Karlas Geheimnis - Andrea Illgen - E-Book

Karlas Geheimnis E-Book

Andrea Illgen

4,0

Beschreibung

Wer verkauft Drogen in Clausthal-Zellerfeld? Und was hat das zu tun mit dem Skelettfund in der alten Zigarrenfabrik? Wieder werden Friederike Wolkenreich (52) und ihre Freunde in Atem gehalten von geheimnisvollen Ereignissen in der Oberharzer Bergstadt. Plagiatsvorwürfe an der Clausthaler Uni, ein brennender Imbisswagen und eine tote Tante machen die Geschichte um die resolute Sängerin und Caféwirtin zu einem spannenden und amüsanten Leseereignis.

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Seitenzahl: 334

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ANDREA ILLGEN

KARLAS GEHEIMNIS

Ein paar Worte vorweg

In Liebe und Dankbarkeit für W., der sich immer wieder

als Pfadfinder aus Sackgassen erweist.

Alles, was Friederike Wolkenreich erlebt, hat seinen Ursprung ausschließlich in meiner Fantasie. Orts- und Straßenamen orientieren sich nur teilweise an tatsächlichen Gegebenheiten, ihre Lage habe ich oft im Dienste des Geschehens der Geschichte angepasst. Die handelnden Personen sind ausschließlich fiktiv und haben keinerlei Wiedererkennungswert.

Mein besonderer Dank gilt dem hilfsbereiten Zellerfelder Schützenvogt Rolf K., der mich durch die tatsächlich existierende ehemalige Zigarrenfabrik geführt hat. Die Deutsche Bundeswehr zeigte sich auskunftsbereit ebenso wie das Zigarrenmuseum in Bünde und das Goslarer Finanzamt. Ein großer Dank auch an Thomas J., der geduldig half, juristische Fallgruben zu vermeiden.

Inhaltsverzeichnis

Innentitel

Ein paar Worte vorweg

Impressum

Der neue Mieter

Die Initiative

Der Großherzog

Der Doktorand

Die Zigarrenfabrik

Der Imbisswagen

Die Fabrikantenfamilie

Das Engagement

Die falsche Geschichte

Der große Knall

Die Buchhalterin

Der neue Kellner

Das Hinterhaus

Der Journalist

Der Fund

Die Konzertprobe

Die Geliebte

Die Vaterschaft

Die Verabschiedung

Der Urenkel

Die tote Großmutter

Die Putzkraft

Die Mutter

Der Kumpel

Die Liebesbriefe

Der Rektorssohn

Der Bürgermeister

Der ehemalige Rektor

Der Patient

Mario

Epilog

Die Autorin

Mehr Kriminelles aus dem Harz

Impressum

Karlas Geheimnis

(Wolkenreich im Harz - Band 3)

ISBN 978-3-943403-67-1

ePub Edition

Version 1.0 - 06-2016

© 2016 by Andrea Illgen

Umschlagfoto © Jan Faukner/shutterstock.com (# 211654111)

Autorenfoto © Ania Schulz (www.as-fotografie.de

Lektorat:

Sascha Exner

Druck:

TZ - Verlag und Print, Roßdorf

EPV Elektronik-Praktiker-Verlagsgesellschaft mbH

Postfach 1163, D-37104 Duderstadt

Der neue Mieter

Ich glaube, es war früh im Dezember und fing damit an, dass wir am Personaltisch meines Cafés saßen und zusahen, wie Ratte die gelben Säcke, die er ordentlich nach draußen tragen sollte, murmelnd vor sich her kickte. Er hatte seinen Blaumann an, seine dünnen braunen Haare waren zu einem kleinen Zopf geflochten und mit einem roten Bändchen festgebunden. Mario sagt, er sieht mit seinem kurzen Kinn und dem leicht vorstehenden Oberkiefer aus wie ein freundliches Nagetier.

Mario sagte auch, nachdem ich ihm die ersten Seiten probeweise zum Lesen geschickt hatte, ich sollte nicht ständig ,Mario sagt‘ schreiben, das würde die Leute langweilen. Mein lieber Mann ist wieder unterwegs, diesmal in Indonesien. Das bedeutet, irgendwann am Tag skypen oder telefonieren, wenn es gerade passt, denn zwischen uns und Surabaya liegen viele Stunden Zeitunterschied. Ich mag es nicht, wenn er nicht da ist. Nur muss er leider seine Vorträge über Fördertechniken im Bergbau da halten, wo sie gebraucht werden.

»Was is, Alter?«, fragte Konni, der neben mir saß und Messer und Gabeln paarweise in Servietten einrollte. Ein starkes Bild – angesichts seiner selbst im Sitzen noch riesigen Statur und der grauen Löwenmähne über der Motorradkutte war es schwer, ihm die notwendige Feinmotorik zuzutrauen.

»Nix.«

Wir überredeten ihn, sich mit einem Kaffee zu uns zu setzen, in den er eine Weile hineinbrütete, bevor der Zorn schließlich aus ihm herausbrach.

»Martin hat so’m Penner erlaubt, im Stall zu wohnen, und da hockt der jetzt und hört diese Scheißmusik und macht den Ofen an, und der Rauch quillt in meine Bude. Der verbrennt da alte Schuhe oder was.« Ratte war aufgebracht. Er zerriss eine Papierserviette nach der anderen, bis Konni den Haufen von ihm wegzog.

»Hör auf damit. Was ist das denn für einer?«

»Keine Ahnung. So’n Penner eben, so alt wie Friederike«, er sah mich an und überlegte offensichtlich, ob er mir den Vergleich zumuten dürfte, »na ja, bisschen älter, grauhaarig, Falten überall, Klamotten aus’m Kleidersack. Und frisst irgend’n Mist, riecht jedenfalls scheiße aus seinem Laden. Wäscht sich nicht«, ich wollte nicht beurteilen, ob Ratte Experte war für Körperhygiene, »und dann immer diese Kotzblasmusik.«

Was das Alter anging, war ich nicht beleidigt. Meine Doppelkopffreunde Konni, Ratte und Batz sind selbst irgendwas zwischen 40 und 50, also fast so alt wie ich.

»Hast du mal mit Martin geredet?«

Martin Bode ist Rattes Vermieter und wohnt im übernächsten Haus auf dem Steinshagen. Dazwischen liegt ein verfallendes Gebäude, das auch Martin gehört, mit dem besagten Stall dahinter, wie ihn die meisten älteren Zellerfelder Häuser haben. Die Bergleute hielten dort früher ihr Vieh. In der neueren Zeit haben viele Vermieter diese Häuschen zu kleinen Wohnungen ausgebaut.

»Er sagt, er hätte ihm leidgetan. Am Arsch, ich würde ihm auch gern leidtun.«

Konni versuchte, ihn zu bändigen. »Jetzt hör doch mal auf zu fluchen und erzähl anständig.«

»Ja, Mann. Der ist also angeblich irgendwann aufgetaucht und hat gefragt, ob Martin irgendwas wüsste mit Arbeit oder Wohnen. Und Martin, der Idiot, bietet ihm den Stall an. Und fragt mich nicht mal.« Inzwischen hatte er ein Röllchen mit Messer und Gabel gegriffen und hieb damit auf den Tisch ein.

Konni nahm es ihm weg. »Das brauchte er nicht. Aber du kannst doch sicher dem Mann sagen, dass dich die Musik stört. Und Martin fragen, ob man was mit dem Schornstein machen kann, vielleicht verlängern oder was.«

»Ich will, dass der Typ verschwindet.«

Sandra erschien. Wenn man sitzt, und sie steht neben einem, wirkt sie mit ihrem Wust von aschblondem Haar und den 1,84 m Körperlänge äußerst wehrhaft. Sie und Konni sind ein prächtiges Paar, denn Konni ist noch weit größer als sie, dazu doppelt so breit. Zeus und Hera, sagte mal ein Gast.

»Ratte, ich brauche dich. Kannst du bitte die Tomatendosen aus dem Keller holen? Ich bin sowieso schon zu spät.«

Der ganze Ratte zerschmolz vor unseren Augen und verschwand glückselig strahlend wie ein Blitz. Er hat sich zu einem persönlichen Gefolgsmann von Sandra entwickelt, seit ich ihr die Geschäftsleitung für mein Café angetragen habe. Batz ist ein bisschen eifersüchtig und sagt, es fehlt, dass er seinen Mantel über einer Pfütze ausbreitet, damit ihre kleinen Füße nicht nass werden. Er meinte es witzig, aber Ratte wollte ihm an die Gurgel und musste beruhigt werden.

Das Ganze hängt damit zusammen, dass ich endlich den Finderlohn für das Gemälde gekriegt habe, weshalb ich es mir leisten kann, Sandra, Konnis Sandra, als eine Art Hauptverantwortliche in meinem Café einzusetzen. Sie hat zwar reichlich Geld nach den letzten Ereignissen, wollte den Job aber, weil, wie sie sagte, so was schon immer ihr unerfüllter Wunsch gewesen war. Also haben wir die Küche ausgebaut und bieten, zusätzlich zum Cafébetrieb am Nachmittag und der Tangokneipe am Abend, auch eine sehr fantasievolle Restauration an.

Außerdem habe ich meinen Unterricht an der Musikschule aufgegeben. Nachdem einige Schülerinnen weggebrochen waren, lohnte es sich nicht mehr richtig. Der Leiter und ich sind so verblieben, dass wir nach den Sommerferien neu verhandeln. In Schweden habe ich so viel unterrichtet, dass ich ehrlich gesagt nicht mehr viel Lust habe.

Eigentlich ist gar nicht so ganz klar, wer was macht – wir sind alle tagsüber hier und helfen, wo es nötig ist. Ansonsten sitzen wir am Personaltisch herum und betrachten die Gäste. Oder nörgeln, sagt Ratte. Ich schreibe gern im Café, die Umgebung ist anregend. Mario hatte die Idee. Er sagte, ich soll aus der Geschichte, und es ist wieder eine, doch mal versuchen, ein Buch zu machen – aus meinen Tagebuchaufzeichnungen eine lesbare Geschichte zimmern. Ehrlich gesagt fand ich die ganze Idee schon deshalb gut, weil mir die Schufterei im Café bereits nach drei Monaten ganz schön zugesetzt hat. Nachmittags dastehen und Bestellungen annehmen ist schön, aber die Einkauferei morgens, das Anschieben von Lieferanten, und offen gestanden auch das Backen und Kochen wurde mir schon nach drei Monaten zuviel. Ich kam auch nicht mehr viel zum Üben, und mit einer Sängerstimme ist es wie mit dem Marathonlauf – ohne Training gelangt man nirgendwo hin.

,Episch werden kannst du‘, sagte also mein lieber Mann. Ich dachte nicht weiter darüber nach, ob das ein reines Kompliment war. ,Nun bau die Sache schön dramatisch auf, dann läuft das.‘ Also versuche ich’s.

Ratte hat noch eine Weile Bewährung wegen fortgesetzter Eigentumsdelikte, ist uns aber allen ans Herz gewachsen. Sandra hat ihn als Hilfskellner angestellt, ein Job, den Batz vorher hatte. Nachdem der aber in eine Vienenburger Maschinenbaufirma vermittelt worden war, hatte Ratte sich angeboten.

Solange Batz noch in Clausthal wohnt und jeden Tag mit seiner schwarzen BMW hin und zurück brettert, können wir unsere Doppelkopfrunden am Donnerstag aufrechterhalten. Konni, Ratte und Batz haben mich damals als Vierte dazugeholt, weil mein Vorgänger Joschi mit seinem Motorrad einen Unfall hatte und lange im Krankenhaus lag. Wir spielen hier im Café, seit das Vereinsheim der Flying Devils mehr oder weniger abgebrannt ist.

Konni sagte: »Ich hab schon von Martin gehört, dass er einen neuen Mieter hat, einen Lars Brinkmann oder so ähnlich. Tauchte aus dem Nichts auf und fragte, ob Martin ihm helfen könnte.«

Ich hörte auf, so zu tun, als ob ich in die Buchführung vertieft war. »Wieso kam der denn gerade zu Martin?«

»Lief auf dem Steinshagen herum. Stand stundenlang gegenüber und starrte rüber. Martin kam er merkwürdig vor, also fragte er ihn, ob er ihm helfen könnte. Die Antwort war, dass er, der Brinkmann oder wie immer, jemanden in Zellerfeld besuchen wollte. Da der aber noch verreist wäre, müsste er jetzt irgendwie die Zeit überbrücken.«

»Wie lange denn?«

»Wusste er nicht genau.«

»Und wen wollte er besuchen?«

»Es wäre eine Überraschung, und er würde das lieber für sich behalten. Martin ist ein romantischer Mensch. Er dachte sofort an eine alte Liebesgeschichte.«

»Das klingt aber überhaupt nicht so. Ich finde, das kann genauso gut eine Drohung sein.«

»Du hast eine boshafte Fantasie. Sieh nicht so schwarz, vielleicht geht es ja auch um eine Erbschaft.«

Konni ist selbst ein Romantiker. Das wird besonders deutlich, wenn er zu offiziellen Anlässen nicht davon abgehalten werden kann, selbstverfasste Gedichte vorzulesen. Ich bewundere Sandra, dass sie die aushält.

»Und hat er Arbeit gefunden?«

»Martin hat Kahlhut gefragt. Martin ist Schützenvogt, und Kahlhut ist Mitglied im Schützenverein, wie sich das gehört.«

Konni kennt alles und jeden in Clausthal-Zellerfeld. Seine Familie, die Steigers, sind alte Goslarer, die ihren Söhnen deshalb auch die Namen deutscher Kaiser gegeben haben – Konrad und Heinrich. Bruder Heino ist stellvertretender Direktor im Clausthaler Bergamt. Sie wohnen aber schon so lange in Clausthal-Zellerfeld, dass sie alles und jeden kennen. Rudolph Kahlhut, der Farbenprächtige, ist unser Bürgermeister und fördert starke Gefühle. Meistens hasst man ihn.

»Kahlhut wusste, dass Pitti ein Vierteljahr ausfällt, und hat Martin Bode geraten, ihn zu fragen, ob er den Imbiss so lange machen will.« Der Imbisswagen auf dem Kronenplatz, schräg gegenüber von uns.

»Dieses Riesending? Und das im Winter?«

»Der Wagen hat eine gute Heizung, das ist heute anders als früher. Da haben sich die Leute die Stiefel zwei Nummern zu groß gekauft, um ordentlich Zeitung um die Füße stopfen zu können.«

»Woher weißt du denn sowas in deinem zarten Alter?«

»Friederike, spinn nicht rum, ich bin nur zwei Jahre jünger als du.«

»Woher nehmen die Leute die Gewissheit, dass der Brink- oder Brockmann nicht ein Gauner ist und mit der Tageskasse abgeht?«

»Wissen sie nicht. Kahlhut sagte, Pitti wäre echt in der Bredouille, denn wenn er den Wagen so lange zumacht, wie er in der Reha ist, stellt sich die Most dahin, und er ist weg vom Fenster.«

Beate Most kenne ich auch. Sie ist Stimmführerin bei ,Kauf-bei-uns‘, einer Kampagne zur Belebung der Innenstadtgeschäfte, steinreich geworden mit ihren Fleischereien, beinhart und skrupellos. Das Sozialprestige von Imbisswagen, so lange sie nicht ihr gehören, ist ihrer Ansicht nach gleichzuordnen mit dem von Messerschleiferkarren. Sie war sehr scharf auf den Standort Kronenplatz, den ihr Pitti – Peter Rehmer – mithilfe schadenfroher Ratsherren vor der Nase weggeschnappt hat.

Sandra erschien ein Glas trocknend wieder an unserem Tisch. »Wo ihr von der Most redet – morgen will die Kauf-bei-uns-Truppe ihre Sitzung hier im Café machen. Du hättest so gute Ideen, Friederike.« Lachend verschwand sie hinter dem Tresen.

Ich mag die ganze Veranstaltung nicht. Ich finde ehrenwert, was die Leute auf ihre Fahne geschrieben haben, und will sie auch gern unterstützen. Vereine aber in jeder Form sind mir ein Gräuel. Ich will mir aussuchen, mit wem ich mich unterhalte. Was als Caféchefin übrigens nicht immer leicht durchzusetzen ist. Konni steckte mir mal, einige Leute würden sich fragen, ob ich so grimmig wäre wie ich aussehe. Auch das war ein Grund, warum ich Sandra die Geschäftsführung angetragen habe.

»Und macht er das jetzt?«, fragte ich.

Konni zuckte die Schultern. »Kahlhut sagte was von Januar. Jetzt ist ja noch Weihnachtsmarkt – der Imbiss wäre vielleicht eine Konkurrenz.«

Das kann ich mir vorstellen. Es war ja schwer genug, eine Art Weihnachtsmarkt hierherzukriegen. Ich bin froh, dass ich nicht am Marktkirchenplatz sitze und mir von morgens bis abends diesen Pop-Mist anhören muss, den die da abdudeln. Popmusik auf dem Weihnachtsmarkt, das muss man erstmal verdauen.

Die Initiative

»Der Wagen ist eine Schande für den Kronenplatz.«

Die Tagesordnung hatten wir größtenteils abgehakt, und die Leute hatten gerade angefangen, Block und Stift einzupacken, als Beate Most ihr Lieblingsthema anschnitt.

»Hör auf, Beate, an dem Platz ist nicht viel zu verschandeln.« Bruno Göritz von der Buchhandlung war in seiner Grundhaltung kein Defätist. Wenn er sich so deutlich äußerte, war es ihm wichtig.

»Was soll denn das heißen? Wir haben vor sechs Jahren ein neues Bushäuschen gebaut und die Parkerei geordnet.«

»Ja, aber kuck es dir doch mal an. Würdest du mittags da gern sitzen und deine Stulle auspacken? Oder mal eine halbe Stunde mit deinen Kindern verbringen? Einfach so zum Spaß? Schatten – null. Brunnen – null. Keine Hecke, keine Bank – nix.« Hella Lindberg vom Bastelladen sprang Bruno zur Seite.

»Na ja, durch dies Café hier ist es ja auch nicht besser geworden.« Beate Most war hochrot.

Ich fühlte mich herausgefordert. »Meine Außenbestuhlung ist genauso wie zu Zeiten des Waldteufels, ich hab nichts daran geändert.«

»Ja, aber dein Schild. So . . . obszön.« Ich sah, dass sich alle das Lachen verbissen. Das Tangopaar, der Grund ihres Ärgers, tanzt eben Tango. Mit der notwendigen Körperberührung, da geht es nicht zimperlich zu.

Es waren eine ganze Menge Ladenbesitzer gekommen. Unter ihnen hatte Fleischermeisterin Beate Most eine Sonderstellung, das hatte ich schnell gemerkt. Sie schimpfte über alles und jeden, beklagte sich unentwegt und nörgelte an jeder Veränderungsabsicht herum. Dabei spielte der eigene Vorteil immer eine übergeordnete Rolle. Ich habe es nie verbergen können, wenn mir jemand so unsympathisch war wie sie. Hochgeschnürt und eingezwängt in ihre zu enge Kleidung, dazu die rotgefärbte Betonfrisur – genauso eng und zwanghaft war es auch in ihrem Kopf. Die ganze Frau war mir ein Gräuel. Meinem Hund übrigens auch. Herr Karl stand neben mir mit zitterndem Schwänzchen und knurrte leise vor sich hin, während er sie ununterbrochen unter seinen buschigen Brauen fixierte. Vielleicht gefiel ihm der beißende Geruch ihres Deodorants so wenig wie mir. Oder hatte sie eine Packung Würstchen in der Handtasche, die sie ihm vorenthielt?

Ich bemühte mich um Gelassenheit. »Was hast du denn an meinem Schild zu mäkeln? Fandest du den Waldteufel schöner?«

»Wenigstens war das nicht so –«, sie suchte verzweifelt nach einem passenden Wort, »geil.«

Alles gluckste. Ich riss mich zusammen. »Nun sind wir ja zum Glück nicht hier, um über mein Schild zu diskutieren, sondern es geht um den Wagen. Stand der nicht schon immer hier?«

Beate war nicht zu beruhigen. »Eine Weile, lange kann man das nicht nennen. Und übrigens ist es auch völlig unklar, wie Peter an seine Lizenz gekommen ist.«

»Ganz ordentlich, wie es sich gehört, da kannst du sicher sein.« Detlev Niehaus von der Apotheke sitzt im Rat, er musste es wissen.

»Aber ER hat die Genehmigung gekriegt, nicht so ein hergelaufener – wie heißt er – Brinkmann?«

»Brockmann. Pitti kann unterverpachten, wie er will, so lange er sich an die Verordnungen hält. Kahlhut sagt –«

Beate platzte fast. »Dieser –, was hat der denn dazu zu sagen? Nichts. Überhaupt nichts. Wenn ich die Anzüge schon sehe.« Kahlhut kleidet sich gern bunt.

»Dafür gibt er einen Haufen Geld aus.« Maike vom Fashion Point ärgerte sich jetzt auch. »Allerdings nicht bei uns.«

»Vielleicht musst du was an deinem Sortiment ändern«, sagte Hella. Sie hatte mit Sicherheit auch nichts aus Maikes Laden an. Was ihr Hosenanzug gekostet hatte, wollte ich lieber nicht wissen.

Detlev reichte es. »Haben wir noch was Wichtiges? Ich muss in meine Apotheke zurück.«

»Moment, ich hab noch was.« Hubsi Kuhte war Eigentümer des Reisebüros und wendete sich an Beate Most. »Mir stinkt deine Grillbude im wahrsten Sinne des Wortes. Ich finde es die Höhe, dass du direkt vor meinem Laden braten darfst, aber dass du auch die Lizenz für Glühwein gekriegt hast, finde ich unglaublich. Die Leute erleichtern sich abends verdaut und unverdaut in meinen Eingang, und wir dürfen morgens den Dreck wegmachen. Es stinkt wie auf einem Passagierdampfer bei Windstärke 12, wenn die Leute nicht wissen, ob sie lieber vor- oder rückwärts in die Klokabine gehen sollen.«

Beate Most sah an ihrer Nase herunter. Ihr Grill mit Ausschank war der Stein des Anstoßes der ganzen Adolph-Roemer-Straße. Nicht nur, dass sie dem Weihnachtsmarkt, der buchstäblich um sein Leben kämpfte, wichtige Kunden wegnahm. Uns allen gingen die angeheiterten Glühweintrinker auf die Nerven, die sich ab nachmittags um vier die Nase begossen. Es wurde vermutet, dass ihr Punsch mehr als die erlaubten Prozente beinhaltete, um der Konkurrenz eins auszuwischen. Sie stand auf, wobei sie die Handtasche an den Busen presste, der unter ihrem Kinn anfing. »Ich muss auch los.«

Hubsi seufzte und resignierte. Wahrscheinlich dachte er über passende Todesarten für unsere Fleischermeisterin nach.

Bruno Göritz schwor uns abschließend auf flächendeckende Verteilung der Handzettel ein, die er herstellen und herumtragen würde. Es hatte fast eine Stunde gedauert, sich auf den Text zu einigen. ,Lauf nicht fort, kauf am Ort!‘ war ein Ergebnis des gesammelten Brainstormings gewesen. ,Kaufen in Clausthal immer lohnt, auch wenn man ganz woanders wohnt.‘ Wie heftig Beate auch für einen dieser lustigen Zweizeiler geworben hatte, war alles Gereimte letztlich verworfen worden. Letzten Endes hatte natürlich ein Anglizismus gesiegt – ,Buy-with-us‘ oder irgend sowas, was modern klingt. Ich glaube, es gibt keinen Spruch, der Leuten einleuchtend erklärt, dass es sich im Ergebnis lohnt, einen Euro mehr auszugeben, um den Einzelhandel am Leben zu halten.

Die Leute zahlten und brachen auf. Sandra wischte den Tisch ab und grinste mich an. »Ich bewundere dich für deine Geduld. Ich glaube, ich würde schreiend weglaufen.«

»Ich bin froh, dass die Leute überhaupt miteinander reden.« Ich setzte meine Brille auf und machte mich wieder daran, Zahlen in die Tabellen zu tippen.A

Der Großherzog

Die Leute an Tisch 3 und 4 zogen ihre Mäntel an und gingen. Die Barhocker am Langen Tisch, wie wir ihn nannten – ganz hinten in der Nähe des Flipperautomaten –, waren noch besetzt, meist junge Leute, die Schach spielten oder versonnen in ihre Smartphones tippten. Sandra ging die CD wechseln. Diesen Moment der Stille hatte Christian sich ausgesucht, um das Lokal zu betreten. Er blieb einen Augenblick in der Tür stehen. Der schwarze Mantel mit dem dicken braunen Pelzkragen hatte etwas Großherzogliches und passte gut zu seinen grau melierten Haaren, die er, seit ich ihn kenne (und das sind etwa 40 Jahre) zusammengefasst als langen Pferdeschwanz trägt. Es hatte angefangen zu schneien, was ich an den nassen Flocken sah, die auf seinem Kopf tauten. Er hatte mich sofort im Blick.

»Friedchen, wie nett. Man sieht dich ja kaum noch. Keine Lust mehr, was? So schnell aufgegeben? Zuviel Arbeit vielleicht?«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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