Keine Angst vor Paaren! (Leben Lernen, Bd. 259) - Martin Koschorke - E-Book

Keine Angst vor Paaren! (Leben Lernen, Bd. 259) E-Book

Martin Koschorke

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Beschreibung

Paare gut zu beraten muss weder Angst machen noch anstrengend sein. Das Praxishandbuch vermittelt mit erprobten Interventionen, Basistechniken, Beispielen, Hinweisen und Tipps  das Know how für erfolgreiche Paarberatung und -therapie. »Ein faszinierendes Buch!« Dr. Rudolf Sanders, Beratung Aktuell, Jahrgang 14 2/2013 Viel zu oft lassen sich Paarberater und -therapeuten von der feindseligen, verzweifelten oder wütenden Atmosphäre in den gemeinsamen Sitzungen anstecken. Es sinken dann nicht nur die Beratungsqualität, sondern auch Stimmung und Selbstwert des Therapeuten. Besser für beide Seiten ist es, mit gesunder Distanz, aufmerksamer Beobachtung, klugen Interventionen und einer guten Portion Humor in die Stunde zu gehen. Das Basis- und Ausbildungsbuch, entstanden aus der jahrzehntelangen Erfahrung des Autors als Paarberater und Dozent an einer zentralen Ausbildungseinrichtung für Berater und Therapeuten, bietet das umfassende Rüstzeug dazu: - Wissen, wie Partnerschaft funktioniert - Zahlreiche neue Interventionen und Übungen für alle - Phasen der Beratung - Beispiele für Problemlösungen und spezielle Beziehungsmuster - Merksätze, die an das Wichtigste erinnern. So kann Paarberatung Spaß machen! Das Buch wendet sich an: - MitarbeiterInnen von Paar- und Familienberatungsstellen - PaartherapeutInnen - Systemische Familientherapeuten - Psychotherapeuten aller Schulen - Coaches

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Seitenzahl: 559

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Martin Koschorke

Keine Angst vor Paaren!

Wie Paarberatung und Paartherapie gelingen kannEin Praxishandbuch

Mit Zeichnungen von Klaus Martin Janßen

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlagsunzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Besuchen Sie uns im Internet: www.klett-cotta.de

Klett-Cotta

© 2013 by J. G. Cotta’ sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Printausgabe: ISBN 978-3-608-89137-9

E-Book: ISBN 978-3-608-10415-8

PDF-E-Book: ISBN 978-3-608-20050-8

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe

Die digitalen Zusatzmaterialien haben wir zum Download auf www.klett-cotta.de bereitgestellt. Geben Sie im Suchfeld auf unserer Homepage den folgenden Such-Code ein: OM89137

Inhalt

Hinweis zum Download-Material

EinleitungSpaß an Paarberatung – Paare beraten, ohne sich anzustrengen

Teil 1Paare

1 Paarbeziehungen und Paarkonflikte verstehen

Ein ganz gewöhnlicher Abend – drei Paare daheim

Fragen – Warum?

Die Unterscheidung von allgemeiner und spezieller Diagnostik

Der Nutzen von Theorien: Erkenntnis- und Handlungweise

2 Sich selbst nicht aufgeben – das neue Grundgesetz moderner Partnerschaft

3 Alle Verantwortung fair teilen – das neue Grundgesetz moderner Partnerschaft

4 Territorien und Grenzen in der Paarbeziehung

Respekt vor Grenzen

Mein Privatbereich gehört nicht nur mir

Regierungswechsel – alternierende Hierarchien

5 Partnerwahl – Geheimaufträge an den anderen

6 Der unausgesprochene oder unbewusste Partnervertrag

Erfahrungen werden zu Erwartungen

Aus Erwartungen wird stillschweigend ein Vertrag

7 Nach der Partnerwahl: Seelische Buchführung und Bilanzen

Meine Bilanz ist nicht deine Bilanz

Die seelische Tiefkühltruhe und die seelische Mikrowelle

8 Die Folgen der Partnerwahl Beziehungsabhängigkeit und Krisen, Polaritäten und Balance

Angst, Scham, Schuldgefühle – drei nützliche Schutzpatrone

Die Bindung an einen Partner macht beziehungsabhängig

Krisen erlauben Beziehungen zu wachsen

Pol und Gegenpol

Beziehungssysteme fordern und fördern das Funktionieren in Polaritäten

Wer hat recht?

9 In der Verliebtheit stecken bleiben oder erwachsene Partnerschaft leben: Zuneigung im Alltag

Der Alltag – Achtsamkeit oder Terror

Säuglinge bleiben oder erwachsen werden

Eine neue Form von Liebe

Dem anderen zuliebe

Die Vergnügungssteuer der Partnerwahl

10 Kommunikation: Reden und Hören, Überreden und Überhören, Polarisieren oder Einlenken

Das Defizit-Karussell

Polarisierungen bestärken sich von selbst

Zuspitzen oder Einlenken

Stufen der Gesprächsfähigkeit

11 Drei Ebenen von Partnerschaft

Die Partner als Liebende, Lebensgefährten und Eltern

Beziehungsinfarkt

12 Sich weiterentwickeln

Als Paar wachsen / In der Beziehung wachsen

Teil 2Platz für jeden

13 Die Anmeldung

Geheiminformationen, Geheimaufträge, Testfragen

14 Der Beratungsraum

15 Das erste Gespräch: Überblick

Auch das Erstgespräch hat drei Phasen. Überblick

16 Das erste Gespräch: Die Kontaktphase Ziel: Ankommen

17 Das erste Gespräch: Die Problemphase Wer beginnt?

Einen offenen Gesprächseinstieg wählen

Hörbereitschaft fördern

Wenn ein Paar sich nicht entscheiden kann

Den anderen nicht aus den Augen verlieren

Der eine Weg: Struktur vorgeben

»Beidhändig« arbeiten

Der andere Weg: Kommen lassen

18 Das erste Gespräch: Die Problemphase AZiel: Probleme erkunden und sammeln

Das Glück des einen ist nicht immer das Glück des anderen

19 Das erste Gespräch: Die Problemphase BZiel: Problemlösungen erkunden und sammeln

Probleme und Problemlösungen unterscheiden

Problemlösungen erkunden: Ein Überblick

»Was haben Sie denn bisher unternommen?«

Probleme und Problemlösungen zusammenfassen

»Da kommen Sie ja beide zu kurz«

20 Das Paar und seine Beziehung verstehen. Die Sichtweise der Paarberatung

Fünf Basissätze: Die Sichtweise der Paarberatung

Nicht motivierte Männer in der Beratung gibt es nicht

Verständnis und Probleme zwischen die Partner platzieren

21 »Mein Gefühl ist nicht mein Gefühl.« Überrollt werden oder zugewandt aufnahmefähig bleiben

Ohnmächtig, verwirrt, erschöpft, ratlos

»Hilfe, dieses Paar macht mich fertig!«

»Hilfe, dieses Paar macht msich fertig!« – 10 Grundsätze

22 Basistechniken Verständnis ausdrücken. Entlasten. Normalisieren. Zurückgeben

Vier »magische« Interventionen

Die 5-zu-1-Regel

Entlasten

Normalisieren

Techniken des Zurückgebens im Überblick

23 Das erste Gespräch. Die Kontraktphase AErste inhaltliche Vereinbarungen treffen

»Was möchten Sie hier erreichen?«

24 Kontrakte schützen die Beratung

Zusammenfassende Definition von Kontrakt

Kontrakt: Haltung, Beziehung, Vorgehen

Kontrakt als Prozess

Such-, Stütz-, Lern- und Lösungskontrakte

Checkliste von sechs Bedingungen

Der »rollende« Kontrakt

Vorbeugende Beratung

25 Kontrakte schützen Beraterin und Berater

»Übersichere« und »untersichere« Berater

26 Kontrakte schützen die Ratsuchenden

Zwei praktische Übungen für Berater

27 Das erste Gespräch. Kontraktphase BOrganisatorische Absprachen. Der äußere Rahmen der Beratung

Beratungszeit, -dauer und -raum

Honorar oder Spende

Vertraulichkeit und Kontakte

28 Fragen des Settings

Was machen Sie, wenn

29 Paarberatung oder Paartherapie? – Ein Paarberater oder ein Beraterpaar?

Therapeuten und Patienten

Kunden und Dienstleister

Berater und Klienten

Ein Paarberater oder ein Beraterpaar?

Vier Augen sehen mehr als zwei

Viele Landkarten verwirren den Wanderer

30 Schritte, Fallen, Tugenden

Sieben einfache Schritte

Sieben Gefahren und Fallen

Sieben Tugenden der Beraterin und des Beraters

Problemorientiert – ressourcenorientiert – lösungsorientiert – was denn nun?

Teil 3Neues in Gang setzen, Gemeinsamkeiten pflegen, Unterschiede wertschätzen

31 Die Mittelphase der Paarberatung. Übersicht

Mögliche Schritte in der Mittelphase der Paarberatung

Die Atmosphäre der Mittelphase

32 Noch einmal genau hinschauen

Was führt zu Veränderung?

Wozu möchten Sie die Stunde heute nutzen?

33 Fördernde Interventionen

Wie man schaut, so sieht man

34 Fordernde Interventionen

»Moment mal«

35 Konfrontieren

Klarer sehen und Verantwortung übernehmen

Überfordern, Unterfordern

Der »Konfronti-Burger«

36 Unterschiede herausarbeiten

Vergnügungssteuer zahlen

Verhandeln

Unterschiede bleiben

37 Schützende Interventionen

Die alten Konflikte kehren immer wieder

Neue Schritte können alte Wunden öffnen

38 Neues in Gang setzen, Wohltuendes befestigen: Übungen, Hausaufgaben, Projekte

Merksätze

Erster Schritt: Neues wagen – Projekte entwerfen und planen

Zweiter Schritt: Neues erfahren und üben – Projekte durchführen

Dritter Schritt: Neues Verhalten und Bewusstsein entwickeln – Projekte auswerten

Situationen und Themen, die sich für Aufgaben eignen

39 Alternative Beratungsmethoden: Vom Veranschaulichen zum erlebnisintensiven Üben

Sprachliche Mittel, die veranschaulichen und verdeutlichen

Fantasiereisen und Kommunikationsübungen

Optische Mittel, die veranschaulichen und verdeutlichen

Positionswechsel als Mittel, etwas zu bewegen

Erlebnisübungen ohne Worte

Kleine Schritte bringen weiter als große Ziele

Die Musikerin auf dem Bauernhof

40 Einzelarbeit im Rahmen der Paarberatung

Lösungen liegen auch in der Vergangenheit

Wenn Eltern etwas vormachen

Überleben lernen

Heiße Kartoffeln – Geheimaufträge der Vorfahren

Einzelarbeit mit dem Paar praktisch

41 Abschluss der Paarberatung

Bilanz ziehen

Verantwortung zurückgeben, erwachsenes Verhalten bestärken

Eine neue Sicht auf die Beziehung festigen

Kritik, Blumensträuße, Abbrüche

42 Erfolg und Erfolgsprüfung von Paarberatung

Teil 4Spezielle Beziehungsmuster

43 Streitpaare

Warum streiten Paare?

Die Dynamik bei Streit- und Kampfpaaren

Streiten bringt Gewinn, Streiten kostet

Der Verzicht auf Streit hat ebenfalls Konsequenzen

Die Streitatmosphäre färbt auch auf die Berater ab

Unterscheidungen

Streiten oder kämpfen?

Mögliche Beratungsschritte

44 Bewunderungspaare

Ein gemeinsames Thema

45 Außenbeziehungen. Der, die, das Dritte im Bunde

Außenbeziehungen – eine rote Warnleuchte: Wir kommen zu kurz

Außenbeziehungen – ein Bruch gegebener Versprechen

Beide fühlen sich betrogen

Immer gehen beide fremd

»Was fehlt Ihnen in der Beziehung?«

Sich Zeit einräumen

Verzeihen, Wiedergutmachen, Sichtrennen

Der Prozess von Verzeihen und Versöhnen

Mit Kränkungsgewinn oder Opferrolle konfrontieren

Mit einem Ritual abschließen

46 Die Macht der Ohnmacht Depression als Beziehungsproblem

Auf dem Opfersessel ist nur Platz für einen

Depression ist ein Gummibegriff

Depression – ein Beziehungsleiden

Im Gefängnis unaussprechbaren Ärgers

Depressive Paarbeziehungen sind knallharte Beziehungssysteme

Konkrete Schritte

47 Trennung oder Neubeginn

Viele Paare trennen sich zu früh

Das Bergmodell – drei Phasen des Trennungsprozesses

In welcher der drei Phasen befindet sich das Paar?

Trennendes steht zwischen den Partnern: Ziele und beraterisches Vorgehen in Phase 1

Die Entscheidung ist offen. Ziele und beraterisches Vorgehen in Phase 2

Die Entscheidung ist getroffen. Ziele und beraterisches Vorgehen in Phase 3

Die Erfahrungen des Paares von den eigenen Erfahrungen trennen

Literaturempfehlungen

Literatur

Dank

Informationen zum Autor

EinleitungSpaß an Paarberatung – Paare beraten, ohne sich anzustrengen

Das Leben als Paar soll Spaß machen. Paare finden sich zusammen, um miteinander glücklich zu sein. Sie möchten Liebe und Lust empfinden, Zuneigung erfahren, angenehme Zeit miteinander verbringen, Höhepunkte erleben, die Aufgaben und Schwierigkeiten des Lebens gemeinsam meistern und freudige, ärgerliche oder schmerzliche Erfahrungen miteinander teilen.

Paarberatung oder Paartherapie soll Paaren, die den Spaß an ihrer Beziehung verloren haben, dabei behilflich sein, diesen Spaß wieder neu zu entdecken.

In Paarberatungen wird oft erbittert miteinander gekämpft, enttäuscht oder voller Wut geschrien, verletzt, gekränkt oder ratlos geschwiegen. Es werden Lösungen und Strategien, Vorwürfe und Feindbilder, Einstellungen und Illusionen überprüft. Es wird an vergessene Gemeinsamkeiten angeknüpft, aber auch an verletzliche Stellen jedes Einzelnen gerührt. Möglicherweise werden verlorene Hoffnungen, Träume und Sehnsüchte freigelegt, der Zugang zu verschütteten oder versiegten Kraftquellen gefunden. Es wird geschaut, ob Auswege aus den Sackgassen des Paares möglich sind, ob die Partner einlenken oder sich verzeihen können. Die Konsequenzen zukünftiger Schritte werden erwogen, für das Paar gemeinsam und für jeden einzeln. Es wird auch Neues überlegt, probiert, vielleicht sogar eingeübt – für das Paar, für jeden der Partner. Während der Gespräche mag die Atmosphäre schwanken zwischen gespannt und erleichtert, nachdenklich und schwer, zuversichtlich und angestrengt. Nicht selten wird auch gelacht. Denn nicht nur das Wiederentdecken oder Neuentwickeln von Spaß an der Beziehung, auch die Paarberatung selber soll Spaß machen, so weit wie möglich.

Das gilt in erster Linie für Sie als Beraterin oder Berater, Therapeutin oder Therapeut. Sie werden – da bin ich ziemlich sicher – nicht dafür bezahlt, dass Sie sich von der Atmosphäre, die das Paar mitbringt, anstecken oder vergiften lassen. Sie werden auch nicht ausreichend dafür bezahlt, die Probleme des Paares zu übernehmen, anstelle des Paares zu leiden oder für das Paar nach Lösungen und Auswegen zu suchen.

Das Paar soll sich ruhig ein bisschen anstrengen. Ihnen aber soll es gut gehen während Ihrer Arbeit. Sie sollten überwiegend Spaß haben an Paarberatung.

Ich hoffe, auch das Lesen dieses Buches macht Spaß.

Gestatten Sie dazu einige Hinweise:

Sie können in diesem Buch einfach nur blättern.

Sie können sich an Kernsätzen entlanghangeln. Es lässt sich nicht immer vermeiden, dass man sich als Beraterin oder Berater im Beziehungsdickicht des Paares verfängt. Da hilft bisweilen ein Satz, um wieder mehr Abstand und Klarsicht zu gewinnen. Ich habe daher eine Reihe von hilfreichen Kernsätzen hervorgehoben. Sie sehen zum Beispiel so aus:

Die Probleme des Paares sind das Eigentum des Paares.

Sie müssen mit dem Lesen nicht unbedingt vorne anfangen. Sie können auch mit dem Thema beginnen, das Sie am meisten anspricht. Vielleicht sind Sie vor allem an praktischer Beratungsmethodik interessiert, etwa: Wie mache ich einen Beratungskontrakt, der mich schützt? Wie konfrontiere ich, verständnisvoll und wirksam? Worauf sollte ich bei Hausaufgaben achten? Im Inhaltsverzeichnis finden Sie ohne Mühe die entsprechenden Kapitel.

In

Teil 1

fasse ich anhand einiger Grundsätze zusammen, wie Paarbeziehungen generell funktionieren.

Teil 2 und 3

nennen Schritte und Regeln der verschiedenen Stadien der Paarberatung, von der Eröffnung über die Mittelphase bis zum Abschluss.

Teil 4

wirft einen Blick auf eine Auswahl spezieller Paarsysteme.

Wenn Sie nicht gerade frisch mit Paarberatung beginnen, wird Ihnen in diesem Buch manches oder vieles bekannt vorkommen. Umso besser: Dann werden Ihre Erfahrung und Ihr persönliches Beratungskonzept ja bestätigt. Vielleicht sind Sie andererseits mit bestimmten Sicht- und Vorgehensweisen, die ich vorschlage, nicht einverstanden. Auch das ist gut, denn es bekräftigt Ihre eigene Position.

In den Jahrzehnten, in denen ich Paarberater in verschiedenen Ländern aus- und fortgebildet und als Supervisor begleitet habe, haben sich mir zwei Erfahrungen eingeprägt:

Erstens: Ab einem gewissen Erfahrungsniveau geht es kaum noch darum, ob eine beraterische oder therapeutische Intervention richtig oder falsch ist. Vielmehr stellt sich die Frage: Welche Vorteile hat sie, welche Nachteile birgt sie? Meistens hat der Berater zu jedem Zeitpunkt des Beratungsprozesses die Wahl zwischen verschiedenen Interventionen – viele Wege führen nach Rom. Welches Vorgehen sich dem Berater oder Therapeuten im jeweiligen Moment als das vorteilhafteste nahelegt, hängt im wesentlichen von drei Faktoren ab: seinem Theorie- bzw. Beratungskonzept, seinem methodischen Ansatz (der schließt seine praktische Erfahrung ein) und seiner Persönlichkeit. Äußere Einflussfaktoren wie Vorgaben durch die Beratungsstelle, die Praxisgemeinschaft, gesetzliche Regelungen usw. lasse ich einmal beiseite.

Zweitens: Je mehr Ihnen das theoretische Beratungskonzept und der methodische Ansatz persönlich entsprechen, je mehr Sie sich Ihrer Persönlichkeit bewusst sind, Ihre Stärken und deren Kehrseiten kennen, desto wirksamer werden Sie arbeiten. Wer seinen eigenen Beratungsansatz und -stil entwickelt hat, braucht sich meist nicht mehr groß anzustrengen – die Einfälle und Interventionen kommen wie von selbst. Paarberatung kann dann wirklich Spaß machen.

Wer länger als Paarberater oder Paartherapeut arbeitet, entwickelt eine bestimmte Beratungsroutine. Sie vermittelt Sicherheit und erleichtert das beraterische Vorgehen. Routine kann aber auch zur Falle werden. Sie kann dazu verleiten, eigene Einsichten und Regeln nicht mehr ganz so genau zu befolgen. Auch erfahrene Berater tun darum gut daran, sich hin und wieder auf ihre Grundlagen zu besinnen und ihr Konzept einem Check zu unterziehen.

Ihren persönlichen Beratungsstil zu finden, zu überprüfen oder weiterzuentwickeln, damit Sie möglichst unangestrengt arbeiten können – dazu möchte Sie dieses Buch anregen.

TEIL 1

Paare

Wie Partnerschaft funktioniert

1 Paarbeziehungen und Paarkonflikte verstehen

Ein ganz gewöhnlicher Abend – drei Paare daheim

Vorsichtig dreht Franz den Schlüssel in der Wohnungstür. Aber es hat nichts genützt. Gaby hat ihn doch gehört.

»Du bist ja spät«, begrüßt sie ihn, halb vorwurfsvoll, halb resigniert.

»Immer bist du weg!«

»Ja ja«, murmelt er zur Verteidigung, »es ging nicht früher. Du kannst dir nicht vorstellen, was heute wieder los war in der Firma, von morgens bis abends, ohne Pause!«

»Und der Kleine hat dich auch nicht gesehen!«, fährt sie fort.

»Ich weiß, ich weiß. Aber was soll ich machen? Zum Schluss musste ich noch mit einem Mitarbeiter reden.«

»Und ich? Wer redet mit mir? Nie hast du Zeit für mich! Den ganzen Tag bin ich allein mit dem Kleinen. Ich finde, wir müssten mal miteinander reden!«

»Worüber denn?«, entgegnet er irritiert. »Über Dinge, die sich nicht ändern lassen?! Darüber sollten wir gerade nicht reden. Das sollten wir vergessen und uns einen schönen Abend machen.«

»Was ist denn mit dir los?«, fragt Ingo und schaut besorgt zu Susanne hinüber. »Irgendwas nicht in Ordnung?«

Susanne sitzt zusammengekauert auf dem Kanapee. Sie sieht ihn nicht an. »Tu doch nicht so, als ob du nicht weißt, was los ist! Das weißt du ganz genau! Ich will ein Kind!«

»Aber das geht doch nicht, wegen des Betriebs. Den haben wir zusammen aufgebaut. Das war unser gemeinsamer Traum. Wir sind doch glücklich gewesen bisher, auch ohne Kinder.«

»Ja, wir haben ein glückliches Lebens zu zweit, das stimmt. Aber ich möchte ein Kind und kann mir nicht vorstellen, alt zu werden ohne Kinder. Kinder sind doch etwas Schönes!«

»Das musst gerade du sagen, mit deiner Kindheit! Und du weißt genau, ich kann mit Kindern nicht, und wenn ich bloß an die Gören meiner Kusinen denke … Nein danke!«

»Ich verstehe nicht, warum du mich so abblockst bei etwas, das mir wichtig ist!«

»Aber als wir vor zwölf Jahren geheiratet haben, da warst du doch völlig einverstanden, dass wir keine Kinder haben!«

»Aber damals war ich 25, jetzt bin ich 37! Man entwickelt sich im Leben!«

Georg ist ein Fußballfan. Das war er schon, lange bevor er Nina kennenlernte. Ein leidenschaftlicher Fußballer ist er auch heute noch, inzwischen sogar als ehrenamtlicher Trainer in der Jugendabteilung des Vereins. Nina wusste von seiner Fußballbegeisterung. Zu Beginn ihrer Beziehung hatte sie ihn danach gefragt, er hatte geantwortet: »Meine Priorität bist du!«

Nina arbeitet nachts im Krankenhaus, regelmäßig von 20 bis 8 Uhr. Georg ist ebenfalls berufstätig, er tut auch viel im Haus. Er kümmert sich, wenn sie tagsüber schläft und er da ist, um die drei Kinder. Der Älteste ist 15, die beiden Mädchen, Zwillinge, sind 11. Die Zwillinge nimmt er auch zum Fußball mit.

Freitags, am Abend bevor sie zur Arbeit geht, spielt sich zwischen Nina und Georg gelegentlich ein – bisweilen lautstarkes – Ritual ab, das beide nicht weiterbringt und sie stattdessen immer häufiger verärgert, verletzt und feindselig zurücklässt.

Nina, in halb vorwurfsvollem Ton: »Können wir morgen Nachmittag nicht etwas zusammen machen? Wir verbringen kaum noch gemeinsame Zeit!«

Was konkret sie gemeinsam machen will, sagt sie allerdings nicht. Vielleicht weiß sie es selber nicht so richtig. Sie verspürt nur den Impuls: Ich will mit ihm zusammen sein, mir fehlt etwas. Damit schiebt sie Trennungsgedanken, die gelegentlich in ihr aufsteigen, erst einmal beiseite.

Georg, genervt, defensiv: »Aber, das ist Samstagnachmittag, da bin ich beim Fußball. Was hast du gegen meinen Sport? Ich nehme auch die Mädchen mit, dann hast du deine Ruhe!«

Dass Nina Sehnsucht nach ihm hat und nach Zeit mit ihm, kommt bei Georg nicht an. Er nimmt nur einen Angriff wahr, auf sein Hobby, mit dem er sich identifiziert – also einen Angriff auf seine Identität und auf den Wiedergutmachungshandel (»ich nehme die Mädchen mit«), den er Nina als Ausgleich für seine Abwesenheit vorschlägt.

Sie findet: Wenn wir schon so verrückte Arbeitszeiten haben – und daran lässt sich nicht rütteln –, dann sollten wir wenigstens am Wochenende viel Zeit gemeinsam verbringen. Sich allein ausruhen ist das genaue Gegenteil von dem, was sie am Samstagnachmittag will.

Er findet: Ich tue schon so viel für die Familie, da kann man mir doch nicht mein Hobby nehmen. Zu Hause Kaffee trinken oder Familienunternehmungen machen ist das genaue Gegenteil von dem, was ich am Samstagnachmittag will.

Fragen – Warum?

Die drei Abendgespräche werfen eine Fülle von Fragen auf. Einige möchte ich benennen.

Warum schleicht sich Franz, der im beruflichen Leben erwachsen seinen Mann steht, wie ein kleiner schuldbewusster Junge in seine eigene Wohnung? Warum begrüßt ihn Gaby teils wie eine vorwurfsvolle Mutter, teils wie ein kleines Mädchen? Warum greift sie ihn an, obwohl sie sich offensichtlich nach ihm sehnt? Warum flieht er blitzschnell hinter eine Verteidigungsmauer aus Beschwichtigungen (»Ja ja«, »Ich weiß, ich weiß«), Entschuldigungen und Ausflüchten, obwohl er gute Gründe für sein spätes Kommen hat und sich über Anerkennung seines stressigen Jobs freuen würde? Warum fällt es Gaby und Franz, die jeder für sich und beide zusammen, so viel leisten, so schwer, sich dafür gegenseitig Wertschätzung oder gar Dank auszudrücken? Warum fordern sie wie selbstverständlich vom anderen Verständnis für die eigenen Bedürfnisse und Belastungen ein, ohne ihm dasselbe zu geben? Warum äußern sie das, was ihnen wichtig ist, nämlich ihre Bedürfnisse, aggressiv – im Angriff (aktiv aggressiv) oder im Rückzug (passiv aggressiv) –, also zielsicher auf eine Weise, die den Partner1 nicht öffnet, sondern verschließt? Warum können sie sich nicht zugestehen (jedenfalls nicht in diesem Moment), dass sie beide recht haben, dass die Wünsche eines jeden berechtigt sind? Warum stehen sich ihre Lösungsstrategien – miteinander reden, spätabends auch über Konflikte reden einerseits, Konflikte beiseite lassen und den Feierabend genießen andererseits – so unvereinbar gegenüber?

Wie kommt es, dass Susanne und Ingo eine so existenzielle Frage wie einen Kinderwunsch fast im Nebenher verhandeln? Wie kommt es, dass Ingo sich eine Partnerin ausgesucht hat, für die ein Kind wichtig ist? Wie kommt es, dass Susanne den Kinderwunsch, der in ihr schlummert, offensichtlich so lange überhören konnte? Zugleich: Wie kommt es, dass Ingo den Kinderwunsch, der in Susanne lebt, so lange übersehen hat? Wie kommt es, dass Susanne sich für einen Partner entschieden hat, für den Kinder keinen Platz haben neben dem Traum von der Verwirklichung in einem eigenen Betrieb? Wie kommt es, dass beide ihre Paarbeziehung als glücklich erleben, obwohl sie der festen Überzeugung sind: Der andere verweigert mir etwas Existenzielles und »weiß das ganz genau«? Und wie kommt es, dass sowohl Ingo als auch Susanne die innere Entwicklung des anderen in den letzten 12 Jahren im Hinblick auf das, was ihr oder ihm wichtig ist im Leben, verpassen, übersehen, abblocken, ignorieren konnten – wie auch immer?

Was hat Nina davon, dass sie sich einen fußballbesessenen Partner ausgewählt hat? Was meinte sie, als sie Georg vor Beginn ihrer festen Beziehung nach seiner Fußballbegeisterung fragte? Was hat sie gehört, als er sagte: »Du bist meine Priorität!«? Was hat er gemeint, als er diesen Satz sagte? Warum fordert sie gemeinsame Zeit gerade am Samstagnachmittag, wo im Fußball erfahrungsgemäß am meisten los ist, wo Trainings oder Spiele stattfinden? Fordert sie den gemeinsamen Samstag, weil sie ein schlechtes Gewissen hat, denn tagsüber, wenn sie schläft, braucht sie Rücksicht und steht als Mutter nur eingeschränkt zur Verfügung? Was an gemeinsamer Zeit – mit ihr als Partnerin, mit den Kindern als Familie – schlägt Georg als Ausgleich für den Samstagnachmittag (und gegebenenfalls auch für Spiele am Sonntag) vor? Tut er im Haushalt und für die Familie so viel, weil er ein schlechtes Gewissen hat wegen des Fußballs? Ist sie einverstanden, dass er die Mädchen zum Fußball mitnimmt? Nimmt er die Mädchen mit, damit sie nicht meckert und er auf dem Beziehungskonto ein Guthaben ansammeln kann?

Für alle drei – und viele andere – Paare stellt sich außerdem die Frage: Warum verhandeln sie über Beziehungskonflikte, die zumindest schwierig, wenn nicht unlösbar sind, ausgerechnet am Abend, wo sie normalerweise müde sind und eigentlich – allein oder gemeinsam – etwas Nettes unternehmen sollten? Jeder vernünftige Mensch kann doch vorhersagen, dass das kaum gut gehen wird.

Die Unterscheidung von allgemeiner und spezieller Diagnostik

Ob die oben geschilderten Paare den Weg in Paarberatung oder Paartherapie suchen werden, ist ungewiss. Viele Paare lösen ihre Konflikte selbst. Sie mobilisieren Energien, um mögliche Wege zu finden. Die Bewältigung der Krise mag eine Weile dauern, sie mag mit schmerzhaften Erfahrungen verbunden sein. Doch die gemeinsame Erfahrung, eine ernsthafte Krise allein, ohne Unterstützung von außen, überwunden zu haben, kann Zuneigung und Vertrauen vertiefen, die Paarbeziehung stärken und Wachstumskräfte freisetzen.

Andererseits lässt sich beobachten: Manche Paare kommen auch erst recht spät, bisweilen zu spät in die Beratung2. Zu lange haben sie versucht, allein zurechtzukommen. Immer noch haben sie gehofft, der Konflikt werde sich von selber lösen. Daher suchen sie fachliche Hilfe nicht bereits, wenn sie ein Problem haben, sondern erst, wenn das Problem sie hat. Ständiges Reden über die Probleme oder permanentes Schweigen lässt sie nur immer tiefer in die Sackgasse hineinfahren. Schließlich bewegt sich nichts mehr. Sie verstehen den anderen nicht mehr und auch nicht, was in ihrer Beziehung los ist.

Eine Erfahrung aus der Paarberatung ist:

Die Probleme, derentwegen Paare in Beratung kommen, sind meist schwerwiegender und tiefgründiger, als es zunächst den Anschein hat.

Die Beraterin oder der Berater3 braucht Zeit, die Bemühungen und die Konflikte des Paares, deren Gründe und Hintergründe ansatzweise zu erfassen. Ohne ein Verständnis des Paares, seiner Situation, seines Weges, seiner Dynamik und seines Potenzials kann der Berater dem Paar wenig nützen. Gemeinsam mit den Partnern die Beziehung zu erkunden ist hingegen ein erster Schritt, der häufig bereits eine gewisse Erleichterung verschafft und Perspektiven eröffnet. Vorausgesetzt, der Berater übernimmt nicht, ohne es zu merken, Atmosphäre und Probleme des Paares.

An dieser Stelle unterscheide ich gerne zwischen allgemeiner und spezieller Diagnostik von Paarbeziehungen. Um sich im Dickicht der Paarprobleme und -konflikte zurechtzufinden, brauchen Klienten und Berater Orientierung und eine gewisse Übersicht.

Allgemeine Diagnostik von Paarbeziehungen

Die allgemeine Diagnostik vermittelt Einsicht in die Grundregeln von Paarbeziehungen, ein Verständnis davon, wie Partnerschaft heutzutage funktioniert.

Diese Regeln oder Gesetzmäßigkeiten gelten für alle Paare, die eine Liebes- und Lebenspartnerschaft eingehen unabhängig davon, ob sie je mit Beratung oder Therapie in Berührung kommen. Dem Paarberater eröffnet die allgemeine Diagnostik Fenster, durch die er auf Paare und ihr Verhalten blickt. Sie erlauben ihm, besser zu erfassen, wie Paare grundsätzlich ihre Beziehung, ihre Kommunikation, ihr Konflikt- und Lösungsverhalten usw. gestalten und warum sie es tun. Bestandteile einer solchen Theorie sind etwa die Leitwerte moderner Partnerschaft, die Prinzipien der Partnerwahl, der unausgesprochene Partnervertrag, die verschiedenen Ebenen einer Paarbeziehung, die Unterscheidung von verliebter und erwachsener Partnerschaft, die Regeln respektvoller, gewaltloser Kommunikation, die Prinzipien der menschlichen Territorialität, die Dynamik innerhalb von Beziehungssystemen und anderes. Zu Beginn einer Beratung können solche theoretische Schneisen das Erkunden und Nachfragen des Beraters leiten und zu einem rascheren und tieferen Verständnis des Paares verhelfen. Darüber hinaus liefern sie in der Regel Hinweise, wo in einer späteren Phase des Beratungsprozesses Einstellungen, Verhaltensweisen, Absprachen oder Entschlüsse des Paares bekräftigt oder verändert, neu verhandelt und eingeübt oder wo neue Zukunftsperspektiven erarbeitet werden sollten.

Spezielle Diagnostik von Paarbeziehungen

Die spezielle Diagnostik hingegen vermittelt »Verstehenslandkarten«, d.h. Einblick in und Verständnis für die Dynamik spezifischer Paarkonflikte oder Paarkonstellationen wie etwa Streit- und Kampfpaare, depressive Paare, Suchtpaare, Angstpaare, Gewaltpaare, Bewunderungspaare, Paare, die miteinander verschmelzen wollen oder viel Distanz brauchen usw.

Im akademischen Konkurrenzkampf, im Wettlauf der psychologischen Schulen und therapeutischen Richtungen zählen Theorien wenig, die nicht mit abstrakten Begriffen oder komplizierten Fremdwörtern gespickt sind. Solche Theorien möchte ich Ihnen nicht bieten. Berater und Therapeuten sind erst einmal Praktiker, nicht Theoretiker. Für sie gilt der Satz der amerikanischen Therapeutin Fanita English:

Unsere Wirksamkeit als Berater und Therapeuten besteht im Einfach-Sein, nicht im Kompliziert-Sein.

Allerdings ist Einfach-Sein nicht immer einfach. Wer komplexe Zusammenhänge nicht einfach wiedergeben oder erklären kann, hat sie möglicherweise noch nicht ganz durchschaut – und sollte vielleicht erst einmal weiter nachfragen.

Der Nutzen von Theorien: Erkenntnis- und Handlungshinweise

Den Nutzen diagnostischer Landkarten und anderer theoretischer Konzepte messe ich an folgenden Kriterien: Sind sie einfach und verständlich? Vermitteln sie Orientierung und Übersicht? Ermöglichen sie Erkenntnis und Verständnis der Struktur und der Konflikte einer Paarbeziehung? Helfen sie verstehen, wo die Partner verletzt sind, warum sie sich blockiert oder handlungsunfähig fühlen, aber auch, wie sie sich gegenseitig blockieren und handlungsunfähig machen? Geben sie Hinweise dafür, wieso die Partner den jeweils anderen gerade so »formen«, dass sie ihn nicht ertragen können? Erklären sie, warum Paare in einer Beziehungskrise vom anderen Veränderungen fordern, die für sie selber ganz einfach, für den anderen jedoch kaum oder nur schwer zu verwirklichen sind? Liefern sie zugleich Handlungsempfehlungen, wie im Beratungsprozess vorzugehen ist, welche Verhandlungs-, Lern- bzw. Veränderungsaufgaben sich möglicherweise für das jeweilige Paar ergeben?

Landkarten und Stadtpläne, die Übersicht vermitteln, lassen Einzelheiten oft weg. Insofern sind sie unvollständig und ergänzungsbedürftig. Wer in der Beratung einem Paar gegenübersitzt, das zu einem ersten Gespräch kommt, wird meistens mit Gefühlen, Eindrücken und Informationen bombardiert. Da gilt es zunächst den Überblick zu bewahren. Dabei können einfache Konzepte, die möglicherweise auch vereinfachen, nützlich sein. Später kann man, um mehr ins Detail zu gehen und tieferen Einblick zu gewinnen, an wichtigen Stellen die Lupe noch einmal ansetzen. Man kann dann verfeinerte oder differenziertere diagnostische Landkarten heranziehen.

Im Folgenden nenne ich eine Reihe allgemeiner Beziehungsgrundsätze. Sie sind aus jahrelanger praktischer Arbeit mit Paaren gewonnen. Sie sind speziell für die beraterisch-therapeutische Begleitung von Paaren entwickelt – also nicht aus der Einzel- oder Familientherapie bzw. allgemeinen Erkenntnissen einer der zahlreichen psychologischen Schulen oder therapeutischen Ansätze abgeleitet. Diese Erfahrungs- oder Leitsätze bzw. Unterscheidungen haben sich beim Erkennen und Verstehen von Paaren, bei der praktischen Arbeit mit ihren Beziehungen und Problemen als nützlich erwiesen. Jedem der folgenden 11 Kapitel füge ich auch mögliche Handlungsempfehlungen an, die sich aus diesen Grundsätzen für ein mögliches Erkunden, Nachfragen, Verstehen und Konfrontieren usw. zu Beginn und im weiteren Verlauf der Beratung ergeben.

2 Sich selbst nicht aufgeben – das neue Grundgesetz moderner Partnerschaft

In den vergangenen Jahrzehnten haben sich in den westlich geprägten Gesellschaften die Lebensbedingungen von Frauen und Männern grundlegend gewandelt. Damit hat sich, in kurzer Zeit, auch die Situation zwischen den Geschlechtern geändert. Eine neue Beziehungs-Verfassung« ist in Kraft getreten. Viele Paare haben das noch nicht mitbekommen. Sie haben Mühe, es zu begreifen und in die Tat umzusetzen.

Für das Zusammenleben als Paar legt ein neues Grundgesetz neue Spielregeln fest.

Beziehungsgrundsatz Nr. 1

Artikel 1 der neuen Partnerverfassung lautet:

Keiner soll sich selbst aufgeben – denn beide sind ebenbürtig und haben die gleichen Rechte.

Dieser »Artikel« ist zugleich ein erster Beziehungsgrundsatz moderner Partnerschaft. Junge erwachsene Frauen werden nicht mehr mit »Fräulein« angeredet, sondern mit »Frau«. Bei der Eheschließung muss sie nicht mehr ihren »Mädchen«-Namen aufgeben, sondern kann Biografie und Namen weiterführen. Es ist nicht mehr undiskutiert selbstverständlich, dass automatisch sie auf Beruf oder Erwerbstätigkeit verzichtet, wenn die Kinder kommen. Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass automatisch sie mitzieht, wenn ein beruflicher Wechsel des Mannes den Umzug in eine andere Stadt oder ein anderes Land erfordert. Sie hat Anspruch auf ihr eigenes Einkommen. Usw. Denn beidesind ebenbürtig: Beide haben grundsätzlich den gleichen Anspruch darauf, zufrieden und glücklich zu sein. Jeder hat das Recht, seine Lebens- und Berufspläne zu verwirklichen. Dadurch ändert sich auch das Selbstverständnis der Männer. Auch sie nehmen neue Rechte wahr, z.B. als Väter.

Die Anweisung »Gib dich nicht selbst auf – lebe!« entspricht einem Grundprinzip des Lebens. Dieses Prinzip wohnt jedem lebendigen Wesen inne. Wer lebendig ist, trägt den Impuls und »Auftrag« in sich: »Lebe! Überlebe! Lass dich nicht unterkriegen!«

Als Beziehungsgrundsatz Nr. 1 hat »Keiner soll sich selbst aufgeben« Folgen für die Beziehung der Partner zueinander. Der Satz hat Vorteile: Er eröffnet Freiheitsräume: Die Partner können ihr Leben, jeder für sich und beide zusammen als Paar, individueller, flexibler, freier und potenziell befriedigender gestalten als früher.

Der Satz hat indessen auch Konsequenzen: Die neuen Spielräume haben ihren Preis: Nichts ist mehr selbstverständlich. Wollen die Partner faire, für beide gleichermaßen befriedigende Lösungen finden, dann sollten sie in der Lage sein,

miteinander zu reden. In langjährigen oder konflikthaften Paarbeziehungen bedeutet miteinander reden erst einmal: Hören. Hören. Hören. Konkret heißt das:

die unterschiedlichen, möglicherweise gegensätzlichen Interessen und Wünsche des anderen anhören, sie achten, sie ernst nehmen, sie – statt sie abzuwerten oder zu bekämpfen – stehen lassen und die Spannung ertragen, dass sie den eigenen Wünschen und Interessen vielleicht widersprechen, teilweise oder total;

miteinander verhandeln, Kompromisse finden, Vorschläge machen oder annehmen, die den Interessen und Bedürfnissen beider Raum geben, möglicherweise auch eigene Wünsche oder Pläne – vorübergehend oder dauerhaft – zurückstellen oder auf sie verzichten;

die Konsequenzen von Kompromissen oder Verzicht akzeptieren, Alternativen entwickeln, Ausgleich oder Entschädigungen für Verzicht vereinbaren, die Wirksamkeit dieser Vereinbarungen von Zeit zu Zeit überprüfen.

Diesem Grundsatz liegt die Vorstellung zugrunde: Die Partner sind voneinander unterschiedene Personen. Unterschiede zwischen ihnen betrachten sie als Reichtum ihrer Beziehung, auch wenn diese im Alltag oft Spannungen oder Schwierigkeiten schaffen. Paare sind in der Lage, offen und gleichberechtigt darüber zu sprechen. Gegensätzliche Interessen sind ein normaler Bestandteil ihres Beziehungsalltags. Über gegensätzliche Wünsche und Bedürfnisse können sie realistisch, konstruktiv und fair verhandeln – das heißt, beide können das Ergebnis akzeptieren. Auf diese Weise verhindern sie, dass ihre Unterschiedlichkeit einen Beziehungskrieg verursacht und offener oder unausgesprochener Ärger die Beziehung nachhaltig beeinträchtigt.

Kehren wir kurz zu den eingangs geschilderten Paaren zurück. Gaby hat wegen des Kindes einen Teil ihrer Lebenspläne, nämlich ihre Berufstätigkeit, aufgegeben – zumindest vorübergehend. Offensichtlich erwartet sie dafür von Franz Verständnis, wenn nicht eine Kompensation. Wie die aussehen könnte – etwa mehr gemeinsame Zeit von Franz mit ihr, mit dem Kind –, sagt sie in dieser Szene nicht so, dass Franz das gut hören könnte. Auch Franz möchte sicher nicht auf das Kind oder die Beziehung zu Gaby verzichten, andererseits aber auch nicht seine Vorstellungen – in diesem Fall die beruflichen – aufgeben oder reduzieren. Wie alle ihre Anliegen zusammenpassen, dafür haben Gaby und Franz die richtige Formel noch nicht gefunden. –

Nina hat Georg mit seiner Fußballleidenschaft, vielleicht sogar wegen seiner Spielbegeisterung »eingekauft«; er allerdings hat den Eindruck, er müsse seine innerste Identität aufgeben, wenn er ihrem Wunsch nach Gemeinsamkeit am Wochenende nachgibt. Er will sich aber nicht selbst aufgeben. Auch Nina möchte sich selbst nicht aufgeben, ihre Vorstellung und ihren Wunsch nach einer Liebes- und Lebensbeziehung mit Georg. Daher weigert sie sich, sich mit der Zuschauerrolle beim Fußball zu begnügen. Darum hat sie Trennungsgedanken. –

Noch einmal heftiger ist der Konflikt zwischen Susanne und Ingo. Ein Kinderwunsch bzw. der Entschluss, kein eigenes Kind zu wollen, entspringt den tiefsten Schichten unseres Seins. Mit dem endgültigen Entscheid in die eine oder andere Richtung geben Menschen möglicherweise einen Anteil ihrer persönlichen Identität auf. Dieser Konflikt lässt sich normalerweise ja auch nicht mit einem Kompromiss lösen.

Für die Beratung ergibt sich aus Beziehungsgrundsatz 1 zunächst die Frage: Wie ist es möglich, dass keiner der Partner sich selbst aufgibt und beide – bei Wünschen, die sich gegenseitig ausschließen – trotzdem eine gemeinsame Basis finden? Nicht indem jeder unbeirrt oder unbeirrbar auf seinem Recht und Standpunkt beharrt, sondern indem beide Schritte aufeinanderzu machen, um Lösungen auszuloten, die den Interessen und Bedürfnissen jedes einzelnen und beider zusammen Platz lassen. Oder – falls eine Einigung derzeit nicht möglich sein sollte – in Ruhe die Konsequenzen dieses Tatbestandes zu bedenken.

Die Beratung böte dann einerseits die Plattform für ein solches Verhandeln und Nachdenken. Andererseits könnte die Beratung bzw. die Haltung und das Vorgehen des Beraters zugleich ein Modell sein. Die Paare würden erleben, dass jeder Partner seinen gleichberechtigten Platz in Beratung und Partnerschaft hat. Sie würden sehen und erfahren, dass Unterschiede und gegensätzliche oder unvereinbare Interessen ein normaler Bestandteil des Lebens als Paar sind. Sie würden möglicherweise auch einüben, wie ein Aufeinander-Zugehen konkret aussehen kann. Einzelne Schritte eines solchen Verhandlungsprozesses ergeben sich etwa aus den Konsequenzen, wie sie oben auf Seite 30 f. beschrieben sind.

3 Alle Verantwortung fair teilen – das neue Grundgesetz moderner Partnerschaft

Haben beide Partner gleiche Rechte und gleiche Ansprüche, so hat das Auswirkungen auf die Übernahme von Aufgaben und Verantwortung. Aus Artikel 1 der neuen Partnerverfassung folgt mit einer gewissen Zwangsläufigkeit:

Beziehungsgrundsatz Nr. 2

Artikel 2:

Jeder ist bereit, alles zu machen – denn beide haben die gleichen Pflichten.

Dieser Beziehungsgrundsatz Nr. 2 »Beide haben grundsätzlich die gleiche Verantwortung« gilt vor allem für den Binnenbereich der Partnerschaft, für das tägliche Zusammenleben. Natürlich bestehen zwischen Frauen und Männern körperliche Unterschiede: Sie ist vielleicht etwas kleiner und nicht ganz so kräftig wie er. Er hingegen kann keine Kinder kriegen und stillen. Aber davon einmal abgesehen gibt es heutzutage normalerweise keinen Grund, dass nicht jeder der Partner jede der anfallenden Aufgaben in Familie oder Haushalt übernimmt: Geld verdienen, Wäsche waschen, einkaufen, Auto reparieren, kochen, Baby wickeln, Fenster putzen, Probleme mit der Versicherung regeln, zum Elternabend gehen, Steuererklärung ausfüllen.

Das war vor zwei Generationen, zur Zeit unserer Großeltern, noch anders, vielleicht sogar noch zur Zeit unserer Eltern. Da konnte jeder Partner vom anderen ein bestimmtes Verhalten erwarten, fast wie selbstverständlich. Es gab festgelegte Rollen. Jeder Rolle war ein bestimmter Aufgaben- und Tätigkeitsbereich zugeordnet.

Heutzutage ist in den meisten Paarbeziehungen die traditionelle komplementäre Verteilung der Aufgaben hinfällig geworden. Wenn er erwerbstätig ist und sie auch, dann gibt es keinen Grund, dass nicht auch er und sie jede Arbeit in Haus und Familie übernimmt (wiederum mit Ausnahme von Gebären und Stillen des Säuglings). Grundsätzlich sollte also jeder bereit sein, alles zu machen.

Das heißt aber nicht, dass jeder notwendigerweise auch alles macht: Die Partner können sich absprechen.

Sie können die Aufgaben verteilen, wie sie es möchten, wie es ihnen, ihren Vorlieben, ihrer Geschicklichkeit, ihren Lebensumständen usw. entspricht. Etwa: Er kocht und putzt, sie wäscht das Auto und verwaltet das Geld. Oder er kauft ein und kocht am Wochenende, während sie mit den Kindern zum Sport geht.

Auch Artikel 2 formuliert ein Strukturprinzip menschlichen Lebens:

Das Zusammenleben von Menschen, das Überleben der Menschheit ist nicht möglich ohne ein Mindestmaß an Zusammenwirken und Gegenseitigkeit, an geregelten Sozialbeziehungen und Kultur. Diesem Strukturprinzip liegt wiederum ein generelles Organisationsprinzip des Lebens schlechthin zugrunde: »Je besser ein Organismus seine Umgebung wahrnimmt« und sich auf sie einstellt, »desto größer sind seine Überlebenschancen«. Das gilt vom Einzeller bis zum hochkomplexen menschlichen Organismus (Lipton 2009, S. 39).

Auch dieser zweite Beziehungsgrundsatz hat Folgen für die Beziehung der Partner zueinander.

Von Vorteil ist wiederum: Die Partner können die Aufgaben- und Lastenverteilung sowohl individueller, freier und potenziell befriedigender als auch flexibler – und damit wirksamer – gestalten als früher.

Konsequenzen:

Die Partner müssen miteinander

verhandeln,

das heißt dem anderen zuhören, mit ihm reden. Sie müssen sich verstehen und sich verständigen – beides hat mit Verstand zu tun. Sie müssen sich einigen, wer was übernimmt. Diese Einigung muss einigermaßen ausgewogen und fair (d.h. für beide annehmbar oder befriedigend) sein, sonst sammelt sich über kurz oder lang auf dem Beziehungskonto Ärger an.

Die Partner haben sich darum häufig auf eine Aufgabenverteilung einzustellen, die neu für sie ist und für die sie keine Vorbilder haben, weil die Vorbilder ihrer Kindheit oft noch traditionell organisiert waren. Die Umstellung auf Unbekanntes kann Unsicherheit und Verwirrung schaffen. Das indessen führt nicht selten dazu, dass Paare zwar eine

zeitgemäße Aufteilung der Aufgaben wünschen, zugleich jedoch an überholten Vorrechten und Verhaltensweisen festhalten.

Wenn nichts mehr selbstverständlich ist, dann beziehen die Partner auch nicht mehr selbstverständliche Belohnung und Wertschätzung aus ihren Tätigkeiten, wie das früher der Fall war. Sie müssen lernen, sich gegenseitig für das, was sie im Alltag tun und leisten,

Anerkennung

und Dank auszusprechen

– das ist für die meisten Paare etwas völlig Neues.

Noch einmal zusammengefasst: Besagt der erste Artikel der Beziehungsverfassung: »Ich gebe mich nicht auf – und du gibst dich nicht auf«, dann folgt daraus logischerweise Beziehungsgrundsatz 3:

Beziehungsgrundsatz 3

Keiner versucht den anderen zu ändern.

Jedes Bemühen, den Partner zu ändern, wäre demnach ein »Verfassungsbruch«. Die Partner verzichten darauf, den anderen zur eigenen Sicht- und Verhaltensweise zu bekehren. Stattdessen halten sie sich an Beziehungsgrundsatz 4:

Beziehungsgrundsatz 4

Über Unterschiede wird geredet, über gegensätzliche Lösungsvorstellungen wird verhandelt.

Damit wird das partnerschaftliche Miteinander heutzutage anstrengender. Nichts ist mehr selbstverständlich. Früher bezogen Eheleute einen Großteil ihrer emotionalen und sozialen Anerkennung und Wertschätzung aus ihrer Umgebung oder daraus, dass sie einfach ihre Rollen erfüllt haben. Das gilt nur noch eingeschränkt. Wer sich heute in einer Paarbeziehung vom anderen bedienen lässt, ohne »Danke!« zu sagen oder seinen Arbeitsanteil zu übernehmen, erntet zunehmend Ärger. In dieser Hinsicht müssen Paare umlernen:

Beziehungsgrundsatz 5

Die Partner sprechen sich Wertschätzung und Dank aus für das, was jeder tut und leistet.

Das kann durch Worte geschehen, durch eine Berührung, eine nette SMS, eine Einladung ins Kino oder ins Restaurant oder einfach durch einen freundlichen Blick.

Schauen wir noch einmal auf zwei der oben vorgestellten Paare. Gaby und Franz stecken in der Klemme zwischen Vergangenheit und Gegenwart: Derzeit funktionieren sie nach dem traditionellen Rollenschema: Gaby ist zur Zeit nicht berufstätig, sie kümmert sich um das Kind. Franz verdient das Geld und erwartet als Belohnung dafür einen konfliktfreien Gut-Fühl-Abend. Zugleich erwartet Gaby jedoch, dass Franz ein moderner Vater ist, der Zeit mit dem Kleinen verbringt – damit sie auch einmal entlastet ist, damit sie Zeit für sich hat. Franz hält ihren Anspruch erst einmal für berechtigt, sonst würde er sich nicht so verteidigen. Er verhält sich aber nicht wie ein moderner Vater, sonst wüsste er, dass man als Vater eines Kleinkindes auch einmal auf seine wohlverdiente abendliche Erholung verzichten muss. – Georg und Nina scheinen weiter zu sein. Georg engagiert sich im Haus und mit den Kindern, so viel er kann. Zugleich erwartet er allerdings, dass sein männliches Privileg, sein Hobby, ohne Abstriche respektiert wird. Eine Regelung, die den Bedürfnissen beider Partner Rechnung trägt, die gegebenenfalls einen Ausgleich für Verzicht auf sein Hobby beinhaltet, haben Nina und Georg noch nicht im Blick.

Für die Beratung legt Beziehungsgrundsatz 2 nahe, die Verteilung der häuslichen Aufgaben und Belastungen konkret und ausführlich zu erkunden, vor allem wenn Kinder da sind. Wer macht was und wie viel? Ist die Aufgabenverteilung abgesprochen, ist sie fair, stimmen ihr beide zu, sind beide damit zufrieden, d.h., empfinden beide: Ich tue meinen Anteil und du tust deinen Anteil? Geben die Partner sich Anerkennung für das, was sie leisten, können sie sich dafür gegenseitig danken? Haben sie Ausgleich oder Kompensationen vereinbart für den Fall, dass die Belastungen vorübergehend oder auf Dauer ungleich sind? Werden vereinbarte Kompensationen von beiden als angemessen und befriedigend erlebt, werden sie im Alltag auch eingehalten?

Gleichberechtigte Partnerbeziehung ist für viele Paare ein unbekanntes, neues Terrain. Oft stehen Paare vor der Aufgabe, neue Regeln zu lernen.

Dieses neue Modell von Paarbeziehung setzt sich im Alltag der Paare unterschiedlich schnell durch. Bisweilen geschieht es sehr langsam. Schwierigkeiten der Beteiligten haben häufig weniger mit Defiziten der Beziehung zu tun als vielmehr mit einer Unkenntnis der neuen Regeln. Als ob die Paare in ein unbekanntes Land versetzt seien, mit fremder Sprache und anderen Gewohnheiten. Oftmals folgen die Paare zwei Leitbildern zugleich, dem der traditionellen Beziehung, das Männern und Frauen ein festgelegtes Rollen- und Machtverhältnis zuschreibt, und dem der zeitgemäßen Partnerschaft, das Frauen und Männer grundsätzlich auf eine Ebene von Belastungen und Rechten stellt. Zahlreiche Konflikte und Missverständnisse in Paarbeziehungen erklären sich aus dieser Ungleichzeitigkeit der Werte, Leitbilder und der entsprechenden Verhaltensweisen.

Eine der Aufgaben von Paarberatung ist es, den Partnern beim Einüben dieser neuen Spielregeln behilflich zu sein.

Doch auch wenn den meisten Paaren nicht so richtig bewusst ist, dass eine neue Partnerverfassung in Kraft getreten ist: Die genannten Artikel 1 und 2 schärfen den Gerechtigkeitssinn. Ungleichgewichtige Arbeitsteilung, vor allem wenn sie nicht abgesprochen ist, wird häufiger als ungerecht empfunden. Verliebtheit oder Liebe mag solche Empfindungen eine Zeit lang überdecken. Auf Dauer kann sich unterschwelliger Ärger und Groll ansammeln – ein Nährboden für Konflikte. Eine als unfair empfundene Aufteilung der Arbeitsbelastungen ist nicht selten auch die verborgene Ursache sexueller Störungen.

Das neue »Grundgesetz moderner Partnerschaft« entspricht westlichen Werten. Dieses Leitbild – Frau und Mann sind grundsätzlich gleichwertig und gleichrangig – liegt auch der Theorie und Methodik von Paarberatung in den westlichen Ländern zugrunde (vgl. hierzu den theoretischen Ausflug »Partnerschaft« auf der Website des Verlags; Hinweise dazu auf S. 2 dieses Buches). In der Beratung von Paaren aus anderen Kulturen, in denen das Verhältnis der Geschlechter traditionell bzw. hierarchisch bestimmt ist, können sich Schwierigkeiten ergeben. Die Beratung mag an Grenzen stoßen.

Den 3. Artikel des neuen »Grundgesetzes« für Paarbeziehungen finden Sie auf Seite 113.

4 Territorien und Grenzen in der Paarbeziehung

Wir mögen es nicht, wenn uns jemand körperlich zu nahe tritt. Ohne dass wir etwas dazu tun, schlägt unser Organismus Alarm: Das Herz pocht schneller. Der Atem wird kürzer. Die Augen weiten sich. Muskeln spannen sich an. Wir fühlen uns unwohl. Wir weichen zurück. Oder werden aggressiv. Wir fühlen uns bedrängt.

Schon Blicke können bedrängen. Ein Mann schaut eine Frau etwas zu lange an. Das kann als Übergriff erlebt werden und unangenehme Empfindungen hervorrufen. Ein Mann schaut meine Partnerin in meiner Gegenwart etwas zu lange an: Das kann bei mir als Mann aggressive oder defensive Impulse wecken, weil ich es als unangemessenes Eindringen in den Bereich unserer Zweierbeziehung empfinde, vielleicht sogar als ein Stück illegitimer Inbesitznahme. In früheren Zeiten war »Fixieren« ein Grund zum Duellieren: Wer einen anderen unverwandt anstarrt, tut ihm etwas an. Er überschreitet eine Grenze, er tritt ihm körperlich zu nahe.

Natürlich gibt es kulturelle Unterschiede. In südlichen Ländern ist es durchaus üblich, dem Nachbarn während eines lebhaften Gesprächs die Hand auf den Arm zu legen, ihn also auch körperlich zu berühren. In nördlichen Ländern gilt das als Übergriff und ist eher tabu. Es gibt auch individuelle Unterschiede: Wer sich selbstsicher fühlt oder gut drauf ist, wird einen lästigen Blick vielleicht bloß fragend, herausfordernd oder lächelnd erwidern.

Andererseits mögen wir es nicht, wenn Menschen, die uns nahestehen, uns überhaupt nicht beachten, uns behandeln, als existierten wir nicht, als seien wir Luft, ein Nichts. Wenn schon nicht Aufmerksamkeit und Wertschätzung, dann doch wenigstens Beachtung der Tatsache, dass wir anwesend sind. Den Partner übersehen, ihn links liegen lassen wirkt abwertend und kränkend. Als sei er physisch überhaupt nicht da, als werde das Existenzrecht des Betreffenden bestritten. Es ist eine Form der Missachtung, ein feindlicher Akt.

Platz haben wollen und Beachtung finden, diese beiden gegensätzlichen Pole territorialen Empfindens und Verhaltens, entsprechen vorbewussten Bedürfnissen unseres Organismus. Die unangenehme Erfahrung, nicht genug Raum zu haben, machen wir vielleicht schon im Mutterleib, spätestens jedoch im Kinderzimmer, wenn ein Geschwister unser Spiel zerstört und dadurch in unseren Lebensbereich eindringt. Jugendliche markieren gerne mit »Unordnung« die Grenzen des Reviers, das sie als ihr persönliches beanspruchen. Völker führen Kriege, um Lebensraum zu verteidigen. Beim Fußball ist die Konzentration des männlichen Sexualhormons Testosteron im Speichel der Spieler vor Heimspielen deutlich höher als vor Spielen auswärts. Beim Heimspiel verteidigen sie ihr Revier, und Testosteron steigert das räumliche Vorstellungsvermögen und die Reaktionsschnelligkeit. Raumempfinden und -verhalten ist uns offensichtlich angeboren. Aber auch das Gegenteil, das Empfinden, nicht beachtet zu werden, löst von klein auf Körperreaktionen aus.

Verliebte Paare sind im Allgemeinen wenig empfindlich, was Abgrenzungen innerhalb ihrer Beziehung anbetrifft. Und den anderen übersehen ist gewöhnlich auch nicht ihr Problem. Im Gegenteil, der andere ist fast immer willkommen. Frisch Verliebte können sich meist nicht nahe genug sein. Die Türen stehen offen. Man möchte mit ihm oder ihr eins sein, mit dem anderen verschmelzen. Man sucht Nähe, nicht Abstand.

Respekt vor Grenzen

Das ändert sich, wenn die erste Verliebtheit verflogen ist. In der folgenden Phase der Paarbeziehung – ich nenne sie gerne die erwachsene Partnerphase (mehr dazu unten ab Seite 88) – erleben die Paare häufig Überraschungen. Sie machen eine Reihe von Entdeckungen. Die haben oft mit dem Terrain oder Territorium ihrer Beziehung zu tun, allerdings ohne dass die Paare das so nennen.

Entdeckung Nummer eins: Die Partner merken mit der Zeit, dass sie nicht nur ein verliebtes Paar mit Gemeinsamkeiten und einem Nähebedürfnis sind, sondern auch zwei verschiedene Personen, von denen jeder seinen eigenen Bereich, sein eigenes Revier beansprucht. Die Partner verbringen Zeit gemeinsam, aber jeder braucht auch Zeit für sich. Sie haben gemeinsame Überzeugungen, Gewohnheiten, Vorlieben – zugleich hat aber jeder seine eigene Art. Jeder hat seine eigene Vorstellung davon, was Vorrang haben sollte, was weniger wichtig ist. Wie der Abend, das Wochenende, der Urlaub zu verbringen, wie der eigene Raum, aber auch das gemeinsame Wohnzimmer einzurichten ist usw. In bestimmten Situationen bevorzugt jeder den eigenen Stil, Aufgaben zu bewältigen, Probleme zu lösen. Zunehmend treten die Unterschiede zutage, die jeder mitbringt oder die sich im Zusammensein mit dem Partner entwickeln.

Wenn alles gut läuft, wandelt sich im Laufe der Zeit Verliebtheit in Respekt. Nach meiner Erfahrung bestehen Frauen noch deutlicher als Männer darauf, respektvoll behandelt zu werden (Beziehungsgrundsatz 6).

Beziehungsgrundsatz 6

Im Alltag äußern sich Liebe und Zuneigung als Respekt. Respekt heißt: Die andere Art des anderen achten, Grenzen nicht überschreiten.

Nicht in den Bereich des anderen eindringen, wenn er dazu nicht bereit ist, nicht dazu einlädt oder die Erlaubnis dazu gegeben hat. Den anderen nicht mit eigenen Vorstellungen, Vorschlägen, Wünschen oder Bedürfnissen bedrängen. Denn das ruft unangenehme Empfindungen hervor. Übergriffe, das Verletzen von Grenzen innerhalb einer Paarbeziehung, werden vom Partner in der Regel als feindlicher Akt, als eine Form von Gewaltanwendung erlebt. Sie führen schnell dazu, dass der andere sich wehrt oder verschließt.

Eine weitere Entdeckung mag sein (es ist Beziehungsgrundsatz 7, zugleich auch ein anthropologisches Axiom):

Beziehungsgrundsatz 7

Bestimmte Bereiche unseres Lebens gehören so sehr zu uns, dass wir jedes Eindringen wie einen körperlichen Angriff empfinden.

Sie kann es nicht haben, wenn er in ihrer Handtasche kramt. Da wird sie ganz kribbelig. Lieber springt sie auf und gibt ihm, was er sucht. Sie mag auch nicht, dass er ihr Handy in die Hand nimmt und auf diese Weise – vielleicht nur aus Versehen – mitbekommt, mit wem sie zuletzt telefoniert hat. Wenn es um ihre Handtasche oder ihr Handy geht, ist sie empfindlich.

Er dagegen wird nervös, wenn sie nur in die Nähe seines Laptops kommt. Denn den hat sie einmal benutzt und dann lief nichts mehr. Sie hat verstanden: Der Computer, das ist ein Teil von ihm selbst. Um Streit zu vermeiden, hat sie jetzt ihren eigenen PC.

Man kann dem Partner zu nahe treten, auch ohne ihn zu berühren.

Offensichtlich endet unsere Persönlichkeit nicht an den Grenzen unserer Haut. Wichtige Lebensbereiche gehören zu unserer Person. Sie sind intimer Bestandteil von uns selbst. Überschreitet jemand diese Grenze, dringt er in das ein, was wir als unser Revier oder unsere Domäne betrachten, so haben wir den Eindruck: Uns selber wird etwas angetan.

Mein Privatbereich gehört nicht nur mir

Bestimmte Bereiche, die ich als mein persönliches Revier betrachte, werden auch von anderen als ihr persönliches Territorium oder Revier beansprucht. Das ist eine dritte, bisweilen recht ärgerliche Entdeckung.

Sie hat es gerne warm, auch im Schlafzimmer, denn wegen ihres eher niedrigen Blutdrucks friert sie leicht. Er hingegen braucht ständig frische Luft. Deshalb lässt er immer Fenster und Türen auf, was sie gar nicht lustig findet. Sie schätzt es auch nicht, dass vor dem Wäscheschrank seine Unterwäsche und seine Socken herumliegen. Denn sie möchte es auch im Schlafzimmer schön haben. Er dagegen meint, es reiche, wenn er einmal in der Woche aufräumt. Schon haben sich die beiden in der Wolle. Schon werfen sie sich charakterliche Defizite vor – ohne so richtig zu verstehen, worum es eigentlich geht.

Jeden Abend, wenn er von der Arbeit heimkommt, stolpert er im Wohnungsflur über Spielzeug, Schultaschen und Schuhe der Kinder. Die Unordnung ärgert ihn. Er betrachtet den Flur als ein Vater-Territorium, das auch in seiner Abwesenheit so zu sein hat, wie er sich das vorstellt. Was er übersieht: Tagsüber gehört der Flur ihm gar nicht. Bis zu seinem Eintreffen ist der Flur Kinder- oder Familienterritorium.

Beziehungsgrundsatz 8

Es gibt Territorien, die wechseln im Laufe des Tages den Besitzer, auch wenn jeder vielleicht glaubt: »Dieses Territorium gehört mir ganz persönlich.«

Der Platz vor dem Fernseher am Abend ist dafür ein schönes Beispiel. In Familien mit Jugendlichen etwa werden heiße Kämpfe um das Badezimmer ausgetragen. Die Lautstärke der Musik oder das Heimkommen nachts am Wochenende sind ebenfalls Themen für ergiebigen Streit. Beim Kampf um Terrain bzw. Territorium geht es nicht nur um räumliche Ansprüche, sondern auch um Zeiträume: Sie hat andere Vorstellungen, wie der Sonntag verbracht werden sollte, als er. Oder um Zuständigkeitsbereiche: Sie möchte auch mal wieder die Konten kontrollieren, oder im Urlaub am Steuer des Autos sitzen. Vielleicht war das bislang seine Domäne. Es geht also um Lebensbereiche. Deren Grenzen indessen sind unsichtbar, überschneiden sich nicht selten oder werden von jedem anders definiert. So kommt es immer wieder zu Verwechslungen, Missverständnissen und Übergriffen.

Tiere markieren ihre Reviere, und sie verteidigen sie. Denn es geht ums Überleben. Menschen verhalten sich nicht anders.

In meinem Revier betrachte ich mich als Chef, da möchte ich bestimmen.

Mein Territorium ist Teil meiner Persönlichkeit, darum möchte ich mich da sicher und wohlfühlen. Darum möchte ich darüber verfügen können. Wenn andere meinen, auch sie hätten in demselben Territorium zu entscheiden, dann gibt es Probleme. Jeder hat den Eindruck, ihm wird etwas genommen. Jeder fühlt sich bedroht.

Beispiel: Hans hat die Arbeit verloren. Sein Selbstwert ist auf dem Tiefpunkt. Wie ein verwundetes Tier sucht er Zuflucht in seinem Refugium. Das ist der Ort, an dem er sich am sichersten fühlt, an den er sich jeden Abend zurückzieht: der Platz vor dem Fernseher. Da sitzt er nun von früh bis spät. Die Kinder beklagen sich bei der Mutter, dass sie nachmittags ihre Kindersendungen nicht mehr sehen können. Der Vater beklagt sich, dass niemand Verständnis für ihn hat in seiner Lage. Und die Mutter beklagt sich, dass schon wieder sie zwischen den Parteien schlichten soll.

Regierungswechsel – alternierende Hierarchien

In der traditionellen Aufteilung der Rollen und Aufgaben war manches einfacher. Jeder hatte seinen Bereich. Er war zuständig fürs Geldverdienen und fürs Sachliche, sie war zuständig für Küche, Kinder und Gefühle. Er hat das Haus gebaut, und sie hat es geputzt. Er hat repariert und sie gebügelt. Das hieß zugleich: Er hatte nichts in der Küche zu suchen und sie nichts in seiner Werkstatt oder seinem Arbeitszimmer (außer zum Putzen). Jeder hatte seine eigene Domäne, sein eigenes Territorium. Die Arbeitsbereiche ergänzten sich, waren aber mehr oder weniger sauber getrennt. Meist war eindeutig, wer wann oder wo das Sagen hat.

Das ändert sich – dies ist die vierte Entdeckung, die Paare machen können – grundlegend, wenn beide für denselben Bereich zuständig sind. Gemeinsame Verantwortungsbereiche erfordern flexible Absprachen.

Die Partner müssen sich einigen, wer wann wo was macht.

Sie müssen Absprachen treffen, wer wann wo bestimmt. Es gibt keine selbstverständlichen Zuständigkeiten und Verhaltensregeln mehr.

Beziehungsgrundsatz 9

Die Partner verabreden, wer wann und wo Chef oder Chefin ist. Wer Chef oder Chefin ist, bestimmt die Spielregeln.

Zum Beispiel in der Küche. Jeder hat seinen eigenen Arbeitsstil. Wenn sie kocht, ist der Küchentisch voll, denn sie hat gerne alles zur Hand. Er braucht Platz, wenn er kocht. Darum räumt er immer zuerst einmal alles weg. Darüber könnten sie streiten: »Du lässt immer alles rumliegen!« »Du störst mich, weil du mir immer alles wegräumst!« Damit sie sich nicht in die Quere kommen, haben beide gelernt: Beim Kochen ist einer der Chef. Der gibt die Anweisungen, der richtet sich seinen Arbeitsbereich so ein, wie er ihn braucht. Wer nicht Chef ist, arbeitet zu. Wer Chef ist, wechselt, wer Zuarbeiter ist, ebenfalls.

Das Leben in einer flexiblen Hierarchie muss in der Regel erst eingeübt werden. Denn leicht vermischen sich im Kopf der Paare die Spielregeln der Vergangenheit mit denen der modernen Partnerschaft. Beispiel Arbeiten in der Küche: Sie etwa ist ambivalent. Einerseits möchte sie, dass er Essensvorbereitungen fair mit ihr teilt, andererseits erwartet sie, dass die Lebensmittel so eingeräumt werden, wie sie sich das vorstellt. (Das heißt, sie betrachtet die Küche immer noch als ihr Revier.) Ihre Ambivalenz kommt seiner Ambivalenz bzw. Trägheit entgegen: Ihre Anweisungen, wie er einzuräumen habe, nutzt er gerne als Vorwand, sich aus der Küche zurückzuziehen und vor der Küchenarbeit zu drücken. Bei diesem Konflikt verstehen beide nicht richtig, warum sie so unzufrieden ist und er so unwillig.

Beispiel Kindererziehung: Sie möchte, dass er seine Vaterpflichten ernst nimmt und die Kinder morgens für den Kindergarten fertig macht und dort abliefert. Er ist dazu auch bereit, will es jedoch auf seine Art tun. Er möchte nicht ständig von ihr hören, wie er es zu machen habe und was er alles falsch macht. – Sie findet ihn so streng mit den Kindern. Er findet sie so nachgiebig (oder umgekehrt). Darüber können sie streiten. Oder sie sehen ein: Es ist von Vorteil, wenn die Kinder Eltern mit unterschiedlichen Erziehungsstilen haben – vorausgesetzt, die Eltern streiten nicht darüber und mischen sich nicht ein, wenn ein Elternteil an der Regierung ist. Das funktioniert aber nur, wenn die Väter ihre Verantwortung für die Kinder auch wirklich wahrnehmen und die Mütter das Territorium Kinder auch wirklich freigeben.

Beziehungsgrundsatz 10

Jeder Partner nimmt die Verantwortung für den Bereich, für den er (vorübergehend) zuständig ist, auch wirklich ernst und wahr.

Jeder Partner gibt die Herrschaft und Kontrolle für den Bereich, für den er (vorübergehend) nicht zuständig ist, auch wirklich ab.

Diese Regel hat Konsequenzen: Beide Partner müssen wissen, wo Glühbirnen oder die Kinderklamotten zu finden sind. Wenn er erwartet, dass seine Frau oder die Kinder Reparaturen selber machen, statt ihn damit zu nerven, dann muss er damit rechnen: Er wird den Werkkasten oder seinen Hobbykeller nicht genauso aufgeräumt wiederfinden, wie er ihn verlassen hat. Oder: Wenn sie nach Hause kommt und hört, dass Vater und Jugendliche sich lautstark fetzen, dann wird sie sich auf keinen Fall einmischen. Sie sagt vielleicht: »Hallo, ich will euch nicht stören«, und zieht sich schleunigst zurück.

Manche Paare versuchen Revierkämpfe dadurch zu vermeiden, dass sie in getrennten Wohnungen leben oder in getrennten Bereichen einer Wohnung. Das kann Vorteile haben, löst indessen das Territorialproblem nicht vollständig. Denn auch wenn ich bei meinem Partner zu Gast bin, möchte ich mich nicht als Fremder fühlen. Ich möchte wissen, welche Rechte ich habe – das sollte zwischen den Partnern klar oder abgesprochen sein. Auch gegenüber den Herkunftsfamilien (Schwiegereltern) oder in neu zusammengesetzten Familien sind Territorien und ihre Grenzen ein häufiges Problem und daher sorgfältig festzulegen.

In bestimmten bi-kulturellen Partnerschaften betrachtet der Mann die Frau als sein persönliches Territorium, für das er die Verantwortung trägt und das er daher zu kontrollieren hat, während sie seine Eifersucht kaum ertragen kann: Beide verstehen nicht, warum sie sich nicht verstehen.

Das persönlichste und intimste »Territorium«, das wir besitzen, ist unser Körper. Und der Körper des Partners ist sein intimstes »Territorium«. Darum werden körperliche Übergriffe und Verletzungen oder ein Verfügen-Wollen über den Körper des Partners als besonders gewalttätig erlebt. Das gilt sowohl, wenn einer mit dem anderen reden will und das Ohr des Partners als seinen Besitz betrachtet, als natürlich auch, wenn einer Sex mit dem anderen will und dieser dazu nicht bereit ist.

Am Beispiel Sex lässt sich eine Unterscheidung, die auch für die obigen Situationen gilt, besonders anschaulich verdeutlichen: EinTerritoriumist etwas anderes als die Landkarte dieses Territoriums. Konkret:

»Mein Körper gehört mir und niemandem sonst« – das ist ihr Anspruch, ihre »Landkarte« von ihrem Körper. »Ihr Körper gehört auch mir und hat mir zur Verfügung zu stehen, wenn ich danach verlange.« Das könnte sein Anspruch und sein Orientierungsmuster sein – zwei verschiedene »Landkarten« desselben »Territoriums«, die fast unweigerlich zu Streit führen müssen.

Respektvoller Umgang miteinander wäre: Bedürfnisse und Wünsche des Partners achten, ihn nicht bedrängen, nicht ohne seine Zustimmung in seine Lebensbereiche eindringen. Allerdings:

Den Partner nicht übersehen, für ihn, seine Anliegen und Bedürfnisse aufmerksam und offen sein – auch das ist ein Ausdruck von Respekt.

Kehren wir noch einmal zu den Paaren auf Seite 21 ff. zurück. Den Tag über war Gaby Besitz ihres Kindes; der Säugling und seine Bedürfnisse haben sie beherrscht und kontrolliert. Zum Ausgleich betrachtet sie nun, am Abend, Franz als ihr Zuhör- und Klageterritorium. Franz jedoch wünscht sich ein konfliktfreies Refugium, in das er sich nach dem Stress auf der Arbeit flüchten kann. – Anders bei Georg und Nina. Für Georg ist Fußball der wichtigste Lebensbereich. Die Familie ist ein Neben-Spielfeld, wo er fleißig arbeitet, um das Recht zu haben, auf den Haupt-Spielplatz zurückzukehren. Nina dagegen möchte die Familie zum gemeinsamen wichtigsten Spielfeld machen. – Susanne hat sich – ohne es so richtig zu merken – im Laufe der Jahre aus dem gemeinsamen Paradies (Betrieb) entfernt und in ein anderes »Land« begeben. Beide leiden darunter, dass der andere für das eigene Anliegen und Bedürfnis nicht offen ist und es am liebsten übersehen möchte.

Für die Beratung ergeben die Beziehungsgrundsätze 6–10 eine Reihe möglicher Erkundungs-Fragen: Wie hat das Paar sich sein Leben eingerichtet – gibt es genug gemeinsames Terrain? Hat jeder seine eigenen Bereiche? Werden der eigene Bereich, die eigenen Interessen, die eigene Zeit vom Partner respektiert? Hat in der Wohnung des Paares jeder ein – vom Partner und den Kindern unangetastetes – eigenes Revier, ein eigenes Zimmer, zumindest eine eigene Ecke eines Tisches? Hat jeder einen Zufluchtsort, ein Refugium, in das sie oder er sich zurückziehen kann, wenn es einmal nicht so gut geht? Wie fair sind die Aufgaben verteilt? Wie klar sind die gemeinsamen Arbeitsbereiche geregelt – unausgesprochen, abgesprochen? Können die Partner Verantwortung auch wirklich übernehmen oder können sie sie abgeben? Können sie ertragen, dass der andere zeitweilig Chef ist in einem Bereich, der traditionell dem eigenen Geschlecht gehörte? Werden Grenzen respektiert?4 Einen Wohnungsplan zeichnen zu lassen bringt bei bestimmten Fragestellungen allen Beteiligten Erkenntnisgewinn. Bei sexuellen Problemen etwa: Wo schlafen die Eltern, wo Kinder oder Jugendliche? Bei neu zusammengesetzten Familien: Hat jedes Teilsystem einen eigenen Bereich, eigene Zeiten, Rituale, eventuell sogar ein eigenes Badezimmer? Usw. Bei Konflikten mit Herkunftsfamilien bzw. Schwiegereltern oder Verpflichtungen gegenüber alten Eltern: Ist die Paarbeziehung, für beide eindeutig erkennbar, das Hauptterritorium der Partner? An welchen gemeinsamen Zeiten, Tätigkeiten usw. lässt sich das ablesen?

5 Partnerwahl – Geheimaufträge an den anderen

Auch Liebe auf den ersten Blick kommt nicht aus heiterem Himmel. Nicht der Zufall entscheidet, wenn zwei sich finden. Lange zuvor hat jeder in seinem Inneren die Kriterien sortiert, nach denen er oder sie seine Partnerin oder seinen Partner auswählt. Mit dem Scanner dieser Auswahlkriterien ausgestattet, laufen Beziehungskandidaten über den Heiratsmarkt und checken ab, wer zu ihnen passen könnte und wer nicht. Jedes Auswahlkriterium enthält, ohne dass die Partner das wissen, zugleich eine Sehnsucht, einen mehr oder weniger unbewussten Wunsch – einen geheimen Auftrag an den zukünftigen Lebensgefährten.

Auftrag 1: Sei wie ich. Lass mich in dir mich selber finden.

Der Volksmund sagt dazu:

Gleich und Gleich gesellt sich gern.

Menschen sind soziale Wesen. Menschliches Leben ist auf Gegenseitigkeit und Bezogenheit hin angelegt, auf den Austausch von Kontakt, »Streicheleinheiten«, Beachtung, Verständnis und Mitempfinden. Über Bindungen an andere Menschen wächst der kleine Mensch zu erwachsenem Menschsein heran. Von Kindesbeinen an schauen wir uns bei anderen ab, wie wir sein sollen. Wir üben Menschsein in Beziehungen ein. Vor dem Ich ist ein Wir. »Werde wie ich bzw. wie wir« ist eine unausgesprochene Botschaft der Eltern. Bei Mama oder Papa sein, wie Mama oder Papa sein ist das Bestreben des Kleinkindes. Wo wir uns wiedererkennen, fühlen wir uns sicher. Wo wir Gleiches entdecken, fühlen wir uns wohl, in unserer Familie, Sozialschicht, Kultur, Heimat, unserem Land. Wo wir Vertrautes finden, fassen wir Vertrauen. Was wir nicht kennen, lässt uns zurückschrecken. Unvertrautes, Fremdes kann Unsicherheit schaffen, Angst machen. In unbekanntem Terrain, in neuen Situationen suchen wir im Reflex nach einem Bekannten oder nach etwas, das wir kennen.