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Vom Himmel hoch, da kommt was her: ein toter Weihnachtsmann. Kuschelige Abende, Weihnachtsromantik und absolut keine Morde – genau das hatten sich Vintage-Fan Kea Klaasen und ihre Teenie-Tochter Beke für die Feiertage auf der abgelegenen Nordseeinsel Lüttens vorgestellt. Doch dann fällt der Weihnachtsmann tot durch den Kamin. Ohne Polizei und abgeschnitten von der Außenwelt beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Können die Hobbydetektivinnen alle Geheimnisse aufdecken und den Mörder entlarven, ehe er noch einmal zuschlägt? "Als würden die 'Gilmore Girls' Mordfälle an der Nordsee lösen" - Leserin Natascha K. Alle Bände der Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden. Das sagen Leserinnen über die "Morde mit Meerblick"-Bücher: "Ich bin total begeistert! Wirklich gut geschrieben." (Amazon-Kunde) "Absolute Leseempfehlung von mir!" (MissJaneMarples_Seeseiten) "Die geschriebenen Bilder liefen mir, wie in einem Kinofilm vor meinen Augen ab. Das war seit langem das erste Buch, das ich so gelesen habe." (Leserin Antje Dzikowski) "Kea Klaasen ist unglaublich und der Plot hat es in sich." (Leserin Diane Jordan)
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Veröffentlichungsjahr: 2025
1. 23. Dezember – 14:50 Uhr – Kea
2. 23. Dezember – 15:30 Uhr – Kea
3. 23. Dezember – 16:15 Uhr – Kea
4. 24. Dezember – 8 Uhr – Kea
5. 24. Dezember, gegen 16 Uhr – Kea
6. 24. Dezember – 17 Uhr – Kea
7. 24. Dezember – 17:30 Uhr – Beke
8. 24. Dezember – 18:30 Uhr – Kea
9. 24. Dezember – 19:40 Uhr – Kea
10. 24. Dezember – 20:15 Uhr – Kea
11. 24. Dezember – 21 Uhr – Kea
12. 24. Dezember – 22 Uhr – Kea
13. 25. Dezember – 08:10 Uhr – Kea
14. 25. Dezember – 9 Uhr – Kea
15. 25. Dezember - 14:15 Uhr - Beke
16. 25. Dezember – 14:30 Uhr – Kea
17. 25. Dezember – 16 Uhr – Kea
18. 25. Dezember – 18:30 Uhr – Kea
19. 26. Dezember – 9 Uhr – Kea
20. 26. Dezember – 9:15 Uhr – Kea
21. 26. Dezember - 9:30 Uhr – Kea
22. 26. Dezember – 10 Uhr – Kea
23. 26. Dezember – 13 Uhr – Kea
24. 26. Dezember – 17 Uhr – Beke
25. 26. Dezember – 17:30 Uhr – Beke
26. 26. Dezember – 18 Uhr – Kea
27. 26. Dezember – 19:30 Uhr – Kea
28. 26. Dezember – 19:55 Uhr – Kea
29. 26. Dezember – 20:30 Uhr – Kea
30. 26. Dezember – 21:30 Uhr – Kea
31. 27. Dezember – 10 Uhr – Kea
32. Neugierig?
Danke
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Impressum
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Originalausgabe, 1. Auflage
Copyright © 2024 by Valerie Nordmann
Herausgegeben von Annika Bühnemann, c/o vom Schreiben leben, Edisonstr. 63, Haus A, 1. OG, 12459 Berlin
Buchsatz: Annika Bühnemann
Cover-/Umschlaggestaltung: Buchgewand Coverdesign (buch-gewand.de) unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com: (Vuang, ISENGARD, AS-Fotoart) und depositphotos.com (Nutzernamen: Ensuper, NewAfrica, stockfoto-graf, [email protected], DmitryRukhlenko, vitalik19111992 und nejron)
ISBN E-Book: 9783759272010
ISBN Taschenbuch: 9783759272126
Alle Rechte vorbehalten.
Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Erlaubnis durch die Autorin.
»Das ist die letzte Fähre für die nächsten drei Tage. Mindestens.« Der Fährmann prüft unsere Tickets mit einem mürrischen Blick. Er trägt eine Weihnachtsmütze, die nicht wirklich zu seinem muffeligen Gesichtsausdruck passen will. Sein Bart hatte einige Tage Zeit zum Wachsen und ist graumeliert, die Haut wettergegerbt. Er könnte einem Gemälde von Henry Haerendel entstiegen sein.
»Wieso?«, fragt Beke und sieht von ihrem Handy auf. Rot-grüne Mistelzweig-Anhänger baumeln von ihren Ohren, die unter einem Wollstirnband verborgen sind.
»Sturmflut. Wird unangenehm. Hoffe, ihr habt für mehrere Tage gepackt, so schnell kommt nämlich niemand auf die Insel.« Er klingt genauso hoffnungslos wie er aussieht.
»Fantastisch«, antwortet Beke genervt und geht über die Gangway.
Ich setze meinen fröhlichsten Tonfall auf. »Dann ist man die buckelige Verwandtschaft über Weihnachten endgültig los.« Mit einer Hand halte ich meinen dunkelgrünen Glockenhut fest.
Der Mann murmelt etwas, das vage zustimmend klingt, und kümmert sich dann um die nächsten Gäste hinter uns.
Ich folge Beke über das Deck. Heute habe ich mich wegen des Wetters für eine meiner geliebten Marlenehosen entschieden, statt, wie sonst, ein Flapper-Kleid aus den Zwanzigern zu tragen. Trotzdem ist mir kalt, da hilft auch der Mantel mit dem Kunstpelz nicht. Hoffentlich ist es drinnen wärmer. Eigentlich habe ich nichts gegen Kälte, wenn sie im Gegenzug mit schönen Schneelandschaften aufwartet, aber Winter an der Nordsee ist wie der Anblick einer plattgetrampelten Rose: trist, melancholisch und irgendwie nicht stimmig. Neben der Tür, durch die wir in den Bauchraum der Fähre gelangen, hängt ein Schild mit der Aufschrift »Bitte keine Möwen füttern«. Bestimmt für Touristen – wer von hier kommt, weiß, wie penetrant die weißen Kamikazevögel sind, wenn es ums Essen geht.
Im Schiffsbauch ist es viel dunkler als draußen, und das, obwohl der Himmel tiefgrau ist. Von Weihnachtsstimmung hat man hier anscheinend noch nie etwas gehört. Keine Spur von Lichterketten, noch nicht einmal Plastikweihnachtsbäumchen findet man. Die alten Holztische haben ihre besten Zeiten hinter sich gelassen, der Fußboden ist abgewetzt und die ausgeblichenen, ockerfarbenen Vorhänge sind ein Trauerspiel. Aber kein Grund, Trübsal zu blasen. Schwungvoll lasse ich mich auf eine der beiden sich gegenüberliegenden Bänke nieder, die in den Boden geschraubt wurden. Meine gute Laune kann nichts trüben. Unter meinen Füßen schwankt die Fähre leicht. Außer Beke und mir sind etwa zehn andere Menschen hier. Ein übergewichtiger Helmut-Kohl-Typ mit Schweißfilm auf der Stirn sitzt ganz am Ende des Raums und ist in sein Handy vertieft. Hinter Beke sieht eine bildhübsche, rothaarige Frau aus dem Fenster, die nicht viel älter sein kann als meine siebzehnjährige Tochter.
»Hast du den Flyer nochmal?«, fragt Beke.
»Selbstmurmelnd.« Ich krame in meiner Handtasche, was dauert, weil ich heute eines dieser Exemplare gewählt habe, mit dem man spontan das Land verlassen könnte. Langsam fische ich das Exemplar hervor und reiche es ihr.
»Danke.« Sie sieht sich das Foto des Hotels auf der ersten Seite an. »Hotel Möwennest« steht in großen Buchstaben dort geschrieben. »Und das hat dieser Alexander dir empfohlen?«
»Sogar wärmstens.«
Meine Tochter schüttelt missbilligend den Kopf. »Tust du immer das, was dir wildfremde Typen vorschlagen?«
Meine Güte, ist die gut drauf. »Komm mal runter, Grumpy Cat, sonst gibt es keine Weihnachtsgeschenke. Und er ist nicht fremd.«
Sie grummelt vor sich hin. »Für mich aber.«
Das letzte Treffen meinerseits mit Alexander ist tatsächlich bereits einige Monate her und Beke kennt ihn nur vom Hörensagen, aber ich finde, sie übertreibt. Unter anderen Umständen hätten wir damals ein richtig schöne Valentinstagsdate gehabt. »Alexander meinte, wenn wir uns mal vor der Welt verstecken wollen, dann wäre das der richtige Ort. Lies doch mal vor.«
Sie starrt den Zettel an. »Ein paar Tage auf einer abgeschiedenen Insel … das klingt eher wie der Beginn eines Horrorfilms.« Beke blättert den Flyer auf.
»Es hat gewisse ›Shining‹-Vibes«, gebe ich zu.
Sie sieht mich fragend an.
»Bitte sag mir nicht, dass wir noch nie ›Shining‹ geguckt haben.«
»Hat das was mit einer Sonne zu tun?«
»Ist das dein Ernst?« Ich schlage mir die Hände vor das Gesicht.
Beke gibt sich unbeeindruckt. Sie rutscht ein paar Zentimeter tiefer in ihre Bank und hält den Flyer so hoch, dass ich ihre Augen nicht mehr sehen kann. »Hier steht: ›Willkommen im Möwennest, dem einzigen Hotel auf der Nordseeinsel Lüttens. Genießen Sie malerische Ruhe im Schoß von Mutter Natur, um dem stressigen Alltag zu entrinnen und die Seele aufzutanken.‹ Ich kotz gleich.«
»Aber bitte nicht hier.«
Sie rollt mit den Augen und liest monoton weiter. »Lüttens Geschichte ist eng mit der des ›Möwennests‹ verwoben. Als einziges Hotel der Insel bieten wir seit 1964 unseren Gästen einen unvergleichlichen Zugang zum Nationalpark Wattenmeer. Von März bis Oktober gibt es außerdem eine Surfschule am Badestrand. Leider sind Sie im Dezember hier und können nichts als pure Langeweile erleben, Sie Geringverdiener. Herzlichen Glückwunsch.«
»Den Werbetexter würde ich rauswerfen.«
»Mit unserem erfahrenen Ornithologen können Sie zudem seltene Vogelspezies beobachten, was aber Normalsterbliche ungefähr genau so interessiert wie die Geschichte zur Entstehung von Fußleisten. ›Das Möwennest wurde oft als das einsamste Hotel der Nordseeküste bezeichnet, und wir geben uns alle Mühe, diesem Anspruch gerecht zu werden.‹«
»Das klingt doch richtig erholsam.«
»Ich möchte sterben.«
»Ach, komm schon, Beke.«
»Das steht da, ich lese nur vor.«
Ich halte ihr meine offene Hand hin. Sie legt den Flyer darauf und ich packe ihn wieder in meine Handtasche. »Das wird bestimmt toll. Wir feiern Weihnachten ganz entspannt mit ein paar anderen Gästen, machen den Spa-Bereich unsicher und lassen die Seele baumeln. Das haben wir uns verdient. Endlich kann man sich richtig über das Buffet hermachen, ohne dabei dumm angeguckt zu werden.«
Beke presst die Lippen aufeinander und sieht aus dem Fenster.
Versöhnlich schiebe ich ihr eine kleine Metalldose über den Tisch, in dem diese Schokokränze mit den bunten Streuseln sind, die es nur in der Weihnachtssaison zu kaufen gibt. Also ab August, zusammen mit Spekulatius.
Sie nimmt sich einen und rückt dann endlich mit der Sprache heraus. »Ich vermisse Felix. Warum können wir Weihnachten nicht zu Hause feiern?«
Mein erster Impuls ist, ihre Gefühle kleinzureden. Immerhin sehen sie sich in vier Tagen wieder, das kann doch nicht so dramatisch sein. Dann erinnere ich mich an mich selbst in ihrem Alter. Gut, in meinem Fall hieß das, mich um einen Säugling zu kümmern, aber ich weiß noch, wie verdammt lang vier Tage ohne meine große Liebe waren. Ich wünschte so sehr, dass ich noch einmal mit ihm sprechen könnte, aber diese Hoffnung habe ich vor langer Zeit aufgegeben. »Tut mir leid für dich, Beki. Vier Tage können sich wirklich lang anfühlen.«
»Das ist eine Ewigkeit.«
Ich nicke zustimmend.
Knatternd startet der Motor der Fähre, was so laut ist, dass ich auf weitere Unterhaltungsversuche verzichte. Natürlich möchte sie ihren Liebsten an Weihnachten sehen. Andererseits ist sie sich vor ein paar Monaten nicht ganz sicher gewesen, wie sehr sie Felix tatsächlich liebt.
Das sind diese Momente, in denen ich froh bin, mich nie wieder zu verlieben. Mein Herz gehört nur mir – und meiner Tochter. Deswegen lebe ich aber nicht enthaltsam. Im Gegenteil. Mein Körper kribbelt vor Aufregung, wenn ich an Alexander denke, der ebenfalls eine der acht Suiten ergattert hat. Was bin ich froh, dass er den Kontakt zu mir nach allem, was passiert ist, nicht völlig abgebrochen hat.
Beke nimmt genervt ihr Stirnband ab und schmeißt es lustlos zwischen uns. Der dicke Mann am Ende der Fähre telefoniert aufgeregt. Er wirkt gehetzt. In seinem schlecht sitzenden Kartoffelsack von Anzug hat er den Flair eines Staubsaugervertreters. An seinem Nachbartisch flüstert ein Pärchen leise miteinander, als würde es um Staatsgeheimnisse gehen.
Die beiden Tische hinter uns sind mit Familien besetzt. Ihre Kinder im Grundschulalter lassen auf dem Handy der Eltern Weihnachtshits laufen und spielen Spiele. »Coming home for Christmas« erfüllt den kleinen Raum und ich summe leise mit.
Als die Fähre Fahrt aufnimmt, stößt ein hagerer Hüne mit Nickelbrille und schulterlangem, blondem Haar zu unserer bunten Truppe. Über der Schulter trägt er einen Gitarrenkoffer. Er sieht sich um, als würde er nach jemandem Ausschau halten, und lässt sich dann direkt am ersten Tisch neben dem Aufgang nieder.
Die Fähre schwankt und tuckert langsam weiter. Ich hätte erwartet, dass uns der Kapitän in irgendeiner Form willkommen heißt, aber nichts dergleichen passiert. »Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist das Meer«, sage ich beim Anblick des dunklen Wassers. Der Himmel würde sich bereits rosa färben, wenn er nicht von einer dicken Mauer grauer Wolken verhangen wäre.
Beke sieht nur einmal kurz von ihrem Handy auf, registriert, dass wir losgefahren sind, und versinkt wieder. Ich vermute, sie schreibt mit Felix hin und her, wie sauer sie auf mich ist, weil ich sie um ihr erstes gemeinsames Weihnachten bringe.
Ein weiterer Fährenpassagier sucht den Schutz des Innenraums. Ich kann mir ein breites Lächeln nicht verkneifen. Alexander von Steiner gehört zu den Männern, die ohne Anstrengung alle Blicke auf sich ziehen. Er lockert den dunkelblauen Schal um seinen Hals und wischt sich Schneeflocken von der Schulter. Mit wenigen Schritten steht er, schön wie Adonis, vor uns, seinen kleinen Rollkoffer aus Aluminium neben sich. Sein intensiver Blick kriecht mir sofort unter die Haut.
»Sag nicht, es schneit«, begrüße ich ihn.
Er lächelt verschmitzt. »Na gut, dann sag ich es nicht.«
»Auch das noch«, mault Beke. »Nordsee-Schnee ist kein Schnee, sondern Matsch.«
»Kennst du schon meine Tochter Grumpy?«, frage ich und deute auf mein Kind.
Sie ist höflich genug, ihr Handy einen Moment lang aus den Händen zu legen. »Hallo, ich bin Beke.«
»Hi«, sagt Alexander mit seiner tiefen, angenehmen Stimme, die ich vermisst habe. »Alexander.«
»Ich weiß.«
»Hallo auch von mir.« Ich stehe auf und umarme Alexander eine Sekunde länger als angebracht. »Setz dich doch.«
Beke rollt wieder mit den Augen.
Alexander stockt. »Ich will mich nicht aufdrängen.«
»Unsinn«, sage ich. »Du hast uns doch erst auf die Idee zu dieser Reise gebracht, warum solltest du dann nicht hier sitzen?«
Er nimmt zögerlich neben mir Platz. Seinen Körper neben mir zu spüren, ist wie die Zeit kurz vor der Bescherung, wenn die Geschenke schon unter dem Weihnachtsbaum liegen, man sie jedoch noch nicht auspacken darf.
Beke verschwindet wieder schlecht gelaunt hinter ihrem Handy und blendet die Welt um sich herum aus. Ich kann es ihr nicht verübeln. Zwar wusste sie, dass Alexander auch hier sein würde, aber ich mute ihr natürlich ganz schön etwas zu, wenn sie auf ihren Freund verzichten muss, ich hingegen einen alten Liebhaber treffe. Mein innerer Teenager leidet mit ihr, aber mein erwachsenes Ich ist ziemlich abgelenkt von dem Oberschenkel, der sich vielsagend gegen meinen drückt.
»Ein echtes Schmuckstück, das Hotel«, sagt Alexander. »Wenn man die Menschheit satthat, ist das Möwennest die Lösung.«
»Gute Alternative zu einem Amoklauf«, stimme ich zu. Dann fällt mir wieder »Shining« ein und ich bin mir doch nicht mehr so sicher, ob mein Satz stimmt. »Warum fliehst du vor der Welt?«
Alexanders Miene wird härter. Er presst die Kiefer aufeinander und ich sehe, wie sein Kaumuskel zuckt. Er sieht aus, als stünde ihm eine Wurzelbehandlung bevor. »Ich werde dieses Jahr Weihnachten allein feiern und zu Hause ist mir die Decke auf den Kopf gefallen. Und du?«
Ich seufze und verdränge alle Gedanken an die letzten Monate. »Das Jahr hat mich ziemlich auf links gedreht und dann in den Schleudergang gesteckt. Zu viel Arbeit im Café, zu viel Drama drumherum. Ich sehne mich nach absoluter Ruhe und Entspannung.«
»Und sie will das Buffet leerfressen«, ergänzt Beke. Sie hört also doch zu.
»Beke, manchmal ist es sinnvoll, nicht gleich mit der Wahrheit herauszuplatzen.«
»Du hast mich zu einem aufrichtigen Menschen erzogen«, meint Beke. »Alexander, in dem Hotel gibt es doch WLAN, oder? Meine mobilen Daten sind fast verbraucht.«
»Tut mir leid.« Alexander lächelt milde. »Immerhin sind wir am Ende der Welt. Internet kannst du da vergessen.«
Sie stöhnt so dramatisch auf, als hätte er ihr offenbart, dass wir die neuen Kandidaten der Hungerspiele sind und ohne fließendes Wasser, Klopapier und Nahrung im Wald ausgesetzt werden.
Die junge Frau mit den naturroten Haaren, die hinter Beke aus dem Fenster gesehen hat, steht auf. Sie ist leichenblass, hält sich eine Hand an den Bauch und schwankt. Im ersten Moment glaube ich, sie sei seekrank. Gerade, als ich aufstehen will, rollen ihre Augen in den Hinterkopf, ihre Beine geben nach und sie bricht vor unseren Augen zusammen.
Mist. Das fängt ja wieder gut an.
Alexander ist als Erster bei ihr. »Hallo? Kannst du mich hören?« Besorgt kniet er sich hin. Die anderen Gäste beobachten ihn erschrocken, scheinen aber ganz dankbar zu sein, ihm die Führung überlassen zu können.
Sie kommt langsam zu sich.
»Wie heißt du?«, fragt Alexander ruhig.
»Lina.« Sie stützt sich auf. »Mir ist einfach schwarz vor Augen geworden.«
»Bleib erst einmal liegen, bis sich der Kreislauf stabilisiert hat.« Alexander nimmt seinen Schal ab und bastelt ihr ein provisorisches Kopfkissen. »Ist es in Ordnung, wenn ich deine Beine anhebe? So kann das Blut besser zum Herz fließen und es geht dir schneller wieder gut.«
Lina nickt mit geschlossenen Augen. Alexander kniet vor ihr und hebt vorsichtig ihre Füße hoch. »Tut dir etwas weh?«
Sie schüttelt langsam den Kopf. »Ich glaube nicht.«
»Hast du ausreichend getrunken?«
»Vermutlich nicht«, antwortet sie leise. Ich habe das Gefühl, als wolle sie noch mehr sagen, aber sie schweigt.
»Warte noch eine Minute«, weist Alexander sie an.
»Coming Home for Christmas« wechselt zu »Rocking around the Christmas Tree«. Die beiden Jungs starren Lina unverhohlen an.
Einen Augenblick später setzt Alexander ihre Füße wieder auf dem Boden ab. »Schön langsam jetzt«, weist er sie an.
In Zeitlupe richtet sie sich auf. »Geht schon«, versichert sie uns. Ihr Retter in der Not hilft ihr dabei, sich auf die Bank zu setzen, von der sie eben aufgestanden ist. Beke zieht aus ihrem Rucksack ein Trinkpäckchen. »Hier.«
Dankbar steckt Lina den Strohhalm durch die dünne Aluhaut und trinkt.
Alexander setzt sich wieder neben mich, nachdem Lina sich bei ihm bedankt und mehrere Male versichert hat, wie viel besser sie sich schon fühlt. Ich beobachte sie noch ein paar Augenblicke lang. »Sobald dir wieder komisch zumute wird, sagst du Bescheid, okay?«, bitte ich.
»Mache ich. Es geht schon wieder. War nur ein kleiner Schwindelanfall.«
»Wir sind auch bald da«, informiert uns Alexander. »Im Hotel kannst du dich ausruhen.«
»Wie kommen wir da eigentlich hin?« Bekes Frage richtet sich offenbar an mich.
»Gott hat dir zwei funktionierende Beine gegeben.«
Wieder stöhnt sie auf. »Gibt es keinen Shuttle?«
»Das ist eine autofreie Insel«, sage ich.
Alexander mischt sich ein. »Außerdem sind das nur ein paar Minuten Fußmarsch. Und die Insel ist wunderschön.«
Wie auf ein geheimes Stichwort hin steht der hagere Mann auf, der direkt am Treppenaufgang sitzt, und schultert seine Gitarre. Er schiebt die Brille mit dem Mittelfinger hoch und verschwindet an Deck. Beke springt auf, als hätte die Bank ihr einen elektrischen Schlag verpasst. Sie zieht ihr Stirnband wieder an und macht ruckartig ihre Jacke zu. Wortlos folgt sie dem Mann.
»Meine Güte, was für eine weihnachtliche Hochstimmung«, sage ich. »Normalerweise hat sie den Charme eines Robbenbabys.«
Alexander zuckt mit den Schultern. »Vielleicht störe ich doch.«
»Papperlapapp.« Ich mache eine wegwerfende Handbewegung. »Ihre Laune ist auf Talfahrt, seit wir ins Auto gestiegen sind, und da wusste sie nicht, dass du auch hier bist. Außerdem lasse ich sie und ihren Freund auch immer vor meiner Nase rumturteln.«
Ein schelmisches Lächeln umspielt seine Lippen, als hätte ich etwas Unanständiges gesagt. »Wir turteln?«
Ich gebe ihm einen spielerischen Klaps auf den Arm. »Komm, ich will sehen, wie die Fähre anlegt und dieser Unterhaltung aus dem Weg gehen.«
Draußen pfeift mir eisiger Wind ins Gesicht, sodass mir Tränen über die Wangen laufen. Ich kuschele mich tiefer in meinen Wollschal und fixiere den Steg, auf den die Fähre zusteuert. Beke tippt neben mir auf ihrem Handy und hält es dann weit über ihren Kopf auf der Suche nach Empfang.
Alexander hat seinen Rollkoffer zwischen uns gestellt und stützt sich auf der Reling ab. »Kaum zu glauben, was für einen Aufwand die Hotelbesitzer betreiben, um alles am Laufen zu halten.«
»Was meinst du?«, hake ich nach.
»Die Insel ist ja eigentlich unbewohnt. Der Gründer hat hier in den Sechzigern durch irgendeinen Gesetzestrick Baurechte erhalten. Anfangs gab es nicht einmal Strom. ›Leben wie 1900‹ hieß der Werbeslogan, aber irgendwann zog das wohl nicht mehr und sie haben Elektrizität bekommen.«
»Und was ist mit der ganzen Infrastruktur? Die müssen die Gäste irgendwie verpflegen.«
Er nickt. »Die einzige Anbindung ist die Fähre. Mit ihr werden die Lebensmittel geliefert, die Wäsche wird abgeholt, die Angestellten kommen an oder reisen ab. Wobei es auch ein paar gibt, die im Hotel wohnen. Allen voran natürlich die Leitung.«
»Beeindruckend.«
»Dämlich«, meint Beke. »Und überflüssig. Und überhaupt nicht nachhaltig.«
»Hier ist jetzt Weihnachtsstimmung angesagt, Beke.« Langsam bin ich genervt. »Du kannst Felix gleich vom Hotel aus anrufen. Telefone gibt es da doch bestimmt, oder?«
»Ja, natürlich«, sagt Alexander.
Beke steckt mit einem genervten Grummeln ihr Handy in die Tasche ihrer Daunenjacke und zieht sich das Wollstirnband noch einmal neu über die Ohren. Ihre süßen Mistelzweigohrringe wippen hin und her.
In einem Akt der Versöhnung lege ich einen Arm um sie. »Genieß jetzt doch den wunderbaren grauen Himmel, das grüne Wasser und die zankenden Möwen. Aber Achtung, wenn sie direkt über dir kreisen.«
Ein kleines Lächeln umspielt ihren Mund. Endlich.
Wir sehen den Fährmitarbeitern zu, wie sie das Schiff am Steg anlegen lassen und vertäuen. Entgegen meinen Erwartungen steht an Land ein kleiner Kastenwagen. »Ich dachte, die Insel wäre autofrei.«
»Ist vermutlich eine Ausnahme wegen der Lieferwege«, mutmaßt Alexander.
Tatsächlich hievt eine Art Kran nun mehrere mannshohe Kästen von der Fähre und platziert sie an Land. Gleichzeitig verlassen die Gäste das kleine Schiff. Wir folgen dem Strom. Obwohl es so kalt ist, dass sich unser Atem sichtbar kräuselt, liegt leider kein Schnee. »Von wegen, es schneit«, sage ich vorwurfsvoll.
»Ich schwöre, vorhin habe ich Flocken gesehen«, sagt Alexander.
»In jedem Gefrierfach gibt es mehr Schnee als hier.«
»Also vor der Abfahrt hat es auf dem Festland gerade zu schneien angefangen«, beharrt Alexander. »Aber auf der Insel ist es vielleicht zu warm.«
Die Menschenmenge folgt der jungen Lina, die nun wieder aussieht, als hätte sie einen Wellnesstag hinter sich. Zielstrebig führt sie unsere kleine Gruppe an. Fehlt eigentlich nur noch der obligatorische Regenschirm, dem wir alle folgen sollen. Aus den Holzbohlen des Fähranlegers werden Pflastersteine, die durch gefrorene Dünen führen. Links und rechts von uns sind endlose Salzwiesen zu sehen, die am dunklen Horizont eine scharfe Linie ziehen, als hätte Gott ein Lineal angelegt. Es ist kaum auszumachen, wie klein oder groß diese Insel ist, aber eine Sache ist deutlich: Hier wohnt niemand. Kein Haus liegt auf unserem Weg, nicht einmal eine Bank lädt dazu ein, sich hinzusetzen und darüber zu sinnieren, wie man auf einen Flecken Erde wie diesen geraten konnte. Nur ein rot-weiß gestreifter Leuchtturm ragt in der Nähe in die Luft. Ich ziehe mein Handy aus meiner Manteltasche, um nach der Uhrzeit zu sehen. Schon gleich vier.
Und kein Netz.
Völlige Abgeschiedenheit hatte ich ja erwartet, aber nicht, dass ich hier nicht einmal mit meinem Handy telefonieren kann. Wie soll ich meinem Onkel und meiner Tante dann frohe Weihnachten wünschen? Bei meinem Vater ist es mir nicht so wichtig, aber ein Weihnachten ohne die Beschwerden meiner Tante darüber, dass sie alles alleine macht und sich mein Onkel immerzu bedienen lässt, ist einfach kein richtiges Weihnachten. Hoffentlich funktionieren wenigstens die Telefone.
Hinter der nächsten Kurve erhebt sich das Hotel Möwennest. Das Gebäude hat eine strahlend weiße Fassade und graue Schieferdächer mit Gauben. Zwei Steinsäulen mit Möwenskulpturen markieren den anmutigen Eingangsbereich. Alles wirkt so symmetrisch, dass mein innerer Monk zufrieden aufseufzt und hier auf Dauer einziehen will.
Die Tür wird geöffnet und der Weihnachtsmann steht in Zivil vor uns und lächelt. »Moin zusammen!«, ruft er. Sein Bart ist kürzer geworden und er hat ein paar Kilo abgenommen. »Willkommen im Möwennest.« Behutsam tritt er zurück, um uns einzulassen. Eine Person nach der anderen betritt das Luxushotel. »Folgen Sie mir, bitte!«, ruft der Mann fröhlich, als würde er sich wirklich freuen, uns alle hier zu sehen. Ich stoße Beke an, die entrüstet aufschreit. »Aua!«
Mein vorwurfsvoller Blick durchbohrt sie. »Du hast eine Daunenjacke an. So schlimm kann das nicht gewesen sein.«
Beke reibt sich demonstrativ den Arm.
»Ich wollte nur sagen, wie aufgeregt ich bin, dass wir unseren Urlaub mit dem echten Weihnachtsmann verbringen«, flüstere ich ihr grinsend zu.
Beke sieht sich den älteren Herrn noch einmal an und lächelt dann. »Hast recht. Dann kriege ich vielleicht doch Geschenke.«
Das Innere des Hauses ist kleiner als gedacht. Wir durchqueren einen Windfang und stehen in einem langen Flur, der auf der linken Seite von einer Rezeption unterbrochen wird. Eine freundlich wirkende, alte Frau wartet dahinter auf ihren Einsatz und begrüßt jeden von uns leise. Orangenduft liegt in der Luft, und auf dem dunklen Holz des Rezeptionstresens steht ein mit Goldglitzer bestäubter Weihnachtsstern neben einem fülligen Porzellan-Weihnachtsmann. Je mehr Menschen in den Flur strömen, desto enger wird es. Ungefähr vierzehn oder fünfzehn Gäste drängen sich um die Rezeption. Neben mir ist ein älteres Pärchen mit Zwillingsmädchen im Grundschulalter, die sich laut darüber beschweren, wie kalt ihnen ist. Mit Mühe versucht ihre Oma, sie zum Schweigen zu bringen.
»Sind alle da?«, fragt der ältere Zivil-Weihnachtsmann freundlich. Er hat sich neben den Tresen gestellt, rückt seine Krawatte zurecht und strahlt uns wieder an. Ein Glänzen in seinen Augen lässt mich vermuten, dass er zu den Menschen gehört, die sich gerne amüsieren und die ihren Enkelkindern nicht jugendfreie Witze erzählen. Neben ihm taucht ein Mann auf, den ich auf etwa fünfzig schätze. Gutaussehend, das muss man ihm lassen. Würde ich statt eines Cafés eine Modelagentur leiten, wäre er sicherlich bei mir unter Vertrag. Ich betrachte ihn ein paar Sekunden lang. Er lächelt, aber irgendetwas stört mich daran. Ich nehme ihm seine Freude über unser Erscheinen nicht ab. Es wirkt gekünstelt.
»Nun dann!«, fährt der ältere Mann fort und zwinkert den beiden Jungs neben sich zu, als hätte er ein Geschenk für sie. »Wir begrüßen Sie alle auf Lüttens und besonders hier in unserem Möwennest. Wie schön, dass wir unser Weihnachtsfest in diesem Jahr mit Ihnen feiern können. Mein Name ist Rolf Tamminga und ich durfte dieses wunderschöne Hotel fünfzig Jahre lang führen. Heute ist mein Sohn, Jan-Niklas Tamminga, hier der Chef.« Breit lächelnd zeigt er auf den gutaussehenden Mann neben sich, dessen Blick nun auf mir landet. Seine Augen verändern sich – und ich kenne diesen Ausdruck.
Er steht auf mich. »Sagen Sie bitte Nick zu mir«, bietet er uns an.
»Zuerst aber möchte ich Ihnen allen Margret Bruns vorstellen.« Mit ausladender Geste deutet Herr Tamminga senior auf die alte Dame, die hinter der Rezeption steht. Ich schätze sie auf Mitte sechzig. Sofort drängt sich mir das Bild einer liebevollen Großmutter auf, die in einem Ohrensessel mit einem riesigen Märchenbuch sitzt und einer Schar Kinder »Hänsel und Gretel« vorliest. Ihre stechend blauen Augen sind wach und gütig, ihre Figur ist trotz des Alters drahtig, als könne sie auch jetzt noch schwere körperliche Arbeit verrichten. Trotz ihrer Eleganz schwingt auch etwas in ihrer Haltung mit, das auf eine harte Erziehung hinweist: Sie steht kerzengerade da, die Hände gefaltet wie zum Gebet. Ihr ganzes Erscheinen würde perfekt in eine Downton-Abbey-Folge passen. Das Seidenkleid, das sie mit einem roten Schal trägt, passt ideal in das weihnachtliche Ambiente.
»Hallo zusammen«, sagt sie milde lächelnd. »Herzlich willkommen auch von meiner Seite.«
»Margret ist Ihre Ansprechpartnerin für alle Belange«, erklärt Rolf Tamminga. »Wenn Sie irgendeinen Wunsch haben, sprechen Sie mit ihr. Sie hat die letzten fünfzig Jahre hier gearbeitet und wird es wohl auch die nächsten fünfzig Jahre tun.« Allgemeines Lachen. »Eine Anmerkung in eigener Sache: Seit einigen Wochen macht der Kamin komische Geräusche. Sollten Sie also so ein dumpfes Knallen vernehmen, keine Sorge: Wir wissen davon und kümmern uns. Vielleicht übt der Weihnachtsmann schon seinen Auftritt.« Er grinst vielsagend.
»Klingt wie ein neuer Fall für uns«, flüstert Beke mir zu.
»Und danach suchen wir auf dem Dachboden nach Geistern und finden das Bernsteinzimmer.«
Rolf Tamminga fährt mit seinen Erklärungen fort.