Katzenjäger - Yvonne Elisabeth Reiter - E-Book

Katzenjäger E-Book

Yvonne Elisabeth Reiter

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Beschreibung

Der junge Django genießt sein Katerleben in vollen Zügen. Bis eines Tages Katzen in seinem Dorf spurlos verschwinden, darunter die schöne Kira aus der Nachbarschaft. Panik macht sich breit und ein Katzenrat wird einberufen, um die Vermissten zu retten. Doch bald verschwindet auch ein Ratsmitglied. Der Fall scheint zunehmend aussichtslos. Da zieht Yoda, ein eigenartiger Ragdoll-Kater, im Nebenhaus ein. Er bringt Schwung in die Spurensuche. Eine spannende Verfolgungsjagd nimmt ihren Lauf. Doch führen diese Spuren tatsächlich zu den Vermissten oder werden aus Jägern Gejagte? Das gesamte Geschehen ist aus der Sicht der Katzen erzählt. Ein tierisches Vergnügen für jeden Katzenliebhaber und alle Menschen, die gerne spannende Wohlfühlkrimis lesen!

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Seitenzahl: 226

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Yvonne Elisabeth Reiter

Katzenjäger

Eine spannende Geschichte aus der Welt der Samtpfoten

1. Auflage

© 2021 Chiemgauer Verlagshaus, Breitbrunn

www.chiemgauerverlagshaus.de

Umschlaggestaltung: Ulrike Vohla

Coverabbildungen:

© sozon (Cover vorne), © Sunny_nsk (vor Mond), © GOLFX

Satz: Bernhard Edlmann Verlagsdienstleistungen, Raubling

978-3-945292-67-9

Inhaltsverzeichnis
Cover
Titel
Impressum
Start
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Buchvorstellung

Starker Regen prasselt auf die trockene Erde im Garten. Allein der Gesang der tanzenden Tropfen stimmt mich wohlwollend. Sie sausen in voller Fahrt in Richtung Boden. Kurz vor dem fatalen Aufschlag prallen sie auf ein winzig kleines Luftpolster, das sich automatisch zwischen ihnen und der Erdoberfläche bildet. Sie zerplatzen lautstark und versinken. Na ja, wenn es der derzeitig harte, staubige Boden zulässt. Von solch melodischen Klängen wird mein heutiger kuscheliger Morgen auf der Couch nach einer eher unruhigen Nacht begleitet. Ich stecke meine Nase unter meine Pfoten und atme geräuschvoll tief durch.

Ach ja, ich bin Django und eine, äh, hm, äh, man nennt meine Rasse eine gewöhnliche Hauskatze. Welchen begrifflichen Unsinn sich manche Zweibeiner doch ausdenken?! Hätten sie nur mein weiches, getigertes Sommerfell gesehen, wäre die Benennung meiner Rasse bestimmt anders ausgefallen. Es glänzt unter der Sonne wie die glitzernden Fäden einer edlen Seide. Außergewöhnlich würde ich mich nennen. Ich schüchtere die Katzen der Umgebung allein mit meiner Intelligenz und hübschen Statur ein.

Mein um zwei Minuten jüngerer Bruder Maximus dagegen ist grau-weiß meliert und eher schlaksig. Er muss hart um seine Stellung kämpfen, aber das macht er krallenstark. Und rennen kann er! Okay, das würde ich niemals in seiner Gegenwart zugeben: Ich bin stolz, dass mein Bruder der schnellste Läufer in unserer Gegend ist. Ansonsten ist er wortkarg und eher langweilig.

Der Gesang der Natur nimmt zu, worauf ich mich fest in die Mulde des Kissens drücke. Ich atme herzhaft durch. Bestimmt bin ich gleich im Reich der Katzenträume. Ein Schäfchen, zwei, hm, es funktioniert ganz und gar nicht. Ich komme nicht einmal in die Nähe des Hinüberdämmerns. Die Gedanken kreisen unangenehm laut in meinem Kopf.

Bei mir im Dorf gehen derzeit ungewöhnliche Dinge vor. Die Unruhe verfolgt mich sogar noch nach einem zufriedenstellenden Nachtrundgang im angrenzenden Wald. Immerzu denke ich an die langhaarige Kira, die zwei Häuser von mir entfernt wohnt. Wie sollte ich sie auch vergessen, wenn derart viele Plakate mit ihrem Gesicht im Ort hängen? Überall starren mich ihre mandelförmigen, seltsamen Augen an. Seltsam nenne ich sie nur, weil sie zweifarbig sind. Blau und grün ruhen sie anmutig im dichten, weichen Fell ihres symmetrischen Kopfes.

Kiras Zweibeiner machen sich riesige Sorgen.

Wo kann sie nur sein? Kira haut doch nicht einfach so ab! Vielleicht hat sie Chico verschreckt. Der tollpatschige Siamkater nervt uns alle, seitdem er vor zwei Monaten in unser Dorf gezogen ist. Obwohl er eigentlich ganz okay ist. Da haben wir schlimmere Katzen in der Umgebung; zum Beispiel Kater Leon drei Häuser weiter. Er ist ein nervig knurrender Kamerad. Außerdem hat er eine Konzentrationsspanne von gleich null, was zu ständigen Angriffen führt. Hm, aber dass er jetzt mit Kira auf Nimmerwiedersehen abgehauen ist, finde ich völlig inakzeptabel. Kira! Die schönste Katze der Welt gibt sich mit so einer aggressiven, buschigen Norwegischen Waldkatze ab. Norwegisch, wo bleibt denn da die Katzenehre?! Wir mitteleuropäische Katzen sind viel athletischer! Mit unserem aparten Körperbau bewegen wir uns wie elegante Panther auf Samtpfoten.

Kira ist eine weiße Angorakatze und ziemlich oft bei uns im Garten. Der ist aber auch erfreulich groß. Wir haben eine breite Terrasse mit hellen Steinplatten, die man direkt vom Wohnzimmer aus betritt oder von den Küchenfenstern oder dem Balkon mit einem riesigen Sprung auf den Gartentisch. Daneben stehen bequeme Holzstühle und dazu noch eine lange Bank. Das wahre Prachtstück ist jedoch ein luxuriöses bodenisoliertes Katzenhaus, das wir nachts allerdings nur im Notfall benutzen. In der Regel schlafen mein Bruder und ich bequem im Haus unserer Zweibeiner.

Der angrenzende Garten ist ohne Zweifel der schönste im Dorf. Wenn die Hitze das Gras nicht gerade gelbbraun einfärbt, ist es sattgrün und wirkt wie ein flauschig weicher Teppich auf meine feinfühligen Pfoten. Die alten Apfelbäume schenken mir im Sommer einen erholsamen Schatten, dienen mir jahreszeitenunabhängig als Kratzbaum, sind eine wahre Kletterfreude und runden den Blick harmonisch ab. Unter einem Baum steht eine steinerne Sitzbank, die von bunten Blumen umgeben ist. Hie und da wird sie von uns Katzen für ein Schlummerstündchen genutzt. Am Zaun gegenüber stehen eine winzige Scheune für Gartenwerkzeuge und ein hölzerner Komposter, der manchmal ein wenig streng riecht. Ansonsten könnte mein Paradies nicht schöner sein. Okay, dieser neue, ferngesteuerte Grasfresser nervt unheimlich. Irgendwie ist das Gerät ein gruseliges Ding. Dafür ist er leiser als der riesige Grasfresser. Der zehrt an meinen Katzennerven in überaus unangenehmer Weise. Ich zähle ihn zu den vielen Stressgeräten meiner Zweibeiner.

Huch, bin ich jetzt erschrocken.

»Ja, wo ist denn mein Django?«, fragt meine 16-jährige Zweibeinerin namens Tina, während sie das Wohnzimmer betritt.

Mein rechtes Auge weitet sich praktisch ganz von allein. Nicht falsch verstehen, ich mag meine zwei weiblichen Zweibeiner, Tina und ihre Mutter Sofie, wirklich gern. Sie stellen mir leckeres Essen hin, streicheln mich, kuscheln mit mir – auch wenn ich grad keinen Bock darauf hab – und lassen mich in ihren Betten schlafen. Aber, wie bitte soll ich auf die Frage, wo ich bin, anders reagieren als mit einem schnurrenden Mitgefühl für ihren kurzzeitig kritischen Geisteszustand?

Ansonsten sind meine Zweibeiner toll. Sofie ist eine große, dunkelblonde Frau, die in Menschenkreisen bestimmt sehr gut aussieht. Sie hat ihren Mann bei einem Autounfall verloren, was sie oft traurig stimmt. Das war noch vor meiner Zeit. Deshalb kenne ich ihn nur von Fotos, die beinahe jedes Zimmer zieren. Tina ist Sofies einziges Kind und die beste Katzenflüsterin der Welt. Sie versteht meine Blicke, Miau-Rufe und Körperbewegungen meistens auf Anhieb, na ja, wenn sie nicht gerade mit Teenager-Zeug beschäftigt ist, was Teenager leider zu oft sind. Sie ist eher schlanker Natur, hat braune, lange Haare und einen wilden Lockenkopf. Das Letztere macht ihr oft zu schaffen. Die Locken hat sie eindeutig von ihrem südländischen Vater geerbt, der sie auf den Bildern ganz kurz trägt.

Bei Tinas Kleidung jedoch mache ich mir manchmal ernsthafte Sorgen. Ihre Hosen sind zerrissen und ihre Oberteile erschreckend trüb. Man stelle sich einmal vor, unser Fell läge ausgefranst und matt auf unserer Katzenhaut?! Da stellt es mir ja gleich die Nackenhaare auf! Hm, Sofie wollte einmal eine Jeans flicken. Oh, Katzenhimmel, das gab einen Ärger im Haus. Offensichtlich ist Tina modisch auf dem aktuellen Teenager-Stand.

Sofie arbeitet als Ärztin in einem Krankenhaus. Dort kümmert sie sich um die Gesundheit von Kindern. Das macht sie bestimmt toll. Und Tina geht ins Gymnasium an einem Ort, der viel größer als unser Dorf ist. Sie hasst Hausaufgaben und liebt es, mit uns Katzen zu spielen. Manchmal verfolgt sie uns über den Garten durchs ganze Haus bis hinauf in den Dachboden. Das macht richtig Spaß. Okay, wenn sie sich unbemerkt hinter einer Tür versteckt, ich gelassen über die Schwelle tapse und sie wie ein Monster hervorspringt, finde ich das nicht so toll. Da springe ich schon einmal einen Meter mit ausgestreckten Beinen in die Luft. Gleichzeitig stellt sich mein Fell über der Gänsehaut unangenehm steil auf, meine Augen sind vor Schreck weit geöffnet. Mein Anblick ist bestimmt lustig. Trotzdem müsste sie nicht minutenlang kichern. Die Menschen sind schon komische Wesen. Als keineswegs nachtragender Kater schnurre ich derweilen um sie herum.

Jetzt bin ich wacher als wach und bemerke, dass der Gesang der tanzenden Tropfen an Intensität stark abnimmt. Ich richte mich auf, strecke genüsslich meine Vorderpfoten nach vorne aus und ziehe mich in die Länge. Ein wohliges Zittern durchfährt meinen Körper.

Tina reagiert.

Streicheleinheiten, mm, die sanften Bewegungen ihrer Finger massieren meinen geschwungenen Rücken. Mein Schnurren hört man bestimmt im ganzen Haus … jetzt muss ich aber los. An der geschlossenen Terrassentür angekommen, stelle ich fest, dass die Katzenklappe wieder einmal nicht funktioniert. Andauernd ziert sich das störrische Ding. Oder ist es, weil ich kein Band um meinen Hals toleriere? Wie auch immer! Wahrscheinlich ist sie kaputt. Der Blick nach draußen weckt in mir jedoch eine Ungeduld, den feinen Duft des weiterziehenden Sommerregens voll und ganz in mich aufzunehmen. Die Sonne scheint bereits auf den nassen Steinboden und kreiert kleine neblige Luftschlösser darauf. Da sprüht in mir die Vorfreude wie die Funken einer Wunderkerze.

Ich kann es kaum erwarten. Tina kommt bestimmt gleich. Ein intensiver Blick in ihre Richtung verändert nichts. Sie blättert urlangsam eine Zeitschrift für Teenager durch. Okay, ich laufe einmal um ihre Füße herum. Nichts. Ich wiederhole es zweimal. Nichts. Ich versuche es ein letztes Mal, wobei ich meine Stirn fest an ihren Unterschenkel drücke. Sie streichelt mich abwesend. Ich laufe ungeduldig zurück zur Tür, starre sie mit meinen grünen Augen an und maunze, so laut ich kann.

Na endlich, sie steht auf und öffnet mir die Tür. Der erdige Geruch berührt meine Nase überaus angenehm. Sogleich fließt er tief in mein Inneres hinein. Er ist unwiderstehlich.

Die Gegend ist katzenleer. Ein prüfender Blick verrät mir, dass auf der Terrasse alles beim Alten ist. Ich hüpfe auf einen Stuhl und beginne mich gründlich zu putzen. Zug für Zug fahre ich mit meiner speichelüberzogenen Zunge über mein rechtes Vorderbein, meine Pfote und meinen Rücken. Der Duft der Natur fließt dabei stetig durch meine Nase. Doch dann mischt sich ein mir vertrauter tierischer Geruch unter den erdigen.

»Feline?«

Meine Nachbarskatze Feline und ihre andersartige Schwester Blume wohnen direkt neben uns, sozusagen Zaun an Zaun. Auch sie haben eine angenehme Gartengröße mit einem Apfel- und einem Kastanienbaum. Sie müssen ihr Paradies allerdings mit drei jungen Hasen teilen. Katzenhimmel sei Dank, sie sind in einem riesigen Stall eingeschlossen. Ich darf mir nämlich keinen davon schnappen. Sonst gibt es Ärger.

Unsere zwei Gärten grenzen wiederum an einen weiteren Garten an, der zu einem roten Haus gehört. Dort lebt seit Kurzem niemand mehr, was das Gras wild wachsen lässt. Es muss ein Eldorado für die Natur sein. Keine scharfe, todbringende Klinge nimmt den Grashalmen ihre Spitze. Artenreiche Wildblumen und ‑kräuter werden durch die reichhaltige Bodenflora lebendig. Ein unterhaltsames Meer an bunter Vielfalt vereint sich lebhaft unter der strahlenden Sonne. Nur so ein Gedanke!

Feline springt mit erheblichem Kraftaufwand über den Holzzaun. Sie läuft aufgeregt auf mich zu. Dabei hinkt sie, was zur Folge hat, dass ihre Kruppe mächtig hin und her wankt. Ihr graues, plüschiges Fell bleibt dabei eigenartig bewegungslos. Doch ihre kupfergetränkten Augen leuchten heute verdächtig rot in ihrem runden Kurzhaargesicht.

»Hast du’s schon gehört?«

»Was soll ich gehört haben?« Ich gähne mal gelangweilt.

»Whiskers ist fort.«

Schlagartig überfällt mich eine Unruhe. Ich springe auf meine Pfoten, frage: »Wie lange?« und hüpfe zu Feline auf den Boden.

»Zwei Tage.«

»Das kann nicht wahr sein!«

»Ist es doch«, erwidert Feline beleidigt, weil eine Katze niemals lügt. Das wäre absolut unter ihrer Würde.

»Meinst du, dass Kira, Leon und Whiskers zusammen irgendwo ein besseres Zuhause gefunden haben?«, wundere ich mich.

»Kann ich mir nicht vorstellen.«

»Warum nicht?«

»Kiras Zweibeiner stehen auf dem von ihr frei erfundenen goldenen Podest mit Auszeichnung. Das weißt du doch!«

Ich stimme zu, weil ich mich gut an Kiras Schwärmereien erinnern kann.

»Ihr Gelaber bringt doch jeden hier zur Weißglut«, bemerkt Feline genervt.

Katzenherz, bleib ruhig! Eine verdichtete Energie nähert sich uns. Feline stellt sofort ihre kurzen Haare auf. Gleichzeitig krümmt sie ihren Rücken nach oben. Ihr Hinterteil stellt sich quer zur Gefahr, worauf sich ihre dicke, grob verwachsene Narbe am linken Oberschenkel warnend vor meinem Gesicht hin und her bewegt. Ich folge ihren weit aufgerissenen Augen und entdecke den abgemagerten braunen Kater, der sich ohne ersichtliche Angst in unsere Richtung schleppt. Feline zeigt nun fauchend ihre Zähne, und das, obwohl Britisch-Kurzhaar-Katzen normalerweise einen geselligen, entspannten Charakter aufweisen.

»Der schon wieder«, betone ich knurrend, um Feline Rückendeckung zu geben.

»Ich hasse ihn.«

Der fremde Kater sucht eine neue Heimat, aber weder Feline noch ich wollen Zuwachs in unserem Zuhause. Wir müssen ihn in seine Schranken weisen, auch wenn er einem fast ans Katzenherz geht. Nur fast!

»Dein Garten, dein Problem!« Feline entfernt sich vorsichtig in Richtung Heimat.

Na toll. Jetzt muss ich wieder der Böse sein. Das Dumme ist, dass sich dieser Kater weder von meiner jugendlichen Eleganz noch von meinem tiefen Knurren in die Flucht schlagen lässt. So sitzen wir beide manchmal für gefühlte Stunden mit einem angemessenen Abstand auf der Terrasse. Was für eine Zeitverschwendung. Trotzdem will ich verhindern, dass er in die Nähe der Katzenklappe kommt.

Nach einer längeren, aber erfolgreichen Partie von abwartendem Anstarren, Fauchen und Knurren hielt ich am Nachmittag doch noch ein gemütliches und überaus notwendiges Schläfchen. Ausgeruht und mit vollem Magen geht es sofort in die Freiheit der Natur. Dort entdecke ich die Sonne, die sich gleißend dem orangeroten Horizont nähert, was mich auf eine vielversprechende glasklare, mystische Nacht vorbereitet.

Mit mystisch meine ich keineswegs eine transzendente, übersinnliche Erfahrung, wie es Felines jüngere und andersartige Schwester Blume philosophisch interpretieren würde. Ich spreche von einer geheimnisvollen, abenteuerlichen Stimmung, die mich aufmerksam unter den Augen des Mondes wandeln lässt.

»Wann treffen wir uns?«

Katz oh Katz, hat Maximus mich jetzt erschreckt! Ich denke gerade noch an die hochsensible Blume und ihre philosophisch merkwürdigen Auswüchse und schon will mein langweiliger Bruder wissen, wann sich der Katzenrat heute trifft.

»Wie immer bei Einbruch der Dunkelheit!«

Ich streife jetzt erst einmal durch das gelbgrüne, zentimeterhohe Gras in unserem Garten, schnüffle nach fremden Gerüchen und lege meinen eigenen ab. Danach geht es in den Nachbarsgarten mit dem roten Haus, wo derzeit keiner wohnt. Pfote für Pfote tauche ich in das hohe Gras ein. An manchen Stellen ist es am Boden überraschend feucht. Zu nass für meinen Geschmack. Ich schüttle es sofort ab. Einige Male muss ich deshalb meine Erkundungstour unterbrechen.

Das Gras duftet vorzüglich nach Löwenzahn, Gänseblümchen und Blauem Heinrich, dennoch ist es überall durchzogen von den Gerüchen vorheriger Vierbeiner, die wie ich die Macht ihrer Duftmarke präsentieren wollen. Da sich jeder Grashalm automatisch mit der Würze des Vorbeiziehenden färbt, muss ich viele dieser Aromen auf einmal tolerieren. Jede Berührung ist für mich von besonderer Bedeutung. Keiner weiß, wer am Ende der König des neuerdings verlassenen Gartens wird. Ich gehe einfach mal davon aus, dass ich es bin.

Als der Schatten der Nacht meine Heimat in seine dunkle Gestalt einhüllt, laufe ich in Richtung Wald. An der uralten Eiche sehe ich die um Kira und Whiskers geschrumpfte Gruppe unruhig mit den Pfoten auf den Boden tapsen. Felines, Blumes, Chicos und Maximus’ Köpfe schnellen in meine Richtung, als sie meinen Duft wittern. Je näher ich komme, desto deutlicher fängt mich ihr vom Stress getränkter Geruch ein.

»Was ist los?«

»Wir machen uns wegen Kira und Whiskers Sorgen«, erklärt Chico, unser neuestes und noch unerprobtes Mitglied.

»Du malst furchtbare Bilder in unsere Köpfe!«, beschwert sich Blume, die sich ängstlich an den dicken Baumstamm der Eiche drückt. Ihre große Statur verschwindet beinahe hinter den weit herunterhängenden, mit jungen Eicheln und grünen Blättern vollen Ästen.

»Chico hat schon recht«, behauptet Feline. »Mit Leon sind es drei vermisste Katzen innerhalb von drei Wochen. Mit ihnen kann alles Mögliche passiert sein.«

Blume miaut vor Angst.

»Blume«, rutscht es mir zu hart und zu knurrend heraus. Ich verstehe ihre Angst durchaus. Mir ist ebenso unwohl bei dem Gedanken, was mit den dreien passiert sein könnte. Deshalb schlage ich vor: »Wir müssen herausfinden, was da vor sich geht.«

Blume zittert am ganzen Körper. Obwohl sie eine kräftige Katze ist, fürchtet sie sich vor allem, sogar vor dem fiktiven schwarzen Geist, der laut den Dorfkindern im Wald leben soll. Wer weiß, was Blume vor der Zeit im Tierheim alles erleben musste? Kein Wort ist aus ihr herauszuholen. Auch Zweibeiner können schwarze Monster sein.

»Was soll da schon vor sich gehen?«, entgegnet Maximus gelassen.

Blume tritt vorsichtig aus dem Schatten der Eiche. Ihr schwarz-grau-weißes Fell schimmert glänzend im Mondlicht. Aufs Neue erstaunt mich ihre prachtvolle Maine-Coon-Erscheinung, die von der Besonderheit eines einzigen orangen Streifens untermalt wird. Er zieht sich von der Nase über das rechte Auge entlang zur Stirn. Außerdem wirkt sie alles andere als hasenfüßig. Ihre breite Brust unterstützt ihre ausgeprägte Muskulatur in perfekter Harmonie. Ihre langen Ohren schließen erhaben mit einem hellen Haarbüschel ab. Nur ihre großen, goldenen Augen verraten ihr unsicheres, scheues Wesen. Doch ihre dunkle, buschige Schwanzspitze macht ihren aktuellen Unmut mit wechselnden Bewegungen deutlich.

»Fällt euch nichts auf?«, fragt Feline.

»Nein«, erwidert Maximus.

»Alle drei sind gesunde, ausgewachsene Katzen, die sich noch nie ernsthaft über ihre Zweibeiner beschwert haben.«

»Und?«

»Keine Beschwerde heißt ein gutes Zuhause. Gesund bedeutet, dass sie leckeres und vor allem ausreichend Essen erhalten.«

»Es wird doch nicht das schwar…«

»Blume!« Jetzt bin ich gereizt. »Es gibt kein schwarzes Monster im Wald und schon gar keines, das Katzen verschwinden lässt.«

Feline nickt zustimmend. »Also, warum sollten sie abhauen? Warum gemeinsam, wo Leon nicht gerade unser Freund ist?«

Maximus verzieht seine Schnauze. Er hat keine Antwort parat. Blume hat ebenso keine Ahnung und verzieht sich beleidigt zurück in den Schatten der Eiche. Katzenärger, ich wollte sie in keiner Weise kränken, aber welche Katze, bitte, glaubt an fiktive schwarze Monster?! Egal, wir müssen handeln. Ich erwidere: »Du hast recht, Feline, da geht etwas Eigenartiges vor.«

»Was können wir tun?«, will Chico wissen, als er einen Schritt auf mich zugeht und prompt über eine Baumwurzel stolpert. »Ich, ich …«

Entgeistert beobachte ich ihn, wie er sich mit einem ausgesprochen starken Willen, dennoch ungeschickt aufrichtet. Es dauert. Katzenhimmel sei Dank, er steht wieder sicher auf seinen ovalen, eher klein geratenen Pfoten.

Er blinzelt unangenehm schnell und viel, was seine blauen Augen im eng anliegenden Haar seines dunklen Gesichts beinahe verschwinden lässt. Seine Ohren, Pfoten und sein Schwanz sind ebenso schwarz. Der Rest des Fells ist cremefarben und elfenbeinweiß. Ich gebe zu, seine Zeichnung strahlt im Gegensatz zu seinem Verhalten Eleganz aus.

»Ich bin gerade erst dabei, in meiner neuen Heimat all die Gärten, Tiere und Zweibeiner zu erkunden. Das ist furchtbar anstrengend. Überall lauert Gefahr. Gestern kam mir ein brauner Hungerhaken entgegen. Das ist ein hinterlistiger Kater!«

»Hinterlistig?«, stelle ich infrage, da sich der Heimatsuchende bei mir stets regelkonform verhält.

»Er ist mir bestimmt unauffällig hinterher. Daheim lag ich gemütlich im Bett meines Zweibeiners, als ich das schaufelnde Geräusch am Napf hörte. Ich lief zur Treppe. Vor lauter Schreck übersah ich eine Stufe und rutschte sie bis zum Hausgang hinab. Meine gefletschten Zähne beeindruckten ihn nur wenig. Es dauerte ewig, bis ich ihn über die Katzenklappe hinausbeförderte.«

Feline stimmt zu: »Mich nervt der auch tier…«

»Mir fehlt Whiskers«, unterbricht Blume ihre Schwester mit bebender Stimme. »Wir sind wie Yin und Yang. Jeden Morgen begrüßten mich seine mintgrünen, strahlenden Augen an der Wohnzimmertür. Sein dichtes Fell besitzt die reinste seidenweiche Textur, die ich kenne. Er ist muskulös und schlank. Er ist mein Freund, mein Licht in der Dunkelheit.«

»Yin und Yang?« Chico verzieht seine Schnauze.

Feline lacht. »Du musst wissen, unsere Zweibeinerin lebt allein, also nur mit uns, und ist eine Yogalehrerin, Malerin, Teilzeit-Sekretärin und begeisterte Leserin. Sie liest uns oft stundenlang aus Büchern vor. Blume nimmt sich die Worte schwer zu Herzen.«

»Das hört sich geradezu grausam an!«

»Ganz und gar nicht. Wir kuscheln uns in ihr extrabreites Bett und sie liest und liest. So reisen wir gedanklich oft in andere Länder und lernen andere Kulturen kennen. In Ägypten zum Beispiel sind wir Katzen heilig. Dort werden wir als Götter verehrt.«

In Ägypten werden Katzen als heilig angesehen?! Tina munkelt, dass mein Vater eine ägyptische Tigerkatze ist. Hm, vielleicht ist er auch heilig? Und somit bin ich heilig! Mein Herz nimmt an Fahrt auf.

Blume schleicht sich erneut aus dem Schatten zu uns. Ihre goldenen Augen funkeln. »Das war früher mal so, Feline. Du hörst auch gar nicht richtig zu.«

Feline zuckt gelassen mit den Schultern.

Dabei fällt mir Kira ein, die so schön wie eine Göttin ist. »Kira ist meine …« Was wollte ich gerade sagen? Kira ist meine Freundin?! Ein SAM-Kater – stolz, außergewöhnlich und mitteleuropäisch – hat keine Freundin.

»Was?«, fragt Feline nach.

»Sie gehört zu uns«, erkläre ich mit gedämpfter Stimme.

»So wie Whiskers«, betont Blume.

Die Maine Coon sind halt anhängliche Katzen.

»Also rufen wir den Katzenalarm aus?«, quietscht sie in Aufregung.

»So ist es, Blume«, stimme ich als Vorsitzender des Katzenrats zu.

»Was ist denn ein Katzenalarm? Ich komme aus einer Großstadt. Dort gibt es keine Katzenratsversammlungen und keine Alarme«, wundert sich Chico.

»Vor Monaten mussten wir zum ersten Mal den Katzenalarm ausrufen, weil fremde Zweibeiner ein lecker riechendes Futter in der Wiese auslegten. Ich schnappte mir ein wenig davon und war danach derart schwach, dass mich beim Überqueren der Straße ein Auto am Oberschenkel erwischte«, erklärt Feline.

»Deshalb hinkst du!« Chico blinzelt mitfühlend.

»Deshalb, ja. Trotzdem hatte ich riesiges Glück. Mehrere Katzen starben daran.«

»Konntet ihr da wirklich etwas ausrichten?«, zweifelt Chico.

»Natürlich«, erwidere ich, erneut zu knurrend für meinen Geschmack.

Da springt Chico ängstlich zurück, bleibt mit den hinteren Beinen an derselben Baumwurzel hängen und fällt mit der Kruppe voran rückwärts darüber. Es ist unerträglich unangenehm, ihm zuzusehen, wie lange er braucht, um erneut auf seine Pfoten zu kommen. Mehrmals rutscht er an einer herausstehenden Wurzel ab und plumpst auf den Boden. Ich sollte wohl ein paar beruhigende Worte zu ihm sprechen.

»Ist schon gut, Chico. Ich tue dir nichts. Du bist ein Mitglied des Katzenrats und somit ein Freund.«

Chico ist erleichtert. So ein tollpatschiger Kater braucht definitiv Unterstützung in einer neuen Welt wie der unseren. Raubtiere können sich riechen oder eben nicht. Wenn das Letztere der Fall ist, hat man hie und da einen guten Freund nötig, vor allem nachts, wenn die Dunkelheit die finsteren vierbeinigen Individuen zum Leben erweckt.

Am nächsten Morgen läuft alles wie gewohnt. Tina beeilt sich, um rechtzeitig zur Schule zu kommen, während ich gemütlich vom Wohnzimmer in das Esszimmer marschiere, wo Sofie beim Frühstücken sitzt. Ich hüpfe auf einen freien Stuhl und daraufhin auf die hintere Hälfte des lang gezogenen Tisches. Dort darf ich mich gemütlich hinlegen, um in Ruhe die Lage zu erkunden. Obwohl morgens der Blick auf das Essen eher weniger ansprechend ist. Trotzdem schnurre ich mal vorsichtshalber. Sofie krault mich am Hals. Mm … Ein Erfolg vielleicht von zweien?

»Ich habe dir die Reste von Sofies Haferflocken ins Näpfchen gelegt.«

Habe ich das gerade richtig verstanden? Ich genieße für einen weiteren Moment die angenehme Massage meines Nackens.

Dann springe ich vom Tisch und sehe mir meine Futterschüssel genauer an. Aha! Das Aufstehen hat sich gelohnt. Tina hat mir ein bisschen was übrig gelassen. Lecker!

Ich schaufle hastig in mich hinein, sodass mir Maximus nichts wegnehmen kann. Selbst im ersten Stock riecht er den Duft von in Milch eingeweichten Haferflocken. Heute muss er wohl tief schlafen. Kein Maximus ist weit und breit in Sicht.

Der Napf ist leer und ich verspüre immer noch einen Hunger. In der Küche räumt Sofie die Spülmaschine ein. Ich streife um ihr Bein und drücke mich fest dagegen. Sie krault meinen Rücken.

»Das war zu wenig, oder, Danjgo?«

Ich miaue zustimmend, laufe auf die Katzenfutter-Tür zu und starre sie an. Sie holt eine gelbe Dose heraus, öffnet sie und legt mir das Futter in den Napf. Der Duft von saftigem Huhn entzückt meine Nasenhöhle. Ich schaufle. Mmh, lecker!

»Du weißt, dass du ohne Halsband nicht durch die Klappe durchkannst?«, bemerkt Sofie, als sie ihre Tasche von der Kommode nimmt. Sie ist wohl kurz davor, in die Arbeit zu fahren.

Hm, und du weißt, dass ich keine Halsbänder trage. Ich miaue, aber sie versteht kein Wort. Auch Maximus streift jedes Halsband ab. Der hätte sich neulich beinahe daran aufgehängt. Da blieb er doch glatt mit seiner Pfote zwischen Hals und Band hängen. Ich musste so viel lachen, dass ich beinahe von der Couch gefallen wäre. Im Gegensatz zu Tina, die sich ernsthafte Sorgen um Maximus machte.

Seitdem mein Bruder und ich bei Sofie und Tina leben, sind wir es gewöhnt, dass sie uns zu jeder Tageszeit Dosen, Türen und Fenster öffnen. Jetzt plötzlich wollen sie nachts durchschlafen. Na ja, Maximus und ich wollen ja nicht die ganze Nacht draußen bleiben. Ein nächtliches Nickerchen im kuscheligen Daheim tut schon gut. Versteh einer die Zweibeiner!

Mit vollem Magen mache ich mich auf den Weg zu meiner derzeitigen Lieblingsstelle im Bad im ersten Stock. Dafür liegt eine dicke Decke in der Badewanne. Dort entdecke ich Maximus, der auf dem grauen Teppich vor der Dusche liegt. Er sieht mich mit einem weit aufgerissenen Auge an. Doch gleich darauf schließt er es, beruhigt über den bekannten Störenfried. Ein intensives Gähnen folgt. Er überkreuzt seine Pfoten, steckt seine Nase tief darunter und gurrt genüsslich. Ich springe derweilen auf den Badewannenrand, checke die Lage unter mir ab und lasse mich mit allen vier Pfoten auf die Decke fallen. Sanft sinke ich hinein.

Da überkommt mich der Drang zu einer Säuberung und ich beginne mit der rechten Pfote. Zug für Zug streife ich mit der Zunge zwischen und über meine Fußballen. Die Pfote ist sauber. Es zwickt am Rücken und ich widme mich ihm. Nach einer Weile fühlt sich mein Körper äußerst gut an. Ich lege mich wie eine Sichel mit ausgestreckten Beinen auf den Rücken und atme tief durch. Es ist eine angenehme Position. Mit geschlossenen Augen zähle ich meine schlafbringenden Schäfchen, doch Kira spukt in meinem Kopf herum. Kein Schäfchen schafft es über das Gatter. Ich seufze tief.

»Denk heute Abend an unser Treffen«, bemerke ich und wecke damit Maximus erneut auf.

»Warum?«, erwidert er genervt.

»Weil der Katzenalarm ausgerufen wurde.«

»Das heißt?«

Oh, Katzenhimmel, bei meinem Bruder habt ihr ein paar Gehirnzellen ausgelassen. Oder vergessen? Wer weiß das schon.

»Das heißt, dass wir uns von heute an jeden Abend treffen, bis die Gefahr vorüber ist.«

Maximus seufzt theatralisch laut.

Das wiederum soll heißen, dass ich meine Schnauze halten soll: Er will schlafen.

Ich gebe mich nun voll und ganz Kira hin. Ich gurre genüsslich, als ihre elegante weiße Statur in meinem Geist herumspaziert. Sie lächelt mich an. Oh, Katzenhimmel, ist sie schön! Ich stelle mir vor, wie wir Seite an Seite unter den wachsamen Augen des Mondes durch die derzeitigen Steppen ziehen. Ihr glattes Fell glänzt wie die reinste Seide. Anmutig tragen ihre langen, schlanken Beine ihren grazilen Körper. Ihr buschiger Schwanz ist entspannt nach oben gerichtet. Sie fühlt sich bei mir wohl.

Maximus schreckte schon einige Male fauchend aus dem Schlaf. Bei ihm gibt es wohl keine anmutigen Katzen, sondern lediglich die kampflustigen Feinde aus unserer Gegend. Er ist halt Maximus, der mutige Krieger unserer Katzenwelt.

Wie komme ich jetzt nur von der schönen Kira auf Maximus? Meine Gedanken sind mir zu wenig vorhersehbar. Ich rolle mich ein und schließe meine Augen. Kurz darauf übermannt mich der Schlaf. Allerdings kann er nicht lange angehalten haben. Als ich meine Augen öffne, höre ich Maximus im Schlaf gurgeln, was darauf hindeutet, dass er immer noch vor der Dusche liegt. Im Haus ist zudem kein Mucks zu hören. Tina ist bestimmt noch in der Schule und Sofie in der Arbeit.