Sie ist zu einem operativen und bisweilen politisch ausführenden Arm der Regierung geworden. Das hat zu Schwierigkeiten geführt und könnte unsere Probleme auf einigen brisanten Ebenen verstärkt haben. … Es ist etwas an der Art, wie die CIA fungiert, das einen Schatten über unsere geschichtliche Stellung wirft und von dem ich glaube, dass es korrigiert werden muss.«2

Mehr als 15 Jahre nach der Gründung ließ sich allerdings kaum noch etwas daran ändern, dass sich die CIA zu einem Staat im Staate entwickelt hatte, der sich seinen eigentlichen Dienstherren – dem Präsidenten, der Regierung, dem Parlament – nur noch begrenzt verpflichtet sah und zunehmend Politik auf eigene Faust machte. Um diese im Schutz der Geheimhaltung gewachsene unmittelbare Macht – und nicht um die Rolle der CIA als globaler Informationsdienst des Präsidenten – war es den Gründerfiguren, die die Rolle und Ausrichtung des Dienstes geprägt hatten, von Anfang an gegangen. Einer von ihnen, der langjährige Chef der Gegenspionage James Jesus Angleton, gestand 1985, zwei Jahre vor seinem Tod, dem Journalisten Joseph Trento:

»Grundsätzlich waren die Gründerväter des US-Geheimdienstes Lügner. Je besser einer lügen und betrügen konnte, desto eher wurde er befördert. Diese Leute zogen sich gegenseitig an und beförderten sich gegenseitig. Außer ihrer Doppelzüngigkeit war das einzige, was sie gemeinsam hatten, das Streben nach absoluter Macht. Wenn ich auf mein Leben zurückschaue, habe ich Dinge getan, die ich bedauere. Aber ich war ein Teil des Ganzen und liebte es, dazuzugehören. … Allen Dulles, Richard Helms, Carmel Offie und Frank Wisner waren die Großmeister. Wenn man mit ihnen in einem Zimmer war, war man umgeben von Menschen, die verdientermaßen in der Hölle enden würden. Ich denke, ich werde sie da bald treffen. … Die CIA hat Zehntausende anständiger Menschen getötet. … Wir spielten mit Menschenleben, als ob sie uns gehören würden.«3

Wir können Angleton, diesem Großmeister des Tarnens, Täu­schens und der Lüge, durchaus abnehmen, dass er als gläubiger Katholik bei seiner letzten »Beichte« die Wahrheit erzählte, zumal der Mann, der jahrzehntelang der Infiltration der CIA und der Nation durch den »Satan« – die Kommunisten – auf der Spur war, seinem Geständnis noch eine weitere äußerst glaubhafte Information hinzufügte: »Wissen Sie, warum ich die Verantwortung über die Gegenspionage bekommen habe? Weil ich zugestimmt hatte, bei Allen Dulles und 60 seiner engsten Freunde keine Lügendetektortests durchzuführen und ihre Hintergründe genauer zu recherchieren. Sie hatten Angst, dass ihre eigenen Geschäfte mit Hitlers Kumpanen herauskommen würden.«

Allen Dulles’ Investment- und Anwaltskanzlei Sullivan & Cromwell gehörte zusammen mit den Kollegen der Privatbank Brown Brothers Harriman & Co. (damaliger Direktor: Prescott Bush, der Großvater von George W. Bush) zu den wichtigsten ausländischen Finanziers des »regime change« im Deutschland Anfang der 1930er Jahre und vermehrte dort danach erfolgreich das Vermögen ihrer Anleger. Während Allen Dulles seine Firma 1936 dazu überredet haben soll, wegen Hitlers Vorgehen gegen die Juden die Investitionen in Deutschland herunterzufahren, wurde Prescott Bush 1942 wegen »Handels mit dem Feind« angeklagt und sein Vermögen beschlagnahmt.4

Ganz im Sinne ihrer Erfinder war die CIA von Beginn an eine relativ autonome Institution, zumal ihre nach der Auflösung des OSS am 1. Oktober 1945 geschaffenen Interimsvorgänger – die Central Intelligence Group (CIG) und das Office of Policy Coordination (OPC) – außer der Fortführung verdeckter OSS-Operationen mit einer höchst ungewöhnlichen und delikaten Aufgabe betraut waren: mit der stillschweigenden Konversion des Nazigenerals Reinhard Gehlen, des mächtigen Leiters der Abteilung Fremde Heere Ost und somit Chefs der NS-Ostspionage, sowie Hunderter seiner Mitarbeiter und Agenten in die US-Armee. Schon 1944, als die USA noch gemeinsam mit der Sowjetunion gegen die Reste von Hitlers Armeen kämpfte, hatte Allen Dulles, der das OSS-Büro in der Schweiz führte, Kontakte zu ausgewählten Nazis – Militärs und Wissenschaftlern – aufgenommen, »Evakuierungen« in die USA angeboten und mit dem sinistren SS-General fraglos den dicksten aller Fische an Land gezogen. Mit dessen Netzwerk von Informanten, Spionen, Agenten und Saboteuren in allen osteuropäischen Staaten verfügten die USA, kaum dass der Zweite Weltkrieg offiziell zu Ende war, über eine geheime Armee für den kommenden »Weltkrieg«, der als Kalter Krieg in die Geschichte eingehen sollte. Nachdem General Gehlen Ende 1945 in die USA eingeflogen worden war, konnte Frank Wisner als erster Chef des OPC ein gewaltiges Netz von Agenten und operativen Kräften dirigieren. Obwohl das OPC offiziell nur mit Flüchtlingsangelegenheiten betraut war, vor allem mit der Protektion der an Land gezogenen Kriegsverbrecher des Nazi-Establishments, führte Wisner von Beginn an verdeckte Operationen durch. Ohne jede Erlaubnis oder Kontrolle und meist an der Legalität, internationalen Verträgen oder ethisch-moralischen Standards vorbei – aber mit dem Segen von Allen Dulles, der nach der Auflösung des OSS zwar kein offizieller Staatsbediensteter mehr und in seine einflussreiche Wall-Street-Kanzlei zurückgekehrt war, aber hinter den Kulissen und mit dem Apparat des 1918 von Wall-Street-Bankern gegründeten Council on Foreign Relations weiter die Fäden zog: »Dulles hatte entschieden«, schreibt der Journalist und CIA-Historiker Joseph Trento, »die Zukunft des Geheimdienstes nicht dem Präsidenten oder dem Kongress zu überlassen.« Auf eigene Faust hatte er ein klandestines Spionagenetzwerk organisiert und geplant, Präsident Truman vor vollendete Tatsache zu stellen. »Wenn Truman dann entdecken würde, was Dulles und sein Gefolge getan hätten, argumentierte Dulles, hätte Truman keine andere Wahl, als es zu akzeptieren.«5 Bei der Ausführung dieses Plans machte sich Dulles seine hervorragenden Medienkontakte zunutze, und bald schon war die Botschaft, mit der General Gehlen nach der Kapitulation seine Wichtigkeit und Bedeutung aufgeblasen hatte, in den Ohren und Hirnen der amerikanischen Bevölkerung angekommen: die »Rote Gefahr«. Dass die Sowjetunion nach den Verwüstungen des Krieges und über 20 Millionen Toten faktisch am Boden lag, ebenso wie die Rote Armee, die den weitaus größten Blutzoll aller Kriegsteilnehmer bezahlt hatte, tat dem Erfolg der Propaganda keinen Abbruch. »Der Krieg ist vorbei, Allen«, hatte William »Wild Bill« Donovan, der ehemalige Chef des OSS, geantwortet, als Dulles ihn in seinem abhörsicheren Raum im Sitz des Council on Foreign Relations in seine geheimen Pläne einweihte – und geglaubt, sein alter Freund sei verrückt geworden. Doch bald schon stellte sich heraus, dass dieser Wahnsinn nicht nur Methode hatte, sondern auch erfolgreich war: »Mit all seinen Manipulationen gelang Dulles die Schaffung einer Organisation, in der der Krieg gegen die Sowjetunion von Beginn an auf Täuschung und Lügen gegründet war.«6 Die Panikmache vor der roten Gefahr brachte 1947 nicht nur das Gesetz zur Gründung des National Security Council (NSC) und der CIA durch den Kongress, sondern sorgte auch dafür, dass Dulles’ Aktivitäten im Nachhinein legalisiert wurden – und er mit der NSC-Directive 10/2 noch einen entscheidenden Freibrief erhielt: Auch ohne ein Regierungsamt war es Allen Dulles fortan erlaubt, mit privaten Unternehmen und Stiftungen Geheimdienstoperationen durchzuführen.

Die Militärs, die General Gehlen verhört hatten, nachdem er sich im Mai 1945 den Amerikanern ergeben hatte, waren anfangs sehr skeptisch, was den Wert der Informationen betraf, die ihnen der überzeugte Nazi auf Mikrofilmen zur Verfügung stellte. Den geheimen Plänen, die Allen Dulles hegte, passten sie jedoch in mehrfacher Hinsicht ins Spiel: Die Übernahme des Agentennetzes in Osteuropa ermöglichte aus dem Stand operative Aktionen, und die Informationen der Abteilung Fremde Heere Ost ließen sich hervorragend zur Unterfütterung der Propaganda einer drohenden Welteroberung durch den Kommunismus nutzen. Der Krieg musste weitergehen, so dachten zwar nicht der Präsident, der Kongress oder gar die amerikanische Bevölkerung, aber Allen Dulles, seine Wall-Street-Klienten und Investoren sowie die Sicherheits- und Rüstungsindustrie, die nach dem Sieg über Nazideutschland starke Umsatzeinbußen befürchten musste. Und mit der nach Dulles’ Vorstellungen geschaffenen CIA hatten sie unter dem Deckmantel eines Nachrichtendienstes jetzt das militärische Werkzeug zur Hand, mit dem sich dieser neue unsichtbare Krieg nicht nur schüren und führen ließ, sondern auch einer effektiven Kontrolle durch den Kongress und das Weiße Haus entzogen war. Harry Truman wie auch sein Nachfolger im Präsidentenamt Dwight D. Eisenhower akzeptierten die Existenz einer solchen geheimen Privatarmee, solange für deren verdeckte Operationen das Prinzip der »plausiblen Abstreitbarkeit« gegeben war: Sowohl im Erfolgs- wie auch im Misserfolgsfalle durften die Operationen nicht auf den Präsidenten oder andere Regierungsinstitutionen zurückführbar sein. Doch wie schon Truman war auch Eisenhower der »Schatten« dieser Art klandestiner Interventionspolitik nicht lange geheuer. Nachdem der Herausforderer John F. Kennedy seinen Vizepräsidenten Richard Nixon bei der Wahl 1960 besiegt hatte, nutzte Eisenhower seine Abschiedsrede zu einer eindringlichen Warnung:

»Wir in den Regierungsgremien müssen uns vor unbefugtem Einfluss durch den militärisch-industriellen Komplex schützen. … Wir dürfen es niemals zulassen, dass die Macht dieser Kombination unsere Freiheiten oder unsere demokratischen Prozesse gefährdet. … Nur wachsame und informierte Bürger können ein angemessenes Verhältnis der gigantischen industriellen und militärischen Verteidigungsmaschinerie mit unseren friedlichen Methoden und Zielen erzwingen, so dass Sicherheit und Freiheit zusammen wachsen und gedeihen können.«7

Doch nicht nur diese Warnung vor dem unbefugten Einfluss geschäftlicher Interessen auf die Staatsangelegenheiten hatte Eisenhower seinem Nachfolger Kennedy vererbt, sondern auch eine Reihe von bereits angelaufenen verdeckten Operationen, die den neuen Präsidenten bald heimsuchen und ihn am Ende sein Leben kosten sollten. Denn dieser »unsichtbare Krieg«, der nicht mehr mit uniformierten Soldaten, sondern mit »zivilen« Agenten, Söldnern, Kriminellen und Terroristen (»Freiheitskämpfern«) geführt und nicht mehr vom Präsidenten und dem Parlament beauftragt und kontrolliert wurde, inszenierte Regierungswechsel und Staatsstreiche nicht mehr nur in fremden Staaten, sondern auch im eigenen Land.

Ein kurze Geschichte der Mafia

Am 15. Juli 1943 kreiste ein amerikanisches Kampfflugzeug über dem sizilianischen Bergstädtchen Villalba und warf in der Nähe des Anwesens von Calogero Vizzini, genannt Don Calò, einen Fallschirm mit einem Päckchen ab. Einer von Don Calòs Bediensteten brachte es seinem Herrn, der es umgehend öffnete und die Luftfracht zu Tage förderte: ein gelbseidenes Taschentuch mit einem großen aufgemalten »L«. Auch wenn nicht konkret überliefert ist, wie Don Calò, der Anführer der sizilianischen Mafia, auf diese Lieferung reagierte, dürfte er angesichts der Sendung gejubelt haben, denn dieses »L« stand für »Lucky« Luciano, den in den USA im Gefängnis sitzenden Boss der amerikanischen Mafia – und war das Signal für die folgenreichste Mafia­aktivität des Jahrhunderts: die Kooperation mit den fünf Tage zuvor an der Südküste Siziliens gelandeten amerikanischen Streitkräften. Während sich Briten und Kanadier über die Ostseite der Insel durch die Verteidigungslinien der Italiener kämpfen mussten und dabei über 1 000 Mann verloren, hatten die Amerikaner auf der eigentlich schwierigeren und wegen ihrer Berge besser zu verteidigenden Westseite keinerlei Probleme. Ihre mit einer gelben Fahne und schwarzem »L« markierten Jeeps und Panzer hatten derart freie Fahrt, dass der General George S. Patton hinterher feststellte: »Das war der schnellste Blitzkrieg der Geschichte.« Und es war auch die Wiedergeburt der Mafia, gegen die Mussolini seit 1924 sein faschistisches Gewaltmonopol rigoros durchgesetzt hatte. Nachdem der Diktator bei einem Besuch der sizilianischen Gemeinde Piana degli Albanesi die Kooperation mit dem lokalen Mafiaboss abgelehnt und dieser dann dafür gesorgt hatte, dass bei der Ansprache des großen Diktators der gesamte Marktplatz bis auf ein paar Dorftrottel leer blieb, hatte der wutentbrannte Duce den zwischenzeitlich geschassten Polizeigeneral Cesare Mori, der sich schon früher als Mafiajäger hervorgetan hatte, als Präfekten nach Sizilien entsandt. Mori beseitigte mit Einkerkerungen, Verschleppungen, Folter, Morden und einer willfährigen Justiz in zwei Jahren 11 000 Mafiaangehörige. Auch wenn es sich dabei meist nur um das Fußvolk handelte und sich die hochstehenden Mafiosi diesem Zugriff durch Kooperation oder Auswanderung entziehen konnten, lag die kriminelle Organisation der »Familien«, die die Insel wie Feudalherren regiert hatten, seit Ende der 20er Jahre weitgehend darnieder. Das erlösende »L«, das am 15. Juli 1943 bei Don Calò gelandet war, machte dieser Agonie umgehend ein Ende. Bei ihrem widerstandslosen Vormarsch setzten die Amerikaner überall neue Bürgermeister und Landräte ein, und innerhalb von nur sieben Tagen war Westsizilien wieder komplett in Mafiahand. Da sich diese erfolgreiche Eroberungspolitik beim weiteren Vormarsch auf dem Festland fortsetzte, war die »Ehrenwerte Gesellschaft« ab Mitte 1945 in Italien mächtiger als je zuvor.

Doch nicht nur in ihrem Heimatland, auch in den USA war die Cosa Nostra, wie die amerikanische Mafia genannt wurde, zu unerhörtem Einfluss gekommen. Um 1900 hatte sich in jeder größeren amerikanischen Stadt eine Bande italienischer Gangster breitgemacht, die sich anfangs vor allem von Schutzgelderpressung nährten und ihre Tätigkeiten bald auf Drogenhandel, Glücksspiel und Prostitution ausdehnten. Auch andere ethnische Minderheiten wie die Iren oder die Juden (»Kosher Nostra«) betätigten sich bandenmäßig in diesen kriminellen Gewerben, wobei sich ihre Aktivitäten aber meist auf die Quartiere ihrer Volksgruppen beschränkten. Dann aber erwies sich 1919 ein neues Gesetz – die Prohibition von Alkohol – als ein Geschenk des Himmels, das aus den bis dahin eher kleinkriminellen lokalen Banden, die jetzt umgehend den Import, die Produktion und die Distribution übernahmen, innerhalb weniger Jahre milliardenschwere internationale Syndikate werden ließ. Da die Nachfrage nach Alkohol durch das Gesetz nicht zurückgegangen war – allein in New York existierten nach Schätzungen der Polizei Ende der 20er Jahre 32 000 Kneipen (illegale »Speakeasys«), doppelt so viele wie vor der Prohibition –, bedurfte es unternehmerischer Operationen, um für das entsprechende Angebot zu sorgen, was sich in Kleingruppen, die sich zudem untereinander um Reviere und wegen ihrer ethnischen Differenzen bekämpften, nicht bewerkstelligen ließ. Drei seit ihrer kriminellen Jugendzeit in den New Yorker Ghettos befreundete Männer – Mejer Suchowljanski (Meyer Lansky), Salavatore Lucania (Charles »Lucky« Luciano) und Benjamin Siegelbaum (Bugsy Siegel) – schufen in den folgenden Jahren dann das, was seitdem das »organisierte Verbrechen« genannt wird: ein mit betriebswirtschaftlichen Managementmethoden geführtes Syndikat, unter dessen Moderation die italienischen, jüdischen und irischen Banden gemeinsam ihren Geschäften nachgingen. Meyer Lansky war der »Aufsichtsratsvorsitzende«, Geldverwalter und visionärem Kopf, Lucky Luciano der »Boss der Bosse« der sizilianischen Mafiafamilien und Bugsy Siegel der gefürchtete und extrem gewalttätige »Exekutivkiller«. Dazu kam nach dem Friedensschluss der sizilianischen und der kalabrischen Mafia Ende der 20er Jahre noch Frank Costello, der als »Premierminister« die Kontakte zu Politikern und Behörden pflegte und nach Lucky Lucianos Verhaftung 1936 zum Boss der Cosa Nostra aufstieg. Luciano – der als Erfinder der bis heute in Zuhälterkreisen beliebten Methode gilt, Prostituierte drogenabhängig zu machen und mit »Stoff« zu bezahlen – war wegen fortgesetzter Zuhälterei zu 30 bis 50 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Seinen Spitznamen »Lucky« hatte er sich angeblich zugelegt, nachdem er als 14-Jähriger 244 Dollar in einer Spielhölle gewonnen hatte – ein Vermögen, verglichen mit den ein bis zwei Cent, die er zu dieser Zeit von Schülern, denen er Schläge androhte, als Schutzgeld kassierte. Dass er schon damals seinen Gewinn profitabel zu investieren wusste, zeigt die Tatsache, dass er wenige Jahre später erstmals ins Gefängnis kam: sechs Monate wegen des Handelns mit Morphium und Heroin. Kein Vergleich mit der nahezu lebenslänglichen Strafe, die dem knapp 40-jährigen Luciano 1936 aufgebrummt wurde, doch dank des Kriegseintritts der USA hatte Lucky erneut großes Glück. Wegen möglicher Sabotageakten und Streiks einiger Gewerkschaften im New Yorker Hafen war die US Navy in großer Sorge um die Sicherheit und hatte über deren Anwälte Kontakt zu Meyer Lansky und Frank Costello aufgenommen. Mit dem Ersuchen, die Mafia möge doch bitte bei der Überwachung der Hafensicherheit behilflich sowie durch ihre besondere Kompetenz – der Unterwanderung und brutalen Disziplinierung von Gewerkschaften – der nationalen Sicherheit dienlich sein. Doch allein mit einem Appell an ihren Patriotismus in Zeiten des nationalen Notstands waren die Herren nicht zu bewegen. Als Erstes verlangten sie die Verlegung ihres Bosses der Bosse in ein bequemes Gefängnis in der Nähe von New York, was umgehend genehmigt wurde. Nach einigen Gesprächen Lucianos mit seinen Kollegen und Beamten des Marinegeheimdienstes sorgten dann die Experten des Lansky-Siegel-Luciano-Mobs, die bis dahin im New Yorker Hafen nur in Sachen Alkohol- und Heroinschmuggel zu tun hatten, dort nunmehr auch für Küstenwache, Sicherheit und Ordnung. Und Luciano konnte aus dem Gefängnis, wo er über einen eigenen Koch und weitere Vergünstigungen verfügte, die Geschäfte seiner »Familie« weiterführen. Sein eigentliches Glück aber – die Entlassung und Abschiebung nach Italien nach Kriegsende – verdankte er den Kriegsplänen Winston Churchills, der die Westalliierten darauf gedrängt hatte, die Invasion nicht gleich in der Normandie, sondern langsam von Sizilien aus zu starten. Churchill hoffte darauf, dass sich währenddessen Hitlers und Stalins Armeen im Osten selbst zerfleischen würden. Deshalb nahm das Office of Naval Intelligence (ONI) – der Navy-Geheimdienst – erneut Kontakt zu Luciano auf, um ihn zur Mitarbeit bei den Invasionsplänen zu überzeugen. Damit war das »Luciano-Project«, intern auch »Operation Underworld« genannt, ins Laufen gebracht, das dank des Seidentuchs mit dem aufgemalten »L« wenig später von Erfolg gekrönt wurde. Dass die US-Behörden gegenüber Lucianos Anwälten später abstritten, ihm für seine Unterstützung die Freiheit versprochen zu haben – wie überhaupt die gesamte Zusammenarbeit mit dem Mob jahrzehntelang verheimlicht wurde und erst Mitte der 70er Jahre anhand freigegebener Akten rekonstruiert werden konnte8 –, wird nicht nur durch Lucianos Freilassung 1946 konterkariert. Die aus der Not geborene Zusammenarbeit mit der Mafia im Zweiten Weltkrieg legte vielmehr den Grundstein für eine Geheimpolitik, die die CIA in den folgenden Jahrzehnten fast überall auf der Welt fortführte – als fatale Liaison des Staats mit der organisierten Kriminalität, der Durchsetzung geschäftlicher Interessen mit Mafiamethoden, die Alfred McCoy in seiner säkularen Studie Die CIA und das Heroin in aller Breite dokumentiert hat: »Weltpolitik durch Drogenhandel«.

Kaum war Luciano im Januar 1946 in Italien gelandet, machte er sich daran, das Netzwerk des Heroinhandels, das durch den Krieg zum Erliegen gekommen war, wieder aufzubauen. Zusammen mit 100 Kumpanen, die ebenfalls aus US-Gefängnissen abgeschoben worden waren, und dem sizilianischen Boss Don Calò, den die alliierten Truppen wegen seiner strategischen Leistungen bei der Invasion »General Mafia« nannten. Calogero Vizzini hatte zusammen mit Lucianos altem Leutnant Vito Genovese seit 1944 schon den italienischen Schwarzmarkt mit Lebensmitteln und Militärgütern unter ihre Kontrolle gebracht, was dem alliierten Hauptquartier zwar nicht verborgen geblieben war, aber nolens volens akzeptiert wurde, denn die Mafiosi erfüllten politisch weiter eine wichtige Funktion. Der unerwartete Erfolg der (untereinander zerstrittenen) linken Parteien bei den ersten freien Wahlen im Juni 1946 alarmierte die Militärs, und die Sorge, dass Italien dem Kommunismus anheimfallen könnte, führte zu einer weiteren stillschweigenden Koalition mit dem organisierten Verbrechen. Mit Drohungen und Gewalt gingen die Gangster jetzt gegen linke Parteiveranstaltungen und Gewerkschaften vor. Dieselbe Strategie wurde dann auch kurz darauf bei der »Befreiung« des Hafens in Marseille angewendet, dessen Arbeiterschaft überwiegend in linken Gewerkschaften organisiert war. Hier machten sich Frank Wisners Office of Policy Coordination und die CIA die korsische Mafia zu Diensten, die im Gegenzug dann auf dem wichtigsten Mittelmeerhafen Europas schalten und walten konnte. Luciano hatte in Sizilien verschiedene Fabriken für Textilien, Bonbons und dergleichen eröffnet – geheime Labors, in denen das in Fischerbooten aus dem Libanon kommende türkische Opium zu Heroin verarbeitet wurde, um dann via Marseille in die USA verschifft zu werden, wo die Kohorten von Meyer Lansky für die Verteilung zuständig waren. Weil die Korsen über die besseren Chemiker verfügten, stellten sie ab 1950 das Heroin dann selbst her, und Luciano kümmerte sich um die Geschäftswege, den Schmuggel und das Inkasso. So entstand ein Syndikat, das von 1948 bis zu seiner Zerschlagung 1972 (der Vorlage für den Hollywood-Thriller The French Connection) nahezu ungehindert operieren konnte und Milliarden­umsätze machte, die Meyer Lansky über die von ihm kontrollierte Schweizer Exchange and Investment Bank waschen und investieren ließ – vor allem in die Glücksspiel- und Tourismusindustrie in Las Vegas und in Havanna (Kuba), wo er sich seit 1946 niedergelassen hatte. Im selben Jahr eröffnete sein alter Partner und »Scharfrichter« Bugsy Siegel in Las Vegas mit dem »Flamingo« den ersten jener Hotelpaläste, die aus dem Wüstennest in Nevada bald das machen sollten, was den Großinvestoren Meyer Lansky und Lucky Luciano vorgeschwebt hatte: ein »Paradies voller Trottel«, die sie legal ausnehmen konnten.9

Nach dem Ende der Alkoholprohibition im März 1933, die aus den Banden jüdischer, italienischer und irischer Mobster millionenschwere Untergrundkonzerne gemacht hatte, hatten die Gangster ihr Vermögen in legale Geschäfte wie das in Nevada 1931 legalisierte Glücksspiel- und Prostitutionsgewerbe investiert. Und im Zweiten Weltkrieg hatten sie ihren Patriotismus im Kampf gegen die Nazis bei der Sicherung der heimatlichen Küsten und Häfen gezeigt und bei der Invasion Italiens entscheidende Hilfestellungen geleistet, um sich danach im Kampf gegen die von Allen Dulles ausgerufene »rote Gefahr« erneut als ein äußerst nützlicher Partner zu erweisen. So wurde die »Operation Underworld«, aus der Not mangelnden Sicherheitspersonals geboren, von einer taktischen Allianz zu einem dauerhaften modus operandi. Möglich wurde diese Kooperation des Staats mit dem organisierten Verbrechen durch die Autonomie, die das OPC und die CIA für operative Aktionen in Anspruch nehmen konnten, sodass Präsident und Kongress gar nicht oder nur schemenhaft davon erfuhren. Ob Gestapo-Mann oder SS-General, Heroinhändler oder Mafiakiller – an der neuen Front des Kalten Kriegs war für Allen Dulles, Frank Wisner und ihre Untergebenen jeder Rekrut recht, solange er sich nur im Kampf gegen die »rote Gefahr« und für die Interessen der US-Wirtschaft einsetzen ließ und man zudem plausibel abstreiten konnte, mit derlei schwerkriminellen Subjekten irgendetwas zu tun zu haben.

Ein kurze Geschichte der kubanischen Revolution

In der Nacht des 15. Februar 1898 erschütterte eine gewaltige Explosion den ruhigen Hafen von Havanna. Die USS Maine, ein Schlachtschiff der US Navy, das dort seit drei Wochen vor Anker lag, zerbarst, ging in Flammen auf, sank auf Grund und riss 266 Seeleute in den Tod. Die Ursache des Unglücks ist bis heute ungeklärt, doch für die von den Pressemagnaten Joseph Pulitzer und William Hearst dominierten US-Medien war die Sache sofort eindeutig: Die in Kuba herrschenden Spanier hatten das Schiff mit einer Mine gesprengt. Schon ein Jahr zuvor hatten die Zeitungen begonnen, blutrünstige Geschichten über die Schreckensherrschaft der Spanier und den Aufstand kubanischer Rebellen zu veröffentlichen, um die auf Neutralität bedachte Regierung des Präsidenten William McKinley zu einer militärischen Intervention zu bringen, doch sowohl der Präsident als auch die über große Zucker-, Tabak- und Minenunternehmen auf Kuba verfügende US-Industrie sahen ihre Interessen bei den spanischen Kolonialherren in guten Händen. Nachdem Hearst seinen Reporter und Zeichner Frederic Remington auf die Insel geschickt hatte, um über den Aufstand der Rebellen und den tobenden Bürgerkrieg zu berichten, und dieser nichts davon vorfand und kabelte: »Hier ist kein Krieg. Ich möchte wieder zurückkehren«, kam von Hearst die berühmt gewordene Antwort: »Bleiben Sie. Sorgen Sie für die Bilder, ich sorge für den Krieg.« Was er dann auch tat und mit fortgesetzten Horrorstorys in seinen Zeitungen die US-Industriellen überzeugte, Druck auf McKinley auszuüben, der schließlich die USS Maine »in friedlicher Mission« nach Havanna schickte, um »amerikanische Bürger zu schützen«. Nach der Explosion des Schiffs, die von den Spaniern – wie auch von späteren US-Untersuchungen – einer internen Entzündung im Kohleraum zugeschrieben wurde, die auf den Munitionsbunker übergriffen habe, gab es indessen kein Halten mehr. Marineminister Theodore Roosevelt befahl den Angriff auf die spanische Flotte vor den Philippinen und leitete selbst den Angriff der US Navy auf Kuba, was nicht nur den Beginn des Spanisch-Amerikanischen Kriegs markierte, sondern auch den ersten Auftritt der bis dahin antikolonialen USA auf der imperialistischen Weltbühne. Mit der Vertreibung der ersten globalen Imperialmacht Spanien von ihren Besitztümern auf den Philippinen, Hawaii und Kuba nahm der Aufstieg der Vereinigten Staaten, die erst wenige Jahrzehnte zuvor ihrerseits das Joch Englands, der zweiten globalen Kolonialmacht, abgeschüttelt hatten, seinen Anfang. Anders als die alten Weltmächte und ihre klassische – auf Sklavenhaltung und, wie im Falle des britischen Empires, auf dem Opiumgeschäft basierende – Kolonialherrschaft setzten die »freiheitlichen« USA allerdings auf »Autonomie« der eroberten Länder und dort ihnen freundlich gesinnte »souveräne« Regierungen. Wobei es sich dabei in aller Regel um eine Pseudosouveränität handelte, die stets militä­rischen Interventionen unterworfen war, sobald durch »freie Wahlen« US-Geschäftsinteressen berührt waren. So auch in Kuba, wo sich in den folgenden Jahrzehnten diverse Militärmachthaber von amerikanischen Gnaden ablösten, darunter der mit dem Geld von den US-Industriellen Rockefeller, Guggenheim und Morgan 1925 ins Amt gehievte General und Geschäftsmann Gerardo Machado, dessen faschistisches Regime ihm den Namen »tropischer Mussolini« einbrachte, sowie seinen Nachfolger Fulgencio Batista, dessen 1933 in Gang gesetzte Verfassungsreformen anfangs als vorbildlich galten, der sich aber bald als ebenso autokratisch und korrupt wie sein Vorgänger herausstellte. Als Batista angesichts seiner zu scheitern drohenden Wiederwahl mit einem Militärputsch 1952 die Verfassung teilweise außer Kraft setzte, zeigte ein junger Rechtsanwalt, der 26-jährige Dr. Fidel Castro Ruz, diesen Verfassungsbruch vor dem obersten Gerichtshof in Havanna an und rief nach der Abweisung der Klage zum Widerstand gegen das Batista-Regime auf. Nachdem er und 160 Mitstreiter im Juli 1953 erfolglos versucht hatten, eine Kaserne in Santiago de Cuba zu stürmen, wurde er verhaftet und zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, kam aber 1955 im Rahmen einer Generalamnestie frei. Er ging nach Mexiko ins Exil, ließ sich mit seinen Gefährten im Guerillakrieg ausbilden und startete mit ihnen im Dezember 1956 den bewaffneten Kampf in Kuba, der nach zwei Jahren zum Sturz des Batista-Regimes und zur Flucht des Diktators führte. Obwohl die USA Batista bis zum Ende offiziell die Treue hielten, hatten sie nicht nur mit einem wegen dessen grausamer Massaker an Oppositionellen verhängten Waffenembargo dafür gesorgt, dass Castros zahlenmäßig weit unterlegene Rebellenarmee den Diktator vertreiben konnte. Die CIA hatte Castros Bewegung 1957/58 überdies auch heimlich mit Geld und Waffen beliefert – in der Hoffnung, mit dem aus einer großbürgerlich-liberalen Familie stammenden Castro einen kontrollierbaren Freiheitskämpfer aufzubauen, dessen »revolutionäres« Vorbild und »reformerische« Strategie erfolgreich in weitere Länder Lateinamerikas und der Karibik exportiert werden könnte, wo man unliebsame Regime beseitigen wollte. Der CIA-Söldner und Undercover-Agent Frank Sturgis, der Castro im bewaffneten Kampf unterstützt hatte, fungierte ab Januar 1959 gar kurzzeitig als Minister der ersten Revolutionsregierung, zuständig für Glücksspiel und Casinos, also jener Branche, die der Mob-Boss Meyer Lansky seit 1947 in Kuba etabliert und zu einem Millionengeschäft für die Mafia und die jeweiligen Diktatoren ausgebaut hatte. Daneben diente die nur 90 Meilen von der Küste Floridas entfernte Insel als Zwischenstation für den Schmuggel des von Lucky Luciano produzierten und von der korsischen Mafia über Marseille verschifften Heroins.

Doch der CIA-Söldner Frank Sturgis – der 1972 als Watergate-Einbrecher verhaftet und verurteilt wurde – hatte als Minister ebenso schnell ausgedient wie die Hoffnungen der CIA, mit Fidel Castro eine willfährige Marionette heranzuzüchten, denn der neue Staatschef machte Ernst mit seiner Revolution: Seine Bodenreform, die den Privatbesitz von Land auf 400 Hektar beschränkte, traf die großen US-Tabak- und Zuckerkonzerne ebenso ins Mark wie die Verstaatlichung oder Schließung der von der Mafia kontrollierten Casino- und Bordellbetriebe. So hatte sich der neue Staatschef nach der Vertreibung des Diktators Batista und der Flucht seiner Anhänger innerhalb kürzester Zeit drei neue mächtige Feinde geschaffen: die US-amerikanische Wirtschaft, die organisierte Kriminalität und nicht zuletzt die CIA. Auch wenn sich der von 1957–1959 in Kuba amtierende US-Botschafter Earl T. Smith schon bei einer Senatsanhörung 1960 darüber beschwerte, dass es »nicht von Vorteil sei, wenn die USA Botschafter in ein Land entsendet und die CIA gleichzeitig die Opposition unterstützt«, stritt die CIA jahrzehntelang ab, Fidel Castros Revolution ursprünglich unterstützt zu haben. Freilich deuten ihre eiligen Pläne für eine Ermordung Castros, die in den folgenden Jahren manisch-kuriose Züge annahmen – u.a. mit explodierenden Zigarren, vergifteten Taucheranzügen oder tödlichen Drogencocktails – an, dass sie diesen Fauxpas mit allen Mitteln schnell aus der Welt zu schaffen suchte. Im März 1960 stellte Präsident Eisenhower der CIA ein Budget von 13 Millionen Dollar zur Beseitigung Fidel Castros zur Verfügung, und CIA-Chef Allen Dulles ließ zur Unterstützung der Operation Kontakte zu den Mafiabossen John Roselli, Sam Giancana und Carlos Marcello herstellen, die wie ihr »Konzernchef« Meyer Lansky dringend an einem Regierungswechsel in Kuba interessiert waren. Den in den USA im November 1960 anstehenden Wahlen sahen die Mobster indessen mit Gelassenheit entgegen. Von dem aussichtsreichsten Kandidaten, Eisenhowers Vizepräsident Richard Nixon, hatten sie ebensowenig zu befürchten wie von dem mächtigen FBI-Chef J. Edgar Hoover, der nach wie vor abstritt, dass es so etwas wie »organisierte Kriminalität« überhaupt gab, und seine Behörde lieber auf »Kommunisten« Jagd machen ließ. Und Nixons demokratischer Gegenkandidat, Senator John F. »Jack« Kennedy, war der Sohn eines alten Bekannten, mit dem sie schon in den 20er Jahren gute Geschäfte gemacht hatten: Joseph »Joe« Kennedy.

Joe Kennedy

Als Patrick Kennedy am 21. April 1849 in Noddle’s Island vor Boston landete, war er froh, dem irischen Hungerwinter und den Cholera- und Gelbfieberausbrüchen an Bord lebend entkommen zu sein. Dass er die zwei Cent für die Überfahrt nach Boston nicht mehr besaß, war sein geringstes Problem. Er fand Arbeit als Fassbinder, heiratete und setzte vier Kinder in die Welt, bevor er 1858, einige Monate nach der Geburt seines Sohnes Patrick Joseph, an der Cholera starb. Diesem P.J., wie er genannt wurde, stand ein bemerkenswerter Aufstieg bevor. Er arbeitete zunächst als Packer am Hafen und eröffnete bald mit einem Partner einen Saloon. Als jovialer Charakter, der wenig trank, aber immer ein offenes Ohr für seine Kunden hatte, nutzte er seine Beliebtheit als Sprungbrett für eine politische Karriere und wurde 1885 als Abgeordneter von East Boston in den Senat von Massachusetts gewählt – mit starker Unterstützung der Alkohol-Lobby, die den wachsenden Einfluss der Temperenzler und ihrer Forderung nach einem Alkoholverbot fürchteten. Nach der Eröffnung weiterer Kneipen und eines Spirituosengroßhandels nutzte er seine weitläufigen Kontakte für Investitionen in andere Unternehmen, vergab Kredite an die irische Community und beteiligte sich an einer Bank. Als sein Sohn Joseph Patrick 1888 auf die Welt kam, war P.J. Kennedy schon ein vermögender Mann, zehn Jahre später Bankier und einer der einflussreichsten Politiker Bostons. Und als er 1929 starb, hatte sein Sohn diese Rolle nicht nur übernommen, sondern massiv ausgebaut: Joe Kennedy war zu diesem Zeitpunkt auf dem besten Weg, zu einem der reichsten Männer und einflussreichsten Politiker der gesamten USA zu werden. Auch wenn Joe später oft zum Besten gab, wie er sich als Angehöriger der armen irisch-katholischen Minderheit gegen die Bostoner »Brahmanen«-Elite – die White Anglo Saxon Protestants – durchschlagen musste, war er in höchst privilegierten Umständen aufgewachsen. Nach dem Studium in Harvard mit allenfalls mittelmäßigen akademischen Leistungen verschaffte ihm sein Vater einen Job als Kontrolleur bei der Bankenaufsicht von Massachusetts. In den knapp zwei Jahren, in denen Joe Kennedy die Buchhaltungen der Banken durchforstete, eignete er sich das Rüstzeug für seinen Aufstieg zum Multimillionär an: Er lernte, wie man an der Börse mit Insiderwissen und Kursmanipulationen Anleger über den Tisch zieht. Als 1913 einer kleinen irischen Bank in Boston eine feindliche Übernahme drohte, stieg er mit von der Familie geliehenen 45 000 Dollar ein und wurde mit 25 der jüngste Bankdirektor der Vereinigten Staaten. Ein Jahr später heiratete er Rose Fitzgerald, die Tochter des ebenso irisch-katholischen wie korrupten Bostoner Bürgermeisters »Honey« Fitzgerald. Der verschaffte dem Schwiegersohn, um ihn vor der Einziehung zur Armee im Ersten Weltkrieg zu bewahren, einen Direktionsjob bei einem »kriegswichtigen« Schiffsbauwerk, das Joe bei Kriegsende zugunsten neuerlichen Finanz- und Börsenhandels prompt verließ. Nachdem er von einem Aufsichtsrat erfahren hatte, dass Henry Ford ein großes Kohlewerk in Kentucky übernehmen wollte, kaufte er mit geliehenem Geld 15 000 dieser Kohleaktien und machte in neun Monaten einen Profit von 675 000 Dollar (in heutiger Kaufkraft etwa 5 Millionen). Seine Brokerfirma unterhielt verschiedene Aktienpools (heute würde man sie Hedgefonds nennen), mit denen er durch gegenseitige Käufe und Verkäufe Aktienkurse nahezu nach Belieben manipulieren konnte – was zwar unethisch, aber nicht illegal war und daher für den vor Ehrgeiz und Aufstiegswillen strotzenden Banker völlig in Ordnung. Als Präsident Franklin D. Roosevelt 1934 Kopfschütteln und Erstaunen erntete, dass er ausgerechnet Joe Kennedy als Leiter der zur Regulierung der Finanzmärkte gegründeten Börsenaufsicht Securities and Exchange Commission (SEC) einsetzte, soll er lachend mit der Weisheit geantwortet haben: »Man braucht eben einen Dieb, um Diebe zu fangen.« Zu dieser Zeit hatte es der »Meisterdieb« Joe Kennedy schon in die Top Ten der reichsten Amerikaner gebracht, wozu neben klugen Investitionen in den Immobiliensektor und in die aufstrebende Filmindustrie Hollywoods vor allem das Alkoholgeschäft während der Prohibitionszeit beitrug. Das war zwar ab 1920 illegal, aber für den Spross einer Familie von Kneipiers und Schnapshändlern natürlich ebenfalls alles andere als unethisch – und zudem hochprofitabel. Sein Biograph Ronald Kessler schreibt:

»Joe bestellte die Spirituosen bei Brennereien in Übersee und belieferte die Syndikate des organisierten Verbrechens an der Küste. Frank Costello sollte später sagen, dass Joe auf ihn zugekommen wäre, um ihn um Hilfe beim Schmuggel zu bitten. Joe hätte den Schnaps an sogenannten Rum-Rows entladen – Übergabepunkte, an denen die Polizei bestochen war –, und Costello hätte dann übernommen. Costello war verbunden mit Männern wie Meyer Lansky, Joe Adonis, Louis ›Lepke‹ Buchalter…und Charles ›Lucky‹ Luciano. Sie verteilten den Schnaps, bestimmten die Preise und schmierten Polizei und Politiker.«10