Und Lieb wird ewig sein - Karin Bucha - E-Book

Und Lieb wird ewig sein E-Book

Karin Bucha

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Beschreibung

Karin Bucha ist eine der erfolgreichsten Volksschriftstellerinnen und hat sich mit ihren ergreifenden Schicksalsromanen in die Herzen von Millionen LeserInnen geschrieben. Dabei stand für diese großartige Schriftstellerin die Sehnsucht nach einer heilen Welt, nach Fürsorge, Kinderglück und Mutterliebe stets im Mittelpunkt. Karin Bucha Classic ist eine spannende, einfühlsame geschilderte Liebesromanserie, die in dieser Art ihresgleichen sucht. In rasender Passage lief der Bogen des Geigers über die Saiten und legte damit beredtes Zeugnis von der unerhörten Technik des Künstlers ab. Die Geige klagte und weinte und griff den Zuhörern ans Herz. In stolzer, freier Haltung stand Egon Heymar auf dem Podium des Konzertsaales. Den Kopf ein wenig zur Seite geneigt, ein Lächeln um den Mund, sich seiner und seines Könnens sehr bewußt – so spielte er sich in die Herzen der hingebungsvoll lauschenden Menschen hinein. Der letzte Geigenton schwang wie ein unendlich zarter Hauch aus. Und gleich einem Orkan brauste der Beifall durch den Saal. Egon Heymar wußte, er galt nicht allein seinem meisterhaften Spiel, nicht nur seinem Können – sondern ihm selber, dem Mann! Seine hohe, schlanke Gestalt neigte sich dankend; der schmale, rassige Künstlerkopf mit den dunklen, leidenschaftlichen Augen wandte sich nach allen Seiten des Parketts. Dann nickte er grüßend hinauf zu den Logen. Als würden ihn weiche, schöne Frauenhände liebkosen, so umschmeichelte ihn der Beifall der Menge, den er niemals missen mochte, den er brauchte wie die Luft zum Atmen. Das wußte auch die junge Frau, die in der Direktionsloge allein saß – seine, Egon Heymars Frau. Was würde sein, wenn Egon einmal nicht mehr der Liebling des Publikums war, wenn ihn der Beifall nicht mehr Tag für Tag umbrandete? Auch jetzt ging ihr wieder dieser Gedanke durch den Kopf, während sich ihre hellen, klaren Augen an seinem Gesicht festsogen. Ach, sie liebte ihn, liebte ihn mit der ganzen Kraft ihres reichen Herzens; und sie liebte ihn mit all seinen Fehlern und Schwächen. Ihre große Liebe ließ sie durchaus nicht blind gegen diese Fehler sein; sie entschuldigte sie nur immer wieder. All ihre guten Gedanken galten ihm; und ihre ganze Liebe offenbarte sich in ihren großen, seelenvollen Augen. Herrliche Augen besaß die junge Frau. Sie waren von einer seltsamen Leuchtkraft. Das strahlende Lächeln um Egon Heymars Mund vertiefte sich, als er jetzt zu ihr hinsah. Ihr Herz schlug rascher.

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Karin Bucha Classic – 54 –

Und Lieb wird ewig sein

Karin Bucha

In rasender Passage lief der Bogen des Geigers über die Saiten und legte damit beredtes Zeugnis von der unerhörten Technik des Künstlers ab. Die Geige klagte und weinte und griff den Zuhörern ans Herz.

In stolzer, freier Haltung stand Egon Heymar auf dem Podium des Konzertsaales. Den Kopf ein wenig zur Seite geneigt, ein Lächeln um den Mund, sich seiner und seines Könnens sehr bewußt – so spielte er sich in die Herzen der hingebungsvoll lauschenden Menschen hinein.

Der letzte Geigenton schwang wie ein unendlich zarter Hauch aus.

Und gleich einem Orkan brauste der Beifall durch den Saal. Egon Heymar wußte, er galt nicht allein seinem meisterhaften Spiel, nicht nur seinem Können – sondern ihm selber, dem Mann!

Seine hohe, schlanke Gestalt neigte sich dankend; der schmale, rassige Künstlerkopf mit den dunklen, leidenschaftlichen Augen wandte sich nach allen Seiten des Parketts. Dann nickte er grüßend hinauf zu den Logen.

Als würden ihn weiche, schöne Frauenhände liebkosen, so umschmeichelte ihn der Beifall der Menge, den er niemals missen mochte, den er brauchte wie die Luft zum Atmen.

Das wußte auch die junge Frau, die in der Direktionsloge allein saß – seine, Egon Heymars Frau. So sehr sein wundervolles Spiel sie auch stets in seinen Bann zog – niemals konnte sie eines quä­lenden Gedankens Herr werden:

Was würde sein, wenn Egon einmal nicht mehr der Liebling des Publikums war, wenn ihn der Beifall nicht mehr Tag für Tag umbrandete?

Auch jetzt ging ihr wieder dieser Gedanke durch den Kopf, während sich ihre hellen, klaren Augen an seinem Gesicht festsogen. Ach, sie liebte ihn, liebte ihn mit der ganzen Kraft ihres reichen Herzens; und sie liebte ihn mit all seinen Fehlern und Schwächen.

Ihre große Liebe ließ sie durchaus nicht blind gegen diese Fehler sein; sie entschuldigte sie nur immer wieder.

All ihre guten Gedanken galten ihm; und ihre ganze Liebe offenbarte sich in ihren großen, seelenvollen Augen.

Herrliche Augen besaß die junge Frau. Sie waren von einer seltsamen Leuchtkraft.

Das strahlende Lächeln um Egon Heymars Mund vertiefte sich, als er jetzt zu ihr hinsah.

Ihr Herz schlug rascher. Sie neigte etwas den Kopf und grüßte stumm durch einen lächelnden Blick. Dann lehnte sie sich tiefer in den Sessel und schloß die Augen.

Nun würde sie hier in der Loge warten – bis der Beifall gänzlich verstummt war und er Zeit für sie hatte.

Geduld, viel Geduld mußte sie haben, denn es dauerte oft lange, bis er zu ihr kam. Wenn er jedoch dann bei ihr war und sich über sie beugte, wenn seine dunklen Augen tief in die ihren blickten – dann schien es ihr, als sei nur eine Sekunde vergangen

Heute jedoch würde er sofort zu ihr kommen. Das hatte er ihr ganz fest versprochen. Denn heute war ja ihr einjähriger Hochzeitstag. Und den wollten sie allein für sich feiern – ohne Gäste.

Ein ganz klein wenig Schadenfreude empfand sie, daß sie gerade heute – nach diesem überwältigenden Erfolg – den Freunden und Bekannten einen Strich durch die Rechnung machen würden; denn die hatten bestimmt gehofft, von Egon und ihr zu einer Feier eingeladen zu werden.

Gabriele fühlte sich zu keinem von ihnen besonders hingezogen – außer zu Intendant Falkner und dessen Gattin. Sie konnte trotz aller Mühe, die sie sich gab, nicht warm in der Gesellschaft werden, die Egon um sich zu versammeln liebte.

Sie begann wieder zu zweifeln.

»Gabriele, kleine süße Frau, träumst du schon wieder?«

Sie fuhr zusammen. Ihr zartes Gesicht übergoß sich mit glühender Röte.

»Egon«, stammelte sie verwirrt, »so früh kommst du zu mir? So schnell hast du dich freimachen können?«

Dankbarkeit und Freude strahlten aus ihren Augen, und sie streckte ihm beide Hände entgegen, die er an seinen Mund zog.

Sein Blick glitt dabei über ihren Kopf hinweg nach dem Parkett. Dort standen einige Herren und die gefeierte Sängerin Marina Delmont. Unverwandt sahen die Augen der schönen Frau zu ihm herauf. Sein Gesicht nahm einen bedauernden Ausdruck an, als er sich jetzt wieder seiner jungen Frau zuneigte.

»Leider mußt du noch ein wenig auf mich warten, Gabriele.«

»Egon!« Erschrecken und Angst lagen in ihrem Ausruf. »Du hast ihnen doch keine Zusage gegeben, mit ihnen auszugehen?«

»Mach nicht so bange Augen, du kleiner Hasenfuß! Der heutige Abend gehört uns – uns allein. Nur«, er zögerte, richtete sich auf und sprach, in einen entschlossenen Ton verfallend, weiter:

»Ich habe noch eine kleine Besprechung mit einigen Herren. Da es sich um die morgige Probe zu ›Traumland‹ handelt, zu der der Komponist erscheinen wird, mußt du schon Rücksicht nehmen, nicht wahr? Die Unterredung wird außerdem nicht lange dauern.«

Gabriele ließ den Kopf sinken. Wo war die große Freude auf den heutigen Abend geblieben? Und warum klopfte das Herz plötzlich so sehr, daß es sie fast schmerzte?

Um sie aufzuheitern, fuhr er jetzt fort: »Wenn ich dir sage, Gabriele, daß auch Dr. Falkner bei der Besprechung anwesend ist, dann weißt du, daß sie sehr kurz sein wird. Falkner drängt stets auf Eile. – Und nun bist du ganz beruhigt – oder?«

Sie strich zart über seine Hand, die auf der Logenbrüstung lag. »Ja, wenn Dr. Falkner dabei ist – dann ist alles gut.«

Gabriele hing mit schwärmerischer Verehrung an dem Intendanten des Städtischen Opernhauses. Und auch sie war dem gütigen, älteren Mann und dessen Frau ans Herz gewachsen. Wie viele schöne Stunden hatte sie in dem Falknerschen Hause verlebt. Dort war alles heiter, sonnig.

Harmonie!

Weshalb mußte sie gerade jetzt daran denken?

Eine kleine Falte erschien auf ihrer Stirn.

Da hörte sie Egons Stimme. »Mach doch kein so finsteres Gesicht, Gabi, Liebstes. Freust du dich denn nicht über meinen Erfolg?«

Sie hob den Kopf und bemerkte, daß er schon ungeduldig zu werden begann.

»Von ganzem Herzen freue ich mich, Egon«, versicherte sie eifrig. »Du weißt doch, daß niemand so regen Anteil an deiner Arbeit nimmt wie ich. Ich will dir auch niemals hinderlich sein. Aber heute – gerade heute –«

»Herrgott, Gabriele«, unterbrach er sie aufbrausend und mühte sich dabei, seine Stimme leise zu halten. »Sei doch nicht immer so schwerfällig! Das kleine Opfer, eine Stunde zu warten, muß die Frau eines Künstlers mit lachendem Gesicht bringen. Aber dir steht es ja auf der Stirn geschrieben, wie wenig du dazu bereit bist.«

Das war der Ton, der ihr so weh tat und der sie ganz demütig werden ließ. Sie stand langsam auf.

»Ich bin schon wieder vernünftig, Egon. Verzeih mir. Ich hatte mich nur so sehr gefreut.«

Gabriele schaute noch einmal hinunter in das Parkett. In diesem Augenblick winkte Direktor Freudenberg zu ihr herauf. War sie nicht kindisch, war es nicht töricht von ihr, zu glauben, daß nur Marina Delmont auf Egon wartete? Warum eigentlich war sie gegen die berühmte Sängerin so mißtrauisch?

Egon Heymar, der des Direktors Gruß ebenfalls bemerkt hatte, nützte diesen geschickt für sich aus.

»Siehst du, Kind, Freudenberg dauert es zu lange. Er winkt mir schon zu. Ich bringe dich zum Wagen und komme spätestens in einer Stunde nach. Mach es zu Hause noch ein bißchen festlich. Es kann sein, ich bringe noch einen Kollegen mit.«

Sie preßte jetzt fest die Lippen zusammen, sonst hätte sie ihn daran erinnert, daß er ihr eben noch versprochen hatte, heute keine Gäste zu empfangen.

Eine große Niedergeschlagenheit bemächtigte sich ihrer. Sie wollte sich zu einem Lächeln zwingen; aber es blieb nur bei einem schwachen Versuch.

Egon bemerkte es. Zärtlich legte er den Arm um ihre schmalen Schultern.

»So ist es lieb von dir, kleine Frau. Du darfst nur lachen – keine Amtsmiene aufsetzen. Dazu bist du viel zu schön. Also bitte, zeig deine Kunst heute besonders. Ich will doch mit dir glänzen.«

Jetzt lächelte sie tatsächlich.

Meine Sorgen sind völlig unbegründet, wies sie sich zurecht. Egon wird mir den heutigen Abend nicht verderben!

Willig folgte sie ihm zum Wagen, ließ sich küssen und winkte ihm noch einmal zu. Dann ließ sie sich mit einem schwachen Seufzer in die Polster fallen.

Immer ging es ihr so: Nach jedem Konzert, dem sie beiwohnte, trat die Sehnsucht nach ihrem Heim doppelt stark an sie heran.

Sie war wieder ganz ruhig geworden, die kleine Gabriele. Sie gewöhnte sich auch an den Gedanken, heute doch noch eine kleine Gesellschaft im Haus zu haben. Ganz leise hoffte sie, daß man eine Möglichkeit finden würde, das Beisammensein nicht zu lange auszudehnen. Dann würde Egon ihr auch noch eine Stunde ganz allein gehören.

Eine Stunde? Er gehörte ihr ja immer! Ihr allein! Diese Gewißheit ließ sie ihre Enttäuschung restlos überwinden.

Leichtfüßig sprang sie aus dem Wagen, entlohnte den Fahrer und eilte ins Haus.

Zuerst schaute sie in die Küche. Dort wirtschaftete Rosel noch immer herum.

Rosel, die alte treue Seele! In ­Gabrieles Elternhaus war sie der Mutter schon zur Hand gegangen. Jahrzehntelang. Wie oft hatte sie das Baby Gabriele in den Schlaf gewiegt! An ihrer Seite hatte Gabriele die ersten Gehversuche getan. Beim ersten Schulgang war Rosel ihre Begleiterin gewesen. Später, als sich Freundinnen einstellten, hatte sie ihnen ein kleines Paradies voll Kinderseligkeit geschaffen. Und in Gabrieles Jungmädchenzeit – mit Tanzstunde und Ball, mit Einladungen und Besuchen, konnte keiner außer der Mutter sich über Gabrieles Anmut, über ihre bezaubernde Liebenswürdigkeit so selbstlos freuen wie Rosel.

Dann aber kam der Tag, an dem Egon Heymar in Gabrieles Leben trat. Oh, Rosel würde niemals die Stunde vergessen, in der sie den Geiger zum erstenmal sah. Damals war ein Erschrecken über sie gekommen, das sie sich nicht erklären konnte, denn das Benehmen des Künstlers war ausgesprochen liebenswürdig. Nein, sie hatte wirklich keine Ursache, ihm gegenüber ablehnend zu sein. Aber manchen Äußerungen der Mutter glaubte sie entnehmen zu können, daß auch sie mit Gabrieles Wahl nicht restlos einverstanden war.

Es war zwei Tage vor der Hochzeit gewesen. Da trat sie eines Tages zu Frau Sophie ins Wohnzimmer. Ihrem geröteten Gesicht und ihren unruhigen Augen war anzusehen, daß sie irgend etwas stark beschäftigte.

»Ich möchte Sie etwas fragen, gnädige Frau«, sagte sie ohne Umschweife und so schnell, wie sie sonst niemals sprach.

»Nun frag schon, Rosel.«

»Was mit dem Kind werden soll, möcht’ ich wissen?«

Frau Sophie lächelte. »Gabriele heiratet – was gibt es da weiter zu fragen.«

»Sie heiratet! Eben! Aber man kann sie doch nicht allein lassen!«

»Aber Rosel, sie ist nicht allein. Sie hat ihren Mann.«

Die gute Alte holte tief Luft. Und dann sagte sie etwas, was Frau Sophie sich oft selbst schon gesagt hatte. »Man kann auch dann sehr allein sein, wenn man einen Mann hat, gnädige Frau.«

»Und?«

Rosel seufzte schwer auf. »Ich glaube, es muß jemand auf das Kind aufpassen«, rang sie sich mühsam ab.

Frau Sophie lächelte immer noch, aber jetzt lag ein leiser Schmerz darin. »Du meinst, daß du…«

»Ja, das meine ich! Ich will mit ihr gehen, gnädige Frau. Auf mich können Sie sich verlassen. Kochen und die Wohnung sauberhalten, das kann jede andere Frau auch, dafür finden Sie leicht jemanden! Aber auf das Kind aufpassen, das kann wohl am besten ich.«

Und so war es gekommen, daß Rosel mit in das Heim der jungen Leute übersiedelte. Zu Gabrieles größter Freude – zu ihres Mannes Ärger. Der mochte die alte Frau nicht. Sie war ihm unbequem. Rosel scherte sich nicht darum.

Als Gabriele plötzlich in der Tür stand, blickte Rosel auf und sah sie forschend an. Nanu, da stimmte doch etwas nicht!

»Ich habe alles vorbereitet, gnädige Frau. Ich habe in Ihrem Salon gedeckt.«

Gabriele schüttelte den Kopf. »Wir müssen noch vier weitere Gedecke auflegen, wir erwarten Gäste. Mein Mann kommt mit ihnen etwas später nach Haus.«

Rosel bemühte sich, eine gleichgültige Miene zu zeigen.

»Da möchte ich doch schnell den Tisch im Speisezimmer decken. So etwas, Gäste, und Sie wollten heut’ allein sein!«

Sie verschwand mit Gabrieles Abendmantel. Es war ihr wie ein Stich ins Herz gegangen: Rosels Aufmerksamkeit war es also nicht verborgen geblieben, daß zwischen ihr und Egon heute eine Mißstimmung entstanden war.

In Gabrieles Salon hatte die alte treue Seele einen entzückenden Tisch für zwei Personen gerichtet. Eine Stehlampe warf ihr warmes Licht nur auf den festlich geschmückten Tisch. Der übrige Raum lag im Halbdunkel. Anheimelnd warm war das ganze Zimmer.

Liebkosend fuhr Gabrieles Hand über die zartgetönten Blüten, die

Rosel über das Tischtuch verstreut hatte.

Diese hantierte inzwischen mit dem Geschirr. Aus ihren hastigen Bewegungen erkannte man, daß sie durchaus nicht damit einverstanden war, ihr schönes Programm über den Haufen geworfen zu sehen. Und sie verstand es, in der Seele der jungen Frau wie in einem offenen Buch zu lesen.

Wo mochte der Herr heute nur wieder sein?

Rosel seufzte so tief auf, daß Gabrie­le lachte.

»Aber, Rosel, was war denn das? Das klang ja steinerweichend!«

Rosel fuhr zusammen, als habe man sie auf Abwegen ertappt. Aber sie lachte nicht wie sonst mit, sondern brummte nur vor sich hin:

»’s ist doch wahr!«

Gabriele schmiegte ihr blühendes Gesicht an das der Alten.

»Was ist wahr?«

»Ich meinte – heute hätte man Sie wirklich einmal allein lassen können.«

Gabriele ließ die Arme sinken. Mit wiegenden Schritten durchquerte sie das Zimmer und ließ sich in einem Sessel nieder.

»Es weiß doch niemand, was heute bei uns los ist, Rosel. Und man hat doch Verpflichtungen, die man nicht einfach von sich weisen kann, so gern man es auch möchte«, sagte sie, um ihren Mann in Schutz zu nehmen. Ihre Stimme aber klang gequält.

Rosel hätte sich ohrfeigen können. Statt sich einmal auf die Zunge zu beißen, hatte sie doch wieder durch ihre Worte die Herrin an einer verwundbaren Stelle getroffen. Sie versuchte, wiedergutzumachen, was sie eben angerichtet hatte.

»Freilich, freilich, gnädige Frau. Ich red’ nur grad’ so daher wie der Blinde von der Farbe. Da unser gnädiger Herr doch so berühmt geworden ist, kann man sich natürlich nicht mehr einpuppen.«

Sie warf noch einen Blick auf den gedeckten Tisch und war anscheinend mit ihrem Werk zufrieden.

»So, gnädige Frau, schön sieht er aus. Unsere Gäste werden sich wohl fühlen. Wir haben uns alle Mühe gegeben.«

»Schön, Rosel, sehr schön. Übrigens, du kannst dich jetzt schlafen legen. Es wird doch heute wieder sehr spät werden, und du mußt ja jeden Morgen so zeitig auf den Beinen

sein.«

Entrüstet wies Rosel dieses Ansinnen zurück. Das wäre ja noch schöner, wenn sie ihren Liebling allein lassen würde! Brummend zog sie sich in die Küche zurück.

Gabriele ging hinüber ins Schlafzimmer und machte sich etwas zurecht. Dann suchte sie ihren Salon auf. Von hier aus konnte sie die Stiluhr mit dem schöngeschwungenen Gehäuse sehen.

Vor mehr als einer Stunde hatte sie das Haus betreten. Und Egon war noch nicht da!

Jeden Augenblick mußte er nun kommen. Wen mochte er als Gäste mitbringen?

Sie trat ans Fenster. Es schneite. Große Flocken segelten vom Himmel herab, lösten sich aber schon im Fluge auf und bedeckten die Wege mit häßlichem grauem Naß. Ein Wind hatte sich erhoben, die schlanken Bäume im Garten bogen sich leicht zur Seite.

Sie öffnete einen Fensterflügel, schloß ihn aber sofort wieder, denn die scharfe, feuchte Luft nahm ihr im Augenblick den Atem.

Sie schauderte zusammen und ging in die Kaminecke, legte einige Scheite nach, setzte sich davor und träumte in das offene Feuer hinein.

Doch schon nach wenigen Minuten erhob sie sich unruhig.

Wo Egon nur blieb?

Eine weitere halbe Stunde war vergangen. Gabrieles Nervosität steigerte sich.

Da – ein schrilles Läuten!

Gabriele war, als versagten ihr die Füße den Dienst. Sie konnte sich nicht vom Fleck rühren. – Jetzt war Rosel an der Tür, Gabriele hörte ihre brummende Stimme: »Na, das ist ja auch keine Freude für Sie, so bei Nacht und Nebel herumzulaufen! Ich dank’ auch schön.«

Aus angstvoll geweiteten Augen sah Gabriele der Alten entgegen, als diese ins Zimmer trat.

»Ein Eilbrief, gnädige Frau.«

Mechanisch griff Gabriele nach dem Brief. Sie warf einen Blick darauf. Und in ihr Gesicht kehrte sofort die Farbe zurück.

»Von der Mutter, Rosel.«

»Na, dann ist’s ja gut«, antwortete die alte Frau und macht Anstalten zu gehen.

»Bleib«, bat Gabriele. »Du sollst hören, was sie schreibt.«

Mit leiser Stimme las sie Rosel und sich selber die Zeilen vor.

Mein geliebtes Kind!

Wenn Du das Glück gefunden hast, das Du Dir vor einem Jahr erträumtest, dann bin auch ich wieder glücklich. Wenn es aber nicht so zu Dir gekommen sein sollte, wie Du es Dir ersehnt hast, so nimm Dein Herz fest in beide Hände, mein Kind, und laß Dir sagen, die Sonne scheint uns stets – wenn wir die Kraft haben, sie uns selber vom Himmel herunterzuholen. Daran denke immer, meine geliebte Gabriele. – Es küßt Dich in inniger Liebe

Deine Mutter.

Gabriele ließ das Blatt sinken. Ihre Augen waren tränenfeucht.

Rosel strich ihr zart übers Haar. »Sie hat so recht mit dem, was sie von der Sonne und unserer Kraft sagt.«

Gabriele faltete das Schreiben wieder zusammen und steckte es in den Umschlag zurück. Dann stand sie auf und legte ihn auf den Schreibtisch.

Ihre Stimme klang heiser vor unterdrückten Tränen. »Aber es ist schwer, Rosel, sich die Sonne vom Himmel zu holen, wenn sehr viel Wolken dort oben stehen.« Sie richtete sich plötzlich auf, ihre Gestalt streckte sich. »Und ich will’s doch versuchen, wenn es einmal notwendig werden sollte! Komm, laß mich jetzt ein wenig allein.«

Der Brief der Mutter hatte einen wohltuenden Einfluß auf sie ausgeübt. Gabriele war wirklich etwas ruhiger geworden. Sie nahm ein Buch und setzte sich von neuem in die Kaminecke.

Es war kurz vor zwölf Uhr, als das Telefon läutete.

Jetzt wird Egon mir sagen, daß er in wenigen Minuten mit den Gästen hier sein wird, sagte sie sich und ging an den Apparat. Sie war sicher und ruhig; es konnte gar nicht anders sein, als daß Egon sie anrief.

Rosel steckte den Kopf zur Küchentür heraus.

In der stillen Wohnung, in der nur das Ticken der Uhren zu hören war, konnte man den Sprecher deutlich verstehen.

»Gnädige Frau, ich möchte gern Ihren Gatten sprechen. Entschuldigen Sie die nächtliche Störung, aber es ist dringend. Es handelt sich um die morgige Probe.«

»Herr – Direktor Freudenberg?« fragte Gabriele langsam mit schwerer Zunge.

»Verzeihen Sie, ich vergaß mich zu melden. Stimmt – Freudenberg. – Ja, also kann ich Ihren Gatten sprechen?«

»Mein – Mann – ist noch nicht zurück.«

»Aber er ist doch vor einer Stunde mit mir vom Ratskeller aufgebrochen?« Aus Freudenbergs Stimme war deutlich die Verwunderung herauszuhören.

»Wahrscheinlich hat er unterwegs noch etwas mit Dr. Falkner zu besprechen gehabt«, antwortete Gabriele mühsam.

»Mit Falkner – ausgeschlossen. Nein, gnädige Frau, der Herr Intendant ist gestern mittag nach Berlin geflogen. Er kann erst morgen früh zurück sein. Wußten Sie das denn nicht?«

Gabriele strich sich über die Stirn.

»Bitte richten Sie Ihrem Gatten aus, wir hätten die Probe auf zehn Uhr verlegt.«

»Ja, ich sage es ihm.« Sie legte den Hörer auf die Gabel zurück.

Bevor sie sich umwandte, hatte Rosel die Küchentür schon wieder hinter sich zugemacht.

Mit schleppenden Schritten ging Gabriele ins Zimmer zurück. Sie taumelte fast in den Sessel.

Egon hatte sie belogen. Falkner war nicht bei der Besprechung gewesen! Warum hatte Egon ihr nicht die Wahrheit gesagt, warum?

Die Stille lastete auf ihr mit drückender Schwere. Das wehe Gefühl, belogen worden zu sein, schwand jetzt langsam, aber es machte nun den entsetzlichsten Vorstellungen Platz.

Warum kam Egon nicht?

Rosel schaute zu ihr herein, warf einen mitfühlenden Blick auf sie und einen verärgerten auf die Tafel. Dann zog sie sich schweigend zurück.

Armes, liebes Hascherl, dachte sie, sorgt sich halbtot, und wer weiß, wo der saubere Herr sich derweilen amüsiert!

Gabriele litt es nur Sekunden in ihrem Sessel. Wieder irrte sie von einem Zimmer zum anderen; aber die innere Unrast konnte sie dadurch nicht betäuben.

Unaufhaltsam verrann die Zeit.

Gabriele schlug die Hände vor das Gesicht. Sie konnte das Wandern der Zeiger nicht mehr sehen.

Zwölf schwingende Schläge hallten durch die Wohnung.

Mitternacht!

Gabriele verlor den Rest ihrer Selbstbeherrschung. Sie flog am ganzen Körper und konnte den Tränen nicht mehr Einhalt gebieten. Sie strömten ihr über das blasse Gesicht.

»Egon, Egon«, flüsterte sie vor sich hin.

Plötzlich stand sie reglos still. Ein schrecklicher Gedanke peinigte sie.

Wie – wenn Egon verunglückt war? Vielleicht irgendwo, hilflos und von Schmerzen geplagt, sich selbst überlassen blieb?

Nein, nein! Das darf nicht sein! Lieber Gott, das kannst du nicht wollen!

Wie gehetzt lief sie in die Küche zu Rosel und lehnte sich dort schwer atmend gegen die Tür.

»Rosel, es ist bestimmt ein Unglück geschehen! Ich fühle es!« stieß sie mit bebenden Lippen hervor. »Ich muß anrufen – jetzt gleich! Sofort! Ich halte diese entsetzliche Unruhe nicht mehr aus!«

Rosel fühlte, daß Gabrieles Nerven versagten. Sie führte die Zitternde zum Sessel in der Kaminecke und holte dann schnell eine Decke herbei, als die junge Frau von einem Schüttelfrost befallen wurde.

»So, gnädige Frau, wenn Sie auch nicht schlafen können, so versuchen Sie wenigstens ein paar Minuten zu ruhen. Ich werde inzwischen telefonieren.«

Gabriele lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück. Ihre Hände hielt sie krampfhaft im Schoß verschlungen.

Rosels Bemühungen waren ohne Erfolg. Sie versuchte mehrmals, die Konzertdirektion zu erreichen, aber dort meldete sich niemand. Im Opernhaus, das sie dann anrief, war nur der Hausmeister zu sprechen. Er sagte ihr, daß sich außer ihm niemand mehr im Haus befände. Schließlich fiel ihr ein, noch einmal den Ratskeller anzurufen. Vielleicht war noch einer von Heymars Freunden dort und konnte Auskunft geben. Sichtlicht erleichtert legte sie bald darauf den Hörer zurück. So schnell sie konnte, eilte sie zu Gabriele.

»Gnädige Frau, da haben wir es! Der gnädige Herr ist vor einer Stunde mit Direktor Freudenberg…«

»… aus dem Ratskeller gegangen«, Gabrieles Stimme war nur noch ein Hauch.

»Ja, ja, das stimmt schon. Aber er ist zurückgekommen und sitzt noch mit den anderen Herren dort. Sie haben aber bereits gezahlt und wollen in wenigen Minuten aufbrechen. Der Wagen ist schon bestellt.«

In Gabrieles Gesicht kehrte ein zartes Rot zurück.

»Gott sei Dank, Rosel. Nun brauche ich mir wirklich keine Sorgen mehr zu machen. Und du kannst endlich schlafen gehen.«

»Bewahre, gnädige Frau. Wir bekommen doch jetzt noch Arbeit. Da kenne ich keine Müdigkeit.«

Obwohl Gabriele protestierte, wickelte Rosel sie noch einmal fest in die Decke, legte einige Scheite in den Kamin und verließ das Zimmer.

Wohltuend und voll Dankbarkeit empfand Gabriele die Fürsorge der alten Frau. Sie war jetzt ganz ruhig geworden. Wie hatte sie sich nur so ängstigen können?

Und nun eilten ihre Gedanken in die Vergangenheit zurück. Ein Jahr war seit dem Tag vergangen, da sie als junge Frau Einzug in dieses Haus gehalten hatte. Nur ein Schatten lag damals auf ihrem Glück: der geliebte Vater hatte diesen Tag nicht mehr erleben dürfen.

Zuerst war Gabriele freilich auch darüber bedrückt gewesen, daß die Mutter Egon kein wärmendes Gefühl entgegenbringen konnte. Aber im Laufe der Monate hatte sich das wohl geändert.

Gabriele ahnte nicht, daß die Abneigung der Mutter gegen den Schwiegersohn noch immer bestand. Aber um Gabriele nicht weh zu tun, ließ sie sie es niemals mehr spüren.

Als Egon erfuhr, daß Gabrieles kleines Vermögen bis zum Tage ihrer Volljährigkeit festgelegt war, hatte er wütend die Mutter dafür verantwortlich gemacht und häßliche Schmähworte nicht gescheut.

Verängstigt und verschüchtert hatte Gabriele ihn damals angesehen, als ob ihr plötzlich ein ganz anderer Mensch gegenüberstünde. Da war er zur Besinnung gekommen und hatte schmeichelnd um Verzeihung gebeten. Nur ihretwegen, so behauptete er, waren ihm die harten Worte über die Lippen gekommen. Und um den häßlichen Eindruck zu verwischen, hatte er sie in scherzhaftem Ton beruhigt:

»Dann werden wir uns eben zunächst einschränken müssen, Liebling. Mit meinem kleinen Gehalt können wir keine großen Sprünge machen. Das wird aber anders werden, sobald ich erst berühmt bin.«

Sie hatte tapfer zu ihm aufgelächelt und war rasch wieder versöhnt gewesen.

Den Erinnerungen an das verflossene Jahr nachhängend, sah Gabriele sich jetzt im Zimmer um.

Die schönsten Stunden hatten sie hier vor dem Kamin verbracht. Wie oft hatte sie Egon stumm gegenübergesessen, den Kopf in die Hand gestützt und in Zukunftsträume eingesponnen – während er erzählte. Wunschlos glücklich war sie dann gewesen. Nur eines hatte ihr dabei an ihm nicht gefallen: er hatte zuviel von Ruhm und Beifall gesprochen.