Kaira Saltiem und das Vermächtnis der Templer - Uwe Wagner - E-Book

Kaira Saltiem und das Vermächtnis der Templer E-Book

Uwe Wagner

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Beschreibung

Die Verwirrung war Kaira ins Gesicht geschrieben. Noch ein Brief von der Kanzlei? Wieso kam ihr plötzlich alles so vor als wäre es ein Déjà-vu? So etwas war ihr in ihren fast fünfzehn Lebensjahren noch nicht untergekommen. Aber sie würde es aufklären, und zwar auf eigene Faust. Schließlich war sie es seit dem spurlosen Verschwinden ihrer Mutter gewohnt, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Doch dann trifft sie ausgerechnet auf Ulf, der so ganz anders ist als die Jungs in ihrer Klasse und der ihr Weltbild in dieser Hinsicht gehörig ins Wanken bringt. Er ist es auch, der ihr zeigt, welche Geheimnisse die alte Burg in sich birgt. Recht bald wird Kaira klar, warum diese Burg nicht nur Abenteurer und zwielichtige Gestalten anlockt, sondern auch mächtige Gegner auf den Plan ruft, um sie in eine Falle zu locken. Es ist ein atemberaubendes Vermächtnis, eines, das auf keinen Fall in falsche Hände geraten darf.

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„Es gibt nur zwei Weisen

die Welt zu betrachten:

Entweder man glaubt,

dass nichts auf der Welt ein Wunder sei,

oder aber,

dass es nichts als Wunder gibt.“

Albert Einstein

Inhalt

Prolog

Der Brief

Der Gasthof am See

Das Licht der Königin

Die Kammer der Zeiten

Der Schatten des Teufels

Eine unerwartete Reise

Prolog

Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.

„Vielen Dank, Tanja. Wir brauchen Sie heute Abend nicht mehr.“ Die alte Dame lächelte verständnisvoll. „Nehmen Sie sich doch einfach den Abend frei.“

„Oh, vielen Dank, Frau von Zwietlow“, erwiderte Tanja. „Falls Sie doch noch einen Wunsch haben sollten, erreichen Sie mich auf meinem Handy.“ Doch die Tür wurde bereits geschlossen und Tanja wusste nicht, ob ihr Angebot überhaupt wahrgenommen worden war.

‚Alte, scheinheilige Ziege‘, ging es ihr durch den Kopf als sie auf dem Absatz kehrt machte, um ihr eigenes Zimmer aufzusuchen. Das befand sich, wie es stets in herrschaftlichen Häusern üblich gewesen war, ganz oben, direkt unter dem Dachfirst. Eine Kammer für Dienstboten. Dabei war ihre Position, hier in dieser alten Burg, mit dem hochtrabenden Begriff Hausverwalterin tituliert worden. Ha! - Einen Dreck bedeutete das. Ein besserer Sklave, das war sie für diese alte Hexe. Ja, Hexe. Denn seit einiger Zeit geschahen seltsame Dinge im Haus. Oder wäre es richtiger zu sagen, dass einige Dinge eben nicht geschahen und dass dies seltsam war?

Jedenfalls hatte Tanja seit einiger Zeit das Gefühl, dass sie zwar eine Menge Leute kommen, aber nicht mehr gehen sah. Doch wo sollten die geblieben sein? Sie wusste, dass es einen kleinen seitlichen Ausgang in der äußeren Mauer gab, zu dem man durch den Weinkeller gelangte. Diese Tür hatte selbst dieser Bengel aus dem Dorf entdeckt. Unglaublich! Sie mochte gar nicht daran denken, wo der Bursche überall herumgeschnüffelt haben musste. Es fehlte ihr bloß noch, dass der mit seinem Anfängerglück noch vor ihr den Stein fand.

Doch der Bursche würde so schnell nicht wiederkommen, dafür hatte sie gründlich gesorgt. Trotzdem hatte sie diesen Ausgang fortan und stets im Blick gehabt. Deshalb war sie sich sicher, dass die geheimnisvollen Besucher die Burg auch auf diesem Wege nicht verlassen hatten.

Gab es doch noch einen weiteren geheimen Zugang zur Burg? Möglich wäre das durchaus. Schließlich hatten Burgherren in früheren Zeiten stets vorgesorgt, wenn es darum ging sich heimlich davonschleichen zu können. Im Innern des Hauses hatte Tanja einige dieser geheimen Verbindungsgänge bereits entdeckt. So existierte eine Wendeltreppe, zu der man durch den großen Kamin im Saal gelangte, wenn man wusste wie. Ganz offensichtlich hatte die einer der früheren Burgherren erbauen lassen, damit er heimlich die Schlafgemächer einiger Konkubinen aufsuchen konnte.

Für Tanja hatte sich damit die Gelegenheit ergeben, einige Gespräche der alten Dame, die von der Existenz dieser Gänge nichts zu ahnen schien, zu belauschen. Allerdings war das bislang nie sehr ergiebig gewesen, wenn man davon absah, dass Tanja auf diese Weise in Erfahrung bringen konnte, dass auch Frau von Zwietlow von dem legendären, hier versteckten Schatz wusste. Allerdings schien die sich nicht viel daraus zu machen. Naja, Geld hatte die alte Dame wohl mehr als genug, denn sämtliche Renovierungsarbeiten an der Burg sowie alle weiteren Anschaffungen und Besorgungen beglich sie stets aus ihrem eigenen Fundus ohne mit der Wimper zu zucken. Kredite brauchte sie ganz offensichtlich nicht.

Daher fand es Tanja auch nicht verwunderlich, dass Frau von Zwietlow bei jeder Gelegenheit beteuerte, dass sie sehr wohl von dem sagenumwobenen Edelstein, der irgendwann den Namen Licht der Königin erhalten hatte, wusste, aber nicht sonderlich daran interessiert war.

Für Tanja war dieser Stein jedoch von höchstem Interesse. Er war auch der Grund, weshalb sie sich überhaupt um diese Stelle bemüht hatte und weswegen sie es noch immer in dieser Hölle aushielt. Oh, wie sie das hasste herumkommandiert zu werden. Ein Seufzer entrang sich ihrer Brust. - Doch bald, bald würde sie den Schatz oder zumindest den Stein gefunden haben und dann konnte die alte Schachtel von ihr aus hier verschmachten. Aber bis dahin blieb ihr nichts anderes übrig als das üble Spiel mitzuspielen.

Sie hatte es denn auch gewissenhaft getan und sogar darauf gehofft, im Testament bedacht zu werden. Immerhin schien Frau von Zwietlow die Achtzig längst hinter sich gelassen zu haben und das Alter schien wirklich nicht spurlos an ihr vorübergegangen zu sein. Doch im Gespräch mit dem Notar, das Tanja natürlich mitbekam, hatte die alte Hexe alles ihrem Neffen hinterlassen, obwohl sie ihn stets als Nichtsnutz bezeichnete. Undankbarkeit war eben der Welt Lohn.

Nein, Tanja musste die Dinge wieder einmal selbst in die Hand nehmen. Deshalb hielt sie sich auch gar nicht lange in ihrer Kammer auf, sondern setzte ihre Suche nach dem Stein fort. Dabei ging sie inzwischen systematisch vor. Sie durchsuchte Raum für Raum in diesem alten Gemäuer, auch die geheim gehaltenen. Denn an jenen Orten, an den ihrer Vermutung nach ein solcher Stein sicher verwahrt und verborgen war, hatte sie nichts gefunden.

„Die ersten zwanzig Verstecke, die dir einfallen, kannst du gleich wieder vergessen“, hörte sie den alten Ben im Geiste sagen. „Auf die kommt jeder.“ Und Ben musste es wissen. War er nicht lange Zeit beim Geheimdienst gewesen? Oder war das auch wieder nur eine der Geschichten, die er gerne allen erzählte?

Es war Tanja letztendlich auch einerlei. Der Logik in der Aussage konnte sie jedenfalls folgen. Also musste sie ihre Suche Raum für Raum auf eine andere Art intensivieren. Und das tat sie. Auch heute. Da sie jedoch nicht alleine im Haus war und nicht von der Burgherrin bei ihrer Suche überrascht werden wollte, wäre jetzt wieder einer jener Räume an der Reihe, in die sich so schnell niemand verirrte, vor allem nicht Frau von Zwietlow. Dachte sie zumindest. Daher war Tanja überrascht als sie, wenn auch gedämpft, die wohlbekannte Stimme der Burgherrin vernahm. Daher blieb sie im Gang vor dem geheimen Zugang zum Raum stehen und lauschte.

„Nein, meine Liebe, das halte ich nicht für eine gute Idee.“

„Wieso nicht? Was soll schon groß passieren?“, vernahm Tanja die Frage der Besucherin, die seit ein paar Tagen hier in der Burg logierte. Wenn sie sich nicht täuschte, dann musste es die zierliche Frau mit den hochgesteckten dunklen Haaren sein. Tanja vermutete, dass es sich bei ihr um eine Spanierin oder Italienerin handelte und war daher verwundert, dass sie akzentfrei sprach. Das war ihr bei der Begrüßung der beiden Frauen schon aufgefallen. Die Begleiterin, eine schlanke Blondine, die mit ihren Kurven die Männer sicher scharenweise dazu brachte sich ihre Hälse nach ihr zu verrenken, hatte nur gelächelt und keinen Ton gesagt. Aber Tanja war inzwischen die seltsamsten Besucher gewöhnt.

„Du weißt doch genau, dass es nur in eine Richtung funktioniert.“

„Nicht ganz …“

„Oh doch!“, unterbrach Frau von Zwietlow sie barsch. „Willst du deine Tochter solange allein lassen, bis du es gefunden hast?“

Tanja horchte auf. Gefunden? Sprachen die von dem Schatz? Kein Wunder also, dass die alte Hexe sie fortgeschickt hatte. Wie gut war es doch, dass sie sich heute Abend noch auf ihre eigene Suche begeben hatte. Manchmal war der Zufall doch auf ihrer Seite.

„Nein, natürlich nicht. Aber wir wären ja zu zweit.“

„Papperlapapp.“ Tanja sah die Alte im Geiste vor sich wie sie mit einer herrischen Geste alle Gegenargumente vom Tisch wischte. „Das heißt überhaupt nichts.“

„Außerdem habe ich es schon einmal hinbekommen.“

„Eben.“

„Ja eben.“

„Du verstehst mich nicht. Einmal. Eben nur einmal und seitdem nicht mehr.“

Wovon sprachen die? So langsam konnte Tanja sich keinen Reim mehr darauf machen. Aber es ging auf jeden Fall um etwas Geheimnisvolles, etwas, dass niemand, sie selbst eingeschlossen, wissen sollte. Soviel war klar.

Schweigen trat ein und Tanja hielt unwillkürlich den Atem an, so als könnten die drei sie sonst entdecken. Vielleicht war das wirklich der Fall, denn in der Regel war der Zugang zu den Zimmern durch eine lose Wandvertäfelung oder durch die Rückwand eines alten Schranks verborgen. Die konnten stets mit einem raschen Griff entfernt werden und wenn sie das jetzt taten, säße sie ganz schön tief in der Patsche. Ihr Herz schlug ihr plötzlich bis zum Hals und der kalte Schweiß brach ihr aus.

„Aber es hat geklappt“, hörte Tanja die Dunkelhaarige sagen.

„Und wenn nicht? Wer soll dir helfen? Ich kann es nicht und deine Tochter ist noch zu jung.“

„Das weiß ich.“

„Außerdem wissen wir nicht, ob sie überhaupt eingeweiht werden kann. Schließlich hat sie ja nur die Hälfte von dir.“

„Jaja.“

„Also?“ Das sah Frau von Zwietlow gar nicht ähnlich. Wollte sie eine Entscheidung etwa jemand anderem, vielleicht sogar der jungen Frau, überlassen?

„Ich muss es tun“, verkündete die dann auch bestimmt.

„Wie du meinst.“

„Ja“, kam es zur Bekräftigung. „Und ich weiß, dass sie es versteht.“

„Da werden wir wohl nie einer Meinung sein. Aber es ist deine Entscheidung.“ Tatsächlich. Tanja kniff sich in den Arm, denn so was konnte doch nur ein Traum sein. Aber wie es aussah, war es keiner. So kannte sie die alte Hexe ja gar nicht.

„So ist es.“

„Und ihr wollt wirklich zu zweit …?“

„Ja.“

„Du auch, Miriam?“, bohrte Frau von Zwietlow nach. Demnach musste die Blonde auf den Namen Miriam hören. Warum fand Tanja das jetzt bloß so passend?

„Ja“, vernahm Tanja die Antwort und konnte diese Stimme so gar nicht mit der Person in Einklang bringen.

„Na schön. Wie ihr meint.“

„Du kannst uns nicht umstimmen.“

„Ich weiß“, seufzte die alte Dame. „Ich werde mich dann also um deine Tochter kümmern, wie versprochen.“

„Das wird nicht nötig sein.“

„Das hoffe ich. Aber ich möchte nur, dass du das weißt.“

„Gut. Es wird aber nicht einfach sein, sie hierherzubringen.“

„Ach, das lass mal meine Sorge sein. Die kommt schon her.“

„Hmm…“ Die Skepsis war deutlich herauszuhören.

„Jetzt noch nicht. Erst wenn sie fünfzehn ist.“

„Das ist noch hin.“

„Eben. Vielleicht möchtest du jetzt doch noch nicht …“

„Nein!“, widersprach die Dunkelhaarige energisch. „Wie gesagt, es wird gar nicht nötig sein. Außerdem können wir die anderen nicht noch länger warten lassen.“

„Das ist doch Quatsch“, widersprach die alte Dame. „Das weißt du genau.“

„Ja, aber das meine ich nicht. Wie wollen wir erklären, dass wir einfach noch ein paar Jahre gewartet haben? Außerdem wissen wir nicht, ob er nicht auch schon so weit ist.“

„Glaube ich nicht.“

„Und was ist, wenn er den Stein findet?“

Tanja konnte sich gerade noch zurückhalten. Beinahe hätte sie vor Schreck aufgeschrien. Der Stein. Also ging es doch darum.

Und sie mussten wissen wo er ist. Außerdem gab es da noch jemanden, der hinter dem Stein her war. Wer war dieser geheimnisvolle, der nur mit „er“ bezeichnet wurde?

„Findet er nicht“, widersprach die Alte.

‚Sie weiß es tatsächlich!‘, ging es Tanja sogleich durch den Kopf. ‚Die alte Hexe weiß wo der Stein ist.‘ Also wusste die Alte nicht nur vom Stein, sondern sie wusste auch ganz offensichtlich wo er sich befand. Wie hätte sie sich sonst so sicher sein können? So gleichgültig konnte ihr der Stein also gar nicht sein, auch wenn sie das immer vorgab. ‚Ganz schön gerissen, die alte Schachtel.‘

„Dann …“

„Ich werde mich darum kümmern“, schnitt die Alte ihr das Wort ab. „Deine Tochter und der Stein sind bei mir in guten Händen, vertrau mir.“

„Gut.“ Tanja hörte wie die Dunkelhaarige tief durchatmete.

„Dann kann’s losgehen.“

„Wie du meinst.“

„Ja. Gehen wir.“

„Moment. - Ich will vorher nur kurz nachsehen, dass auch niemand mehr im Haus ist. Danach gehen wir nach unten.“

„Mist!“, fluchte Tanja leise. Es würde auffallen, dass ihr Wagen noch im Hof stand. In Windeseile lief sie zurück, um jetzt ganz offiziell das Haus zu verlassen. Sie vermutete, dass die Alte ihre Besucherinnen über den geheimen Ausgang durch den Weinkeller bringen wollte. Denn sie hatte eindeutig gesagt, dass sie nach unten gehen wollten. Na gut. Dann würde sie die beiden Frauen eben dort abfangen und sich an ihre Fersen heften. Aber musste sie das überhaupt? „Eigentlich habe ich ja genug gehört“, murmelte sie wieder leise vor sich hin. „Der Stein ist hier und ich werde ihn finden.“

Gerade als sie bei ihrem Wagen angekommen war, trat Frau von

Zwietlow aus der Tür. „Haben Sie doch noch einen Wunsch?“, fragte Tanja diensteifrig.

„Nein. Fahren Sie ruhig“, kam die prompte Antwort.

„Schönen Abend noch.“ Tanja stieg ein und fuhr los. Im Rückspiegel sah sie, dass die Alte noch immer in der Tür stand. Dann geriet sie aufgrund der Wegbiegung außer Sicht.

„Der Stein muss also irgendwo im Haus sein, wo die Alte einfach drankommt“, murmelte Tanja vor sich hin. „Das macht es doch etwas einfacher.“ Ein süffisantes Lächeln umspielte ihre Lippen. „Und, wie es aussieht, ist er von sehr großer Bedeutung für diese alte Hexe.“ Sie lachte. „Wollen wir doch mal sehen, wie viel er ihr wirklich wert ist.“ Ihr Lächeln verschwand. „Aber erstmal muss ich ihn haben“, seufzte sie und schlug dann zornig aufs Lenkrad. „Ich werde ihn kriegen!“, fauchte sie wütend. „Und wenn ich warten muss, bis diese Göre hier auftaucht!“

***

Der Brief

Hic et nunc – Hier und Jetzt

Warum war er nur so aufgebracht? Hatte sie etwas Falsches gesagt? Und wenn ja, was war es, das ihn so aus der Fassung geraten ließ, und zwar so sehr, wie sie es vorher noch nie gekannt hatte? Dabei hatte sie doch nur wissen wollen, weshalb er das unverhoffte Erbe nicht annehmen wollte.

„Dann sag mir wenigstens warum“, forderte sie, nun ebenfalls wütend.

„Das verstehst du noch nicht.“

„Ach so?“, brauste sie nun ihrerseits auf. „Ich bin kein kleines Kind mehr, Paps!“

„Das weiß ich, Kaira“, antwortete ihr Vater, Michael Dengler. Noch immer bevorzugte er es Mike genannt zu werden, so wie ihn seine Freunde stets gerufen hatten. Aber das war zu Zeiten seines Studiums gewesen und die lagen schon dreißig Jahre zurück. Inzwischen war er Anfang fünfzig und ein vielbeschäftigter und vielkonsultierter Professor für Geschichte des Altertums, was für viele mit seiner Statur des nordischen Hünen nur schwer übereinzubringen war. Sein mittelblondes, nach wie vor dichtes Haar, wies hie und da bereits einige graue Strähnen auf, aber der stechende Blick seiner stahlgrauen Augen war unverändert, auch wenn er zum Lesen inzwischen eine Brille zur Hilfe nehmen musste.

„Paps ich bin vierzehn und bald werde ich schon fünfzehn. Ich bin Jugendliche“, insistierte sie.

„Auch das ist mir wohlbekannt, Kaira.“

„Und warum behandelst du mich dann so als wäre ich im Kindergarten? Mam hätte das nie so gemacht.“

„Halt deine Mutter aus dem Spiel“, erwiderte er im aufwallenden Zorn eine Spur heftiger als er es je beabsichtigt hätte. „Du weißt genau, wie ich darüber denke.“

„Ja“, gab sie kleinlaut zurück und schwieg. Ihr Zorn war schlagartig verraucht und ihre Wut in sich zusammengefallen, weil sie selbst nicht gern daran erinnert werden wollte, dass ihre Mutter nun seit über fünf Jahren nicht mehr bei ihnen war.

Bis heute war es ungeklärt geblieben, weshalb Kaija, die besonnene, jedoch allgemein aufgrund ihres Aussehens als heißblütige Mexikanerin beschriebene Frau, plötzlich und zusammen mit ihrer Freundin verschwunden war. Michael wusste, dass seine Frau ganz und gar nicht dem ihr angedichteten impulsiven Typ entsprach und sich nicht einfach aus einer Laune heraus entschließen würde irgendwo anders ein neues Leben zu führen. Daher hatte er, lange bevor die Polizei tatsächlich die Ermittlungen einstellte, mehrere Privatdetekteien konsultiert, um Hinweise auf einen möglichen Verbleib der beiden Frauen zu erhalten. Doch keiner hatte bis heute etwas herausgefunden.

Ihre gemeinsame Tochter, Kaira, wurde äußerlich ihrer Mutter immer ähnlicher, was ihm einerseits Trost war, ihm andererseits auch Qualen der schmerzlichen Erinnerung bereitete.

Kaira waren all diese Umstände durchaus bewusst, auch wenn sie die äußere Ähnlichkeit mehr anhand von Fotos und Videos als aufgrund ihrer Erinnerungen feststellen konnte. Zwar waren ihre Augen fast so hell wie die ihres Vaters und nicht so dunkel wie die ihrer Mutter. Dafür war ihr Haar dunkel, wenn auch kurzgeschnitten und nicht rückenlang, und ihr Teint wirkte ebenfalls südländisch. Hinzu kam, dass Kaira den Familiennamen ihrer Mutter, Saltiem, führte. Kaija und Michael hatten zwar geheiratet als Kaira unterwegs war, aber Kaija hatte ihren Familiennamen behalten. Aufgrund ihrer Übereinkunft sollten Töchter den Namen der Mutter und Söhne den Namen des Vaters erhalten, eine Regelung, deren Sinn Kaira bis heute nicht aufging.

Ihr Vater trat auf sie zu und schloss sie in seine Arme. „Schon gut. Ich weiß ja, dass es für dich auch noch immer schwer ist.“

Kaira nickte stumm und kämpfte mit den Tränen.

„Ich hätte auch schon längst dafür sorgen sollen, dass eine Frau im Haus ist.“

Wie vom Blitz getroffen zuckte Kaira zusammen. „Was soll das heißen? Etwa eine Stiefmutter?“

Ihr Vater seufzte resigniert. „Es ist doch nicht gut für Kinder, wenn sie ohne Mutter aufwachsen.“ Er hob beschwichtigend die Hand, weil er ihren Einwand, den das Wort Kind sicherlich heraufbeschwören musste, voraussah und gebot ihr so zu schweigen. „Außerdem kommst du jetzt in ein Alter, in dem ich dir einfach nicht so gut helfen kann wie eine Frau.“

„Ach das“, tat Kaira es ab und bekam ein wenig Farbe. Den anderen fiel das wegen ihres dunkleren Teints nicht auf, aber ihr Vater kannte sie zu gut.

„Das muss dir nicht peinlich sein, eher mir, weil ich es nicht so hinkriege.“

„Mach dir da mal keine Sorgen“, entgegnete Kaira nun keck.

„Frau Büchsenschütz leistet da ganze Arbeit.“

„Deine Geschichtslehrerin?“, wunderte sich Michael.

„Geschichte und Bio.“

„Aha. Na, dann habe ich ja nochmal Glück gehabt, wie?“ Er lächelte und zwinkerte ihr zu.

„Vielleicht.“

„Vielleicht? Wieso vielleicht?“, wollte er wissen.

„Alles erzählt sie uns bestimmt auch nicht.“

„Ganz bestimmt sogar. Aber wie ich dich kenne, erwartest du mal wieder viel zu viel. Das habe ich eben erst wieder gemerkt.“ Dabei hatte er, beabsichtigt oder nicht, den Bogen zu ihrem Ausgangsthema geschlagen.

„Nur weil ich wissen will, warum du das nicht haben willst, was uns diese … diese Tante vererbt hat?“, ging sie darauf ein, wohl wissend, dass ihr Vater ein für ihn zu brisantes Thema umschifft hatte. Aber sie würde bei Gelegenheit einfach darauf zurückkommen.

„Diese Tante ist Tante Ottilie und die kann mir gestohlen bleiben. Oder mit anderen Worten, von der will ich noch nicht einmal was geschenkt.“ Dabei spie er den Namen aus als hätte er etwas vom größten Ekel im Mund.

„Wieso das denn?“, hakte Kaira nach, weil sie eine solche Reaktion von ihrem Vater überhaupt nicht kannte. Außerdem war ihr Forscherdrang geweckt, denn sie wusste genau, dass dieser Name, der ihren Vater derart in Rage brachte, wie kaum jemals zuvor, in jenem Schreiben stand, das vor einigen Tagen gekommen war. Sie erinnerte sich genau. Es war der erste Ferientag gewesen und sie hatte die Postsendung entgegengenommen. Der Postbote hatte vor Ungeschicklichkeit das Paket und die Briefe, die er obendrauf gelegt hatte, fallen lassen, als er nach dem kleinen Gerät tastete, das er mit einem Karabiner an einer Gürtelschlaufe befestigt hatte, um sich den Empfang quittieren zu lassen.

Nach der Erledigung der Formalitäten hatte Kaira das Paket ins Arbeitszimmer ihres Vaters gebracht und dann in der großen Eingangshalle, die durchaus als Vestibül bezeichnet werden konnte, hastig die Briefe aufgesammelt, um sie ebenso im Arbeitszimmer zu deponieren. Dabei war ihr ein Schreiben einer Kanzlei aufgefallen. Sonderbarerweise war es nicht nur an ihren Vater, sondern auch an sie adressiert.

Jetzt wünschte sie sich, sie hätte das Schreiben gleich geöffnet, anstatt es ihrem Vater zu überlassen und es dann sogar für eine Weile zu vergessen. Heute hatte sie sich daran erinnert und von ihrem Vater zu hören bekommen, dass er das Erbe, das ihnen darin angekündigt worden war, abgelehnt habe, und zwar in ihrer beider Namen.

„Ach, das ist eine lange Geschichte“, beantwortete er ihre Frage knurrend und dennoch wich er ihr damit zugleich aus.

„Dann fang an“, forderte sie ihn auf und machte seinen Versuch gleich zunichte.

„Später. Jetzt muss ich los.“ Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn und griff zu seinem Jackett. Er hatte es, wie so häufig, einfach über die Lehne seines Stuhls gehängt, als er zum Abendessen aus seinem Arbeitszimmer durchs Vestibül in die Küche herübergekommen war.

„Jetzt noch?“

„Arbeitskreis griechische Mythologie“, erklärte lapidar als wäre es eine erschöpfende Information. „Du kannst ja gerne mitkommen.“

„Nee, lass mal. Den Quatsch mit Göttern und Halbgöttern brauche ich nicht.“

„Das ist kein Quatsch.“

„Für mich schon“, stichelte sie. „So wie Tante Ottilie für dich.“

„Na, das kannst du jetzt aber wirklich nicht vergleichen“, erwiderte er gekränkt, obwohl er auch eine gehörige Portion Zorn zurückhielt, wie Kaira bemerkte.

„Wieso? Was ist denn so ätzend bei der?“

„Ein andermal, sagte ich ja“, erwiderte er kurz angebunden. Er zog sich das Sakko über und ging zur Haustür. „Also, bis später mein Spatz.“

„Bis später“, seufzte sie. Ob er wohl je damit aufhören würde sie seinen Spatz zu nennen? Gerade wollte sie ihn daran erinnern, dass er ihr versprochen hatte, es nicht mehr zu tun, da fiel die Tür bereits ins Schloss und ihre Wut von vorhin war auf einmal wieder da. Warum wollte er ein Erbe nicht annehmen, ein richtiges Erbe und dazu eines, das nicht gerade unbedeutend zu sein schien? Wenn die Tante doch tot war, konnte es ihm doch egal sein, was jemals zwischen ihnen gewesen war. Und vor allem, kochte ihr Zorn wieder hoch, warum behandelte er sie noch immer wie ein kleines Kind? Immerhin war sie schon bald ein Jahr lang Teenager.

Sie ballte die Fäuste und stampfte mit dem Fuß auf. „Ich will das nicht mehr!“, schrie sie ihre Wut heraus. „Hätte ich mal bloß den Brief aufgemacht“, presste sie hervor und stellte sich vor, wie sie ihn las, gleich nachdem sie ihn aufgehoben und geöffnet hatte und wie sie sich selbst gleich bei der Kanzlei meldete. Das hatte sie zwar heute nachgeholt, sie war sogar selbst dort gewesen, aber man hatte ihr eindeutig zu verstehen gegeben, dass es für ihren Einwand längst zu spät war.

„Tut mir leid, junge Dame“, hatte ihr ein älterer Herr, einer der sogenannten Partner, der sich als Herr Flüger vorgestellt hatte, mit Bedauern in der Stimme mitgeteilt. „Ihr Vater hat rechtskräftig für sie beide abgelehnt und die Frist ist bereits verstrichen. Wenn sie gleich ihr Interesse bekundet hätten, also am besten bevor ihr Vater bei uns war, dann hätten wir das noch anders regeln können. Jetzt steht das leider nicht mehr in unserer Macht.“

Mit einer gehörigen Wut im Bauch hatte sie die Kanzlei verlassen und unten vor dem Haus ihr Rad mit derben Fußtritten malträtiert. Natürlich war es damit nicht besser geworden. Selbst als sie auf der Rückfahrt so sehr in die Pedale getreten hatte, dass sie die Strecke fast in der halben Zeit geschafft hatte, war ihr Zorn noch immer nicht verraucht. Aber ihr Vater, auf den sich ihre kaum zu zügelnden Gefühle richteten, war wieder einmal nicht zu Hause.

Am Abend, so war es dann geplant, hatte sie ihren Vater zur Rede stellen wollen, aber das war nun gründlich danebengegangen. Das würde sich auch nicht ändern, wenn sie wartete bis er wieder nach Hause kam. Das gäbe nur wieder Ärger. Also ging sie in ihr Zimmer und ließ sich auf ihr Bett fallen. Fuchsteufelswild trommelte sie mit den Fäusten auf die Matratze und schrie ihren Frust ins Kissen. Aber es wurde einfach nicht besser. Sie fühlte sich übergangen und einfach nicht ernst genommen. Die explosive Energie aus dem kleinen Streitgespräch war längst nicht verpufft und richtete sich nun gegen sich selbst. Am liebsten würde sie sich selbst dafür ohrfeigen, dass sie das Schreiben nicht gleich geöffnet und darauf reagiert hatte. Was würde sie dafür geben, wenn es doch bloß einen Weg gäbe, das zu bereinigen, wenn es doch bloß eine Möglichkeit gäbe, das jetzt noch anders machen zu können?

Dabei stellte sie sich vor, den Film des Lebens einfach wie ein Video zurückzuspulen, um dann an einer Stelle eingreifen zu können. Vor ihrem geistigen Auge tauchte die klare Vorstellung auf, wie sie das tat und sich dann diebisch darüber freute, weil es ihr gelang, das gewünschte Ergebnis zu erhalten. Das sich dabei einstellende Gefühl verbreitete wohlige Wärme in ihr. Oh ja! – So wäre es richtig gewesen. Mit jeder Faser ihres Körpers wünschte sie sich, dass sie es ändern könnte. Wenn sie doch nur einfach zurückgehen und das Geschehene ungeschehen machen konnte. Wenn, ja wenn ...

Sie schloss ihre Augen und stellte es sich nun in allen Einzelheiten vor. Es war ihr als ginge es ganz leicht, so als könne sie einfach hinüberschlüpfen wie von einem Laufband auf ein anderes. Es kribbelte in ihrem Bauch und sie fühlte sich ganz leicht. Auf einmal fühlte sie sich als würde sie von einem Strudel erfasst, der sie sanft aber bestimmt mit sich fortriss. Weiter, immer weiter. Eine tröstende Leichtigkeit umfing sie, eine angenehme Behaglichkeit, in der sie sich zu verlieren schien. Dann war da nur noch Dunkelheit.

***

Können Sonnenstrahlen wirklich kitzeln? Kaira wusste es nicht, aber sie hätte schwören können, dass genau dieses Kitzeln sie aus ihrem Traum geholt hatte. Ein goldener Strahl der Morgensonne hatte es geschafft einen Weg durch die unzähligen Blätter in der Krone des uralten Eichenbaumes zu finden, der von der Südseite des alten Landhauses stand. Zwar befand sich Kairas Zimmer im Obergeschoss an der Südostecke, aber die Baumkrone war groß genug, um selbst am Morgen das Haus zu beschatten, zumindest im Sommer. Im Frühjahr schienen die frischen Blätter im morgendlichen Sonnenlicht zu erglühen, was der Szenerie einen besonderen Zauber verlieh.

Doch jetzt war es Sommer. Es waren Ferien und Kaira seufzte, weil sie an die vielen Tage und noch mehr Stunden der Einsamkeit dachte, die noch vor ihr lagen. Ihr kam es ohnehin immer wie eine kleine Ewigkeit vor bis die Schule endlich wieder begann.

„Was ist bloß los mit dir?“, hatte ihr Vater bekümmert gefragt als sie ihm am ersten Abend mit einer ausdruckslosen Geste ihr Zeugnis überreicht hatte. „Ich dachte alle Kinder freuen sich auf die Sommerferien.“

Kaira hatte nur müde mit den Schultern gezuckt. Was hätte sie auch antworten sollen? Er wusste doch, dass sie ihre Mutter vermisste und wenn sie es ihm sagte, war er bloß wieder den ganzen Tag lang niedergeschlagen. Schließlich war auch er über den Verlust seiner Frau Kaija, die er stets als die große Liebe seines Lebens bezeichnete, noch immer nicht hinweggekommen.

Immer wieder hatte er Kaira gesagt, dass sie ihrer Mutter so ähnlich sehe, was sie stets vehement bestritt. Im gleichen Atemzuge wies sie ihn auf Merkmale hin, die sie seinem Erbgut zu verdanken hatte. Zu ihrem Bedauern gehörte seine kräftige Gestalt nicht dazu. Das hätte sicherlich vieles einfacher gemacht. Denn allgemein nahm sie es gern mit jedem Jungen auf und hatte manchen bereits mit Nachdruck in seine Schranken gewiesen. Das hatte sie sicherlich auch dem Karatetraining zu verdanken. Aber sie musste zugeben, dass ihre eher zierliche Gestalt, inzwischen von den Jungen nicht mehr unterschätzt, eindeutig etwas war, was die Ähnlichkeit mit ihrer Mutter unterstrich und sie schmerzlich an die vergangenen Ereignisse erinnerte.

Damals, im Winter, war ihre Mutter aufgebrochen, um ihre langjährige Freundin zu besuchen. Weil sie sich nicht wie versprochen gemeldet hatte, hatte ihr Vater nach langem Hadern mehrmals dort angerufen, aber es hatte niemand abgenommen. Am nächsten Tag war er dann so beunruhigt gewesen, dass er keinen anderen Ausweg mehr gewusst hatte und die Polizei verständigt hatte. Die bestätigte allerdings nur, dass im Haus der Freundin niemand anzutreffen war.

Nachforschungen brachten in den folgenden Tagen und Wochen keine weiteren Hinweise. Beide Frauen waren und blieben verschollen, wie vom Erdboden verschluckt. Bis heute war deren Schicksal noch nicht geklärt. Diese Ungewissheit, was wirklich mit ihr geschehen war, machte es sogar noch schlimmer.

Am Anfang war Kairas Vater jeder Spur nachgegangen. Deshalb hatte er sich sogar extra für ein Jahr seiner Professur beurlauben lassen. Doch er kam dem Rätsel nicht auf die Spur. Es war als drehe er sich im Kreis und das ständige Hoffen und Bangen hätte ihn bestimmt zermürbt, wenn er sich nicht wieder in seine Arbeit gestürzt und sich nicht besonders fürsorglich um Kaira gekümmert hätte.

Auch wenn Kaira diese übertriebene Fürsorge inzwischen reichlich nervte, hatte es ihr doch geholfen. Dennoch wäre es Kaira sicherlich genauso ergangen wie ihrem Vater, wenn die Schule sie nicht zeitweise auf andere Gedanken gebracht hätte. Es tat ihr gut mit den anderen aus ihrer Klasse zusammen zu sein, auch wenn bislang nie eine tiefere Freundschaft daraus entstanden war. Alle schienen ihre tiefe Melancholie zu spüren, die wie ein unsichtbarer schwerer Schleier auf ihr lag und alle Fröhlichkeit und Leichtigkeit zu ersticken drohte. Deshalb konnte sie auch der Zeit der Ferien wenig abgewinnen.

„Oh sehr schön“, hatte sie ihren Vater am Abend vor dem Ferienbeginn anerkennend sagen gehört, während sein Blick kurz auf ihr geruht und dann wieder übers Zeugnis gehuscht war. „Wirklich exzellent. Nur in Geschichte eine Drei. Ausgerechnet in Geschichte.“ Er zog die Stirn kraus. „Die Leute fangen bestimmt bald an zu reden. Die Tochter des Geschichtsprofessors kann alles außer Geschichte.“ Er hatte gequält gelacht und schwer geseufzt.

„Aber besser als letztes Jahr. Da war es nur eine Vier“, hatte sie daraufhin gewagt einzuwerfen, in der Hoffnung, ihn ein wenig zu trösten.

„Ja, ich erinnere mich.“ Wieder hatte er diesen verklärten Blick gehabt, wie immer, wenn seine Gedanken in die Vergangenheit schweiften. Dabei war es einerlei ob es die Vergangenheit des gestrigen Tages oder die von vor über tausend Jahren war. „Ich erinnere mich genau, wie die beim Elternabend alle hämisch gegrinst haben.“ Er hatte sie angesehen und geschmunzelt. „Aber was soll’s? Der Schuster hat ja angeblich auch immer die schlechtesten Schuhe.“

„Inzwischen macht mir Geschichte sogar Spaß.“

„Hmm.“

„Ja, ehrlich. Aber Frau Büchsenschütz meinte, eine Zwei kann sie mir nicht geben, weil das gleich zwei Noten wären.“

„Wie bitte? Und wenn du einfach so gut bist?“

„Dann wäre ich das im nächsten Halbjahr auch noch, hat sie gemeint.“

„Na, die werde ich mir mal vorknöpfen“, knurrte er verdrießlich.

„Lieber nicht“, hatte Kaira sofort eingelenkt, vor allem wie sie sich vorstellte, wie ihr Vater sich vor der zierlichen Person von Frau Büchsenschütz aufbaute und lospolterte. „Ich schaffe das schon. Beim nächsten Mal habe ich ein Zwei. – Versprochen.“

„Das höre ich gern. – Aber Vorsicht, ich habe ein gutes Gedächtnis. Ich komme darauf zurück.“

„Klaro.“

Wenn sie gehofft hatte, ihren Vater und sich selbst auf andere Gedanken zu bringen, so war dies vergebens. Das hatte erst Thomas Windig geschafft, der langjährige Weggefährte ihres Vaters, dessen Kopf inzwischen keine Haar mehr zierte, dafür aber eine altertümlich wirkende Nickelbrille, die das helle Grau seiner Augen irgendwie zu betonen schien. Er hatte vor Jahren zusammen mit ihrem Vater studiert, weshalb ihr Vater ihn immer als Kommilitonen und nur selten als Freund bezeichnete. Für Kaira war das unverständlich, denn sie fand, dass Thomas der beste Freund ihres Vaters war und ihn als Kommilitonen zu bezeichnen wäre genauso, als würde sie statt Cousine entfernte Blutsverwandte sagen. Das war irgendwie zu stocksteif.

Jedenfalls war Thomas an jenem Abend, wie fast jeden Abend, aufgekreuzt und die beiden hatten sich in Vaters Studierzimmer zurückgezogen. So war es auch am gestrigen Abend gewesen. Das war sicherlich für Vater genau richtig, aber Kaira war damit wieder einmal allein. Auch ihr Lieblings-Disneyfilm konnte sie nicht lange in die Traum- und Zauberwelt entführen. Ob die Zeiten ihrer Kindheit damit wirklich schon vorbei waren? Jedenfalls hatte sie es deshalb vorgezogen, statt weiterer Filme anzusehen, und es wäre ihrem Vater garantiert nicht aufgefallen, doch lieber in ihr Bett zu gehen.

Auf einmal ereilte sie eine andere Erinnerung und ein Schreck fuhr ihr in die Glieder. Sofort war sie hellwach. Denn ihr fiel soeben ein, dass sie einfach eingeschlafen war und alles an guter Kinderstube vergessen hatte. Sie hatte noch nicht einmal ihre Zähne geputzt, geschweige denn ihr Nachthemd angezogen. Reflexhaft strichen ihre Hände über ihren Körper. Tatsächlich! Sie lag hier im Bett in ihren Klamotten. Es waren dieselben, die sie am letzten Schultag in der Schule angehabt hatte. Wenn Vater das erführe, gäbe es bestimmt wieder ein Riesendonnerwetter.

Mit einem Satz war sie aus dem Bett. Ohne lange zu überlegen begann sie sich auszuziehen und tapste dann hinüber ins Bad, um zu duschen. Danach wären dann ja fast alle Spuren beseitigt, vor allem wenn sie frische Sachen anzog.

Wie immer schreckte sie zurück, als kaltes Wasser aus dem Brausekopf strömte. Zwar vermied sie es gekonnt von den feinen Wasserfontänen getroffen zu werden, aber am Boden sammelte es sich und erreichte unweigerlich ihre Füße. Mit einem scharfen Zischen zog sie die Luft ein und bemühte sich nicht aufzuschreien. Das hatte sie sich angewöhnt, weil Jungs das bestimmt auch so machten, jedenfalls hatte sie das im Freibad so beobachtet. Jedenfalls war sie seitdem peinlich darauf bedacht es ihnen gleich zu tun, damit die sich nicht über sie lustig machen konnten wie über andere Mädchen.

Dann kam endlich warmes Wasser und es tat gut sich darin einzukuscheln. Es tat so gut, dass sie die Zeit darüber vergaß.

„Wenn du noch länger da drunter bleibst, kriegst du noch Schwimmhäute“, hörte sie ihren Vater vom Flur her sagen. „Außerdem wäre es nett von dir, wenn du mir auch noch etwas warmes Wasser übrig lässt. Ich will mich nämlich auch noch duschen. Das habe ich gestern auch nicht mehr geschafft.“

„Ja-aa. Ist gut“, gab sie zur Antwort und beeilte sich sofort mit dem Einseifen und Abwaschen. Natürlich wusste sie, dass es sich bei der angeblichen Knappheit an heißem Wasser nur um einen Scherz handelte, aber trotzdem musste sie schmunzeln. Ihr Vater hielt sie wohl tatsächlich noch immer für ein kleines Kind. Wann würde er es endlich mitbekommen und akzeptieren, dass sie inzwischen vierzehn, fast fünfzehn Jahre alt war? Dabei hatte er ihr doch des Öfteren erklärt, was ihr stets ein wenig Angst eingejagt hatte, dass Mädchen im Altertum schon mit zwölf Jahren zwar noch nicht als erwachsen, aber bereits im heiratsfähigen Alter galten. Heiraten, das kam für sie überhaupt nicht infrage. Wozu auch? Die Jungs, die sie kannte und das waren die aus ihrer Klasse, die hatten nichts als Dummheiten im Kopf. Mit denen konnte sie einfach nichts anfangen. Außerdem konnte sie selbst viele Dinge besser als diese „aufgeblasenen Weicheier“, wie sie die Bande gerne provozierend bezeichnete.

Daher konnte sie einfach nicht verstehen, wozu es dann überhaupt gut sein sollte zu heiraten. Die Tatsache, dass die Mädchen damals im Altertum und noch weit bis über das Mittelalter hinaus nicht gefragt wurden, wen und ob sie überhaupt heiraten wollten, war in ihren Augen die größte Ungerechtigkeit schlechthin und sie hätte diesen Machenschaften gern einen Riegel vorgeschoben. Naja, zumindest in ihrer Phantasie. Sie, Kaira, das Mädchen mit den Superkräften, würde denen mal so richtig zeigen wo es langging.

Sie schmunzelte und wohlige Wärme breitete sich in ihrem Innern aus. Es tat gut sich das vorzustellen. Vor allem, wie alle sie dann bewunderten oder vielleicht auch fürchteten. Gedankenverloren griff sie zum Shampoo. Doch dann erstarrte sie in ihrer Bewegung. Die letzte Äußerung ihres Vaters schoss ihr plötzlich durch den Kopf.

Was hatte er doch gleich gesagt? Er hätte es gestern auch nicht mehr geschafft? Wieso auch? Wusste er etwa schon, dass sie es buchstäblich verschlafen hatte? Was wusste er denn noch? Jetzt fehlte nur noch, dass er es mitbekommen hatte, dass sie in Klamotten geschlafen hatte. Na, der Tag fing ja gleich toll an.

„Ich mache schon mal Frühstück“, hörte sie ihren Vater sagen. Offenbar war er schon auf dem Weg nach unten.

Konnte das heißen, dass er es doch nicht wusste? Oder war das nur seine Art sie in Sicherheit zu wiegen, um sie dann später zur Rede zu stellen? Sie musste es herausfinden. Je schneller, je besser. Also stellte sie das Wasser ab, öffnete die Glastür der Duschkabine, zog schnell ihr Handtuch herein und schloss die Türe wieder. Es würde ihr ein ewiges Rätsel bleiben, warum es nach dem Duschen im Bad immer so kalt war, auch wenn es vorher doch so angenehm warm gewesen war.

In Windeseile trocknete sie sich ab, stieg aus der Duschkabine und zog sich an. Wieder einmal stellte sie fest, wie praktisch ihre Kurzhaarfrisur war, denn jetzt im Sommer brauchte sie keinen Fön. Aber nicht nur deshalb war sie keine fünf Minuten später bereits unten in der Küche, sehr zum Erstaunen ihres Vaters.

„Ach, guten Morgen Liebes. Du warst eben also schon fertig?“, schlussfolgerte er aus ihrem so baldigen Erscheinen. „Dann hätte ich ja gleich oben bleiben können.“ Er zuckte mit den Achseln. „Naja, dann frühstücken wir jetzt eben zuerst.“

„War es spät gestern Abend?“, versuchte Kaira vorsichtig das Gespräch in die von ihr gewünschte Richtung zu lenken.

„Viel zu spät“, ging ihr Vater auch gleich darauf ein. „Jedenfalls wollte ich gestern Abend einfach nur in mein Bett.“ Er seufzte.

„Du hast bestimmt schon lange geschlafen als Thomas nach Hause gefahren ist.“

„Ja, ich war ganz früh im Bett“, gab Kaira vorsichtig formuliert zur Antwort.

„Ach, das habe ich gar nicht mitbekommen. Ich hab‘ gedacht, du hast dir noch eine DVD nach der anderen aus dem Regal geholt.“

„Nee, ich war zu müde.“

„Aha. Hast du deshalb erst heute Morgen geduscht?“ Kaira nickte stumm und ihr Vater wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Kaffeemaschine zu, die er gerade befüllte. „Naja, tut dir vielleicht ganz gut mal auszuschlafen.“

„Hätte noch länger sein können“, sagte Kaira eher zu sich selbst und war froh, dass ihr Vater ihre Nachlässigkeit gestern Abend nicht bemerkt hatte. Nebenbei holte sie sich eine Schüssel aus dem Schrank und brachte auch die Zutaten für ihr Lieblingsmüsli zum Tisch.

„Das glaube ich gerne. Aber bei dem schönen Morgen wäre es ja eine Schande ihn zu verschlafen. Außerdem sind Ferien. Da gilt es doch was zu erleben und nicht faul im Bett zu liegen.“

„Papaaa“, stöhnte Kaira. „Eben. Es sind Ferien und du machst schon wieder Stress.“

„Ich? Stress? Wie kommst du denn darauf?“

„Na was denn? Es reicht doch schon, dass ich immer früh aufstehen muss wenn Schule ist.“ Es war bestimmt besser, wenn sie ihre Angst vor der Einsamkeit und Langeweile gar nicht erst erwähnte. Deshalb war es auch nicht gut zu erklären, warum langes Schlafen dabei half dem zu entfliehen. Sie schüttete Milch über ihre Müslikomposition und begann zu essen.

„Also ich hab‘ mich damals immer riesig gefreut und da konnte ich einfach nicht im Bett bleiben.“

Kaira murmelte etwas Unverständliches. Sie hatte sich einen Löffel voll Müsli in den Mund geschoben und hoffte so dem weiteren Gespräch aus dem Weg gehen zu können.

„Du wirst schon sehen“, fuhr ihr Vater ungerührt fort. „Das wird großartig. Ich hab das im Gefühl. Heute passiert noch was Besonderes und die Ferien werden ein großes Abenteuer.“

Ihrerseits wurde Kaira das Gefühl nun nicht los, dass diese Ankündigung, so aufmunternd sie auch gemeint war, sich in ihren Ohren eher wie eine Drohung oder dunkle Prophezeiung anhörte. Sie konnte aber nicht sagen warum. Gedankenverloren löffelte sie weiter.

„Na, da sagst du nichts, wie?“ Er drehte sich um. „Ach, schon wieder Müsli? Willst du denn nicht wenigstens in den Ferien mal was Ordentliches essen?“

Stumm schüttelte sie den Kopf. Nach einer der unzähligen Sorten Vollkornbrot, die ihr Vater gern anpries, stand ihr noch immer nicht der Sinn. Zugegeben, das war sicherlich gesünder als das, was sie jeden Morgen konsumierte, das hatten sie im Unterricht oft genug im wahrsten Sinne des Wortes durchgekaut, aber es schmeckte ihr einfach nicht. Am besten sie ignorierte seine Bemerkung. Dann würde er bestimmt bald selbst das Thema wechseln.

„Ach, bevor ich’s vergesse“, sagte ihr Vater denn auch wie auf Bestellung, „heute soll ein Paket mit Büchern aus dem Antiquariat ankommen. Kannst du bitte aufpassen und das annehmen. Ich weiß nämlich nicht, ob ich früh genug wieder hier bin.“

„Okay“, gab sie einsilbig zu Antwort. Sie war es ja inzwischen gewohnt, die größeren Postsendungen anzunehmen oder an der Station abzuholen. Aber war nicht erst vor Tagen eines angekommen, an dem Tag, an dem auch dieser ominöse Brief dabei gewesen war?

„Okay?“, äffte er sie nach. „Wie wäre es mit: Aber ja, lieber Vater?“

Kaira verdrehte die Augen und wandte sich demonstrativ ihrer Schüssel zu. Sie grübelte noch immer darüber nach, ob dies jetzt eine Situation war, die, wie sie wusste, als Déjà-vu bezeichnet wurde. Es kam ihr vor, als hätte sie dies alles schon einmal durchlebt, konnte aber nicht sagen woher das kam. Schon des Öfteren hatte sie derartige Eindrücke gehabt, aber bislang hatte es sich immer als reine Ähnlichkeit der Situation herausgestellt.

„Womit habe ich das verdient? Aber die junge Generation hat anscheinend keinen Respekt mehr vor den Eltern. Wir waren da noch ganz anders.“

„Hat mir Opa aber anders erzählt“, konnte sie sich nicht zurückhalten einzuwerfen und war nun überzeugt sich getäuscht zu haben, denn dieser kleine Schlagabtausch war schon fast ein Ritual und das konnte ja wohl nicht als Déjà-vu bezeichnet werden.

„Wie bitte? Das hat er dann wohl nicht mehr so richtig in Erinnerung.“

Kaira zuckte nur desinteressiert mit den Achseln. „Kann sein.“ Sie hatte jetzt keine Lust sich mit ihm zu streiten, wenn auch nur scherzhaft zum Schein.

„Aha. Gut. Danke dir.“ Für einen kurzen Moment schien er irritiert zu sein, dass von ihr kein Widerspruch kam. „Ha!“ Er klatschte in die Hände, setzte sich und begann sein Frühstücksbrot zuzubereiten. „Es geht doch nichts über ein kräftigendes Frühstück, vor allem heute.“

„Heute?“

„Ja, sagte ich doch, dass heute was Besonderes passiert.“

Hatte ihr Vater auch dieses Déjà-vu-Gefühl? „Ach, und was?“, fragte sie, nun doch interessiert, nach.

„Tjaaa, das weiß ich natürlich nicht, nur dass da was kommt.“

„Und wieso weißt du das dann?“

„Na, es ist doch Ferienanfang. Da gehört das doch dazu.“

„Hä?“ Kaira glaubte sich verhört zu haben. Wieso sollte heute Ferienanfang sein? Der lag doch schon eine Weile zurück. Aber vielleicht war er wieder nur einmal zerstreut. Das passierte vornehmlich immer dann, wenn er sich am Abend vorher intensiv mit seinem Hauptthema beschäftigt hatte. „Ach so“, murmelte sie daher nur ein wenig niedergeschlagen. Ihre Enttäuschung war echt. Denn demnach war doch nichts dahinter, nur ein Spruch. „Na, wenn du meinst“, stöhnte Kaira und stand auf.

„Dann bin ich ja mal gespannt.“

„Kannst du auch“, entgegnete er unerschütterlich, so als könne er stets nur das Gute erwarten. „Heute beginnt quasi ein neues Leben.“ Er grinste.

„Ja sicher. Was sonst noch?“, kommentierte sie unwirsch und verdrehte die Augen.

„Ach, Kaira. Freu dich doch einfach mal.“

Darauf lief es also hinaus. Er wollte sie nur aufmuntern. Dabei hatte sie tatsächlich fast geglaubt, er wüsste etwas und wollte sie überraschen. Dann war es also nur einer seiner alten Tricks? Nein, das konnte nicht sein. Dazu war das, was sie eben gespürt hatte zu ernst gewesen. Ernst? Oder doch bedrohlich? Zumindest war es anders als sonst und sie spürte es jetzt noch. Wusste ihr Vater doch etwas? Sie wurde das Gefühl nicht los, dass etwas ganz und gar nicht stimmte.

„Ich weiß ja nicht worauf?“, versuchte sie es herauszufinden.

„Ist doch egal. Lass dich doch einfach mal überraschen.“

„Hmm“, grummelte sie und verließ die Küche, um wieder nach oben in ihr Zimmer zu gehen. Was ihr Vater ihr noch nachrief, als sie schon in der großen Eingangshalle war, hörte sie zwar, aber es drang trotzdem nicht zu ihr vor. Sie steuerte bereits auf die große zentrale Treppe zu, die die Zugänge zum Wohnzimmer und zu seinem Arbeitszimmer trennte und nahm dann gleich immer zwei Stufen auf einmal. Es war so, als hätte ihr Verstand die Worte einfach herausgefiltert, weil er etwas Besseres zu tun hatte. Außerdem hatte sie Aufmunterungen dieser Art schon zu oft gehört, um sie noch richtig ernst zu nehmen. Daher konnte es ihr eh gleichgültig sein. Aber dem war nicht so und sie wollte gern verstehen weshalb. Sie verspürte den Drang, über das nachzudenken, was sie soeben gehört und vor allem dabei gefühlt hatte. Denn das passte diesmal einfach nicht zusammen. Irgendwas war anders, beunruhigend anders.

Oben angekommen ließ sie sich in den großen Korbsessel fallen. Dieser Sessel war ihr Rückzugsort. Hier konnte sie sich auf den Schwingen der Gedanken aus der Welt stehlen. Im Sessel war sie wie in einem anderen Land, einer anderen Welt. Schon damals, als sie ihn geschenkt bekommen hatte, war er ihr vorgekommen wie ein Thron aus dem Elfenland. Er hatte einfach etwas Magisches an sich, fand sie. Allerdings hütete sie sich das jemals wieder zu erwähnen. Wer ließ sich schon gerne ein zweites Mal dafür auslachen?

Die Anmerkung ihres Vaters über das neue Leben kam ihr wieder in den Sinn. Ein neues Leben? Sie wollte kein neues Leben. Sie wollte lieber ihr altes wiederhaben, das Leben, zusammen mit ihrer Mutter. Nein, da brauchte sie kein Neues.

Doch unwillkürlich drängte sich eine andere Idee in ihr Bewusstsein. Wie wäre es, wenn es tatsächlich ein neues Leben für sie gäbe? Wäre das nicht gut? Ein Leben in dem sie wieder Freude empfinden konnte. Eines, in dem sie Freunde hatte. Eines, in dem sie wieder mit ihrer Mutter vereint sein konnte. Ja, das wäre in Ordnung.

„Das wäre sogar sehr in Ordnung“, murmelte sie nachdenklich vor sich hin als die Türglocke sie jäh ins Hier und Jetzt zurückholte. Hatte ihr Vater etwas vergessen und war wieder einmal nur zu faul, um seinen Schlüssel aus der Tasche zu holen?

Es war einerlei. Sie stand auf, um nachzusehen und huschte durch den Flur zur großen Treppe. Schon von den oberen Stufen aus konnte sie erahnen, dass es nicht ihr Vater war, der da draußen vor der Tür stand, auch wenn das Milchglas nur schemenhafte Umrisse der Gestalt erkennen ließ. Ihr Blick streifte das Ziffernblatt der großen Standuhr, die bestimmt schon hier gestanden hatte als ihr Großvater geboren worden war.

Fast so als habe ihr jemand einen Schlag in die Magengrube versetzt, hielt sie abrupt in der Bewegung inne. Es war schon deutlich nach elf Uhr. Das konnte doch nicht sein. Sie war doch eben erst nach oben gegangen. Sollte sie wirklich über drei Stunden dort gesessen und vor sich hin gegrübelt haben?

Sie schüttelte sich als könne sie damit diesen seltsamen und irgendwie beängstigenden Gedanken loswerden. Doch die erhoffte Lösung wollte ihr auch danach nicht wie Manna aus dem Himmel in den Schoß fallen.

„Das waren doch niemals …“, begann sie zu sich selbst zu sagen als ein erneutes Betätigen der Türglocke sie daran erinnerte, weshalb sie hier war.

Schnell sprang sie die weiteren Stufen hinab und huschte, halb laufend und halb über die glänzenden Bodenfliesen schlitternd, zur Tür. Sie öffnete ohne die Kette vorzulegen. Sie hatte die unbestimmte Gewissheit, dass ihr keine Gefahr drohte, weil … ja, warum war sie sich überhaupt so sicher? Weil sie das alles schon einmal genauso erlebt hatte? Das war doch wirklich Quatsch in Tüten. Sie schüttelte sich, um diese verqueren Gedanken zu verscheuchen.

Außerdem, sollte doch mal jemand versuchen an ihr vorbeizukommen. Dem würde es genauso ergehen wie Fabian beim Karatetraining. Fabian, ha. Sie schmunzelte als sie sich erinnerte. Er war beim vergangenen Mal ziemlich eingeschnappt gewesen. Vielleicht hatte sie ihn einfach zu hart angegangen. Jedenfalls weigerte er sich seit kurzem mit ihr zu trainieren. Vielleicht lag es aber auch daran, dass sie ihn eben genauso, als Weichei, bezeichnet hatte. Jungs mochten so was nicht, vor allem wenn andere Jungs dabei waren und sich dann über ihn lustig machten. Aber was soll’s? Schließlich war es ja so. Er hatte das Training einfach zu oft geschwänzt und sie hatte ihre Chance genutzt, ihm es so richtig heimzuzahlen, dass er sie vor der Weihnachtsfeier so lange im Schwitzkasten gehalten hatte, dass ihr Kopf rot wie eine Tomate geworden war. Der Spott danach hatte erst nachgelassen als einigen danach mal gezeigt hatte, was sie davon hielt.

Jetzt brauchte sie ihre Künste allerdings nicht einzusetzen, denn vor ihr stand, wie erwartet, der Postbote des Dorfes. Wieder einmal balancierte er ein Paket auf seinem rechten Arm, da seine linke Hand noch auf dem Knopf der Türglocke ruhte. Machte er das eigentlich immer so? Lernte er denn nie dazu?

„Ah, guten Morgen“, sagte er breit lächelnd. „Die Herrin des Hauses persönlich. Na, dann weiß ich meine Sendung ja in guten Händen.“ Damit überreichte er ihr das Paket mit ausgestreckten Armen und wieder hatte Kaira das Gefühl, genau das schon einmal erlebt zu haben. Ihr Magen krampfte sich zusammen und sie versuchte sich zu beruhigen, indem sie sich einredete, dass er den Spruch über die Hausherrin schon des Öfteren angebracht hatte und es ihr daher so vorkam, als befände sie sich in einer Schleife wie im Film mit dem Murmeltier.

Kaira nahm es etwas zu hastig an. Einige Briefe, die ihr Gegenüber, wieder einmal, oben aufs Paket gelegt hatte, fielen herab und schlitterten über die Fliesen in Richtung Treppe.

„Holla! Nicht so eilig, junge Dame“, lachte der Postbote und Kaira wurde das Gefühl nicht los, dass er es extra so eingerichtet hatte, um sie zu foppen. „Außerdem brauche ich noch eine Unterschrift.“ Er übergab ihr das Paket und griff zu dem Gerät, das mit einem Karabiner an seinem Gürtel befestigt war und holte es hervor. Mit der anderen Hand hatte er bereits einen Kunststoffgriffel aus seiner Brusttasche hervorgezogen und hielt Kaira nun beides hin. „Bitte, einmal quittieren. Gleich hier im leeren Feld.“

Auf der Oberseite des Gerätes erkannte Kaira eine LCD-Anzeige, auf der lediglich eine Linie dargestellt war. Aber das kannte sie ja bereits. Schnell fasste sie das Paket mit der linken Hand, um ihre rechte freizubekommen. Dann kritzelte sie mit dem Griffel etwas auf das Display, das sie als Namenskürzel für diese Art von Unterschrift bestimmt hatte.

„Vielen Dank“, kommentierte der Postbote und verabschiedete sich mit einem Lächeln.

Mit dem Fuß schloss Kaira die Tür und versuchte, während sie das Paket balancierte, die Briefe vom Boden aufzuheben. Doch wurde ihr das Paket dabei zu schwer. Daher ging sie es kurzerhand ins Arbeitszimmer ihres Vaters, um es dort abzustellen. Doch auf dem Schreibtisch lagen wie üblich unzählige Bücher und Schriften. Den Fehler, etwas daraufzustellen, hatte sie bisher nur einmal gemacht. Das Donnerwetter war ihr nur allzu gut in Erinnerung. Daher verfrachtete sie das Paket, ohne lange nachzudenken, auf die Sitzfläche seines Arbeitssessels.

Mit schnellen Schritten ging sie zurück in den Flur, in Richtung Küche, um die Briefe, die tatsächlich fast bis zur Treppe gerutscht waren, aufzusammeln. Während sie die Absender in Augenschein nahm, setzte sie ihren Weg in Richtung Küche gedankenverloren fort. Im gleichen Moment ärgerte sie sich darüber, denn es waren alles Briefe, die an ihren Vater adressiert waren und die, darum hatte er sie ausdrücklich gebeten, sollte sie in die Briefeschale auf seinem Schreibtisch legen.

Gerade wollte sie kehrt machen, um das Arbeitszimmer deswegen aufzusuchen, da fiel ihr Blick auf den schlichten weißen Umschlag, der etwas Erhabenes ausstrahlte. Zu ihrem Erstaunen war er an sie beide adressiert. Dort stand es eindeutig: Herr Professor Michael Dengler und Frau Kaira Saltiem.

Frau stand dort. Noch immer kam es ihr seltsam vor und auch irgendwie schön. Es gab ihr das Gefühl dem Erwachsensein schon recht nahe zu sein. Wieso kam ihr das dennoch so vertraut vor?

Schnell huschte sie hinüber ins Arbeitszimmer, legte die anderen Briefe dort ab und flitzte dann mit dem besagten Brief zurück in die Küche. Dabei las sie noch einmal den Absender und ihre Augen wurden groß, denn die Namen sagten ihr durchaus etwas. Es war ein Schreiben aus dem Notariat, das sie zu spät aufgesucht hatte, um die Sache mit dem Erbe zu regeln. Aber wieso sollten sie erneut Post von diesem Notariat erhalten? Konnten sie vielleicht doch noch etwas ändern? Eine freudige Erwartung ergriff sie und sie spürte ein Kribbeln im Bauch.

Schon hatte sie ein Küchenmesser aus der Schublade geholt, um den Brief zu öffnen denn diesmal überlegte sie nicht erst, ob sie ihn doch lieber erst am Abend gemeinsam öffnen sollten. Schließlich war sie auch als Empfänger genannt. Diesmal würde sie nicht zu spät erfahren, was darin stand. Wenn ihr Vater den Brief allein öffnete und wieder zur Ansicht gelangte, dass sie noch zu jung für derartige Angelegenheiten war, welche auch immer das sein sollten, war sie längst im Bilde.

„Genau!“, bekräftigte sie ihre Überlegungen und lachte schadenfroh. „Er hat doch selbst gesagt, dass heute was Aufregendes passiert.“

Beherzt schnitt sie den Umschlag auf und legte das Messer sofort zurück. Ungeduldig zerrte sie die Schriftstücke aus dem Umschlag hervor und faltete sie mit beiden Händen auseinander.

Zunächst las sie etwas von Aktenzeichen und verstand in der Tat erstmal gar nichts. Doch der Begriff Nachlass sagte ihr durchaus etwas und nach zweimaligem Lesen hatte sie immerhin so viel verstanden, dass ihr hiermit nun mitgeteilt wurde, dass sie und ihr Vater etwas geerbt hatten oder zumindest erben sollten.

Schon wieder? Konnte das sein? Oder wurde auf diese Weise, im gestelzten Juristendeutsch, mitgeteilt, dass die Sache nun doch korrigiert wurde? So ganz klar war ihr das nicht, denn immerhin hatte sie den anderen Brief kaum zu Gesicht bekommen. Doch dann wusste sie, was sie so sehr irritierte und ihre Augen wurden groß vor Staunen.

„Das gibt’s doch nicht!“, entfuhr es ihr. „Ich fress ’nen Besen, wenn das nicht der gleiche Brief ist. Was soll das denn jetzt?“

Tatsächlich war die Rede von einem Anwesen, das aus einer alten noblen Villa und diversen Wirtschaftsgebäuden bestand, die Rede. „Genau wie in dem anderen Brief“, murmelte sie verwirrt. Viel mehr hatte sie damals nicht erhaschen können. Konnte es sein, dass es noch ein Haus zu erben gab? Waren das nicht zu viele Zufälle? Aber konnte es andererseits wirklich sein, dass das Notariat ihnen den Brief noch einmal schickte, obwohl ihr doch einer der Partner erklärt hatte, dass es zu spät sei? Nein, sie musste sich täuschen. Wahrscheinlich wurde der ganze Fall einfach nur neu aufgerollt.

Aufgeregt las sie weiter. Es ging noch um allerlei Bedingungen, bei denen ein Stein eine gewisse Rolle spielte und von denen ihr Vater nur in abfällig gemurmelten Andeutungen etwas gesagt hatte, was ihr unverständlich geblieben war. Aber demnach mussten sie im Besitz eines Steins sein, der mit dem geheimnisvollen Namen Licht der Königin bezeichnet wurde, um ein weiteres Vermögen zu erben, das vage als beträchtlich angegeben wurde.

War das üblich in solchen Angelegenheiten? Wurde das so unklar ausgedrückt? Gab es tatsächlich derartig verschrobene Bedingungen? Und vor allem, was sollte dieser seltsame Name? Warum sollte ein Stein Licht der Königin heißen und was sollte das überhaupt sein? Sollte ihr Vater mit seiner ulkigen Prophezeiung, dass heute etwas Besonderes geschehe, etwa doch recht behalten? War das wirklich etwas Neues oder durchlebte sie das alles jetzt bloß noch einmal. Irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, dass hier etwas äußerst Merkwürdiges geschah.

Sie legte den Brief auf den Küchentisch und ging nachdenklich in den Flur. Das Ticken der alten Uhr erinnerte sie nicht nur daran, wie die Zeit unaufhörlich verrann, sondern auch daran, dass sie sich nicht zurückdrehen ließ. Oder doch? War dem vielleicht wirklich so oder träumte sie das alles nur und ihre Phantasie spielte ihr einen Streich? Am liebsten würde sie jetzt mit ihrem Vater darüber reden, aber das Ticken der Uhr erinnerte sie auch daran, dass mit seiner Rückkehr nicht vor sieben Stunden rechnen war.

Kurzentschlossen ging sie zum Telefon und wählte die im Brief angegebene Rufnummer. Nach dreimaligem Klingeln meldete sich die Empfangsdame des Notariats.

„Was kann ich für Sie tun?“, fragte die Dame im geschäftsmäßigen Ton.

„Guten Tag, Kaira Saltiem hier. Ich habe heute einen Brief von ihrer Kanzlei erhalten. Also mein Vater und ich.“

„Saltiem?“

„Ja. Mein Vater ist Professor Dengler.“

„Ach so, ja. Richtig“, erinnerte sich die Dame. Das war typisch, aber Kaira war es gewohnt, dass ihr Vater vielen Leuten bekannt war. „Und Sie wünschen?“

„Ich wollte nur sagen, dass ich, äh, das Erbe antreten möchte“, brachte Kaira hervor und hoffte, dass sie sich richtig an die Worte erinnerte, die jener Partner benutzt hatte.

„Moment ich verbinde mit Herrn Flüger“, sagte die Dame nur kurz und dann meldete sich die vertraute Stimme jenes älteren Herren, den sie gestern aufgesucht hatte.

„Frau Saltiem? Kaira Saltiem?“, fragte er.

„Ja, genau“, bestätigte sie und wollte gerade hinzufügen, dass sie vor ein paar Tagen bereits dort gewesen sei, aber irgendwas hielt sie davon ab.

„Schön dass Sie sich so kurzfristig melden, junge Dame“, hörte sie ihn sagen und fand es irgendwie seltsam, dass er sie nicht duzte. „Allerdings werden Sie verstehen, dass wir die Angelegenheit nicht am Telefon regeln können. Wie wäre es, wenn Sie und ihr Vater einfach einen Termin vereinbaren?“

„Gut“, gab Kaira zu verstehen. „Ich wollte mich einfach nur sofort melden, also ich meine, bevor es zu spät ist.“

„Nun, Eile hat es nicht“, erwiderte ihr Gesprächspartner und Kaira glaubte am Tonfall zu hören, dass er lächelte. „Aber wenn Sie das schon tun wollen, dann kann ich es ihnen nicht ersparen, dass Sie persönlich bei uns erscheinen müssen, damit wir das vermerken können.“

„Heute?“

Für einen kurzen Moment war es still in der Leitung und Kaira vermutete bereits, er werde gleich lauthals lachen, aber das geschah nicht. „Das ist zwar reichlich ungewöhnlich und die Eile nicht recht nachvollziehbar, aber ich weiß ja wie die heutige Jugend tickt, wenn ich das so sagen darf. Hmmm… Also gut, kommen Sie heute gegen drei Uhr vorbei. Das ist eine Sache von wenigen Minuten und die kann ich einschieben, bevor meine anderen Termine beginnen.“

„Oh, vielen Dank“, entgegnete Kaira erleichtert. „Dann bin ich um drei bei Ihnen.“

„Geben Sie das nur noch beim Empfang auf. Bis um drei dann.“ Schon war ein Knacken zu hören und die Dame vom Empfang meldete sich wieder.

„Ja, äh, hallo. Kaira Saltiem hier.“ Warum kam sie sich jetzt nur so blöd vor? Die Frau musste eigentlich noch wissen, wer sie war, oder? „Herr Flüger meinte, ich soll heute um drei vorbeikommen“, plapperte sie aber dennoch ungerührt fort. „Aber um drei ist doch schon …“, unterbrach sie die Frau und hielt inne.

„Hat er jedenfalls gesagt und dass es nicht lange dauert.“ Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Aus irgendeinem Grund wollte sie, dass es auf jeden Fall klappte, wollte, dass es erledigt war, wenn ihr Vater nach Hause kam.

„Gut, ich werde das notieren und abklären“, hörte Kaira die Frau am anderen Ende der Leitung mürrisch sagen.

„Vielen Dank und bis später“, sagte Kaira. Hastig legte sie auf, bevor sich die Frau es sich noch anders überlegen konnte.

Bis um drei Uhr waren es noch fast vier Stunden. Das Warten würde ihr garantiert sehr lang werden. Mit was sollte sie sich nur bis dahin ablenken?

„Dann werde ich eben so lange nachforschen“, murmelte sie vor sich hin während sie bereits wieder die Stufen erklomm.

Eine innere Unruhe hatte sie erfasst und sie schien umso größer zu werden, je weiter sie sich ihrem Zimmer näherte. Daher setzte sie sich auch sofort an ihren Schreibtisch. Mit einer fließenden Bewegung klappte sie ihren Laptop auf und schaltete ihn ein. Ungeduldig trommelte sie mit den Fingern auf dem Gehäuse während das Betriebssystem hochfuhr.

„Das glaube ich jetzt nicht!“, entfuhr es ihr als sie auf dem Bildschirm las, Updates werden installiert. Bitte schalten sie den Computer nicht aus. „Schon wieder?“, stöhnte sie gequält und fügte sich dann ins Unvermeidliche. „Ausgerechnet jetzt.“

Während auf dem Bildschirm der angebliche Fortschritt in Form eines Prozentwertes angezeigt wurde, überlegte Kaira angestrengt, ob es ein Zufall war, dass wieder Updates installiert wurden, genauso wie an jenem Tag als der erste Brief angekommen war. Aber sie verscheuchte die Hirngespinste und überlegte, wer denn sonst um alles in der Welt, außer jener geschmähten Tante, ihr etwas hinterlassen haben könnte. ‚Und auch wieder meinem Vater‘, korrigierte sie sich in Gedanken. Doch auch wenn sie die entferntere Verwandtschaft, sofern ihr überhaupt bekannt, mit einbezog, gab es da niemand, abgesehen eben von jener Tante Ottilie, von deren Existenz sie bis vor wenigen Tagen nichts geahnt hatte. Jedenfalls hatte sie Schwierigkeiten sich vorzustellen, dass irgendjemand sonst ausgerechnet ihnen beiden etwas zukommen lassen würde, jedenfalls nichts, das eine offensichtlich so noble Kanzlei, gar ein Notariat und zwar dasselbe wie neulich, zu beauftragen gerechtfertigt hätte.

Sie seufzte ergeben, als der Rechner, ein Laptop, der einen Gamer sicherlich hätte frohlocken lassen, nun auch noch nach einem Neustart verlangte. „Ob da ein Sensor eingebaut ist, der Updates immer dann installiert, wenn man es ganz eilig hat?“, überlegte sie laut und stand auf. Ihre Ungeduld verlangte nach Bewegung. Daher ging sie nun im Zimmer auf und ab, wobei sie wieder in ihre Grübeleien versank.