Das Wunder der Liste - Karin Bucha - E-Book

Das Wunder der Liste E-Book

Karin Bucha

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Beschreibung

Karin Bucha ist eine der erfolgreichsten Volksschriftstellerinnen und hat sich mit ihren ergreifenden Schicksalsromanen in die Herzen von Millionen LeserInnen geschrieben. Dabei stand für diese großartige Schriftstellerin die Sehnsucht nach einer heilen Welt, nach Fürsorge, Kinderglück und Mutterliebe stets im Mittelpunkt. Karin Bucha Classic ist eine spannende, einfühlsame geschilderte Liebesromanserie, die in dieser Art ihresgleichen sucht. »Bitte, Tante Johanna, laß uns heimgehen«, stieß das unscheinbare blasse Wesen in dem unvorteilhaften grünen Gesellschaftskleid hervor. »Bist du verrückt, Felizitas« ra zusammengefunden hatte, überaus wohl fühlte. »Wie kannst du mir so etwas zumuten?« zischelte sie empört. Damit drehte sie der bis in die Lippen erblaßten Nichte den Rücken und wandte sich süß lächelnd einer Gruppe plaudernder Gäste zu. Todunglücklich kam Felizitas sich inmitten der fröhlich schwatzenden und sich köstlich amüsierenden Gesellschaft vor. Warum nur fand sie keinen Kontakt mit den jungen Menschen? War sie selbst zu alt mit ihren noch nicht einundzwanzig Jahren? »Ach, die langweilige Pute, aus der man kein Wort herauskriegt. Weißt du, wie man Fee bereits nennt? Das häßliche Entlein!« »Sei still«, verwies Frau Vera ihr vorwitziges Töchterlein ernstlich böse. »Wie kann man so herzlos sein.« »Dann nimm sie doch mit zu deinen Damen hinüber«, maulte die wirklich liebreizende Kleine. »Felizitas paßt nun einmal besser in den Kreis der Älteren.« Damit nahm sie graziös ihr duftiges Kleidchen hoch und schwebte davon, von einem mißbilligenden Kopfschütteln ihrer Mutter begleitet.

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Karin Bucha Classic – 37 –

Das Wunder der Liste

Karin Bucha

»Bitte, Tante Johanna, laß uns heimgehen«, stieß das unscheinbare blasse Wesen in dem unvorteilhaften grünen Gesellschaftskleid hervor.

»Bist du verrückt, Felizitas«, erwiderte Johanna Behren, die sich in dem kleinen, auserlesenen Kreis, der sich heute im Hause des Generaldirektors Philipp Curtius und seiner Gattin Ve-

ra zusammengefunden hatte, überaus wohl fühlte. »Wie kannst du mir so etwas zumuten?« zischelte sie empört.

Damit drehte sie der bis in die Lippen erblaßten Nichte den Rücken und wandte sich süß lächelnd einer Gruppe plaudernder Gäste zu.

Todunglücklich kam Felizitas sich inmitten der fröhlich schwatzenden und sich köstlich amüsierenden Gesellschaft vor.

Warum nur fand sie keinen Kontakt mit den jungen Menschen? War sie selbst zu alt mit ihren noch nicht einundzwanzig Jahren?

Wohl hatte die schöne, warmherzige Vera Curtius sich des Mädchens schon ein paarmal angenommen, und auch ihre Tochter Dolly gebeten, Felizitas in ihren Kreis zu ziehen, doch diese hatte fast schnippisch erwidert:

»Ach, die langweilige Pute, aus der man kein Wort herauskriegt. Weißt du, wie man Fee bereits nennt? Das häßliche Entlein!«

»Sei still«, verwies Frau Vera ihr vorwitziges Töchterlein ernstlich böse. »Wie kann man so herzlos sein.«

»Dann nimm sie doch mit zu deinen Damen hinüber«, maulte die wirklich liebreizende Kleine. »Felizitas paßt nun einmal besser in den Kreis der Älteren.«

Damit nahm sie graziös ihr duftiges Kleidchen hoch und schwebte davon, von einem mißbilligenden Kopfschütteln ihrer Mutter begleitet.

Felizitas hatte sich in die äußerste im Dunkeln liegende Ecke des Rauchsalons zurückgezogen und lauschte mit geschlossenen Augen der Musik, der sie mit ganzem Herzen hingegeben war. Sie kam ins Träumen. Sie sah die hohe imponierende Gestalt Stefan Bambergs vor sich auftauchen, hörte sein warmes, dunkles Lachen, das leider nicht ihr, sondern den hübschen jungen Damen gilt.

»Komm, Wolf, laß uns hier ein wenig ausruhen«, läßt sich plötzlich eine Stimme vernehmen, die Felizitas alles Blut zu Herzen drängt. Sie will emporschie-ßen, aber dazu ist es bereits zu spät. Wolfram Außig und Stefan Bamberg haben sich bereits unter der Lampe niedergelassen. Also drückt Felizitas sich noch tiefer in den Sessel und verharrt regungslos.

»Hast du die Tanzerei schon satt?« erkundigt sich Wolf, wie er allgemein genannt wird, und reicht dem Freund Zigaretten und Feuer.

»Eigentlich nicht, nur eine kleine Pause einlegen«, gibt dieser zurück und stößt ein paar Züge Zigarettenrauch von sich.

Die stille Zuhörerin hat Muße, dieses männliche Gesicht eingehend zu studieren. Das Herz klopft ihr bis zum Halse herauf.

»Viel Arbeit?« forscht Wolf Außig weiter.

»Mehr als das.« Bamberg fährt sich mit einer charakteristischen Bewegung über das Haar. »Man kommt ja aus der Tretmühle nicht mehr heraus. Konferenzen über Konferenzen. Vom Auto ins Flugzeug, vom Flugzeug ins Auto. Dieses Tempo zerrt an den Nerven.«

Wolf Außig lauscht und nickt, und der Freund spricht weiter.

»Aber, offen gestanden, ich möchte es gar nicht anders haben. Dieses Tempo liebe ich gerade. Man kann seine Kräfte voll einsetzen und schafft etwas.«

»Dann bietet dir ein solcher Abend wie der heutige eine ganz nette Abwechslung«, meint Außig und lehnt sich behaglich zurück.

»O ja«, stimmt Bamberg ihm bei. »Es ist nett bei Curtius, vor allem die Hausfrau ist entzückend in ihrer warmherzigen Fraulichkeit. Übrigens –«, Bamberg neigt sich etwas vor, »hast du schon mit der kleinen Walkenhorst getanzt?«

»Nee«, sagt Außig uninteressiert, »ist mir zu langweilig. Die wird ja immer häßlicher.«

Bamberg schaut den Ringen nach, die er soeben in die Luft geblasen hat. »Das häßliche Entlein nennt man sie. Trotzdem darf man sie nicht übergehen, das wäre –«

Im selben Augenblick unterbricht er sich und schaut sich um

»Ist hier jemand?« fragt er, und da kommt es wieder wie tiefes Stöhnen aus einer der Ecken. Bamberg springt auf und knipst die Deckenbeleuchtung an.

Aus einem der tiefen Sessel, die zu einer Gruppe am Fenster zusammengestellt sind, schauen ihn ein paar weit aufgerissene Augen voller Entsetzen an.

»Ach, Sie sind es«, stammelt Bamberg beinah in tödlicher Verlegenheit und verneigt sich knapp.

»Verzeihen Sie, gnädiges Fräulein«, sagt er reumütig, »wir wußten nicht –«

Felizitas taumelt empor. Groß, schlank, mit einem Gesicht wie aus Marmor steht sie vor dem Mann.

»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen«, sagt sie mit einer Stimme, in der Tränen zittern. »Ich weiß, daß ich nicht schön bin, aber daß man mich das häßliche Entlein nennt, ist interessant für mich zu wissen. Den Pflichttanz schenke ich Ihnen und Ihnen.«

Zwei Augenpaare starrten hinter der schlanken Mädchengestalt her, und sie sehen nicht, wie die Tränen aus den Augen stürzen und hemmungslos über die Wangen fließen.

Mit Mühe erreicht Felizitas die Garderobe.

»Schnell meine Garderobe«, stößt sie heftig hervor, läßt sich in den Pelzmantel helfen und eilt wortlos die Treppe hinunter und aus dem Haus.

*

Totenstille hat Felizitas Walkenhorst hinterlassen.

Bamberg nimmt seinen Platz wieder ein. Gedankenvoll starrt er vor sich hin, wahrend seine Hände mechanisch nach Zigarette und Feuerzeug greifen.

»Was für faszinierende Augen«, murmelt er wie zu sich selbst. »Und ein Ausdruck lag darin – ein Ausdruck –«

Ruckartig hebt er den Kopf. »Fandest du nicht auch, Wolf?«

»Ich weiß nicht, so genau habe ich sie nicht gesehen. Dazu war ich viel zu sehr erschrocken.«

»Da haben wir was angerichtet in unserer Gedankenlosigkeit«, klagt Bamberg sich an. Er springt auf. »Komm, Wolf«, fordert er den Freund auf, »wollen versuchen, den schlechten Eindruck, den wir unbedingt gemacht haben, zu verwischen.«

Aber sie suchen Felizitas Walkenhorst vergebens.

Diese ist an dem verdutzt von seiner Zeitung aufblickenden Chauffeur vorbeigestürzt und irrt völlig verwirrt durch die fast menschenleeren Straßen.

Die Worte des Mannes, dem ihr heißes, liebebedürftiges Herz entgegenschlug, hetzen sie vorwärts.

»Das häßliche Entlein!«

Wie lange sie durch die Gegend gelaufen ist, weiß sie nicht, rein mechanisch haben die Füße ihre Arbeit getan.

Völlig erschöpft, seelisch und körperlich wie ausgepumpt, lehnt sie sich an einen der Baumriesen, die die breite Villenstraße umsäumten.

So findet Stefan Bamberg sie, dem es keine Ruhe ließ, der den Fahrer der Walkenhorsts ausgeforscht hat und sich dann in seinen Wagen schwang, ahnend, daß sie verzweifelt heimgelaufen ist.

»Fräulein Walkenhorst –!«

Tief erschrocken, die Augen weit aufgerissen, streckt sie ihm in Abwehr die Hände entgegen.

Mein Gott, das Mädel ist ja schön – geht es Bamberg sekundenschnell durch den Sinn.

»Bitte, Fräulein Walkenhorst –«

»Reden Sie nicht, bitte, sagen Sie nichts«, stößt sie unter Schluchzen hervor. »Lassen Sie mich allein, ich bitte Sie, lassen Sie mich allein.«

»Nein!« sagt er hart und legt den Arm um die zitternde Gestalt. »Im Gegenteil, Sie müssen sich jetzt meine Gegenwart gefallen lassen. Ich bringe Sie heim.«

»Ach!« bricht es von ihren Lippen, dann reißt sie sich herum und läuft blindlings davon.

Wie gelähmt verharrt Stefan Bamberg und lauscht hinter den entfliehenden Schritten her.

Langsam kehrt er zu seinem Wagen zurück, nimmt hinter dem Steuer Platz und zündet sich eine Zigarette an, die er in tiefen Zügen, ganz in merkwürdige Gedanken versunken, raucht.

Und immer sind es ein paar grünschimmernde Augen, die seine ihn unsagbar beunruhigenden Betrachtungen begleiten.

»Das häßliche Entlein!« murmelt er, aber ein weiches Lächeln liegt um seinen Mund.

*

»Ist meine Nichte noch nicht aufgestanden?« herrscht Johanna Behren das Mädchen Elise an, das eben letzte Hand an den sorgfältig gedeckten Frühstücks-tisch legt.

»Ich weiß nicht, gnädige Frau.«

»Dann sehen Sie gefälligst nach und richten Sie aus, ich erwarte sie schnellstens am Kaffeetisch«, befiehlt die Frau im langfließenden fliederfarbenen Morgenrock, der bei jeder Bewegung raschelt und der eine Jugendlichkeit vortäuschen soll, die längst nicht mehr vorhanden ist.

Elise beeilt sich, aus den Augen der Frau zu kommen, die seit Jahren im Hause Walkenhorst das Regiment führt und nach deren Pfeife alles tanzen muß.

Schon bald kehrt sie zurück.

»Das gnädige Fräulein will noch ruhen. Sie möchten allein frühstücken«, richtet sie nicht ohne Schadenfreude aus.

Johanna Behren ist starr. Heftig erhebt sie sich und rauscht aus dem Zimmer, über den Flur, die Treppe hinauf und zu den Zimmern der Nichte. Die Tür ist verschlossen. Sie rüttelt und klopft. Endlich hört sie Felizitas sagen.

»Ich fühle mich nicht wohl, Tante, und möchte noch ruhen.«

»Seit wann verschließt du die Tür, Fee!« ruft sie erregt und atemlos vom schnellen Lauf. »Komm sofort herunter, ich habe mit dir zu sprechen.«

»Später, jetzt kann ich nicht«, kommt es matt zurück.

Auf nackten Sohlen schleicht Fee an das Fenster und sieht mit tiefem Aufatmen der Abfahrt der Tante zu.

Gottlob! Schnell eilt sie zu ihrem Lager zurück und kuschelt sich noch einmal in die Kissen. Sie zittert vor ihrem eigenen Mut, der Tante den Eintritt verweigert zu haben.

Aber heute ist ihr alles gleichgültig. Sogar die Vorwürfe, die unweigerlich über sie hereinbrechen werden, wird sie mit in Kauf nehmen. Sie muß allein sein, und die Nähe der ewig nörgelnden Tante könnte sie jetzt auf keinen Fall ertragen.

»Häßliches Entlein!«

Plötzlich schlägt sie die Decke zurück und läuft zu dem Spiegel.

Ganz nahe bringt sie ihr Gesicht und studiert aufmerksam jeden Zug.

»Häßliches Entlein!«

Mutlos sinkt sie auf den Hocker nieder und drückt das Antlitz in die Hände.

*

Am Morgen fährt Johanna Behren in die Walkenhorst-Werke, die im anderen Stadtteil liegen.

»Warten Sie«, befiehlt sie in ihrer hochtrabenden Art Paul, dem Chauffeur, und verschwindet im Verwaltungsgebäude.

Für die rege Betriebsamkeit, die auf diesem weiten, gewaltigen Komplex mit seiner angeschlossenen Versuchsbahn herrscht, hat sie kein Auge. Von jeher hat sie sich nicht für Technik oder Aufbau der Werke interessiert. Sie weiß, daß die »Wako-Wagen« gekauft werden und ansehnlichen Gewinn abwerfen, dessen Nutznießerin sie durch geschickte Manipulationen geworden ist als Verwandte, Erzieherin und Beschützerin der Erbin, Felizitas Walkenhorst.

»Direktor Forst hat eine Besprechung«, empfängt die Sekretärin sie wohl höflich, aber zurückhaltend. »Dr. Werner, der Chefingenieur der Versuchsabteilung ist drin.«

»Danke«, erwidert Johanna Behren kühl und läßt sich dadurch nicht abhalten, sondern betritt des Direktors Zimmer.

Direktor Forst, ein schlanker, gutaussehender Fünfziger, der für die elegante, temperamentvolle Frau eine kleine Schwäche hat, springt bei ihrem Erscheinen sofort auf.

»Gnädige Frau«, begrüßt er sie mit Handkuß. »Nett, daß Sie uns wieder einmal besuchen.« Er rückt ihr eine Sitzgelegenheit zurecht. »Darf ich Sie um einige Minuten Geduld bitten? Gleich stehe ich Ihnen zur Verfügung.«

Sie winkt ihm gnädig zu und nimmt von den beiden Herren weiter keine Notiz. Ihre Augen gleiten in dem weiten Raum, in dem einst Ferdinand Walkenhorst, ihr Vetter, der Chef war, um-

her.

Einmal hat sie geträumt, neben diesem Mann stehen zu dürfen, und Herrin all dieses Reichtums zu werden, leider hatte er sich für die engelsschöne Ina Heldern entschieden, und sie mußte abseits und in Armut stehen.

Dann traf das Schicksal den lebensstarken Mann mitten ins Mark, als ihm Ina genommen wurde. Alles verlor von diesem Tag an Wert für ihn, sogar die kleine Fee konnte ihm die Lebensfreude nicht mehr zurückgeben, und so starb er an einer Herzgeschichte, die er ohne weiteres hätte überwinden können, wenn er eben den Willen dazu gehabt hätte.

Das war für die berechnende Johanna Behren der Auftakt zu Ereignissen gewesen, die sie in ihren kühnsten Träumen nicht erwogen hatte.

Sie kam in das Haus Walkenhorst, ihr wurde das kleine Mädchen anvertraut und damit die enormen Gelder, die Felizitas zur Verfügung standen.

Gottlob – sinnt die Frau weiter – daß Felizitas so wenig von Geld und Geldeswert weiß und überdies noch sehr gefügig ist und sich außerdem um keine geschäftlichen Dinge kümmert. Dafür hat sie, die Tante schon gesorgt, und Felizitas hat sich bisher noch in alles gefügt, so wie sie es angeordnet. So wird es auch in Zukunft bleiben, selbst wenn Felizitas einundzwanzig Jahre alt wird. Weit entfernt ist dieser Geburtstag ja nicht mehr.

Ein ganz klein wenig unbehaglich wird ihr ja bei diesem Gedanken. Hoffentlich macht ihr dieser Notar Dr. Felgen keinen Strich durch die Rechnung. Man weiß nie, was es für Überraschungen an einem so wichtigen Geburtstag für eine Erbin wie Felizitas geben könnte.

»Gnädige Frau«, unterbricht Direktor Forst den Gedankengang der Besucherin, »ich stehe zu Ihrer Verfügung. Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches?«

»Zunächst wollte ich Ihnen nur einmal guten Tag sagen«, lächelt sie den Mann unbefangen an, der ihr gegenüber Platz genommen hat und ihr seine Zigarettendose reicht. »Und dann eine Kleinigkeit. Ich benötige Geld.«

Direktor Forst reicht ihr Feuer und bedient sich dann selbst.

»Geld, gnädige Frau?« Sein Gesicht wird verschlossen, ja, er zieht die Augenbrauen erstaunt in die Höhe. »Die Überweisung ist bereits auf das Bankkonto des gnädigen Fräulein erfolgt –«

»Weiß ich, weiß ich«, unterbricht sie ihn rasch. »Diesmal handelt es sich um einen Zuschuß. Meine Nichte begeht bald ihren einundzwanzigsten Geburtstag.« Sie schlägt die Beine übereinander und wirft ihm einen langen Blick unter halbgeschlossenen Lidern zu. »Sie verstehen, lieber Forst, da sind Sonderausgaben nötig. Ein junges Mädchen von heute stellt schon seine Ansprüche.«

Sehr ernst neigt sich Forst etwas vor.

»Verzeihen Sie, gnädige Frau, ich muß es Ihnen einmal sagen. Die Geld-entnahmen in letzter Zeit sind enorm hoch. Schon längst hätte ich mit Ihnen darüber sprechen sollen. Die Schuld liegt natürlich auf meiner Seite. Das Geschäft verträgt auf die Dauer –«

Wie ein schmollendes Kind hebt sie abwehrend beide Hände.

»Bitte nichts über Geschäfte, lieber Forst. Sie wissen, ich habe keine Ahnung davon. Das habe ich alles vertrauensvoll Ihnen überlassen.«

»Eben deshalb, gnädige Frau, fühle ich mich verpflichtet, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß wir augenblicklich schwer zu kämpfen haben. Die Konkurrenz ist enorm groß –«

Gelangweilt schaut die Frau dem Rauch der Zigarette nach. Das alles interessiert sie nicht. Sie spürt auch nicht die eindringliche Warnung des bewährten Mannes, der bisher sein Bestes für das Werk getan hat.

»Übrigens«, beginnt er nach kurzer Pause, da sie schweigend weiterraucht, »ich habe gar nicht den Eindruck, daß das gnädige Fräulein so anspruchsvoll ist. Man sieht sie –«

»Was wollen Sie damit sagen, Forst?« fährt Johanna Behren scharf dazwischen.

»Man müßte dem gnädigen Fräulein einmal ganz offen die Lage schildern, schließlich ist sie kein Kind mehr, und es ist das Lebenswerk ihres Vaters, das einmal in ihren Besitz übergehen soll.«

»Kein Wort zu meiner Nichte«, sagt die Frau gebieterisch. »Das werde ich zur gegebenen Zeit übernehmen. Ihre Worte werde ich mir durch den Kopf gehen lassen.«

Unendlich hochmütig steht sie vor dem Mann, der ihr plötzlich um Jahre gealtert scheint. »Einen kleinen Scheck muß ich heute aber trotzdem haben.«

»Bitte!«

Er geht zu seinem Schreibtisch, drückt den Rest der Zigarette aus und beginnt einen Scheck auszuschreiben, den er ihr mit einer Verbeugung überreicht. Lässig verschwindet er in ihrer Tasche.

»Verzeihen Sie, gnädige Frau, doch ich hielt es für meine Pflicht, Ihnen reinen Wein einzuschenken.«

Jetzt scheint doch etwas wie Besorgnis in der Frau zu erwachen.

»Steht es denn so schlecht um die Werke?«

»Schlecht kann man nicht sagen, aber wir haben zu kämpfen, und dabei müssen alle mithelfen«, sagt er ganz gegen seine sonstige devote Höflichkeit in ernstem, sachlichem Ton.

»Selbstverständlich werde ich meine Nichte davon unterrichten«, sagt sie, und nach kurzem Abschied rauscht sie davon.

Nach einer Weile bleibt der Mann inmitten des Zimmers stehen. Wie ein Komet – geht es ihm durch den Sinn – strahlend und verwirrend taucht sie auf und verschwindet wieder.

Dann kehrt er zu seiner Arbeit zurück, und er macht den Eindruck, als würde ihn eine Zentnerlast zu Boden drücken.

*

»Willst du mir denn wirklich nicht sagen, weshalb du bei unserem Fest davongelaufen bist?« bohrt Dolly Curtius in die etwas Ältere, die früher einmal Spielgefährten waren, aber das ist schon sehr lange her. Dolly, das lebhafte, liebliche junge Mädchen fühlt sich sehr unbehaglich in ihrer Haut. Ihre besorgte Mutter hat so lange in ihre Tochter gedrungen, bis diese sich zu einem Besuch in das Walkenhorstsche Haus aufmachte, denn Felizitas ist ihr nicht nur fremd geworden, beinahe unheimlich kommt sie ihr in ihrer starren Ruhe vor.

Und wie sie wieder angezogen ist. Ihre glänzenden Augen huschen über die schlanke Gestalt am Blumenfenster, über das häßliche grüne, unkleidsame Gewand und über die plumpen Schuhe mit den breiten Absätzen.

»So rede doch etwas, Fee«, sagt Dolly ganz verzweifelt. »Mama ist außer sich, und denkt, du wärest bei uns irgendwie gekränkt worden.«

Um Felizitas’ Mund zuckt es. Langsam wendet sie sich ihrer Besucherin zu.

»Keiner hat mich gekränkt, Dolly, richte das deiner Mutter aus, und ich danke ihr für ihre Besorgnis. Ich fühlte mich einfach nicht wohl.«

Dolly atmet erleichtert auf. »Blaß siehst du ja aus, Fee«, meint sie mitleidig. »Vielleicht steckt eine Krankheit in dir, dann leg dich man bloß hin, man kann nie wissen –!

Übrigens, Fee«, plaudert sie eifrig weiter, »ist Stefan Bamberg nicht wundervoll? Tanzen kann der, tanzen –«, sie dreht vor Wonne die Augen nach oben. »Und am Sonntag reitet er auch in Düsseldorf wieder. Herrlich, wenn er im Sattel sitzt. Ich schwärme für ihn, obwohl Mama sagt, er sei viel zu alt für mich.«

Felizitas hört sich Dollys Begeisterung mit unbeweglicher Miene an. »So?« wirft sie nur einmal an, und es klingt geradezu gelangweilt, so daß Dolly auch keine Lust mehr hat, von ihrem heimlichen Schwarm zu sprechen.

»Findest du ihn nicht auch wunderbar?« fragt sie noch, nur um das Gespräch nicht einschlafen zu lassen.

»Nein, ganz und gar nicht.« Das kommt hart und sehr schnell über Fees Lippen.

»N-nicht?« Dolly macht kugelrunde Augen. Unfaßbar, daß einer den elegantesten und interessantesten Mann der Gesellschaft nicht ebenfalls anhimmelt. »Komisch, Fee. Na ja, über Geschmack läßt sich streiten.

Sei mir nicht böse, Fee, aber jetzt muß ich weiter. Mama hat mir noch Besorgungen aufgetragen.« Dolly rafft ihre Tasche und Handschuhe zusammen und fühlt sich wie von einem Druck befreit, als sie wieder draußen ist.

Ausgerechnet läuft ihr ein wenig später Stefan Bamberg über den Weg, in einem der netten Cafés, wo die Damen nach ihren Einkäufen gern eine Erfrischung zu sich nehmen.

Sichtlich erfreut bittet er, an ihrem Tisch Platz nehmen zu dürfen, was ihm natürlich mit lebhafter Bejahung und Herzklopfen gewährt wird.

»Einkäufe getätigt, gnädiges Fräulein?« erkundigt er sich in seiner netten, kameradschaftlichen Art.

»Noch nicht«, berichtet sie glücklich über dieses Zusammentreffen. »Erst muß ich mich ein bißchen stärken, der Besuch bei Walkenhorst hat mich direkt angestrengt. Ordentlich froh war ich, als ich wieder an der Luft war –«

»Ich verstehe nicht«, wirft er aufmerksam geworden ein. »Ist jemand krank, Frau Behren etwa oder –«

»Die war gar nicht im Hause, nur Felizitas, ich meine Fräulein Walkenhorst«, sprudelt es aus Dolly Curtius heraus. »Mama ist nun einmal eine besorgte Seele, sie hat mich hingeschickt, um nach Fee zu sehen. Sie wissen ja, daß sie einfach aus dem Haus gelaufen ist.«

Bamberg fühlt sein Herz schwer und dumpf schlagen. »Und – und hat das gnädige Fräulein Ihnen den Grund genannt?« fragt er mit heimlicher Spannung.

»Nichts von Bedeutung«, erklärt Dolly, »sie hätte sich nur nicht ganz wohl gefühlt. Ich muß sagen, sie sah ganz jammervoll aus, und ich habe ihr geraten, sich ins Bett zu legen.«

Sinnend starrt Bamberg vor sich hin. Anständiger kleiner Kerl, denkt er – also hat sie seine Taktlosigkeit nicht preisgegeben.

»Wie ein richtiges kleines häßliches Entlein sah sie wieder aus, so farblos und schattenhaft und hat doch so viel Geld«, plauderte Dolly gedankenlos weiter.

Bambergs helle Augen blitzen auf. Eingehend mustern sie die kleine, reizende Person, die so unüberlegt alles herausplaudert, was ihr durch den Kopf schießt.

»Halten Sie Fräulein Walkenhorst wirklich für ein häßliches Entlein?« fragt er, und es klingt etwas spöttisch. »Ich finde das nämlich gar nicht.«

»Sie – finden – das – nicht?« Dollys Rede stockt. Plötzlich gerät sie in eine verwirrende Verlegenheit, irritiert durch die hellen durchdringenden Augen.

»Sehr richtig. Das ist ein etwas gedankenloses, vorschnelles Urteil, das man über die junge Dame gefällt hat, und das nun von ihren Bekannten ebenso gedankenlos wie, verzeihen Sie, taktlos, nachgeredet wird. Haben Sie Fräulein Walkenhorst überhaupt schon einmal richtig angesehen?«

»Natürlich«, stammelt Dolly beschämt, denn sie fühlt sich bei seinen Worten mitgetroffen. Und in ihrer ehrlichen Natürlichkeit versucht sie sich zu verteidigen. »Aber, nicht wahr, das müssen Sie doch zugeben, angezogen geht sie immer ganz fürchterlich.«

Ein kleines Lächeln umspielt Bambergs Mund.

»Zugegeben, kleines Fräulein. Doch daran trägt meines Erachtens niemals Fräulein Walkenhorst die Schuld. Mir tut das junge Menschenkind von Herzen leid. Und nun wollen wir das Thema fallen lassen«, lächelt er sie freundlich an. »Wie zwei richtige alte Klatschbasen haben wir uns benommen.«

»Verzeihen Sie«, sagt sie ganz zerknirscht. »So – so habe es nicht gemeint. Eigentlich mag ich Felizitas gut leiden.«

»Na also«, ermuntert er sie, »ich nämlich auch. Und nun, wenn Sie gestatten, begleite ich Sie in die Stadt. Anschließend liefere ich Sie wohlbehalten zu Hause ab. Mein Wagen parkt in der Nähe.«

*

In der schöngelegenen Villa der Walkenhorsts, die Felizitas’ Eltern mit viel Liebe, gutem Geschmack und auserlesenen Kostbarkeiten ausgestattet haben, steht einmal wieder das Barometer auf Sturm.

Anlaß dazu ist ein unschuldiger Brief, denn er kommt mit Luftpost aus Amerika, und er ist an Felizitas Walkenhorst gerichtet.

Johanna Behren, die gewohnt ist, die Post der Nichte zu kontrollieren, hat ihn gelesen, und dann bricht der Sturm los.

Sie fegt durch die Räume in den Musiksalon, wo Felizitas meistens die Vormittagsstunden am Flügel verbringt. Sie ist eine Künstlerin. Alle Wünsche, alle Sehnsüchte, allen Kummer und die grenzenlose Einsamkeit legt sie in die Musik.

»Hör auf mit dem Geklimper, Felizitas. Ich habe mit dir zu reden«, überfällt sie formlos die Nichte. »Post ist für dich gekommen – aus Amerika!«

Dabei streckt sie ihr den Brief entgegen. »Du wirst aus allen Wolken fallen. Deine Tante Julia meldet sich, nachdem sie sich jahrelang nicht um dich gekümmert hat. Der reinste Bettelbrief.«

Felizitas, die sich nur langsam in die Gegenwart zurückfindet, nimmt den Brief zögernd entgegen. »Post – für mich? Von meiner Tante Julia? Von Mamas Schwester? Ich denke, die ist längst gestorben? Ja – aber –«

»So lies doch!« drängt Johanna Behren und nimmt Felizitas gegenüber Platz, aufmerksam deren Mienenspiel betrachtend.

Die Minuten verrinnen. Für Johannas Ungeduld viel zu langsam.

Endlich läßt Felizitas den Brief sinken und schaut sinnend vor sich hin.

»Nun?« reißt sie das junge Mädchen aus ihrer Nachdenklichkeit.

»Ein Bettelbrief ist das aber nicht, Tante Johanna«, sagt sie leise und streicht gedankenvoll, fast zärtlich über das Blatt. »Wie kommt es eigentlich, daß Tante Julia damals bei Mamas Tod nicht ins Haus gerufen wurde?«

Johanna Behren zuckt mit den Achseln. »Keine Ahnung. Wegen irgendeiner dunklen Sache soll sie nach Amerika gegangen sein. Vielleicht hielt man sie für verdorben und gestorben? Was weiß ich.«

»Ich finde es lieb von dieser Tante, über die ich nie sprechen durfte, daß sie nicht für sich, sondern für ihre Freundin bittet –«

»Natürlich sage ich ab«, fällt Johanna ihr schnell ins Wort.

Felizitas reckt ein wenig die schlanke Gestalt.

»Du? Der Brief ist an mich gerichtet, und Tante Julia bittet mich um Gastfreundschaft für ihre kranke Freundin, die ich ihr auch nicht versagen werde.«

»Auf keinen Fall kommt dieser Besuch ins Haus, dafür werde ich sorgen«, fährt Johanna Behren böse dazwischen.

»Du vergißt, daß es mein Haus ist«, sagt Felizitas ruhig, aber bestimmt und erhebt sich. »Noch heute geht ein Telegramm ab, daß mir der Besuch willkommen ist. –«

»Felizitas, ich beschwöre dich.« Johanna Behren verlegt sich aufs Bitten. »Der Besuch bringt nur Unannehmlichkeiten mit sich, ich ahne es. Außerdem haben wir das Haus gerade voller Gäste, wenn er eintrifft –«

»Gäste?« Felizitas verhält den Schritt und blickt fragend zu der Tante hinüber

»Ja, Gäste.« Unter dem klaren Blick der Nichte wird sie unsicher, und sie spielt mit den Enden ihres Gürtels. »Schließlich handelt es sich um deinen einundzwanzigsten Geburtstag, und da müssen wir ein Fest geben.«

»Ich lege keinen Wert auf eine Feier. Für mich ist das ein Tag wie jeder andere. Und ich mag keine fremden Menschen um mich«, sagt sie schließlich mit bitterem Unterton. »Am liebsten bin ich allein –«

»Und da willst du dir einen fremden Menschen ins Haus laden?« wirft Johanna spöttisch ein.

Groß schlägt Felizitas die Augen zu der Tante auf.