Kein Sport für Pianisten - Rüdiger Schneider - E-Book

Kein Sport für Pianisten E-Book

Rüdiger Schneider

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Beschreibung

Adrian Taufenbach spielt fast ausschließlich Chopin. Amor scheint an ihm vorbeigegangen zu sein. Doch dann taucht Céline auf.

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Seitenzahl: 80

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Personen und Handlung sind frei erfunden, Ähnlichkeiten oder gar Übereinstimmungen mit Namen rein zufällig.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

1

Adrian Taufenbach war 30 geworden. Mit sieben Jahren konnte er schon Klavier spielen und hatte bald keine Mühe mit den Etüden Chopins oder mit den Nocturnes. Freilich mangelte es wegen seines jungen Alters noch an der Einfühlung und Modulation. Die Pedale bediente er wie ein Fußballer, aber die Fingerfertigkeit seiner über die Tasten eilenden Hände war bewundernswert. Die Hände waren fein und schmal, die Handgelenke geschmeidig.

Adrians Vater veranlasste das zu den größten Hoffnungen und er sah sein Haus schon mit einem Wunderknaben beschenkt, so wie es einst in Salzburg dem Leopold Mozart mit seinem Sohn geschehen war. Aber so sehr der Vater auch drängte, Adrian weigerte sich, an irgendwelchen öffentlichen Auftritten teilzunehmen. Die Mutter hielt schützend ihre Hand über ihn und sagte: „Lass den Jungen doch! Er wird schon wissen warum.“ Adrian spielte fleißig weiter, hatte bald auch keine Schwierigkeiten mit den kompliziertesten Arpeggien, Akkorden und Kadenzen. Die Noten las er fließend vom Blatt, komponierte auch selbst und beherrschte auch das Impromptu, das Spielen aus dem Stegreif. Jeden Tag war das Taufenbachsche Haus von Musik erfüllt.

„Warum geht er nicht auf ein Konservatorium?“ monierte der Vater.

„Weil er weiter bei uns wohnen will“, verteidigte ihn die Mutter. „Bonn hat keins.“

„Wie? Bonn hat keins. Ist doch die Stadt Beethovens.“

„Die haben nur eine Musikschule. Adrian ist kein Schüler mehr. Es reicht doch, wenn er hier zur Universität geht und Musik mit einem Abschluss studiert. Er will halt nicht durch die Welt gondeln und Konzerte geben.“

„Er müsste eigentlich nach Weimar oder Berlin oder auch ins Ausland. Statt dessen hockt er immer noch bei uns, liegt uns auf der Tasche. Ich war da ganz anders, konnte nicht früh genug aus dem Elternhaus. Eine Freundin hat er auch nicht. Ich mache mir Sorgen.“

„Ach, das kommt noch“, meinte die Mutter. „Besser spät richtig gewählt als zu früh falsch.“

„Du klammerst dich an ihn, statt ihn aus dem Nest zu werfen.“

„Ach was! Ich respektiere nur, was er will. Er ist zufrieden, wenn er hier im Haus spielen kann.“

„Das ist zu wenig, viel zu wenig. Aber ich kann ihn ja nicht zu einem Auftritt schleifen. Da kann ich nur noch resignieren. Das ist vergeudetes Talent.“

Mit dem Studium der Musik ließ sich Adrian Taufenbach Zeit. Was er da machte an der Bonner Universität, war eigentlich überflüssig. Wozu die Erforschung, Analyse und Reflexion von Musik? Wozu die Befähigung, musikalische Phänomene wahrzunehmen, zu beschreiben und kritisch in die kulturellen, sozialen, historischen und medialen Bedingungen der Zeit einzuordnen? Adrian war als Pianist selbst ein Phänomen. Er gehörte eher auf ein Konservatorium. Etwa auf die Hochschule für Musik ‚Franz Liszt‘ in Weimar, auf die Robert Schumann Hochschule in Düsseldorf oder die Barenboim-Said-Akademie in Berlin. Aber aus irgendeinem Grund weigerte er sich, das Elternhaus zu verlassen und sich in einer anderen Stadt ein Zimmer zu nehmen.

Eine andere Merkwürdigkeit war, dass er nahezu ausschließlich Chopin spielte. Wilde, von Emotionen aufgewühlte Polonaisen gehörten zu seinem Repertoire ebenso wie verträumt romantische Nocturnes. Ansonsten schien er ein normaler junger Mann zu sein, traf sich mit Freunden in der Kneipe, spielte Fußball, ging schwimmen, war sportlich. Nur Amor war anscheinend an ihm vorbeigegangen. Ein besonderes Interesse sei hier aber nicht verschwiegen. Er las viel. Aber auch hier mit einer seltsamen Ausschließlichkeit. Es waren vor allem buddhistische Werke aus Tibet. Was das Reisen ins Ausland betraf, war da nicht viel aufzuzählen. Paris, Mallorca, London, Glasgow. Das wars. Es waren Aufenthalte gewesen von nur einer Woche. Auf Mallorca waren es sogar nur drei Tage, weil ihn eine merkwürdige Missstimmung ergriffen hatte. Bei einem Besuch des Dorfes Valldemossa hatte sich das verstärkt.

Durch das ausschließliche Spielen der Stücke Frédéric Chopins hatte sich bei Adrian auch der Einsatz des Pedals zur Perfektion entwickelt. Denn keiner hatte in der Klaviergeschichte dem Pedalgebrauch so viel Aufmerksamkeit gewidmet wie Chopin, für den das Pedal ein wesentliches Element einer harmonischen und taktbezogenen Klanggestaltung war.

Wenn wir sagen, Adrian spielte ausschließlich Chopin, so stimmt das im Wesentlichen. Aber es gab eine Ausnahme. Das war Robert Schumanns Klavierkonzert in a-Moll. Das Motiv einer sich aufschwingenden romantischen Sehnsucht beherrschte Adrian in der Modulation perfekt.

2

Manchmal machten sich die Freunde über ihn lustig. „Immer noch nicht? Auf wen wartest du? Auf Kate Winslet?“ Sie wussten, dass sich Adrian gerne Filme mit der englischen Schauspielerin ansah. „Du musst dich bewegen! Sprich doch mal eine Frau hier an! Fordere sie zu einer Runde Pool Billard heraus!“ Solche Ratschläge hörte er sich in einem Bonner Guiness-Pub an, im James Joyce, wo sich die Freunde öfter trafen. Adrian schüttelte den Kopf, nahm den Ratschlag mit Gleichmut auf.

„Wartest du, bis jemand an deiner Tür klingelt?“ Er antwortete nicht darauf, schwieg.

War er nicht in der Runde dabei, rätselten die Freunde über die Gründe.

„Wahrscheinlich hat er Angst. Sein Piano ist ihm sicherer. Das beherrscht er“. - „Vielleicht ist er vom anderen Ufer und wir wissen es noch nicht. Er will sich das nicht eingestehen.“ – „Vielleicht ist er bindungsunfähig. Aber dann könnte er doch wenigstens ein paar Affären haben.“ – „Vielleicht wartet er auf etwas ganz Exklusives. Aber da kann er lange warten.“

War Adrian nicht dabei in der Runde, lieferte er ein bevorzugtes Gesprächsthema. „Den erwischt es noch“, meinte einmal einer. „Ein Weib hat mehr Zugkraft als zehn Pferde.“

Von allen Vermutungen über ihn mochte noch die über die Angst am ehesten zutreffen. Denn wiederholt träumte er davon, durch die Fluchten eines riesigen Klosters zu laufen, den Ausgang nicht zu finden, bis plötzlich am Ende eines Ganges eine Frau mit einem Hut auftauchte und ihm einen Degen ins Herz stieß. Erwachte er aus dem Traum, fühlte er sich matt, zerschlagen. Das Herz schlug wie wild und hatte die nächtlichen Bilder ernst genommen.

Adrian grübelte über den Traum und seine Wiederkehr, bis es ihm mehr und mehr zur Gewissheit wurde, dass dieser Traum mit Chopin zu tun hatte. Ja, er ging sogar so weit, dass er eine Wiedergeburt für möglich hielt. Dass es so etwas in Tibet gab und nicht nur da, bezweifelte er nicht.

3

Seltsamerweise erst jetzt, so als habe er das immer gescheut, befasste er sich mit der Biographie Chopins und stellte fest, dass das Kloster, von dem er geträumt hatte, auf Mallorca in Valldemossa war. Dort hatte die Zigarren rauchende Dame mit dem Hut, George Sand, mit ihm eine Zeit lang gewohnt.!838 war das gewesen. Und jetzt erinnerte sich Adrian auch daran, einmal von einer sargähnlichen Zelle geträumt zu haben. Das Deckengewölbe war verstaubt. Durch ein kleines Fenster sah man draußen Apfelsinen, Zypressen, Palmen. Das war die Arbeitszelle Chopins auf Mallorca gewesen.

Adrian befasste sich nun auch näher mit George Sand, die eigentlich Lucie Aurore Dupin hieß. Eine schillernde Persönlichkeit, leicht entflammbar, die manchen Mann in den Wahnsinn getrieben hatte. Hatte sie auch Chopin mit ihrem „Adieu mon ami!“ den Todesstoß versetzt?

Die Dame war klug, sehr klug und sehr fleißig. 180 Bücher hatte sie geschrieben, 40 000 Briefe. Hat Chopin das nicht ertragen können? Hat er sich beklagt wie einmal der Schriftsteller Alfred de Musset, mit dem sie eine leidenschaftliche Affäre hatte?

„Ich habe den ganzen Tag gearbeitet. Am Abend hatte ich zehn Verse gemacht und eine Flasche Schnaps getrunken; sie hatte einen Liter Milch getrunken und ein halbes Buch geschrieben.“

Adrian dachte, dass er vor solchen Geschöpfen auf der Hut sein müsste.

Aber er fühlte sich in einem Dilemma. Die Frauen, die er beiläufig und oberflächlich kennenlernte und die ein etwas einfacheres Gemüt hatten, reizten ihn nicht. Die Kategorie der Klugheit, des hohen beredten Intellekts ängstigte ihn. Die Sand verhielt sich nach seinem Empfinden wie ein Mann. Sie rauchte, trug Hut und Hosen und nahm sich jede Freiheit heraus.

4

Und dann stieß Adrian auf das Buch eines kanadischen Psychologen, das den bezeichnenden Titel trug ‚Die Flucht vor dem Weib‘. Darin stand über George Sand:

„Dieses Element, den Mann zu nehmen, um ihn ausschließlich für sich zu besitzen – mit dem Anschein exklusiven Besitzerrechts, mit einem unbewussten Verlangen, ihn zu schwächen, mit einer Ambivalenz, die wahre Liebe ausschließt – ist unverkennbar im Leben George Sand. Man bemitleidet diese armen Teufel, wenn man sieht, wie sie von dieser Frau aus der vertrauten, schützenden Umgebung weggeholt und in einen entlegenen, im Zweifelsfalle ungesunden Platz gebracht werden. Die ganze Mallorca-Episode mit Chopin ist unheimlich.“

Er las in dem Buch auch ein Briefzitat von George Sand:

„Ich weiß, gar manche klagen mich an. Die einen, ich habe Frédéric durch das Ungestüm meiner Sinne erschöpft, die andern, ich habe ihn durch meine mutwilligen Streiche zur Verzweiflung gebracht. Er wiederum beklagt sich bei mir, ich habe ihn getötet.“