Keine Hoffnung für Tatiana - Viola Maybach - E-Book

Keine Hoffnung für Tatiana E-Book

Viola Maybach

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Beschreibung

Viola Maybach hat sich mit der reizvollen Serie "Der kleine Fürst" in die Herzen der Leserinnen und Leser geschrieben. Alles beginnt mit einem Schicksalsschlag: Das Fürstenpaar Leopold und Elisabeth von Sternberg kommt bei einem Hubschrauberunglück ums Leben. Ihr einziger Sohn, der 15jährige Christian von Sternberg, den jeder seit frühesten Kinderzeiten "Der kleine Fürst" nennt, wird mit Erreichen der Volljährigkeit die fürstlichen Geschicke übernehmen müssen. "Der kleine Fürst" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken. »Darf ich einen Vorschlag machen, Herr Baron?« Eberhard Hagedorn, seit Jahrzehnten Butler auf Schloss Sternberg und schon lange eine Institution, war an der Tür des Salons aufgetaucht, in dem sich Baron Friedrich von Kant mit seiner Frau, Baronin Sofia, beriet. »Natürlich, Herr Hagedorn«, antwortete der Baron müde. »Kommen Sie herein, bitte. Ich brauche Sie ja nicht aufzufordern, sich zu uns zu setzen, Sie lehnen ohnehin ab.« Eberhard Hagedorn neigte leicht den Kopf, um anzudeuten, dass diese Einschätzung zutreffend war. Er trat zwei Schritte vor. »Mein Vorschlag ist, dass ich zu den Rothenburgs fahre und ihnen sage, wo Tim sich zurzeit befindet. Eine solche Nachricht sollte, denke ich, persönlich überbracht werden, nicht am Telefon. Und da Sie jetzt viele andere Dinge zu regeln haben, könnte ich diese Aufgabe übernehmen, zumal mein Kontakt zu den Rothenburgs in den letzten Wochen ohnehin ziemlich eng geworden ist.« Sofia und Friedrich von Kant sahen beide gleichermaßen überrascht aus. »Auf diese Lösung hätten wir auch selbst kommen können, Fritz!«, rief die Baronin. »Sie haben ja völlig Recht, Herr Hagedorn …« Baron Friedrich hob die Hand, um seine Frau zu unterbrechen. »Würden die Rothenburgs nicht trotzdem erwarten, dass wir uns persönlich bei ihnen melden?«, fragte er. »Ich würde ihnen die Situation erklären«, erwiderte Eberhard Hagedorn ruhig. »Nur müssten Sie mir sagen, wann Sie die Polizei benachrichtigen wollen. Der Herr Kriminalrat wird ohnehin böse sein, wenn er vom genauen zeitlichen Ablauf der Ereignisse erfährt.« »Vielleicht braucht er das ja nicht so genau zu wissen«, murmelte der Baron. »Ich überlege mir noch, wie ich ihm

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Seitenzahl: 114

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Der kleine Fürst – 162 –Keine Hoffnung für Tatiana

… oder wird Alberts Mut am Ende doch belohnt?

Viola Maybach

»Darf ich einen Vorschlag machen, Herr Baron?« Eberhard Hagedorn, seit Jahrzehnten Butler auf Schloss Sternberg und schon lange eine Institution, war an der Tür des Salons aufgetaucht, in dem sich Baron Friedrich von Kant mit seiner Frau, Baronin Sofia, beriet.

»Natürlich, Herr Hagedorn«, antwortete der Baron müde. »Kommen Sie herein, bitte. Ich brauche Sie ja nicht aufzufordern, sich zu uns zu setzen, Sie lehnen ohnehin ab.«

Eberhard Hagedorn neigte leicht den Kopf, um anzudeuten, dass diese Einschätzung zutreffend war. Er trat zwei Schritte vor. »Mein Vorschlag ist, dass ich zu den Rothenburgs fahre und ihnen sage, wo Tim sich zurzeit befindet. Eine solche Nachricht sollte, denke ich, persönlich überbracht werden, nicht am Telefon. Und da Sie jetzt viele andere Dinge zu regeln haben, könnte ich diese Aufgabe übernehmen, zumal mein Kontakt zu den Rothenburgs in den letzten Wochen ohnehin ziemlich eng geworden ist.«

Sofia und Friedrich von Kant sahen beide gleichermaßen überrascht aus. »Auf diese Lösung hätten wir auch selbst kommen können, Fritz!«, rief die Baronin. »Sie haben ja völlig Recht, Herr Hagedorn …«

Baron Friedrich hob die Hand, um seine Frau zu unterbrechen. »Würden die Rothenburgs nicht trotzdem erwarten, dass wir uns persönlich bei ihnen melden?«, fragte er.

»Ich würde ihnen die Situation erklären«, erwiderte Eberhard Hagedorn ruhig. »Nur müssten Sie mir sagen, wann Sie die Polizei benachrichtigen wollen. Der Herr Kriminalrat wird ohnehin böse sein, wenn er vom genauen zeitlichen Ablauf der Ereignisse erfährt.«

»Vielleicht braucht er das ja nicht so genau zu wissen«, murmelte der Baron. »Ich überlege mir noch, wie ich ihm davon erzähle. Auf jeden Fall sollten die Eltern Zeit haben, mit ihrem Sohn zu sprechen, bevor die Polizei eingeschaltet wird.«

»Das bedeutet aber, dass Sie den Herrn Kriminalrat erst in einigen Stunden benachrichtigen können, Herr Baron.«

Friedrich von Kant straffte sich, alle Müdigkeit schien von ihm abzufallen. »Das nehme ich auf mich. Herr Wiedemann soll Sie sofort zu den Rothenburgs fahren, Herr Hagedorn«, sagte er. »Und benachrichtigen Sie uns bitte, sobald sie sich auf den Weg zu ihrem Sohn gemacht haben.«

»Danke für Ihr Vertrauen, Frau Baronin, Herr Baron.« Mit einer leichten Verbeugung verließ der alte Butler den Salon.

»Herr Hagedorn hat Recht, Fritz«, sagte die Baronin leise, als sie allein zurückgeblieben waren. »Wir werden Ärger mit der Polizei bekommen.«

»Ich weiß, aber es lässt sich nicht ändern, oder? Es käme mir den Rothenburgs gegenüber unmenschlich vor, den Kriminalrat bereits jetzt anzurufen.«

Sofia nickte nur und griff nach seiner Hand. Wenige Minuten später sahen sie die große dunkle Limousine vorfahren, am Steuer saß Per Wiedemann, der Chauffeur. Eberhard Hagedorn nahm vorne auf dem Beifahrersitz Platz. In den letzten Wochen hatte er das unzählige Male getan – seit die Polizei ihn aus der Hand von Entführern hatte befreien können, nach langer, quälender Geiselhaft.

»Wenn man bedenkt«, sagte die Baronin leise und versonnen, »dass Tim von Rothenburg einer von Herrn Hagedorns Entführern war...«

Die Geschichte der Entführung des alten Butlers war reich an aberwitzigen Wendungen. Eigentlich hatte ein reicher Industrieller entführt werden sollen, dem Eberhard Hagedorn überaus ähnlich sah. Mit diesem war er verwechselt und in ein Haus in den Vogesen gebracht worden. Dort hatten die Entführer festgestellt, dass sie den Falschen erwischt hatten, waren jedoch schnell darauf gekommen, dass das nicht unbedingt ein Nachteil sein musste.

Drei Leute hatten den Butler bewacht, der ›Boss‹ der Entführer war nur gelegentlich in dem Haus aufgetaucht. Zu seinen Bewachern hatten eine Frau und ein Mann gehört – und ein Junge von siebzehn Jahren, der ihm immer das Essen gebracht und irgendwann angefangen hatte, mit ihm zu reden, obwohl ihm das untersagt worden war. Dieser Junge war Timothy von Rothenburg gewesen, gegenüber Eberhard Hagedorn hatte er sich nur Tim genannt. Sein Gesicht hatte er mit einer Maske bedeckt, aber Eberhard Hagedorn hatte seine Augen sehen können.

Von Anfang an war er überzeugt gewesen, dass Tim nur durch unglückliche Umstände in dieses Verbrechen verwickelt worden war. Erst nach seiner Befreiung hatte er Tims vollen Namen erfahren und dass der Junge als Sechzehnjähriger von zu Hause weggelaufen war. Seine Eltern, Elena und Moritz von Rothenburg, hatten seitdem nichts mehr von ihm gehört. Der Kummer um ihren Jüngsten hatte beide schwer gezeichnet.

»Ja«, erwiderte der Baron auf die Bemerkung seiner Frau, »es ist eine verrückte Geschichte. Herr Hagedorn freundet sich mit einem seiner Entführer an und wird für die Eltern des Jungen einer der wichtigsten Menschen überhaupt, weil er so lange regelmäßig Kontakt zu ihrem Sohn hatte. Neulich sagte er mir, dass er den Rothenburgs eigentlich nichts Neues mehr erzählen kann, aber dass es ihnen nichts ausmacht. Hauptsache, sie können über Tim reden, mit jemandem, der ihn mag und der sich ähnliche Sorgen um ihn macht wie sie.«

Tim hatte sich, kurz bevor die Polizei Eberhard Hagedorn befreien konnte, abgesetzt und war geflohen. Tags zuvor nun hatte er den alten Butler angerufen und um Hilfe gebeten. Eberhard Hagedorn hatte ihn, halb erfroren und abgemagert bis auf die Knochen, im Wald unterhalb des Schlosses in einer Felsenhöhle gefunden und mithilfe seines Auszubildenden Jannik Weber und der jungen Köchin Marie-Luise Falkner in seine Wohnung hinter der Eingangshalle des Schlosses gebracht. Erst danach hatte er Baronin Sofia und Baron Friedrich benachrichtigt.

Sie hatten gelassen reagiert, obwohl landesweit nach dem Jungen gefahndet wurde. Er war in einem erbärmlichen Zustand, zunächst ging es ihrer Ansicht nach also darum, dass er medizinisch versorgt wurde. Der Baron hatte Dr. Walter Brocks angerufen, der Tim an diesem Morgen in seine Klinik hatte bringen lassen, wo seine Infektion behandelt und er aufgepäppelt werden sollte. Noch wussten weder die Rothenburgs noch die Polizei, dass Tim gefunden worden war.

»Nach und nach kommt alles wieder ins Lot«, sagte der Baron. »Das ist jedenfalls mein Eindruck. Dass Tim sich jetzt endlich gemeldet hat, lässt mich hoffen, dass auch dieses letzte Unglück, das uns getroffen hat, bald überstanden sein wird.«

Sofia nickte nur, Tränen traten ihr in die Augen. Zu viel war in letzter Zeit auf die Sternberger eingestürmt. Begonnen hatte das Unglücksjahr mit einem Hubschrauberabsturz: Dabei war das Fürstenpaar von Sternberg, Fürstin Elisabeth und Fürst Leopold, tödlich verunglückt. Elisabeth war Sofias Schwester gewesen, zugleich ihre engste Vertraute. Der Sohn des Fürstenpaares, Prinz Christian von Sternberg, war mit fünfzehn Jahren Vollwaise geworden und lebte seitdem bei den Kants, als ihr drittes Kind. Ohnehin wohnten die Kants schon seit Langem auf Sternberg, ihre Tochter Anna und ihr Sohn Konrad waren für Christian auch vor dem Unglück schon wie Geschwister gewesen.

Christian trug den Beinamen ›der kleine Fürst‹ seit dem Tod seiner Eltern mit noch mehr Stolz als zuvor. Sein Vater und er waren ›der große und der kleine Fürst‹ gewesen, denn Leopold hatte seinen Sohn bereits im Alter von zwei Jahren mit auf Reisen genommen, so stolz war er auf ihn gewesen. Der große Fürst lebte nicht mehr, umso stärker war der Wunsch seines Sohnes geworden, eines Tages sein würdiger Erbe zu sein.

Nachdem die erste Trauer verebbt war und wieder so etwas wie Normalität Einzug gehalten hatte, war ein Brief im Schloss eingetroffen, in dem eine gewisse Corinna Roeder behauptete, ihr Sohn Sebastian, damals siebzehn Jahre alt, sei aus einer Beziehung zwischen ihr und Fürst Leopold erwachsen, als der Fürst jung verheiratet gewesen sei. Fotos von Sebastian Roeder schienen nahezulegen, dass seine Mutter die Wahrheit sagte, sah er dem verstorbenen Fürsten doch ungeheuer ähnlich. Erst nach quälenden Monaten, in denen die Öffentlichkeit sich vom einst verehrten Fürsten abgewandt hatte, war die Wahrheit ans Licht gekommen: Corinna Roeder hatte gelogen, der Vater ihres Sohnes war nicht Fürst Leopold, sondern ein Mann namens Sven Helmgart, der dem Fürsten sehr ähnlich sah. Besonders Christian hatte in dieser Zeit gelitten, in der sein Vater als Lügner und Betrüger angeprangert worden war, aber er hatte sich nicht beirren lassen und weiterhin an Leopold geglaubt.

Im Zuge dieser Aufregungen war Baronin Sofia schwer krank geworden und hatte einen Zusammenbruch erlitten – und kaum war sie wieder halbwegs auf den Beinen gewesen, als Eberhard Hagedorn entführt worden war. Und da schloss sich der Kreis, denn der Anführer der Entführer war niemand anderes als Sven Helmgart, der schon einmal versucht hatte, die Sternberger zu erpressen.

Jetzt fehlte eigentlich nur noch eins, um einen Schlussstrich unter die Unglückszeit ziehen zu können: Die Festnahme Sven Helmgarts. Nur er und Tim waren der Polizei entkommen, die beiden anderen Entführer, Tamara Welke und Horst Böhler, waren bei Eberhard Hagedorns Befreiung festgenommen worden. Seitdem beschuldigten sie sich gegenseitig und brachten Kriminalrat Volkmar Overbeck, der die Ermittlungen im Entführungsfall leitete, zur Verzweiflung.

»Kann denn überhaupt jemals alles wieder ins Lot kommen, Fritz?«, fragte die Baronin leise. »Lisa und Leo sind tot, wir haben während der Zeit der ›Affäre‹ viele sogenannten Freunde verloren, ich bin noch immer angeschlagen, und ob Herr Hagedorn die Zeit seiner Entführung unbeschadet überstanden hat, wissen wir noch längst nicht.«

Er zog ihre Hand an seine Lippen. »Wir müssen uns Zeit lassen, dürfen uns nicht unter Druck setzen«, sagte er ruhig. »Mein Gefühl ist jedenfalls, dass es von jetzt an für uns aufwärts geht.«

Sie mühte sich ein Lächeln ab. »Ich hoffe, du hast Recht. Aber jetzt steht uns erst einmal die Auseinandersetzung mit dem Kriminalrat bevor.«

Friedrich seufzte. »Ja, das wird vermutlich nicht angenehm«, gab er zu. »Aber ich stehe zu meiner Meinung, dass zuerst die Rothenburgs von Tims Heimkehr erfahren müssen und dann erst die Polizei.« Um das Thema zu wechseln fragte er: »Wo sind eigentlich die Kinder?«

»Draußen, mit Togo.« Togo war Christians junger Boxer, ein kluges, verspieltes Tier, das sich am liebsten ständig draußen aufgehalten hätte. Doch es war noch immer bitterkalt, weshalb die Teenager ihre Spaziergänge mit ihm zurzeit gerne abkürzten, umso schnell wie möglich wieder in die behagliche Wärme des Schlosses zurückzukehren.

»Dann warten wir jetzt also auf Herrn Hagedorns Anruf«, sagte der Baron.

Sofia legte ihren Kopf an seine Schulter und nickte.

*

»Herr Hagedorn!«, sagte Elena von Rothenburg. »Ist etwas passiert?«

Noch nie war der alte Butler unangekündigt bei Tims Eltern erschienen, umso größer war ihr Erstaunen, aber zugleich glomm Hoffnung in ihren Augen auf. Sie war dünn geworden seit dem Verschwinden ihres jüngsten Sohnes, und feine Falten hatten sich um Mund und Augen gegraben. Sie trug eine weite Strickjacke, die ein wenig von ihrer Magerkeit überspielte, doch ihr Gesicht sprach eine deutliche Sprache: Die Wangenknochen stachen hervor, die einstmals sanft gerundeten Wangen waren eingefallen, die Augen lagen tief in ihren Höhlen. Sie war einmal eine sehr attraktive Frau gewesen, jetzt sah sie vor allem müde, unglücklich und krank aus.

Ihr Mann tauchte neben ihr auf. Moritz von Rothenburg sah man den Kummer auf den ersten Blick weniger an als seiner Frau, aber bei genauerem Hinsehen fielen die weißen Strähnen in seinen Haaren auf, seine hängenden Schultern, der schleppende Gang. »Herr Hagedorn«, sagte nun auch er. »Gibt es Neuigkeiten?«

»Ja«, antwortete der alte Butler.

»Bitte, kommen Sie herein.«

»Wir sollten uns nicht mehr lange aufhalten«, entgegnete Eberhard Hagedorn. »Tim ist in der Sternberger Klinik von Dr. Brocks.« Rasch erzählte er den Rothenburgs, was sich am vergangenen Tag ereignet hatte und setzte, als er zum Ende gekommen war, hinzu: »Er schämt sich vor Ihnen, deshalb hat er mich angerufen und nicht Sie. Also grämen Sie sich darüber bitte nicht. Aber ich muss Sie warnen: Er sieht … erbärmlich aus. Er hat nicht genug zu essen gehabt in den letzten Wochen, außerdem ist er krank.«

»Können wir …, können wir ihn sehen?«

»Baron von Kant wartet auf meinen Anruf, dass Sie auf dem Weg zu Tim sind. Er will, dass Sie genügend Zeit mit Ihrem Sohn haben, bevor er die Polizei benachrichtigt.«

Elena von Rothenburg schlug beide Hände vors Gesicht und fing bitterlich an zu weinen. Ihr Mann, nicht weniger erschüttert als sie, schloss sie in die Arme. So lange hatten sie auf diesen Tag gewartet und nun, da er gekommen war, verließen sie erst einmal die Kräfte.

Eberhard Hagedorn hatte mit dieser Reaktion gerechnet, und so drängte er sie nicht. Sie brauchten Zeit, das war ihm klar – so, wie er selbst Zeit gebraucht hatte nach seiner Befreiung. Tritt ein Ereignis, dem man lange entgegengefiebert hat, schließlich ein, ist es erst einmal so unwirklich, dass die Freude darüber ausbleibt und sich stattdessen eine seltsame Leere ausbreitet, die man sich selbst nicht erklären kann. Er hatte das erlebt, er konnte sich also vorstellen, wie es in den beiden Menschen ihm gegenüber aussah.

Nach einigen Minuten beruhigte sich Elena von Rothenburg. »Wir sollten uns beeilen, haben Sie gesagt. Die Polizei …«

Eberhard Hagedorn nickte. »Wenn Sie sich gleich auf den Weg machen, sind Sie in einer halben Stunde bei Ihrem Sohn. Ich werde das so an den Herrn Baron weitergeben, wenn Sie gestatten.«

Elena von Rothenburg trat auf ihn zu und umarmte ihn. »Sie sind uns ein guter Freund geworden, Herr Hagedorn. Wir werden Ihnen nie vergessen, was Sie für uns und für Tim getan haben. Und auch dass die Kants uns jetzt diesen Zeitvorsprung gewähren, ist sehr großherzig von ihnen. Bitte, sagen Sie ihnen das, aber wir werden uns auch noch persönlich bedanken.«

»Ich werde es ausrichten, Frau von Rothenburg. Und grüßen Sie Tim, ich werde ihn bald besuchen.«

Sie verließen das Haus gemeinsam. Eberhard Hagedorn wartete, bis die Rothenburgs sich auf den Weg gemacht hatten, bevor er wieder in die Limousine stieg.

»Zurück?«, fragte Per Wiedemann.

»Einen Augenblick noch«, bat Eberhard Hagedorn. »Das … ist mir nahe gegangen jetzt. Ich hoffe nur, sie finden die richtigen Worte, wenn sie mit Tim sprechen.«

»Sie werden schon nicht auf die Idee kommen, dem Jungen Vorwürfe zu machen, wenn Sie, das Opfer, ihm nicht einmal welche macht«, meinte der Chauffeur.