Seelenkämpfe um Eva - Karin Bucha - E-Book

Seelenkämpfe um Eva E-Book

Karin Bucha

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Beschreibung

Karin Bucha ist eine der erfolgreichsten Volksschriftstellerinnen und hat sich mit ihren ergreifenden Schicksalsromanen in die Herzen von Millionen LeserInnen geschrieben. Dabei stand für diese großartige Schriftstellerin die Sehnsucht nach einer heilen Welt, nach Fürsorge, Kinderglück und Mutterliebe stets im Mittelpunkt. Karin Bucha Classic ist eine spannende, einfühlsame geschilderte Liebesromanserie, die in dieser Art ihresgleichen sucht. Geräuschlos schritt die Nonne zu dem Altar hin, beugte sich nieder zu der hier Knienden, tief ergriffen von dem Schmerz, den ihre Haltung und ihr Antlitz in gleicher Weise kundtaten. »Komtesse – Ihre Mutter ist soeben eingetroffen.« Die Frau erhob sich seufzend, warf sich, wie Schutz suchend, an die Brust der Nonne. »Ist man gekommen, um mir mein Kind wegzunehmen?« Nach einer kleinen Weile löste sie sich aus den Armen der Schwester. »Schwester Verena, gibt es eine Macht auf Erden, die befugt ist, Mutter und Kind voneinanderzureißen?« fragte Irmingard von Dronthem-Ghilen die vor ihr Stehende flehend. Tiefes Mitgefühl mit diesem unglücklichen, beinahe noch kindlichen Geschöpf trieb der Nonne Tränen in die Augen. Liebevoll strich ihre schlanke weiße Hand die Locken aus der Stirn der Komteß, zog die krampfhaft Schluchzende an ihre Brust und begann, mütterlich auf sie einzusprechen. »Komteß Irmingard! Kind! Beruhige dich, du wirst mir sonst krank! – Komm! Du weißt, deine Mutter wird leicht ungeduldig.« Ein trauriges Lachen kam von den Lippen Irmingards. »Ach, krank! Was tut das schon! Was gilt mir das Leben ohne mein Kind!« Mit einer heftigen Bewegung riß sie sich los, eilte hin zu dem Altar und warf sich erneut auf dessen Stufen nieder. »Mutter Maria!

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Karin Bucha Classic – 57 –

Seelenkämpfe um Eva

Karin Bucha

Geräuschlos schritt die Nonne zu dem Altar hin, beugte sich nieder zu der hier Knienden, tief ergriffen von dem Schmerz, den ihre Haltung und ihr Antlitz in gleicher Weise kundtaten.

»Komtesse – Ihre Mutter ist soeben eingetroffen.«

Die Frau erhob sich seufzend, warf sich, wie Schutz suchend, an die Brust der Nonne.

»Ist man gekommen, um mir mein Kind wegzunehmen?«

Nach einer kleinen Weile löste sie sich aus den Armen der Schwester.

»Schwester Verena, gibt es eine Macht auf Erden, die befugt ist, Mutter und Kind voneinanderzureißen?« fragte Irmingard von Dronthem-Ghilen die vor ihr Stehende flehend.

Tiefes Mitgefühl mit diesem unglücklichen, beinahe noch kindlichen Geschöpf trieb der Nonne Tränen in die Augen. Liebevoll strich ihre schlanke weiße Hand die Locken aus der Stirn der Komteß, zog die krampfhaft Schluchzende an ihre Brust und begann, mütterlich auf sie einzusprechen.

»Komteß Irmingard! Kind! Beruhige dich, du wirst mir sonst krank! – Komm! Du weißt, deine Mutter wird leicht ungeduldig.«

Ein trauriges Lachen kam von den Lippen Irmingards. »Ach, krank! Was tut das schon! Was gilt mir das Leben ohne mein Kind!«

Mit einer heftigen Bewegung riß sie sich los, eilte hin zu dem Altar und warf sich erneut auf dessen Stufen nieder. »Mutter Maria! War meine Sünde wirklich so groß, daß man mich so grausam straft? Erhalte mir mein süßes, kleines Mädelchen!« Erschöpft sank die junge Frau zusammen.

Im Nu eilte Schwester Verena herbei. Liebevoll hob sie die Schmerzgebeugte empor und begann, auf sie einzusprechen.

»Irmingard«, flüsterte sie, »wie gern würde ich dir helfen! Aber dem Befehl der Frau Gräfin darf sich niemand widersetzen, selbst wenn…« Sie verstummte jäh. Erschrocken über das, was sich über ihre Lippen hatte drängen wollen. Schweigend wandte sie sich ab.

Erneut schrie da die Komteß auf. »Helft mir, Verena! Laßt mich irgendwo in der Verborgenheit mit meinem Kind leben! – Gern will ich arbeiten, um mit meinem Töchterchen das Leben zu fristen! Nur – laßt mir mein Kind!«

Ratlos stand Schwester Verena da. Wie gern hätte sie geholfen, doch sie mußte ausführen, was man ihr befohlen. Sie gab sich einen Ruck.

»Komteß«, sie bediente sich jetzt der förmlichen Anrede, »ich muß Sie dringend bitten, mir zu folgen, sonst könnte uns der Zorn der Frau Äbtissin treffen.« Sie atmete auf, als sie es ausgesprochen hatte.

Irmingard fühlte sich wie gelähmt. Worauf sie eben noch gehofft hatte, brach jäh zusammen. Einen letzten verzweifelten Blick warf sie auf das Muttergottesbild. Dann ließ sie sich aus der Kapelle führen.

Vor einer hohen Eisentür machten sie halt.

Liebevoll streichelte Schwester Verena der jungen Komteß die bleichen Wangen und flüsterte ihr zu: »Fasse dich, Kind! Vergiß nicht, daß es deine Mutter ist, die auf dich wartet. Vielleicht…«

Ohne den Satz zu vollenden, schob sie das junge Mädchen durch die Tür.

Neue Hoffnung belebte Irmingard. Sich zusammennehmend, betrat sie den Raum, schritt auf die Mutter zu und führte deren Hand an die Lippen.

Jetzt nahm die Gräfin das Wort. Wie hart ihre Stimme das Ohr traf!

»Meine Tochter, viel Zeit verging, bis du meinem Ruf folgtest.«

»Verzeih, Mutter! Ich betete in der Kapelle!«

Gräfin Dronthem-Ghilens Stimme klang jetzt freundlicher. »Ich nehme an, daß du ein Dankgebet zum Herrn erhoben hast, daß alles sich zum Guten wenden wird, zu deinem Glück.«

Mit einem Freudenlaut ergriff Irmingard die Hand der Mutter. »So darf ich mein Kind behalten?«

Doch hastig entzog die Mutter ihre Hand. »Hast du vergessen, daß du dich heute von deinem Kind trennen mußt?«

»Mutter!« Irmingard warf sich zu der Gräfin Füßen nieder, umfaßte deren Knie. »Ich werde wahnsinnig bei dem Gedanken daran!«

»Eine Komteß Dronthem-Ghilen sollte sich zu beherrschen wissen! Steh auf!« Kalt und streng klang es.

»Beherrschen, Mutter?!« rief Irmingard außer sich. »Ich kann mich nicht beherrschen, wenn man mir das Herz aus der Brust reißt! Du bist doch meine Mutter! Habe doch Erbarmen mit mir! Erbarmen mit dem Kind!«

»Genug!« Die Stirn der Gräfin legte sich in drohende Falten. »Du weißt, was der Familienrat beschlossen hat. Lasse es mich wiederholen: Man ist bereit, die Schande zu vergessen, die du auf unseren Namen gehäuft hast, sofern du dich bereit erklärst, die Hand des Grafen Bardenhooven anzunehmen. Die Vermählung wird schnellstens erfolgen, und bis dahin wirst du in der Obhut der Weißen Schwestern bleiben.« Sie hielt einen Augenblick inne und schien auf eine Entgegnung zu warten. Da diese ausblieb, fuhr sie fort: »Ich erwarte, daß du dich allem fügst und keinen Widerstand leistest. Wenn doch, werden wir Mittel und Wege finden, diesen zu brechen.«

Jedes Wort traf die junge Mutter wie ein Peitschenhieb.

Schande! Dieses furchtbare Wort wollte sich nicht aus Irmingards Ohr verlieren.

»Schande!« Mit einer ihr ungewohnten Heftigkeit stieß sie es heraus. »Schande nenne ich etwas anderes!« Fester und fester wurde ihre Stimme – »Ich leugne nicht, daß mein Kind ein Kind der Liebe ist, und ich schäme mich dieses Umstandes nicht. Und daß der, dem mein ganzes Herz gehört, mir seinen Namen nicht zu geben vermag, das ist…«, sie zögerte einen Augenblick, »das ist Schicksal!«

Die Mutter glaubte, ihren Ohren nicht trauen zu sollen. Noch niemals hatte die Tochter es gewagt, so zu ihr zu sprechen.

»Oh, Fluch über euch und euren Adelsstolz!« fuhr Irmingard fort, und ihre Augen blitzten. »Erbarmungslos schreitet ihr über blutende Menschenherzen hinweg, wenn es gilt, das zu wahren, was euch mehr bedeutet als alles andere – den Schein!«

Irmingard schwieg, überwältigt von der eigenen Erregung. Sie täuschte sich jedoch, wenn sie geglaubt hatte, das Herz der Mutter zu rühren.

Regungslos stand diese da.

Unfähig, die Stille länger zu ertragen, schrie Irmingard leidenschaftlich auf: »Meinethalben verstoßt mich! Ich bin bereit, den Namen Dronthem-Ghilen abzulegen, damit nichts daran erinnert, daß ich eures Blutes bin! Warten will ich, geduldig warten, bis der Augenblick kommt, da der Vater meines Kindes mich als seine Frau heimzuführen vermag. Nur trennt mich nicht von meinem Kind!« Sie suchte die Rechte der Mutter zu erhaschen.

Ihre Absicht erkennend, legte die Gräfin die Hände auf den Rücken.

»Törichtes Kind! Meinst du wirklich, dieses mir verhaßte Kind und dessen Vater bedeuten für dich ein Glück?«

»Mutter«, Irmingard war außer sich, »hör auf! Ich ertrage es nicht, daß du so lieblos von meinem Kind und dessen Vater sprichst!« Mit bebenden Händen tastete sie nach ihren brennenden Schläfen.

Die Gräfin zuckte zusammen.

»Genug!« Sie warf einen Blick auf ihre mit Brillanten besetzte Uhr, »beenden wir diese Unterredung! Höre aber mein letztes Wort: Du hast dich bedingungslos dem zu unterwerfen, was der Familienrat beschlossen hat! Immerhin: ein Letztes sei dir zugestanden, und daran magst du erkennen, daß ich trotz allem nicht vergessen habe, daß ich deine Mutter bin – es sei dir gestattet, von deinem Kind Abschied zu nehmen.«

Sie wandte sich der Äbtissin zu, worauf diese auf den Knopf des Läutewerkes drückte.

Kaum, daß sie es getan, öffnete sich die Tür, und Schwester Verena erschien, ein weißes Bündel in den Armen haltend.

Mit einem freudigen Ausruf flog Irmingard der Nonne entgegen, entriß ihr das Bündel, preßte es fest an ihr Herz und bedeckte das Antlitz ihres Kindes mit unzähligen Küssen. Vergessen hatte sie alles um sich her.

Allmählich fand Irmingard zurück zu sich selbst. Ihr Töchterchen fest an die Brust pressend, sagte sie: »Mutter, ich fühle mich außerstande zu tun, was ihr von mir verlangt. Mein Kind bleibt bei mir! Wahrhaftig, Grausameres konntet ihr nicht ersinnen, um mich eurem Willen gefügig zu machen! Möge es euch niemals gereuen, so erbarmungslos mit mir verfahren zu sein, möge…« Sie begann zu schwanken.

Schnell sprang Schwester Verena hinzu, sonst wäre das Kind Irmingards Händen entglitten.

Eine wohltuende Ohnmacht nahm dieser jedes weitere qualvolle Denken.

*

Achtzehn Jahre waren seitdem vergangen.

Inmitten eines alten Parkes in dem Studentenstädtchen Hainberg lag die prächtige Villa des Grafen Bardenhooven.

An einem der hohen Fenster lehnte eine schlanke Frauengestalt. Sie träumte in die junge Maisonne.

Ihre Brust hob sich in tiefen Atemzügen. Angesichts der Feierlichkeit, in der die Natur sich aufzulösen schien, verstummte all ihr Leid. Nichts als ein sehnendes Herz blieb, das in die Stille des Morgens hineinträumte.

Vom See herauf drangen acht helle Schläge, und Gräfin Irmingard schrak zusammen. Schon eine Stunde hatte sie verträumt, und um, acht Uhr wurde das Frühstück eingenommen.

Schnell wandte sie sich der Terrasse zu, wo bereits der Frühstückstisch gedeckt war und der Diener anrichtete.

Graf Jochen, eine schlanke, gepflegte Erscheinung, trat ihr erregt entgegen. Man konnte ihn mit seinem reichlich verlebten, schmalen Gesicht gut für fünfzig Jahre halten.

»Irmingard, ich finde es rücksichtslos von dir, mich zehn Minuten warten zu lassen!«

Gräfin Irmingard unterdrückte eine heftige Erwiderung. Sie wußte genau, die leiseste Widerrede konnte ihn in Wut versetzen. So antwortete sie nur sanft: »Entschuldige, Jochen, ich habe die Zeit verträumt, und außerdem wähnte ich dich noch schlafend.«

Graf Jochen ließ sich am Tisch nieder, mit einem Brummen, das wie »Appetit verdorben« klang, und gab dem Diener einen Wink, aufzutragen.

Während Gräfin Irmingard einige Bissen hinunterzwang, aß Graf Jochen mit gutem Appetit, entgegen seiner eben geäußerten Feststellung. Er streifte dabei mit einem Blick seine Gattin. Ungeachtet des Dieners platzte er los: »Ich bitte dich, Irmingard, wie oft habe ich dich schon gebeten, nicht in diesem Aufzug zu erscheinen! Schließlich bist du doch keine x-beliebige Operettendiva!«

Die taktlosen Bemerkungen Graf Jochens trieben Gräfin Irmingard die Tränen in die Augen; sie schämte sich für ihren Gatten vor dem alten Diener, der sofort die Terrasse verließ.

Arme, arme Gräfin, dachte er. Was für eine Szene wird das wohl wieder geben!

Doch so schlimm sollte es diesmal nicht kommen. Graf Jochen sah, wie Röte und Blässe auf dem Antlitz seiner Frau wechselten und lenkte ein.

»Mach nur nicht ein so trauriges Gesicht; du kannst dich doch auch wirklich ein wenig nach mir richten!«

Ein bitteres Lächeln grub sich um Gräfin Irmingards Mund. Und ergeben, mit ein wenig Ungeduld, antwortete sie: »Ja, ja! Ich werde mich für die Zukunft nach deinem Wunsch richten; doch bitte, Jochen, nicht im Beisein des Dieners so unvorsichtig sein. Derartige Äußerungen heben das Ansehen der Gräfin Bardenhooven nicht besonders.«

Graf Jochen trat an die Brüstung der Terrasse. Seine langen, unruhigen Hände entzündeten eine Zigarette, und anzüglich warf er über die Schulter zurück: »Ich deinem Ansehen zu nahe treten? Ich glaube, du könntest von Glück reden, dich Gräfin Bardenhooven nennen zu dürfen!«

Unter gesenkten Augenlidern beobachtete er die Wirkung seiner Worte und konnte vollauf zufrieden sein; denn Gräfin Irmingard, die sich erregt erheben wollte, fiel erblassend in ihren Sessel zurück. – Da war sie wieder, die Anspielung auf ihre Vergangenheit!

Die Bitterkeit unterdrückend, sagte sie leise: »Jochen, müssen wir uns immer mißverstehen? Und heute, ich – ich wollte dich um einiges bitten.«

Ein teuflisches Lächeln lief über sein Gesicht. Doch gleichgültig fragte er: »Das wäre?«

Gräfin Irmingard spielte eine Weile mit den Bändern ihres Morgenkleides, bevor sie sich zu einer Antwort entschloß.

»Jochen, ich halte dieses Warten nicht mehr aus! Hast du einen endgültigen Bescheid erhalten von – von –?« brach es aus ihr heraus.

Graf Jochen setzte sich ihr gegenüber. »Tja, bei solchen Angelegenheiten muß man sich in Geduld fassen. Das, was du zu hören wünschst, kann ich dir leider nicht mitteilen. Die Spuren, die mein Beauftragter verfolgt, machen eine weite Reise nötig. Wenn du das Geld opfern willst?«

Mit einem Laut der Überraschung richtete sich Gräfin Irmingard in die Höhe. »Alles, alles lege ich willig in deine Hände! Nur einmal eine gute Nachricht erhalten! Bedenke, achtzehn Jahre währt dieser Kampf!«

»Willst du damit sagen, daß ich mich nicht genügend dieser Angelegenheit angenommen habe?

»Nein! Nein!« Es war ein einziger gequälter Schrei. »Herrgott, sei nur nicht gleich so aufbrausend. Verstehst du denn nicht, daß ich mich unsagbar danach sehne, mein Kind in die Arme schließen zu können? Wie oft gaukeln mir die Träume die entsetzlichsten Bilder vor! Während wir in Wohlstand leben…« Den Rest ihrer Worte verschlang ein Schluchzen, das den zarten Körper schüttelte.

Graf Jochen schaute gelangweilt auf sie. Obwohl er wirklich nicht das geringste Interesse daran hatte, daß sie jemals ihr Kind wiederfand, ließ er es in Abständen zu solchen Ausbrüchen kommen und benutzte sie als Druckmittel, Unsummen aus ihr herauszuholen.

Und sie gab mit vollen Händen, nur von dem einen Gedanken getrieben: bald würde die Leidenszeit vorüber sein und ihr Kind an ihrem Herzen ruhen.

Nachdem sie sich einigermaßen beruhigt hatte, fragte sie, unter Tränen zu ihm aufsehend: »Und wieviel benötigt dein Gewährsmann?«

Graf Jochen zwang sich, ruhig zu erscheinen. »Einige Tausender mußt du schon flüssig machen.«

»So viel? – Und darf ich wissen, wohin die Spur führt?«

Ungeduldig sprang er in die Höhe. »Darüber hüllt er sich in Schweigen. Mißtraust du mir etwa?« fragte er gespannt.

»Nein!« Überzeugt schüttelte sie den Kopf. »Ich bin dir sehr dankbar für deine Mühe. Einmal muß ich doch die Früchte unserer Bemühungen ernten, und dann wandelt sich mein Leid in Glück.«

Kalt ruhte Graf Jochens Blick auf dem Antlitz seiner Gattin. Solange ein Funken Leben in ihm war, durfte und würde dieses Kind niemals gefunden werden! Dafür würde er schon sorgen! Heuchlerisch trat er zu ihr und fuhr ihr dann ganz leicht über das lockige Haar.

»Beruhige dich, Irmingard, du kannst deinem liebebedürftigen Mutterherzen bald Genüge tun.« Das letzte klang unendlich spöttisch, aber sie spürte es nicht.

»Gott mag mir beistehen, daß sich alles zum Guten wendet! Umsonst kann doch ein Mensch nicht so gelitten haben wie ich! Weißt du…«

»Weiß ich«, unterbrach er sie ungehalten. »Vor allen Dingen möchte ich dich bitten, mit dieser Heulerei aufzuhören! Es ist mir zuwider, meine Frau ständig in Tränen aufgelöst zu sehen!«

»Ich bin ja schon ganz still.« Hastig trocknete sie die Tränen. Leise kam es von ihren Lippen: »Ich werde mich in Zukunft besser beherrschen, aber ich habe doch sonst keinen Menschen, mit dem ich mich aussprechen kann; und bei dir hoffte ich Verständnis zu finden.«

»Habe ich das nicht schon bewiesen? Hätte ich dich sonst wohl geheiratet?«

Die Gleichgültigkeit, mit der er die Worte hinwarf, strafte ihn Lügen.

Sie schloß die Augen. – Längst ahnte sie, daß es keine Liebe war, die ihn zu ihr gezogen hatte.

»Da du einmal vom Vergangenen sprichst, möchte ich dir erneut ins Gedächtnis zurückrufen, daß ich nur unter Zwang deine Frau geworden bin, und du mir versprachst, mit mir nach meinem Kind zu forschen.«

»Habe ich mein Versprechen nicht gehalten?«

In der Nähe klirrte ein Fenster. Die beiden erregten Menschen achteten nicht darauf.

Der junge Graf Armin stand im Begriff, sich aus der Bibliothek ein Buch zu holen, als er plötzlich den Wortwechsel von der Terrasse hörte. Er trat an eines der geöffneten Fenster und sah die Eltern in erregtem Gespräch sitzen.

Gespannt beugte er sich weiter hinaus und spielte den unfreiwilligen Zuhörer. Donnerwetter! Also daher bekam Vater die Mittel zu seinem verschwenderischen Leben! Das war ja außerordentlich interessant!

Die eben gemachte Entdeckung würde ihm von Nutzen sein. Ein dunkler Punkt war im Leben seiner Mutter, und diesen nutzte der Vater aus. Eigentlich schamlos! Doch nun sollte Vater ihm gegenüber nur nicht mehr so knauserig sein, da er um das Geheimnis wußte!

Grübelnd ließ er sich in der Nähe des Kamins nieder und starrte vor sich hin. Er mußte etwas unternehmen. Das Geld gehörte ihm, ihm allein, und keiner sollte es ihm nehmen!

Schließlich hatte er sich zu einem klaren Entschluß durchgerungen.

Eine Viertelstunde später suchte er seinen Vater auf.

»Verzeih, Vater. Hoffentlich habe ich dich nicht gestört?«

Wie auf Abwegen ertappt, drehte sich Graf Jochen blitzschnell seinem Schreibtisch zu. »Nein, du hast mich nicht gestört«, sagte er gleichmütig. »Was hast du mir zu sagen?«

Armin machte sich seine eigenen Gedanken und bat: »Vater, kann ich etwas Bargeld haben?«

Graf Jochen war in keiner guten Stimmung. »Wo soll ich das viele Geld hernehmen? Kannst du nicht sparsamer wirtschaften?« fuhr er seinen Sohn scharf an, so daß dieser heimlich die Faust ballte und an die Summen dachte, die der Vater der Mutter schon abgeschwatzt haben mochte.

Sich mühsam beherrschend, stieß er hervor: »Aber etwas kannst du mir doch aushändigen!«

»Nein!« Hart war die Stimme des Älteren. »Ich bin keine Geldquelle, die ewig unerschöpflich für dich fließt.«

Unbeherrscht rief Armin dem Vater entgegen: »Aber Mutter!«

Entsetzt fuhr Graf Jochen herum. »Was willst du damit sagen?«

»Daß ich Mutter ebenfalls meine Dienste anbieten will. Vielleicht habe ich mehr Erfolg als du!«

»Lump!« schrie Graf Jochen.

Armin spielte aber weiter den Gleichgültigen. Die Hände in den Taschen seines Sakkos vergraben, wollte er scheinbar das Zimmer verlassen. Drehte sich aber noch einmal um und sagte: »Du scheinst mich absichtlich mißverstehen zu wollen. Ich bin ja zu dir gekommen; wenn dir das andere jedoch lieber ist…«

Da stand der Vater abermals vor ihm. »Du willst mich also erpressen!« höhnte er. Dann lachte er grell auf. »Schön, mein Söhnchen, du sollst dein Geld haben, aber dann laß mich allein.«

Äußerlich ruhig, steckte Armin das Bündel Banknoten in seine Tasche und sagte, schon im Gehen: »Ich hätte dich für vernünftiger gehalten, Vater. Du wirst noch einmal an diese Stunde zurückdenken.«

Graf Jochen stand wie versteinert. Dann fiel er in seinen Sessel, stützte stöhnend das Gesicht in die Hände. Wie konnte er sich nur so schwach seinem Sohn gegenüber zeigen! Der Gedanke, einen Mitwisser des Geheimnisses zu besitzen, hatte ihn so plötzlich getroffen, daß er jede Gewalt über sich verloren hatte. Wenn seine Frau davon erfuhr, daß er untätig gewesen war, daß das viele Geld nur in seine Tasche geflossen war, um es seiner Spielleidenschaft zu opfern!

Trotz der Hitze fror ihn plötzlich. Jetzt mußte er nach dem Verbleib des Kindes forschen, um es dann verschwinden zu lassen.

Schwerfällig erhob er sich und fuhr in den Klub.

Erst spät nach Mitternacht kehrte er wieder in sein Heim zurück – mit leerer Brieftasche; seine gesamte Barschaft war dahin, verspielt.

In den nächsten Tagen trafen sich Vater und Sohn nur bei den gemeinsamen Mahlzeiten. Grüßten sich stumm, und Gräfin Irmingard ließ fragende Blicke zwischen ihnen hin- und hergehen. Was lag da vor?

Als sie ihren Sohn eines Tages zur Rede stellte, antwortete er ihr ausweichend: »Vater hält mich so knapp an Geld, da sind wir zusammengeraten. Mach dir darüber keine Kopfschmerzen, Mutter; der Sturm legt sich auch wieder.«

Da gab sie sich zufrieden, beobachtete aber Vater und Sohn, die sich weiterhin aus dem Wege gingen.

Eine schwüle Stimmung lag über der Villa Bardenhooven. Es war Mittagszeit.

Schweigsam verlief das Mahl. Nur ab und zu wandte sich Gräfin Irmingard mit kurzen Fragen an ihren Sohn, die er zwar höflich, aber zerstreut beantwortete.

»Wann beginnen deine Ferien, Armin? Reisen wir miteinander?«

Armin zuckte zusammen, wie aus einem Traum erwachend. »Verzeih, Mutter. Ich hatte die Absicht, mit meinen Freunden in die Berge zu fahren. Das dürfte wohl zu anstrengend für dich sein!«

Bitter lächelte sie vor sich hin. »Da werde ich also wieder einsam sein und hierbleiben. Was soll ich allein draußen; außerdem möchte ich, wenn unsere Bekannten von ihren Reisen zurück sind, ein Gartenfest geben. Und du, Jochen«, richtete sie das Wort an ihren Gatten, »was hast du dir vorgenommen?«

Dieser dachte an seine erschöpften Geldmittel. »Ich kann heute noch nichts Bindendes sagen.«

Sie fragte nicht mehr.

Nach dem Essen trat Armin zu seinem Vater.

»Vater, dürfte ich dich um den Schlüssel zum Gewehrschrank bitten? Ich möchte die Gewehre in Ordnung bringen, da wir zu jagen beabsichtigen.«

Kalt ruhten Graf Jochens Augen auf dem Sohn. »Bitte!« Er reichte Armin die Schlüssel.

Armin dankte, ging nach dem Erdgeschoß und betrat das Jagdzimmer.

Seine Hand zitterte heftig, als er den Schlüssel im Schloß des Gewehrschrankes drehte. Mit fahriger Hand griff er in den Schrank und wählte sich eine Waffe aus.

Dann schloß er sorgfältig die Tür und eilte fluchtartig in sein Zimmer.

Er zitterte am ganzen Körper und fiel vor dem Fenster in einen Sessel; die Waffe hielt er krampfhaft in den Händen.

Geistesabwesend ließ er seine Blicke in den Park schweifen.

Heiß brannte die Mittagssonne hernieder. Schwül und erdrückend lastete die Hitze, legte sich aufreizend Graf Armin auf das erregte Gemüt.

Er biß die Zähne zusammen und begann, noch Kleinigkeiten zu verpacken. Das große Gepäck war bereits an die Adresse, die ihm sein Freund aufgegeben hatte, zur Bahn gebracht worden.

Den Eltern, die er in dem Glauben gelassen hatte, er führe mit seinen Freunden in die Berge, verschwieg er, daß er sich erst später mit ihnen treffen würde.

Zwei Tage später befand er sich tatsächlich auf dem Weg in die Berge. Seine Freunde waren entsetzt über sein Aussehen und bestürmten ihn mit Fragen, auf die er aber die Antwort schuldig blieb. Sie schüttelten nur den Kopf über ihn, weil er sich in einem haltlosen Taumel von einem Vergnügen ins andere stürzte. Und ließen ihn gewähren.

*

Über dem Thüringer Wald lag Sonntagsruhe. Im Osten ging soeben die Sonne auf, und bald erglänzten die zarten Blätter der schlanken Birken am Rande des Waldes in sattem, warmem Grün.

Am Saum des Waldes, wo die Straße nach dem Oldenbergischen Landsitz abbog, lag das Forsthaus.

Förster Wilken, eine erdverbundene Gestalt mit langwallendem Bart und hellen, durchdringenden Augen, lebte mit Frau und Kind nun schon seit Jahren in dieser Einsamkeit und fühlte sich außerordentlich wohl dabei.

Langsam erwachte nun auch das Forsthaus zu neuem Leben.

Frau Hannelore, ein wenig zur Fülle neigend, das Gesicht vor Lebensfreude strahlend, trat in den Hof. Noch während sie die Hunde aus ihrem Zwinger befreite, die sich mit einem Freudengeheul auf sie stürzten – denn nur Harras, der große Schäferhund, durfte sich als treuer Wächter des Hauses nachts der Freiheit erfreuen –, trat schon der Förster aus dem Walde.

»Hallo, Hannelore! Läufst du auch schon der Sonne entgegen?«

»Eben hab’ ich die Rasselbande erlöst.«

Kaum waren die Hunde des Försters ansichtig geworden, stürzten sie auf ihn zu.

Wilkens dunkler Baß war voll Frohsinn. »Sachte, es kommt jeder an die Reihe. Guten Morgen, mein gnädiges Fräulein«, begrüßte er Diana, die Dackelhündin. Dann streichelte er Fritz, dem größten der Hunde, das glänzende Fell.

»Großen Kaffeedurst habe ich mitgebracht!«

»Kann ich mir denken. Und Evchen hat fast geweint. Du hast ihr doch versprochen, sie mit in den Wald zu nehmen?«

»Der Tag hat ja erst begonnen. Gleich nach dem Morgenkaffee geht es los.«

»Dann wäre ja alles in schönster Ordnung!«

Sie gab ihm einen freundschaftlichen Klaps. »Nun aber komm! Evchen wird den Kaffeetisch in der Sommerlaube gedeckt haben.«

Gemeinsam schritten sie dem Garten zu. Hier schaltete Evchen als Herrscherin.

»Evchen! Wo steckst du denn?«

»Hier, Mutti! Ich bringe schon den Kaffee. Darf ich bitten?« Mit einladender Bewegung wies sie auf die Korbsessel. Dann flog sie dem Förster um den Hals.

»Väterchen, ich müßte dir ja den Morgenkuß verweigern. Läßt mich einfach sitzen!« Sie zupfte den Förster strafend am Ohr.

»Gnade!« flehte der Förster. »Ich verspreche dir hiermit feierlichst: in einer Stunde ist Aufbruch.«

»Oh! Dafür sollst du aber auch belohnt werden.« Nun kam der Vater doch noch zu seinem Morgenkuß, und sie nahmen Platz. Aufmerksam bediente Eva die beiden Alten.

»Meister Elbing verschläft sicher wieder den schönen Morgen!« meinte die Försterin.

Doch eine Stimme widersprach energisch. »Falsch geraten. Das könnte Ihnen so gefallen, den guten Kaffee allein zu trinken. Guten Morgen, Herrschaften!«