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Sie erwartet Amors Pfeil – und bekommt stattdessen Messerstiche. "Als würden die 'Gilmore Girls' Mordfälle an der Nordsee lösen" - Leserin Natascha K. Was als romantischer Valentinstagsabend geplant war, endet für Laura von Steiner mit einer bösen Überraschung: Ihr Date liegt erstochen auf dem Esstisch. In der idyllischen Kulisse von Tjadesiel wird Laura schnell zur Hauptverdächtigen. Um ihre Unschuld zu beweisen, wendet sie sich an ihre langjährige Freundin Kea Klaasen, eine unkonventionelle Vintage-Liebhaberin mit einem scharfen Sinn für Sarkasmus. Doch jeder Hinweis, den Kea verfolgt, verliert sich im dichten Küstennebel der Lügen. Kann Kea den wahren Täter entlarven, bevor Lauras Leben unwiderruflich zerstört wird?" Mischen Sie sich eine kräftige 'Tote Tante', kuscheln Sie sich in Ihre gemütlichste Decke und schlüpfen Sie in die Rolle der sarkastischen Detektivin. Jede Seite führt Sie näher an das überraschende Ende heran – können Sie den Mörder entlarven, bevor Kea ihm auf die Schliche kommt? „Eine perfekte Mischung aus Spannung und Abendlektüre. Absolut lesenswert!“ – Testleserin Romina B. „Absolute Leseempfehlung! Unglaublich lustig, besonders weil Kea so herrlich sarkastisch ist.“ - MissMarples_Seeseiten „Das erste Buch seit langem, bei dem die Bilder wie ein Kinofilm vor meinen Augen abliefen.“ - Antje D. Dieses Buch ist der Auftakt zur "Morde mit Meerblick"-Reihe. Alle Bücher sind unabhängig voneinander lesbar.
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Veröffentlichungsjahr: 2024
KEA KLAASENS MORDE MIT MEERBLICK - 1. FALL
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Originalausgabe, 2. Auflage
Copyright © 2024 by Valerie Nordmann
Herausgegeben von Annika Bühnemann, C/o vom Schreiben leben, Edisonstr. 63, Haus A, 1. OG, 12459 Berlin
Cover-/Umschlaggestaltung: Buchgewand Coverdesign unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com: MaxWo, Vuang, fotograf-halle.com, Jenny Sturm; depositphotos.com: Ensuper, gresey, karandaev
ISBN-13: 9783759237590
Alle Rechte vorbehalten.
Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Erlaubnis durch die Autorin.
Mit einem letzten prüfenden Blick in den Spiegel bereitet sie sich auf einen Abend vor, der alles wird, außer gewöhnlich. Sie zieht die tiefroten Lippen nach und wirft sich einen Kuss zu. Auf ihrem Handy läuft »You can leave your hat on«. Sie tänzelt von einem Bein auf das andere, während sie sich ein paar Mal durch die Haare fährt. Wie hat sie diesem Abend entgegengefiebert! Das Haus ist erfüllt vom Geruch des Hähnchens, von Klößen und Rotkohl, und im Wohnzimmer wartet ein besonderer Mann auf sie. Für das heutige Aufeinandertreffen hat sie sich neue Unterwäsche gekauft, die zwar etwas ungemütlich ist, aber ihre Brüste in eine perfekte Form bringt. Das straffe Gummi, das die halterlosen Strümpfe an ihrem Platz hält, schmiegt sich eng an ihre Haut.
Summend denkt sie an die ganzen Singles, die heute, am Valentinstag, einsam zu Hause sind. An diejenigen, die sich einfach nur eine Umarmung wünschen oder die sich nach einem Kompliment sehnen. Die so viel auf sich nehmen, um einen Lieblingsmenschen in ihr Leben zu ziehen, und am Ende doch wieder allein sind.
Laura tritt einen Schritt zurück und betrachtet sich erneut im Badezimmerspiegel. Ihre Korkenzieherlocken fallen engelsgleich über die Schultern. Das schwarze Minikleid schmeichelt ihrem Körper. Es war eine ganz schöne Verrenkung, den Reißverschluss ohne fremde Hilfe zu schließen. Bei dem Gedanken, wie sie sich fast den Arm ausgekugelt hat, um überhaupt den Verschluss greifen zu können, kichert sie. Was tut man nicht alles für einen außergewöhnlichen Abend.
Ein letzter prüfender Blick. Sie ist zufrieden. Für eine Zweiunddreißigjährige muss sie sich wahrlich nicht verstecken. Sie stellt die Musik aus und verlässt das Badezimmer im ersten Stock.
Von unten dringt kein Laut nach oben. Selbst das Hähnchen riecht man dank der guten Dämmung kaum. Laura schwebt auf ihren mörderischen High Heels die Treppe herunter. Mit jeder Stufe hört sie die Musik aus dem Esszimmer deutlicher. Sie kann sich nicht erinnern, dass sie die Anlage überhaupt eingeschaltet hat. Vielleicht möchte Valentin sie zum Tanzen auffordern – aber noch vor dem Essen? Sie hat andere Pläne. Ihr Magen knurrt. Das ist sicher die Aufregung. Betont langsam betritt sie das Wohnzimmer.
Und stolpert zwei Schritte zurück. Das Handy fällt scheppernd zu Boden.
Ihre Hände zittern unwillkürlich und es fühlt sich so an, als sei ihr Körper plötzlich taub geworden. Sie will weggucken, aber ihre Augen verharren auf dem Esstisch.
Valentins Oberkörper liegt regungslos auf dem Tisch.
Ein Messer ragt aus seinem Rücken.
Ein Messer, das sie nur allzu gut kennt. Damit hatte sie gleich das Hähnchen schneiden wollen. Seine Augen sind weit aufgerissen, als hätte er sich erschrocken. Blutflecken sind auf dem Teppich.
In diesem Moment bläht sich der Vorhang vor der Terrassentür auf.
Lauras Herzschlag setzt für einen Augenblick aus.
Diese Tür war definitiv geschlossen, bevor sie hochgegangen ist.
»Du bist eine außergewöhnliche Frau.« Alexanders tiefe Stimme kribbelt wohlig in meinem Bauch.
»Gut erkannt.«
Wir sitzen auf der Couch, pappsatt und angetrunken. Ich will ihn stundenlang betrachten. Es sollte verboten werden, so gut auszusehen, das hält die Mitmenschen vom klaren Denken ab. Eigentlich hatten wir uns einen Film ansehen wollen, aber ich kann meine Augen nicht von ihm abwenden. Und Alexander scheint es genauso zu gehen.
Seine Hand streichelt meine Finger, gleitet über den Unterarm und landet in meinem Nacken. Sachte beugt er sich vor und fährt mit seinen Lippen die Strecke nach. Die Küsse explodieren wie ein Feuerwerk auf meiner Haut. Quälend langsam erforscht er jeden Zentimeter an mir.
»Ich glaube, das wird der schönste Valentinstag, den ich je gefeiert habe«, raunt er mir zwischen zwei Küssen zu.
»Eigentlich bin ich kein Fan von diesen künstlich aufgeputschten Festen«, antworte ich leise mit geschlossenen Augen. »Du weißt schon: Alles eine Erfindung der Blumenindustrie. Danke übrigens für die Rosen.«
»Immer wieder gern.«
»Dafür hätte man auch fünf Wochen Urlaub auf den Malediven machen können.« Ich lasse meine Hände über seine stoppeligen Wangen gleiten und küsse ihn schmetterlingssanft. Er schmeckt nach mehr. »Wenn der Valentinstag bedeutet, dass ich mich mit jemandem wie dir treffen kann, sehe ich aber großzügig über meine Abneigung gegenüber kitschigem Romantikgeschnulze hinweg.«
»Zu gnädig.« Seine Lippen gleiten sanft über meine Schultern. »Ich hätte nie gedacht, dass ich mich mal mit der Schulfreundin meiner kleinen Schwester treffe.«
»Und ich hätte nie gedacht, dass ich mich nicht an den Bruder einer Freundin erinnern kann. Wobei ich zu meiner Verteidigung sagen muss, dass ich mit Laura seit der fünften Klasse keinen Kontakt mehr hatte. Und damals fand ich Jungs noch ziemlich ekelig.«
»Zum Glück hat sich das geändert.« Seine Finger gleiten lautlos über meinen Nacken. »Eigentlich schade, dass ich so selten in Tjadesiel bin. Vielleicht hätten wir uns dann schon früher getroffen.«
»Die Welt des Drogenhandels braucht dich eben.«
»So, so, das denkst du über Pharmavertreter?«
Ich zucke mit den Schultern. »Hör nicht auf mich, ich rede meistens Unsinn.«
Nun muss er lachen. »Trotzdem: Meine Oma wohnt hier. Ich sollte sie öfter besuchen.« Alexanders Lippen nähern sich meinen.
»Wer ist deine Oma?« Ich erinnere mich an kaum etwas über diese Familie.
Kurz presst er den Mund zusammen, als müsse er überlegen, ob er sich mit mir unterhalten oder mich küssen will. »Sie lebt in dieser Seniorenresidenz am Leuchtturm. Käthe von Steiner heißt sie.«
Ich lächle breit. »Die alte Käthe?« Käthe ist ein Urgestein der Kleinstadt. Seit ein paar Jahren, besonders seit dem Tod ihres Mannes, ist sie jedoch immer weniger zurechnungsfähig geworden.
»Und was ist mit dir?« Nun lehnt sich Alexander zurück und greift nach seinem Weinglas. »Dein Café ist ja bis über die Stadtgrenzen hinaus bekannt.«
»Ich könnte jetzt bescheiden tun, aber das ist nicht so meine Art.«
»War bestimmt viel Arbeit, dir einen solchen Ruf aufzubauen.«
Das ist wahrer, als er denkt. »Ständige Überstunden sind eine gute Ausrede, um meinem launischen Teenager aus dem Weg zu gehen.«
»Ach, stimmt, deine Tochter. Die ist wirklich schon siebzehn?«
Auch ich genehmige mir einen großzügigen Schluck und nicke dann. »Ich war so alt wie sie, als ich sie bekommen habe. Anfangs habe ich noch bei meinem Onkel und meiner Tante gewohnt, wo ich aufgewachsen bin, aber mit achtzehn habe ich uns eine eigene Wohnung gesucht.« Ich erspare ihm lieber die Details meiner Familiengeschichte, um ihn nicht zu vergraulen.
»Ich hätte dir damals gerne Unterschlupf geboten.« Alexander lehnt sich zu mir und gibt mir einen langen Kuss, der nach Rotwein schmeckt. Ich verzichte auf den Einwand, dass er sich mit meiner Morgenübelkeit und schroffen Art vermutlich keinen Gefallen getan hätte. Stattdessen schiebe ich die Erinnerungen an damals einfach weg. Ich bin nicht mehr siebzehn, sondern vierunddreißig. Meine Tochter ist – natürlich – bei ihrem Freund und darf ausnahmsweise sogar dort übernachten, was ich ihr eigentlich bis zur Hochzeitsnacht verbieten wollte.
Aus gutem Grund, wie ihre Existenz beweist.
Aber Beke ist sehr viel vernünftiger als ich und ich kann ihr vertrauen. Sie macht das schon.
Wenn ich an die Zeit damals denke, werde ich schnell traurig und wütend wegen all der Dinge, die vorgefallen sind, und darauf habe ich jetzt gar keine Lust.
Im Gegenteil. Ich habe Lust auf etwas ganz anderes.
Mit langsamen Bewegungen ziehe ich Alexander auf mich, schlinge ein Bein um seinen Rücken und lasse mich von ihm liebkosen. Die weichen Klänge meiner liebsten Josephine-Baker-Playlist durchdringen mich ebenso wie das Verlangen danach, Alexander das blaue Seidenstickerhemd vom Körper zu reißen. Ob er auf seinen Reisen nach Indien auch etwas gelernt hat, das uns beiden jetzt nutzen kann?
Er hat gerade meinen BH geöffnet, als sein Handy klingelt.
Abgelenkt wirft er einen Blick auf das Display. Mitten in der Bewegung hält er inne. »Da muss ich ran«, sagt er, steigt geistesabwesend von mir herunter und tippt auf den grünen Telefonhörer. »Laura?«
Ich warte ein paar Sekunden ab, um einschätzen zu können, ob ich mich anziehen oder warten soll.
Er hört zu. Mit jeder Sekunde, in der ihm die hysterische Frauenstimme am anderen Ende etwas erzählt, versteinert sich sein Blick mehr. »Was? Das … das kann ich nicht glauben. Wann? Wo? … Ich komme sofort.« Er legt auf und lässt sich neben mich sinken. Gerade noch lag ein selbstbewusster, stattlicher Mann auf mir, aber der verblasst mit jedem Atemzug. Die Nachricht muss dramatisch sein. Alexander sieht aus wie eine Leiche und starrt auf sein Handy. Ich lasse ihm die Zeit, die er braucht, um ohne Aufforderung zu berichten, was los ist. »Meine … meine Schwester.« Er schluckt, als wolle er eine schmerzhafte Wahrheit verdauen. »Ihr Valentinsdate ist ermordet worden.«
Blogbeitrag von Laura auf »Liebe geht durch den Magen« vom 5. Oktober:
Liebe Leserin, ich muss dir etwas sehr Trauriges mitteilen: Abbo und ich haben uns getrennt. Es bricht mir das Herz, diese Zeilen zu schreiben, und ich möchte dich (und alle, die das hier lesen) bitten, unsere Privatsphäre zu respektieren und davon abzusehen, mir Nachfragen zu stellen.
Der Schritt hat sich schon länger angebahnt. Wie viele Nächte habe ich wachgelegen und darum gerungen, dass uns eine andere Lösung einfällt!
Wenn du meinem Blog oder meinen Kanälen in den sozialen Netzwerken folgst, weißt du, wie holprig meine Reise in diese Ehe war.
Ich habe »Liebe geht durch den Magen« gegründet, als ich Single war. Eigentlich wollte ich meine liebsten Rezepte teilen und dir aus meinem Leben als Köchin erzählen, aber immer wieder drängte mich eine innere Stimme dazu, auch meine »Liebesreise« zu dokumentieren. Viele Monate, ja, Jahre lang habe ich mir gewünscht, die Candlelight-Dinner nicht mehr für andere auszurichten, sondern selbst am Tisch zu sitzen und jemandem zuzuprosten.
Es gab zwar gelegentlich interessante Männer, gerade im Internet, aber wie du vielleicht weißt, bin ich da konservativ: Ich wollte erobert werden. Ich wollte, dass Amors Pfeil mich überraschend trifft. Ich wollte Liebe auf den ersten Blick.
Abbo und ich haben uns bei einem Kochwettbewerb kennengelernt und er hat sich – getreu meinem Blognamen – durch den Magen in mein Herz gekocht. Er war der erste Mensch in meinem Leben, dem ich mich vollkommen öffnen konnte.
Wir haben ziemlich schnell geheiratet und ich dachte, dass es nichts geben würde, was uns je trennen kann.
Doch es kam anders.
Jetzt sitze ich hier allein in meiner Küche und blättere durch mein Kochbuch. Fast alle Rezepte sind auf mindestens zwei Personen ausgelegt.
Mir kommen die Tränen. Ich habe mich schon lange nicht mehr so einsam gefühlt wie heute.
Aber eine hoffnungslose Romantikerin wie ich gibt nicht auf: Ich glaube tief in mir, dass der richtige Seelenverwandte da draußen auf mich wartet.
Da Alexander mehr getrunken hat als ich, fahre ich uns hin. Schon von Weitem erleuchtet das Blaulicht der Polizei das umgebaute Bauernhaus wie in einem Low-Budget-Film. Im Fernsehen stehen oft viele Polizeiwagen und Vans der Spurensicherung bei Tatorten, aber ich sehe nur einen blau-weißen Volkswagen, der quer vor dem Scheunentor parkt und unfreiwillig Discofeelings in mir weckt.
Alexander hastet aus dem Auto, ehe ich angehalten habe, und sprintet zum Haus. Ich folge ihm mit sicherem Abstand und hoffe, in der Dunkelheit nicht versehentlich in eine Pfütze oder gar in Schlamm zu treten – das verträgt sich schlecht mit dem Samtstoff meiner Mary Janes. Als ich ihn erreiche, wird gerade die Tür geöffnet und eine tränenüberströmte Frau fällt ihm in den Arm. »Oh, Alex! Es ist schrecklich! Ich war kurz oben, kam runter … und dann … sehe ich ihn …«
Ich erkenne Laura wieder. Aus dem Mädchen mit den hüftlangen Haaren und den etwas zu großen Vorderzähnen ist eine ansehnliche Frau geworden.
Alexander hält sie fest im Arm und raunt ihr etwas ins Ohr. Nach ein paar Sekunden lockert er seinen Griff und deutet zu mir. »Kea war so nett, mich herzufahren. Erinnerst du dich noch an sie? Ihr wart zusammen in der Grundschule.«
Lauras Augen weiten sich. »Kea Klaasen! Natürlich! Wir haben uns ja schon seit … über zwanzig Jahren nicht mehr gesehen. Es … es tut mir so leid … Ich wusste nicht, dass ihr ein Date habt.« Ihr enges Kleid aus schwarzer Spitze sieht verführerisch aus, auch wenn hier und da Fäden zu sehen sind, die auf schlechte Qualität hinweisen.
»Schon okay. Es gibt doch nichts Schöneres als einen Mord zum Kennenlernen.«
Laura starrt mich an, den Tränen wieder nahe. Sie hält sich zitternd eine Hand vor den Mund.
»Entschuldige«, schiebe ich hinterher. Meine eigene Todesursache wird eines Tages sicherlich »Sarkasmus im falschen Moment« sein.
Aus dem Inneren des Hauses höre ich eine Männerstimme rufen.
»Kommt rein«, sagt Laura und geht voran. »Er lag einfach auf dem Tisch. Die Terrassentür war offen, dabei bin ich mir absolut sicher, dass sie geschlossen war, bevor ich hochgegangen bin.«
Gerade, als wir den Flur betreten, kommt uns ein sehr junger Polizist entgegen. »Niemand betritt den Tatort.«
Alexander streckt ihm seine Hand hin. »Alexander von Steiner. Meine Schwester hat mich angerufen und hergebeten.«
»Kriminalkommissar Feldhagen«, stellt sich der Bubi mit der Ernsthaftigkeit eines Superhelden vor, der gerade seinen Erzfeind konfrontiert. Er mustert mich. »Sind Sie die Anwältin?«
Der Gedanke gefällt mir. »Nur, wenn das ein Codename für ›zufällig anwesende Schaulustige‹ ist. Ich habe Herrn von Steiner hergefahren.« Wie immer, wenn ich an einem neuen Ort bin, sauge ich alle Details auf. Vor den beiden Fenstern auf der linken Seite hängen altbackene Spitzengardinen. Das Licht ist schummrig, sodass mir die Porzellanfiguren auf dem Beistelltisch erst spät auffallen. Auf der fensterlosen Seite hängen drei große Bilder. Jedes davon zeigt einen Kuschelteddy, der dem Betrachter ein überdimensional großes Herz schenkt. Etwas zu kitschig für meinen Geschmack … aber kitschig scheint das Motto des Abends zu sein. Eine rote Herzgirlande hängt über dem Eingang zum Esszimmer, die farblich überraschend gut mit dem Flatterband harmoniert, das den Zugang verbietet.
Der Kommissar belehrt uns gerade darüber, dass wir am Tatort nichts zu suchen hätten, als eine tiefe Stimme aus dem Esszimmer dröhnt.
»Levi!«
Der der junge Kommissar mit dem nackten Gesicht und den blonden Haaren zuckt zusammen.
Hinter ihm taucht ein deutlich älterer Polizist auf, den ich auf Anfang vierzig schätze. Bei seinem Anblick wird mein Mund trocken.
Das ist meine Liga.
Um von so jemandem verhaftet zu werden, wäre sogar ein Mord legitim.
Er hat braune Haare und dunkle Augen, die mich ansehen, als könnten sie meine Gedanken lesen. Der graue Mantel, den er trägt, verleiht ihm eine elegante Erscheinung. Mit etwa vierzig Jahren würde er auch vom Alter her optimal zu mir passen. Ich fühle mich, hätte ich einen Einhorncocktail getrunken: leicht beschwipst und irgendwie verzaubert.
Wütend bleibt er stehen und mustert Alexander und mich. Zuerst wendet er sich an seinen Kollegen. »Habe ich nicht gesagt, dass niemand den Tatort betritt?«
Ich habe Mitleid mit dem jungen Mann. »Wir wollten gerade gehen. Frau von Steiner hat ihren Bruder angerufen und um seelischen Beistand gebeten.«
»Und Sie sind?«, fragt er hörbar skeptisch.
Ich gebe ihm lächelnd die Hand. »Kea Klaasen, die Inhaberin des Café Criminale. Ich habe Herrn von Steiner hergefahren.«
Auch Alexander begrüßt ihn mit einem Handschlag.
Nun fühlt sich der Polizist offenbar genötigt, ebenfalls für Klarheit zu sorgen. »Ich bin Kriminalhauptkommissar Julian Seiler. Das Café kenne ich. Sie machen doch immer diese Krimidinner.«
»Krimifall und Krabbencocktail in einem Atemzug«, bestätige ich. »Die perfekte Kombination.«
»Schön, Sie kennenzulernen – aber das hier ist ein Tatort, kein Museum, das man beliebig betreten kann. Verlassen Sie bitte das Grundstück, damit Sie keine Spuren zerstören.«
Ich recke den Kopf, um einen Blick auf den Esszimmertisch zu erhaschen, auf dem der Tote liegt. Sein Oberkörper ist vornübergekippt, was aussieht, als wäre er beim Essen eingeschlafen – wenn da nicht der schwarze Schaft eines Küchenmessers aus seinem Rücken ragen würde. Ungefähr hundert Helium-Luftballons in Herzform hängen unter der Decke. Ein großer Tisch steht im Raum, der mit einem weißen Leinentuch geschmückt ist. Darauf stehen silberne Kerzenständer mit roten Kerzen und mindestens ein Dutzend pinkfarbene Rosen in Porzellanväschen. Vor lauter Herzen, Blumen und Deko sieht man kaum das Geschirr.
Es ist eine groteske Szene. Wo sich zwei Verliebte romantische Dinge ins Ohr flüstern sollten, hört man nun den einen von ihnen nicht einmal mehr atmen. Schreckliche Bilder aus der Vergangenheit wollen sich aufdrängen. Blitzartig zucken sie vor meinem inneren Auge auf. Eine Leiche. Mein Zusammenbruch. Das Polizeiaufgebot. Die ständige Frage nach dem Warum. Spätestens seit diesem Vorfall habe ich mein Vertrauen in gute Polizeiarbeit nahezu vollständig verloren.
»Was ist denn eigentlich passiert?«, fragt Alexander und holt mich mit seiner Samtstimme zurück ins Hier und Jetzt.
Kommissar Seiler presst genervt die Lippen aufeinander. »Wenn wir das schon wüssten, wären wir nicht mehr hier.«
Laura schluchzt. »Valentin und ich wollten über ein gemeinsames Projekt sprechen. Alles war perfekt vorbereitet. Ich war im Badezimmer, um mich frisch zu machen, Valentin war unten und … als ich wiederkam …« Sie schafft es nicht, den Satz zu beenden.
Valentinstag lief nicht gut für Valentin. Mir liegen auch Fragen auf der Zunge, zum Beispiel, wie lange sie im Bad gewesen sein muss, damit das passieren kann, aber Laura bricht in erneutes Weinen aus. Sie rennt den Flur weiter nach hinten, vermutlich in einen Raum mit Taschentüchern. Kommissar Seiler nickt seinem jüngeren Kollegen zu, der Laura folgt. Ich frage mich, ob sie Angst haben, dass sie fliehen könnte. Alexander wiederum scheint der Polizei nicht zu trauen und geht Kommissar Feldhagen hinterher.
»Ich bin schon weg«, verspreche ich Kommissar Seiler. »Sie können mich gar nicht sehen.«
Gerade, als er etwas erwidern will, schaltet sich sein Funkgerät ein und ein für mich unverständlicher Funkspruch lässt ihn innehalten. »Ich komme raus«, sagt er ins Gerät. »Sie kommen mit«, befiehlt er mir und rauscht dann in Richtung Haustür.
»Wo Sie hingehen, da will auch ich hingehen«, murmele ich und rufe den Geschwistern zu, dass ich mich verabschieden muss.
»Warte!«, ruft Laura. Sie kommt mir entgegen, die Augen rotgerändert und mit einem Taschentuch in der Hand. »So hatte ich mir unser Wiedersehen eigentlich nicht vorgestellt.«
»Ich hätte auch eher gedacht, dass wir uns bei einem Latte Macchiato im Café treffen und über unsere alten Lehrkräfte herziehen. Weißt du noch, wie unserem Sportlehrer mal die Hose heruntergerutscht ist?« Vielleicht muntert sie die Erinnerung etwas auf.
Tatsächlich huscht ein Lächeln über Lauras Gesicht. »Beste Sportstunde ever.«
»Gut, dass Alexander da ist, damit du nicht die Nacht in einem Mörderhaus verbringen musst. Du kannst sicher bei ihm übernachten.«
»Frau von Steiner wird mit uns kommen«, sagt Kommissar Feldhagen. »Es herrscht dringender Tatverdacht.«
Lauras Augen weiten sich. Sie reißt den Kopf herum und starrt den Polizisten an. »Tatverdacht? Gegen mich? Das ist ja, als ob Sie einem Goldfisch die Schuld am Schmelzen der Polkappen geben! Haben Sie mir nicht zugehört? Ich war das nicht!«
Alexander legt beschwichtigend eine Hand auf Lauras Arm. »Schon gut, ich kümmere mich darum. Zuerst einmal werden wir einen Anwalt anrufen. Das ist sicher nicht rechtens.«
»Ich befürchte, ich muss jetzt wirklich gehen, sonst wirft der andere Polizist mich eigenhändig raus. Alexander, soll ich dich irgendwo hinbringen?«
»Schon okay, ich bleibe erst einmal bei Laura.« Er nimmt mich in den Arm. »Ich rufe dich an.«
»Darauf bestehe ich auch.«
»Ist es okay, wenn ich mein Auto bis morgen bei dir stehen lasse?«
»Nein, das lasse ich sofort abschleppen.« Ich lächle ihm zu, damit er versteht, dass ich das nicht ernst meine. Er wäre nicht der Erste, dem ich meine Ironie erklären muss.
»Ich kann das alles einfach nicht glauben«, flüstert er. »Diese Bilder werde ich nie wieder los.«
Fast hätte ich ihm laut zugestimmt, denn er hat Recht: Man wird diese Bilder nicht los. Ich sehe heute noch die Leiche meines besten Freundes vor mir. »Wenn es etwas gibt, was ich für dich oder deine Schwester tun kann, ruf mich gerne an. Außer du brauchst Hilfe beim Umzug, dann bin ich leider gerade nicht da.« Zum Abschied hebe ich die Hand und gehe dann in Richtung Haustür. Tatsächlich ist jetzt die Spurensicherung am Werk. Männer und Frauen in weißen Maleranzügen schleppen schwarze Koffer und Gerätschaften ins Esszimmer. Glücklicherweise ist Kommissar Seiler zu abgelenkt, um mir einen weiteren bösen Blick zuwerfen zu können, obwohl es ein bisschen schade ist, dass ich dadurch nicht noch einmal in seine dunklen Augen sehen kann.
Ich ziehe meine Handschuhe an, als ein Weißgekleideter an mir vorbei will. Der Flur ist ziemlich eng und ich presse mich in die Jacken an der Garderobe, aber trotzdem stoßen wir leicht zusammen. Der Mann nuschelt irgendetwas und geht weiter. An seinem Schuh klebt ein Papierstück. Nach zwei Schritten fällt es auf den Webteppich und ich stecke es ein. Unglaublich, was diese Spurensicherungsmenschen für eine Unordnung veranstalten.