Wir sind immer die Guten - Mathias Bröckers - E-Book

Wir sind immer die Guten E-Book

Mathias Bröckers

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Beschreibung

Ein gescheitertes Abkommen mit der EU führte vor fünf Jahren zu den Maidan-Protesten in der Ukraine und Europa in eine der gefährlichsten Krisen der vergangenen Jahrzehnten. Mit dem internationalen Bestseller "Wir sind die Guten" schauten damals Mathias Bröckers und Paul Schreyer hinter die Kulissen eines politischen Spiels, das tödlicher Ernst geworden ist. Denn seit der Westen sich im Kampf mit Putins Russland um die Ukraine wähnt, wurden auch in Deutschland längst vergessene Kriegsängste wieder wach. Doch worum geht es in diesem Spiel wirklich? Welche Rolle spielen die Medien? Und wer hat ein Interesse daran, dass der Kalte Krieg neu entfacht wird.

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Seitenzahl: 284

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Ebook Edition

Mathias BröckersPaul Schreyer

Wir sind immer die Guten

Ansichten eines Putinverstehers oder wie der Kalte Krieg neu entfacht wird

Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-86489-742-9

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2019

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich

Karten: Paul Schreyer, unter Verwendung von Material von d-maps.com

Inhalt

Titel
Vorwort zur Neuausgabe
Der Kampf um die Deutungshoheit
Russiagate & Nowitschok
Medien als Kriegspartei
1 Die Guten und die Bösen: Ansichten eines Putinverstehers
2 Konfliktreich: Eine kurze Geschichte der Ukraine
3 Weltherrschaft: Das »Great Game«
4 Öl, Gas und Sicherheit: Willkommen in Pipelinistan
5 Besser als Krieg: Farb-Revolutionen und Fake-Demokratie
6 CIA: Sechzig Jahre Erfahrung in der Ukraine
7 Tod auf Bestellung: Regimewechsel durch Scharfschützen
8 Fuck the EU: Ein Nachmittag mit Victoria Nuland
9 Schnittstelle im Machtpoker: Der Atlantic Council
10 Poroschenko: Schokolade und Waffen
11 Im Gleichklang: Leitmedien und Lobbynetzwerke
12 Von Prorussen und Propaganda: Medien im Kriegsmodus
13 Instrumentalisierung statt Aufklärung: Der MH17-Absturz
14 Instrumentalisierung statt Aufklärung II: »Nowitschok«
15 Machtansprüche: Unipolare vs. multipolare Welt
16 Wer sind die Guten?
17 »Russiagate«: Medienzirkus und gezielte Eskalation
Anmerkungen
Vorwort zur Neuausgabe
1 Die Guten und die Bösen: Ansichten eines Putinverstehers
2 Konfliktreich: Eine kurze Geschichte der Ukraine
3 Weltherrschaft: Das »Great Game«
4 Öl, Gas und Sicherheit: Willkommen in Pipelinistan
5 Besser als Krieg: Farb-Revolutionen und Fake-Demokratie
6 CIA: Sechzig Jahre Erfahrung in der Ukraine
7 Tod auf Bestellung: Regimewechsel durch Scharfschützen
8 Fuck the EU: Ein Nachmittag mit Victoria Nuland
9 Schnittstelle im Machtpoker: Der Atlantic Council
10 Poroschenko: Schokolade und Waffen
11 Im Gleichklang: Leitmedien und Lobbynetzwerke
12 Von Prorussen und Propaganda: Medien im Kriegsmodus
13 Instrumentalisierung statt Aufklärung: Der MH17-Absturz
14 Instrumentalisierung statt Aufklärung II: »Nowitschok«
15 Machtansprüche: Unipolare vs. multipolare Welt
16 Wer sind die Guten?
17 »Russiagate«: Medienzirkus und gezielte Eskalation
Register

Vorwort zur Neuausgabe

Dass wir uns im Herbst 2014 mit dem Untertitel dieses Buchs der Fraktion der »Putinversteher« zuordneten, war nicht einer besonderen Sympathie für den russischen Präsidenten geschuldet, sondern geschah als ironische und provokative Antwort auf die propagandistische Diskreditierung dieses Begriffs. Ähnlich wie einst beim Erstarken der Frauenbewegung mit mackerhafter Attitüde als »Frauenversteher« abgekanzelt wurde, wer die feministischen Argumente akzeptierte, so wurde im Zuge des Ukraine-Konflikts als »Putin-« oder »Russland-Versteher« abgemeiert, wer die Ansichten der russischen Seite ernst nahm. Dieser dumpfen Einseitigkeit entgegenzuwirken, von der wir auch große Teile der etablierten Medien erfasst sahen, war der Anlass für dieses Buch. Und unser Outing als »Putinversteher« die Antwort auf die Reduzierung dieses Konflikts auf den Kampf gegen einen gefährlichen, aggressiven, skrupellosen Mann – Wladimir Putin – und einen gegen dieses personifizierte Böse kämpfenden Westen, der nur hehre Ziele verfolgt. Gegen diese des-informierende, anti-aufklärerische Vereinfachung richtete sich unser Buch – mit Informationen und Hintergrundanalysen, die uns für eine objektive sachliche Beurteilung unverzichtbar schienen, von der allgemeinen Berichterstattung aber ignoriert oder ausgespart wurden. Dass diese Leerstelle tatsächlich existierte – auch wenn sich die etablierten Medien von ARD und ZDF abwärts bis heute keiner Schuld bewusst sind –, bescherte Wir sind die Guten den unerwarteten Erfolg von 20 Wochen in der Bestsellerliste und zehn Auflagen innerhalb eines Jahres. Und dies, obwohl sich diese etablierten Medien mit den Thesen und Analysen des Buchs kaum auseinandersetzten – wie es Stefan Niggemeier, Medienjournalist der FAZ, beklagte:

»Es stellt viele unbequeme Fragen, an die Rolle der Amerikaner und des Westens im Ukraine-Konflikt – vor allem aber auch an die Medien, die diese Rolle so wenig hinterfragen. […] es hinterlässt umso mehr das Gefühl, dass es hier eine Leerstelle gibt in der Berichterstattung der etablierten Medien. Und dieses Gefühl wird dadurch verstärkt, dass es in eben jenen Medien keine große Auseinandersetzung gibt über das Buch. Dass es nicht als Anlass gesehen wird, sich mit den Fragen, die es aufwirft, auseinanderzusetzen – und sei es, sie nüchtern und klar zu beantworten und der Analyse zu widersprechen.«1

Dass der Widerspruch gegen unsere Analysen entweder ausblieb oder sehr oft unsachlich und unklar ausfiel – auf der Website zum Buch (www.putinversteher.info) haben wir viele Rezensionen dokumentiert und kommentiert –, könnte als Beleg dafür betrachtet werden, dass unsere Argumente eben nicht so einfach zu widerlegen und damit vom Tisch zu wischen sind.

Der Kampf um die Deutungshoheit

»Wir müssen uns damit auseinandersetzen, mit Missinformation, Infiltrierung und Verunsicherung«, hatte Angela Merkel auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2015 bekundet. Sie sei zutiefst besorgt über die »Verunsicherbarkeit unserer Gesellschaften«.2 Der Grund für diese tiefe Sorge, nicht nur bei der Kanzlerin, sondern vor allem beim großen transatlantischen Bruder USA: Der Iwan kann Internet und sät diabolische Zweifel. Auf dem von »Brainwashington« sauber durchgepflügten Informationsacker wuchert das Unkraut des Unglaubens. Nicht nur der linke und rechte Rand sind vom Virus der Skepsis erfasst, sondern die Epidemie hat sich bereits in die Mitte der Gesellschaft ausgebreitet. Auch in Bereichen, die bis dato derart von genmanipuliertem PR-Dünger durchdrungen waren, dass sie immun gegen jede Art von »Verunsicherbarkeit« schienen. Und dann das – eine repräsentative Umfrage im Auftrag des NDR ergab Ende 2014, dass sich fast zwei Drittel der Deutschen in Sachen Russland und Ukraine schlecht oder nur einseitig informiert fühlten.3 Aber nicht, weil sie von »Feindsendern« oder irgendwelchen Blogs verunsichert wurden, sondern schlicht, weil sie ARD, ZDF und RTL konsumierten oder Zeitung lasen. Und den Schwarz-Weiß-Film, der ihnen da auf allen Kanälen entgegenschwallte, nicht für die Realität hielten und als Inszenierung durchschauten, was Tagesschau und heute-journal ihnen als Realität anboten.

Diese »Missinformation« war es, die auch gestandenen ARD-Veteranen wie Christoph Fröder oder Gabriele Krone-Schmalz die Haare zu Berge stehen ließ – und nicht irgendwelche »Feindpropaganda«, die im Rahmen »hybrider Kriegsführung« im Informationskrieg in die Herzen und Hirne des Publikums gepflanzt wurde. Auch viel gelesene Blogs wie die Propagandaschau,4 die Tag für Tag dokumentierten, wie in den gebührenfinanzierten Nachrichtenmanufakturen getrickst und getäuscht wird, sind für die allgemeine Verunsicherung nicht verantwortlich, sie liefern nur die Diagnose ihrer Ursachen: das Verschwinden grundlegender journalistischer Standards, die investigative Insuffizienz von bis zur Halskrause »embeddeten« Reportern, die Propagandatöne, welche die Berichterstattung überall durchdringen, die Permanenz und Penetranz der Parole »Wir sind die Guten« und die Russen unter Putin allein die Schuldigen und Bösen. Dieses Schattenspiel haben die Leute durchschaut. Und das nicht etwa, weil anti-amerikanische, vom Kreml bezahlte Trolle ihnen das einflüstern, vielmehr trauen sie den Verlautbarungen der Regierenden und ihrer Lautsprecher in den Großmedien nicht mehr, weil sie noch über einen halbwegs gesunden Menschenverstand verfügen.

Dass der Begriff »Lügenpresse« 2015 zum »Unwort des Jahres« gekürt wurde und seitdem eine Renaissance erlebt – nach einer ersten Blüte vor der deutschen Revolution 1848, einem Höhepunkt vor dem Ersten Weltkrieg und einem weiteren Peak in den Jahren ab 19335 –, scheint da kein Zufall. Zum einen hat der im Zuge der Pegida-Proteste wieder hochgekommene Begriff wie jede pauschale Diffamierungsvokabel den Negativ-Status als »Unwort« tatsächlich verdient, zum anderen fällt die Renaissance des Begriffs wieder in eine Zeit, in der wie schon in den Vorkriegszeiten des 20. Jahrhunderts massiv Feinbilder geschaffen und aufgebaut werden – und die Presse eben noch ein bisschen mehr lügt, als sie es ohnehin tut. Aber – und das macht den Unterschied zu den »Lügenpresse«-Vorwürfen von anno dazumal – auch schneller dabei erwischt werden kann, weil jeder im Internet nach alternativen Informationen recherchieren kann.

Dass die Ukraine derweil immer mehr ins Chaos abrutscht, regiert von einem Milliardär, der (entgegen seinem Wahlversprechen) parallel weiter seine privaten Firmen leitet, wird kaum mehr öffentlich zur Kenntnis genommen. Und die entscheidende Rolle der USA beim Machtwechsel in Kiew 2014 zu beleuchten, bleibt bis auf Weiteres wohl zukünftigen Historikern vorbehalten. Für deutsche Leitmedien scheint dieses Thema tabu zu sein. Kleine Puzzlesteine kommen dennoch nach und nach ans Licht. So wurde 2015 bekannt, dass US-Vizepräsident Joe Biden bereits zwei Monate vor dem Staatsstreich Präsident Janukowitsch in einem nächtlichen Telefonat mit »Strafen« gedroht habe, sollte dieser die teils militanten Demonstranten nicht gewähren lassen. Dies berichtete der ehemalige ukrainische Ministerpräsident Asarow in seinen im Herbst 2015 auf Deutsch erschienenen Aufzeichnungen und kommentierte:

»Mit dieser massiven Intervention Bidens war klar geworden, wer auf dem Maidan inzwischen tatsächlich das Sagen hatte. Die Amerikaner errichteten gewiss nicht selbst die Barrikaden aus Autoreifen. Sie brachten auch nicht die Waffen auf den Platz […]. Die Amerikaner forcierten jedoch erkennbar die konfrontative Entwicklung, sie wollten endlich die Rendite für ihre langfristigen Aufwendungen einfahren.«6

Diese Rendite kann seitdem besichtigt werden: ein neuer »failed state« mitten in Europa, gegeneinander aufgehetzte Ukrainer sowie eine absichtliche Zerstörung der Beziehungen zwischen Russland und der EU. Es ist letztlich die gleiche destruktive Strategie, die auch schon den Irak, Libyen und Syrien entstaatlicht und verwüstet hat – und die bis heute Millionen von Flüchtlingen in Bewegung setzt. Bleibt zu hoffen, dass das naive »Gut-Böse«-Schema, mit welchem diese politischen Eskalationen regelmäßig medial begleitet werden, endlich einer sachlicheren und rationalen Betrachtung weicht.

Russiagate & Nowitschok

Außer mit den mittlerweile bekannt gewordenen neuen Informationen über die Scharfschützen auf dem Maidan und die Untersuchungen des MH17-Absturzes haben wir diese Neuauflage auch mit zusätzlichen Kapitel über zwei Ereignisse erweitert, die seit dem ersten Erscheinen des Buchs den Konflikt des Westens mit Russland weiter angeheizt haben. Eines davon ist »Russiagate« – also der Vorwurf, dass die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten im November 2016 russischen Manipulationen zu verdanken wäre und Trump nichts anderes als eine »Marionette Putins« (Hillary Clinton) sei. Auch wenn bis heute trotz zweijähriger Untersuchung durch einen Sonderermittler des Kongresses keinerlei Beweise für solche Manipulationen oder irgendwelche Absprachen zwischen Trump und Putin vorliegen, kann die unterlegene demokratische Partei im Verein mit den US-Leitmedien von dieser stumpfen Speerspitze gegen Trump nicht ablassen. Der Schock über den unerwarteten Wahlsieg des Außenseiters sitzt offenbar so tief, dass eigenes Versagen als Ursache nicht zumutbar ist und ein Sündenbock gebraucht wird, dem man die Schuld zuschieben kann.

In ein solches Szenario scheint auch der Fall des im britischen Salisbury angeblich mit dem Kampfstoff »Nowitschok« vergifteten Doppelagenten Sergei Skripal und seiner Tochter Julia zu passen, der im März 2018 zur Ausweisung von mehr als 100 russischen Diplomaten aus den EU-Staaten und den USA führte. Auch hier waren es nur Behauptungen der britischen Regierung und Fake News über die Herkunft des Gifts, die ausreichten, Russland die Schuld in die Schuhe zu schieben. Von Gerichten oder internationalen Behörden anerkannte Beweise für die Herkunft der Täter liegen bis heute nicht vor, von den Medien wird der »Fall Skripal« aber nach wie vor als Beispiel eines »aggressiven Russlands« vorgeführt und instrumentalisiert.

Trotz dieser massiven Suggestionen durch Regierungen und Medien bleibt die Bevölkerung davon aber erfreulich unbeeindruckt: In einer repräsentativen Umfrage des Forsa-Instituts vom April 2018 wünschten 94 Prozent der Deutschen gute Beziehungen zu Russland, nur 25 Prozent sehen in Russland den Hauptschuldigen für die Verschärfung des Ost-West-Konflikts, dagegen 50 Prozent die USA. Und auch bei der Frage, wer die größere Gefahr für den Weltfrieden darstelle, Trump oder Putin, liegt der US-Präsident mit 79 Prozent in der Ungunst der Deutschen weit vorne.7

Dass die von den Großmedien und der Politik veröffentlichte Meinung und die öffentliche Meinung der Bevölkerung derart auseinanderklaffen, müsste entweder zur Entlassung sämtlicher Spin-Doktoren in Ministerien, Think-Tanks und Redaktionen führen, weil ihre Storys über Russland als Reich des Bösen beim Publikum nicht zünden, das mittlerweile nicht mehr schaudert, sondern eher lacht, wenn schon wieder unsichtbare »russische Hacker« am Start gewesen sein sollen. Oder aber die gesamte Berichterstattung und die Außenpolitik selbst müssten sich ändern, um diese Spaltung der Gesellschaft zu überwinden.

Frieden wird es in der Ukraine nur geben, wenn der Status quo der Krim als Teil der Russischen Föderation zumindest provisorisch anerkannt wird (wie einst die DDR von der BRD) und den abtrünnigen Ost-Provinzen der Ukraine ein ebenso provisorischer Autonomie-Status zugesprochen wird. Dies bedeutet freilich, den von USA, Nato und EU betriebenen »Regime-Change« und den geostrategischen Plan, der die Übernahme des russischen Marine-Stützpunkts Sewastopol und Nato-Kontrolle über das Schwarze Meer vorsieht, als gescheitert zu akzeptieren. Ebenso wie den Versuch, durch eine Assoziation mit der EU den zollfreien Handel und Wandel der Ukraine mit Russland abzuschneiden. Wer aus dem Bürgerkrieg in der Ukraine keinen globalen Konflikt machen will, muss an solchen Lösungen arbeiten, also die Ukraine nicht als nationalistisch-faschistoide Bastion gegen ein »Reich des Bösen« im Osten aufbauen, sondern als blockfreien Brückenstaat zwischen Russland und der EU.

Medien als Kriegspartei

»Wie wird die Welt regiert und in den Krieg geführt? Diplomaten belügen Journalisten und glauben es, wenn sie’s lesen«, notierte der Wiener Schriftsteller Karl Kraus, nachdem auf eine Falschmeldung der deutschen und österreichischen Presse über einen französischen Bombenabwurf auf Nürnberg Ende Juli 1914 unmittelbar die Kriegserklärung an Frankreich erfolgt war. Dieser fingierte Bericht war für ihn die Urlüge und das Paradebeispiel für die Manipulation der Massen in Kriegszeiten, die Kraus dazu führte, »den Journalismus und die intellektuelle Korruption, die von ihm ausgeht, mit ganzer Seelenkraft zu verabscheuen«. Als einer der Pioniere der Medienkritik hatte Kraus erkannt, dass die Medien die Wirklichkeit nicht abbilden, sondern erzeugen, und dass Meinungen und Stimmungen nicht einfach entstehen, sondern gemacht werden: »Ich habe erlebt, wie Krieg gemacht wird, wie Bomben auf Nürnberg, die nie geworfen wurden, nur dadurch, dass sie gemeldet wurden, zum Platzen kommen.«

In seiner monumentalen Tragödie Die letzten Tage der Menschheit führte Kraus vor, wie diese Stimmungsmache das Blutbad des Ersten Weltkriegs erzeugte. Auch wenn sich der apokalyptische Titel 100 Jahre später nicht bewahrheiten sollte, weil die Menschheit diesen Krieg überlebt hat: Die Methoden und Mechanismen, mit der die Massen zum Krieg animiert werden, haben sich seitdem nicht verändert. Sie sind durch die Allgegenwart von Funk, Fernsehen und Internet nur verstärkt und beschleunigt worden: Die Herstellung von Realität findet in Echtzeit, im Liveticker statt. Ebenfalls nicht verändert hat sich, dass »Diplomaten« – gemeint sind Geheimdienste und Lobbyisten – Journalisten belügen und auf Basis dieser medial geschaffenen Realität Politik gemacht wird und zum Beispiel für ein Ereignis, dessen Ursachen und Umstände noch ungeklärt sind – wie der Absturz eines malaysischen Zivilflugzeugs in der Ukraine am 17. Juli 2014 –, sofort ein Schuldiger benannt und militärische Konsequenzen gefordert werden.

Geändert hat sich auch nicht, dass derart erzeugte Stimmungen »Bomben platzen« lassen, auch wenn sie gar nicht geworfen, sondern nur gemeldet wurden. Und das ist der Grund für dieses Buch: die Stimmungsmache, mit der sich große Teile der Medien im Konflikt um die Ukraine letztlich von ihrer Verpflichtung zu objektiver Information verabschieden und die Wirklichkeit als Schwarz-Weiß-Film mit eindeutiger Rollenverteilung in Gute (USA, EU und Nato) und Böse (Putin und Russland) präsentieren. Wie im Folgenden gezeigt wird, mutieren zu diesem Zweck nicht nur Gerüchte zu Tatsachen, Vermutungen zu Ereignissen und Meinungen zur Wahrheit, sondern es werden auch unpassende Fakten verschwiegen und Interessen und Hintergründe der Akteure des Konflikts unterschlagen. Ihre eigene Rolle als »vierte Gewalt«, als Kontrolleure der Macht und der Mächtigen, haben die Medien damit weitgehend aufgegeben, sind weniger neutrale Berichterstatter als Partei und produzieren statt Aufklärung und Information eher Vernebelung und Eskalation.

So wie vor 100 Jahren, als Karl Kraus’ Mahnungen ungehört verhallten und die von ihren Medien in Trance versetzten Nationen wie Schlafwandler an einer Kreuzung zusammenprallten und einen schrecklichen Massenmord entfachten. Mit der gebotenen Skepsis hoffen die Autoren, mit diesem Buch zur Stärkung eines kritischen Bewusstseins beizutragen, damit sich eine solche Tragödie nicht auf gespenstische Art wiederholt.

Mathias Bröckers, Paul Schreyer

15. Januar 2019

1 Die Guten und die Bösen: Ansichten eines Putinverstehers

Wladimir Putin ist Macho und Macher, Zar und Star, coole Sau und weiser Patriarch – der Alleskönner in der Champions League der Weltpolitik. Er angelt die dicksten Fische, reitet zu Pferd durch die Taiga, fliegt mit Kranichen im Ultraleichtflieger und steuert Düsenjets. Er betäubt sibirische Tiger mit einem gezielten Schuss, spielt Klavier, singt Fats Domino und kann Goethe zitieren. Er ist sportgestählt und trägt den schwarzen Gürtel im Judo, ist Doktor der Rechtswissenschaft, Ex-Major des Geheimdiensts und Präsident des größten Flächenlands der Erde. Ohne Frage: ein Held.

Kaum ein Tag vergeht ohne Fototermine, deren Bilder diesen Mythos bis in den hintersten Winkel des russischen Riesenreichs transportieren. Solche Inszenierungen gehören überall in der Welt zum Alltag politischer PR, doch kaum einer aus der Riege internationaler Spitzenpolitiker kann es in Sachen Multitasking und Allroundtalent mit der Show dieses Supermanns aufnehmen – Putin ist Kult. Selbst Kritiker dieser selbstreferentiellen Herrscherinszenierung bekennen: Der Kerl hat es irgendwie drauf. Den Draufgänger und Kämpfer ebenso wie den bedächtigen Vater, der Mütterchen Russland geschickt über die Klippen geleitet, den harten Hund ebenso wie den gewieften Schachspieler und Strategen. Und selbst für seine übelsten Scherze, die er unter der Hand und bei vermeintlich ausgeschaltetem Mikrofon macht – zum Beispiel über den ehemaligen israelischen Staatspräsidenten Mosche Katzav, der 2006 wegen Vergewaltigung vor Gericht stand: »Er ist ein toller Kerl. Hat zehn Frauen vergewaltigt. Das hätte ich von ihm nicht erwartet. Er hat uns in Erstaunen versetzt. Wir beneiden ihn alle.« –, erntet der Supermacker Putin in gewissen Kreisen noch Respekt.

Während im Westen derlei Attitüden und Inszenierungen in der Regel als Beleg für den Rückfall in absolutistische Herrschaftsformen gesehen werden, wird Präsident Putin in seiner vierten Amtszeit von der heimischen Bevölkerung weiterhin mehrheitlich geschätzt, wenn auch seine Popularität 2018 zurückging, nachdem die russische Regierung eine Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 65 Jahre für Männer und 60 Jahre für Frauen beschlossen hatte.1 Einer großen Mehrheit nicht nur der alten, sondern auch der jungen Russinnen und Russen, die wahrlich keine Sympathien für sein autokratisches System hegen, ist immer noch bewusst: Ihr Land wäre zerfallen und das Chaos größer geworden, hätte Putin nicht dem wilden Anarcho-Kapitalismus ein Ende gesetzt, bei dem nach dem Ende der Sowjetunion der Staat von der Privatwirtschaft übernommen und zur privaten Profitsicherung benutzt wurde. Die Staatskassen waren bei Putins Amtsübernahme 1999 leer, die Auslandsschulden hatten sich bedrohlich angehäuft, der Staatsapparat funktionierte nicht mehr, das Sozialsystem war zusammengebrochen, die Kriminalität hatte beängstigende Formen angenommen, Clans und Oligarchen kämpften um die letzten verbliebenen Filetstücke einstigen Staatseigentums, und islamistische Separatisten aus Tschetschenien trugen den Bombenterror bis nach Moskau. Kurz: Nach kaum acht Jahren lief die »Befreiung vom Kommunismus« für Russland auf eine unendliche Katastrophe hinaus. Es waren nicht Meinungsfreiheit und Pluralismus, nicht Zivilgesellschaft und Liberalität, die der Bevölkerung wichtig waren, es war das simple Überleben: Die Auszahlung von Renten und Löhnen, die Gesundheitsversorgung, die Sicherheit auf der Straße durch ein Minimum an Recht und Ordnung.

Dass Putin zu diesem Zweck rabiate Mittel einsetzte – den demokratischen Pluralismus einschränkte, das Parlament entmündigte, die Oligarchen unter Kontrolle brachte, die Schlüsselindustrien wieder in Staatseigentum überführte und einen zentralistisches Präsidialsystem schuf –, wurde und wird von westlicher Seite gern als das Ende des postkommunistischen Aufbruchs in die »Freiheit« gesehen. Für die große Mehrheit der russischen Bevölkerung indessen war es das Ende des unter Gorbatschow und Jelzin entstandenen Chaos, das eine »Freiheit« gebracht hatte, die vor allem durch sozialen Niedergang gekennzeichnet war. Diesen Raubtierkapitalismus, der über Russland hergefallen war wie ein Kannibale über einen Säugling, gebändigt und das wirtschaftlich wie sozial ruinierte Land wieder auf einen prosperierenden Weg gebracht zu haben – das ist die Leistung, für die Putin als »Retter Russlands« gewählt wurde und geliebt wird. Dass er dazu die Demokratie in eine »Demokratur« verbog, dass er Meinungs- und Pressefreiheit einschränkte, dass nicht nur das Parlament, sondern auch die Justiz durch eine Machtvertikale von oben »gelenkt« werden, dass er Privateigentum und Marktwirtschaft zwar rechtlich etablierte, sie aber in ein staatskapitalistisches Korsett drängte und querschießende Oligarchen beseitigte, dass er nationale, patriotische Elemente stets betont und den Wertekanon des Westens verspottet: All dies hat Putin in den westlichen Medien zu einer Unperson gemacht und den Kreml, kaum hatte er sein Image als Hort blutrünstiger kommunistischer Kader abgestreift, erneut zu einer Bastion des Bösen.

Für die meisten der 150 Millionen Russen stimmt dieses Bild jedoch nicht. Dass das System Putin Werte wie Meinungsfreiheit und Toleranz eher gering schätzt, ist in ihren Augen keineswegs verwerflich, denn was unter dem Banner dieser Werte in den neunziger Jahren über das Land hereingebrochen war, haben die meisten in schlimmerer Erinnerung als die übelsten Entbehrungen der Sowjetzeit. Was half es, dass man sich ab 1991 mit einem Geschäft selbstständig machen konnte, wenn gleich nach der Eröffnung mafiöse Banden Schutzgeldforderungen stellten? Wem brachte die freie Auswahl luxuriöser Limousinen etwas, wenn Mercedes und BMW nur für Oligarchen und Gangster erschwinglich waren? Wem nützten das neue Werbefernsehen und sein überbordendes Warenangebot, wenn nicht einmal die minimale Rente regelmäßig eintraf?

Was den Bürgerinnen und Bürgern Russlands, die Jahrhunderte unter der Knute das Zaren und unter dem Diktat der Kommunisten gelebt hatten, nach der Wende seitens des vermeintlich »werteorientierten« Westens übergestülpt wurde, war Raubtierkapitalismus in Reinkultur. Unter der Flagge von Freiheit und Menschenrechten waren Gier und Gewalt eingezogen, statt eines bürgerlichen Rechtstaats ein archaisches, anarchisches Unrechtssystem, statt finanzieller Hilfen bei der Transformation des untergegangen Staats eine Horde internationaler Bankster und Spekulanten, die das Staatseigentum zu ihrer Beute machten. Selbst die italienische Cosa Nostra, die Späher in das neue kriminelle Eldorado Russland ausgesandt hatte, zog sich gleich wieder zurück: Die Russenmafia war den wahrlich nicht für Skrupel bekannten Italo-Mafiosi zu skrupellos.

Dass nach solchen Erfahrungen die »Wertegemeinschaft« des Westens bei den Russen keinen allzu hohen Stellenwert genießt, sollte niemanden wundern – ebenso wenig wie die Tatsache, dass diskriminierende Gesetze gegen Homosexuelle oder die Verurteilung von Pussy Riot in Russland mehrheitlich als Lappalie gesehen werden und nicht wie im Westen als eklatanter Bruch der Menschenrechte, der schon fast nach »humanitärer« Militärintervention schreit. Dass auch in Deutschland grölende Punk-Tussis verhaftet und bestraft würden, wenn sie im Kölner Dom aufträten, dass auch hier erst seit wenigen Jahrzehnten Jahren Schwule und Lesben nicht mehr kriminalisiert werden und dass etwa der TV-Auftritt eines bärtigen Travestie-Freaks wie Conchita Wurst noch vor wenigen Jahren zu einem breiten Aufschrei kultureller Empörung geführt hätte: All dies fällt bei der schulmeisterlichen Arroganz unter den Tisch, mit der der Westen russische Verstöße gegen seinen Wertekanon moniert und aufbläst.

So berechtigt Kritik an der aktuellen demokratischen Verfasstheit Russlands sein mag: Sobald diese Kritik zur Waffe eines Werteimperialismus gerät, der den zu »befreienden« Kolonien aufgezwungen oder gar als Teil der sogenannten Sicherheitspolitik zum »Menschenrechtsbellizismus« wird, entwertet sie sich selbst. Wer glaubt, dass es beim Krieg in Afghanistan um die Durchsetzung von Frauenrechten und Mädchenschulen geht, bei der Eroberung des Iraks um die Etablierung von Demokratie oder beim Krieg gegen Libyen um die Befreiung der Bevölkerung von einem irren Diktator, ist ein bedauernswertes Opfer der Propaganda, mit welcher der »werteorientierte« Westen seine imperialen Feldzüge verkauft – Feldzüge, bei denen es nicht um Humanität und Menschenfreundlichkeit, sondern immer um Macht- und Geschäftsinteressen geht, in aller Regel um Rohstoffe und Ressourcen. Und genau hier liegt der Kern des Konflikts des Westens mit Russland: Nicht Putins autokratische Regierungsführung oder homophobe Gesetze sind der Grund, warum er im Westen zur Unperson wurde – viele der aktuellen Alliierten des Westens rangieren diesbezüglich weit unter dem Niveau Russlands –, sondern die Tatsache, dass er den immensen Ressourcenreichtum Russlands der fröhlichen Ausbeutung durch transnationale Konzerne entzogen und unter die Kontrolle des Staats gebracht hat. Und damit hat er sich auch wieder zu einem wichtigen Player im »Great Game« gemacht – dem seit Jahrhunderten währenden Kampf der großen Nationen um die Rohstoffe und Ressourcen dieser Erde.

Seit im Zuge der Krise um die Ukraine in den Medien das Wort »Putinversteher« aufgetaucht ist und als Diskreditierung all jener eingesetzt wird, die sich weigern, diesen Konflikt als Schwarz-Weiß-Film mit eindeutiger Rollenverteilung in Gute (USA, EU und Nato) und Böse (Putin und Russland) zu sehen, sind wir bekennende Putinversteher. Dass »Verständnis« nicht »Zustimmung« oder »Akzeptanz« bedeutet und ein »Versteher« kein »Verehrer« ist – diese semantische Klarstellung scheint wichtig zu sein: Hitler zu »verstehen« heißt keinesfalls, ihm zuzustimmen. Und so verhält es sich auch mit dem russischen Präsidenten, der schon oft mit Hitler verglichen wurde: Hillary Clinton, ehemalige US-Außenministerin und Präsidentschaftskandidatin, sorgte für die internationale Premiere des neuen Hitler-Vergleichs, Deutschlands damaliger Finanzminister Wolfgang Schäuble legte indirekt nach, indem er den Beitritt der Krim zu Russland mit Hitlers Einnahme des Sudetenlands gleichsetzte. Der Verweis auf den Bad Boy Nummer 1 der politischen Zeitgeschichte scheint im Zuge der medialen Zuspitzung kriegerischer Konflikte offenbar unvermeidlich und ist – auch wenn sich angesehene Intellektuelle dieses Jobs befleißigen und uns wie Hans Magnus Enzensberger vor dem Irakkrieg etwa Saddam Hussein als neuen Hitler präsentieren – nichts anderes als dumpfe Propaganda.

Das heißt nun nicht, dass der Nicht-Hitler Wladimir Putin ein Waisenknabe, sein Regierungsstil der eines »lupenreinen Demokraten«, wie Ex-Kanzler Gerhard Schröder ihn einmal nannte, und Russland ein freiheitlicher Rechtsstaat ohne Fehl und Tadel sei. Das ist nicht der Fall, und Kritik an der Amtsführung des russischen Präsidenten ist in mancher Hinsicht berechtigt. Dass jedoch der Versuch, die Motive Russlands in der Ukraine-Krise zu verstehen und Einsicht in die Beweggründe und Ursachen von Putins Handeln zu gewinnen, diskreditiert und »Putinversteher« (oder »Russlandversteher«) als Schimpfwort gebraucht wird, kommt einer Diffamierung jeder Art von Analyse gleich. Wo jedoch nicht mehr analysiert werden darf, da herrscht Ideologie, wo Verstehen verboten wird, regieren Glaubensbekenntnisse. Deshalb bekennen die Autoren sich neuerdings und ausdrücklich als »Putinversteher«. Denn je boshafter, hitlerartiger Putin in den Medien porträtiert wird, desto wichtiger wird ein nüchternes und realistisches Verstehen – nicht durch psychologisierende Spekulation über eine Person, sondern durch politische Analyse, nicht durch einseitige Ideologie, sondern durch ein möglichst objektives Erkennen der Lage.

Von einem solchen möglichst neutralen Erkenntnisgewinn haben sich die westlichen Medien während der gesamten Krise in der Ukraine weitgehend – und seit der Zuspitzung der Lage im November 2013 nahezu vollständig – verabschiedet. Und so kam es, dass die im Westen verbreitete Ideologie mit Putin als neuem Quasi-Hitler von der Bevölkerung mehrheitlich als solche erkannt wurde und sich die Journalisten wunderten, dass ihre über Monate auf allen Kanälen penetrierte Freund-Feind-Unterscheidung vom Publikum nicht angenommen wurde. Selten klafften öffentliche und veröffentlichte Meinung weiter auseinander. Mehr als die Hälfte aller Deutschen äußerte in Umfragen im April 2014 Verständnis für die Haltung Russlands und sah im Anschluss der Halbinsel Krim kein Überschreiten einer »roten Linie«, dem militärisch entgegengetreten werden sollte. Mehr als drei Viertel der Bevölkerung wollte keinen neuen Kalten Krieg.2 Anfangs wurde die Tatsache, dass sich die sogenannten »meinungsbildenden« Medien ihrer entscheidenden Funktion beraubt sahen, weil die öffentliche Meinung nicht der veröffentlichten ihrer Leitartikler und Redakteure entsprach, mit dem Verdacht erklärt, der in Leserbriefen und Kommentaren im Netz geäußerte Protest sei »von Moskau organisiert«.3

Nachdem dann repräsentative Umfragen die weite Verbreitung des Unglaubens belegten und man Moskau zwar reichlich Böses andichten konnte, aber nicht die Fähigkeit, mehr als 40 Millionen Deutschen das Gehirn zu waschen, verlegten sich die Journalisten auf psychologische Deutungen, mit Erklärungen, die freilich kaum weniger krude ausfielen als die Theorie einer Propagandaverschwörung des Kremls. Da wurden dann die Sympathien für Putin mit dem unausrottbaren Hang der Deutschen zu »starken Führern« erklärt oder mit der Ignoranz von zu reichen und saturierten Wohlstandsbürgern, die einfach nur ihre Ruhe haben wollen, oder mit der Feigheit des »deutschen Michel«, der alles außer Krieg will, sowie mit der schlichten intellektuellen Beschränktheit der »Putinversteher«, deren Verständnis sich aus Unwissen und Halbwahrheiten speisen würde. Dass sie selbst vielleicht Desinformationen und Halbwahrheiten verbreitet haben könnten, auf diesen Gedanken kamen die Medienmacher nicht. Und so wiesen sie den Vorwurf einseitiger Berichterstattung entrüstet weit von sich und fuhren fort in ihrer Schwarz-Weiß-Malerei, die Russland auf die Person Putin, einen machtsüchtigen Autokraten, reduzierte und als Gegenstück den anonymen »Westen« inszenierte, der nur das Gute wollend hilflos einem aggressiven Tyrannen ausgeliefert ist.

Dass die massive Einmischung des Westens in die Angelegenheiten der Ukraine dazu heruntergespielt und das Monster Putin massiv aufgeblasen werden musste, versteht sich von selbst. Weniger selbstverständlich und deshalb überraschend für die Medien ebenso wie für die Politik war die Tatsache, dass dieses Schattenspiel vom Publikum so schnell durchschaut wurde. Ob das nun einfach nur am undefinierbaren Bauchgefühl der Bevölkerung lag oder an den Erfahrungen mit gefälschten Kriegsanlässen wie in Jugoslawien (»Hufeisenplan«) und Irak (»Massenvernichtungswaffen«) in der jüngeren Vergangenheit oder an der wachsenden Dominanz von Internet und Social Media, die alternativen Nachrichten schnelle und große Verbreitung ermöglichen und so den ehemaligen Leitmedien zunehmend den Rang ablaufen? Welche Faktoren auch immer dafür verantwortlich sind: Das Misstrauen gegenüber den Verlautbarungen etablierter Politik und Medien ist im Zuge der Ukraine-Krise erheblich gewachsen. Und dies zu Recht, wie wir im Folgenden deutlich sehen werden. Dass schon 2013 bei einer Umfrage von Transparency International 54 Prozent der Deutschen die Medien für korrupt hielten, passt da ins Bild.4

»In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.« So fasste vor einigen Jahren Egon Bahr, einer der Architekten von Willy Brandts Ostverträgen, seine jahrzehntelangen Erfahrungen als Außenpolitiker vor einer Schulklasse zusammen. Ihren Bericht über den Auftritt des sozialdemokratischen Urgesteins in Heidelberg überschrieb die Rhein-Neckar-Zeitung: »Egon Bahr schockte Schüler: Es kann Krieg geben.« Und wir sollten uns mit diesem alten Fahrensmann der Außenpolitik merken: Wenn es ihn in der Ukraine gibt – und der Bürgerkrieg ist ja seit Jahren im Gange –, dann ist es definitiv kein Krieg um Demokratie und Menschenrechte, sondern um die Interessen von Staaten.

In diesem Buch werden wir deshalb versuchen, die Interessen der beteiligten Staaten so darzustellen, wie sie sich auf dem Schachbrett geopolitischer Auseinandersetzungen darbieten – jenseits der propagandistischen Verbrämungen und Verzerrungen, mit denen Kriege seit jeher aufgeladen werden. Um diese Interessenlage aufzuhellen, müssen wir auf die Entwicklungen der vergangenen 25 Jahre zurückblicken: Auf das Ende des Kalten Kriegs, die Wiedervereinigung Deutschlands, den Niedergang der Sowjetunion und die Entstehung der Russischen Föderation ebenso wie auf die Entwicklungen der Europäischen Union, der Nato und der Supermacht USA. Und natürlich müssen wir uns die Geschichte der Ukraine anschauen, das große Land zwischen Europa und Asien, das von einem Krieg zerrissen zu werden droht, was weder im Interesse seiner Bürger noch in dem der Welt sein kann. Dass die beiden größten Atommächte, die USA und Russland, dabei direkt aufeinander losgehen, mag durch das Gleichgewicht des nuklearen Schreckens nach wie vor ausgeschlossen sein, doch auch ein mit Stellvertretern und verdeckten Mitteln geführter Krieg ist keine wünschenswerte Perspektive.

Auf einen wesentlichen Unterschied zwischen Russland und Ukraine wurde in jüngster Zeit häufig hingewiesen: In Moskau bestimmt seit Putin die Politik, welche Oligarchen Geschäfte machen dürfen, in der Ukraine bestimmten die Oligarchen, wer in Kiew Politik machen darf. Solange Gorbatschow und der oft betrunkene Jelzin die Amerikaner in Russland Business machen ließen, war alles in Ordnung. Erst als Putin den Ausverkauf stoppte und den Oligarchen Michail Chodorkowski ins Gefängnis steckte, weil er sein ergaunertes Ölimperium an Big Oil USA verkaufen und politisch aktiv werden wollte, wurde die Politik des Kremls zum Problem. Auch in Kiew lief alles lange einigermaßen gut, bis sich die USA mit der CIA und unzähligen NGOs massiv einmischten, um eine »orangene« Revolution vom Zaun zu brechen. Seitdem ist der bisherige Oligarchen-Pluralismus gestört und stärker gespalten denn je – in ein eher dem Westen und ein dem Osten zugeneigtes Lager.

Zu Letzterem zählte die Regierung Janukowitsch, die deshalb mit Unterstützung des Westens weggeputscht und durch ein westlich orientiertes Marionettenregime ersetzt wurde. Dass auch unzufriedene, weil verarmte und perspektivlose Bürger auf dem Maidan gegen eine korrupte und kleptokratische Regierung protestierten, ist völlig unbestritten; Ebenso klar sollte aber auch sein, dass diesen bei dem »Regime-Change« nur eine Statistenrolle zukam. Erzwungen und durchgeführt wurde er von den gewalttätigen Sturmtruppen des Rechten Sektors und von Scharfschützen, die auf dem Maidan wahllos in die Menge feuerten – parallel zur Vertragsunterzeichnung für einen friedlichen Übergang mit Neuwahlen zwischen Viktor Janukowitsch und dem deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier und seinen EU-Kollegen. Dass es sich bei diesen Killern um Söldner handelte, die weder von der amtierenden ukrainischen Regierung noch seitens der EU oder Russlands angeheuert waren: Dieser Verdacht hat sich in den vergangenen Jahren weiter erhärtet (siehe Kapitel 7). Gäbe es nur den Anschein eines handfesten Beweises, dass die Russen oder der ihnen freundlich gesonnene, demokratisch gewählte Präsident Janukowitsch an dieser Eskalation des Konflikts beteiligt waren: Wir könnten sicher sein, dass er uns längst im Breitbandformat präsentiert worden wäre. Nein: Dass der damalige deutsche Außenminister Steinmeier und seine EU-Kollegen vorgeführt und ihr Vertrag für einen friedlichen Übergang und Neuwahlen sofort nach Unterzeichnung Makulatur wurde, konnte weder im Interesse Russlands noch Janukowitschs liegen. Letzterer wurde dann mit Gewalt abgesetzt und verjagt, und Putin sah sich gezwungen, Russlands Marinestützpunkt in Sewastopol auf der Halbinsel Krim zu sichern – was mit einer halbwegs verlässlichen Regierung in Kiew und dem noch Jahrzehnte währenden Pachtvertrag völlig unnötig gewesen wäre, nicht aber bei einem von den USA installierten Putschregime.

Das Schwarze Meer ist für Russlands Gas- und Ölverkäufe in den Süden essentiell – und eben darum geht es Big Oil, den Oligarchen der USA, die den frisch eroberten Rohstoff aus Irak und Libyen sowie Erdgas aus Katar über eine Pipeline an Jordanien, Israel, Libanon und Syrien verkaufen wollen. Dass der Syrer Assad aber lieber einen Deal mit Putin abschloss, um die schon bis in die Türkei führende russische Blue Stream Pipeline ans Mittelmeer zu verlängern, ist ein wesentlicher Hintergrund des vom Westen finanzierten »Regime-Change« in Syrien. Auch dort geht es nicht um Demokratie, Menschenrechte oder das Absetzen eines Diktators, sondern um die Beseitigung eines unpassenden Herrschers und um ein Geschäft, das man sich von Russland nicht verderben lassen will.

Aus dem gleichen Grund hat der Hegemon aus Amerika schon lange Russlands Planungen einer eurasischen Zoll- und Handelsunion auf dem Kieker. Auch dass China, Indien und andere mit den Russen Milliardendeals abschließen und neuerdings ihre Öl- und Gaslieferungen nicht mehr in US-Dollar, sondern in Landeswährung bezahlen können, kann nicht dulden, wer wie die USA »einzige Weltmacht« sein will. Gleiches gilt für die Kontrolle über die Bodenschätze im Kaspischen Becken, von denen der amerikanische Geostratege Zbiginew Brzezinski forderte, dass »keine einzelne Macht Kontrolle über dieses Gebiet erlangen« darf und ein »ungehinderter wirtschaftlicher und finanzieller Zugang« für die »Weltgemeinschaft« sichergestellt werden müsse – wobei er unter »Weltgemeinschaft« statt eines multipolaren Pluralismus natürlich die von den USA dominierten Kräfte der Globalisierung verstand: »Somit kann das Bemühen Russlands, allein über den Zugang zu bestimmen, nicht hingenommen werden«, betonte Brzezinski.5 Insofern wundert es auch nicht, dass Joschka Fischer, ehemaliger Außenminister und mittlerweile auf der Gehaltsliste eines Think-Tanks der ehemaligen US-Außenministerin und Brzezinski-Schülerin Madeleine Albright, Anfang Mai 2014 in einem Interview tönte: »Putin will die Weltmacht!«6