Keine Spaghetti sind auch keine Lösung - Silke Neumayer - E-Book

Keine Spaghetti sind auch keine Lösung E-Book

Silke Neumayer

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Beschreibung

Eine Freundin ist jemand, der alles von dir weiß und dich trotzdem liebt Mia, Poppy, Schröder und Amelie sind seit ihrer Jugend »die Spaghettifreundinnen«. Schließlich gibt es kein Problem auf dieser Welt, das man nicht bei einem Teller Pasta lösen könnte. Leider treffen sie sich nicht mehr so oft, auch weil Amelie mittlerweile in Italien lebt, als erfolgreiche Malerin in einem Castello. Das Leben der Freundinnen ändert sich schlagartig, als sie die Nachricht von Amelies plötzlichem Tod erreicht. Die drei haben eine Woche Zeit, um ihr Erbe anzutreten – das Castello. Als sie in der Toskana ankommen, ist alles anders als gedacht: Das Castello ist eine Ruine, Amelie war völlig verarmt. Und auch zwischen Mia, Poppy und Schröder gibt es mehr Lügen und Geheimnisse als Spaghetti auf einem Teller …

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Keine Spaghetti sind auch keine Lösung

SILKE NEUMAYER ist Drehbuchautorin für Film und Fernsehen und mehrfache Bestsellerautorin. Sie mag Pasta und das Dolce Vita in Italien, und sie weiß, dass gute Freundinnen die Menschen sind, die uns lieben, obwohl sie uns sehr gut kennen. Silke Neumayer lebt alleinerziehend mit ihrer Tochter in München. 

Von Silke Neumayer sind in unserem Hauseaußerdem erschienen: Schmetterlinge im Bauch sind die gefährlichsten Tiere der Welt Das Beste an meinem Ex war ich

Eine Freundin ist jemand, der alles von dir weiß und dich trotzdem liebtMia, Poppy, Schröder und Amelie sind seit ihrer Jugend »die Spaghettifreundinnen«. Schließlich gibt es kein Problem auf dieser Welt, das man nicht bei einem Teller Pasta lösen könnte. Leider treffen sie sich nicht mehr so oft, auch weil Amelie mittlerweile in Italien lebt, als erfolgreiche Malerin in einem Castello. Das Leben der Freundinnen ändert sich schlagartig, als sie die Nachricht von Amelies plötzlichem Tod erreicht. Die drei haben eine Woche Zeit, um ihr Erbe anzutreten – das Castello. Als sie in der Toskana ankommen, ist alles anders als gedacht: Das Castello ist eine Ruine, Amelie war völlig verarmt. Und auch zwischen Mia, Poppy und Schröder gibt es mehr Lügen und Geheimnisse als Spaghetti auf einem Teller …

Silke Neumayer

Keine Spaghetti sind auch keine Lösung

Roman

Ullstein

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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage April 2024 © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2024 Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor. Umschlaggestaltung: Sabine Kwauka, München Titelabbildung: shutterstock / © Alex_Zakharov (Landschaft); shutterstock / © alaver (Mohnblumen); shutterstock / © HannaSymo (Tisch, Stühle); shutterstock / © robuart (Tischdecke); shutterstock / © GAlexS (Esel); shutterstock / © alaver (Autor); shutterstock / © Ducka_house (Spaghetti)Autorinnenfoto: © Susanne JellE-Book Konvertierung powered by pepyrusISBN  978-3-8437-3130-0

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Inhalt

Das Buch

Titelseite

Impressum

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Cover

Titelseite

Inhalt

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»Tut mir wirklich furchtbar leid, Poppy, aber das nächste Woche, also den Freitagabend, also das schaff ich wirklich nicht. Ja, ja, ich weiß, der Termin steht seit einem Monat fest, und ich habe mich ja auch gefreut, euch beide zu sehen, aber … der Elternabend kam einfach so dazwischen – ich kann da nicht wegbleiben … die Zwillinge machen nächstes Jahr Abi, wie du weißt, und wenn ich da nicht hingehe zu dem wohl letzten Elternabend für die beiden überhaupt, dann verpasse ich wahrscheinlich wichtige Informationen, und Stina ist kurz davor, Mathe vollkommen in den Sand zu setzen, und bei null Punkten war es das dann mit ihrem Abi und damit mit ihrem ganzen restlichen Leben, fürchte ich …«

Mia konnte Poppys Enttäuschung über ihre Absage durch das Telefon hindurch fast körperlich spüren. Ein unangenehmes Gefühl machte sich in ihr breit. Irgendwo in ihrer Magengegend schlingerte es.

Der Elternabend war natürlich wirklich superwichtig, und Stina war ganz im Gegensatz zu ihrer Zwillingsschwester Stella tatsächlich – und zu Mias absolutem Verdruss – in Mathe eine ziemliche Null – im Grunde genommen konnte man Stellas mathematische Leistungen schon im Bereich der negativen Zahlen ansiedeln –, aber wahr war eben auch: Der Elternabend war schon am Donnerstag. Eine Lüge war das jetzt aber trotzdem nicht gewesen, nur ein kleines Flunkern, redete sich Mia ein.

Sie hatte einfach nicht die Kraft, Poppy jetzt die Wahrheit zu sagen. Poppy würde sofort vorbeikommen, sich Sorgen machen und nach Ursachen forschen, warum Mia so müde war, so unendlich müde manchmal, dass sie noch nicht mal ihre besten Freundinnen treffen wollte. Poppy würde nicht nachlassen, bis Mia versprechen würde, irgendwelche Tinkturen, Kügelchen oder was auch immer einzuwerfen. Poppy verstand einfach nicht, wie man zu müde sein konnte, um seine besten Freundinnen zu treffen. Sie selbst war dafür nie zu müde – ganz im Gegenteil.

Mia schaltete das Telefon auf Lautsprecher, legte es auf den Küchentisch, nahm das hölzerne Spaghettimaß aus der Schublade und maß exakt die Menge für heute Mittag ab. Poppy warf die Spaghetti immer einfach so rein und schüttelte den Kopf, wenn sie sah, wie Mia selbst aus dem Kochen von Spaghetti eine Wissenschaft machte. Aber Poppy war in vielen Dingen lässig – oft zu lässig, wie Mia fand.

»… ja, du bist die Patentante von Stina«, fuhr Mia jetzt laut sprechend fort, »aber du solltest das nicht locker sehen, sondern dir auch Sorgen machen …«

»Macht Paul sich Sorgen?«, fragte Poppy in einem ziemlich süffisanten Ton nach und traf damit direkt ins Schwarze. Poppys Missbilligung ihrem Mann gegenüber, der wirklich zu viel arbeitete und zu wenig für die Familie da war, konnte Mia förmlich durch das Telefon riechen.

Poppy hielt nicht allzu viel von Mias zugegebenermaßen nicht ganz einfacher Ehe. Aber was wusste Poppy schon von den Spielregeln und Zugeständnissen, die für eine langjährige Ehe nötig waren? Eine langjährige Ehe mit drei Kindern – es gab nicht nur die Zwillinge, sondern auch noch Max, ihren Ältesten. Max studierte Medizin im fünften Semester und war vor einem Jahr von der Vorstadt in eine WG ins Stadtzentrum gezogen. Mia vermisste ihn jeden Tag und musste sich zurückhalten, um ihm nicht jeden zweiten Tag was zu essen vorbeizubringen. Also was wusste Poppy von ständiger Doppel- und Dreifachbelastung? Poppy, die schon stöhnte, wenn sie mal mehr als nur für ihre Katze und sich selbst zuständig war, was äußerst selten vorkam, da Poppys Beziehungen irgendwie nie allzu lange dauerten. Und ihre letzte Beziehung lag jetzt auch schon ewig zurück. Deswegen kümmerte sie sich hauptsächlich um sich selbst, ihren Job und ihre Katze, und deshalb hatte sie auch genug Zeit, um sich – gebeten oder ungebeten, aber jedenfalls manchmal etwas zu viel für Mias Geschmack – um ihre Freundinnen zu kümmern.

»Paul arbeitet viel, wie du weißt, und im Moment hat er einen großen Prozess am Laufen. Du hast bestimmt über diesen Korruptionsfall in der Zeitung gelesen. Da ist er mental beschäftigt, aber natürlich interessiert er sich auch für seine Kinder.«

»Natürlich.«

Mia warf die genau berechneten Spaghetti ins kochende Wasser. Sie waren bei ihrem späten Mittagessen zu dritt, die Zwillinge und sie. Ihr Mann Paul würde sicher erst spät am Abend heimkommen. Sie würde ihm etwas von der Bo­lognese übrig lassen und für ihn dann frische Nudeln dazu machen.

»Du kannst dich ja auch mit Schröder mal einfach nur zu zweit treffen.«

»Schröder kann auch nicht.«

»Schröder kann nie«, stellte Mia fest.

»Schröder kann, wenn du kannst.«

»Das stimmt so nicht. Warum kann Schröder am Freitag nicht?«, hakte Mia nach.

»Irgendein Bauprojekt ist mal wieder im Chaos versunken, und Schröder arbeitet vierundzwanzig Stunden, sonst brechen das Gerüst und die Welt zusammen«, klang es enttäuscht und leicht klagend durchs Telefon. Mia hatte das Gefühl, Poppy würde gleich anfangen zu weinen. Das war etwas, das Mia nicht wirklich ertragen konnte. Und auch nicht ertragen wollte.

»Also ich kann fast immer, nur nächste Woche Freitag nicht«, sagte sie schnell. »Wie wäre es eine Woche später?«

Mia blickte auf den Familienkalender, der mit Magneten am Kühlschrank befestigt war. Ihre Termine waren mit Rotstift eingetragen. Rot war die dominante Farbe in dem Kalender, unterbrochen von ab und an Grün für Paul, Pink für Stina und Lila für Stella. Aber eigentlich war der ganze Monat Juli rot. Rot. Rot. Rot. Und die anderen Monate auch. Nun, wenn man einen Halbtagsjob in einer Steuerberaterkanzlei, pubertierende Zwillinge, einen um die Ecke studierenden Sohn und einen Mann hatte, bestand das Leben eben aus Terminen. Das war etwas, das Poppy nicht wirklich verstehen konnte. Das Leben war nun mal kein Ponyhof.

»Ich sehe gerade, da ist ein Geschäftsessen von Paul, da muss ich mit, da geht es leider auch nicht. Freitag in drei Wochen sieht aber echt gut aus. Wie wäre es damit?«

Aus dem Telefon drang ein tiefer Seufzer.

»Gut. Freitag in drei Wochen. Dann aber bitte wirklich. Ich frage Schröder, ob sie da kann … und mach nicht wieder Sahne in die Bolognese, da gehört Milch rein und keine Sahne.« Mittlerweile klang Poppy nicht mehr ganz so enttäuscht.

»Woher weißt du, dass es Spaghetti bolognese bei mir gibt?«, fragte Mia.

»Es ist Montag. Da kochst du immer Spaghetti. Am ersten Montag des Monats Bolognese, am zweiten Carbonara, am dritten die Tonno-Soße, und am vierten gibt es Penne mit Pesto und so weiter und so fort.«

»Du bist manchmal unheimlich, Poppy, weißt du das?« Mia musste lachen, und das blöde Gefühl wegen ihrer Ausrede wurde dadurch etwas gemildert.

»Du auch.« Poppy lachte laut und herzhaft durch das Telefon, nun wieder versöhnt. »Grüß mir die Zwillinge. Ich liebe alle beide.«

»Weiß ich, und die wissen das auch«, antwortete Mia lächelnd. Sie legte auf, griff zu dem Becher mit Sahne und gab einen guten Schuss davon in die Bolognese.

Poppy hatte einfach keine Ahnung.

2

Das war mal wieder absolut typisch, dachte Poppy, als sie auflegte. Sie saß an ihrem übergroßen Schreibtisch, der aus einem alten abgeschliffenen und dann knallpink lackierten Türblatt auf zwei Böcken bestand, und blickte aus dem Fenster auf ihren kleinen, üppig bepflanzten Altbaubalkon. Jetzt, mitten im Sommer, war er in voller Pracht und Blüte. Poppy hatte einen grünen Daumen, und ein kleiner Garten war ihr bisher unerfüllter Traum. Dafür hatte sie einen Dschungel auf dem Balkon.

Draußen saß wieder diese Meise auf dem Geländer und blickte mit schrägem Kopf neugierig zu Poppy ins Zimmer. Theo, ihr alter schwarz-weißer Kater, der auf einem etwas abgenutzten Pouf in der Ecke Audienz hielt, blinzelte bei dem Anblick des Vogels nur träge. Er war schon viel zu lange auf der Welt, um sich der Illusion hinzugeben, dieser Vogel sei extra für ihn als Jagdbeute eingetroffen.

Poppy seufzte und blickte auf das Papierchaos vor sich. Jede Menge Entwürfe, bunte Figuren auf Papier, stapelten sich oder lagen auf dem Boden verstreut, und noch immer war nichts wirklich Gutes dabei. Und der Abgabetermin für das neue Kinderbuch war in sechs Wochen.

»Pffffff …« Poppy atmete laut und langsam aus, genauso, wie sie es in dem »Bewusster atmen, bewusster leben«-Kurs gelernt hatte, und ließ damit Luft aus ihrer Seele, die nach dem Telefonat mit Mia etwas Überdruck hatte.

Mia tat immer so wahnsinnig beschäftigt. Dabei waren die Zwillinge jetzt wirklich groß genug und mussten nicht mehr rund um die Uhr bemuttert werden. Aber ihre Freundin wollte einfach nicht loslassen. Irgendwie konnte Poppy das sogar verstehen. Mias Ehe hatte ihre Schwierigkeiten, und die Aussicht, irgendwann mit Paul ganz allein in dem Reiheneckhaus zurückzubleiben, während Max und die Zwillinge sich in der Weltgeschichte ohne ihre Mutter vergnügten, löste in Mia wahrscheinlich schwere Panikattacken aus, die sie vergeblich mit noch mehr Bemuttern in den Griff zu bekommen versuchte.

Egal. Das war gerade nicht Poppys Problem. Irgendwann würden die Zwillinge ausfliegen, egal, was Mia anstellte oder meinte. Max hatte es ja auch geschafft, sich von seinen Eltern und vor allem von seiner Mutter weg in eine WG abzusetzen.

Poppy blickte auf die Entwürfe. Der Drache war einfach nicht freundlich genug. Er musste netter aussehen, viel netter. Sein Gesichtsausdruck war viel zu schlecht gelaunt für die lustige Geschichte. So wirkte er eher, als würde er gleich jemanden mit seinem Feuer grillen. Das hatte wahrscheinlich etwas damit zu tun, wie Poppy sich gerade fühlte. Schlecht gelaunt irgendwie. Und irgendwie schaffte es ihre Laune immer wieder, sich ein klein wenig in ihre Entwürfe einzuschleichen. So entstanden leicht deprimierte Feen, frustrierte Einhörner und schlecht gelaunte Drachen. Aber Poppy konnte sich vor der Abgabe dann doch immer genügend zusammenreißen, um aus den deprimierten Feen leicht und luftig schwebende Wesen zu machen, und die Einhörner waren am Ende nicht frustriert, sondern wirklich magische Wesen, die für die Kinder eine ganz neue Welt der Fantasie herbeizauberten. Poppy war eine sehr begehrte Kinderbuchillustratorin. Jobmäßig lief es wirklich gut bei ihr, da konnte sie nicht klagen. Sie hatte zu tun, manchmal mehr, als ihr lieb war, und das war für eine Freiberuflerin in ihrem Bereich eher die Ausnahme als die Regel.

Aber das war ihr Berufsleben. Ganz anders sah es leider mit ihrem Privatleben aus.

Ach, wenn ihr Privatleben sich doch auch so schnell mal eben mit ein paar Pinselstrichen verändern ließe.

Poppy seufzte noch mal auf, während sie den Drachen schlecht gelaunt betrachtete. Mia hatte in diesem Jahr schon dreimal das Treffen der drei Freundinnen, das normalerweise regelmäßig alle sechs bis acht Wochen stattfand, abgesagt. Für Poppy waren diese Treffen wie ein Rettungsanker in einer dunkelgrünen See der Einsamkeit.

Sie hatte in früheren Jahren drei grausame Fehlgeburten gehabt und gefühlt dreißig Fehlbeziehungen. Seit mehr als vier Jahren hatte sie gar nichts mehr in ihrem Leben. Außer Amelie, Mia und Schröder, ihre immer noch besten Freundinnen, dazu Theo, den trägen Kater, und jede Menge Kurse. Volkshochschulkurse, Abendkurse, Morgenkurse – vom Töpfern übers Kochen bis hin zu Salsa. Poppy tat alles, um die Wochenenden nicht ganz allein verbringen zu müssen. Mia hatte überhaupt keine Ahnung, wie es war, wenn es in der Wohnung sehr still wurde – viel zu still für Poppys Geschmack. Poppy liebte eigentlich pures Leben und Chaos um sich herum, das Blöde war nur, dass das Leben zumindest in dieser Hinsicht offensichtlich Poppy nicht liebte. Oder nicht genügend liebte, um ihr reichlich Chaos und knalliges Leben zu schenken. Das war frustrierend. So frustrierend, dass Poppy sich nicht nur mit Kursen zu retten versuchte, sondern auch mit Keksen. Und Kuchen. Und Pasta und Soßen und allem, was lecker und superlecker war. Das Dumme dabei war nur: once on your lips, forever on your hips. Einmal auf den Lippen – für immer auf den Hüften.

Diese Vorliebe für Trost in Form von Kalorien sah man Poppy zu ihrem eigenen Leidwesen mittlerweile an. Und dass sie jetzt auch noch mitten in den Wechseljahren war, machte die Sache nicht wirklich besser. Poppy musste einen Keks nur angucken, um am nächsten Tag ein Kilo mehr zu wiegen. Und dann noch ein Kilo am übernächsten Tag und am darauffolgenden Tag wieder ein Kilo. Einfach nur angucken reichte, Poppy würde das jederzeit unter Eid schwören – auch unter Folter. Sie hatte deutlich mehr als nur ein paar Kilo zu viel, was ihr schmerzlich bewusst war, auch wenn sie nach außen hin immer so tat, als würde sie nach dem Motto »rund, na und?« leben.

Poppy seufzte erneut auf und schob die Entwürfe zur Seite. Im Moment war ihre Stimmung nicht gut genug, um dem Drachen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Zeit für eine Kaffeepause und einen kleinen italienischen Facetime-Plausch mit Amelie, Zeit für einen Cappuccino und einen winzig kleinen Cantuccino dazu.

Amelie, die Vierte im Bunde der Freundinnen, war vor über einem Jahr ziemlich Hals über Kopf in die Toskana ausgewandert. Sie hatte überraschend von einer Großtante ein kleines Vermögen geerbt und daraufhin beschlossen, sich einen lang gehegten Lebenstraum zu erfüllen: ein kleines Castello irgendwo in der Toskana und endlich frei als Künstlerin arbeiten. Amelie war jahrelang in der Personalabteilung eines Versicherungsunternehmens tätig gewesen und hatte schon lange vor der Erbschaft das Gefühl gehabt, langsam, aber sicher unter Exceltabellen und Akten lebendig begraben zu werden. Und da Amelie bewusst kinderlos geblieben war und nach einem viel zu früh verstorbenen Ehemann, wenn überhaupt, zu eher flüchtigen Männerbekanntschaften neigte, stand nach dem Erbe ihrem Traum vom Dolce Vita nichts mehr im Weg. Also mit fliegenden Fahnen ab in die Toskana.

Amelie war wild entschlossen gewesen, alles in Hamburg Knall auf Fall hinter sich zu lassen, und Mia, Schröder und Poppy waren von dieser schnellen Entscheidung etwas vor den Kopf gestoßen gewesen. Vor den Kopf gestoßen und vielleicht auch ein ganz klein wenig neidisch auf Amelie. Nicht zuletzt hatten die Freundinnen befürchtet, selbst auch einfach so Knall auf Fall zurückgelassen zu werden.

Mia fand es übrigens und überhaupt total verantwortungslos und hippiemäßig, einfach so einen festen Job zu kündigen. Schröder als absolute Großstadtpflanze hingegen fand, dass die Toskana zwar wunderschön sei, aber doch mehr für einen Urlaub geeignet als für den Alltag. Und Poppy fürchtete vor allem, eine ihrer Freundinnen für immer zu verlieren.

Natürlich hatten sich die vier geschworen, dass der Kontakt trotzdem nie und nimmer abreißen würde. Wozu gab es Handys, Facetime, Flüge, Autobahnen, den Brennerpass und lange Wochenenden? Früher waren sie doch auch öfter mal gemeinsam in Urlaub gefahren. Und jetzt würden sie einfach alle gemeinsam bei Amelie in der Toskana Urlaub machen. Eigentlich war das doch großartig, oder etwa nicht?

Amelie hatte in Windeseile alles verkauft, was nicht unbedingt nötig war, und war mit einem kleinen geliehenen und bis oben hin vollgepackten Van abgereist. Die drei anderen hatten ihr nachgewunken, und seitdem hatten es die vier nicht mehr geschafft, sich live zu viert zu treffen. Ab und zu, zu Geburtstagen oder Ähnlichem, machten sie gemeinsame Videocalls, und ab und zu telefonierten Mia oder Schröder auch direkt mit Amelie, der es da unten in Bella Italia wohl hervorragend ging.

Nur Poppy und Amelie hatten wirklich regelmäßig Kontakt. Mindestens zweimal in der Woche verabredeten sie sich zu einem »Facetime-Cappuccino«, ratschten und lachten wie früher, auch wenn sie ein paar Hundert Kilometer voneinander getrennt waren. Poppy hatte sogar das Gefühl, dass ihre Freundschaft mit Amelie eher intensiver geworden war, seit diese in der Toskana weilte.

Amelie schickte jede Menge Fotos, das Castello war ein Traum, ein großes Anwesen – die Erbschaft war wohl fetter als gedacht ausgefallen –, es thronte auf einem Hügel über einer Bilderbuchlandschaft. Die Italiener waren bezaubernd, das Essen der Wahnsinn, Wein gab es im Überfluss, und Amelies Bilder verkauften sich zu Poppys Verwunderung wie warme Semmeln – oder vielmehr wie diese leckeren italienischen Nugatpralinen mit dem schönen Namen »Baci« – Kuss.

Amelie hätte nicht glücklicher sein können. Nur blöd, dass die drei Amelie bisher nicht besucht hatten. Irgendwas kam immer dazwischen. Einmal hatten sie tatsächlich fahren wollen, aber kurz vorher hatte sich Stina den Arm gebrochen, weshalb Mia nicht mitkonnte, Poppy hatte einen wichtigen Auftrag reinbekommen, und Schröder hatte sowieso lieber für ein paar Tage in ein Wellnesshotel nach Portugal gewollt, um ihren Rücken in den Griff zu kriegen. Und dann, als die drei ein paar Wochen später endlich bereit für Italien gewesen waren, hatte Amelie wegen eines Treffens mit einer Galerie ausgerechnet in dieser Zeit nach Deutschland gemusst. Es war eben nicht so einfach, vier volle Terminkalender unter einen Hut zu bekommen.

Poppy wählte Amelie über Facetime an. Sie waren für heute zwar nicht fest verabredet, aber Poppy hatte Amelie schon seit über einer Woche nicht erreicht. Vielleicht würde es diesmal klappen. Normalerweise saß Amelie um diese Zeit in ihrem Atelier, das in einem Nebengebäude des Castellos untergebracht war, und malte vor sich hin. Das Handy brummte und vibrierte – aber vergeblich. Mist. Amelie ging nicht dran. Vielleicht war sie auch auf einem ihrer langen Spaziergänge unter den Zypressen der Toskana, oder sie hatte ihr Atelier direkt nach draußen in die wunderbare Natur verlegt, was sie gelegentlich tat. Nun, Poppy würde es später einfach noch mal versuchen. Sie legte auf und wählte stattdessen jetzt Schröders Nummer.

Wahrscheinlich würde Schröder sowieso nicht drangehen – mitten am Tag war sie normalerweise nicht zu sprechen. Dafür war sie viel zu beschäftigt und viel zu wichtig. Poppy war überrascht, als Schröder dann doch schon direkt nach dem ersten Klingeln abhob.

»Wo, verdammt noch mal, sind Sie?«, schnauzte Schröder zu Poppys Überraschung ohne ein Hallo und Guten Tag ins Telefon.

»Ich bin’s, Poppy. Und ich bin zu Hause.«

»Ahh, du … wieso rufst du mich an?«, herrschte Schröder sie immer noch in einem ziemlich ranzigen Ton an.

»Es geht um unser Treffen am Freitag. Wieso gehst du auch ans Telefon? Ich wollte dir auf die Mailbox sprechen.«

»Ich habe nicht aufs Display geschaut, ich dachte, du bist der Architekt, der schon vor einer Viertelstunde hier sein wollte. Was gibt’s?«, fragte Schröder, nicht wirklich um einen freundlicheren Tonfall bemüht.

»Unser Treffen nächste Woche Freitag ist verschoben. Kannst du in drei Wochen?«

»Kommt Mia auch?«

»Sie hat den Termin vorgeschlagen.«

»Ich kann. Bis dann.«

Klick. Schröder hatte einfach aufgelegt. Sie war so genervt, wie nur sie genervt sein konnte.

Poppy hatte die Angewohnheit, an manchen Tagen fünfmal anzurufen. Und das ohne irgendeinen wirklich wichtigen Grund, einfach, um zu quatschen. Über den Vogel, der gerade auf dem Balkon vor Poppys Arbeitszimmer saß. Über Poppys Nachbarin, die überaus gebrechlich war, aber immer noch für Poppy Pakete bis in den dritten Stock schleppte. Über das Wetter, die nicht vorhandenen Männer in Poppys Leben (oder die vielen deutlich jüngeren Männer in Schröders Leben) oder über die Farbe Grün, die Poppy gerade als Hauptfarbe für ihr neues Kinderbuch verwendete. Poppy war einfach so. Sie mäanderte durch Gespräche, durch Tage und durch das Leben. Und trieb damit Schröder ab und an in den Wahnsinn. Schröder liebte klare und direkte Kommunikation. Von A nach B. Ohne Umwege, ohne am Zaun anzuhalten und ein paar Blümchen zu pflücken. Auch keine verbalen Blümchen. Schröder hatte noch nie Sinn für Blumen gehabt. Warum etwas teuer kaufen, was nach spätestens drei Tagen die Köpfe hängen ließ?

Poppy blickte etwas konsterniert auf den Hörer. Egal, wie lange sie Schröder schon kannte, manchmal war sie dann doch von ihrer ruppigen Art etwas irritiert.

Schröder war einfach nicht der Typ Freundin, mit dem man stundenlang am Telefon ratschen konnte. Sie wollte Fakten, kein langes Gelaber. Aber Schröder war auch eine Freundin, die, wenn es wirklich hart auf hart kam, sofort zur Stelle war. Poppy wusste: Wenn Schröder etwas in die Hand nahm, dann war es damit schon so gut wie erledigt. Bei Poppys drei Fehlgeburten hatte Schröder pragmatisch alles mit den Ärzten geregelt und ihr nach der dritten Fehlgeburt still und heimlich einen Gesprächstermin bei einer Therapeutin besorgt, den Poppy damals dankbar angenommen hatte. Wenn Schröder schon selbst nicht gern lang und ausdauernd über alles quakte, so wusste sie doch sehr genau, wann bei anderen dringender Redebedarf bestand. Poppy war sicher, wenn jemals die Welt in der nächsten Sintflut untergehen würde, hätte Schröder schon längst eine Arche für ihre Freundinnen und sich gebaut.

Poppy legte das Telefon auf den Schreibtisch und ging in die Küche, um sich einen Cappuccino zu machen, den sie jetzt eben einfach ohne Amelie trinken würde. Sie hatte für ihre sonst eher etwas bescheidenen Verhältnisse eine richtig gute, echt italienische Kaffeemaschine, und sie fand, dass sich das Teil mehr als bezahlt machte. Schließlich trank sie mehr als drei Tassen am Tag. Wer den ganzen Tag über Entwürfen brütete, brauchte guten Treibstoff.

Die Maschine brummte, und in der ganzen Küche breitete sich der Duft von frischem Kaffee aus. Theo sprang auf den Küchentresen in der Hoffnung, für ihn würde auch etwas abfallen. Poppy griff in die Dose mit den Katzenleckerlis, die direkt neben der Kaffeedose stand, und reichte ihm eins davon. Sie wurde mit Schnurren belohnt.

Plötzlich fiel Poppy siedend heiß ein, dass sie noch gar nicht nach der Post geschaut hatte. Und das mindestens schon seit drei, vier Tagen nicht mehr. Post war etwas, das Poppy in der Hauptsache mit Rechnungen verband. Fette unerwartete Summen, die von ihr gefordert wurden. Zahlbar in spätestens zwei Wochen – oder eigentlich sofort. Normalerweise war nichts, aber auch gar nichts in der Post, was Spaß machte. Und auch wenn Poppy gut im Geschäft war – Illustratorinnen verdienten nicht die Welt, und ihre Wohnung in der Innenstadt war gut gelegen und daher nicht gerade billig. Poppy hasste die Post und die damit verbundenen Rechnungen zutiefst, aber leider war das Nicht-Öffnen der Briefe auch keine Lösung.

Der Cappuccino war fertig, aber er würde sowieso noch zu heiß sein, um ihn gleich zu trinken, also blieb genug Zeit, um sich kurz und schmerzlos den unangenehmen Dingen des Lebens zu stellen.

Poppy schnappte sich den Haustürschlüssel und schlüpfte in ein paar knallpinke Flipflops. Drei Stockwerke Altbau runter zum Briefkasten und wieder hoch – damit hätte sie dann für heute auch gleich Sport gemacht und sich somit ein kleines Petit Four zum nächsten Espresso verdient.

3

Dieser bescheuerte Architekt ließ sich immer noch nicht blicken. Schröder hatte keine Ahnung, was ihn aufhielt, aber sie war schon jetzt so wütend, dass er mindestens seinen Kopf verlieren würde, sollte er endlich hier auf der Baustelle auftauchen. Wenn nicht sogar das ganze Projekt. Schröder überlegte kurz, mit welchem Trick sie den Architekten rauswerfen könnte, ohne dass der daraufhin die Firma verklagen würde.

Sie fluchte laut, deutlich und ganz sicher nicht jugendfrei vor sich hin. Keiner der Bauarbeiter, die geschäftig herumwerkelten, blickte auch nur auf. Sie waren lautes Fluchen von Schröder mehr als gewohnt und froh, wenn sie nicht das direkte Ziel der Verwünschungen waren.

Schröder stand auf der Baustelle für das neue fünfundzwanzigstöckige Bürogebäude, das ihre Firma gerade fertigstellte, und balancierte nebenher als sportlichen Ausgleich elegant mit einem Bein auf einem Stahlträger, der am Boden lag, während sie erneut vergeblich versuchte, den Architekten ans Handy zu bekommen.

Sie trug einen hervorragend sitzenden grauen Anzug, eine perfekt geschnittene weiße Bluse, trotz Baustelle weiße Sneaker (das ließ sie sich nicht nehmen, egal, durch was sie schreiten musste) und den obligatorischen Bauhelm auf dem Kopf. Sie hatte sich schon vor Jahren einen sehr praktischen Kurzhaarschnitt zugelegt, der sich mit einem Bauhelm wunderbar vertrug. Nach ein paar Jahren mit längeren Haaren und dauerzerquetschten Frisuren wegen diesem blöden Helm war Schröder schon seit Langem happy mit ihren kurzen Haaren, die ihr auch ausnehmend gut standen. Dass sie mittlerweile ziemlich grau an den Seiten war, gab der Frisur eigentlich erst den letzten Schliff. Einer der jüngeren Poliere warf einen verstohlenen Blick zu ihr rüber. Schröder bemerkte es durchaus, zog es aber vor, den dazugehörigen Mann komplett zu ignorieren. Nur weil sie ein-, zwei-, nun gut, vielleicht auch dreimal mit dem ziemlich gut aussehenden, gut gebauten und deutlich jüngeren Mann das Bett und auch die Dusche geteilt hatte, hieß das noch lange nicht, dass sie eine Beziehung hatten. Oder dass es irgendwelche emotionalen Ansprüche aufeinander gab. Spaß zu haben war der einzige Anspruch, den Schröder an Beziehungen stellte. Und diesen Spaß hatte man als Frau deutlich eher mit deutlich jüngeren Männern. Schröder hatte viel Spaß mit diesem Beziehungsmodell.

Sie hatte mit vierundzwanzig eine Tochter von einem One-Night-Stand bekommen und Sophie dann völlig allein großgezogen. Der Vater hatte nach der Zeugung weder an Schröder noch an Sophie jemals Interesse gezeigt. Schröder hatte das nicht weiter beeindruckt. Sie hatte gearbeitet wie ein Tier, um sich und ihre Tochter gut allein durchzubringen. Sophie hatte in ihrem Leben mehr Babysitter und Hortplätze besucht, als andere Kinder Kuscheltiere besaßen, und sie war von Schröder verdammt früh in einem Internat untergebracht worden. Abgeschoben, fand Sophie. Gut aufgehoben, fand Schröder. Die beiden hatten deshalb ein eher unterkühltes Verhältnis.

Schröder hatte nach alldem für den Rest ihres Lebens jedenfalls keinerlei Bedarf mehr an einer festen Beziehung mit einem Mann.

Sie spürte immer noch den begehrlichen Blick des jungen Poliers auf sich. Das war wunderbar – warum um alles in der Welt sollte sie so etwas gegen eine langweilige Beziehung austauschen, in der man sich schon am Morgen über die Zahnpastatube stritt?

4

Poppy öffnete ihren Briefkasten, der vor Prospekten und Rechnungen geradezu überquoll. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, hatte sie das Teil wahrscheinlich schon seit über einer Woche mit der gebührenden Verachtung einer Kreativen für Zahlen bestraft. Wie Mia Zahlen so lieben konnte, würde Poppy immer ein Rätsel bleiben.

Sie nahm alle Briefe und Umschläge in die Hand und machte sich langsam an den Aufstieg zurück in den dritten Stock. Wenn man etwas füllig war, war man einfach nicht mehr so leichtfüßig unterwegs, und Poppy kam der dritte Stock manchmal vor wie der Mount Everest. Sie hoffte und betete regelmäßig, dass die Hausverwaltung endlich irgendwann den schon lange versprochenen Aufzug einbauen würde.

Während sie langsam und gemächlich nach oben ging, sortierte sie schon mal die Post vor. Eine Rechnung vom Steuerberater, die war sicher nicht billig, eine Mahnung von den Stadtwerken. Mist, Poppy hätte den Dauerauftrag ändern müssen, das hatte sie wirklich vergessen. Und dann war da ein seltsamer Brief aus Italien. Das konnte nur etwas von Amelie sein. Neugierig öffnete Poppy, die schon fast im zweiten Stock angekommen war, den Brief. Sie überflog den Inhalt. Ihr Italienisch war nicht besonders gut, aber sie hatte immerhin schon mehrere VHS-Kurse »parlare italiano« besucht.

Der Inhalt des Briefs erschloss sich ihr erst vage und dann konkret. Poppy ging vor der ersten Stufe, die in den dritten Stock führte, in die Knie. Sie hielt den Brief in ihren zitternden Händen und brach hemmungslos in Tränen aus. Nein, das waren nicht nur Tränen, das war ein Sturzbach. Poppy krümmte sich zusammen, hier, mitten im Treppenhaus, den Brief immer noch in der Hand.

Sie lag auf dem Boden, die Buchstaben verschwammen, das Schreiben glitt langsam aus ihrer Hand. Poppy schluchzte herzzerreißend auf. Sie hatte das Gefühl, das Treppenhaus, nein, die ganze Welt schaukelte plötzlich wild wie auf hoher See. Ein Sturm war ausgebrochen. Ein Orkan, ein Taifun. Sie brauchte eine Arche.

Poppy griff nach dem Handy in der Tasche ihrer Jogginghose.

SOS.