Daniela, Herrin der Grotkamp Werke - Karin Bucha - E-Book

Daniela, Herrin der Grotkamp Werke E-Book

Karin Bucha

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Beschreibung

Karin Bucha ist eine der erfolgreichsten Volksschriftstellerinnen und hat sich mit ihren ergreifenden Schicksalsromanen in die Herzen von Millionen LeserInnen geschrieben. Dabei stand für diese großartige Schriftstellerin die Sehnsucht nach einer heilen Welt, nach Fürsorge, Kinderglück und Mutterliebe stets im Mittelpunkt. Karin Bucha Classic ist eine spannende, einfühlsame geschilderte Liebesromanserie, die in dieser Art ihresgleichen sucht. Mit finster verschlossenem Gesicht stand Direktor Schneider, Leiter des Grotkampschen Zweigwerkes, vor dem noch rauchenden Trümmerhaufen, der einstmals die Versuchshalle gewesen war. »Unvorsichtig – oder Sabotage«, meinte er grimmig zu den um ihn herumstehenden Mitarbeitern. Überall hatten sich die Angestellten in kleinen und größeren Gruppen versammelt. Sie waren alle aufs äußerste erregt und debattierten heftig. Noch nie hatte es hier eine Explosion gegeben. Aus dem Lautsprecher drang eine Stimme über den weiten Fabrikhof. »Direktor Schneider bitte ans Telefon.« Der Angesprochene drehte sich auf dem Absatz herum. »Sie finden mich in meinem Zimmer. In einer halben Stunde erwarte ich Sie dort, meine Herren.« Er eilte dem Verwaltungsgebäude zu, sprang in den bereitstehenden Fahrstuhl und tauchte wenig später im Vorzimmer auf. »Fräulein Grotkamp wünscht Sie zu sprechen, Herr Direktor. Ich lege das Gespräch um«, erklärte ihm die Sekretärin. Er nickte und verschwand in seinem Zimmer. Dort nahm er den Hörer ab und meldete sich. »Morgen, Daniela«, sagte er mit rauher, erregter Stimme. »Ist das nicht furchtbar?

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Karin Bucha Classic – 66 –

Daniela, Herrin der Grotkamp Werke

Wie ein junges Mädchen über sich selbst hinauswuchs

Karin Bucha

Mit finster verschlossenem Gesicht stand Direktor Schneider, Leiter des Grotkampschen Zweigwerkes, vor dem noch rauchenden Trümmerhaufen, der einstmals die Versuchshalle gewesen war.

»Unvorsichtig – oder Sabotage«, meinte er grimmig zu den um ihn herumstehenden Mitarbeitern.

Überall hatten sich die Angestellten in kleinen und größeren Gruppen versammelt. Sie waren alle aufs äußerste erregt und debattierten heftig. Noch nie hatte es hier eine Explosion gegeben.

Aus dem Lautsprecher drang eine Stimme über den weiten Fabrikhof.

»Direktor Schneider bitte ans Telefon.«

Der Angesprochene drehte sich auf dem Absatz herum. »Sie finden mich in meinem Zimmer. In einer halben Stunde erwarte ich Sie dort, meine Herren.«

Er eilte dem Verwaltungsgebäude zu, sprang in den bereitstehenden Fahrstuhl und tauchte wenig später im Vorzimmer auf.

»Fräulein Grotkamp wünscht Sie zu sprechen, Herr Direktor. Ich lege das Gespräch um«, erklärte ihm die Sekretärin. Er nickte und verschwand in seinem Zimmer. Dort nahm er den Hörer ab und meldete sich.

»Morgen, Daniela«, sagte er mit rauher, erregter Stimme. »Ist das nicht furchtbar? Heute nacht, ja! Nein, keine Menschenleben. Aber es sieht wüst aus. Und ausgerechnet jetzt ist Dr. Bambeck in Urlaub. Natürlich! Das Telegramm, das ihn zurückruft, ist bereits unterwegs. Du willst sofort herkommen? Das ist gut, Kind. Ich kann leider unmöglich weg, sonst würde ich dir die Fahrt ersparen. Also, dann bis heute abend. Wiedersehen! Und sorge dich nicht zu sehr! Soviel ich weiß, besitzt Dr. Bambeck den Durchschlag der Pläne, denn es ist so gut wie alles vernichtet, wenigstens, soweit man es beurteilen kann. Man ist bei den Aufräumungsarbeiten. Also dann, auf Wiedersehen!«

Aufatmend legte er den Hörer in die Gabel zurück. Daniela kam. Das war gut. Sie war sein Patenkind, und nach dem Tod ihres Vaters hatte er an ihr so etwas wie Vaterstelle vertreten. Er liebte sie wie sein eigenes Kind, zumal er Junggeselle geblieben war. Er war mit dem Werk verheiratet. Das wußten alle, die mit ihm zu tun hatten, die ihn schätzten und verehrten.

Schon rein äußerlich machte er einen vertrauenerweckenden Eindruck. Groß war er und schlank gewachsen. Über einer weiten, klugen Stirn waren eisgraues Haar und darunter klare blaue Augen, denen so leicht nichts verborgen blieb.

Er lehnte sich weit in seinem Sessel zurück. Unfaßbar, was sich da in der Nacht auf dem Werksgelände abgespielt hatte!

Hoffentlich hatte Dr. Bambeck die Pläne tatsächlich bei sich aufbewahrt. Es sah nach Sabotage aus.

*

Blitzschnell brach das Gewitter herein und entlud sich mit solcher Heftigkeit, wie es Dr. Alexander Bambeck noch nie erlebt hatte. Die nächste Raststätte, wo er Schutz finden konnte, war mindestens noch eine halbe Stunde entfernt.

Unentwegt rollte der schwere Wagen über die Autobahn, mitten hinein in das schier undurchdringliche Dunkel. Regenschauer peitschten gegen die Windschutzscheibe, manchmal zogen auch dicke Nebelschwaden über die Bahn, so daß er gezwungen war, das Tempo herunterzuschrauben. Mit äußerster Vorsicht steuerte er den Wagen, da der plötzlich aufgekommene Seitenwind das Fahrzeug abdrängen wollte. Außerdem hatte er sein kostbarstes Gut bei sich, seine kleine fünfjährige Tochter Nicki.

Er warf einen raschen besorgten Seitenblick auf das zierliche Persönchen, das neben ihm saß. Er war der Meinung, daß Nicki schlief. Aber das Kind schlief nicht. Er sah sekundenlang ihre weit aufgerissenen hellen Augen, dann blickte er wieder auf das glitzernde, nasse Band der Autobahn.

»Bist du noch nicht müde, Nicki?«

»Nein, Papi!«

»Aber du hast Angst, Nicki, ja?«

»Nein, Papi, ich habe keine Angst. Du bist doch bei mir.«

Ein unerschütterliches Vertrauen schwang in dem zarten Stimmchen. Er lächelte gerührt. Nicki, seine zärtlich geliebte Nicki, von der er sich vorübergehend trennen mußte. Noch wußte sie nicht, daß er sie zu Tante Judith brachte. Sie würde in ein höllisches Geschrei ausbrechen, wenn er von ihr Abschied nehmen würde. Nicki mochte Tante Judith ganz und gar nicht. Er wußte aber keinen anderen Ausweg, so sehr er sich auch den Kopf zerbrach.

Der Mann biß die Zähne zusammen und umklammerte das Lenkrad fester. Unaufhörlich zerrissen die zuckenden Blitze die dunkle Wolkendecke, und der Himmel hielt weiter seine Schleusen geöffnet. Der Wind peitschte den Regen gegen die Wagenfenster, daß die Scheibenwischer es kaum schaffen konnten.

Der Wagen fraß sich weiter durch die Gewitternacht, in der alle Elemente entfesselt schienen.

Bambeck warf einen Blick auf das Armaturenbrett, und ein heilloser Schreck durchfuhr ihn. Die Benzinanzeige verhieß nichts Gutes. Weit und breit kein Wagen. Sie schienen sich alle vor dem Gewitter in Sicherheit gebracht zu haben. Nur er war unterwegs und noch dazu mit seiner kleinen Nicki.

Schon nach einigen Metern merkte er, daß die Geschwindigkeit des Fahrzeuges nachließ. Vorsichtig fuhr er ganz rechts heran. Dann stand der Wagen. Neben ihm eine Felswand. Auf der anderen Seite Wald.

»Verdammt!« preßte er zwischen den Zähnen hervor. Da hatte er sich und das Kind in eine fürchterliche Situation gebracht. Woher sollte er Benzin nehmen?

»Sind wir schon da, Papi?« piepste Nicki neben ihm.

»Noch nicht, mein Herz, aber bald!«

Er zog Nicki zu sich heran und legte den Arm um sie. Der Wind heulte und raste um den Wagen. Es sah aus, als wolle er ihn emporheben und an den Felsen schleudern.

Er konnte nur abwarten, bis das Gewitter abgezogen war. Vielleicht kam dann ein Wagen, und er konnte um Hilfe bitten.

Das Kind fest an sich gepreßt, starrte der große Mann verzweifelt in die Dunkelheit.

*

»Wollen Sie wirklich weiterfahren?« fragte der Tankwart Daniela Grotkamp. Sie lachte hell und sorglos auf. »Natürlich, junger Mann, warum denn nicht?«

Der Tankwart schaute den tief am Himmel dahinjagenden Wolken nach.

»Wir bekommen ein Gewitter«, sagte er besorgt. »Wir kennen uns da aus. Es kommt mit Blitzeseile und hält ziemlich lange in den Bergen.«

Wieder antwortete ihm das sorglose Lachen. »Mir ist nicht bange.«

»Gute Fahrt!« rief er hinter ihr her, aber Daniela hörte es schon nicht mehr. Sie bog in den Seitenweg ein und gewann rasch die Auffahrt zur Autobahn.

Gleichmäßig brummte der Motor. Sie hatte viel zu überlegen, während das Gefährt in gleichmäßigem Tempo über die Fahrbahn rollte. Die Nachricht von dem Unglück im Zweigwerk hatte sie arg erschüttert. Sie wußte, wie wichtig gerade diese Abteilung für die gesamten Werke war. Dr. Ing. Bambeck hatte eine einschneidende Erfindung gemacht. Sollte sie vernichtet sein? Nicht auszudenken! Sie war sehr neugierig auf diesen Dr. Bambeck. Onkel Hermann hatte ihn sehr gelobt, sooft sie zusammen gesprochen hatten, und wenn er in diesen Tönen von einem Mitarbeiter sprach, dann mußte etwas an dem Mann dran sein.

Auf einmal zuckte sie erschreckt zusammen. Ihre Gedanken hatten so fieberhaft gearbeitet, daß sie nicht bemerkte, wie der Himmel sich immer mehr überzogen hatte. Ein starker Wind erhob sich, der unheimlich um den Wagen zu heulen begann. Und dann zuckten aus dem nachtdunklen Himmel die ersten Blitze. Gleich darauf setzte heftiger Regen ein. Er trommelte auf das Dach und schlug gegen die Scheiben. Sie schien dem Gewitter entgegenzufahren, denn es begann sich mit voller Härte zu entladen.

Daniela Grotkamp hielt das Lenkrad fest in den schmalen Händen. Weiter, nur weiter, dachte sie. Irgendwo war eine Tankstelle, sie mußte sie erreichen.

Sie saß in angespannter Haltung, den Kopf weit vorgebeugt. Das Tempo hatte sie erheblich verringert.

Vor ihr, auf der rechten Seite, leuchteten plötzlich zwei rote Lichter auf. Das erste Zeichen, daß sie nicht allein unterwegs war. Ihr Herz klopfte rasend. Sie war gewiß nicht ängstlich, aber in diesem Augenblick war ihr unheimlich zumute.

Mitten auf der Bahn sah sie den Schein einer Lampe, der sich immer auf und nieder bewegte. Daniela Grotkamp trat sehr vorsichtig auf die Bremse und ließ den Wagen am Straßenrand ausrollen.

Schwer atmend blieb sie hinter dem Steuer sitzen. Sie hörte rasche Schritte. Gleich darauf tauchte das Gesicht eines Mannes auf. Er klopfte gegen das Seitenfenster.

Wieder begann Danielas Herz zu rasen! Was sollte sie tun, überlegte sie blitzschnell, sie war allein, weit und breit keine Menschenseele, nur dieser Fremde, der etwas von ihr zu wollen schien.

Wenn er nun…? Ihre Hand zitterte, als sie sie nach der Fensterkurbel ausstreckte.

*

Ärgerlich drehte Judith Reinwald das Telegramm zwischen den Händen.

»Rücksichtslos von Alexander«, sagte sie zu dem abseits sitzenden gutaussehenden Mann, der gelassen seine Zigarette rauchte. »Mir einfach das Kind aufzuhalsen. Er wirft alle meine Pläne über den Haufen.«

Wütend blieb sie vor Jochen Werner stehen und fluchte ihn an. »Da kannst du noch lachen? Am liebsten möchte ich dir eine Ohrfeige geben.«

Er lächelte nachsichtig. Er kannte die Temperamentsausbrüche Judiths und nahm sie ruhig und ohne Aufregung zur Kenntnis. Sie war sehr schön in ihrem Zorn, aber leider unberechenbar, manchmal sogar von erschreckender Herzlosigkeit. Er seufzte. Leider liebte er sie trotz ihrer Fehler.

»Warum willst du die kleine Nicki nicht haben? Sie ist ein süßes kleines Mädchen«, entgegnete er.

»Ein kleiner Teufel ist das süße kleine Mädchen«, zischte Judith und ließ sich in die Couchecke sinken. »Nun sitzen wir da und müssen warten. Dabei hatte ich mich so sehr auf die Party bei Dr. Kröger gefreut. Ich könnte heulen.«

»Tu das lieber nicht. Das schadet der Schönheit, Judith«, bemerkte der Mann trocken.

»Ach, du…«

Sie griff in die silberne Dose und ließ sich von ihm Feuer für die Zigarette geben.

»Wir gehen eben etwas später. Ist das denn so schlimm?«

»Nein, wir gehen zur verabredeten Zeit, ob Alexander nun da ist oder nicht. Lyda kann sich um die Kleine kümmern. Das Gästezimmer ist, wie immer, bereit.«

Sie sagte es ganz entschieden, aber Werner schüttelte den Kopf.

»Das kannst du doch nicht machen, Judith. Du kannst das Kind doch nicht in einer für sie fremden Umgebung allein lassen.«

»Ach nee, soll ich mich vielleicht die halbe Nacht zu ihr ans Bett setzen?« Sie sah ihn aus funkelnden grünen Augen herausfordernd an.

»Mach, was du willst. Jedenfalls warte ich sehr gern mit dir, bis sie angekommen sind«, schlug Joachim Werner vor.

»Du bist manchmal von einer lächerlichen Sentimentalität. Ich habe mir noch nie viel aus Kindern gemacht.«

»Vergiß nicht, Nicki ist das Kind deiner verstorbenen Schwester«, ermahnte er ernst. »Iris war eine zärtlich liebende Mutter. Das Kind ist mit Liebe verwöhnt. Alexander tut alles, um dem Kind auch die Mutter zu ersetzen.«

»Ein ganz verzogenes Kind ist Nicki!«

»Das stimmt nicht«, widersprach er schnell. »Nicki ist wohlerzogen.«

Die schöne Judith warf ihm einen bösen Blick zu und zuckte mit den Schultern.

Joachim sah sie forschend an. Sie waren gut befreundet, ja, er liebte sie sehr, trotz ihrer Widerspenstigkeit. Judith wäre längst seine Frau, wenn sie endlich einwilligen würde. Aber noch liebte sie zu sehr ihre Freiheit, wie sie immer behauptete.

Mit einem kleinen Satz sprang sie aus dem Sessel und drückte ihre Zigarette aus.

»Wir gehen, Joachim. Ich habe wirklich keine Lust, den ganzen Abend wartend herumzusitzen.«

Widerwillig erhob auch er sich. »Schön«, sagte er, »gehen wir!«

Lyda, das ältliche, aber zuverlässige Hausmädchen, bekam die entsprechenden Instruktionen wegen Nicki. Sie freute sich auf die Kleine.

*

»Bitte, öffnen Sie einen Augenblick das Fenster«, hörte Daniela Grotkamp eine wohlklingende Männerstimme.

Rasch überwand sie ihre Angst. Sicher brauchte man ihre Hilfe.

Sie kurbelte die Scheibe herunter. Dem Fremden lief das Regenwasser aus dem Haar über Stirn und Wangen.

»Bitte«, stieß er hervor, »können Sie mir helfen? Mein Benzin ist ausgegangen. Haben Sie zufällig einen Ersatzkanister bei sich?«

Daniela zögerte. War das eine Falle? In dem Augenblick zerriß ein Kinderstimmchen die eingetretene Stille, in der nur das Toben der entfesselten Gewalten zu vernehmen war. Eine zierliche Gestalt kam herangeflogen.

»Papi, Papi, warum läßt du mich allein?«

Das gab den Ausschlag für Daniela. Ein Mann, der ein Kind bei sich hatte, konnte nichts Schlimmes im Schilde führen. Im Nu hatte sie die Tür geöffnet und stand vor dem Fremden.

Jetzt erst gewahrte sie, wie groß und breitschultrig er war. Er beugte sich zu dem Kind hinab und nahm es auf den Arm.

»Nicki, mein Herz, warum bist du nicht im Wagen geblieben? Du bist bis auf die Haut durchnäßt. Komm, ich trage dich zurück.« Er winkte Daniela zu. »Moment, bitte, ich bin sofort wieder da.«

Daniela wartete nicht, bis er zurückgekommen war. Sie jagte zu dem Kofferraum, öffnete ihn und entnahm ihm einen Kanister. Keuchend tauchte der Fremde wieder neben ihr auf.

»Nehmen Sie!« Daniela reichte ihm die Kanne. Er griff zu und verschwand. Daniela rannte durch den strömenden Regen zu ihrem Wagen zurück. Sie zitterte, diesmal nicht aus Angst, sondern weil sie erbärmlich in ihrem duftigen Sommerkleid fror. Mit bebenden Händen entzündete sie eine Zigarette und wartete.

Dann kam der Mann zurück und sagte: »Ich danke Ihnen.« Jetzt lief das Wasser in Bächen von dem Fremden.

Daniela drückte die Tür auf. »Kommen Sie einen Augenblick herein«, forderte sie ihn auf. Sie hatte kein bißchen Angst mehr.

Alexander schwang sich neben sie und atmete ein paarmal tief durch, ehe er ihr erklärte, daß er mit seiner kleinen Tochter aus dem Urlaub zurückgerufen worden wäre. Mit Entsetzen habe er feststellen müssen, daß auch noch sein Benzin ausgegangen war. »Ich bin Ihnen so sehr dankbar. Sie haben mir aus einer äußerst unangenehmen Situation herausgeholfen.«

Sie machte eine kleine abwehrende Handbewegung und griff zu den Zigaretten. »Wollen Sie rauchen? Bitte, bedienen Sie sich! Sie sehen ganz schön mitgenommen aus.«

»Sie sind meinetwegen auch naß geworden. Es tut mir sehr leid. Danke für die Zigarette. Was bin ich Ihnen schuldig? Meine kleine Nicki wird sich ängstigen. Ich muß schnell zu ihr zurück. Sonst läuft sie mir noch einmal durch den Regen.«

Nichts sind Sie mir schuldig, hätte sie am liebsten geantwortet. Auf einmal empfand sie es nicht mehr unangenehm, in Gesellschaft dieses fremden Mannes zu sein, zumal seine wohltuende Stimme sie faszinierte.

»Wissen Sie was«, schlug sie aufatmend vor, froh, daß ihr der Gedanke gekommen war, »wir haben höchstens noch zehn Minuten zu fahren, dann kommt ein gutes Rasthaus. Wir fahren gemeinsam dorthin und können dann die Angelegenheit mit dem Benzin regeln.«

»Einverstanden«, sagte er dankbar und öffnete die Tür. Er schüttelte sich, als der Regen ihm entgegenpeitschte. »Ich fahre hinter Ihnen her.«

Sie brauchten nicht zehn Minuten, sondern fast eine halbe Stunde, ehe aus der Nebelwand die Lichter des Rasthauses auftauchten.

Obgleich der Parkplatz von schutzsuchenden Fahrzeugen überfüllt war, fanden sie doch eine Lücke, wo sie parken konnten.

Dr. Bambeck nahm seine kleine Nicki auf den Arm, ergriff die Reisetasche, winkte Daniela zu und rannte ins Haus. Daniela folgte ihm fast auf den Fuß. In der erleuchteten Halle, in der reger Betrieb herrschte, standen sie sich aufatmend gegenüber. Nicki hatte die Ärmchen um den Hals ihres Papis geschlungen und sah aus übergroßen Augen auf Daniela, die ihr liebevoll entgegenlächelte.

»Wer ist die Tante?« wisperte Nicki an Bambecks Ohr, keinen Blick von Daniela lassend, die es verstanden hatte.

»Ich heiße Daniela. Und du bist Nicki, ja?« fragte sie das Kind, das eifrig nickte.

»Ja, ich bin Nicki. Du hast aber einen schönen Namen, Tante«, schwärmte die Kleine. »Bleibst du jetzt immer bei uns?«

»Immer nicht, Nicki, aber ein bißchen schon noch.« Daniela strich zärtlich über Nickis Wange. Es war eine Liebe auf den ersten Blick zwischen ihr und dem kleinen Mädchen. Bambeck wunderte sich über seine Tochter. So schnell schloß sie doch sonst keine Freundschaft! Er betrachtete Daniela forschend und stellte fest, daß sie sehr schön war. Schwarzglänzendes schulterlanges Haar und große blaue Augen, leuchtend und von unwahrscheinlichem Blau, die in einen Kranz dunkler Wimpern gebettet waren.

Sein Herz begann hart zu klopfen, und als Daniela zu ihm aufsah, wurde er verlegen und verwirrt. Er setzte Nicki auf die Füße.

»Wir sehen etwas ramponiert aus. Also, gehen wir zunächst in den Waschraum. Wenn es Ihnen recht ist, treffen wir uns im Café. Oder wohin wünschen Sie zu gehen?« wandte er sich an Daniela. Sie nickte, lächelte Nicki noch einmal zu und eilte voraus.

Später saßen sie sich im Café gegenüber. Es war ihnen, als würden sie sich schon viel länger kennen. Nicki, das kleine lebhafte Mädchen mit dem hellen Köpfchen und ihren Jahren weit voraus, belegte Daniela sofort mit Beschlag, und diese ging willig auf Nickis Fragen ein, bis der Mann bremste.

»Langsam, langsam, Nicki. Du sollst doch nicht so neugierig sein. Du belästigst die freundliche junge Dame.«

»Aber nein«, wehrte Daniela sofort ab. »Nicki belästigt mich durchaus nicht.«

»Siehst du, Papi, ich belästige Tante Daniela nicht«, trumpfte die Kleine auf. »Papi darf auch Daniela zu Ihnen sagen, nicht wahr?« fragte sie, und diese konnte nur nicken. »Also mußt du es auch tun, Papi!«

Im Nu hatte Nicki die Fronten geklärt. Sie tat alles mit großer Energie, wie Daniela feststellen mußte. Das kleine Persönchen begann sie zu amüsieren.

»Mir scheint, meine Erziehung bei Nicki ist nicht sehr erfolgreich. Sie ist eine ganz raffinierte kleine Person und wickelt mich um den Finger.«

Das klang wie eine Entschuldigung. Daniela lächelte, und dabei erschien ein reizendes Grübchen auf der rechten Wange. Wie gebannt blickte er in das zarte, ovale Antlitz.

»Ich finde, Nicki ist recht lieb, Herr…«

Bambeck errötete und verneigte sich leicht.