Kalle-Nisses Träume und Erzählungen - Dezember - - Larissa Tjärnväg - E-Book

Kalle-Nisses Träume und Erzählungen - Dezember - E-Book

Larissa Tjärnväg

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Beschreibung

Der Dezemberband der Märchensammlung der schwedischen Autorin Larissa Tjärnväg beschreibt das Leben des Tomte Kalle-Nisse auf einem verlassenen Bauernhof in Dalarna, dessen Einwohner ausgewandert sind als Rahmenhandlung. Tomte werden zu den "kleinen Leuten" gezählt, in Deutschland würde man sie als Wichtel oder Heinzelmännchen beschreiben. Durch die dunkle Jahreszeit und die schwedische Wintereinsamkeit bedingt, erzählt der Tomte Kalle-Nisse jeden Abend seinem Kater Felix und einer ebenfalls auf dem verlassenen Bauernhof lebenden Mäusefamlie ein Märchen oder einen seiner Träume. Der Dezemberband ermöglicht so auch einen Einblick in das schwedische Weihnachten und die andere Art es zu feiern. Für jeden Abends des Monats Dezember steht ein längeres oder kürzeres Märchen bereit, das auch auf die Luciafeiern eingeht. Kalle-Nisse ist aber als schwedischer Wichtel auch mit der alten Religion des Norden verbunden, das gilt auch die die Autorin dieser Reihe. Für Larissa Tjärnväg ist es der erste Märchenband der in Deutschland veröffentlicht wird. Die Märchen sind an ein Erwachsenes Publikum adressiert. Eigentlich durch die Rahmenhandlung auch ein schöner Adventskalender

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Seitenzahl: 455

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Larissa Tjärnväg 

Kalle-Nisses Träume und Erzählungen - Dezember - 

eBook Ausgabe 01/2021 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Buch:Der Dezemberband der Märchensammlung der schwedischen Autorin Larissa Tjärnväg beschreibt das Leben des Tomte Kalle-Nisse auf einem verlassenen Bauernhof in Dalarna, dessen Einwohner ausgewandert sind als Rahmenhandlung. Tomte werden zu den “kleinen Leuten” gezählt, in Deutschland würde man sie als Wichtel oder Heinzelmännchen beschreiben.Durch die dunkle Jahreszeit und die schwedische Wintereinsamkeit bedingt, erzählt der Tomte Kalle-Nisse jeden Abend seinem Kater Felix und einer ebenfalls auf dem verlassenen Bauernhof lebenden Mäusefamlie, ein Märchen oder einen seiner Träume. Das Buch ermöglicht so auch einen Einblick in das schwedische Weihnachten und die andere Art es zu feiern. Für jeden Abends des Monats Dezember steht ein längeres oder kürzeres Märchen bereit. Kalle-Nisse ist aber als schwedischer Wichtel auch mit der alten Religion des Norden verbunden, das gilt auch die die Autorin dieser Reihe. Für Larissa Tjärnväg ist es der erste Märchenband der in Deutschland veröffentlicht wird. 

 

 

Über die Autorin: 

Larissa Tjärnväg, 1963 in Mora geboren, lebt seit dieser Zeit in Värmland und Dalarna, also in Mittelschweden. Hier lebt sie ziemlich zurückgezogen, da sie die Einsamkeit und Ruhe der Natur zum Schreiben benötigt. 

Bislang hat sie hauptsächlich Märchen und Erzählungen geschrieben, die aber in Schweden selbst kaum veröffentlicht wurden. 

 

Tjärnväg, Larissa: 

Kalle-Nisses Träume und Erzählungen – Dezember - 

Ausgabestand 01/2021 

Årjäng / Sweden WeyTeCon Förlag (WF), 2016 – 2021 

ISBN: 978-3-9821782-8-8 - Printversion im WeyTeCon Förlag 

Umschlaggestaltung & deutsche Bearbeitung: 

Lars Weyerstrass 

Lektorate: 

Klotilda Weyerstrass, Regine Kühn 

Grafiken: 

Birgitta Weyerstrass 

Satz: 

FreeOffice Textmaker 2018 

Druck: 

Druck durch Lizenznehmer 

© Copyright WeyTeCon Förlag / WeyTeCon AB - 2021 

WeyTeCon Förlag (WF) – WeyTeCon AB 

Ö:a Näs Klockarbacken 

S-672 91 Årjäng / Sweden 

[email protected] 

Vertrieb: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin 

 

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser, 

dieses Buch der Erzählungen und Träume von Kalle-Nisse ist in der dunklen Jahreszeit und in generell dunklen Zeiten für die Menschen entstanden. 

Es ist die Zeit, in der die kalten Winde die Schneeflocken und Eiskristalle um das Haus jagen und sich an ruhigeren Stellen im Wald und auf Feldern zu Verwehungen aufhäufen. Es ist aber auch die Zeit und Jahreszeit der Umbrüche.Auch unser Tomte Kalle-Nisse, die Hauptperson dieses Buches, hat so einen Umbruch für sich erlebt. Jahrelang lebte er mit Familien auf einem Bauernhof in Dalarna zusammen, bevor der Hof durch das Auswandern seiner Bauernfamilie für immer verlassen wurde. Da die Tomte an den Hof gebunden sind, bleibt er einsam zurück. Sein Leben wird fortan von dem ebenfalls zurückgebliebenen Kater des Bauernhofes bestimmt. 

Das stört ihn allerdings nicht. Tomte sind Lebewesen mit mystischem Ursprung, sie verfügen über Zauberkräfte, die ihnen helfen, das Leben nicht so schwer zu nehmen und im Griff zu behalten. 

In und mit diesem Buch hast du als Leser und Leserin die Möglichkeit, den Tomte Kalle-Nisse einen Monat lang zu begleiten und mitzuerleben, wie er den Dezember in der Einsamkeit des schwedischen Winters verbringt. Jeden Tag, oder besser jeden Abend des eintönigen Dezembers, erzählt er den verbliebenen Tieren seinen Hofes ein Märchen oder berichtet über einen seiner Träume, wobei man merkt, dass er aus dem Norden kommt und auch in der alten Mythologie fest verankert ist. 

Wenn dir Namen, Begriffe oder Inhalte spanisch bzw. hier zu schwedisch vorkommen, so schau einfach auf die letzten Seiten dieses Buches. Ich hoffe hier ein paar Erklärungen abgegeben zu haben, die dir vielleicht weiterhelfen. 

Jetzt bleibt mir nur noch dich als Leser oder Leserin dieses Buches, in der Welt und auf dem Bauernhof des Tomte Kalle-Nisse zu begrüßen und zu hoffen, dass es eine angenehme Begegnung mit ihm wird! 

 

Larissa Tjärnväg 

im März 2021 

 

 

Kalle-Nisse erzählt…

Es sollte wohl ein strenger Winter werden. Kalle-Nisse schaute etwas griesgrämig aus seinem kleinen Fenster im Fundament des Wohnhauses seines Bauernhofes in Dalarna, bevor er sich wieder in seinen kleinen Holzsessel begab. 

Schnell legte er noch ein kleines Holzscheit in den Ofen und begann zu sinnieren. Ja, jetzt war er 450 Jahre alt, noch kein allzu großes Alter für einen Tomte, aber immerhin schon beachtlich. Es war ein ganz besonderes Jahr, nach 420 Jahren war er zum ersten Male alleine auf ”seinem” Hof. Ja, er hatte erlebt wie der erste Baum gefällt wurde, um das Wohnhaus zu errichten, er erinnerte sich noch an die erste Kuh, die in den neugebauten Stall einzog, wobei ihm die Tiere des Hofes immer über alles gingen. 

Doch jetzt war alles leer und verlassen. Nach zwei Sommern mit Schnee und Eisregen wurde der Hof verlassen oder verkauft, das wusste er nicht so genau und im späten März, als der Schnee etwas gewichen war, zog der Bauer mit seiner Familie, seiner Kutsche und der großen Reisetruhe für immer weg. Zur Küste wollte man wohl und sich nach Amerika einschiffen. All das Vieh wurde vorher verkauft und der Stall war zum Jahreswechsel schon recht leer. Als dann im März auch noch die letzte Kuh den Hof verließ und die große Reisetruhe gepackt war, wurde Kalle-Nisse sehr traurig. Sehr lange blickte er dem Wagen hinterher, als das Gatter geschlossen wurde. Nur Felix, der alte Kater war im Hof geblieben und sorgte dafür, dass die Mäuse nicht allzu frech wurden. Der Sommer kam, als Ausgleich zu den beiden grausamen Jahren ein sehr warmer Sommer, aber statt Hafer und Weizen, keimte diesmal nur Gras auf dem Acker. Kalle-Nisse war sehr bescheiden und hatte sich noch gut mit Hafer für seine Grütze eingedeckt. 

Als der Hof gebaut wurde, stand er mit vielen aus seiner Tomtefamilie vor dem Fundament des neuen Hofes und er war sehr erstaunt, dass es an ihm war hier zu leben. 

Der Herbst war nun auch schon fast vorüber und die Tage wurden kürzer, die Schatten länger und der erste Geruch von Schnee lag in der Luft. Als dann die Dämmerung einsetzte, zündete Kalle-Nisse sich eine Kerze an und schlich zu seinem kleinen Herd, um sich Hafergrütze auf seinen Holzteller zu füllen. Brummelnd suchte er seinen Holzlöffel, um dann zu seinem Sessel zurück zu schlurfen. 

Aber nutzen wir die Zeit, in der er seinen Haferbrei verdrückt, um etwas über die Tomte zu erfahren. Tomte gehören zu den kleinen Menschen, sie leben bis hoch in den Norden und können sich bei Bedarf unsichtbar machen. Auf jedem Bauernhof in Schweden lebt immer nur ein Tomte. Man kann sie mit Wichteln vergleichen, sie werden nicht groß, tragen eine rote Zipfelmütze, haben meistens einen langen weißen Bart und lieben die Tiere ihres Bauernhofes. Jeder Bauer und jeder Hof ist meistens bemüht, sich mit seinem Hoftomte gut zu stellen, ich möchte hier nicht berichten, was passiert, wenn man seinen Tomte schlecht behandelt hat oder mit seinem Vieh schlecht umgegangen ist. Mit Eiswasser gefüllte Stiefel, in die man morgens hineintappt, sind da das Mindeste was ein Tomte dann so anstellt. 

Weihnachten ist für Tomte übrigens eine besondere Zeit. Da wird für den Tomte eine schöne Schale mit Hafergrütze bereitgestellt, die er sich dann abends abholt, wenn die Familie eingeschlafen ist. Natürlich gehört dazu ein Holzlöffel. Tomte hassen Metalle und auch Metalllöffel. Wer es einmal gewagt hat, ihm einen Metalllöffel anzubieten, der wird dann des nachts auch das Gepolter gehört haben, das der kleine Mensch in der Weihnachtsnacht veranstaltet.  

Doch dieses Jahr war alles anders, „kein schöner Haferbrei mehr durch die Bäuerin“, grummelte Kalle-Nisse und schob seinen leergegessenen Teller auf sein kleines Tischchen: „Auch keine Kühe, Pferde und Schweine mehr, die ich striegeln und bürsten kann“. Mit einem Seufzen zog er seine roten Stiefel aus und legte seine Beine mit seinen breiten Füßen und den roten Wollsocken auf den kleinen Fußhocker. Danach zog er einen Flechtkorb mit zwei versiegelten Dokumentenrollen zu sich heran. „Dann werden wir einmal Zeit haben, die Erzählungen zu lesen, die mir mein Onkel vor mehreren Jahren geschickt hat.“ 

 

Vor seiner Tür hörte er plötzlich ein Miauen und sah Felix, den Kater, der sich in seine Wohnung durch die kleine Tür im Fundament hereinzwängte. „Ja, der einzige warme Platz ist halt nur noch an meinem kleinen Öfchen“. Felix legte sich in Ofennähe hin, fing an zu schnurren und bald zu schnarchen.Kalle-Nisse sah ihm eine Weile zu, legte seine Hände auf den Bauch und damit auf seinen wuchtigen, weißen Bart und tat es ihm bald gleich. 

Nach ein paar Seufzern, die er schon selbst nicht mehr hörte, träumte er dann seinen ersten Dezembertraum. 

Das Töpfchen der alten Frau (1. Dezember)

Vor langer Zeit lebte einmal eine alte Frau zusammen mit ihrem Sohn auf einem kleinen Hof, ganz in der Nähe von Mora. Der Sohn war spät geboren, noch recht jung und die Frau schon recht betagt. Als sie merkte, dass ihre Zeit des Abschieds von dieser Welt bald gekommen war und sie ihren Sohn zurücklassen musste, wurde sie immer trauriger. Oft, vor allem, wenn sie sich in ihrer kleinen Küche unbeobachtet fühlte, kullerten die Tränen über ihre Wangen. So wurde es für sie von Tag zu Tag schlimmer. Jetzt war schon der Herbst gekommen und beim Kochen liefen ihre Tränen auf die Herdplatte, von wo aus sie zischend verdampften. Es war nun gerade der zehnte August, als die Tränen von den Wangen als kleiner Bach auf den Herd fielen. Da gab es auf einmal ein lautes Rumpeln und Krachen, dass man meinte, der Leibhaftige komme aus der Hölle gefahren und eine merkwürdige Gestalt in der kleinen Küche erschien.Diese Gestalt, sie sah wie ein Mönch aus, war unheimlich, da sie einen großen und glühenden Eisenrost hinter sich herzog. An ihrem Gürtel hing zudem ein prall gefüllter Beutel, der voll mit Münzen gefüllt zu sein schien. 

„Frau, lass die Trauer und das Weinen sein, deine Gebete sind erhört worden“, sprach die Erscheinung. Der Mönch deutete auf den kleinen Topf, der auf dem Herd vor sich hin kochte: „Von heute an wird sich der Himmel um deinen Sohn kümmern“. Natürlich war die Frau über die Erscheinung sehr erschreckt. Da legte der Mönch sieben alte Goldmünzen mit dem Abbild eines alten römischen Kaisers aus seinem großen 

Beutel auf den Tisch und sprach: „Das wird reichen, bis dein Sohn erwachsen ist und er selbst den Hof als Bauer führen kann.“ Danach blickte er wieder auf das kleine Töpfchen der alten Frau und fuhr fort: „Achtet auf den kleinen Topf und haltet ihn in Ehren, so soll es allen hier auf dem Hof gut ergehen. Bei Zeiten werde ich hier wieder nach dem Rechten sehen.“ 

Ehe die alte Frau, die natürlich sprachlos war, auch nur ein Wort sagen konnte, war die Erscheinung wieder krachend und polternd verschwunden, so wie sie gekommen war.Am nächsten Morgen, kurz bevor die alte Frau in ihre Küche gehen konnte, hörte sie von ihrem Herd schon ein Geklapper, als wenn jemand kräftig in der Küche wirtschaftet und es kam ihr der Geruch von allerfeinster und süßer Hafergrütze entgegen geströmt, als sie sie selbst nicht besser kochen konnte. 

Dann in der Küche angekommen, fand sie den schönsten Haferbrei mit vielen Mandeln angerichtet in ihrem Töpfchen blubbern. Jetzt wusste sie, was die Erscheinung gemeint hatte. So ging es jetzt jeden Morgen. Kurz nachdem sie aufgestanden war, roch sie die schönsten Speisen aus ihrer Küche. Nun, dachte sie, ist mein Sohn versorgt und sie starb in Ruhe, noch bevor der Heilige Wolfgang das Laub bunt einfärben konnte. 

Das Töpfchen hielt sein Versprechen ein, es kochte weiterhin jeden Morgen und Abend eine Mahlzeit für den Sohn, der langsam zu einem rechten und auch wohlhabenden Bauern heranwuchs. 

Natürlich hat es sich herumgesprochen, dass der Sohn der alten Frau nicht mehr so arm war und es kamen viele Frauen auf den Hof, die es mehr auf Gold und einen möglichen Reichtum abgesehen, als ein ehrliches Interesse an dem Sohn der alten Frau hatten. 

Doch da hatte man wohl nicht mit dem kleinen Töpfchen und dem Versprechen an die alte Bäuerin gerechnet. Sobald nämlich eine solche Frau auf dem Hof war, fing das Töpfchen auf dem Herd morgens an zu poltern und zu rumpeln. Es gab keine leckeren Speisen mehr, sondern Versalzenes und Verbranntes. 

Wenn dann eine dieser Frauen versuchte, das Töpfchen vom Herd zu nehmen, so war es auf einmal so glühend heiß, dass sich so manche die Finger verbrannte. 

Es ließ sich aber auch so nicht vom Herd nehmen, ziehen oder schieben, es schien auf einmal fest mit dem Herd verbunden, dass man meinen konnte, der Teufel persönlich hat es auf dem Herd festgeschmiedet. 

Irgendwann war dann die rechte Schwiegertochter für den Sohn der alten Frau dabei und das Töpfchen klapperte und kochte wie ehedem morgens auf dem Herd den süßesten Brei. Als der junge Bauer dann an das Heiraten dachte, kochte es natürlich zur Hochzeit auf, später auch bei den Kindstaufen. 

Viele Jahre später, unser vormals junger Bauernsohn war schon recht alt geworden, erschien auf einmal wieder der Mönch zu nächtlicher Stunde mit seinem glühenden Eisenrost in der Küche, dieses Mal bei dem Bauern, der gerade sein Nachtmahl einnahm. 

„Bauer, deine Zeit auf der Erde neigt sich bald dem Ende“, so sprach er, „du wirst in der Ewigkeit schon erwartet. Ich habe mein Versprechen eingelöst, das der Himmel deiner alten Mutter gegeben hat. Bereite dich auf deinen Abschied von all dem hier vor.“ 

So plötzlich wie er gekommen war, war er auch schon wieder verschwunden. Drei Tage später verstarb der Bauer dann auch. Das Töpfchen kochte jedoch noch weiter, bis der Leichenschmaus vorüber war. Als der Bauer dann begraben war, blieb es zum ersten Mal nach vielen Jahren morgens in der Küche still. Es war des morgens kein Klappern, Zischen und Blubbern von frisch zubereitetem Brei in der Küche mehr zu hören und das Töpfchen stand still auf der Herdplatte. Das vor langer Zeit gegebene Versprechen war eingelöst, das Töpfchen ruhte seitdem. Natürlich wurde es weiter hoch in Ehren gehalten und man meinte ab und an, dass bei der Geburt eines Kindes auf dem Hofe, des morgens dann bei einer Taufe wieder ein Geräusch aus der Küche zu hören war und an diesen Tagen auch eine alte Frau an der Wiege gesehen wurde, die ein altes Wiegenlied summte. 

Langsam wachte Kalle-Nisse wieder auf, da war er doch glatt in seinem Sessel eingeschlafen und hatte die ganze Nacht hier verbracht. Felix, der Kater, nieste ihn an und schlich hinaus in den frühen Morgen und den frisch gefallenen Schnee. „Ja, so ein Töpfchen müsste man schon haben“, grinste Kalle-Nisse, „so hat man wenig Sorgen, wie die Grütze auf den Tisch kommt“, schob danach seinen kleinen Kochtopf auf den Herd, nachdem er ein Feuer entfacht hatte. „Wer weiß schon, wo der Topf heute wohl geblieben ist?“ 

Nach seinem ausgezeichneten Frühstück ging er über den Hof und stapfte durch den ersten Schnee des Jahres, den Fußstapfen von Felix folgend, um überall nach dem Rechten zu sehen und kleine Reparaturen im Stall durchzuführen. Ja, da wo es einen richtigen Tomte gibt, wird alles gut erhalten bleiben. 

Am Nachmittag waren sie mit den Aufräumarbeiten fast fertig, wobei Felix ihm fleißig helfen wollte, im Heu herumscharrte und dabei eine Krone sowie ein paar Öremünzen aus dem Lehmfußboden ausgrub. „Lass es liegen Felix, das können wir nicht gebrauchen“, meinte Kalle-Nisse: „Tomte wie ich hassen Metalle, sie richten nur Schaden an und bedeuten Unheil. Heute Abend werde ich dir dazu eine Geschichte vom Onkel vorlesen.“ 

*** 

Am Abend dann, das Abendessen war schon eine Weile her, setzte sich Kalle-Nisse in seinen Stuhl, zog seine Stiefel aus und kramte im Korb mit den Schriftrollen: „Hier ist sie ja, die Erzählung vom Alten vom Berg, ein etwas unheimlicher Geselle, aber es soll ihn wirklich gegeben haben, nur zu dumm, dass die Menschen nicht auf weise Alte hören.“ Nachdem er seine Pfeife ausgekratzt hatte und sich eine Tasse mit warmer Milch geholt hatte, von der erfahrungsgemäß Felix sowieso den Löwenanteil schlabberte, begann Kalle-Nisse vorzulesen. 

 

Der Alte vom Berg (2. Dezember)

Es war einmal vor langer Zeit, als das Postwesen noch jung war und die alten Wege im Norden des großen Königreichs sich langsam in erste Straßen wandelten, die mit einem Pferdegespann befahren werden konnten, da lebte an einer  alten Poststraße auf einem Berg ein weiser, alter Mann. 

Dem Alten sagte man nach, dass er ein Zauberer wäre und durch einen großen dunklen Spiegel regelmäßig in das Reich der Toten gehen konnte, auch oft mit ihnen sprach und irgendwie sonst mit ihnen Kontakt hatte. 

Die alte Poststraße, die noch über einen Berg und durch ein tiefes einsames Tal führte, das auch Flüsterwald genannt wurde, war längst durch einen neuen Postweg ersetzt worden, der um den großen Berg herumführte, wohl etwas länger war, aber diesen unheimlichen Ort umging.Nur noch Gestalten, die etwas zu verbergen hatten, nutzten den alten Weg über den Berg und durch das Tal. 

Nun war es Herbst geworden, es war Markt in der Reichsstadt, der immer eine Woche dauerte, und zusammen mit dem Markt verschwand meistens auch der Herbst, das Licht aus dem Jahreslauf, bevor der Winter endgültig einsetzte. 

So kam es, dass drei dunkle Gestalten, die es bis auf Fähigkeiten im Kartenspielen nicht zu sehr viel im Leben gebracht hatten, sich auch auf den Weg zum Markt aufmachten. Es wurde auf ihrem Weg nach Norden schon dämmrig und sie kamen an die Stelle, an der sich auf einer Lichtung die alte Poststraße von der neuen trennte.Der neue Weg zog bequem und breit am großen Berg vorbei, die alte Poststraße orientierte sich mehr nach Osten, zog sich windend durch den Wald und begann gleich mit einer guten und seichten Steigung. 

„Lasst uns den alten Weg nehmen”, meinte der Erste und Älteste von den drei Gesellen. Daraufhin meinte der Zweite: „Es soll aber nicht alles mit rechten Dingen hier auf dem alten Weg zugehen, viele, die den Weg genommen haben, sind nie mehr wieder aufgetaucht oder andere sind wieder aufgetaucht und niemand hat sie mehr gekannt, da sie angeblich viele Jahre unterwegs waren.“ „Von einem merkwürdigen Alten habe ich auch schon gehört“, meinte der Dritte, „aber was will der schon ausrichten, wir sind zu dritt und werden uns schon zu helfen wissen.“ 

So nahmen sie also den alten Weg, der nach einer Biegung von der Lichtung mit einer seichten Steigung im Wald verschwand. Der Wald war wirklich ein sehr alter und dichter Wald, die Sonne brach mit ihren allmählich sinkenden Strahlen noch durch die Zweige und man konnte viele Spinnweben, alte Äste und das welke Laub von vergangenen Jahren in den Bäumen hängen sehen, da es niemals wirklich zu Boden gesunken war. Der Wald duftete schon herbstlich feucht nach Pilzen und Laub. 

Nach einer Weile kamen die Gesellen auch an der alten Försterei vorbei und der Älteste meinte: „Lasst uns hier eine Pause machen, damit wir gegen Abend diese ermüdende Steigung hinter uns haben“. „Übernachten möchte ich hier aber nicht, auch an diesem Ort soll es nicht so mit rechten Dingen zugehen. Die Försterei ist seit vielen Jahren verlassen und wurde mit Gründung des neuen Weges niedergelegt. Die Türen und Fenster sind fest verschlossen, aber abends ist oft Licht dahinter zu sehen, wird berichtet. Obwohl alles so lange leer steht, zeigen sich an der Försterei keine Zerfallserscheinungen, wenn auch sonst schon alles zerfallen war oder verfällt“, meinte der Jüngste von ihnen und lehnte sich an den die Försterei umgebenden Jägerzaun, der in diesem Moment umfiel. „Da magst du recht haben“, meinte der Älteste der drei, „wir werden nach einer kurzen Pause schnell weiterziehen. Die Geschichten über die Försterei habe ich auch im letzten Wirtshaus gehört und kann sie euch an einem langen Abend gern einmal erzählen.“ 

So gingen die Gesellen also weiter durch den Wald und ständig den Berg hinauf, der alten Poststraße folgend, bis sie mit den letzten Lichtstrahlen des Tages aus dem Wald heraustraten und auf eine Lichtung kamen, die schon in Nebel gehüllt da lag. 

Der Weg führte durch ein steinernes Gattertor auf ein altes Waldhaus zu, das eigentlich recht gastfreundlich aussah, der Kamin rauchte und aus einem Backofen stieg der Geruch von frischem Brot. 

„Na, ob der Alte, der hier wohnen soll, wirklich ein Zauberer ist und wir lieber etwas vorsichtiger sein sollten und besser im Wald übernachten?“, fragte der jüngere der Gesellen. Gerade als der Älteste daraufhin meinte: „Nun, ein Bär ist er ja nicht und beißen wird er uns vielleicht auch nicht, wir sind ja auch zu dritt“, als da auf einmal hinter ihnen eine etwas knorrige Stimme ertönte: „Das kommt ganz darauf an, was ihr vorhabt und wohin ihr des Weges seid.“ 

Erschrocken drehten sie sich um und sahen einen großen, alten Mann, ganz in einen weißen Umhang gekleidet, der sich auf einem langen Stab abstützte. 

„Wir sind auf dem Weg in die Reichsstadt und wir wollen zum Markt.“ meinte der Zweite der Gesellen. „Zum Spielen und Betrügen?“, meinte daraufhin der Alte, der sie mit einem Blick betrachtete, der ihnen durch und durch ging. 

„Es ist keine gute Idee im späten Herbst die alte Waldstraße zu nehmen, viele sind hier vom Weg abgekommen und niemals wieder aufgetaucht“, raunte er, „aber für heute könnt ihr hier bei mir übernachten und morgen gern weiterziehen, es ist eine noch schlechtere Idee den weiteren Weg in der Dämmerung zu nehmen.“ 

Das ließen sich die drei nicht zweimal sagen und zogen in ein kleines und gemütliches Zimmer des alten Waldhauses ein. Nach einem Humpen Bier und einer Pfeife, fingen sie an zu würfeln und Karten zu spielen. Das Waldhaus des Alten war eigentlich sehr gemütlich eingerichtet, es gab kleine Fenster mit schönen Vorhängen, durch die der Mond herein leuchtete, an den Wänden hingen zierliche, wenn auch alte Kerzenleuchter, von denen ein warmer Lichtschein ausging. Im Hauptraum des Waldhauses hing tatsächlich ein großer, mannshoher Spiegel, der von einem alten, verzierten Rahmen umgeben und mit Vorhängen zugehängt war. Die drei stießen sich nur an. „Da ist wohl doch etwas dran, an den Erzählungen“, flüsterte der Erste, „aber was soll‘s, hier ist es warm und trocken, das Bier und die Pfeife schmecken auch“.  

Dem Alten gefiel das Kartenspielen nicht sonderlich, er wollte sich viel lieber unterhalten: „Wer keine Gedanken auszutauschen hat, muss vermutlich Karten austauschen“, raunte er und nach einer Weile fragte er nochmals: „Ihr drei wollt wirklich den alten Weg weiterziehen?“. „Natürlich, wir gehen jetzt nicht mehr zurück, zumal wir ja schon die höchste Stelle erreicht haben und es jetzt von hier nur noch abwärts gehen soll“, meinte der Erste der drei. 

„Nun gut“, meinte der Alte daraufhin, „dann hört mir zu und seid gewarnt. Von hier aus ist es bis zur Reichsstadt ein guter Fußweg von ein und einem halben Tag. Ihr könnt eigentlich nicht falsch gehen, solange ihr nicht von dem Weg abweicht, ihr müsst immer nur nach Norden gehen. Nach einem halben Tagesweg erreicht ihr den Ruhestein, wie er von den Alten genannt wird, der sehr gut erkennbar ist, da er wie eine Bank aussieht. Auch wenn ihr nur einen halben Tag gewandert seid, bleibt bei dem Stein, macht euch ein Feuer und übernachtet dort. Am Folgetag geht ihr über die große Lichtung, folgt dem Weg weiter nach Norden und kommt dann durch ein Tal, das auch der flüsternde Wald genannt wird. Haltet Euch nicht auf und geht schnell durch das Tal, bis ihr die alte Steinbrücke erreicht habt. Vor allen Dingen biegt am Kreuzweg auf der Lichtung nach dem Ruhestein weder nach Osten, noch nach Westen ab.“ 

„Was ist denn so Schlimmes an der Kreuzung und wohin führen denn die anderen Wege?“, fragte der Jüngste der drei Gesellen. 

„Ich habe so eine Frage schon vermutet“, grummelte der Alte daraufhin, „die meisten, die diese Frage gestellt haben, sind nie mehr aufgetaucht. Nun, ich will es euch erzählen. Die Wege nach Westen und Osten sind nicht für die Lebenden bestimmt. Als die alte Poststraße vor vielen hundert Jahren angelegt wurde, waren sie schon da und eine Kreuzung ließ sich nicht vermeiden. Beide Wege führen für die Lebenden nirgendwo hin. Der Weg nach Westen führt zum Haus und zur Bank des Philosophen, ein sehr unheimlicher Ort. Vor langer Zeit hat hier einmal ein Philosoph mitten im Wald gelebt, sein Haus steht noch und manchmal meint man seine rezitierende Stimme zu hören, wenn man davor steht. Geht man am Haus vorbei, so steht man plötzlich an einem steilen Felsabgrund, der viele, viele Aln steil nach unten führt und zu dessen Fuß ein See liegt. Hier steht eine steinerne Bank, die auch Bank des Philosophen genannt wird. Eine alte Erzählung berichtet: Legt man ein Geschenk für den Philosophen auf die Bank, so ist es morgens verschwunden und man erfährt in einem Traum eine Lösung auf eine Frage, die einen wirklich bekümmert. Aber das ist eine lange Geschichte, die ich euch vielleicht ein anderes Mal erzählen kann.“ 

Die drei Gesellen stießen sich an und grinsten: „Und der andere Weg, alter Mann?“ 

Der Alte seufzte: „Der Weg nach Osten wird auch als der Weg zum Fährmann oder der Weg zur versunkenen Moorstadt bezeichnet. Ihn solltet ihr unbedingt meiden, wie ihn jede lebende Seele meiden sollte.“ 

Danach setzte er sich hin, zündete sich seine Pfeife wieder an und schwieg, Rauchkringel stiegen aus seiner Nase, seinem Mund und bildeten merkwürdige Formen. Ein Kringel aus seinem Mund sah aus wie ein hüpfender Hase, im Anschluss kam aus seiner Nase ein Kringel, der wie ein Fuchs aussah und sich dann auf den Hasen stürzte. 

„Was hat es jetzt mit dem Weg nach Osten auf sich und warum sollen wir uns denn so durch das Tal des flüsternden Waldes beeilen?“, fragte der Jüngste. 

„Ja“, seufzte der weise Alte nach einer Weile, „das will ich euch dann auch noch berichten, wenn ihr es wirklich wissen wollt, ihr lasst mir ja eh keine Ruhe. Wenn die Menschen sterben, dann wird sich die Seele des verstorbenen Menschen in das Reich auf die andere Seite aufmachen, dabei gehen die Seelen ein Stück des Weges, auf dem die alte Poststraße gebaut wurde. Bevor sie durch das Tal des flüsternden Waldes kommen, gehen sie an einem kleinen Waldwächterhaus vorbei, das ihr auch passieren werdet. Nachdem ihr am Haus vorbei seid, befindet ihr euch wieder auf der normalen Straße in die Reichsstadt und der alte Waldweg ist zu Ende. Das Waldwächterhaus liegt auf der einen Seite in einem kleinen Tal, auf dessen anderen Seite sich ein Brunnen befindet. Für lebende Menschen wirkt der Brunnen leer und ausgetrocknet, für die Seelen der Verstorbenen ist er mit frischem Quellwasser gefüllt, das aus dem unterirdischen Fluss Lethe gespeist wird. Trinkt eine Seele davon, so vergisst sie oft den Weg und fragt sich, wohin sie weiterziehen muss. Die Seelen, die den Weg kennen, passieren danach die Steinbrücke und wandern bis zur Wegkreuzung, bei der sie nach Osten abbiegen. Das ist der Teil des Weges, den ihr meiden sollt. 

Diejenigen, die aus dem Brunnen getrunken haben, finden den Weg aber nicht so einfach und fangen an, jedes andere lebende Wesen im Tal des flüsternden Waldes nach dem Weg zu fragen. Tagsüber meint man, der Wind säuselt und flüstert in den Wipfeln der Bäume, aber zum Einbruch der Dunkelheit und auch im Nebel sieht man sich von vielen Seelen umringt, die sich an einem festklammern und geführt werden wollen. Ihr jedoch geht diesen Seelen entgegen und wollt nicht in ihre Richtung gehen“, dabei deutete er auf die drei Gesellen. 

„Was macht es uns aus?“, meinte einer der drei Gesellen. „Nichts“, meinte der Alte, „wenn ihr auf dem Weg bleibt und nicht abends unterwegs seid.“ 

„Wenn wir jetzt nach Osten abbiegen?“ „Wenn ihr nach Osten abbiegt, dann führt der Weg an einem Sumpf vorbei und endet schließlich nach einer weiteren Tagesstrecke an einem Fluss, den man auch Gjöll nennt, das andere Ufer liegt meist im Nebel.“ Genüsslich blies er weitere Rauchkringel in die Luft. „Im Sumpf ist vor vielen, vielen Jahren eine ganze Stadt versunken, die Niflheim hieß, die Lebenden sehen sie deshalb nicht mehr, aber das gilt nicht für die Seelen der Verstorbenen. Alle, die auf dem Weg zum Gjöll sind, die Fähre des Fährmanns Graubart oder die Ewigkeitsbrücke suchen und den Weg finden, verbringen ihre letzte Nacht hier auf der Erde in der Stadt Niflheim. Für die Verstorbenen ist die Stadt nicht versunken und sie liegt sehr nahe an der Wegkreuzung der Lichtung. Manchmal, im späten Herbst, wenn sich die Welt der Lebenden und der Toten wieder annähern, die Übergänge offener sind, ist die Stadt auch für die Lebenden sichtbar, leider“, seufzte der Alte. „Ich kann jedem lebenden Wesen nur raten, hüte dich davor, auch nur einen Fuß in ihre Mauern zu setzen. Denn ein Tag wird wie ein Jahr sein, viele die es nicht glaubten, haben es erfahren müssen. Aber jetzt wird es Zeit schlafen zu gehen, der Weg über die alte Poststraße ist um diese Jahreszeit nicht einfach.“ 

Als die drei Gesellen am nächsten Morgen aufwachten, war der Alte verschwunden und nirgendwo war etwas von ihm zu sehen. In seinem Haus gab es auch nichts, was sich gelohnt hätte mitgehen zu lassen, die Speisekammer war auch irgendwie nicht auffindbar. Aber ein gutes und kräftiges Frühstück war für die drei Gesellen aufgedeckt. 

Die drei machten sich auf und sprachen lebhaft über die guten Einnahmequellen durch den kommenden Markt, die Mahnungen des alten Mannes waren schnell vergessen. Zumal es auch ein sonniger Herbsttag zu werden schien, da die Sonne es schaffte, hin und wieder durch den Herbstnebel zu brechen. Die alte Poststraße wand sich zu ihren Füßen und schon am frühen Mittag erreichten sie den Ruhestein, von dem der Alte gesprochen hatte. Sie ignorierten seine Worte und so setzten sie ihren Weg fort, erreichten sehr bald die Wegkreuzung auf der Lichtung. Hier war ein Lachen und Musik zu hören, die aus dem Wald zu kommen schien. Es klang wie Geräusche, die üblicherweise von einem Markt kommen, wenn hier gerade die Auktionen laufen und die Wirte ihre Geschäfte geöffnet haben.„Das sollten wir uns einmal ansehen“, meinte der älteste Geselle von den dreien. „Denkst du nicht an die Mahnungen vom Alten?“, meinte der Jüngste der Gesellen. Doch die anderen beiden lachten nur: „Du kannst ja weiterziehen, wenn du meinst“, sprachen die beiden anderen, „wir werden uns das zumindest einmal ansehen.“ Schließlich bogen sie zu dritt am Kreuzweg nach Osten ab und standen nach kurzer Zeit vor den Mauern einer Stadt, deren Zinnen aus dem Nebel ragten. 

Die Stadt schien hell erleuchtet, aus ihren Mauern erscholl die Musik und die Geräusche eines lebhaften Marktes. Der Älteste meinte: „Es wäre dumm den Markt hier nicht mitzunehmen und erst zu dem anderen Markt in die Reichsstadt zu laufen, das können wir morgen immer noch machen.“ 

So betraten sie also die Stadt und wurden nicht enttäuscht. Hier herrschte wahrlich ein reges Markttreiben, es liefen Viehauktionen, bei denen der Auktionator die Preise herausbrüllte, bis er heiser war. Viele Stände boten Waren feil, wie es auf einem Herbstmarkt üblich war und die Wirtshäuser waren geöffnet, das Bier lief in Strömen und sie wurden zu mancher Runde eingeladen. Natürlich nahmen sie an manchem Würfelspiel und Kartenspiel teil, sie verloren fast nie, ganz im Gegenteil, die meisten ihrer Mitspieler schienen geradezu bestrebt, ihr Geld so schnell wie möglich loswerden zu wollen, ihre Taschen füllten sich mehr und mehr. Aus dem einen Tag wurden so zwei und mehr, bald waren sie schon eine ganze Woche hier und konnten sich durch ihr Vermögen das beste Zimmer im Wirtshaus leisten. Bald hatten sie auch keine Lust mehr, noch zum anderen Markt in die Reichsstadt weiter zu ziehen. 

Doch eines Tages stand auf einmal der weise Alte vor ihnen mitten im Zimmer, sie hatten gar nicht gemerkt, wie er hereingekommen war. Er blickte sie wieder mit dem Blick an, der durch sie durch und durch ging und meinte nur: „Habt ihr denn gar nichts gemerkt und habt ihr mir nicht zugehört?“ 

„Doch“, meinte der Älteste von ihnen: „Wir gewinnen hier immer und es geht uns gut!“ 

„Nun“, meinte der Alte, dann will ich es euch deutlicher sagen: „In den sieben Tagen, in denen ihr hier wart, sind in der anderen Welt der Lebenden sieben Jahre vergangen und habt ihr nicht bemerkt, dass hier jeden Abend andere Gäste im Wirtshaus übernachten, ihr niemals die gleichen Gäste seht? Noch ist es Zeit zu gehen!“ 

Sie lachten jedoch über ihn und meinten, das sei schon ihre Sorge. Der Alte schüttelte nur den Kopf, drehte sich um, trat auf einmal durch den Spiegel in ihrem Zimmer hindurch, dessen Glas in diesem Moment ganz schwarz geworden war und war so plötzlich verschwunden, wie er gekommen war. So verging mehr als eine Woche und das Gewinnen wurde auf einmal langweilig, zumindest hatten die neu ankommenden Gäste auf einmal Münzen dabei, die einen ganz anderen König zeigten und auch deren Kleidung begann seltsam auszusehen, sie benutzten Wörter, die sie nicht kannten. Da beschlossen sie, dann doch die Stadt zu verlassen. 

Am folgenden Tag verließen sie die Stadt und traten in den selben Nebel hinaus, in dem sie die Stadt auch betreten hatten. 

Nach kurzer Zeit hatten sie die Wegkreuzung wieder erreicht und bogen jetzt nach Norden ab. Irgendwie schien der Wald aber auch gewachsen zu sein, die Bäume schienen viel größer als vor ihrer Ankunft an der Kreuzung. Sie gingen nun den Weg weiter durch das Tal des flüsternden Waldes und erreichten sehr bald auch die Steinbrücke. So richtige Stimmung wollte aber nicht unter ihnen aufkommen. Gegen Nachmittag trafen sie dann in der Reichsstadt ein und kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. 

Die Menschen waren ganz anders gekleidet als sie und benutzten teilweise Worte, die sie gar nicht kannten und verstanden. Die alten Kronenmünzen, die sie besaßen, waren fast wertlos und keiner wollte sie so recht haben. 

Mit Schrecken erfuhren sie, dass sie fast 110 Jahre in der Stadt Niflheim verbracht hatten und darum hier keine Seele mehr kannten, ihre Freunde und Saufkumpane von einst waren längst verstorben. 

Es kam wie es kommen musste, hier gewannen sie beim Kartenspiel nicht immer und bald war ihr kleines Vermögen fast aufgebraucht. Da sie keinen mehr kannten und auch sie keiner kannte, der ihnen Geld leihen wollte und konnte, beschlossen sie, wieder zurück zuwandern und den Alten um Rat zu fragen, zumal die Natur sich rächte und die Zeit sie nach und nach einholte. Jeden Tag wurden sie zusehend älter und gebrechlicher. Für den Rückweg zum Alten brauchten sie jetzt schon zwei Tage, doch wie groß war der Schreck, als sie an der Stelle ankamen, an der das Waldhaus des Alten hätte stehen müssen und sie hier nur eine Lichtung vorfanden, die aussah, als ob hier nie ein Haus gestanden hätte. 

Da erinnerte sich der Jüngste von den drei Gesellen an die Worte des alten Zauberers über die Bank des Philosophen und sie beschlossen, diesen Ort zu besuchen. Also liefen sie zurück und bogen am Kreuzweg nach Westen ab. Gerade als die Sonne unterging und die letzten Sonnenstrahlen durch die Spinnweben des Waldes stießen, erreichten sie die Bank des Philosophen. Das ganze schien ein trostloser Ort zu sein. Der Jüngste dachte an den Rat des Alten und legte als Geschenk ein paar Kronenmünzen auf die Bank. Mit Einbruch der Dunkelheit machten sie sich in der Nähe des Hauses des Philosophen ein kleines Lagerfeuer und schliefen auch schnell ein. Der Jüngste von Ihnen hatte einen seltsamen Traum: 

Der alte Zauberer erschien ihm und führte ihn an die Tore der Stadt Niflheim. Hier saßen die drei draußen wie Bettler vor dem Stadttor und warteten auf milde Gaben. Eine Wahrsagerin, die vorbeizog, las jedem aus der Hand und deutete ihnen, dass sie zum Fluss Gjöll ziehen und die Fähre von Graubart finden müssten, da sie in der Welt der Lebenden nichts mehr zu suchen hätten. Wenn sie nicht all ihr Geld vor dem Erreichen der Fähre los würden, können sie nicht übersetzen, da dies zu schwer wiegen würde und der Fährmann sie so nicht mitnähme, da dies die Fähre zum Sinken brächte. Niflheim können sie nicht mehr betreten, dies sei jeder Menschenseele nur für drei Tage des Lebens und danach vergönnt. Damit könnten sie ihr Geld hier auch nicht verspielen oder sich ein Pferd für den Ritt kaufen. 

Nur noch durch Taten der Barmherzigkeit und der Großzügigkeit könnten sie über den Gjöll kommen, sonst wären sie für immer in der diesseitigen Welt gefangen. 

Danach standen sie auf und der alte Zauberer zeigte ihnen den Weg. Als sie los wanderten, blickte er ihnen lange nach, seufzte und schüttelte nochmals den Kopf. 

Am nächsten Morgen wachten sie in klammen Kleidern auf, der frühe Nebel hatte sich unangenehm in ihrer Kleidung festgesetzt, nachdem das Lagerfeuer ausgegangen war. Sie waren wie erschlagen, obwohl sie tief geschlafen und scheinbar alle den gleichen Traum hatten. 

Dann lass uns zum Fluss Gjöll wandern“, meinte der Jüngste und machte sich damit zum Gespött der anderen. Als sie zurück liefen und wieder an die Wegkreuzung kamen, hörten sie erneut die Musik und Marktgeräusche aus der Stadt Niflheim, die sie ja schon einmal besucht hatten. Da dies auch auf dem Weg zum Gjöll lag, entschieden sie daher, die östliche Abbiegung vom alten Postweg noch einmal zu nehmen. Bald danach kamen sie auch wieder am Stadttor an. Aber jeder Versuch, die Stadt zu betreten, scheiterte. Jeder Schritt durch das Stadttor war, also ob sie gegen eine weiche Wand liefen. Der Widerstand wurde von Schritt zu Schritt größer, es war einfach nicht möglich, in die Stadt hinein zu gelangen. So dachten sie darüber nach, zumindest die beiden älteren, zum alten Postweg zurückzugehen, aber auch das war nicht möglich! Jeder Schritt in Richtung Westen, also auf den alten Postweg zu, machte ihre Beine schwerer und schwerer, als ob ihnen jemand Blei in die Stiefel gegossen hätte. 

Nun saßen sie tatsächlich wie die Bettler vor dem Stadttor und so überlegten sie, dann doch den Weg zum Fluss Gjöll zu suchen. 

Der Weg zog sich in die Länge, es gab seltsamerweise auch keine Schwierigkeiten für sie, Richtung Osten zu laufen. Mal war der Weg breit und ausgetreten, mal führte er durch enge Schluchten, ab und zu kam man an seltsamen kleinen Hütten und auch Dörfern vorbei. Leben konnten sie von Beeren und Pilzen, die es reichlich am Wegesrand gab. Am nächsten Tag ihrer Wanderung nach Osten, kamen sie an einem Haus vorbei, vor dem eine alte Frau weinend bei einem Sarg saß. „Ach bitte helft mir doch, meinen Mann zu begraben, ich bin ganz einsam und alleine, alle aus meinem Haus sind schon verstorben, ich werde euch auch belohnen.“ 

Da lachten die beiden älteren Gesellen: „Alte, Geld haben wir genug, und mit dir haben wir nichts zu schaffen, geh und begrabe ihn doch selbst.“ 

Nur der Jüngste fasste sich ein Herz und hub hinter dem Haus ein Grab aus, in das sie den Sarg mit dem Ehemann bestatteten. Nachdem die Tränen der alten Frau etwas getrocknet waren, gab sie dem Jüngsten eine kleine Kupfermünze mit den Worten: „Hebe sie gut auf, du wirst sie noch brauchen und dein anderes Geld lass hier, ich nehme es dir gern ab.“ 

Das ließ sich der Jüngste der Gesellen nicht zweimal sagen und so gab er der alten Frau alle seine Kronen, die er erspielt hatte, denn er dachte noch an den Traum des Philosophen. 

Nachdem sie eine Weile weiter nach Osten gekommen waren, lief hinter ihnen eine seltsame Gestalt her, juchzend und singend, dann weinend und schreiend, kurzum, es wurde langsam lästig. „Freunde ihr wollt zum Gjöll, da muss ich auch hin, ich wandere mit euch“, rief sie. „Scher dich von dannen“, antworteten die beiden älteren Gesellen wie im Chor, „wir haben mit uns selbst genug zu tun, gehe deinen eigenen Weg und belästige uns nicht weiter!“ 

Ausdruckslos blickte die seltsame Gestalt da auf den jüngeren der Gesellen. „Du kannst gern mit mir laufen, der Weg ist noch lang genug und etwas Gesellschaft schadet uns bestimmt nicht“, meinte da der Jüngste. „Doch wer bist du, dass du so fröhlich zum Gjöll läufst“, fragte er dann. Da antwortete die wirre Gestalt: „Ich bin gestern gestorben und du selbst hast mich heute begraben. Aber ich werde nicht mit euch laufen, da sich unsere Wege bald trennen werden. Weil ich gestorben bin, darf ich die Gjallarbru nehmen, ihr als Lebende müsst mit dem Fährmann Graubart verhandeln, um überzusetzen. Aber als Dank für dein Angebot, mit dir zu laufen, schenke ich dir eine kleine Kupfermünze, die du noch brauchen wirst.“ Sprach‘s und rannte lachend und tanzend wie eine Feder davon. 

Am nächsten und letzten Tag ihrer Wanderung, sie ließen sich jetzt etwas Zeit, das Brausen des Gjöll war schon aus der Ferne zu hören, sammelten sie noch einmal ausgiebig Beeren und Pilze, da sie ihr Tagesziel schon am Nachmittag erreichen würden und am Flussufer ihr Lager aufschlagen wollten. 

In der ersten Dämmerung, das Feuerholz war gerade gesammelt und das Lagerfeuer war schon entfacht, humpelte eine alte Frau heran: „Seid so gnädig, gebt mir etwas von euren Beeren ab und lasst mich an eurem Feuer übernachten. Ich bin schon alt und kann mich kaum noch selber zum Beerensammeln bücken, auch sind meine Augen trübe und ich sehe sie nicht mehr richtig.“ 

„Scher dich weg Alte“, riefen da die beiden älteren Gesellen, „es reicht ja kaum für uns. Wenn du die Beeren nicht mehr richtig siehst, dann musst du die halt ertasten!“ 

Da blickte die alte Frau zum Jüngsten der Drei und hatte Tränen in den Augen. „Du kannst gern ein paar Beeren abhaben, sie werden schon reichen und falls nicht, pflücke ich dir schnell noch welche“, meinte er und wurde von den beiden anderen ausgelacht. 

Am nächsten Morgen lächelte ihn die alte Frau an und gab ihm eine dritte Kupfermünze: „Die wirst du noch brauchen und hab Dank für deine Beeren“. 

Kaum gesagt, humpelte sie davon, schneller als die anderen wandern konnten. „Komm Kupferhannes“, riefen sie da, „erst tauschst du deine guten Kronenmünzen gegen wertlose Öremünzen ein und dann hungerst du noch, wir müssen weiter über den Fluss.“ 

Als sie am Fluss Gjöll ankamen, sahen sie eine prächtige Brücke und eilten darauf zu. Die Brücke, die auch den Namen Gjallarbru trägt, wird auch als goldene Jenseitsbrücke bezeichnet. Aber betreten konnten sie die Brücke nicht, da sie von einem wütenden Hund empfangen wurden. Der Hund fing an Feuer zu speien und jeder Versuch, die Gjallarbru zu betreten, um von Midgard, so heißt die Welt der Lebenden, nach Helheim zu gelangen, wurde mit Gebell und Feuerstößen belohnt. Da erschien eine riesige Frau vor ihnen und sprach: „Lebende können diese Brücke nicht betreten, sie ist nur für Seelen gedacht, bei denen der Lebende aus Altersschwäche oder an Krankheiten gestorben ist. Wenn IHR wirklich nach Helheim wollt, sucht Graubart und seine Fähre, vielleicht bringt er euch an das andere Ufer.“ Jetzt war guter Rat teuer. Doch nach einer Weile fanden sie die Anlegestelle der kleinen Fähre und riefen laut nach einer Überfahrt, denn zurück in die Richtung nach Westen konnten sie immer noch keinen Schritt gehen. 

Nach einer Weile erschien auch eine merkwürdige Fähre mit dem seltsamsten Fährmann, den sie je gesehen hatten. Die Fähre sah aus wie ein altes Wikingerboot, vorne mit einer Laterne, die nur wenig Fläche auszuleuchten schien. Der Fährmann wirkte wie ein klappriges Gerippe mit einem wallenden, grauen Bart in einer Mönchskutte mit Kapuze. Seltsamerweise hatte er kein Ruder, sondern nur einen Stab, der wie ein Wanderstock aussah, doch kaum berührte er das Wasser, so wurde es an dieser Stelle ganz ruhig und das seltsame Boot schoss gut vorwärts. 

„Was ist euer Begehren, Wanderer?“, fragte er. „Wir wollen übersetzen, denn wir können nicht zurücklaufen“, meinten die drei Gesellen. „Ja, das sehe ich, denn ihr gehört auch nicht mehr in das Reich der Lebenden, ich sehe, dass eure Zeit schon lange abgelaufen ist, aber könnt ihr auch meinen Preis bezahlen?“, fragte er. 

„Natürlich“, riefen sie da, „goldene und silberne Münzen haben wir genug dabei, natürlich nicht unser Kupferhannes, der hat alles abgegeben“, und lachten ihn aus. 

„Aber drei kupferne Öremünzen ist genau mein Preis für die Überfahrt, solange ich hier schon Fährmann bin“, bestimmte Graubart: „Jede goldene und silberne Münze wirkt hier auf dem Gjöll unendlich schwer und zieht mein Boot an den Grund des Gjöll. Sobald der Fluss mit Gold oder Silber in Berührung kommt, schäumt er über und reißt alles mit sich. Seht zu, wo ihr die Kupfermünzen herbekommt, sonst kann ich euch nicht übersetzen.“ 

Zum Jüngsten der Gesellen sprach er: „Gib mir deine drei Öre, steige ein und beginne dein neues Leben im Reich Helheim.“ 

Das ließ er sich nicht zweimal sagen, er war so schnell im Boot und mit Graubart auf dem Gjöll verschwunden, dass er das wütende Geschrei der beiden anderen Gesellen nicht lange ertragen musste. 

Doch wie ist es den beiden anderen ergangen? Nachdem die Wut über Graubart und den Jüngsten verflogen war, begann die Verzweiflung. Über die Gjallarbru konnten sie nicht, zurück nach Westen zu laufen war ihnen auch nicht möglich, da ihnen die Beine beim Gang in Richtung Westen immer noch den Dienst versagten. Graubart nahm sie schließlich auch nicht ohne Öremünzen mit. 

Da setzten sie sich ans Ufer und ließen die Beine in das kalte Wasser des Gjöll baumeln, vor Verzweiflung spürten sie die eisige Kälte kaum, die vom Fluss ausging. Auf einmal begann eine merkwürdige Verwandlung: Die goldenen und silbernen Münzen quollen auf und das Gold und Silber lief wie eine Flüssigkeit aus ihren Taschen heraus, floss dann als flüssiges Metall an ihren Beinen herab. Der eine war bald mit Silber und der andere mit Gold überzogen, je nachdem. welche Münzen in der Überzahl bei dem jeweiligen Gesellen in dessen Tasche waren. Nach wenigen Augenblicken konnten sie sich auch nicht mehr rühren und erstarrten. Eine weitere Verwandlung geschah, aber das bekamen sie schon gar nicht mehr mit. Aus dem Älteren der Gesellen wurde eine Goldweide, aus dem anderen eine Silberweide. 

So kommt es, dass heute am Bootssteg von Graubarts Fähre am Gjöll zwei kräftige Weiden stehen, aber eine ewige Bleibe im Reich Helheim ist weder mit Gold-, noch mit Silberschätzen zu erkaufen oder zu erlangen. 

Damit rollte Kalle-Nisse die Erzählung seines Onkels wieder ein und meinte: „Darum, Katerchen, lassen wir alle Münzen schön da liegen, wo sie sind. Sie bringen eh nur Unheil über die Menschen, die aus Gier gar nicht genug davon bekommen können.“ 

Aber ob Felix die letzten Worte von Kalle-Nisse noch mitbekommen hat, ist nicht verbrieft. Sicher ist nur, dass Felix mit einem Milchbart, der von der Milch aus Kalle-Nisses Tasse stammte, für heute schon in das Reich der Träume gewandert war und knurrende Geräusche von sich gab. Kalle-Nisse tat es ihm bald nach und sein weißer Bart wackelte im Takt, als er mit Felix kurz danach um die Wette schnarchte. 

*** 

Der nächste Morgen begann kühl und frostig, wie es im Dezember oft in der Natur zugeht. Eine dünne Schneeschicht bedeckte den Boden und hinterließ beim Begehen matschige Abdrücke im Grund. Das Gras blickte aber noch durch den Schnee und so beschloss Kalle-Nisse, noch einmal im alten Jahr angeln zu gehen. Nachdem die Sonne weiß aus den Wolken blickte, schnappte er sich seine Rute und Köder, um zum nicht ganz weit entfernten Waldsee zu laufen. Felix kannte es schon, wenn Kalle-Nisse mit der Rute los zog. Oft bekam er etwas vom Fang ab, gelegentlich konnte er sogar einen ganzen Fisch ergattern. 

Nachdem er durch einen kleinen Sumpf gewatet war, erreichter er schließlich das Ufer des Waldsees und bald war auch seine Angel ausgeworfen. Felix und er starrten auf die kleine Pose, ob nicht bald etwas anbiss. Allerdings war Felix kein geduldiger Angler und stupste bald mit der Pfote an Kalle-Nisses Bein. „Nein, Felix, du wolltest mitkommen jetzt musst du auch Geduld haben“, meinte Kalle-Nisse. Aber er wusste auch, dass Felix ein Quälgeist sein konnte. Da die Fische wohl keine Lust hatten, die Welt oberhalb ihres Sees kennenzulernen und Felix unruhig war, begann Kalle-Nisse ihm eine Geschichte zu erzählen. „Ja, Felix, an einem See, ähnlich wie diesem hier, hat sich vor vielen Jahre einmal eine merkwürdige Sache abgespielt.“ 

 

Björn und Linus bei der Fischhexe (3. Dezember)

Es war einmal vor langer Zeit, als es in Schweden noch viele arme Leute gab und auch der Hunger ein ständiger Gast auf den Höfen war, da lebte auf einem kleinen Waldbauernhof ein Köhler mit seiner Frau. Den Hof hatten sie, um neben der Tätigkeit des Kohlebrennens ein kleines Zusatzeinkommen oder auch eine Selbstversorgung zu haben. Der Köhler hatte zwei Söhne, Björn und Linus, die langsam heranwuchsen und gerade im Alter waren, in dem die unbesorgte Kinderzeit aufhört. 

Da es infolge von schlechten Ernten immer schwieriger wurde, alle zu ernähren, sprach der Köhler mit seiner Frau, dass die Söhne den Hof bald verlassen müssten und sich woanders als Knechte verdingen sollten, wenn sie das Köhlerhandwerk nicht erlernen wollten. So kam es, dass die beiden an einem Herbsttag ihre Bündel packten, sich verabschiedeten und zusammen ihres Weges zogen. Eine neue Stelle im Herbst zu bekommen ist zudem auch nicht so ganz einfach. So hatten sie bei ihrer Wanderung bald großen Hunger, als sie einen Waldsee vor sich liegen sahen. Hier könnten sie sich doch einen Fisch angeln, beschlossen die beiden. Es war nicht so einfach an das Ufer zu kommen, denn dem See war ein Sumpf vorgelagert und so sanken sie beim Gang zum Ufer oftmals knietief in den Morast ein. Sie staunten nicht schlecht, als sie am Seeufer auf einer größeren trockenen Landzunge ein kleines Häuschen stehen sahen. Das Haus sah ziemlich windschief und heruntergekommen aus, aber davor und im Garten standen prächtige Apfel- und Birnenbäume, die geradezu dazu einluden, sich an ihnen zu bedienen. Gerade hatten sie sich einen Apfel gepflückt und wollten hinein beißen, als ein lautes Knacken durch die Bäume ging. Da rief es aus dem Haus: 

„Apfelkern und Apfelschale, 

stiehlt jemand Reusen und isst meine Aale?“ 

Da rief Björn zurück: 

„Es ist nur der Wind, 

der im Herbst die Nebel spinnt, 

hier ist niemands Kind.“ 

Doch da geschah etwas Merkwürdiges. Sie waren auf einmal nicht mehr in der Lage, sich zu bewegen, wie eingefroren standen die Beiden da. Nach wenigen Augenblicken wackelte eine grässliche alte Hexe aus dem windschiefen Haus. „Meine Äpfel und Birnen zu essen hat schon ihren Preis.“ So kam es, dass sie zu Björn hinlief und ihn mit einem kleinen Stöckchen berührte, so dass er zumindest wieder gehen konnte. Bald darauf fand er sich in einem Käfig eingesperrt wieder, der hinter dem Haus aufgestellt war. Linus wurde nicht in einen Käfig eingesperrt, er durfte stattdessen der alten Hexe dienen und niedere Arbeiten verrichten. Aber die kleine Landzunge, auf der das Häuschen stand, konnte er nicht verlassen, da wirkte der Zauber der Fischhexe. Beide wurden gut versorgt und die Alte kochte jeden Tag eine fette Fischsuppe für die Beiden. In der Einsamkeit freundete sich Linus mit einer kleinen Häsin an, die oftmals um das Haus hoppelte und der er gern eine Möhre aus seiner Suppe gab. Zu seinem Schrecken fing die Häsin eines Abends an mit ihm zu sprechen: „Wisst ihr beide, was die Hexe mit euch vorhat? Sie will euch in ihrem Fischräucherofen aufhängen, gut durchräuchern und danach verspeisen. Ihr seid ihr nach dem vielen Fisch eine willkommene Abwechslung auf der Speisekarte. Gestern war sie selbst Holz für den Ofen sammeln.“ 

Da die Hexe aber nicht mehr die besten Augen hatte, wollte sie gern wissen, ob Björn schon dick genug von der fetten Suppe geworden war, und so ging sie an den Käfig und rief: „Zeige mir einen Finger und du bekommst einen schönen Apfel zum heutigen Abendessen.“ 

Doch Björn war vorgewarnt und hielt ihr eine Gräte hin. Knurrend zog sie wieder in das Haus zurück und bestimmte, dass Björn noch mehr Suppe, aber auch mehr Obst zu essen bekam. 

Das Spiel lief mehrere Wochen und irgendwann reichte es der alten Hexe: „Jetzt ist Schluss, dann wird er eben so geräuchert wie er ist, aber warten wir ab, heute bekomme ich noch anderen Rat, wie wir ihn mästen können.“ 

Nun muss man dazu sagen, dass jeden Monat am dreizehnten abends der Teufel zu Besuch kam und sich die beiden im Haus mit Wein, Bier, Schnaps und anderem vergnügten. Als er hörte, dass es bald etwa Gutes aus der Räucherkammer geben sollte, stürzte er hinaus um sich den Braten anzusehen. Der arme Björn wurde gekniffen, gezwickt und mit Nadeln gepiekt. Kurzum, der Leibhaftige war hoch erfreut, dass es am Folgetag einen oder sogar zwei Braten geben würde, so sprach er zur Hexe: „Den einen kannst du schon räuchern, für den anderen bringe ich morgen einen Spieß mit. Den werden wir über dem Feuer schon schön knusprig braten. “ 

Diese Worte gingen Linus und Björn durch Mark und Bein. Am nächsten Morgen sollte Linus die Räucherkammer mit gutem Buchenholz füllen, was er dann auch tat. Danach befreite die Fischhexe Björn aus dem Käfig und forderte Linus auf, ihn oben an die Räucherstange zu binden, an der normalerweise der Fisch über dem Rauch aufgehängt wird. „Alte, das geht nicht“, rief darauf hin Linus, „ich bin noch zu klein und die Leiter reicht nicht bis nach oben, auch kenne ich keine Knoten, die das Gewicht festhalten können.“ 

„Dumme Kinder“, rief da die Hexe, „komm, ich zeige es dir, es ist so einfach.“ Damit band sie einen Knoten und rief, „siehst du, so muss der Knoten aussehen, der etwas halten kann.“ 

„Hält der wirklich das Gewicht von Björn aus?“, fragte da Linus. „Natürlich“, meinte die Hexe, stieg auf die Leiter und zog sich den Knoten über das eigene Handgelenk, „wenn  

man daran zieht, wird er noch fester! Siehst du, so geht das.“