Kalle-Nisses Träume und Erzählungen - September - - Larissa Tjärnväg - E-Book

Kalle-Nisses Träume und Erzählungen - September - E-Book

Larissa Tjärnväg

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Beschreibung

Der Septemberband der Märchensammlung von der schwedischen Autorin Larissa Tjärnväg beschreibt das Leben des Tomte Kalle-Nisse als Rahmenhandlung auf einem verlassenen Bauernhof in Dalarna, dessen Einwohner ausgewandert sind. Tomte werden zu den "kleinen Leuten" gezählt, in Deutschland würde man sie als Wichtel oder Heinzelmännchen beschreiben. Im späten Sommer und durch die Einsamkeit auf einem von den Menschen aufgegebenen Bauernhof bedingt, erzählt der Tomte Kalle-Nisse jeden Abend seinem Kater Felix und einer ebenfalls auf dem verlassenen Bauernhof lebenden Mäusefamilie ein Märchen oder einen seiner Träume. Das Buch ermöglicht so auch einen Einblick in die frühen schwedischen Herbsttage, den schweren Abschied vom allzukurzen Sommer und den Besuch der Herbstmärkte durch den kleinen Tomte. Ja, es ist noch etwas "altes Schweden", was man hier erlebt. Für jeden Abend des Monats September steht ein längeres oder kürzeres Märchen bereit. Kalle-Nisse ist aber als schwedischer Wichtel auch mit der alten Religion des Norden verbunden, das gilt auch für die Autorin dieser Reihe. Für Larissa Tjärnväg ist es der dritte Märchenband, der in Deutschland veröffentlicht wird. Nach dem Dezemberband mit einer schwedischen Tomteweihnachtsfeier, dem Juniband mit dem ausgelassenen Tomtemidsommarfest erlebt der Leser einen weiteren Höhepunkt des "alten" Jahreskreises: Der Sommerabschied und die Feier des Herbstes. Der Jahreskreis schließt sich hier wieder ein Stück.

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Seitenzahl: 466

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Larissa Tjärnväg 

Kalle-Nisses Träume und Erzählungen - September - 

eBook Ausgabe 01/2024 

 

 

 

 

 

 

Das Buch:

Der Septemberband der Märchensammlung, der schwedischen Autorin Larissa Tjärnväg, beschreibt das Leben des Tomte Kalle-Nisse als Rahmenhandlung auf einem verlassenen Bauernhof in Dalarna, dessen Einwohner ausgewandert sind. Tomte werden zu den "kleinen Leuten" gezählt, in Deutschland würde man sie als Wichtel oder Heinzelmännchen beschreiben. Im Jahreslauf und durch die Einsamkeit auf einem von den Menschen aufgegebenen Bauernhof bedingt, erzählt der Tomte Kalle-Nisse jeden Abend, seinem Kater Felix und einer ebenfalls auf dem verlassenen Bauernhof lebenden Mäusefamilie, ein Märchen oder einen seiner Träume. In diesem Band geht der Tomte allerdings auch auf Wanderschaft, er geht seine Tomtefreundin Moa besuchen, natürlich nicht, ohne genug Märchen im Gepäck zu haben. Das Buch ermöglicht so auch einen Einblick in den Frühherbst und die Zeit, in der in Schweden der Sommer durch die üblichen Herbstmärkte (Jahrmärkte) verabschiedet wird. Für jeden Abend des Monats Juni steht ein längeres oder kürzeres Märchen bereit.  Kalle-Nisse ist aber als schwedischer Wichtel auch mit der alten Religion des Norden verbunden, das gilt ebenso für die Autorin dieser Reihe. Für Larissa Tjärnväg ist es der dritte Märchenband, der in Deutschland veröffentlicht wird.

 

Über die Autorin: 

Larissa Tjärnväg, 1963 in Mora geboren, lebt seit dieser Zeit in Värmland und Dalarna, also in Mittelschweden. Hier arbeitet sie ziemlich zurückgezogen, da sie die Einsamkeit und Ruhe der Natur zum Schreiben benötigt. Bislang hat sie hauptsächlich Märchen und Erzählungen geschrieben, die aber in Schweden selbst kaum veröffentlicht wurden.

Tjärnväg, Larissa: 

Kalle-Nisses Träume und Erzählungen – September - 

Ausgabestand 01/2023 

Årjäng / Sweden WeyTeCon Förlag (WF), 2016 – 2024  

ISBN: 978-3-9826356-1-3 (Paperback-Ausgabe) 

Verlagsnummer D23-0020-PA-WA (Paperback-Ausgabe) 

Umschlaggestaltung & deutsche Bearbeitung: 

Lars Weyerstrass 

Lektorate: 

Klotilda Weyerstrass, Regine Kühn 

Grafiken: 

entfällt in der eBook-Ausgabe 

Satz: 

FreeOffice Textmaker 2021 

Druck: 

Druck durch Lizenznehmer 

© Copyright WeyTeCon Förlag / WeyTeCon AB - 2024 

WeyTeCon Förlag (WF) – WeyTeCon AB 

Ö:a Näs Klockarbacken 1 

S-672 91 Årjäng / Sweden 

[email protected] 

Vertrieb: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin 

 

 

Vorwort zur deutschen Ausgabe

Liebe Leserinnen und Leser, hier liegt jetzt der dritte Band der Erzählungen und Träume von Kalle-Nisse in der deutschen Ausgabe vor. Im ersten Band, dem Dezemberband, bestand die Möglichkeit mit Kalle-Nisse und seinem Kater Felix eine schwedische Weihnachtsfeier zu erleben, so wie sie in vielen Häusern des alten Schweden gefeiert wurde. Der zweite Band (Juni) lässt uns mit ihm eine Midsommarfeier erleben. Aber jetzt ist der kurze schwedische Sommer fast schon vorbei, die allerletzten Ernten werden noch eingeholt, die ersten frühen Blätter fallen bereits. Die Tage werden wieder kurz und schon deutlich kälter. Man merkt das auch in der Natur, da hier die Göttin Nótt mit ihrem Nachtpferd „Rußschweif“ wieder deutlich mehr Macht erhält. Die Schweden haben ihr Krebsfest im August bereits hinter sich und verabschieden sich jetzt vom Sommer. Das geschieht auf den Herbstmärkten, die heute zwar als Jahrmärkte gefeiert werden, früher aber für die Höfe, Bauern, Knechte... die letzte Gelegenheit waren, sich mit dem Winterbedarf einzudecken. Unsere Hauptperson der Handlung, der Tomte Kalle-Nisse und damit die Hauptperson dieses Buches, hat gerade einen großen Umbruch erlebt. Jahrelang lebte er mit Familien auf einem Bauernhof in Dalarna zusammen, bevor der Hof, durch das Auswandern seiner Bauernfamilie, für immer verlassen wurde. Da die Tomte an den Hof gebunden sind, bleibt er einsam zurück. Sein Leben wird fortan von dem ebenfalls zurückgelassenen Kater des Bauernhofes bestimmt.  Tomte sind Lebewesen mit mystischem Ursprung, sie verfügen über Zauberkräfte, die ihnen helfen, das Leben nicht so schwer zu nehmen und im Griff zu behalten. 

In und mit diesem Buch hast du als Leser die Möglichkeit, den Tomte Kalle-Nisse einen weiteren Monat lang zu begleiten und mitzuerleben, wie er den September in der Einsamkeit des verlassenen Hofes, aber auch später bei seiner Freundin Moa verbringt, ganz alleine ist er dabei nicht. Jeden Tag, oder besser jeden Abend des Septembers, erzählt er den verbliebenen Tieren seines Hofes, also seinem Kater und einer Mäusefamilie sowie seiner Moa ein Märchen oder berichtet über einen seiner Träume, wobei man merkt, dass er aus dem Norden kommt und in der alten Mythologie fest verankert ist. Wenn dir in der deutschen Ausgabe Namen, Begriffe oder Inhalte spanisch bzw. hier zu schwedisch vorkommen, so schau einfach auf den letzten Seiten dieses Buches nach. Ich hoffe, hier ein paar Erklärungen gegeben zu haben, die dir vielleicht weiterhelfen.

Jetzt bleibt mir nur noch, dich als Leser dieses Buches in der Welt und auf dem Bauernhof des Tomte Kalle-Nisse zu begrüßen und zu hoffen, dass es eine angenehme Begegnung mit ihm wird!

Larissa Tjärnväg im August 2023

Kalle-Nisse erzählt...

Der kurze, schwedische Sommer begann sich in diesem Jahr mit viel Regen zu verabschieden, selbst das Krebsfest wäre im August fast ins Wasser gefallen. Ja, die alte germanische Göttin Nótt beherrschte mit ihrem Nachtpferd „Rußschweif“ den Himmel, schon Tag für Tag länger. Das helle Grün des Frühjahres war satt und dunkel geworden. So manche Birke übte schon für den späteren Oktober, wie es ist, wenn man jetzt schon das eine oder andere Blatt abwirft, ohne sich die Mühe zu machen, es gelblich umzufärben.

Jetzt konnte man auf einer schönen Wiese nahe der Ortschaft Mora, auf der das Gras hoch geschossen war, wieder einmal eine rote Mütze zwischen den Samenstauden der Lupinen und anderer Blumen hin- und herhuschen, auf- und abspringen sehen. Protestierend folgte der Mütze mit etwas Abstand die gebogene Schwanzspitze einer Katze. Ja, der Protest war gerechtfertigt, das Gras war unangenehm nass, hatte es doch im August langanhaltend und kräftig geregnet. Sah man genauer hin, so erkannte man unter der Mütze den Kopf eines Tomte, also einer Gestalt, die den kleinen Leuten zugerechnet wird, der im Gras nachdenklich hin und her rannte und seine Pfeife schmauchte. Sein Kater Felix wollte doch viel lieber mit ihm spielen, was auch den aufgerichteten Katzenschwanz im Gras erklärte. Dabei drehten sich doch die Gedanken um genau diesen kleinen Kater: „Was mache ich bloß mit ihm, wenn ich in ein paar Tagen aufbreche, um meine Freundin Moa zu besuchen?“

450 Jahre alt war Kalle-Nisse im Sommer geworden, noch kein allzu hohes Alter für einen Tomte, aber immerhin doch schon beachtlich. Es war ein ganz besonderes Jahr, nach 420 Jahren war er zum ersten Male allein auf „seinem” Hof, der vor nun sechs Monaten verlassen worden war. Er kratzte sich am Kinn und knabberte an seiner Pfeife, was er immer machte, wenn er sehr nachdenklich war: Ja, er hatte erlebt, wie der erste Baum gefällt wurde, um das Wohnhaus zu errichten, er erinnerte sich noch an die erste Kuh, die in den neugebauten Stall einzog. Die Wiese, über die er jetzt ging, war einst der Acker, auf dem der Bauer Roggen, Gerste, Hafer und Weizen angebaut hatte. Jetzt wuchsen hier nur noch Gras und auch Blumen, die zweifelsohne auch sehr schön waren.

Doch nun war alles seit sechs Monaten leer und verlassen. Nach zwei Sommern mit Schnee und Eisregen wurde der Hof aufgegeben oder verkauft, das wusste er nicht so genau und im späten März, als der Schnee etwas gewichen war, zog der Bauer mit seiner Familie, Kutsche und der großen Reisetruhe für immer weg. Zur Küste wollte man wohl und sich nach Amerika einschiffen, mehr wusste Kalle-Nisse damals auch nicht. All das Vieh wurde vorher verkauft und der Stall war zum Jahreswechsel schon recht leer. Als dann im März noch die letzte Kuh den Hof verließ und die große Reisetruhe gepackt war, wurde Kalle-Nisse sehr traurig. Sehr lange blickte der kleine Tomte damals dem Wagen nach, als das Gatter geschlossen wurde, bis zu dem er noch auf der Reisetruhe hockend unsichtbar mitgefahren war. Aber auch dieses Bild begann nun langsam etwas zu verblassen. Nur Felix, sein alter Kater, war auf dem Hof geblieben und sorgte dafür, dass die Mäuse nicht allzu frech wurden. Kalle-Nisse war sehr bescheiden und hatte sich auf einer kleinen versteckten Stelle auf dem Acker, mitten auf der heutigen Wiese, seinen eigenen Hafer angebaut, damit er sich gut mit seiner selbst gekochten Grütze in der kommenden kalten Jahreszeit versorgen konnte. Zum Glück hatte er alles schon geerntet, bevor der August förmlich ins Wasser fiel.

Aber was ist eigentlich ein Tomte? Tomte gehören zu den kleinen Menschen, sie leben bis hoch in den Norden und können sich bei Bedarf unsichtbar machen. Auf jedem Bauernhof in Schweden lebt immer nur ein Tomte. Man kann sie mit Wichteln vergleichen, sie werden nicht groß, tragen eine rote Zipfelmütze, haben meistens einen langen weißen Bart und lieben die Tiere ihres Bauernhofes. Jeder Bauer und Hof ist meistens bemüht, sich mit seinem Hoftomte gut zu stellen, ich möchte hier nicht berichten, was passiert, wenn man seinen Tomte schlecht behandelt oder mit seinem Vieh nicht gut umgegangen ist. Ein zufällig ausgekipptes Glas mit Reißnägeln auf dem Schlafzimmerboden, in die man morgens hineintappt oder ein stark mit Regenwasser verdünnter Hausschnaps sind das Mindeste, was ein Tomte dann so anstellt. Allerdings wird der Tomte den Schnaps nicht einfach ausgießen, da er sich ja so schon vorher verraten würde... Der September ist für Tomte, genau so wie für die meisten Schweden, ein Monat, in dem der Sommer verabschiedet wird, dazu wird von vielen hier im Lande ein Markt besucht. Heute sind diese Märkte Jahrmärkte geworden, aber zu früheren Zeiten waren diese Herbstmärkte für die Bauern, Knechte und Mägde sehr wichtig. Die Höfe haben sich hier mit dem Bedarf für den Winter eingedeckt, den sie nicht selbst produzieren konnten. Die Menschen haben sich, das gilt besonders für den noch einsameren Norden von Schweden, getroffen, bevor das Eis und der Schnee sie für den Rest des Jahres auf den oft einsam gelegenen Höfen „eingesperrt“ hat. Es wurde also noch einmal zusammen gefeiert und getanzt. Natürlich auch dem Branntwein gefrönt, was dann schon das eine oder andere Mal zu einem Kräftemessen der Knechte führte und für manchen mit der Ausnüchterung im Gewahrsam des Länsman endete. Sollte bei Kalle-Nisse tatsächlich noch eine Flasche seines selbsterzeugten Spezialschnapses Midsommar oder gar das Krebsfest überlebt haben, dann sah man ihn spätestens jetzt, heimlich hinter einer Hecke, mit seiner Holztasse seinen Kalle-Nisse Schnaps leeren. Das mit der Holztasse mag uns heutzutage vielleicht unhygienisch vorkommen, aber erstens desinfiziert Alkohol und zweitens hassen Tomte Metall, darum auch keine Metalltassen. Jedenfalls wird ein Tomte kaum mit einer zerbrechlichen Porzellantasse auf einen Herbstmarkt ziehen, dazu hilft er den Knechten viel zu gerne, natürlich unsichtbar, mit beim „Austeilen“. Ja, der Hof begann sich ohne Bauern schon zu verändern, obwohl erst sechs Monate nach der Abreise der Familie vergangen waren. Erste Reparaturen hatte Kalle-Nisse schon selbst und alleine durchführen müssen. Es sollte ja nicht auffallen, dass bei einem verlassenen Hof kaum etwas zerfallen war, das hätte Fragen der anderen Bauern mit sich gebracht. Aber das Dach am Wohnhaus und vor allen Dingen an den Stallungen, das musste er einfach reparieren, lagerte doch hier seine eigene Getreideernte in Holzkisten, die aus Gerste, Roggen und Hafer bestand, die er zwischen den sprießenden Gräsern getarnt auf dem Acker angebaut hatte. So hatte er auch zum ersten Mal in seinem Leben eigene Dachschindeln schneiden müssen. Zum Glück hatte er dem Bauern dabei immer über die Schultern geschaut. Langsam begann die frühe Herbstsonne zu sinken, er wurde allmählich auch müde. So setzte er sich vor die alte Stallung auf eine seiner leeren Getreidekisten und kraulte seinen Kater Felix noch etwas, legte seine Hände auf seinen großen Bauch und damit auf seinen wuchtigen, weißen Bart. Danach schloss er die Augen, um die letzten Strahlen der schwachen Herbstsonne zu genießen. Nach ein paar Seufzern und dem beruhigenden Schnurren seines Katers, begannen beide zu träumen. Das Getreide kam jetzt auch in seinem Traum vor...

***

Oskar Thorvaldssons Runenbrot (1. September)

Es war einmal vor vielen Jahren, zu der Zeit, als der liebe Gott noch mit Petrus und Paulus durch Schweden wanderte, da lebte in Malmö ein Bäcker, der Oskar Thorvaldsson hieß. Nun war dieser Bäcker kein Handwerker, der seinen Beruf liebte, sondern eher jemand, der die Bäckerei schon von seinem Vater, Großvater und sogar Urgroßvater geerbt hatte. Man muss sagen, dass er sogar ein ziemlich grober Mensch war, also jemand, der seine Lehrlinge und Gesellen auch ab und zu mit dem Brotschieber bearbeitete, wenn ihm danach war, er war also rundum ein grober Klotz. In Schweden gab es ja nie so viele Bäcker, denn auf den Höfen, in den Dörfern und den kleineren Orten buk man meistens sein Brot selbst. In den Städten und somit den Orten, in denen viel Handwerk war, sah die Sache schon wieder ganz anders aus.  Als nun der Allmächtige mit Petrus und Paulus nach Malmö kam, um den jährlichen Herbstmarkt zu besuchen, mit den Menschen vor Ort zu reden und von diesem Bäcker hörte, raufte er sich zunächst seinen Bart. Als er dann zudem noch erfuhr, dass dieser Bäcker Backformen benutze, in denen Thors Rune sich in jedes Brot einprägte, runzelte er seine Stirn. Petrus und Paulus wussten sofort, dass dies nicht Gutes bedeutete.  Allerdings hatte die Rune auch etwas mit dem Namen des Meisters zu tun. Jetzt muss man aber auch zur Ehrenrettung des Bäckers gestehen, dass sein Backofen schon so alt wie die Bäckerei war. Das bedeutete, dass die Brote durch den alten Ofen nicht immer so gelangen wie sie denn sein sollten. Oftmals bildete sich unter der schönen Brotkruste ein Hohlraum im Brot, da der Ofen einfach nicht mehr die richtige Hitze erreichen konnte und das Brot wieder unter der Kruste zusammenfiel. Als nun der liebe Gott mit Petrus und Paulus auf dem Weg durch Malmö waren, hörten sie Oskar schon von weitem toben und schreien, natürlich war wieder der Bäckerlehrling Schuld an den misslungenen Broten: „Du fauler Hund, hast den Ofen heute wieder nicht richtig angeheizt!“, konnte man laut auf der Straße vernehmen. Paulus und Petrus sahen sich an. Die letzten Worte, die man von Paulus vernahm, waren: „Nicht schon wieder...“, bevor seine Stimme vollends erstickte, denn Gott hatte die beiden in Mehlsäcke verwandelt, bevor er selbst als Müller verkleidet mit den Mehlsäcken beim Bäcker auf einem klapprigem Fuhrwerk vorfuhr. „Meister, ihr habt bestimmt nur das falsche Mehl“, sprach er da, „sieh einmal, ich habe ein viel besseres und damit gelingen die Brote immer. “ „Ach was“, kam sofort die Antwort von Oskar, „der faule Lehrling hat nur nicht richtig vorgeheizt. Anstatt anständig Holz aufzulegen, hat er heute Morgen lieber noch eine Stunde in der Mehltruhe geschlafen, der Taugenichts! Jetzt kann ich die Brote zum halben Preis verkaufen.“ Das war eigentlich alles, was der Schöpfer wissen wollte! So zuckte er mit den Schultern und meinte nur: „Dann eben nicht!“, wobei er mit seinem Fuhrwerk über die alte Straße davon fuhr. Als er außer Sicht war, verwandelte er Petrus und Paulus wieder zurück in ihre alten Gestalten, die erst einmal vor lauter Mehrstaub husteten. „So, diesen Bäcker und seine Kunden werde ich mir dann doch einmal genauer ansehen!“, meinte Gott nur. So betrat er dann in der Gestalt als Wanderer die Backstube wenige Zeit später erneut. Natürlich erkannte ihn Oskar Thorvaldsson so nicht wieder: „Habt ihr nicht für einen Wanderer ein etwas günstigeres Brot? Ich kann mir nicht so viel leisten.“ Da deutete Oskar auf vier aussortierte Brote und meinte nur: „Ja, da habe ich noch etwas an Brot, das Innen etwas zusammengefallen ist. Das könnt ihr gern zum halben Preis haben.“ „Aber da ist ja Thors Rune auf der Kruste zu sehen“, merkte der liebe Gott an. „Ach, wenn euch das stört, dann lasst es liegen, etwas anderes gibt es bei mir nicht!“, fuhr ihn da der Bäcker an. „Nun gut, als armer Wanderer kann ich mir eh nicht viel leisten“, erwiderte er, „ich nehme dann schon so ein Brot.“ Als er das Brot dann mit Petrus und Paulus probierte, schmeckte es gar nicht so schlecht. „Nun gut, jetzt ist es an der Zeit, sich die Kunden des Bäckers anzusehen“, hörten Petrus und Paulus noch, bevor der Allmächtige verschwand und sich in den Hohlräumen der drei verbliebenen Brote versteckte. Es dauerte etwas, aber am frühen Nachmittag erschien Tove, der Goldschmied, in der Backstube. Tove war dafür in ganz Malmö bekannt, dass er anderen und sich selbst nichts gönnte: „Meister Oskar, gibt es noch ein altes Brot für mich oder ist etwas anderes günstig zu haben?“ Oskar knurrte gleich los: „Ja, unser missratener Lehrling hat heute Morgen wieder einmal den Backofen nicht richtig geheizt und so habe ich noch drei Brote, die unter der Kruste zusammengefallen sind.“ Da strahlte Tove förmlich: „Wie immer zum halben Preis?“ „Ja“, knurrte Oskar gleich: „Ich ziehe es dem Lehrling eh vom Lohn ab.“ So brachte Tove dann eines der drei verbliebenen Brote mit nach Hause und zeitgleich unser aller Herr, der sich im Inneren des Hohlraumes versteckt hielt. Einige Zeit später klopfte Paulus als Bettler verkleidet an die Tür des Goldschmiedes: „Lieber Tove, ich habe den ganzen Tag noch nichts gegessen, habt ihr nicht einen alten Kanten Brot für mich?“ Da runzelte der Goldschmied die Stirn und schüttelte seinen Kopf: „Nein, hier hast du vergeblich angeklopft. Ich habe kein Brot, auch kein altes Brot für dich. Vorhin habe ich eines vom Bäcker gekauft, das war nicht in Ordnung und ist ganz in sich zusammengefallen. Versuche es einfach wo anders.“ Traurig zog der verkleidete Paulus weiter. Kaum war der jedoch um die Ecke, als der liebe Gott den Hohlraum im Brot wieder verließ und ihm nacheilte: „Selten habe ich so einen verlogenen Menschen gesehen, aber was er hier erzählt hat, das soll er gern auch bekommen!“ Von diesem Tag an war jedes bei Oskar gekaufte, im Ofen zusammengesacktes Brot, innen schlecht und verdorben, sobald er es anschnitt. Beim zweiten Brot lief es nicht besser. Kurz vor Feierabend kam der alte Chrisander in die Backstube. Chrisander war Kesselflicker, er hatte einen ähnlich polternden Charakter wie der Bäcker selbst. Kaum betrat er die Backstube, da brüllte er los: „Ich brauche heute noch Brot, es kann ruhig alt sein.“ Oskar nickte nur, sagte nichts weiter und packte ihm eines der misslungenen Brote ein. Kaum war er zu Hause angekommen, da klopfte auch schon Petrus an die Tür, der wie schon Paulus zuvor, als Bettler verkleidet war: „Lieber Chrisander, ich habe den ganzen Tag noch nichts gegessen, hast du nicht einen Kanten Brot für mich?“ Als wenn Chrisander nur auf den Besuch gewartet hätte, fluchte er gleich los: „Du alter fauler Hund, geh erst einmal arbeiten, dann kannst du dir dein Brot auch selbst kaufen, ich habe noch eines da, aber das ist viel zu hart zum Beißen.“ Danach schlug er Petrus fluchend die Tür vor der Nase zu. Kaum war Petrus kopfschüttelnd um die Ecke verschwunden, da verließ Gott auch das zweite Brot und eilte ihm nach: „So ein fluchender und lästerliche Mensch ist mir selten begegnet, nun gut, ich will seinen Wunsch erfüllen, jedes Brot aus diesem Ofen, soll in Zukunft hart wie Stein sein, sobald er damit zu Hause eintrifft.“ Was geschah aber nun mit dem dritten und letzten Brot? Gegen Abend kam die alte Maja in die Backstube. Maja lebte im Armenhaus der Stadt und war vielen in der Stadt als Armenhäuslerin sowie als Bettlerin bekannt. Sie kam abends sehr oft in der Backstube vorbei und wie immer fragte sie: „Meister Oskar, ich habe großen Hunger, habe ihr noch ein altes Brot von heute übrig?“ Da griff der Bäcker in das Regal, nahm das letzte der drei Brote und warf es in einen Abfallkübel, in dem Brote gesammelt wurden, mit denen morgens die Schweine gefüttert wurden: „Wie du siehst Maja, es ist nichts mehr da, was ich dir geben kann.“ Damit schob er die alte Maja aus der Backstube und verriegelte die Tür. Die ganze Nacht konnte die alte Frau nicht schlafen und musste immer an das noch gute Brot denken, das da nun im Abfallkübel lag. Am kommenden Morgen sperrten der Altgeselle und der Lehrling die Backstube wieder auf, heizten den Ofen an und brachten den Korb mit den Brotresten zum Schweinestall. Ove, der Lehrling, stellte den Korb erst einmal ab, um beim Heizen des Ofens zu helfen. Mit zitternden Händen griff sich die arme Frau das alte Brot aus dem Korb und streichelte über die Kruste: „Wie kann man denn nur so ein gutes Brot wegwerfen?“, fragte sie sich immer wieder. Auf dem Weg zurück in das Armenhaus, am Stadtrand von Malmö, kam ihr dann Paulus wieder als Bettler entgegen: „Gute alte Frau, ich habe so einen Hunger, ich habe seit Tagen nichts mehr gegessen, habt ihr nicht einen alten Kanten Brot für mich?“ Traurig blickte ihn Maja da an: „Ich habe selbst nur ein altes Brot, das zumal noch etwas missraten ist, aber komm, setz dich mit mir an den Weg, ich teile es gern mit dir.“ Da brach sie das Brot in zwei Hälften und gab Paulus die Hälfte, ihre Hälfte steckte sie wieder ein. Paulus aß sich satt, stand dann auf und gab ihr ein kleines Schälchen: „Gute Maja, du sollst mir dein Brot nicht umsonst gegeben haben, hier nimm das Schälchen und freue dich daran, pass aber gut darauf auf.“ Auf dem weiteren Weg zu ihrem kleinen Torp, in dem das Armenhaus untergebracht war, kam ihr dann Petrus entgegen, auch wieder als Bettler verkleidet: „Gute alte Frau, ich habe so einen Hunger, ich habe seit Tagen nichts mehr gegessen, habt ihr nicht einen Kanten Brot für mich?“ Traurig blickte ihn Maja da an: „Ich habe selbst nur ein halbes altes Brot, dass zumal noch etwas missraten ist, komm setzte dich mit mir an den Weg, ich teile es gern mit dir.“ Da brach sie das Brot nochmals in zwei Teile und gab Petrus wiederum die Hälfte, ihre Hälfte steckte sie ein. Petrus aß sich satt, stand dann auf und gab ihr einen kleinen Krug: „Gute Maja, du sollst mir dein Brot nicht umsonst gegeben haben, hier nimm den Krug und freue dich daran, pass aber gut auf ihn auf.“ So wanderte sie weiter zu ihrer Unterkunft am Standrand von Malmö. Als sie die alte, knarrende Tür aufsperrte, sprang der liebe Gott aus dem Brot und versteckte sich schnell. Kaum saß sie an ihrem alten klapprigen Küchentisch und wollte gerade das Brot essen, als es an der Tür klopfte. Diesmal war es der Schöpfer selbst, der als Bettler an die Tür klopfte: „Gute Frau, ich habe so einen Hunger, ich habe seit Tagen nichts mehr gegessen, habt ihr nicht einen Kanten Brot für mich?“ Traurig blickte ihn Maja da an: „Ich habe selbst nur noch ein Viertel altes Brot, dass zumal noch etwas missraten ist, aber komm, setz dich mit mir an den Tisch, ich gebe es dir gern und werde schon nicht verhungern.“ Da gab sie ihr letztes Stück Brot weg und sah zu, wie es sich der Bettler schmecken ließ. Als er fertig gegessen hatte, nickte er nur und sprach: „Maja du hast eine warme und schöne Seele, du sollst mir das Brot nicht umsonst gegeben haben. Dein Brotkorb wird ab heute immer gefüllt, der Krug, den du bekommen hast, wird immer voll frischer Milch und das kleine Schälchen, was du erhalten hast, wird ab heute immer voll mit frischer Butter sein. Es sollte auch genug für alle in eurem Haus sein, denn du sollst wissen, dass du dein Brot mit den Aposteln Petrus, Paulus und dem lieben Gott geteilt hast.“ Danach segnete er sie und war auf einmal verschwunden. Ungläubig griff die alte Maja in ihren Brotkorb und holte ein frisches, gut duftendes Limpa aus dem Korb, in dem kleinen Schälchen befand sich frisch geschlagene sowie gesalzene Butter und in dem Krug war von da an immer frische kühle Milch. Auch die anderen Bewohner des Armenhauses sahen sich zunächst ungläubig an, bevor sie sich alle satt aßen. Da rannen der alten Frau die Tränen über die Wangen, so etwas hatte sie noch nie erlebt, und ganz ehrlich: So ein Wunder gab es die letzten 2000 Jahre schon nicht mehr. Natürlich musste sie und auch die anderen armen, alten Menschen im Armenhaus zu ihren Lebzeiten nie wieder eine Bäckerei betreten, die Sache sprach sich natürlich trotz allem herum und seit dem Tag bezeichnete man die Brote, die unter der Kruste zusammengefallen waren, als Herrgottsbrote, da ja schließlich der liebe Gott einmal da drinnen gesessen hatte.  Solltet ihr einmal so ein Brot nach dem Anschneiden entsprechend vorfinden, dann schimpft nicht über den Bäcker, sondern denkt an die alte Maja. Wenn es danach an eure Tür klopft, so vergesst nicht zu öffnen und das Brot zu teilen, falls ihr darum gebeten werdet, denn wer weiß schon, ob der liebe Gott nicht auch in eurem Brot gesessen hat. -

Kalle-Nisse wachte aus seinem Traum wieder auf, als die Sonne bereits untergegangen war. Das ging natürlich im Herbst früher als im Sommer. Zu Felix, dem er den Traum zwar noch gar nicht erzählt hatte, meinte er nur: „Siehst du Felix, ich säe und ernte noch, aber die alte Maja, die brauchte nur noch in ihren Brotkorb zu greifen.“ Denn der Tomte war felsenfest davon überzeugt, dass der Kater seine Gedanken mitlesen konnte, zumindest was seine Träume anging. Als Felix vorwurfsvoll zu schnurren anfing, fiel ihm ein, dass er ihn ja am Abend noch gar nicht versorgt hatte. Schnell ging er also in seine Speisekammer und holt etwas Fisch für Felix aus einem Topf: „Ganz frisch ist er wohl nicht mehr, aber Felix mag ihn so, das weiß ich. Immerhin besser, als wenn es ihm nach Surströmming gelüsten würde.“ Als er schon im Halbschlaf in sein Tomtebett kroch, spürte er, wie Felix unter seine Bettdecke schlüpfte, ach ja, dachte er noch: „Wir haben ja September und jetzt beginnt wieder die Eifersuchtsphase bei ihm, aber das muss er noch lernen, dass er nicht der Nabel der Welt ist...“, bevor ihn ein tiefer und traumloser Schlaf mit sich riss.

***

Der nächste Morgen begann damit, dass er sich an den Traum mit dem immer gefüllten Brotkorb erinnerte. Das führte dann zu einem knurrenden Magen bei ihm. Nicht ganz so gut gelaunt bereitet er seine Hafergrütze vor, versorgte Felix und lief zu einem kurzen Besuch zum Neffen Tore Ljung auf den Nachbarhof. Er würde ja bald aufbrechen und seine Freundin Moa besuchen, wobei er ja immerhin fast drei Wochen unterwegs sein würde. Tore sollte sich in der Zwischenzeit etwas um Felix kümmern, damit der auf seinem Hof nicht zu üppig würde. Von diesem Besuch gibt es noch zwei Punkte zu berichten: Natürlich versprach Tore sich um Felix zu kümmern und nach einer Weile tauchte auch Felix auf dem Nachbarhof auf, er musste Kalle-Nisse hinterher geschlichen sein, um den Nachmittag mit seiner Katzenfreundin oder besser Katzenfrau Casey zu verbringen. Immerhin hatten es Felix und Casey im Sommer geschafft, einen stattlichen Katzennachwuchs in die Welt zu setzen.

Nach dem üblichen Abschiedsbier, mit dem Bier aus dem Keller des Bauern, wo auch immer es Tore Ljung wohl beim Bauern abzapfte, schlich unser Tomte zurück zu seinem Hof. Der Rückweg in der Dämmerung war unangenehm, es war ein leichter Nieselregen zu spüren, der nach und nach durch die Kleidung ging, alles fühlte sich etwas klamm und feucht an: „Ach, wäre ich doch schon zu Hause“, seufzte Kalle, „ja, so einen Wundermantel oder Wunschmantel, wie der alte Odin, müsste man haben....“ Aber es half ja nichts, er musste laufen und so kam er mit seinen klammen Kleidern in seiner Tomtewohnung an. Die Kleider wurden zum Trocknen in die Nähe des bald bollernden Küchenofens gehängt. Seine Laune wurde erst besser, als er an den ausstehenden Besuch bei seiner Tomtefreundin Moa Lajason dachte: „Ja, bald muss ich eine Woche zu ihr wandern, aber der Gedanke hält einen bei diesem Schmuddelwetter schon warm. Ja, der Wundermantel von Odin.. .“ Nachdenklich setzt er sich am Abend, die Dunkelheit war schon lange eingebrochen, in seinen Tomtesessel, kramte in seinem Korb mit den ganzen Märchenrollen, die er vor vielen, vielen Jahren einmal von seinem Onkel zur Aufbewahrung erhalten hatte, der sie nie zurück verlangt hat und meinte endlich: „Ja, hier ist die Erzählung, Felix pass auf, ich lese sie dir jetzt vor.“ Bald lag Felix auf seinem Schoss, zauste den Tomtebart und hörte Kalle-Nisse zu.

Odins Wundermantel (2. September)

Vor Äonen von Jahren, als die Schöpfung noch jung war, da wuchs eine große Esche, auch Yggdrasil oder der Urbaum genannt. An einer ihrer Wurzeln entsprang ein Brunnen, der auch als Urdbrunnen oder Urdquelle bekannt ist. An diesem Brunnen lebten drei Frauen, als sie ganz jung waren, galten sie schon als uralt, man kannte sie auch als Urd, Verdandi und Skuld. Die drei Frauen sind noch unter einem anderen Namen bekannt: Die drei Schicksalsfrauen oder die drei Nornen. Jeden Tag gossen sie die Esche mit dem Wasser des Brunnens und düngten sie mit dem Schlamm aus der Quelle. Aber sie hatten vom Urvater noch eine andere Aufgabe erhalten. Einst begingen nämlich die alten Götter gegenüber dem Urvater einen Treuebruch, indem sie einen Mord verübten. In den Augen des Urvaters waren es die alten Götter nicht mehr Wert, dass sie die Weltgeschicke lenken sollten. So setzte der Urvater die drei Nornen ein, um diese Aufgabe zu übernehmen. An der dritten Wurzel der Yggdrasil sitzen sie daher bis zum Ende aller Tage, ritzen Runenstäbe, weben die Schicksale der Menschen und der Götter. Ja, es geht sogar noch weiter, die drei verwalten alle Schicksale dieser Welt, erkennen sie und führen sie aus, sie entscheiden sogar über Ragnarök, den Weltuntergang. Urd bestimmt die Schicksale, Verdandi bestimmt alles, was gerade entsteht und Skuld legt die Zukunft fest. Dabei spinnen sie die Fäden aus der Yggdrasil als Lebensfäden der Menschen und schneiden sie beizeiten ab. Frigg, die Göttermutter und Odins Frau, webt dann daraus ein feines Gewebe, leicht und weich schwebend wie das Mondlicht, aber das ist eine andere Geschichte, die hier jetzt nicht erzählt wird. Ebenfalls vor Äonen von Jahren, vielleicht ein paar Tage später, da betrat Odin den Quellenraum der Urdquelle, eben den Raum, in dem die drei ihre Spinn- und Schneidearbeiten verrichteten: „Liebe weissagende Frauen und Töchter der Riesen, die ihr die Geschicke der Menschen und Götter lenkt, ich möchte euch um das Garn für einen Mantel bitten, einen Mantel, der eines Gottes würdig ist.“ Die Nornen sagten zunächst nichts und sahen sich nur an, ja man kann sagen, dass sie fast mit der Arbeit innehielten und überlegten. Dann sprach Urd: „Gut, ich spinne einen Faden, der es erlaubt, alle Orte der Vergangenheit aufzusuchen, wenn er verwoben wird.“ Verdandi nickte nur: „So sei es, ich spinne einen Faden, der es ermöglicht, alle Orte der Gegenwart aufzusuchen, sofern die Riesenesche Yggdrasil einen Ast an diesem Ort besitzt und ein schönes Gewebe entsteht.“ Skuld überlegte sehr lange und dann sprach sie: „Nun gut, ich werden einen Faden spinnen, der es ermöglicht, jeden Platz der Zukunft zu besuchen, auch wenn er heute noch nicht existiert, aber zwei Orte nehme ich davon aus. Niemals wird der Träger des Mantels einen Zeitraum nach Ragnarök betreten können, noch einen Ort, der Hodimirs Holz heißt. Dieser Ort soll dem Träger für alle Zeiten verborgen sein.“ Es dauerte etwas, aber dann erhielt Frigg von Urd sieben Spulen feinstes Garn und eine achte Spule überreicht: „Webe daraus einen Mantel für deinen Mann Odin, gute Frigg. Er wird wahre Wunder für seinen Träger vollbringen. Sieben Spulen erhalten den blauen Faden für das Gewand eines Königs und die achte Spule den Faden für Odins Rune.“ So begann Friggs Webstuhl zu summen, als das Schiffchen mit dem blauen Mondlichtfaden der Yggdrasil zu einem Stoff wurde. Die Göttermutter war sehr zufrieden, auch als sie mit dem Faden der achten Spule die Rune ihres Mannes einwob: „Odin, dein Mantel ist fertig. Er ist leicht wie das Mondlicht und leuchtet im tiefen Blau der Könige.“ So kam Odin freudestrahlend zu seiner Frau und probierte den Mantel sogleich an.  Die drei Nornen hatten ihr Wort gehalten! Er konnte sich an jeden Ort und in jede Zeit dieser Schöpfung wünschen und war augenblicklich an diesem Platz. So ist Odins Wundermantel entstanden und bald rankten sich Sagen und Erzählungen über ihn, was nicht ganz unbegründet war. Odin war zwar etwas raubeinig, ein großer Kämpfer eben, aber er hatte auch ein Herz für Menschen und die Schöpfung. So beschloss er, als Dank an die Nornen für den Mantel, ihn alle 1000 Jahre einem Wesen zur Verfügung zu stellen, das ihn dringend brauchte.  Nun hatte die Nornen eine auf die Dauer etwas eintönige Aufgabe. Es war zwar spannend, alle die Schicksale der Menschen und Götter zu sehen, aber eine Spinnstube ist und bleibt eben immer eine Spinnstube. Wenn sie unter sich waren, dann erzählten sie sich auch gern Geschichten, von denen sie ja genug mit bekamen. Da erzählte Verdandi ein so spannendes Ereignis aus dem Leben eines Zwerges, dass Skuld nicht aufpasste und sich mit einer Spindel in den Finger stach und laut „Au“ aufschrie.  Dabei fiel ihr die Spindel herunter und sie griff auf den Boden, um sich eine neue Spindel zu nehmen, sowie den Faden der Yggdrasil auf die nächste Spindel aufzuwickeln. Da schrie auf einmal Urd auf: „Skuld pass auf, was du gerade machst! Du hast den Lebensfaden eines Näck genommen und spinnst gerade den Faden auf die Spindel eines Menschen.“ Da blickte Skuld ziemlich betroffen drein und Urd wie auch Verdandi schüttelten den Kopf: „Nein, abschneiden werden wir den Faden jetzt nicht, dieses Leben soll schon seine bestimmte Zeit dauern, hoffen wir nur, dass es gut geht.“ So geschah aber, was geschehen musste. Ein kleiner Wassermann wurde im Körper eines Menschen geboren. Dieser kleine Wassermann, er hieß Adrian, war sehr unglücklich. Adrian wollte immer mit den Fischen schwimmen, ja am liebsten mit Delphinen und so stand er Tag für Tag an Flüssen und Seen, um zumindest den geliebten Fischen und dem Wasser nahe zu sein.  Nun waren bei Odin gerade die 1000 Jahre herum, bei denen er seinen Wundermantel den Menschen zur Verfügung stellte. So brach er wieder auf, um als Wanderer durch die Welt zu ziehen. Seinen Speer hatte er wie immer als Wanderstab getarnt, seinen Mantel mit seiner Rune zusammengewickelt und in seinen Ranzen gesteckt, damit er nicht sofort auffiel. Ein geübtes Auge hätte ihn schon erkennen können, denn welcher Wanderer trug schon einen grauen Bart, der bis zum Bauchnabel reichte, wird von zwei Raben und zwei Wölfen begleitet? Ja, Graubart pflegten ihn die Menschen in dieser Verkleidung zu nennen und das war ihm sehr recht. Er war gerade auf dem Weg zum Herbstmarkt von Kalmar, als er den kleinen Adrian sah, der auf einem Stein am Flussufer saß, die Beine in das Wasser baumeln ließ und dabei einem Wikingerboot zuwinkte, das auf dem großen Fluss vorbeiruderte. Hinter dem kleinen Jungen stand seine Mutter, die aufpasste, dass er nicht ins Wasser fiel. Odin erkannte sofort, wie unglücklich der kleine Adrian in seinem Körper war, so wandte er sich an dessen Mutter: „Liebe Frau, ich gebe dir jetzt eine Krone, damit geht ihr beide auf den Herbstmarkt von Kalmar und zur Ringbude des Ingemar Badirsson. Für die Krone könnt ihr fast so viele Wurfringe kaufen wie ihr wollt, aber spielt nicht um all den billigen Tand! An der Seite, etwas entfernt von den anderen normalen Gewinnen, da hängt ein alter Mantel auf einem Haken, um den spielt, es wird euer Schaden nicht sein. Nun muss man dazu sagen, dass bei Ingemar ein Haken für seinen eigenen Mantel abgebrochen war und er stattdessen die Reparatur mit einem Holzstab durchgeführt hatte, gerade diesen Stäben, die er auch in seinem Ringwurfspiel verwandte.  Am Nachmittag des folgenden Tages kamen auch Adrian und seine Mutter auf den Herbstmarkt von Kalmar und fanden recht schnell den Wurfstand von Ingemar Badirsson. Er war innen wie eine Pyramide aufgebaut. Die Preise stapelten sich nach oben und vor jedem Preis war eine kleine Holzstange aufgebaut, über die man einen Ring werfen musste: „Vier Ringe und du hast gewonnen!“, stand auf einem kleinen Holzschild in der Mitte. „Oh, ihr wollt Wurfringe für eine ganze Kronenmünze? Ja, sehr gern.“, sagte Ingemar. So gab ihr der Schausteller 50 Ringe und meinte nur: „Mehr Ringe habe ich nicht, aber ihr bekommt nachher nochmals 50 Ringe!“ Obwohl es wunderbare Dinge zu gewinnen gab, da standen sogar merkwürdig leuchtende Gefäße aus der Glashütte von Transjö, der kleine Junge und seine Mutter sahen sich nach dem Mantel um. Da klang auf einmal wieder eine Stimme im Kopf von Adrians Mutter: „Spielt nicht um all den billigen Tand! An der Seite, etwas entfernt von den anderen, normalen Gewinnen, da hängt ein alter Mantel auf einem Haken, um den spielt.“ So geschah es dann auch. Sie warfen nach dem Holzstab, an dem der Mantel hing. Da klang wieder die Stimme von Ingemar durch die Wurfbude: „Vier Ringe auf einem Holzstab und der Preis darunter gehört euch!“ Es dauerte wirklich eine Weile, die vier Ringe über einen Stab zu werfen, aber letztendlich gelang es den beiden. „Ingemar, wir haben gewonnen!“, rief da Adrians Mutter aus. Ingemar sah zu dem Holzstab mit den vier Ringen und runzelte die Stirn: „Ich kann mich gar nicht daran erinnern, hier einen Mantel hingehangen zu haben, dann noch einen so alten, aber sei es drum, ihr habt ihn jetzt gewonnen“, grübelte er. So erhielt sie dann den Mantel und sowohl sie als auch Ingemar staunten, als sie die Runen Odins eingewebt sahen. Einen Moment später stand auch Graubart wieder vor den beiden: „Ihr könnt den Zauber des Mantels dreimal verwenden, danach kehrt er wieder zu mir zurück.“ Um was für einen Zauber es sich handelt, sollten sie relativ schnell erfahren. Es wurde wie oft im September früh dunkel, damit auch feucht und kalt. „Ach, wären wir doch schon zu Hause“, seufzte Adrians Mutter, nachdem sie den Mantel um sie beide gelegt hatte. Im selben Moment wurde alles um sie herum wie ein Nebel und es wurde eiskalt, einen Augenblick später standen sie vor dem kleinen Torp, indem sie lebten. Sie waren überrascht, verstanden aber den Zauber noch nicht wirklich.  Am nächsten Morgen gingen sie wieder zum Fluss, um das Wasser zu beobachten und auch kleine Boote, die ab und zu vorbeikamen. Adrian ließ seine Beine im Wasser baumeln, da dies mittlerweile schon wärmer als die Luft war, wie es manchmal im Herbst ist. Da legte ihm seine Mutter den Mantel um, der wirklich nicht ganz neu aussah, damit er nicht frieren müsse: „Es ist schon ein merkwürdiger Losgewinn“, meinte sie gerade noch, als Adrian nur meinte: „Es wäre doch so schön, den heutigen Tag mit den Fischen oder im großen Meer verbringen zu können!“ Wiederum gab es den Nebel und es wurde eiskalt und als er die Augen einmal auf und wieder zuschlug, merkte er, dass er mitten im Meer war. Da kamen ein paar Augenblicke der Angst, aber auf einmal merkte er, dass sich seine Beine in eine große Flosse verwandelt hatten, er sogar voller Schuppen war und unter Wasser atmen konnte. Er hatte sich in einen Näck verwandelt. Auch die Kälte des Wassers schien ihm nichts auszumachen. Der kleine Wassermann Adrian, spielte so den ganzen Tag mit den Walen, die um ihn waren, auch am Grund des Meeres fand er andere Wassergeister, die in seinem Alter waren. Ja, man kann sagen, es war der schönste Tag in seinem Leben, seine Seele hatte den Körper gefunden, für den sie eigentlich geschaffen war. Gegen Abend wurde er müde und legte sich am Grund des Meers auf eine riesengroße Muschel um einzuschlafen. Wie traurig war er, als er am nächsten Morgen wach wurde und wieder in seinem Bett zu Hause lag. Es war klatschnass, denn er hatte ein große Menge des Wassers mitgebracht. Seine Mutter sah ihn besorgt aber auch beruhigt an, denn sie war froh, dass er wieder zurück war: „Du warst den ganzen Tag verschwunden, als du deinen Wunsch ausgesprochen hattest.“, meinte sie nur. Nachdem der kleine Wassermann alles erzählt hatte, verstand sie so langsam, was es mit Graubarts Mantel so auf sich hatte: „Wir müssen mit dem Wünschen jetzt etwas aufpassen, denn wir haben nur noch einen einzigen Wunsch übrig.“ Aber Adrian drängelte und er quengelte sogar, denn sein größter Wunsch war noch nicht erfüllt worden, er wollte doch so gern mit den Delphinen schwimmen, zumindest einmal in seinem Leben. Seufzend legte ihm da seine Mutter den Mantel um und strahlend sprach er: „Es wäre so schön, den heutigen Tag mit den Delphinen oder im großen Meer verbringen zu können!“ Zu spät fiel ihm ein, das Wort „heute“ gebraucht zu haben, denn er wollte doch eigentlich für immer im Meer leben, aber da war es schon zu spät. Nachdem er den Wunsch ausgesprochen hatte, befand er sich wieder im großen Meer und hatte wieder den Körper eines Näck. Diesmal war das Meer nicht kalt, nein, es war ganz warm und auch das Salz im Wasser schmeckte anders. Es dauerte nicht lange und er war von einer kleinen um ihn herum schnatternden Delphinherde umgeben, die durch die Lüfte sprangen und mit ihm in den Wellen tanzten. Ja, er hörte genauer hin und konnte sogar mit ihnen reden. Als die Sonne langsam zu sinken begann, wurde er immer trauriger. Da trösteten ihn die Delphine: „Mach dir keine Sorgen und sei nicht traurig, kleiner Adrian, unser Leben hier auf der Erde dauert nicht ewig, weder deines noch unseres, danach wirst du eines Tages mit uns für ewig im Meer zusammen sein können, auch als Wassermann“. Diese Worte waren aber nur ein schwacher Trost für den kleinen Jungen. Als Graubart seinen Mantel wieder abholte, blickte er tief in die Seele des kleinen Wassermanns und sah die große Trauer: „Warte ab Adrian, ich habe noch ein Geschenk für dich, du wirst heute Nacht Besuch bekommen, wenn du schon schläfst. Wenn du meinst, es geht nicht mehr, dann wärme das Geschenk etwas unter der Bettdecke.“  So geschah es dann auch. In der Nacht schickte Odin eine Sellkola vorbei, die ein großes hellblaues Ei mitbrachte.  Im Traum sprach die Sellkola dann mit Adrian: „Kleiner Wassermann, das ist das Ei des Wasserdrachen Ekolf. Der Drache wird nach der Zeit der Menschen die Meere behüten. Allerdings wird der Drache zu deinen Lebzeiten noch nicht schlüpfen, aber er lebt in seinem Ei schon und träumt wie du vom Meer. Behandele es also gut.“ Am nächsten Morgen war der Boden des Torps ziemlich nass und Adrians Mutter war nicht so glücklich darüber, eine Sellkola kommt nun einmal aus dem Meer, was auch die nasse Fußspur von ihrem Torp zum Fluss deutlich zeigte. Aber Odin hatte Wort gehalten. Wann immer der kleine Wassermann traurig war und seine Delphine vermisste, nahm er jetzt das Ei mit ins Bett um es zu wärmen. Das spürte auch der ungeschlüpfte Ekolf im Ei und so nahm er den Wassermann in seinen eigenen Träumen mit auf und in das große Meer und brachte ihn zu seinen Freunden, den Delphinen. Ja und wenn Ekolf noch nicht geschlüpft ist, dann träumen die beiden weiter bis in eine Zeit nach unseren Tagen. Wenn ihr allerdings auf Odin und seinen Wundermantel wartet, so müsst ihr euch noch etwas gedulden, aber zum Glück nicht ewig, das erste Jahr der 1000 Jahre ist heute wohl schon herum.

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Felix war durch das Vorlesen von Kalle-Nisse eingeschlafen und wurde erst durch die einsetzende Ruhe nach dem Erzählen wieder geweckt. Bald blickte der Tomte in den gähnende Rachen seines kleinen Katers. Lächelnd legte er die Rolle zurück und brachte seinen Felix in sein Katzenkörbchen neben dem Küchenofen. Ja, der Besuch bei seiner Freundin Casey muss für den alten Knaben auch anstrengend gewesen sein. Nachdem er den Kater mit seiner „Katerdecke“ zugedeckt hatte, kamen wieder die Bilder von früher hoch: „Jetzt wird er auch langsam alt, der Bursche hier, ich sehe es noch wie gestern vor mir, als er noch klein und blind nach seiner Geburt über die Decke gekrabbelt ist.“ Seufzend zog er seine Stiefel aus, bevor er selbst ins Bett kroch: „Ja, es ist manchmal auch ein Fluch, ein so langes Leben wie ein Tomte zu haben, man sieht so viele Lebewesen kommen und gehen.“

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Am nächsten Morgen waren die trüben Gedanken des letzten Abends bald verflogen. Felix weckte ihn, indem er seinen Futternapf durch die Tomtewohnung schob. „Ja Felix, keine Sorgen, du wirst schon versorgt“, brummte Kalle-Nisse. Zunächst erhielt der hungrige Kater seinen Napf gefüllt, danach erst kochte sich Kalle-Nisse seine Hafergrütze. Der Vormittag verlief damit, dass der Tomte noch ein paar Dachreparaturen zu Ende brachte, wobei er sich vorsichtig umsah, ob auch kein Mensch in der Nähe war, der hinterher fragen könnte, warum es auf einem verlassenen Bauernhof Hammergeräusche geben würde. Am Nachmittag suchte er dann seinen Rucksack heraus, er musste sich ja auch unterwegs verpflegen und etwas Kleidung mitnehmen, denn der Weg von Mora nach Lillerud in der Nähe des Sees Övre Gla, hier lebte Moa in einem alten Forsthaus, der dauerte ungefähr eine Woche. Jetzt darf man sich aber unter einem Rucksack nicht so etwas Modernes wie einen heutigen Rucksack, vorstellen, nein, der Rucksack von Kalle-Nisse bestand aus geflochtenen Birkenspänen, ähnlich wie bei einem Spankorb, war also, das ist wichtig für einen Tomte, komplett metallfrei. Die Tragriemen bestanden aus schönen, in sich verdrehten Weidenzweigen, so dass man meinen konnte: Vor einem wandert ein Baumstamm, zumindest wenn man es schaffte, ihn zu überholen und von hinten zu betrachten. Allerdings ist noch ein Punkt zu erwähnen: Felix beobachtete Kalle-Nisse sehr genau, als er den Tomterucksack vorbereitete und er wusste auch, dass der Tomte bald abreisen und er alleine mit der Mäusefamilie, zumindest für ein paar Tage, zurückbleiben würde. Als sich unser Tomte am Abend in seinen Sessel setzte, um dem Kater und auch seiner Mäusefamilie, die hinter der Fußleiste wohnte, eine Geschichte zu erzählen, da hatte er schon den Eindruck, dass Felix beleidigt schien. Er lag zwar in seinem Körbchen und lauschte, machte aber keine Anstalten in Kalles Sessel zu kommen. Nicht einmal die Mäusefamilie, die diesmal aus ihrem Wohnloch gekommen war, schien ihn zu interessieren. „Schade“, dachte da der Tomte nur, „dabei habe ich heute Abend eine so spannende Geschichte aus den Rollen herausgesucht.“ So begann er dann vorzulesen. 

Der Tomte aus Pintorp (3. September)

Vor vielen Jahren stand an dem Ort in Södermanland, der einst als Pintorp bekannt war und an dem heute das Schloss von Ericsberg steht, nur ein kleiner Torp. In diesem Torp lebte damals ein armer Holzknecht, der Magnus Stensson hieß. Eines Tages lief er am frühen Morgen durch den Wald, um an die Stelle zu kommen, an der ein Holzeinschlag gemacht werden sollte, als er ein lautes Jammern vernahm. Es dauerte nicht lange und dann sah er einen Tomte, der seinen langen weißen Bart in einem Baumstamm eingeklemmt hatte. Er hatte wohl gerade den Baum fällen wollen, als sein Bart in die Kerbe gelangte, die man beim Holzfällen in den Stamm schlägt, um das Holz im Fallmoment besser dirigieren zu können. Was soll man da sagen, der Bart, und damit der Tomte, saßen beide fest. „Glotze nicht so blöd Magnus“, rief der Tomte, „hilf mir lieber aus dieser Situation!“ Magnus war sehr erstaunt, dass der Tomte seinen Namen kannte, aber bei Tomten ist vieles möglich. Da zückte er sein Messer, um den Bart des Tomte abzuschneiden, wobei der Tomte fast verrückt und noch wütender über seine Lage wurde: „Pech und Schwefel, was soll das denn? Der Bart ist ein Prachtstück und du zückst ein Messer!“ Da steckte der Torper seufzend das Messer wieder ein, nahm seine Zunderdose, sammelte etwas Reisig und entzündete ein kleines Feuer, wobei ihn der Tomte missmutig und argwöhnisch beobachtete. Sobald das Feuer nun brannte, nahm er einen kleinen brennenden Ast aus der Glut und näherte sich damit dem Bart des Tomte erneut. Der Tomte merkte, was Magnus jetzt vorhatte und begann regelrecht zu toben: „Mäusezahn und Rattenauge“, rief er aus, „willst du mich anstecken?!“ Schnell ließ der Holzknecht von seinem Vorhaben wieder ab und steckte den Ast zurück in die Glut. Da grummelte der Tomte ärgerlich: „Sieh dir doch erst einmal an, warum ich feststecke!“ Denn das hatte Magnus in der Tat noch nicht getan. Als er genauer hinsah, bemerkte er, dass unter dem wallenden Bart des Tomte immer noch dessen Axt im Baum feststeckte und so Bart und Stamm zusammen einklemmte. Ohne groß zu fragen, ergriff Magnus die Axt und riss sie aus der Kerbe, die der Tomte geschlagen hatte, wonach der Baum sofort krachend umfiel, leider ging auch Stück des Bartes des Tomte verloren. Der Tomte fauchte und fluchte vor Wut, es geschah aber nichts weiter, zumal der Holzknecht immer noch die Axt in der Hand hielt. Nach einer Weile beruhigte sich der Tomte wieder und deutete auf die Axt: „Das ist Dramborleg, sie ist sehr alt und sie hat mich heute verraten. Behalte sie und hüte sie gut, ich will sie nicht mehr haben. Pass daher etwas auf, wenn du sie verwendest. Du solltest noch wissen, auf was sie schlägt, das ist sofort gespalten und was sie einkeilt, das ist fest, du hast es ja heute erlebt.“ Als sich Magnus die Axt genauer ansah, wusste er, was der Tomte meinte: Dramborleg hatte auf der einen Seite eine große Beule, so wie bei einer Keule und auf der anderen Seite eine Klinge, scharf wie ein Schwert. Da bemerkte er, dass sich der Tomte wieder unsichtbar gemacht hatte und hörte noch eine Stimme, die aus weiter Ferne zu kommen schien: „Ich werde dir oder deinen Nachfahren deine Hilfe von heute eines Tages vergüten.“ So gingen viele Jahre ins Land, Magnus war schon lange gestorben und die Axt hing wenig beachtet hinter der Eingangstür des Torps. Wie eine Sage, wurde die Geschichte des Tomte aber von Generation zu Generation in seiner Familie weitergegeben. Nach all den Jahren wurde aus Pintorp ein richtiges Herrenhaus mit Parkanlagen und einem schönen Garten, in dem auch lange Jahre eine adelige Familie lebte. Nun geschah es aber, dass der Hausherr früh starb und er dadurch alles seiner Frau, Beata von Yxkull hieß sie wohl, überließ. Im Gegensatz zu ihrem verstorbenen Mann war sie herrisch, niemand konnte es ihr recht machen und schon bald schmachteten viele ihrer Untergebenen in den unterirdischen Gefängnissen und Verliesen des Herrenhauses. Bedienstete, die zu spät zur Arbeit erschienen, konnten davon ausgehen, abends mit einem blutigen Rücken nach Hause zurückzukehren. Auf bettelnde Frauen und Kinder ließ sie Hunde hetzen, kurzum, es wurde alles furchtbar auf dem damaligen Herrensitz in Ericsberg, so wie sich der Ort jetzt nannte. Jeden Morgen stand sie herrisch auf der Treppe des kleinen Schlösschens, wie man den Herrenhof bezeichnete, achtete darauf, wer und wann zur Arbeit erschien. Zu dieser Zeit war Paul, ein Nachfahre von Magnus, Instmann auf Ericsberg. Als er durch einen unglücklichen Zufall eines morgens zu spät zur Arbeit kam, da stand Beata schon fauchend vor Wut auf ihrer Treppe: „Du wirst heute die große Eiche fällen, die vor dem Gute steht und sie mit dem Wipfel voran, so wie sie ist, hierher auf das Gut bringen. Schaffst du das nicht, dann bist du deine Stelle hier sofort los und alle deine Habseligkeiten fallen wieder dem Gut zu!“ Nun weiß wirklich jeder, wie schwer es ist, eine große Eiche alleine zu fällen und kein normal denkender Mensch denkt auch nur daran, einen ganzen Baum mit all seinen Ästen zu transportieren und dann auch noch mit seiner Krone voran. So ging Paul traurig und niedergeschlagen an die Stelle vor dem Hof, an dem die Eiche, stattlich und alt, viele Jahre am Rande des Waldes gewachsen war. Ja, es war schon wie ein Urteil, so eine Aufgabe zu erhalten. Da seufzte er traurig und meinte: „Ja, meine Stelle bin ich wohl los, so etwas schafft niemand“, als er ein kleines Männchen wahrnahm, das ihn mitleidig anblickte. Da erzählte er dem Männchen, was ihm widerfahren war: „Mit mir ist es jetzt zu Ende, mir kann nur noch der liebe Gott helfen“, schloss er seine Rede. Das Männchen lächelte jedoch zu seiner Überraschung: „Lauf geschwind nach Hause, hole die Axt, die hinter der Tür hängt, fälle den Baum, setze dich auf den Stamm, so dass du zur Krone blickst und warte darauf, was geschieht.“ Das Männchen sollte Recht behalten, schon mit dem dritten Schlag dieser wundersamen Axt, die all die Jahre unbeachtet hinter der Tür seines Torps gehangen hatte, fiel der riesige Baum krachend um. Kaum hatte sich Paul jedoch auf den Stamm gesetzt, so wie das Männchen es angeordnet hatte, da erschienen zwei Geister: Die Geister der Reichsräte von Erik Gyllenstjerna und von Svante Banér, denen man beiden nachsagte, auf dem Herrenhaus umzugehen. Die beiden begannen den Stamm aufzuheben und zum Schloss zu ziehen und das in einem Tempo, als ob er von mehreren Pferden gezogen würde, wobei die Geister nur von Paul und auch von dem kleinen Männchen gesehen wurden, das freundlich nickend am Wegesrand stand. Das war ein Transport, den Paul sein Lebtag nie mehr vergessen würde. Bei dem Tempo fielen ganze Zäune um und die Holzsplitter flogen nur so durch die Gegend. Schon recht bald kamen die Geister mit der riesigen Eiche am Schlossplatz an und hier stolperte der eine, der unsichtbaren Träger, als die Baumkrone gegen das Portal des Schlosses stieß. Jedenfalls konnten alle, auch die erschrockene Herrin von Pintorp, die Worte des anderen Reichsrates, Erik Gyllenstjerna, deutlich vernehmen: „Was, fällst du auch auf die Knie, Svante?“ Beata erkannte sehr wohl, wer ihrem Instmann da geholfen hatte, ihren Auftrag zu erfüllen, aber statt sich zu ängstigen oder auch darüber nachzudenken, ob vielleicht Reue angebracht sei, begann sie Paul zu beschimpfen und fluchte lauthals herum. Ja, sogar mit Gefängnis drohte sie ihm. Nun geschah das, was passieren musste, wenn man sich mit den hier geweckten Kräften anlegt. Es gab auf einmal ein Erdbeben, das das ganze Schloss erzittern ließ und alle Bediensteten liefen ängstlich hinaus. Kaum war das Erdbeben vorbei, da hörte man ein Pferdegetrappel auf dem Hof und eine schwarze Kutsche fuhr vor, die von zwei schwarzen Pferden gezogen wurde. Aus der Kutsche stieg ein vornehmer Herr, ganz in schwarz gekleidet, allerdings mit einem Pferdefuß, der sich vor Beata verneigte und mit einer Stimme sprach, die durch Mark und Bein ging, deshalb auch keinen Widerspruch zuließ: „Mache dich fertig, folge mir, du fährst mit mir mit!“ Beata wusste sehr genau, wer hier vorgefahren war, aber dennoch wollte sie mit ihm verhandeln: „Räume mir drei Jahre Frist ein?!“ Der schwarze Herr schüttelte schweigend mit dem Kopf. „Dann drei Monate?“, bat sie ihn. Wieder folgte ein Kopfschütteln. „Drei Tage?“, bettelte sie. Auch hier erfuhr sie Ablehnung. „Dann drei Stunden, ich muss noch mein Haus bestellen?“, jammerte sie, doch auch darauf ließ sich der schwarze Mann nicht ein. Schließlich erhielt sie drei Minuten von ihm. „Können denn zumindest mein Kammerdiener, meine Kammerzofe und der Schlosspriester mit mir mitreisen?“, fragte sie verzagt. Seufzend, wenn auch mit leichter Missbilligung, stimmte der schwarze Herr dem zu. Kaum saßen die vier in der schwarzen Kutsche, da schlugen die Türen der Kutsche auch schon zu und der Wagen verschwand so schnell, dass die am Schloss zurückgebliebenen Bediensteten ihn nur noch als schwarzen Strich am Horizont erkennen konnten.