Keeping Hope - Anna Savas - E-Book
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Keeping Hope E-Book

Anna Savas

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Beschreibung

"Zwischen uns ändert sich nichts, richtig?" Sag es nicht. Sag, dass sich längst alles geändert hat

Seit Ella herausgefunden hat, dass ihr Freund sie betrügt, glaubt sie nicht mehr an die Liebe - ziemlich ungünstig, denn eigentlich ist das Schreiben von Liebesromanen ihre große Leidenschaft. Völlig verloren zwischen Schmerz, ihrem Traum und der Sehnsucht danach, wieder etwas fühlen zu können, stürzt sie sich viel zu früh ins Dating-Leben - bis ihrem besten Freund und Mitbewohner Jamie der Kragen platzt. Nach einem heftigen Streit verbringen die beiden eine Nacht zusammen, die ihre Freundschaft allerdings für immer verändert ...

"Keeping Hope ist eine wunderschöne Geschichte über eine ganz besondere Freundschaft, viel Liebe und das Nach-Hause-Kommen. Ella und Jamie gehen direkt ins Herz und werden daraus auch nicht mehr verschwinden." VIVIEN SUMMER

Abschlussband der New-Adult-Trilogie an der Faerfax University

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Seitenzahl: 618

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

Keeping Hope Playlist

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

Epilog

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von Anna Savas bei LYX

Impressum

Anna Savas

Keeping Hope

Roman

Zu diesem Buch

Als Ella herausfindet, dass ihr Freund sie betrügt, hat sie plötzlich mit so viel mehr als nur ihrem gebrochenen Herzen zu kämpfen. Sie hat von einem Tag auf den anderen auch den Glauben an die Liebe und damit einen Teil von sich selbst verloren. Ausgerechnet sie, die hoffnungslose Romantikerin, die das Gefühl des Verliebtseins immer geliebt hat und deren große Leidenschaft das Schreiben von Liebesromanen ist. Auch der Zeitpunkt könnte schlechter nicht sein: Denn um endlich ein Stipendium in Creative Writing an der Faerfax University zu bekommen, kann sie sich eine Schreibblockade gerade überhaupt nicht erlauben. In dieser Zeit ist ihr bester Freund und Mitbewohner Jamie ihr ganzer Halt. Doch Jamie hat seine ganz eigenen Probleme, und als Ella sich völlig verloren zwischen Schmerz, ihrem großen Traum und der Sehnsucht nach Liebe viel zu früh wieder ins Dating-Leben stürzt, platzt ihm der Kragen. Nach einem heftigen Streit verbringen die beiden eine Nacht zusammen, die sie weit über die Grenzen ihrer Freundschaft hinausbringt. Und danach ist nichts mehr, wie es war …

Für Mama,

weil du die stärkste Frau bist, die ich kenne, und weil du mich zu der gemacht hast, die ich bin.

Für Christina,

weil du ein Teil von mir bist und ich ohne dich nicht ich bin.

Für Jan,

weil du immer für mich da bist.

Für Oma,

weil du die beste Oma der Welt bist.

Keeping Hope Playlist

Someone To You – BANNERS

exile – Taylor Swift, Bon Iver

Falling – Harry Styles

Tell Me That You Love Me – James Smith

High Hopes – Panic! At the Disco

Let You Down (Piano Version) – Tommee Profitt

You Are The Reason – Calum Scott

Perfectly Imperfect – Declan J Donovan

Don’t Give Up On Me – Andy Grammer

Be Here For You – Sam Tinnesz

Can You Hold Me – NF, Britt Nicole

You should be sad – Halsey

Paralyzed – NF

In My Veins – Andrew Belle

If You Love Her – Forest Blakk

In My Blood – Vitamin String Quartet

Hold Me While You Wait – Lewis Capaldi

Arcade – Duncan Laurence

WITHOUT YOU – The Kid LAROI

Always – Isak Danielson

Fix It to Break It – Clinton Kane

A little Bit Yours – JP Saxe

Quite Miss Home – James Arthur

Prolog

Ella

Ich war immer der Meinung, dass Seelenverwandtschaft und Liebe getrennt voneinander betrachtet werden sollten.

Im Grunde hat sich meine Meinung dazu auch nicht geändert. Man kann einen Seelenverwandten haben und trotzdem jemand anderen lieben. Nur ich … Ich kann das nicht.

Mein Problem war: Ich hatte Angst. Und ich war vor Angst so blind, dass ich mich weigerte, das Offensichtliche zu sehen.

Das Problem war, dass ich eine Meisterin darin war, meine Gefühle zu verdrängen. Und seine auch.

Das Problem war, dass das, was man nicht sehen will, irgendwann vermeintlich verschwindet, wenn man lange genug nicht hinsieht.

Also ja, man kann einen Seelenverwandten haben und gleichzeitig jemand anderen lieben.

Es macht manches etwas leichter. Man ist nicht so verletzlich, teilt sein Herz in zwei Teile und geht niemals das Risiko ein, dass es voll und ganz gebrochen wird. Denn dein Seelenverwandter würde dir nie das Herz brechen.

Verliebt man sich allerdings in den Menschen, der einen besser kennt als man sich selbst, setzt man alles aufs Spiel.

Deswegen ist es leichter, nicht hinzusehen. Zu verdrängen. Blind zu sein.

Bis zu dem Moment, an dem alles auseinanderbricht.

1. KAPITEL

Ella

Meine Finger huschten über die Tastatur, Buchstabe reihte sich an Buchstabe, Wörter füllten Seite um Seite. Die Stille der Nacht beflügelte mich. Nur die Melodie meiner tippenden Finger auf der Tastatur war zu hören. Feuerte mich an, weiterzumachen, und mit jedem Buchstaben, jedem Wort, jeder Seite nahmen meine Figuren mehr Gestalt an. Sie lebten, atmeten, fühlten.

Ich schrieb wie besessen. Die Deadline kam näher und näher. Keine achtundvierzig Stunden mehr. Ich war viel zu spät dran, aber ich war selbst schuld. Wer drei Tage vor Abgabe die Hälfte des Plots noch einmal umwirft, sollte wohl damit rechnen, dass die Zeit knapp werden könnte.

Nicht, dass ich den gesamten Plot jetzt schon benötigen würde, aber ich konnte nicht richtig schreiben, wenn ich nicht zumindest die groben Punkte kannte. Und wenn ich die änderte, tja … dann hatte ich ein Problem.

Mein Handy leuchtete auf, doch ich ignorierte es. Vee musste jetzt noch ein paar Minuten warten.

Ich warf einen kurzen Blick auf Wort- und Seitenzahl, und ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. Na also, wenigstens die Mindestanzahl hatte ich für die Leseprobe zusammen.

Ich beendete das Kapitel mit dem miesesten Cliffhanger, den man sich für die Leseprobe eines New-Adult-Liebesromans vorstellen konnte, öffnete Vees Chat in der Webversion von WhatsApp, kopierte das Kapitel, das ich gerade geschrieben hatte, und schickte es ihr.

Ich 04:03:

Hier bitte schön. Wenn es dir nicht gefällt, gehe ich sterben.

Vee 04:04:

Hör auf, rumzuheulen, es ist garantiert großartig! Ich lese.

Unruhig kaute ich auf meiner Unterlippe herum, während ich darauf wartete, dass Vee mir sagte, ob ich es versaut hatte oder nicht.

Vermutlich hängte ich mein Herz zu sehr an dieses Stipendium. Es war absolut unwahrscheinlich, dass ich es bekommen würde. Aber ich konnte diese Chance auch nicht ignorieren. Nicht, wenn die Faerfax University die Voraussetzungen für ein Stipendium für das Fach Creative Writing geändert hatte.

Nach meinem Highschool-Abschluss hatte ich mich schon mal für ein Stipendium beworben, weil meinen Eltern das Geld für die Studiengebühren gefehlt hatte und ich keinen Studienkredit für ein Fach mit eher semiguten Berufschancen bekommen hatte. Damals war ich nicht genommen worden.

Danach hatte ich mir eingeredet, dass ich kein Studium brauchte, dass ich es auch ohne einen Abschluss schaffen konnte, meinen Traum zu verfolgen und Schriftstellerin zu werden. Dass ich gut genug war, es ohne Hilfe zu schaffen.

Ich hatte es nicht geschafft.

Drei Jahre waren vergangen, und ich war heute keinen Schritt weiter als nach meinem Abschluss. Deshalb hatte ich nicht lange gezögert, als ich erfahren hatte, dass ein Stipendium für Creative Writing nicht mehr von meinen Noten abhing, sondern von meinem Talent als Schriftstellerin.

Wer das Geld hatte und kein Stipendium brauchte, musste sich nicht bewerben, zumindest nicht so wie ich. Für all diejenigen, die nicht auf die Wohltätigkeit anderer angewiesen waren, reichte eine normale Collegebewerbung. Wer jedoch versuchte, eins der begehrten Stipendien zu ergattern, musste nicht nur eine Reihe Gedichte oder Poetry Slams und eine Kurzgeschichte einreichen, sondern auch die Leseprobe für einen Roman.

An ebendieser Leseprobe hatte ich die letzten Wochen gesessen und vor drei Tagen noch mal von vorne angefangen, weil sich an der ersten Version irgendetwas falsch angefühlt hatte. Diese Version fühlte sich besser an, aber nur weil meine Idee gut war, musste dem Gremium, das die Stipendien vergab, noch lange nicht mein Schreibstil gefallen.

Instinktiv zog ich die Schultern hoch. Wenn Vee wüsste, dass ich schon wieder in Zweifeln zu ertrinken drohte, würde sie mich einen Kopf kürzer machen.

Wir hatten uns vor fast zwei Jahren über Instagram kennengelernt. Im Gegensatz zu mir war sie schon ein paar Schritte weiter und veröffentlichte Dark Romance im Selfpublishing. Ich hatte alle ihre Bücher in kürzester Zeit verschlungen und sie angeschrieben, ohne mir Gedanken darüber zu machen, ob sie mir antwortete. Hatte sie aber, und irgendwie waren wir Freundinnen geworden. Seitdem verging kein Tag mehr, an dem wir nicht schrieben und uns gegenseitig unsere neuesten Textstellen zum Lesen schickten.

Jemanden live mitlesen zu lassen war wirklich praktisch. Manchmal war es allerdings auch die absolute Hölle, wenn man auf eine Antwort wartete und wartete und dabei vielleicht ein kleines bisschen die Nerven verlor.

Als ihre Nachricht endlich auf dem Bildschirm erschien, atmete ich erleichtert auf.

Vee 04:17:

Das kannst du doch nicht machen! Das soll das Ende der Leseprobe sein? Sie müssen dich allein deshalb nehmen, damit du diesen Cliffhanger auflösen kannst!

Ich 04:18:

Dann kann ich das also so abschicken?

Vee 04:18:

Kannst du! Tu es! Los jetzt! Bevor du es dir wieder anders überlegst!

Ich wurde rot, weil sie recht hatte. Ich sollte es sofort tun, sonst verlor ich mich wieder in meinen Selbstzweifeln, und dann würde ich mich am Ende gar nicht bewerben. Und das ging nicht. Eilig öffnete ich mein Mailprogramm und schickte meine Bewerbungsunterlagen ab.

Alles würde gut werden. Wenn ich nicht selbst daran glaubte, hätte ich mir den Stress der letzten Zeit auch sparen können. In ein paar Wochen würde ich die Zusage für das Stipendium bekommen. Dann würde ich im Herbst zu studieren anfangen, und irgendwann wäre ich schließlich so weit, es zu wagen, meine Geschichten in die Welt hinauszulassen. Es würde passieren. Ich musste nur ganz fest daran glauben.

Ich 04:33:

So, hab’s getan, ich gehe sterben.

Vee 04:34:

Nein, tust du nicht! Du musst los, dein Flieger geht gleich! Mason wartet bestimmt schon auf dich …

Als hätte mein Wecker nur auf das Kommando gewartet, begann er zu klingeln. Fünf nach halb fünf. Es war viel zu früh und gleichzeitig viel zu spät.

Gähnend schaltete ich den Wecker aus, und mein Rücken gab ein protestierendes Knacken von sich, als ich mich streckte, und ein schmerzhaftes Stechen schoss durch meinen Nacken. Ich hatte die ganze Nacht nicht geschlafen und es nicht mal gemerkt. Jetzt, da die Anspannung nachließ und das Adrenalin abklang, traf mich die Müdigkeit wie ein Schlag, aber nun war es zu spät, um ins Bett zu krabbeln und zu schlafen.

Mit einem erschöpften Seufzen stand ich auf, fischte Unterwäsche und ein Sommerkleid aus dem Kleiderschrank und verließ mein Zimmer.

Als ich ins Wohnzimmer trat, ging gerade die Sonne auf. Lichtstrahlen tasteten sich am Fenstersims empor, orangerot und kräftig, malten Schatten auf die Buchrücken, die sich dicht an dicht in dem hohen Regal aneinanderschmiegten.

Über Jamies Klavier wirbelten winzige Staubkörner durch die Luft, nur sichtbar gemacht von der Sonne, und meine Pflanzen, die ich auf praktisch jeder freien Fläche des Raums platziert hatte, reckten sich dem Licht entgegen.

Leise schlich ich durchs Wohnzimmer, vorbei an meinem allerliebsten Leseplatz, dem Korbsessel, der an der Decke baumelte, und ging ins Bad.

Zwanzig Minuten später war ich fertig angezogen, meine Tasche gepackt und der Laptop sicher in meinem Rucksack verstaut. Ich überprüfte noch einmal, ob ich tatsächlich alles hatte, checkte das Datum des Flugtickets auf meinem Handy und schlüpfte aus meinem Zimmer. Gerade als ich auch die Wohnung verlassen wollte, hielt Jamies dunkle, leicht raue Stimme mich auf.

»Wo willst du denn so früh hin?«

Ich stieß einen erschrockenen Laut aus, weil ich mit ihm um diese Uhrzeit nicht gerechnet hatte, und wirbelte zu ihm herum. Er stand im Türrahmen seines Zimmers, die braunen Haare standen zerzaust in alle Richtungen ab, seine dunkelblauen Augen waren glasig. Ich musste lächeln. Er schlief noch halb.

»Ich bin dieses Wochenende doch bei Mason«, erinnerte ich ihn.

Jamie verzog das Gesicht und wandte sich mit einem Gähnen ab. »Richtig. Da war ja was. Na dann, guten Flug.«

»Danke. Hey, Jamie, warte mal«, hielt ich ihn auf, und er drehte sich mit einem fragenden Ausdruck auf dem Gesicht wieder zu mir um. »Wollen wir Sonntagabend, wenn ich zurückkomme, mal wieder einen Filmabend machen? Unser letzter ist schon Ewigkeiten her.«

Seine Lippen verzogen sich zu einem breiten Lächeln, ein Grübchen erschien auf seiner rechten Wange. »Klar. Aber nur, wenn wir auch Pizza bestellen.«

Ich schmunzelte. »Ich glaube, das sollten wir hinkriegen. Dann sehen wir uns Sonntag.«

»Bis Sonntag, Ella.« Ein warmer Unterton hatte sich in seine Stimme geschlichen, und sein Lächeln wurde noch ein wenig breiter.

Ich erwiderte es und tippte mir zweimal an die Nase, weil wir das immer taten, wenn wir unter uns waren und uns voneinander verabschiedeten. Ich erinnerte mich nicht mehr daran, wann und warum genau wir mit diesem kleinen Ritual angefangen hatten, aber es war über die letzten Jahre zur Gewohnheit geworden.

Jamie wiederholte die Geste, und ein warmes Gefühl durchströmte mich. Dann verließ ich die Wohnung.

Es war ungewöhnlich heiß, als ich in Dallas ankam, obwohl es noch früh war. Ich suchte mir ein Taxi und nannte dem Fahrer Masons Adresse. Eine Mischung aus Vorfreude und Anspannung überkam mich, während der Wagen sich durch den Verkehr schlängelte.

Es war fast fünf Wochen her, seit Mason und ich uns das letzte Mal gesehen hatten. Seitdem er mich vor ein paar Wochen gefragt hatte, ob ich bei ihm einziehen wollte und ich abgelehnt hatte, war es seltsam zwischen uns. Erst war er wütend gewesen, dann verletzt. Ich konnte das verstehen. Konnte ich wirklich. Aber es änderte nichts.

Ich hatte nicht abgelehnt, weil ich ihn nicht liebte oder nicht mit ihm zusammenwohnen wollte. Ich wollte das alles, das Gesamtpaket. Aber es gab im Moment zu viele Gründe, um in Faerfax zu bleiben. Ich war noch nicht bereit dafür, mein Leben dort hinter mir zu lassen. Meine Freundinnen, Jamie, meine Schwester und vor allem meine Mom. Ich konnte nicht. Nicht, nachdem sich meine Eltern erst vor wenigen Monaten getrennt hatten.

Unwillig schob ich die Gedanken an meine Eltern in den hintersten Winkel meines Bewusstseins. Ich hatte mir in letzter Zeit entschieden zu viel von meinem Vater vermiesen lassen. Dieses Wochenende würde ich nicht über ihn nachdenken. Nicht über ihn und schon gar nicht über seine Verfehlungen.

Mit einem dankbaren Lächeln bezahlte ich den Taxifahrer, als der Wagen endlich vor dem modernen Hochhaus stoppte, in dem Mason wohnte, und stieg aus. Suchend sah ich mich um, konnte ihn jedoch nirgendwo entdecken, und ein Anflug von Enttäuschung stieg in mir auf. Manchmal wartete er vor dem Haus auf mich, vor allem dann, wenn wir uns so lange nicht gesehen hatten. Dass er mich nicht vom Flughafen abholte, war keine große Sache. Er hatte kein Auto, und es war Quatsch, zwei Taxi- oder Uberfahrten zu bezahlen, aber es wäre wirklich schön gewesen, wenn er jetzt auf mich gewartet hätte.

Eigentlich war es dämlich, immerhin trennten uns jetzt nur noch ein paar Stockwerke, und trotzdem … Es wäre ein erster Schritt zurück zu unserem früheren Wir gewesen. Ein Zeichen dafür, dass er mir verziehen hatte.

Ich verstehe ja, warum du bleiben willst, aber du musst mich auch verstehen. Ich dachte, wir würden uns endlich weiterentwickeln.

Masons Worte hatten sich unauslöschlich in mein Gedächtnis gebrannt, und ich wünschte so sehr, ich hätte ihm eine andere Antwort geben können. Hatte ich aber nicht, und das konnte ich jetzt auch nicht mehr rückgängig machen.

Ich schüttelte den Gedanken an das Gespräch ab, betrat das Gebäude und nickte einem älteren Herrn, der gerade den Fahrstuhl verließ, freundlich zu, bevor ich selbst einstieg. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis er endlich die zwölfte Etage erreichte, und als ich an Masons Tür klopfte, schlug mir das Herz bis zum Hals.

Bitte lass uns dieses Wochenende nicht streiten. Bitte lass alles gut werden. Ich will mich nicht schon wieder streiten.

Ich klopfte ein weiteres Mal, doch hinter der Tür blieb es totenstill. Nichts und niemand rührte sich. Als ich zum dritten Mal klopfte, stieg Ärger in mir auf. Mühsam schluckte ich ihn hinunter.

Ich will mich nicht streiten. Ich werde mich nicht aufregen, weil er verschlafen hat und mich nicht hört.

Ich versuchte es ein letztes Mal und wollte gerade mein Handy aus der Tasche kramen, um ihn anzurufen, als endlich die Tür aufgerissen wurde. Mason wirkte so genervt, dass ich zurückzuckte.

»Was ist denn?«, blaffte er, dann erkannte er mich und wurde kreidebleich. »Scheiße, Ella, was machst du denn hier?«

»Wonach sieht’s denn aus?« Ich bemühte mich um ein Lächeln, kämpfte gegen den Ärger an, und scheiterte. Er hatte ganz offensichtlich nicht einfach nur verschlafen. Er hatte mich vergessen.

»Aber du wolltest doch erst nächstes Wochenende kommen.« Er sah mich so vorwurfsvoll an, dass mein ohnehin nur halbherziges Lächeln augenblicklich verschwand.

»Nein. Ich wollte dieses Wochenende kommen. So wie es auf den Flugtickets steht, die wir gemeinsam gebucht haben, als du letztes Mal bei mir warst.« Ich zwängte mich an ihm vorbei in die Wohnung. Wir würden uns ganz sicher nicht auf dem Flur streiten. »Du erinnerst dich? Du hast gesagt, dass du den ganzen nächsten Monat keine Zeit hast, weil du so viel im Büro zu tun hast. Deswegen sollte ich erst dieses Wochenende kommen.«

»Fuck!«, stieß Mason aus. »Das hab ich total vergessen.«

»Was du nicht sagst«, gab ich zurück, war aber schon nicht mehr ganz bei der Sache. Irgendwas war anders als sonst. Ich schaute mich um, doch jedes Möbelstück stand noch an exakt derselben Stelle wie beim letzten Mal. Es war alles wie immer. Und doch … Irgendwas war anders.

»Tut mir echt leid. Willst du frühstücken gehen? Als Entschuldigung? Ich ziehe mir nur eben was an, dann können wir los.« Mason schob sich vor mich, ein gewinnendes Lächeln auf dem hübschen Gesicht. Seine blonden Haare waren völlig zerzaust.

Dann fiel mein Blick auf den Knutschfleck an seinem Hals, und ich begriff, was anders war. Es roch nach Parfum. Nach einem unerträglich süßen Parfum.

Die Welt um mich herum verlangsamte sich. Mein Herz setzte einen Schlag aus, schlug dann schneller und schneller und schneller und zersprang schließlich in abertausend kleine Scherben. Mein Magen krampfte sich zusammen, und dann setzte die Welt sich mit einem harten Ruck wieder in Bewegung.

Das war nicht wahr.

Das konnte nicht wahr sein.

Ich bildete mir das nur ein.

Mason würde mir so etwas niemals antun.

Er … Nein. Er war der Einzige, der Bescheid wusste. Er war der Einzige, der mich die letzten Monate davor bewahrt hatte, zu zerbrechen, weil ich ein Geheimnis hütete, das keine Tochter jemals hüten sollte. Er wusste als Einziger von Dads Affäre. Er wusste, wie sehr ich darunter litt.

Er würde mir niemals das Gleiche antun.

Niemals.

Und dennoch …

»Sag mir, dass du das nicht getan hast.« Meine Stimme brach, ich rang nach Luft, mir schnürte sich die Kehle zu.

»Wovon redest du?« Mason runzelte die Stirn, sah mich so verwirrt an, dass ich ihm für einen Moment beinahe geglaubt hätte. Doch sein Blick flackerte, und ich kannte ihn zu gut, um nicht zu wissen, wann er log.

Wie in Trance setzte ich mich in Bewegung und hastete durch den Flur zu seinem Schlafzimmer. Ich hörte Mason hinter mir herrufen, doch ich ignorierte ihn, verstand nicht, was genau er da von sich gab. Es interessierte mich auch nicht. Nur eine einzige Sache war gerade von Bedeutung.

Als ich die Tür zu seinem Schlafzimmer aufriss, blieb die Welt ein zweites Mal stehen. In seinem Bett lag eine dunkelhaarige junge Frau, sie war nackt und wunderschön. Natürlich. Sie hob den Kopf, rechnete offensichtlich mit Mason und wurde blass, als sie mich entdeckte.

Ein erstickter Laut entwich mir. Der Schmerz traf mich so unvermittelt, dass ich taumelte. Es fühlte sich an, als würde mich jemand zerreißen. Mein Innerstes nach außen kehren.

Ich musste weg. Wegwegweg. Ganz schnell.

Ich wirbelte herum, prallte gegen Masons nackte Brust und stieß ein Schluchzen aus. Ich wollte mich an ihm vorbeischieben, doch er griff nach mir, hielt mich fest, den Blick seiner blauen Augen flehentlich auf mein Gesicht gerichtet.

»Ella, warte. Lass mich das erklären. Ich –«

»Wie konntest du nur?!«, schrie ich und riss mich von ihm los.

Mir war kotzübel.

Ich wartete seine Antwort nicht ab, sie interessierte mich nicht. Stattdessen schubste ich ihn zur Seite und floh. Schritte folgten mir, ich hörte, wie Mason meinem Namen rief, und ein Teil von mir wollte stehen bleiben und ihm das Gesicht zerkratzen.

Stattdessen stürzte ich blind vor Tränen aus der Wohnung, scherte mich einen Dreck darum, dass ich meinen kleinen Koffer zurückließ, und rannte die Treppe hinunter.

Zwölf Stockwerke. Mehr Stufen, als ich zählen konnte. Ich konnte nicht auf den Fahrstuhl warten. Dort hätte er mich eingeholt. Das konnte ich nicht zulassen.

Also stolperte ich Stufe um Stufe nach unten. Immer weiter und weiter. Bis ich irgendwann ganz unten ankam.

2. KAPITEL

Jamie

Ungläubig las ich die Mail, die gestern am späten Nachmittag noch in meinem Postfach gelandet war und die ich bisher nicht gesehen hatte.

Das konnte nicht wahr sein. Sie mussten sich geirrt haben. Ich hatte schon vor Wochen die Absage für das Kompositionsprojekt in den Ferien bekommen. Und jetzt stand da schwarz auf weiß doch eine Zusage. Weil jemand abgesprungen war. Irgendein Idiot ließ sich die Chance seines Lebens entgehen.

Ich griff nach meinem Handy und tippte schon die Nachricht an Ella, als mir einfiel, warum sie nicht direkt neben mir stand und vor Freude ausflippte. Mein Magen krampfte sich zusammen. Sie war bei Mason.

Fuck.

Allein bei dem Gedanken hätte ich kotzen können. Mason und ich waren nie besonders gut miteinander klargekommen. Was wenig überraschend war, wenn man bedachte, dass ich in seine Freundin verliebt war.

Wenn ich jemals irgendjemandem einen Rat in Liebesdingen geben müsste, wäre es folgender: Verliebe dich niemals in deine beste Freundin. Und zieh auf gar keinen Fall mit ihr zusammen. Es sei denn, du stehst auf Schmerzen.

Aber mal ehrlich, so einen Scheiß tat sich doch niemand freiwillig an.

Abgesehen von mir natürlich.

Nach unserem Schulabschluss mit Ella zusammenzuziehen war der größte Fehler meines Lebens gewesen. Die pure Folter.

Aber sie hatte mich gefragt, ob ich mit ihr zusammen in die Wohnung über dem Café ihrer Schwester ziehen wollte, und mir war als ihr bester Freund kein wirklich guter Grund eingefallen, ihr Angebot auszuschlagen. Außer dieser einen klitzekleinen Kleinigkeit natürlich … Dass ich hoffnungslos und bis über beide Ohren in sie verliebt war.

Dazu kam, dass ich damals dringend bei meinen Eltern rauswollte, was Ella wusste. Sie und ihre Schwester Tara hatten das Haus von ihren Großeltern geerbt, die Wohnung war also mietfrei und lag außerdem auch noch direkt im Univiertel.

Es gab absolut keinen Grund, Nein zu sagen, ohne Ella zu gestehen, dass ich seit Jahren Gefühle für sie hatte, die ich eigentlich nicht haben sollte.

Und wenn es etwas gab, was ich auf gar keinen Fall tun würde, dann das.

Ich hatte mich an den Schmerz gewöhnt, er war im Laufe der Zeit zu einem dumpfen Pochen in meinem Inneren geworden. Ich wurde ihn nicht los, egal, was ich versuchte.

Anfangs hatte ich gehofft, dass es mit der Zeit besser werden würde, dass meine Gefühle für Ella irgendwann wieder verschwinden würden.

Spoileralarm: Waren sie nicht.

Inzwischen hatte ich jede Hoffnung aufgegeben.

Ich seufzte und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf die Mail, weil es mir noch nie geholfen hatte, zu viel über Ella nachzudenken.

Ich hatte es tatsächlich geschafft.

Als ich dieses Mal nach meinem Handy griff, wischte ich Ellas Nummer rasch beiseite und rief Lily an. Wir kannten uns noch nicht lange, erst ein paar Monate, aber sie war in kürzester Zeit der Mensch geworden, mit dem ich reden wollte, wenn ich mit Ella nicht reden konnte.

Nicht nur, weil sie die Einzige war, die von meinen Gefühlen für meine beste Freundin wusste, sondern auch, weil uns beide die Liebe zu klassischer Musik verband. Wenn jemand verstand, wie wichtig dieses Projekt für mich war, dann sie.

»Hey, Jamie.« Das Lächeln, das in Lilys Stimme mitschwang, war sogar durchs Telefon zu hören.

»Ich hab den Platz beim Ferienprojekt«, platzte es aus mir heraus.

»Moooment. Welches Ferienprojekt und warum hast du noch nichts erzählt? Aber ooooh … Jamie, das ist toll, worum auch immer es geht! Ich freue mich so für dich!«

»Danke!« Wärme durchflutete mich, und ich musste lächeln.

»Darauf müssen wir anstoßen!«

Ich warf einen kurzen Blick auf die Uhr. »Lily, es ist halb elf.«

»Ja und?«, schnaubte sie. »Dann stoßen wir eben mit Kaffee an. Treffen wir uns in einer halben Stunde bei euch im Café? Du musst mir alles erzählen. Vor allem, warum ich bisher noch nichts von diesem Ferienprojekt gehört habe.«

»Mach ich. Kann Julian denn an einem Samstagmorgen auf dich verzichten?«

»Julian ist seit gestern in Chicago. Dieses Wochenende steht der große Umzug an«, erinnerte sie mich mit einem Seufzen. Sie musste es nicht aussprechen, ich wusste auch so, dass sie sich Sorgen machte, weil Julians Familie nach Faerfax zog und die Beziehung zwischen ihm und seinem Dad nicht unbedingt einfach war. Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie, dass seine Familie in unsere Stadt zurückkehrte und Julian während seines Ferienpraktikums wieder in ihrem Haus in Chicago wohnen würde.

»Richtig. Okay, dann sehen wir uns in einer halben Stunde.«

Wir verabschiedeten uns voneinander, und ich warf einen letzten Blick auf die Mail. Ich hatte es geschafft. Ich hatte es tatsächlich geschafft.

Es hatte viele Vorteile, direkt über einem Café zu wohnen. Und, abgesehen von dem kurzen Weg, gehörte vor allem Taras Kaffee zu diesen Vorteilen. Niemand kochte so guten Kaffee wie sie.

Das Happiness war gut besucht, als ich nach unten kam, was nicht weiter überraschend war. Tara hatte es geschafft, aus dem Café ihrer Großmutter etwas ganz Besonderes zu machen. Anstelle von Stühlen gab es Holzschaukeln, die an dicken Seilen von der Decke hingen und verhinderten, dass man die neun kleinen und großen Tische zusammenschieben konnte. Doch nicht nur die Schaukeln machten das Café besonders, auch das Efeu, das sich an den Seilen emporschlängelte, und die anderen Pflanzen, die auf jeder freien Fläche in bunten Blumentöpfen standen.

Ich hatte mich gerade an den letzten freien Zweiertisch gesetzt, als Lily ins Café geschwebt kam. Sie trug ein cremefarbenes Sommerkleid, das ihre gebräunte Haut betonte. Ihre rosagefärbten Haare fielen in großen Wellen weit über ihren Rücken, und auf ihrem Gesicht breitete sich ein strahlendes Lächeln aus, als sie mich entdeckte. Lily war die Sorte Mädchen, die einem sofort auffiel, die einen anzog und der man schnell verfiel.

Einen einzigen Abend hatte ich gehofft, dass sie vielleicht diejenige sein würde, die mich von meinen Gefühlen für Ella befreien könnte. Ein einziger Abend, der völlig anders gelaufen war als geplant. Am Ende waren wir uns nähergekommen, als ich je gedacht hätte. Auf eine absolut nicht körperliche Art und Weise.

Ungestüm fiel sie mir um den Hals. »Ich bin so stolz auf dich!« Sie drückte mir einen Kuss auf die Wange, bevor sie sich von mir löste und sich anmutig auf eine der Schaukeln sinken ließ.

»Eigentlich habe ich ja nicht viel mehr gemacht, als eine Bewerbung zu schreiben und drei meiner Stücke einzureichen.« Verlegen rieb ich mir die Nase.

Lily wischte meinen Einwand mit einer energischen Handbewegung beiseite. »Ach Quatsch. Die nehmen nur die Besten, du bist einer von ihnen und fertig.«

»Also … ehrlich gesagt ist jemand abgesprungen.«

Sie stöhnte auf. »Jamie, ist das dein Ernst? Hör doch mal auf, dich so kleinzureden. Dann ist eben jemand abgesprungen. Na und? Du wirst nicht der Einzige gewesen sein, der in der ersten Runde nicht genommen wurde. Dafür bist du der Einzige, der jetzt mitmachen darf. Also, sei stolz auf dich, verdammt noch mal!«

»Okay, okay, beruhig dich«, erwiderte ich lachend, und Lily lehnte sich mit einem zufriedenen Grinsen zurück.

Sie öffnete gerade den Mund, um noch etwas zu sagen, als Hannah, eine Studentin, die hier kellnerte, an unseren Tisch trat. Wir bestellten unseren Kaffee – ich einen starken Schwarzen, Lily einen Latte Macchiato mit Hafermilch –, und als Hannah uns wieder allein ließ, sah Lily mich aus großen blauen Augen neugierig an.

»Also, was ist das für ein geheimnisvolles Ferienprojekt? Und warum wusste ich nichts davon?«

Ich wand mich. »Weil ich nicht damit gerechnet habe, dass ich einen Platz kriege. Und ich wollte nicht …« Ich brach ab, weil ich nicht die richtigen Worte fand. Ich konnte es nicht erklären. Ich wusste nur, dass ich im Falle einer Absage keine mitfühlenden Blicke und aufmunternden Worte ertragen hätte.

Lily nickte, ein verständnisvoller Ausdruck huschte über ihr Gesicht. »Ich weiß, was du meinst. Erzählst du mir trotzdem, worum es geht?«

»Filmmusik. Es ist ein bisschen so wie das Filmprojekt letztes Semester. Nur, dass wir dieses Mal die Musik für einen Film komponieren dürfen, der am Ende auch im Kino läuft. Wie genau das abläuft, weiß ich noch nicht, aber das werden sie uns am Anfang des Projekts schon noch erklären.« Ich verstummte, als Hannah wieder zu unserem Tisch zurückkehrte und zwei große Tassen vor uns abstellte. »Weißt du, wie lange ich auf so eine Chance gewartet habe?«, sagte ich, sobald sie wieder verschwunden war. »Wenn man einmal drin ist, dann … keine Ahnung, wahrscheinlich ändert das am Ende gar nichts. Aber vielleicht doch. Immerhin ist es ein Kinofilm und nicht nur ein Kurzfilm, der bei uns auf dem Campus gedreht wird.«

»Weißt du schon, worum es in dem Film gehen wird?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nee, das erzählen sie uns erst, wenn das Projekt auch tatsächlich angefangen hat.«

»Schade, aber das klingt trotzdem alles ziemlich cool.« Lily strahlte mich an, doch dann erlosch ihr Lächeln, Sorge breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Jamie … Ich weiß ja nicht, wie viel Zeit ihr für das Projekt eingeplant habt, aber das Ganze klingt ziemlich umfangreich, und wolltest du nicht diesen Sommer ein paar Kurse vorziehen, damit du deinen Abschluss früher machen kannst?«

Es fühlte sich an, als hätte mir jemand mit aller Kraft in den Bauch geboxt. Mein Magen verkrampfte sich, ich spürte, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich. Fuck.

Wie hatte ich das nur vergessen können? Ich hatte die letzten beiden Wochen seit Semesterende alles darangesetzt, die Kurse aus dem siebten Semester in die Ferien legen zu können, um dann im Herbst mit den Kursen des achten Semesters zu starten. Nachdem ich die Absage für das Projekt bekommen hatte, hatte ich so viel wie möglich vorgezogen.

Das konnte ich jetzt nicht mehr rückgängig machen. Nicht, nachdem ich alle Verantwortlichen angefleht hatte, überhaupt so viel vorverlegen zu dürfen. Normalerweise war das in den Ferien gar nicht möglich, aber für mich hatten sie extra eine Ausnahme gemacht. Die Kurse eines ganzen Semesters zu belegen und bei dem Projekt mitzumachen, war praktisch unmöglich, doch ich hatte jetzt keine andere Wahl mehr. Ich konnte weder die Kurse noch das Projekt absagen. Ich musste meinen Abschluss vorziehen.

»Jamie?«, fragte Lily vorsichtig und riss mich aus meinen Gedanken.

Ich stöhnte auf. »Ich bin am Arsch.«

»Kannst du nicht ein paar Kurse ins nächste Semester schieben?«

»Nicht, wenn das Semester noch voller werden soll als die Ferien. Mir fehlen nach dem Sommer immer noch ein paar Kurse, und meine Abschlussarbeit steht auch noch an.«

»Okay, das ist mies. Aber wir kriegen das hin. Kann ich dir irgendwie helfen?« Lily strich sich die Haare hinter die Ohren, ein entschlossener Zug hatte sich um ihren Mund gelegt.

»Du kannst mir beim Jammern zuhören«, erwiderte ich mit einem schwachen Lächeln.

Sie stupste mich über den Tisch hinweg an. »Darin haben wir beide doch Übung.«

Mehr als genug.

»Hey, Jamie? Ich weiß, das kommt dir wahrscheinlich gerade alles sehr viel vor, aber du kannst trotzdem stolz auf dich sein.«

Ich nickte. Ich war stolz auf mich. Das änderte leider trotzdem nichts an der Tatsache, dass ich echt am Arsch war.

3. KAPITEL

Ella

Orientierungslos lief ich durch die Stadt. Ich kannte mich in Dallas unter normalen Umständen schon nicht gut aus, aber jetzt gerade hatte ich so gar keine Ahnung, wo ich langlief.

Tränen verschleierten meine Sicht, rannen mir ungehindert über die Wangen, doch ich machte mir nicht die Mühe, sie wegzuwischen. Es würde ohnehin nichts nützen. Es kamen immer neue nach. Ich konnte nicht aufhören zu weinen, egal wie sehr ich versuchte, die Tränen runterzuschlucken. Ich konnte nicht aufhören.

Mason hatte mich betrogen.

Ich hatte die nackte Frau in seinem Bett gesehen und konnte es trotzdem nicht glauben. Nein, ich wollte nicht, weil es zu wehtat. Weil ich nicht wusste, was mehr schmerzte. Dass unsere Beziehung vorbei war, oder dass sie ausgerechnet auf diese Weise enden musste.

Mein Herz krampfte sich zusammen. Ich wollte toben, ihn anschreien, schlagen und verfluchen. Ich wollte ihm wehtun. So sehr. Ich wollte ihm wehtun, so wie er mir wehtat. Ich wollte ihm den gleichen Schmerz zufügen. Nein, ich wollte ihm schlimmere Schmerzen zufügen. Er sollte noch mehr leiden.

Aber das würde er nicht tun. Ich war diejenige, die litt.

Ein gequälter Laut entfuhr mir. Ich merkte, dass die Leute mich anstarrten, verlegen und peinlich berührt. Ich stolperte an den Passanten vorbei, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. Es kümmerte mich nicht, ob ich jemanden anrempelte oder wohin ich lief.

Irgendwann fand ich mich in einer ruhigeren Seitenstraße wieder. Meine Beine gaben unter mir nach, und ich ließ mich an Ort und Stelle auf den Bürgersteig sinken. Erschöpft lehnte ich mich an die Hauswand hinter mir, der Stein fühlte sich kühl an in meinem Rücken. Langsam versiegten die Tränen. Dafür begannen meine Gedanken zu rasen.

Was sollte ich jetzt tun? Wo sollte ich hin? Sollte ich mit Mason reden? Zu ihm zurückgehen und ihn zur Rede stellen? Ihn alles erklären lassen, so wie er es vorhin versucht hatte?

Ich würgte. Nein. Ich konnte nicht zurück. Ich konnte ihm nicht gegenübertreten. Nicht ohne … Ich war nicht einmal in der Lage, mir vorzustellen, wie ich reagieren würde, wenn ich ihn sah.

Was zur Hölle sollte ich tun?

Ich konnte nicht hierbleiben, so viel war klar. Ich musste weg. Aber wohin? Mein Flug ging erst Sonntagabend. Ihn umzubuchen, konnte ich mir nicht leisten.

Meine Hände zitterten, als ich in meinem Rucksack nach meinem Handy tastete.

Siebzehn verpasste Anrufe.

Ich hatte keinen einzigen gehört, während ich durch die Stadt gestolpert war.

Masons Bild flimmerte über mein Smartphone, als es in meiner Hand zu klingeln begann. Anruf Nummer achtzehn.

Scheißescheißescheiße!

Mir brach kalter Schweiß aus, mein Herz raste so heftig, dass ich meinen Puls in jeder Faser meines Körpers spüren konnte. Einen Augenblick lang war ich drauf und dran, den Anruf entgegenzunehmen. Ihn sagen zu lassen, was auch immer er mir zu sagen hatte. Und ihn dann zum Teufel jagen.

Bebend atmete ich ein und drückte ihn weg. Erleichterung durchflutete mich, dicht gefolgt von einem stechenden Schmerz, der mir erneut die Tränen in die Augen trieb.

Wie konnte er nur?

Ich starrte auf mein Handy. Keine Ahnung, wie lange. Aber es dauerte, bis ich mich wieder so weit gefangen hatte, dass ich es schaffte, jemanden anzurufen.

Mein Daumen verharrte über Jamies Namen. Er war der Erste, den ich anrief. Immer. Nur … heute nicht. Ich konnte ihn nicht anrufen. Nicht jetzt. Stattdessen wählte ich eine andere Nummer.

»Hey, Ella. Alles okay? Ich dachte, du bist bei Mason und …« Tessa brach ab, als ich aufschluchzte.

Meine Kehle war plötzlich ganz eng, ich rang nach Atem, brachte keinen Ton heraus.

»Ella? Was ist los?«, fragte Tessa alarmiert, doch ich schaffte es nicht, ihr zu antworten. »Ella? Sag was, bitte! Wenn du nichts sagst … Ella, du machst mir Angst. Sag was. Irgendwas.«

»Ich … Mason …«

»Was ist mit Mason? Ist was passiert? Ist was mit Mason? Geht’s ihm gut?« Tessa war anzuhören, dass sie versuchte, ruhig zu bleiben, um mich nicht noch mehr aufzuregen. Das hätte sie sich sparen können.

»Er hat … Er hat … mich betrogen«, würgte ich hervor, erstickte beinahe an den wenigen Worten.

Tessa schnappte nach Luft. »Was?«

Der Kloß in meinem Hals wurde größer. Das Einzige, was ich zustande brachte, war ein gekrächztes »Ja«.

»Dieser Dreckskerl. Dieser … Wo bist du? Ella, wo bist du jetzt?«, wiederholte sie, als ich nicht antwortete.

Ich atmete tief durch und versuchte mich zu sammeln. Ich musste mich beruhigen. »Keine Ahnung. Irgendwo in der Stadt. Ich … ich weiß es nicht.«

Tessa schwieg einen Moment, dann sagte sie: »Okay. Sieh zu, dass du ein Taxi oder Uber bekommst und fahr zum Flughafen. Ich kümmere mich um den Rest, okay?« Ihre Stimme war ruhig, gefasst, aber ich wusste, dass sie innerlich kochte. Wir kannten uns noch nicht einmal ein Jahr, trotzdem war Tessa in diesen wenigen Monaten zu einer meiner besten Freundinnen geworden.

Allerdings hatte ich sie nicht deswegen angerufen. Ich hatte sie lieb, aber ich hatte sie angerufen, weil sie die Einzige war, die mich mühelos hier rausholen konnte. Nie im Leben hätte ich sie um Hilfe gebeten. So war ich nicht. Ich bat nicht um Dinge. Erst recht nicht um einen Flug, der wahrscheinlich ein halbes Vermögen kostete.

Aber ich hatte gewusst, dass sie mir ihre Hilfe anbieten würde, wenn sie wusste, was los war, und ich hasste und schämte mich gleichzeitig dafür.

»Ella? Du musst mir antworten, ja? Fahr zum Flughafen. Ruf mich an, wenn du da bist, dann sage ich dir, welchen Flug du nehmen kannst, okay?«

»Okay«, wisperte ich. »Danke.«

»Dafür sind Freundinnen da.« Ein warmer Ton schwang in ihrer Stimme mit, ich konnte ihr Lächeln hören. Sanft. Schön. »Und jetzt los. Ab nach Hause!«

Ich kämpfte mich auf die Beine. Sie hatte recht. Ich musste nach Hause.

Tessa holte mich in Chicago am Flughafen ab. Von dort brauchten wir noch fast drei Stunden, bis wir Faerfax erreichten. Ich sagte die ganze Zeit kein Wort, und sie drängte mich nicht.

Sie warf mir zwar hin und wieder besorgte Blicke zu, während sie uns nach Hause brachte, versuchte aber gar nicht erst, mich dazu zu überreden, ihr mehr zu erzählen als das, was ich ihr bereits gesagt hatte.

Wenn jemand verstand, dass ich gerade nicht reden wollte, nicht reden konnte, dann sie.

Wortlos griff sie nach meiner Hand und drückte sie. Ich erwiderte die Geste und schloss die Augen. Doch dann sah ich wieder Mason vor mir. Mason und sie.

Er hatte noch Dutzende Male versucht, mich zu erreichen, während ich darauf gewartet hatte, dass Tessa mich wissen ließ, welchen Flug ich nehmen konnte. Ich war nie ans Telefon gegangen.

Tessa parkte den Wagen in der Einfahrt vor ihrem Haus, und nachdem ich ausgestiegen war, atmete ich tief die klare Frühlingsluft ein, als würde ich mich dadurch besser fühlen.

Was ich natürlich nicht tat.

»Kommst du?« Sie berührte mich behutsam an der Schulter, schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln und griff nach meiner Hand. Ich ließ zu, dass sie mich ins Haus zog. Es war still, als wir eintraten.

»Wo ist Cole?« Meine Stimme klang rau, belegt, gar nicht nach mir. Aber immerhin hatte ich es geschafft, einen ganzen Satz herauszubringen. Das war ein Anfang.

»Mit Julian in Chicago. Er hilft beim Umzug. Er kommt erst morgen wieder nach Hause.« Tessa führte mich in die Küche und blieb vor dem Kühlschrank stehen, während ich mich auf einen der hohen Stühle setzte, die vor der Kücheninsel standen.

»Stimmt, das hab ich ganz vergessen.«

Sie winkte ab. »Ist ja gerade auch nicht so wichtig. Wein oder Tee?«

Ich musste nicht lange überlegen. »Wein. Jede Menge.«

»Kommt sofort.« Sie holte zwei Gläser aus der Vitrine und schenkte uns beiden Weißwein ein.

»Danke.« Ich trank einen großen Schluck. »Weiß Cole Bescheid?«

»Nein. Er war schon weg, als du angerufen hast, und ich dachte, dir wäre es vielleicht nicht recht, wenn ich es ihm sage.« Tessa strich sich eine Strähne ihrer langen dunklen Haare hinters Ohr und musterte mich besorgt. »Was ist passiert? Woher weißt du …« Sie brach ab und zog hilflos die Schultern hoch. Es fiel ihr genauso schwer, es auszusprechen, wie mir.

»Ich hab sie gesehen. In seinem Bett. Nackt. Sie hat auf ihn gewartet, während er mich gefragt hat, ob wir Frühstücken gehen wollen, damit ich nicht mitbekomme, wie sie sich rausschleicht.« Ich stieß ein bitteres Lachen aus, doch schon im nächsten Moment begannen meine Augen wieder zu brennen. Hastig trank ich einen weiteren Schluck Wein.

Tessa fluchte. Noch nie hatte ich sie dermaßen fluchen hören. Ich erzählte ihr alles. Viel war es nicht. Ich wusste praktisch nichts über Mason und diese Frau. Wollte ich auch nicht. Dass sie nackt in seinem Bett gelegen hatte, reichte.

»Es tut mir so leid, Ella.« Aus großen, traurigen Augen sah sie mich an, als ich schließlich verstummte.

»Mir auch.« Ich wischte mir die Tränen von den Wangen und schluckte schwer. »Gott, er hätte einfach Schluss machen sollen! Ernsthaft, warum hat er nicht Schluss gemacht?! Damit wäre ich klargekommen.« Dann kam mir ein Gedanke, und mir drehte sich der Magen um. »Ich muss zum Arzt. Mich testen lassen. Wenn er … Wenn er mit einer geschlafen hat, dann waren da vielleicht noch andere und … Scheiße!« Meine Hände zitterten auf einmal so sehr, dass mir beinahe das Glas aus den Fingern gerutscht wäre.

Tessa nahm es mir vorsichtig ab und zog mich in ihre Arme. »Hey, beruhige dich. Wir kriegen das hin, okay? Wir können zusammen zum Arzt gehen, wenn du willst. Es wird alles gut.«

Ich nickte an ihrer Schulter, obwohl es sich gerade so anfühlte, als würde gar nichts wieder gut werden.

Ich wurde davon wach, dass die aufgehende Sonne ihre gleißend hellen Strahlen direkt in mein Gesicht schickte. Stöhnend drehte ich mich auf die andere Seite, aber es nützte nichts. Ich war wach.

Blinzelnd öffnete ich die Augen. Oder versuchte es zumindest, denn meine Wimpern waren vom Salz der getrockneten Tränen total verklebt. Mein Kopf dröhnte, als ich mich aufsetzte. Ich war mir nicht sicher, ob es am Alkohol oder an meiner übermäßigen Heulerei lag. Vermutlich an beidem. Ich hatte viel geweint und viel getrunken. Und dann noch mehr geweint.

Wie von selbst wanderten meine Gedanken zurück zu Mason. Dieser Scheißkerl. Dieses Arschloch. Wie hatte er mir das antun können? Nach allem, was wir durchgemacht hatten? Die Fernbeziehung, die Sache mit meinen Eltern, das ganze Durcheinander der letzten Jahre. Zählte das so wenig? Bedeutete ich ihm so wenig?

Mein Magen verkrampfte sich schmerzhaft, wahrscheinlich auch, weil ich seit gestern Morgen nichts mehr gegessen hatte. Tessa hatte abends Pizza bestellt, doch ich hatte keinen Appetit gehabt und nur ihr zuliebe ein paar Bissen hinuntergewürgt.

Ich schob die Decke weg und stand auf. Meine Beine fühlten sich zittrig an, aber nach einem Moment fand ich mein Gleichgewicht. Es war viel zu früh, um wach zu sein, aber ich wusste, dass ich ohnehin nicht mehr schlafen konnte. Dass ich gestern irgendwann auf dem Sofa weggedämmert war, hatte ich vor allem dem Wein zu verdanken. Tessa hatte noch versucht, mich zu überreden, ins Gästezimmer umzuziehen, aber ich war mit dem Sofa mehr als zufrieden gewesen.

Jetzt wünschte ich mir, ich wäre doch nach oben gegangen, dann hätte mich die aufsteigende Sonne vielleicht nicht geweckt. Im Wohnzimmer gab es keine Vorhänge. Sie waren normalerweise auch nicht nötig. Niemand konnte hier reingucken.

Ich trat an die große Fensterfront und sah nach draußen. Vom Wohnzimmer führten zwei Stufen auf eine große hölzerne Veranda, auf der gemütliche Gartenmöbel standen und dazu einluden, es sich an lauen Sommerabenden dort bequem zu machen. Dahinter erstreckte sich der Garten, den eine efeuumrankte Mauer von den nebenstehenden Grundstücken und dem angrenzenden Wald trennte.

Hinter den Bäumen ging die Sonne auf, stieg höher und höher und tauchte die Welt in ein warmes orangerotes Licht. Die Welt wirkte ruhig, warm und friedlich.

Mit einem Ruck wandte ich mich ab. Auf einmal wollte ich nur noch nach Hause, mich in meinem Bett verkriechen, die Vorhänge zuziehen und mich in der Dunkelheit verstecken, bis es nicht mehr wehtat. Wann auch immer das sein würde.

Ich suchte meine Sachen zusammen, schrieb Tessa einen Zettel, den ich auf dem Sofa liegen ließ – weil ich mich nicht traute, mein Handy anzuschalten und ihr darüber eine Nachricht zu schreiben –, und machte mich auf den Heimweg.

Nach Hause. Zu Jamie. Da gehörte ich jetzt hin.

Mein schlechtes Gewissen meldete sich, weil ich ihm gestern nicht Bescheid gesagt oder Tessa gebeten hatte, es zu tun. Aber ich hatte es nicht gekonnt. Irgendwas in meinem Inneren hatte sich gesperrt bei dem Gedanken, Jamie alles zu erzählen. Vielleicht, weil es dann noch wahrer wurde, als es ohnehin schon war.

Fröstelnd zog ich die Schultern hoch. Ich wusste nicht, wie spät es war – halb sechs vielleicht –, die Straßen lagen wie ausgestorben vor mir. Ich begegnete keiner Menschenseele, nicht einmal jemandem, der frühmorgens mit seinem Hund spazieren ging. Die ganze Stadt schlief noch.

Es dauerte nicht lange, bis ich das Haus erreichte, in dem neben Jamies und meiner Wohnung auch die Wohnung meiner Schwester und das Happiness untergebracht waren. Ich schloss die Haustür auf und huschte so leise wie möglich die Treppe in den ersten Stock hinauf, um niemanden zu wecken. Das Haus war alt, und jede zweite Stufe knarzte, wenn man nach oben ging.

Mein Schlüssel gab ein leises Klappern von sich, als ich die Wohnungstür öffnete. Blasses Tageslicht fiel ins Wohnzimmer, und ein Gefühl von Ruhe durchflutete mich, als ich meinen Blick über die vertrauten Möbel gleiten ließ: meine Bücherregale, die mit Romanen und Pflanzen vollgestellt waren, Jamies Klavier, auf dem er Lieder komponierte, die beinahe magisch waren.

Meine Füße trugen mich ganz von selbst zu seinem Zimmer. Sosehr ich mich vorhin noch nach meinem eigenen Bett gesehnt hatte, so sehr wollte ich jetzt mit Jamie reden, ihm alles erzählen und mich von ihm trösten lassen.

Zaghaft klopfte ich an die Tür, lauschte, hörte aber nicht mal ein leises Brummen. Jamie schlief noch tief und fest, und mein Gewissen wollte mich davon abhalten, reinzugehen und ihn zu wecken. Doch mein gebrochenes Herz war stärker als meine Schuldgefühle, und so drückte ich die Tür auf und betrat sein Zimmer. Wie ich es schon tausend Mal gemacht hatte.

Doch es war das erste Mal, dass mir das Herz stehen blieb. Der Muskel in meiner Brust realisierte vor meinem Kopf, was ich sah.

Es war anders. Natürlich war es anders, und trotzdem war es auf eine absurde Art genau das Gleiche. Nur dass niemand versuchte, mich davon abzuhalten, in ein Schlafzimmer zu gehen, wo eine nackte Frau in einem Bett lag, in das sie nicht gehörte.

Es war anders, weil es nicht Mason, sondern Jamie war.

Jamie, der jedes Recht hatte, mit einem Mädchen in den Armen in seinem Bett zu liegen.

Es war anders und trotzdem irgendwie gleich.

Ich platzte in einen Moment hinein, der nicht für mich bestimmt gewesen war.

Unvermittelt schossen mir wieder Tränen in die Augen. Diese verfluchten Tränen. Ich wusste nicht, warum ich weinte, denn nichts würde mich glücklicher machen, als dass Jamie glücklich war. Aber vielleicht war es genau das.

Gerade war ich absolut nicht in der Lage, Glück zu empfinden. Nicht einmal für meinen besten Freund.

So leise wie möglich versuchte ich, mich zurückzuziehen, diesen Moment ungeschehen zu machen, und scheiterte kläglich.

»Ella?« Entsetzen schwang in Jamies Stimme mit, er setzte sich auf, sofort hellwach. »Was machst du denn hier?« Aus weit aufgerissenen Augen starrte er mich an. Dann sah er in mein verheultes Gesicht und wusste Bescheid.

4. KAPITEL

Jamie

Fuck.

Hatte ich gestern gedacht, dass ich am Arsch war? Offensichtlich hatte ich mich geirrt. Heute war ich so richtig am Arsch.

Ich sah kurz zu Aria, die sich mit einem Murmeln auf die andere Seite drehte, allerdings nicht aufwachte. Seit Wochen hielt ich sie vor meinen Freunden geheim, weil ich wusste, dass Cassidy sich auf die Neuigkeit, dass ich ein Mädchen kennengelernt hatte, stürzen würde wie eine ausgehungerte Löwin. Allerdings hatte das mit Aria und mir nicht mal im Entferntesten etwas mit einer Beziehung oder Gefühlen zu tun. Es ging nur um Sex, mehr nicht.

Ich hatte nicht einmal Lily von ihr erzählt, Ella erst recht nicht. Obwohl ich mir gerade einen winzigen Augenblick lang wünschte, ich hätte es getan.

»Ella …«, setzte ich an und brach ab, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Es gab keinen Grund dafür, mich bei ihr zu entschuldigen, trotzdem lagen mir die Worte auf der Zunge.

»Ich … Tut mir leid, ich wollte euch nicht stören. Ich geh schon«, stammelte sie, ihr Blick zuckte von mir zu Aria, und ein unerträglicher Schmerz blitzte in ihren Augen auf, bevor sie in ihr Zimmer floh.

Ich wusste, dass nicht ich der Grund für diesen Schmerz war. Nicht ich. Nicht Aria.

Mason war es. Dieser Dreckskerl.

Dass Ella früher nach Hause gekommen war als geplant, ließ nur einen logischen Schluss zu. Er hatte Mist gebaut. Und zwar gewaltigen … Dieser Dreckskerl!

Ich legte Aria eine Hand auf die Schulter, versuchte, sie so sanft wie möglich zu wecken, und bekam gleichzeitig ein schlechtes Gewissen, weil ich gerade einfach nur wollte, dass sie ging, damit ich mit Ella reden konnte. Blinzelnd streckte sie sich, dann drehte sie sich mit einem trägen Seufzen zu mir und ließ eine Hand über meinen Oberkörper nach unten Richtung Schritt wandern. Ich griff nach ihrem Handgelenk und hielt sie auf.

»Ist es noch zu früh für dich?« Ein neckisches Grinsen umspielte ihre Lippen, jeder Anflug von Müdigkeit war verschwunden.

Wenn es doch nur so wäre.

Ich schüttelte den Kopf. »Meine Mitbewohnerin ist gerade nach Hause gekommen.«

Aria fuhr mit einem entsetzten Quietschen hoch, ihr Blick zuckte zu meiner Zimmertür, die Ella nicht ganz hinter sich zugezogen hatte. »Und sie hat uns gesehen?«

Aus irgendeinem Grund wollte Aria unsere Sache genauso geheim halten wie ich. Warum war mir egal, solange sie keinen Freund hatte und mich damit zum Arschloch machte. Aber sie hatte mir geschworen, dass sie Single war, und es gab keinen Grund, warum ich daran zweifeln sollte.

Bei dem Gedanken an Ella verzog ich das Gesicht. »Ich fürchte schon.«

»Scheiße!« Aria sprang auf, schnappte sich ihre Sachen, die überall auf dem Boden meines Zimmers verteilt herumlagen, und war so schnell weg, dass ich nicht mal die Gelegenheit hatte, mich zu verabschieden. So war das nicht geplant gewesen, nicht dass ich einen richtigen Plan gehabt hätte.

Einen Moment lang blieb ich reglos auf meinem Bett sitzen und starrte Richtung Wohnzimmer, während mir das Herz bis zum Hals schlug. Alles in mir drängte danach, zu Ella zu gehen, sie in meine Arme zu ziehen und ihr zu sagen, dass alles wieder gut werden würde. Aber so einfach war das nicht. Liebeskummer war nie einfach. Ich sprach aus Erfahrung.

Ich sprang unter die Dusche, bevor ich zu ihr ging, ich wollte Arias Geruch von meinem Körper waschen, auch wenn ich bezweifelte, dass Ella ein Problem damit haben würde, weil sie es vermutlich gar nicht merkte. Aber mich störte es. Es wäre falsch.

Als ich schließlich an Ellas Tür klopfte, war ich zwar äußerlich sauber, fühlte mich aber gleichzeitig ziemlich mies.

Zwei Tage. Zwei Tage, und alles war aus dem Ruder gelaufen.

»Komm rein.« Ihre leise Stimme klang erstickt, rau, fremd. Nicht nach ihr.

Ihr Zimmer war dunkel, als ich die Tür öffnete. Sie hatte sich die Decke über den Kopf gezogen, aber ich konnte ihr Schniefen auch so hören. Die Matratze gab nach, als ich mich neben sie setzte.

»Hey. Rutschst du ein Stück rüber?«

Die Decke bewegte sich, Ella nickte und machte dann genug Platz, damit ich mich neben sie legen konnte. Ich zog mir den dicken Stoff über den Kopf, ignorierte die Hitze, die sich jetzt schon darunter staute, und tastete nach ihrer Hand.

Unsere Finger verschränkten sich ganz von selbst miteinander, wie sie es schon immer getan hatten, und ich musste mich zwingen, sie nicht vollständig an mich zu ziehen.

Eine Weile gab keiner von uns einen Ton von sich. Ich wollte Ella nicht drängen, ich kannte sie gut genug, um zu wissen, wann sie reden wollte und wann nicht. Irgendwann hörte ich sie leise seufzen. Sie drehte sich zur Seite und schmiegte sich an mich.

Mein Herz machte einen Satz, ihre Haut lag warm und weich auf meiner. Shit. Nicht gut. Doch dann spürte ich ihre Tränen, die heiß und salzig auf meine Brust tropften, und legte einen Arm um sie.

Ich hielt sie fest, während sie stockend zu erzählen begann, und mit jedem Wort wurde das Bedürfnis, Mason zu verprügeln, größer.

Was brachte jemanden dazu, den Menschen, den man liebte, so zu hintergehen? Liebte er sie überhaupt noch? Und wenn nicht, warum hatte er nicht die Eier gehabt, mit ihr Schluss zu machen?

»Soll ich nach Dallas fliegen und ihm eine reinhauen?«, bot ich an, und Ella stieß ein leises Lachen aus, das in ein ersticktes Schluchzen überging.

»Du hast dich noch nie geprügelt.« Ihre Worte waren kaum zu verstehen.

»Irgendwann ist immer das erste Mal, und für diese Prügelei hätte ich auf jeden Fall einen guten Grund.« Einen verdammt guten Grund. Mein Kiefer tat weh, so fest presste ich die Zähne aufeinander.

»Danke«, flüsterte sie.

»Für dich immer. Wenn ich sonst irgendwas tun kann, sagst du Bescheid, ja?« Ich spürte, wie Ella an meiner Schulter nickte.

»Kannst du mir was Schönes erzählen? Etwas, das mich davon abhält, nachzudenken?«

»Was Schönes?« Ich verzog das Gesicht. Ella war die Geschichtenerzählerin von uns beiden, ich hatte kein Talent für Worte. Ich konnte mit meiner Musik Gefühle vermitteln, was vielleicht auch eine Art war, Geschichten zu erzählen, aber Musik war nicht das, was Ella jetzt wollte oder brauchte.

»Mhm. Du könntest mir zum Beispiel verraten, wer das Mädchen ist, das vorhin bei dir war.«

Ich erstarrte. Nicht das. Alles, nur das nicht.

»Niemand«, erwiderte ich gepresst. Das war definitiv nichts, was ich Ella erzählen wollte. Nicht jetzt, am liebsten niemals.

»Jamie –«

»Sie ist nicht wichtig, okay?« Ich klang wie ein Arschloch, aber es gab niemanden, der gerade unwichtiger war als Aria.

»Du hast seit einer Ewigkeit kein Mädchen mehr hergebracht, natürlich ist sie wichtig«, protestierte sie. »Oder ist sie nur ein One-Night-Stand?« Sie klang so skeptisch, dass ich in jeder anderen Situation gelacht hätte. Nur, dass es gerade absolut nichts zu lachen gab.

»Nein, ist sie nicht«, gestand ich. Ich hätte lügen können, aber ich hatte Ella noch nie angelogen. Ich verschwieg ihr manche Dinge – wie meine Gefühle für sie –, aber ich hatte sie noch nie angelogen. Und ich hatte nicht vor, ausgerechnet jetzt damit anzufangen, auch wenn es vieles einfacher gemacht hätte.

Sie war an diesem Wochenende schon betrogen worden, und obwohl mir klar war, dass es was anderes war, wollte ich nicht so sein wie Mason. Ich wollte kein Lügner sein.

»Das macht doch gar keinen Sinn, Jamie.« Sie knuffte mich in die Seite und schniefte. Aber immerhin weinte sie nicht mehr. »Wie kann sie kein One-Night-Stand und gleichzeitig nicht wichtig sein?«

»Glaub mir, das geht.« Unwillkürlich zog ich sie enger an mich und wünschte mir sehnlichst, dass sie das Thema endlich fallen ließ. Was sie nicht tat. Weil sie nicht über Mason nachdenken musste, wenn wir über mich redeten.

»Nein, so was geht nicht. Nicht bei dir. Ich kenne dich, Jamie.« Sie zögerte kurz, und bei ihren nächsten Worten klang ihre Stimme so erstickt, dass ich wusste, sie würde gleich wieder anfangen zu weinen. »Warum hast du mir noch nichts von ihr erzählt?«

Ich kniff die Augen zusammen. Ich hatte ihr nichts gesagt, weil sie sich für mich gefreut hätte. Sie hätte sich ehrlich gefreut und mir damit das Herz zerrissen. »Weil sie wirklich nicht wichtig ist. Lass gut sein, ja?«, bat ich leise.

»Tut mir leid, ich …« Sie atmete zittrig ein. »Das war doof von mir, ich wollte dich nicht drängen. Wenn du nicht darüber reden willst, ist das okay. Es ist nur … Ach, ist auch egal. Erzählst du … Erzählst du mir trotzdem was Schönes?«

»Weil du es bist.« Ich drückte ihr einen Kuss aufs Haar, konnte mich nicht aufhalten. Ihr vertrauter Duft nach Pfirsichen stieg mir in die Nase, und jede Faser meines Körpers wollte mehr. Viel mehr.

Ich gab mir alle Mühe, dieses Gefühl abzuschütteln, mich darauf zu konzentrieren, dass dem Menschen, den ich am meisten liebte, gerade das Herz gebrochen worden war.

Ich räusperte mich, zwang meine Stimme dazu, ganz normal zu klingen. »Hmmm, okay, was Schönes, was Schönes.« Fieberhaft suchte ich nach einer Geschichte, bis mir klar wurde, dass ich gar keine zu erfinden brauchte. »Ich wurde für das Kompositionsprojekt in den Ferien angenommen. Weißt du noch? Das, worüber wir Anfang des Jahres gesprochen haben?«

Ella bewegte den Kopf, ich konnte spüren, wie sie mich durchdringend ansah. »Du hast gar nicht erzählt, dass du dich beworben hast.«

»Ich weiß«, seufzte ich. »Tut mir leid, dass ich es dir nicht gesagt habe. Ich wollte mir keine Hoffnungen machen, und wenn ich es dir gesagt hätte …«

»Hättest du es getan«, beendete sie meinen Satz. »Ist es nicht traurig, dass wir über manche Dinge nicht reden, weil wir Angst haben?« In ihrer Stimme schwang ein Unterton mit, den ich nicht deuten konnte.

»Hast du mich deshalb gestern nicht angerufen?«

Sie nickte. »Dann wäre es wahr geworden.«

Obwohl ich genau wusste, was sie meinte, versetzte es mir einen Stich, dass sie es nicht getan hatte.

»Aber egal.« Sie seufzte tief. »Zurück zu den schönen Dingen. Du wurdest genommen, das ist der Hammer, Jamie!«

Ich zuckte mit den Schultern, was nicht ganz einfach war, weil sie immer noch halb auf meiner Schulter, halb auf meiner Brust lag. »Sieht ganz so aus.«

»Ich bin stolz auf dich.« Ihre Stimme war leise und weich, ihr Atem strich warm über meine Haut, und ich schauderte.

Mein Herzschlag setzte stolpernd aus. Scheiße. Hoffentlich bekam sie nichts mit.

»Danke.« Ich war froh, dass sie mir die Verlegenheit unter der Decke nicht ansehen konnte.

»Das war was Schönes.« War das ein Lächeln in ihrer Stimme?

»Und jetzt? Soll ich dir noch was erzählen oder willst du was essen? Soll ich uns Frühstück machen?«

»Nein, ich glaube, ich will einfach nur schlafen.« Sie seufzte leise.

»Okay.« Ich wartete darauf, dass sie mich bat, sie allein zu lassen, aber sie schwieg. Also blieb ich neben ihr liegen, spürte, wie ihr Atem gleichmäßiger und tiefer wurde.

Ich sollte gehen. Bei ihr zu bleiben war dumm. Sie würde es nicht merken, wenn ich jetzt aufstand und ging. Es tat weh, so neben ihr zu liegen, ohne dass … Ich schloss die Augen. Nein, ich konnte nicht gehen. Ich konnte sie nicht allein lassen.

Also blieb ich bei ihr, keine Ahnung wie lange. Zu lange. Denn jede Minute, die verstrich, war unerträglicher als die vorherige.

Mir war unfassbar heiß. Ella presste sich im Schlaf eng an mich, ich spürte, wie sie zwischendurch erbebte, weil sie träumte. Das war pure Folter.

Ich musste hier weg.

Vorsichtig löste ich ihre Hand, die sich in mein T-Shirt gekrallt hatte, und schob mich aus ihrem Bett. Sie wachte nicht auf, gab nur einen leisen, gequälten Laut von sich, der mir beinahe das Herz brach.

In der Tür blieb ich stehen und warf über die Schulter einen Blick zurück zu ihrem Bett. Meine Augen hatten sich längst an die Dunkelheit gewöhnt, doch selbst wenn nicht, hätte ich gewusst, dass ihre roten Locken sich weit über ihr Kopfkissen ergossen, dass sie eine Hand unter ihre Wange gelegt und sie sich zu einer kleinen Kugel zusammengerollt hatte.

Wir hatten als Kinder oft genug in einem Zimmer geschlafen, wenn wir beieinander übernachtet hatten, dass ich das wusste. Das war gewesen, bevor ich mich in sie verliebt hatte. Bevor sich alles geändert hatte.

Ich gab mir einen Ruck und ging leise ins Wohnzimmer. Es juckte mich in den Fingern, mich ans Klavier zu setzen und meine Gefühle rauszulassen. Ich war vollkommen überfordert, mein Kopf ein fast so großes Chaos wie mein Herz.

Die Musik half mir, wenn mir alles zu viel wurde. Dann spielte ich nicht nach Noten, spielte keine konkreten Stücke, sondern ließ mich einfach von meinen Gefühlen leiten.

Aber ich wollte Ella nicht wecken, also setzte ich mich mit einem Buch aufs Sofa und wartete darauf, dass sie aufwachte.

Es war kurz vor zehn, als mein Handy klingelte.

»Hey, Tessa.« Ich sprach leise, auch wenn Ella mich vermutlich nicht hören konnte.

»Hey. Ist sie bei dir?«

Ich stand auf und schlich in mein Zimmer. Sachte schloss ich die Tür hinter mir und setzte mich auf mein Bett. »Ja. Sie schläft.«

»Wie geht’s ihr?« Tiefe Sorge schwang in Tessas Stimme mit.

»Nicht gut.« Ich seufzte und fuhr mir mit der freien Hand durchs Haar.