So leicht bricht kein Herz - Karin Bucha - E-Book

So leicht bricht kein Herz E-Book

Karin Bucha

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Beschreibung

Karin Bucha ist eine der erfolgreichsten Volksschriftstellerinnen und hat sich mit ihren ergreifenden Schicksalsromanen in die Herzen von Millionen LeserInnen geschrieben. Dabei stand für diese großartige Schriftstellerin die Sehnsucht nach einer heilen Welt, nach Fürsorge, Kinderglück und Mutterliebe stets im Mittelpunkt. Karin Bucha Classic ist eine spannende, einfühlsame geschilderte Liebesromanserie, die in dieser Art ihresgleichen sucht. In großen Sprüngen setzt Christiana Brinkmann die breite Frei­treppe hinunter und steht wenig später vor ihrer Großmutter. »Du hast geklingelt, Großmutter?« Sie ist noch ganz außer Atem. Nichts fürchtet sie mehr als die Ungeduld ihrer Großmutter. Margarethe Brinkmann ist aber auch eine respekteinflößende Persönlichkeit. Wenn sie hinter dicken Brillengläsern ihre blauen Augen blitzen läßt, dann verschlägt es den mit ihr Sprechenden zunächst die Sprache. So ergeht es auch Christiana immer. Schon wenn die Großmutter ihren Namen ausspricht, mit dem rollenden R, spürt sie Unbehagen. Wie weich dagegen ihrer Mutter Stimme war. Niemals wieder seit deren Tod hat sie jemand mit »Chris« oder »Tina« angesprochen. »Hast du heute schon die Blumen begossen?« fährt Margarethe Brinkmann in Christianas kurze Überlegungen. »Noch nicht, Großmutter«, erwidert sie hastig. »Ich werde es natürlich sofort tun.« Sie hetzt an der Großmutter vorbei in den Wintergarten. Da sie eine sehr glückliche Hand in der Blumenpflege besitzt, hat Marga­rethe Brinkmann ihr dieses Amt übertragen neben so vielen ande­ren Pflichten in diesem schönen geräumigen Haus, das seit Genera­tionen von den Brinkmanns bewohnt wird. Sie wäre um ein Haar über ein paar schlanke Beine gestürzt.

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Karin Bucha Classic – 36 –

So leicht bricht kein Herz

Roman um enttäuschte Liebe und ein armes Glück

Karin Bucha

In großen Sprüngen setzt Christiana Brinkmann die breite Frei­treppe hinunter und steht wenig später vor ihrer Großmutter.

»Du hast geklingelt, Großmutter?«

Sie ist noch ganz außer Atem. Nichts fürchtet sie mehr als die Ungeduld ihrer Großmutter.

Margarethe Brinkmann ist aber auch eine respekteinflößende Persönlichkeit. Wenn sie hinter dicken Brillengläsern ihre blauen Augen blitzen läßt, dann verschlägt es den mit ihr Sprechenden zunächst die Sprache.

So ergeht es auch Christiana immer. Schon wenn die Großmutter ihren Namen ausspricht, mit dem rollenden R, spürt sie Unbehagen. Wie weich dagegen ihrer Mutter Stimme war. Niemals wieder seit deren Tod hat sie jemand mit »Chris« oder »Tina« angesprochen.

»Hast du heute schon die Blumen begossen?« fährt Margarethe Brinkmann in Christianas kurze Überlegungen.

»Noch nicht, Großmutter«, erwidert sie hastig. »Ich werde es natürlich sofort tun.«

Sie hetzt an der Großmutter vorbei in den Wintergarten. Da sie eine sehr glückliche Hand in der Blumenpflege besitzt, hat Marga­rethe Brinkmann ihr dieses Amt übertragen neben so vielen ande­ren Pflichten in diesem schönen geräumigen Haus, das seit Genera­tionen von den Brinkmanns bewohnt wird.

Sie wäre um ein Haar über ein paar schlanke Beine gestürzt.

»Ach, du bist es«, sagt sie zu dem Mädchen, das sich faul in einem der schweren Sessel rekelt und Christiana mit einem triumphieren­den Blick ansieht. »Hast du wieder eine Abreibung bekommen?« sagt sie spöttisch.

Sie mustert aus ihren schönen veilchenblauen Augen ihre Kusine Christiana ungeniert, so daß diese verwirrt zum großen Blumenfenster geht. Von dorther sagt Christiana:

»Merkwürdig, Marion, niemals fährt Großmutter dich so an wie mich. Wie kommt das eigentlich?«

»Wahrscheinlich bin ich ihr Liebling«, sagt Marion gelassen zurück.

Christiana preßt die Lippen zusammen. Warum Großmutter sie nur ins Haus genommen hat, wenn sie sie nicht leiden mag? Marion ist doch auch ihre Enkelin, und sie darf sich einfach alles erlauben. Sie streift Marion mit einem schnellen Seitenblick. Schön ist Marion mit ihrem goldblonden Haar, das wie Seide glänzt, den wunderschönen Augen und mit der schlanken Figur.

Sie spürt oft die geringschätzigen Blicke Marions, die kommt und geht, wie es ihr paßt, da sie in der Stadt eine eigene Wohnung besitzt.

Ach, Christiana ist gar nicht mit sich zufrieden. Warum kann sie sich nicht so unbeschwert wie Marion geben, die überall sofort zum Mittelpunkt wird, wo sie auch auftaucht.

»Nun, bist du fertig, Christiana?« Christiana dreht sich um und erblickt die Großmutter.

»Sofort, nur noch drei Pflanzen.« Sie hastet an der Großmutter vorbei, um Wasser zu holen.

Margarethe Brinkmann nimmt ihrer Enkelin Marion gegenüber Platz. »Klingel mal, Marion. Ich habe Durst auf Tee.«

Ohne große Eile erhebt sich Marion und drückt auf den Klingelknopf. Wie auf Kommando erscheint die jahrelang erprobte Haushälterin Anna.

Christiana kommt angehetzt und begießt den Rest der Pflanzen.

Marion plaudert mit der Großmutter, als sei Christiana nicht vorhanden, und diese merkt es gar nicht. Sie ist froh, wenn man sie unbehelligt läßt.

»Und was treibst du so in der Stadt? Was gibt es Neues?« erkundigt sich Margarethe Brinkmann soeben.

Marion lehnt sich bequem im Sessel zurück und weicht den Augen ihrer Großmutter aus. Sie liebt es nicht, ausgefragt zu werden.

»Ich arbeite fleißig und gehe zeitig schlafen.«

»Wann wirst du dein Examen machen?« forscht Margarethe weiter.

Marion lügt munter drauflos.

»Laß dich überraschen, Omi. Du wirst mit mir zufrieden sein.«

Christiana sieht Marion aus großen Augen an. Die Glückliche, sie kann studieren, während sie es nicht darf. Ob sie wohl die Großmutter noch einmal darum bittet?

Christiana räumt das Geschirr zusammen und stellt es auf den Servierwagen. Lautlos verschwindet sie damit.

Das ist die Gelegenheit für Marion.

Sie setzt sich auf Margarethes Sessellehne und schmiegt ihr junges Gesicht an das der Großmutter.

»Omi, ich habe eine Bitte«, sagt sie schmeichlerisch. »Kannst du mir fünfhundert Mark leihen? Ich habe einer armen Kollegin aus der Verlegenheit geholfen.«

Sekundenlang blickt Margarethe ihre Enkeltochter an. Sie begegnet einem unschuldigen Blick.

»Komm mit«, sagt sie kurz. Gemeinsam suchen sie das kleine Damenzimmer auf, das zur ebenen Erde liegt, und wo Margarethe ihren Schreibtisch hat. Sie öffnet ein Fach und greift zum Scheckbuch.

»Da, Marion. Mir scheint, du hilfst deinen Kollegen und Kolleginnen recht oft aus. Bekommst du es denn auch wieder zurück?« erkundigt sie sich.

Marion läßt den Scheck rasch in ihrer Handtasche verschwinden.

»Manchmal ja, aber ich kann die armen Dinger doch nicht im Stich lassen.«

»Schon gut«, Margarethe Brinkmann erhebt sich.

»Ich muß fort, Oma, habe noch zu arbeiten.«

Gemeinsam gehen sie durch die Halle und zu Marions Wagen. Es ist ein schnittiges Sportmodell, und Marion fährt damit ein viel zu schnelles Tempo.

»Dann auf Wiedersehen, Marion. Du kannst auch einmal herauskommen, ohne Geld zu fordern.«

Der Wagen rast die Auffahrt hinunter. Kopfschüttelnd kehrt Margarethe Brinkmann in das Haus zurück. In der Tür bleibt sie stehen.

Die Halle, die vom Erdgeschoß bis zum ersten Stockwerk durchgeht, hat prachtvolles Oberlicht. Viele gemütliche Sitzecken gibt es dort und einen großen Kamin, den Margarethe im Herbst und Winter heizen läßt.

Es ist ein großartiger Besitz mit vielen Morgen Land, einem gepflegten Park und einer mit Rosen flankierten Auffahrt. Der Rasen ist kurzgeschoren, und es gibt viele Rosenrabatten, die abwechselnd in Blüte stehen.

Zu der Besitzung gehört viel Wald, der sich bis zu dem kleinen See erstreckt.

Langsam steigt Margarethe Brinkmann die Treppe empor. In dem breiten Gang öffnet sich eine Tür, und Christiana schaut heraus.

»Großmutter, kann ich dich ein paar Minuten sprechen?« fragt sie ängstlich.

»Gewiß«, erwidert diese, und Christiana öffnet weit die Tür, um die Großmutter einzulassen.

»Willst du dich nicht setzen?« Christiana weist auf einen der Sessel am Fenster.

»Dauert es so lange?« erkundigt Margarethe sich kurz.

Christiana lehnt der Großmutter gegenüber an der Wand und sieht sie unverwandt an. Ihre Hände hat sie in den Falten ihres Kleides verkrampft, das zwar vom besten Stoff, aber nicht gerade nach der neuesten Mode gearbeitet ist.

»Bitte, Großmutter, laß mich studieren«, stößt Christiana übergangslos hervor.

»Firlefanz, wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst mir nicht mit diesen Dingen kommen.«

Christianas Stimme klang tränenschwer. »Ich möchte studieren, möchte malen, malen. Bitte, Großmutter!«

»Unsinn!« Das klingt schroff und abschließend. »Das schlage dir aus dem Kopf, ein für alle Mal. Ich will nichts davon hören.«

Christiana ist zumute, als habe ihr jemand aufs Herz geschlagen. Sie sieht der Großmutter nach, die aufrecht das Zimmer verläßt. Hemmungslos fließen ihr die Tränen über die Wangen. Sie merkt das kaum.

Inzwischen rast Marion durch das Dorf. Hühner flüchten vor dem Wagen, Hunde bellen hinter ihr her, und mancher böser Blick wird ihr nachgesandt.

Plötzlich stoppt sie. Sie hat vor dem Dorfkrug Jony, das Faktotum des Hauses, erblickt, wie er Koffer ins Haus schleppt.

Sollte Norbert heimgekehrt sein? Zehn Jahre haben sie ihn nicht gesehen. Jetzt ist sie dreiundzwanzig. Norbert muß dreiunddreißig sein. Sie waren einmal unzertrennlich. Norbert war ein guter Spielgefährte. Später ging Norbert in die Schweiz, um im Hotelfach zu arbeiten.

Neugierig betritt sie den Schankraum, in dem sich seit ungefähr fünfzig Jahren wenig verändert hat.

Eine hohe Gestalt lehnt an der Theke, und dahinter erblickt sie Karl Meibach. Er freut sich wie ein Kind.

Langsam geht Marion in den dunklen Raum. Norbert Meibach dreht sich um, als er die Schritte hinter seinem Rücken hört, erblickt Marion, stutzt und kommt dann mit ausgestreckten Armen auf sie zu.

»Ist das möglich, Marion? Du bist die erste Frau, die mich in der Heimat willkommen heißt!« Er drückt ihr freudig erregt die Hände. »Und schön bist du geworden, wunderschön.«

Ihre Augen blitzen ihn an.

»Wirklich, Bert? Bleibst du jetzt für immer hier?«

Norbert wirft einen Blick auf seinen Vater, der sich an den Flaschen zu schaffen macht und ihnen den Rücken zukehrt.

»Das liegt an meinem Vater«, meint er, und er geleitet Marion an einen der Tische. »Nimmst du einen Drink mit mir?«

»Sehr gern, Bert«, erwidert sie ohne Ziererei, was ihm gut gefällt. Überhaupt ist er wie berauscht, als er in ihr schönes gleichmäßiges Gesicht blickt, in die großen Augen vom tiefsten Blau.

»Wein oder Kognak?« fragt er.

»Ich trinke, was du willst.«

»Also Kognak!«

Sie heben die Gläser, prosten sich zu und sehen sich dabei tief in die

Augen. Er hat in dem eleganten Hotel in der Schweiz Gelegenheit gehabt, viele schöne Frauen zu sehen, aber keine schien ihm so schön wie Marion.

Marion – denkt er – immer hab ich sie geliebt.

Marion plaudert angeregt mit ihm. Er sieht fabelhaft aus, hochgewachsen, braungebrannt, mit grauen Augen und dunklem Haar.

»Und was hast du in den zehn Jahren getan?«

Er gießt ihr und sein Glas noch einmal voll und berichtet dann. »Gelernt und gelernt. Die letzten Jahre war ich Geschäftsführer in einem der größten Hotels in der Schweiz.«

»Und du hast die Absicht, dich hier zu vergraben?«

»Du lebst doch auch hier«, gibt er zurück.

»Ich lebe, seitdem ich mündig bin, nicht mehr im Haus meiner Großmutter. Ich bewohne eine nette Wohnung in der Stadt. Besuch mich doch einmal.«

»Vorläufig kann ich das wohl kaum, Marion. Ich habe allerhand vor«, gesteht er, und sie scheint beleidigt zu sein.

»Für deine alten Freunde wirst du wohl noch Zeit haben?«

Er übergeht ihre Frage. »Sag mal, Marion, war da nicht noch ein kleines Mädchen? Wie hieß es doch gleich.«

»Christiana«, antwortet sie widerstrebend. »Wie kommst du darauf?«

Er zuckt mit der Schulter. »Ach, nur so, es fiel mir gerade ein. Ich kann mich nur an ein paar unwahrscheinlich große graugrüne Augen erinnern.«

Marion erhebt sich. »Die hat sie heute noch. Und damit du genau Bescheid weißt, sie lebt bei Großmutter und läßt sich willig hin und her kommandieren.« Sie reicht ihm die Hand. »Bis auf später, Norbert. Hoffentlich kannst du dich hier eingewöhnen, nachdem du in einem so vornehmen Haus gewesen bist.«

Er lacht unbekümmert auf. »Schließlich ist es mein Elternhaus.«

»Na ja«, macht sie geringschätzig, beachtet den alten Mann hinter der Theke nicht und läßt sich von Norbert zu ihrem Wagen begleiten.

Wie der Wind braust sie davon. Nachdenklich kehrt Norbert zu seinem Vater zurück.

Eine Weile herrscht Schweigen zwischen ihnen, das Norbert als lastend empfindet und schließlich bricht.

»Hast du etwas gegen Marion Wagner?«

Der Alte blickt seinem Sohn gerade in die Augen. »Laß die Finger von der, Junge. Die taugt nicht für dich. In meinen Augen ist sie ein kleines Luder.« Er macht eine Handbewegung zu dem Berg hin, wo der Brinkmannsche Besitz liegt. »Dort ist ein junges Mädchen, das könnte dir gefallen, schlicht und freundlich und in jedem Haus gern gesehen. Aber die da, die eben davongebraust ist, mag hier keiner recht leiden. Sie bringt über alle Männer Unheil.«

Arm in Arm suchen Vater und Sohn das hinter der Theke liegende Wohnzimmer auf.

Christiana hat sich in den Schlaf geweint. Sie hat auch das Abendessen verweigert und damit Anna einen rechten Schrecken eingejagt.

Sie hat sich daraufhin eingeschlossen, um ihre Ruhe zu haben. Selbst als Margarethe Brinkmann mit ihrem Stock gegen die Tür klopf, öffnet sie nicht.

Ärgerlich sucht die Großmutter darauflhin ihre eigenen Zimmer auf und läßt sich von Anne bedienen. Alles geschieht wortlos.

Am nächsten Morgen sitzen Margarethe Brinkmann und Christiana sich beim Frühstück gegenüber. Christiana bedient ihre Großmutter mit aller Aufmerksamkeit. Sie tut es nicht aus Pflichtgefühl. Bei aller Strenge, die die Großmutter gegen sie walten läßt, liebt sie ihre Großmutter von ganzem Herzen, ja, sie bewundert sie. Sie versteht mit den Leuten umzugehen, ohne sich etwas zu vergeben. Sie kümmert sich um alle Dinge, die auf der großen Besitzung vor sich gehen. Sie ist hilfsbereit und voll Mitgefühl gegen ihre Leute, wenngleich sie es unter

einer rauhen Schale zu verbergen sucht.

Margarethe faltet die Serviette zusammen.

»Übrigens, Christiana«, unterbricht sie die Stille. »Ich habe noch einmal über deinen Wunsch nachgedacht –«

»Ja, Großmutter?« fragt Christiana erwartungsvoll. Hat sie sich doch endlich durchgerungen? Doch die folgenden Worte vernichten jede Hoffnung.

»Glaubst du wirklich, dir mit dieser Kleckserei einmal deinen Unterhalt verdienen zu können?«

Christiana wird noch um einen Schein blasser. »Unterhalt verdienen?« Das bedeutet soviel wie die Besitzung verlassen müssen. Dabei liebt sie das Haus, ach, jedes Plätzchen auf diesem Boden liebt sie heiß und innig.

Margarethe Brinkmann betrachtet ihre Enkelin lauernd.

»Hast du Angst davor?« forscht sie. Christiana richtet sich steil auf.

»Bestimmt nicht, Großmutter. Ganz bescheiden würde ich leben –«

»In einem kleinen Zimmer zwischen Mauern, wo man kaum den Himmel sieht? Das würde dir genügen?«

*

»Das hat wunderbar geschmeckt, Tante Tinchen.« Damit schiebt Norbert Meibach den Teller von sich, reicht seinem Vater eine Zigarre und zündet sich eine Zigarette an. Sie ist Karl Meibachs Schwester und führt ihm den Haushalt, seitdem ihre Schwägerin tot ist. Sie liebt Norbert wie ihr eigenes Kind, zumal ihr selbst Kindersegen versagt geblieben ist.

»Das freut mich, Junge. Nicht wahr, zu Hause ist zu Hause.«

Er nickt ihr lächelnd zu, erhebt sich und wendet sich an seinen Vater.

»Jetzt könnten wir ein paar Zukunftspläne besprechen, Vater, wenn es dir recht ist.«

»Ist schon recht, Junge«, erwidert der Alte. »Komm, setzen wir uns in die Ecke im Gastraum.«

Aufmerksam sieht Norbert sich in dem weiten Raum um. Hm! Die Holzverkleidung ist fast schwarz geworden. Die Decke ebenfalls.

»Der Zahn der Zeit hat richtig bei uns genagt, Vater«, nimmt Norbert das Gespräch auf. »Hier muß vieles anders werden.«

Der Alte bläßt dicke Rauchwolken in die Luft.

»Anders werden? Ich wüßte nicht, was.«

»Wenn ich mich hier umschaue, meine ich, die Zeit sei stillgestanden. Wir müssen etwas tun, Vater. So lockst du keine Gäste an.«

»Es bleibt, wie es ist«, beharrt der Alte eigensinnig.

Norbert lächelt. Er kennt den Starrsinn seines Vaters. Nun, am ersten Tag kann er nicht gleich mit seinen Plänen kommen.

Er beugt sich etwas über den Tisch.

»Willst du mir wenigstens sagen, warum du mich in die Welt geschickt hast, um zu lernen, alles zu erlernen, was zur Führung eines erstklassigen Hauses gehört?«

»Der Mensch kann niemals zuviel lernen.«

Zwecklos, denkt Norbert und erhebt sich. »Ich bin müde, Vater, und gehe schlafen. Wir werden uns noch einmal über meine Zukunftspläne unterhalten. Gute Nacht!«

Er klopft seinem Vater auf die Schulter, und der Alte schlurft auf Filzsohlen hinter seinem stattlichen Sohn her.

Stolz ist er schon auf seinen Norbert. Aber Änderungen hier einführen? Kommt nicht in Frage, nicht solange er noch Leben in sich spürt.

*

Schon dreimal ist Marion im Dorfkrug aufgetaucht und hat Norbert ins Freie gelockt. Sie sind durch die Gegend gefahren, zuerst Marion am Steuer, dann hat er es übernommen, und Marion hat es merkwürdigerweise geduldet. Sie blickt sehr oft auf die schöngeformten Männerhände.

Es steigt heiß in ihr auf. Sie weiß nicht, ob es Liebe ist, aber sie begehrt Norbert, und seine Nähe beunruhigt sie.

An einem solchen Tag, als Norbert sich vor dem Dorfkrug von Marion herzlich verabschiedet hat und ihre Hand länger als nötig in seiner behält, stellt der Alte seinen Sohn zur Rede.

»Was soll das Getue mit dieser Person?« fragt er barsch.

»Schließlich bin ich dreiunddreißig Jahre alt und weiß, was ich zu tun habe«, erwidert er heftig.

»Und Marion Wagner ist durchaus ›keine Person‹«, setzt Norbert noch scharf hinzu.

»Die hat hier in der Gegend schon mehr Unheil mit ihrer schönen Fratze angerichtet, als du dir denken kannst. Ich warne dich nur. Solange ich hier der Herr bin, wage es nicht, sie mir ins Haus zu bringen.«

»Wenn sie kommt, ist sie unser Gast«, fährt Norbert ärgerlich auf.

»Noch suche ich mir meine Gäste aus. Ich kann es mir erlauben. Nach den Brinkmanns sind wir die älteste und auch wohlhabendste Familie. Glaubst du nicht, daß Marion das in Erwägung zieht?«

»Nein, das glaube ich ganz und gar nicht, Vater.«

Gespannt blickt Karl Meibach seinen Sohn an.

»Na ja, Gott erhalte dir deinen Kinderglauben«, meint er besänftigend. »Du wirst auch noch klug werden.«

Norbert zuckt mit den Schultern und wendet sich brüsk ab. In seinem Zimmer setzt er sich ans Fenster und blickt auf das weite Land.

Was sie nur alle gegen Marion haben? Überall stößt er auf Widerstand. Sie sollen ihn kennenlernen. Wenn Marion erst seine Frau ist, wird er die Leute einfach zwingen, ihr Hochachtung entgegenzubringen.

Als er soweit mit seinen Überlegungen gekommen ist, muß er unwillkürlich vor sich hin lachen.

Noch weiß er gar nicht, ob Marion bereit ist, seine Frau zu werden. Gewiß, er hat in ihren schönen Augen mühelos gelesen, daß sie ihn gut leiden mag. Aber er verlangt viel von einer Frau: ein treues Herz und die große Liebe.

Ein paar Tage später hat Norbert den zweiten Zusammenstoß mit seinem Vater, der in einem ernstlichen Streit ausartet.

Er stellt seinen Vater zur Rede, als er vom Angeln heimkommt und die Forellen zu Tante Tinchen in die Küche getragen hat.

»Soll das mein Leben in Zukunft sein, Vater?«

»Vermißt du etwas, Sohn?«

Norbert richtet sich höher auf. »Arbeit vermisse ich, gute, zweckdienliche Arbeit. Vater«, bittet Norbert, »wenn du mich doch nur einmal

ernst nehmen würdest.« Er macht eine weit ausholende Handbewegung über den Gastraum hin. »Laß mir doch meinen Willen. Ich möchte hier etwas Schwung in den Laden bringen, modernisieren, Gäste anlocken. Ach, was habe ich nicht alles für Pläne.«

»Und mein Geld zu vertun, nicht wahr?«

Norbert blickt seinen Vater entsetzt an.

»Mein Gott, Vater, ich erbe doch sowieso einmal alles –«

»Schluß«, braust der Alte auf und klopft seine Pfeife hart am Aschenbecher aus. »Wenn ich will, bekommst du gar nichts, hörst du? Behalte deine neumodischen Pläne für dich. Sie interessieren mich nicht.«

»Das kann dein Ernst nicht sein«, stößt Norbert fassungslos hervor. Er preßt die Zähne zusammen und denkt kurz nach.

»Also du willst nichts vom Umbauen wissen?« fragt er noch einmal.

»Nein und nochmals nein«, antwortet Karl Meibach mit so lauter Stimme, daß Tinchen ängstlich aus der Küche gelaufen kommt.

»Was habt ihr denn?« erkundigt sie sich und blickt von dem blassen, verschlossenen Gesicht ihres Neffen zu dem harten ihres Bruders. »Ihr werdet euch doch nicht zanken? Um was geht es denn?«

»Ach«, macht Karl Meibach wegwerfend. »Der Junge hat Flausen im Kopf.«

»Dann kann ich ja wieder in die Schweiz fahren«, erwidert Norbert nach außen hin gelassen, während in ihm ein Sturm tobt. »Den Rückweg habe ich mir offengelassen. Mache du im alten Trott weiter. Und dein Geld will ich schon gar nicht, ’n Abend!«

Er geht und knallt die Tür so heftig hinter sich zu, daß es von der Decke rieselt.

Tinchen kommt näher. »Karl, warum stößt du den Jungen aus dem Haus? Er ist doch dein Einziger«, sagt sie mit leisem Vorwurf.

»Das Geld will er verbauen, was die Meibachs mühsam zusammengetragen haben. Und da soll ich untätig zusehen? Auch das Getue mit der Marion paßt mir nicht. Er hat einen Dickschädel –«

»Genau wie du, Karl.«

Er wirft ihr einen schiefen Blick zu und schweigt dazu.

»Ach«, sagt er schließlich, »soll er zum Teufel gehen. Täglich das Gerede vom Umbau, vom Modernisieren anhören zu müssen, geht mir auf die Nerven.«

Tinchen dreht sich rasch um und läuft hinauf zu Norbert. Sie klopft dreimal, wie sie es immer tat.

»Darf ich ein paar Minuten mit dir reden?«

Er zieht sie in das Zimmer und schließt hinter ihr wieder ab. Sie sieht, daß er bereits den Schrank ausgeräumt hat. Anzüge und Wäsche liegen auf dem Bett.

»Geh nicht, Norbert«, jammert sie an seiner Schulter. »Dein Vater meint es nicht so. Er wird sich besinnen und dir freie Hand lassen.«

»Nein, Tinchen.« Er umarmt sie herzlich und küßt sie auf beide Wangen. »Ich habe denselben Dickschädel wie mein Vater. Ich gehe zurück in die Schweiz. Dort habe ich gute Freunde, die helfen mir sofort.«

Norbert hebt drohend die Hand, als hätte er einen unsichtbaren Feind vor sich. »Aber ich komme wieder, Tinchen, ganz bestimmt, und ich setze Vater ein Hotel direkt vor die Nase. Ich schwöre es dir. Dann soll er sehen, wie weit er kommt.«

»Ach, Norbert«, schluchzt Tinchen. »Keiner gibt nach. Könntest du nicht wenigstens noch etwas warten?«

»Nein!« Das kommt mit aller Entschiedenheit aus seinem Mund. »Ich kann nicht länger warten. Man wird älter und älter. Ich will das verwerten, was ich gelernt habe, und hier will ich es verwerten, gerade hier. Es soll meinem Heimatort zugute kommen. Unser Ort liegt so romantisch, gerade richtig für die abgehetzten Großstadtmenschen. Sie werden hier alles finden, was sie zur Entspannung nötig haben.«

Mit leuchtenden Augen hat sie ihm zugehört und nickt eifrig. »Natürlich verstehe ich dich, Norbert. Aber mußt du dazu gleich wieder wegfahren?«

Er legt den Arm um sie und führt sie zur Tür.

»Sorg dich nicht um mich, Tinchen. Ich komme wieder, ganz bestimmt. Warum bin ich der Heimat so lange fern geblieben? Doch nur, um zu lernen. Ich muß das einfach tun, wozu es mich drängt.«

*

Margarethe Brinkmann wundert sich, daß Marion so häufig zu Besuch kommt. Vom Wintergarten aus sieht sie Marions Sportwagen vorfahren, und sie geht zum Eingang, um ihre Enkelin zu empfangen.

Marion küßt die Großmutter flüchtig auf die Wange.

»Hast du was?« erkundigt die alte Dame sich.

Marion schüttelt den Kopf so heftig, daß die blonden Locken um den Kopf fliegen.

»Was soll ich denn haben? Nichts!«

»Dann ist es ja gut. Du kannst gleich mit uns das Mittagessen einnehmen«, schlägt Margarethe Brinkmann vor.

»Essen?« Marion denkt an den Brief, der in ihrer Tasche ist, und den sie schon mehrmals gelesen hat. Ihr dreht sich dabei der Magen um. »Danke, Oma, ich habe keinen Appetit, muß auch gleich wieder zurück.«

»Warum bist du dann gekommen?« fragt die Großmutter.

»Guten Tag wollte ich dir sagen, sonst nichts.«

Das klingt ärgerlich. Margarethe schweigt.

»Wie du willst, Marion.« Sie sieht die Enkelin aus ihren großen Augen forschend an. Und dieser Blick ist Marion unangenehm. »Brauchst du Geld?«

»Nein, danke.« Marion wirft einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Ich muß wieder zurück, hatte hier zu tun.«

»Was hast du denn hier in der Gegend zu tun?«

»Ach, nichts von Bedeutung, Oma. Auf Wiedersehen!«

»Wiedersehen«, antwortet Margarethe Brinkmann gedankenvoll.

Der Wagen braust davon, und Margarethe geht ins Haus. Sie steigt die Treppe empor und sucht Christiana auf.

Das junge Mädchen sitzt über ihren Büchern mit heißen Wangen und zerzausten Haaren. Es ist eine Angewohnheit von ihr, beim Nachdenken durch das Haar zu fahren und es zu zerwühlen.

»Arbeite weiter, ich will dich nicht stören«, befiehlt die Großmutter, und Christianas Freude verschwindet so rasch, wie sie aufgekommen ist. Margarethe spricht weiter. »Hast du eine Ahnung, was Marion so häufig hier zu tun hat?«

Christiana neigt sich tief über ihr Buch. Man hat ihr zugetragen, daß sie Norbert Meibach oft besucht. Aber sie würde niemals darüber sprechen.

»Das weiß ich nicht, Großmutter«, sagt sie. Sie spürt den forschenden Blick der Großmutter auf sich ruhen, und ihr läuft es eiskalt über den Rücken.

»Soso, du weißt es nicht«, meint Margarethe Brinkmann. »Es wird gleich gegessen, hörst du?«

»Ja, Großmutter«, erwidert Christiana eifrig. »Gleich bin ich soweit.«

Die Tür fällt ins Schloß, und Christiana blickt ins Leere. Man spricht im Ort bereits davon, daß Norbert Meibach und Marion Wagner sehr oft zusammen sind. Ausgerechnet Norbert Meibach, den sie schon als Kind geliebt, obwohl er sie nie beachtet

hat.