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Der zweite Band des modernen japanische Klassiker über eine junge Hexe und ihre kluge Katze – nicht nur für Fans des beliebten Studio-Ghibli-Zeichentrickfilms. Es ist nun ein Jahr her, dass Kiki ein neues Leben begonnen hat. Die – nicht mehr ganz so kleine! – Kurierhexe ist mittlerweile eine echte Berühmtheit. Doch diese beispiellose Popularität hat nicht nur Vorteile: Kiki ist mit immer gefährlicheren Aufträgen überfordert, während ihre Freunde Jiji und Tombo ihr immer mehr zu entgleiten scheinen. Als Zweifel in ihrem Kopf aufkeimen, stellt die junge Hexe sogar ihren Lieferservice in Frage … Entschlossen, eine Lösung zu finden, muss Kiki ihren Mut verdoppeln, um sich ihren Ängsten zu stellen. Vielleicht muss sie sich sogar einer ganz neuen Art von Magie zuwenden … KIKI UND DIE NEUE MAGIE ist ein Roman der japanischen Autorin Eiko Kadono und ist illustriert von Yuta Onoda.
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Seitenzahl: 252
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Kapitel 1: Kiki kehrt zurück nach Koriko
Kapitel 2: Kiki liefert ein Flusspferd
Kapitel 3: Kiki liefert eine himmelblaue Tasche
Kapitel 4: Kiki liefert ein Fenster zum Wald
Kapitel 5: Kiki liefert ein Hemd
Kapitel 6: Kiki liefert ein Babyfoto
Kapitel 7: Kiki macht sich schick und führt sich selbst aus
Kapitel 8: Kiki liefert einen schwarzen Brief
Kapitel 9: Kiki liefert einen Apfel
Kapitel 10: Kiki liefert einen Spaziergang
Kapitel 11: Kiki liefert ein Paar rote Schuhe
Kapitel 12: Kiki bringt ein Stadtmädchen in den Wald
Kapitel 13: Kiki befördert Kartoffeln
Kapitel 14: Kiki liefert Sportschuhe
Kapitel 15: Kiki liefert eine Wärmflasche
Kapitel 16: Kiki transportiert Samen
Vor gut vierzehn Jahren wurde in einer kleinen Stadt zwischen tiefen Wäldern und sanften Grashügeln ein Mädchen namens Kiki geboren.
Dieses Mädchen hatte ein kleines Geheimnis. Ihr Vater war ein ganz normaler Mensch, doch ihre Mutter war eine Hexe. Kiki war also zur Hälfte eine Hexe. Im Alter von zehn Jahren beschloss sie, ihr Leben wie ihre Mutter als Hexe zu bestreiten. Doch Kiki beherrschte keine mächtigen Zauber. Sie konnte nur auf einem Besen fliegen. Das bedeutete allerdings nicht, dass sie eine unfähige Hexe war. Mit ihrem schwarzen Kater Jiji hinten auf dem Besen flog sie mühelos die waghalsigsten Loopings und Schrauben.
Jiji war zusammen mit Kiki aufgewachsen, seit er ein neugeborenes Kätzchen gewesen war. Er selbst besaß keine Magie, wenngleich es wohl durchaus magisch war, dass er mit Kiki sprechen konnte.
Kikis Mutter Kokiri konnte auf dem Besen fliegen und Medizin herstellen. Kokiris Mutter wiederum, also Kikis Großmutter, hatte noch viel mehr Zauber beherrscht, wie zum Beispiel einen, der das Essen nie verderben ließ. Wie es schien, wurde die Magie immer schwächer und schwand allmählich aus der Welt. Manche glaubten, es läge daran, dass es dieser Tage keine stockfinsteren Nächte und vollkommene Stille mehr gebe. Irgendwo leuchteten immer Lichter und von irgendwoher kamen immer Geräusche. Das lenke die Hexen so ab, dass sie sich nicht mehr richtig auf ihre Zauber konzentrieren könnten, hieß es. Doch Kikis Vater Okino, der alte Legenden und Volkssagen über Naturgeister und Hexen erforschte, war der Ansicht, es sei gut möglich, dass die verlorene Magie eines Tages zurückkehren würde.
Jede Hexe zog in einer Vollmondnacht ihres dreizehnten Lebensjahres aus, um sich selbstständig zu machen. Dann verließ sie ihr Elternhaus und suchte sich eine Stadt oder ein Dorf ohne Hexe, um dort mithilfe ihrer magischen Kräfte allein zu leben. Dies war eine wichtige Regel, um die Menschen wissen zu lassen, dass Magie immer noch in der Welt existierte. Auch Kiki, die Heldin unserer Geschichte, stand seit genau einem Jahr auf eigenen Füßen. Sie hatte eine große Stadt am Meer namens Koriko entdeckt, wo sie sich niedergelassen und einen Lieferservice eröffnet hatte. Im vergangenen Jahr hatte Kiki viele Erfahrungen gesammelt – traurige, ebenso wie überraschende und aufregende. Sie hatte zahlreiche Lieferungen zugestellt, darunter sowohl Dinge, die man sehen konnte, als auch solche, die für das Auge unsichtbar waren. So hatte sie ihr erstes Jahr als selbstständige Hexe erfolgreich überstanden, bevor sie ihrer Heimat einen Besuch abgestattet hatte.
Gerade waren Kiki und Jiji auf dem Rückweg nach Koriko. Ihr Besen trug sie ruhig durch die Lüfte.
»Sieh mal, Jiji! Da ist Koriko!«
Kiki wies nach vorn. Die Abendröte verblasste bereits und vor dem fliederfarbenen Himmel tauchten die Umrisse von Koriko auf. Das Licht, das als Erstes aufflammte, musste vom Uhrenturm stammen. Sie waren nur für eine kurze Weile fort gewesen, doch bei dem Gedanken an die Straßen, Winkel und Dächer der Stadt und die Gesichter all der Menschen, die sie dort kennengelernt hatten, quoll Kikis Herz vor Sehnsucht fast über.
»Als wir vor einem Jahr hierhergekommen sind, war ich wirklich noch grün hinter den Ohren.«
»Meinst du?«, fragte Jiji von seinem Platz auf den Besenborsten und schnalzte mit der Zunge.
»Was hast du gesagt?«
»Ach, nichts …«, murmelte er. »Habe mich nur gefragt, ob du dich so sehr verändert hast …«
»Du bist so gemein!«
Kiki richtete sich abrupt auf und beschleunigte den Besen.
Die Abendsonne versank jenseits des Ozeans hinter dem Horizont. Am dunklen Himmel zeichnete sich eine Mondsichel ab, so schön geschwungen wie die wohlgeformte Augenbraue einer eleganten Dame.
»Damals war der Mond voll und rund, weißt du noch? Heute Nacht ist er nur eine schmale Sichel.«
»Sieht irgendwie aus wie ein Geist«, sagte Jiji.
Kiki neigte die Spitze des Besenstiels hinab und ließ den Besen langsam sinken. Hier draußen, außerhalb der Stadt, war es schon stockfinster und die Reihen dicht belaubter Bäume erinnerten sie an pechschwarze Gespenster.
»Au, aua!«, schrie Kiki plötzlich auf. Irgendetwas hatte ihren Fuß getroffen.
»Hui!« Jiji zog den Kopf ein. »Da ist was an meinem Gesicht vorbeigezischt!«
»Wie das brennt! Was war das?«
Kiki machte flugs eine Kehrtwendung. Ein weißes, verschwommenes Etwas schaukelte im Wipfel eines besonders hohen Baumes weit nach links und rechts. Da flog wieder etwas mit lautem Zischen auf sie zu.
»Autsch!«
Unwillkürlich riss Kiki schützend die Hände vors Gesicht. Zu ihrem Pech fiel dadurch der Besen schlagartig in die Tiefe. In ihrem Gepäck klingelte aufgeregt das Glöckchen, das sie ihrem Freund Tombo mitgebracht hatte.
»Miaaah!«, hörte sie Jiji ängstlich schreien.
Fieberhaft versuchte sie, den Besenstiel wieder zu packen. Doch sie bekam ihn nicht zu fassen. Kopfüber stürzten sie hinab.
»Da! Halt dich an den Zweigen fest!«, schrie Jiji, der sich nur noch an ihrem Kleid festkrallte. Kiki streckte aufs Geratewohl ihre Hände aus und griff nach dem erstbesten Ast. Unter ihrem Gewicht schwang der Ast hin und her wie ein Trapez im Zirkus.
»Ich hab’s geschafft! Juchhu!«, rief eine Stimme von weiter oben. Über ihr saß ein kleiner Junge in einem weißen Pyjama wie sie auf einem ebenso wippenden Ast und sah zu ihr herunter.
»Ich habe sie erwischt, Schwesterchen!«, rief er wieder laut.
Unter ihnen leuchtete ein schwaches Licht auf, als sich an dem Häuschen, das sich an den Baum zu schmiegen schien, eine Tür öffnete und ein Mädchen herausgelaufen kam.
»Sitzt du schon wieder da oben?«, rief sie. »Du sollst das doch lassen!«
»Da hängen eine große und eine kleine Fledermaus im Baum, guck mal!«
Fledermaus?, fragte sich Kiki. Als sie sich verwundert umschaute, traf ihr Blick den des Mädchens, das gerade zu ihnen heraufsah.
Das Mädchen fuhr erschrocken zusammen und erstarrte. Sie musste etwa im gleichen Alter wie Kiki sein.
»Guten Abend!«, grüßte Kiki sie etwas hilflos. »Wir hängen zwar im Baum, aber wir sind keine Fledermäuse.«
Das Mädchen nickte verständnisvoll.
»Du lügst! Ihr seid Fledermäuse, ihr habt euch nur verwandelt! So pechschwarz, wie ihr seid!«, krähte der Junge den Baum hinunter.
»Oh, bitte sei still!«, rief Kiki zurück.
Da brach ihr Ast mit einem Knacken. Im nächsten Augenblick wurden Kiki und Jiji zu Boden geschleudert. Kiki landete mit einem stechenden Schmerz auf dem Hintern. Neben ihr streckte sich Jiji mit weit geöffneten Augen.
»Jiji, Jiji!«
Hastig nahm Kiki ihn in ihre Arme und glättete seine Schnurrhaare. Jiji stieß einen tiefen Seufzer aus.
»Alles in Ordnung mit euch?« Das Mädchen beäugte sie bange.
»Ja, geht schon.« Kiki stand auf und rieb sich die schmerzende Hüfte. »Ich …«
»Ich weiß schon! Du musst die Hexe sein, über die in der Stadt alle reden.«
Als Kiki nickte, strahlte das Mädchen sie an.
»Jemand aus der Stadt hat mir von dir erzählt. Du hast einen Lieferservice, nicht wahr? Und du sollst richtig toll fliegen können.« Dann musterte sie Kiki, die über und über mit Erde und Staub bedeckt war, und zog eine Grimasse. »Aber du bist doch gerade abgestürzt, oder?«
»Sieht ganz so aus, hm?«, entgegnete Kiki verschnupft und klopfte sich den Staub ab.
»Ich hab voll ins Schwarze getroffen. Toll, oder?«, rief der Junge wieder von oben. Das Mädchen zuckte zusammen.
»Yah, klettere nicht so weit hinauf! Bitte pass auf, beweg dich nicht!«
»Das ist babyleicht!« Prahlerisch griff er nach einem noch höheren Zweig. »Ich komme dem Mond immer näher!«
Singend hob er beide Hände empor und schaukelte absichtlich auf seinem Ast. Da erhaschte Kiki einen Blick auf eine Gummizwille in seiner Hand. Knarrend wiegte sich der Ast vor und zurück, hin und her.
»Oh nein, der Ast bricht jeden Augenblick! Er wird noch herunterfallen!«
»Warte kurz. Ich bin doch eine Lieferhexe. Also werde ich dir erst mal diesen frechen Lümmel liefern«, sagte Kiki kichernd und fügte hinzu: »Hier kann ich nur nicht so toll fliegen …«, wobei sie auf den Besen stieg und sich schwungvoll vom Boden abstieß. Im Nu war sie zur Baumspitze aufgestiegen und packte den herumhampelnden Jungen an der Pyjamahose.
»Nicht, lass das!« Er strampelte mit den Beinen. »Schwesterchen, die Fledermaus will mich fressen!«
»Ich sagte doch schon, ich bin keine Fledermaus!«, beteuerte Kiki, während sie sanft wie ein Blatt mit ihm zu Boden schwebte.
»Aber du bist ganz schwarz angezogen. Mach den Mond sofort wieder so schön rund wie vorher!«
»Den Mond? Ich soll den Mond zurückverwandeln? Er redet lauter wirres Zeug«, sagte Kiki an das Mädchen gewandt.
»Entschuldige«, erwiderte das Mädchen und zog beschämt den Kopf ein. »Yah ist mein kleiner Bruder. Er liebt den Mond, vor allem den Vollmond … Nur manchmal nimmt der Mond eben auch ab und verschwindet fast. Dann fragt er mich in einem fort, warum denn der Mond fort ist. Es ist so anstrengend. Gestern hat er zum Himmel hochgesehen und fast geweint, weil der Mond so dünn geworden ist. Da ist mir so rausgerutscht, dass er nur von einer großen schwarzen Fledermaus verdeckt wird.«
»Deswegen hat er uns also mit Steinchen beschossen.« Kiki rieb sich das blutende Bein.
Jiji stellte knurrend den Schwanz auf.
»Ach du meine Güte, dein armer Schwanz ist ja ganz verbogen!«
Das Mädchen bückte sich und strich bedauernd über Jijis Schwanz.
»He du, rück den Mond raus!«, rief Yah und zerrte mit aller Kraft an Kikis Kleid.
»Siehst du, jetzt fängt er schon wieder an«, sagte das Mädchen achselzuckend. »Unsere Eltern arbeiten außerhalb und ich versuche ihm als ältere Schwester alles vernünftig zu erklären. Mit den Pflanzen und Blumen hier kenne ich mich noch ganz gut aus, aber doch nicht mit dem Himmel, der so fern und groß ist. Und unsere Oma, die manchmal zu Besuch kommt, hat ihm auch noch erzählt, der Mond sei aus Käse und die Mäuse hätten ihn aufgefressen. Da meinte Yah zu ihr, Mäuse könnten nicht so hoch fliegen. So etwas weiß er dann wieder …«
»Weißt du«, sagte Kiki zu dem Jungen, »ich habe gehört, dass der Mond manchmal verschwindet, weil er hinter einem Berg im Himmel einen Spaziergang macht.«
»Hmm.« Nachdenklich blickte Yah zum Himmel empor.
»Hör mal, soll ich schwarzes Fledermausmädchen in den Himmel fliegen und dem Mond Bescheid geben, sich wieder zurückzuverwandeln, weil du auf ihn wartest?«
»Wirklich? Du würdest das für mich mit dem Mond abmachen?«
»Klar! Und um die Abmachung zu besiegeln, überbringe ich dem Mond einen Handschlag von dir.«
»Ui, das ist toll!«
»Dann schlag ein«, sagte Kiki und hielt dem Jungen die Hand hin.
»Sag ihm, dass er schnell wieder schön rund werden soll.«
»Das werde ich.«
»Vielen Dank, liebe Hexe. Du bist unsere Rettung. Wie klug du bist!« Das Mädchen lächelte sie erleichtert an.
»Dann mach ich mich mal auf den Weg.«
Kiki setzte sich auf den Besen. Sobald Jiji auf seinen Platz hinter ihr gesprungen war, erhoben sie sich auch schon in die Lüfte. In Windeseile erreichten sie die Baumwipfel.
»Auf Wiedersehen!«
Kiki richtete den Besenstiel zum Himmel und ging in Stellung. Da hörte sie von unten den Jungen schrill rufen: »He du, fliegendes Mädchen! Du hast gesagt, du willst dem Mond einen Handschlag überbringen, aber hat der Mond überhaupt Hände?«
»Hmm, ich werd sie einfach suchen!«, rief Kiki zurück.
»Falls du keine findest, schüttle einfach seinen dünnen Schwanz.«
»Ach, das ist ein Schwanz?«
Kiki sah zur dünnen Mondsichel auf. Wieder rief ihr Yah von unten etwas zu.
»Deine Katze hat’s gut, die hat auch einen Schwanz! Und der schwingt hin und her! Sag mal, warum haben Katzen Schwänze und ich nicht?«
»Tja, gute Frage …«, sagte Kiki nachdenklich und hielt ihren Besen an. »Oh, bestimmt brauchen Katzen den zum Herumschleichen!«
»Yah, nun lass sie doch. Na los, rein mit dir und ab ins Bett.«
Das Mädchen zog Yah an der Hand ins Haus.
»Also dann, auf Wiedersehen!«
Kichernd wandte sich Kiki wieder zum Mond und stieg schnell auf.
»Dann wollen wir doch mal dem Mond die Hand schütteln.« Kiki streckte ihre Hand nach der leuchtenden Sichel weit oben am dunklen Himmel aus. »Na los, schlag ein, lieber Mond!«, rief sie, während sie schnell emporsauste. Als sie eine Höhe erreicht hatte, in der die Luft merklich kälter wurde, winkte sie zweimal kräftig mit ihrer Hand. »Gut! Damit habe ich Yahs Handschlag überbracht«, verkündete sie und ging langsam in den Sinkflug über.
»Du, Kiki?«, sagte Jiji hinter ihr ernst. »Findest du es gut, kleine Kinder so anzulügen? Du kannst ihn doch gar nicht wirklich überbringen …«
»Aber wie kannst du überhaupt wissen, ob es eine Lüge war?«
»Na, du kannst den Mond doch nicht erreichen!«
»Also ich glaube, dass unsere Wünsche zu ihm auffliegen …«
»Die Hand konntest du ihm dann doch nicht schütteln.«
»Egal was du sagst, manchmal können kleine Notlügen auch helfen«, erklärte Kiki. Als Jiji etwas erwidern wollte, sagte sie: »Na komm, lass uns zu Osono fliegen.«
»Da fällt mir ein, warum wird es nachts eigentlich dunkel, Kiki?«, äffte Jiji den Jungen nach. »Sag doch mal, warum ist das so?«
»Du bist mir vielleicht eine Quatschkatze! Es wird natürlich dunkel, weil der Himmel seine Äuglein zumacht.«
»Hmm«, brummte Jiji, »hat der Himmel Äuglein?«
Mit schmalen Augen sah er zum Himmel hinauf. Als Kiki seinem Blick folgte, schien die sanft geschwungene Mondsichel ihr einmal zuzuzwinkern und ihr entfuhr ein kleiner Nieser.
»Na so was, bist du es, Kiki?«, sagte Osono, die mit ihrem runden Körper zur Tür wogte, um Kiki zu öffnen. Dann fügte sie leiser hinzu: »Du bist also tatsächlich zurückgekommen!«
»Ja, ich wollte mich selbst wieder nach Koriko zurückbringen«, antwortete Kiki.
»Ach, das freut mich aber!«
Osono ergriff Kikis Hand und zog sie mit den Worten »Na, immer herein in die gute Stube!« ins Haus.
Drinnen duftete es wie immer nach frischem Brot.
»Oho, willkommen zurück! Wir haben dich vermisst«, sagte Osonos Mann, der gerade auf dem Tisch mit Elan einen Brotteig für den nächsten Morgen knetete.
Auf Tellern türmten sich bereits die Brötchen mit süßer Bohnen- und Zitronenfüllung, die Kiki so gern mochte.
»Geht es eurer Kleinen gut?«, erkundigte sich Kiki.
»Sie ist gerade eingeschlafen. Deswegen können wir jetzt etwas durchatmen«, erklärte Osono und wies zum Obergeschoss. »Und so klein ist sie gar nicht mehr. Inzwischen hat sie sogar schon Laufen gelernt. Nie kann man sie nie aus den Augen lassen, weil sie ständig Unfug treibt.« Während Osono sprach, blieb ihr Blick an Kiki haften. »Aber sag mal, Kiki, wie siehst du denn aus? Du hast Schmutz an der Wange … Blätter in den Haaren … und du meine Güte, was ist denn mit Jijis Schwanz passiert? Der hat ja einen richtigen Knick!«
»Ä… Äh, richtig. Hast du vielleicht ein Pflaster für mich? Guck mal.«
Kiki hob den Saum ihres Kleides hoch.
»Ojemine, du blutest ja!«
»Ein freches Kind im Baum hat uns mit einer Zwille abgeschossen. Mitten im Wald …«
»Ein freches Kind, sagst du?« Osonos Blick schnellte zum oberen Stockwerk.
»Oh, keine Sorge, es war ein anderes Kind.«
Kiki musste lachen. Osono stieß einen theatralischen Seufzer der Erleichterung aus und holte den Arzneikasten aus dem Regal.
»Deine Wunde kann ich desinfizieren und behandeln, aber Jijis Schwanz zu richten wird schwieriger. Ich kann ihn wohl kaum einfach glatt bügeln … Vielleicht wird er wieder gerade, wenn Jiji ihn zum Schlafen unter sein Kissen legt? Ich gebe euch für heute Nacht mal das schwere Kissen meines Mannes.« Geschäftig öffnete Osono den Arzneikasten. Jiji betrachtete voller Kummer seinen Schwanz.
»Das war ja wirklich eine abenteuerliche Rückreise«, sagte Osono. »Aber das passt irgendwie zu dir, Kiki.«
»Stimmt. Ich glaube, es wird ein aufregendes zweites Jahr werden«, entgegnete Kiki mit einem verschmitzten Grinsen.
Rrring, rrring, klingelte das Telefon.
»Mama, geh du bitte ran«, murrte Kiki tief vergraben unter ihrer Decke.
»He, was glaubst du, wo du hier bist! Deine Mama ist nicht hier!«
Jiji zupfte mit seinen Krallen am Saum der Decke.
Rrring, rrring, ertönte wieder das Klingeln des Telefons.
Kiki steckte das Gesicht hervor und schüttelte verdutzt den Kopf.
»Nanu, wo bin ich?«, murmelte sie noch ganz verschlafen, eilte die Treppe hinunter und nahm den Hörer ab.
»Hallo …? Genau. Ja, ich bin die Hexe, die … Wie bitte? Der Schwanz?«, platzte es jäh laut aus Kiki heraus.
Jiji, der an ihre Seite getapst war, zuckte mit den Ohren und fuhr herum, um seinen Schwanz zu begutachten, den er sich am Vortag ganz zerknickt hatte. Nachdem er über Nacht unter dem geborgten Kissen von Osonos Mann gelegen hatte, befand sich nun kein scharfer Knick mehr darin, sondern nur noch ein Bogen. Erleichtert atmete er auf.
»Natürlich, ich komme sofort«, sagte Kiki mit einem Mal voller Tatendrang und legte auf.
»Von wessen Schwanz war da die Rede?«
»Von einem Flusspferdschwanz. Der Zoo hat einen Auftrag für mich.«
»Sollst du ihm etwa einen Schwanz liefern?«
»Tja, wer weiß! Das erfahre ich erst dort. Willst du mitkommen?«
»Na klar!«, rief Jiji und sprang auf.
Der städtische Zoo von Koriko lag auf einem Hügel auf der anderen Seite des großen Flusses. Kleine Gebäude in den verschiedensten Formen reihten sich dort aneinander und auf jedem der Dächer stand eine Skulptur des Tieres, das dort lebte. Sobald Kiki die Flusspferdfigur entdeckt hatte, ging sie zur Landung über. Vor dem Häuschen befand sich ein Wasserbecken, an dessen Rand eine Frau hockte und ins Wasser starrte. Als sie Kiki bemerkte, blickte sie auf.
»Oh, du musst die Hexe sein! Ich habe dich schon erwartet. Komm her und sieh dir das an!«
Die Frau zog Kiki halb zum Becken und zeigte ins Wasser. Nur die Nasen, Augen und Ohren eines großen und eines kleinen Flusspferds schauten wie Trittsteine aus der Wasseroberfläche heraus.
»Sie sind schon den ganzen Morgen nicht herausgekommen, der kleine Marco und seine Mutter. Ach entschuldige, ich bin ihre Tierpflegerin Mama und ja, das ist mein richtiger Name. Bitte lach nicht«, bat Mama und stand auf. Sie als kugelrund zu bezeichnen war zwar gemein, doch sie erinnerte Kiki etwas an die Flusspferdmama. Mama stieß Kiki sacht mit dem Ellbogen an und flüsterte: »Siehst du nebenan den murmel, murmel?«
»Was ist nebenan?«, fragte Kiki laut nach.
»Psst!«, zischte Mama und wisperte noch leiser in Kikis Ohr: »Was macht der Löwe nebenan? Starr ihn nicht an, aber sieh mal rüber.«
Kiki machte ein verwundertes Gesicht.
Soll ich nun hingucken oder nicht? Sie macht es aber kompliziert …, dachte Kiki.
Wie beiläufig ließ sie den Blick zum benachbarten Käfig schweifen. Prompt schlug der scheinbar schlafende Löwe die Augen auf und ihre Blicke trafen sich.
»Er sieht zu uns herüber«, flüsterte Kiki in Mamas Ohr.
»Dann macht er sich also auch Sorgen. Selbst er … Folge mir.«
Mama führte Kiki an der Hand hinter das Gebäude.
»Weißt du, der Löwe hat nämlich Marcos Schwanz gefressen.«
»Wirklich? Aber es ist doch erst ein kleiner Löwe.«
»Das mag schon sein, nur hat er gerade neue Zähne bekommen und das juckt ihn. Wenn dann so ein Flusspferd mit dem Schwanz vor seiner Nase herumwackelt, würde das jeden Löwen reizen. Vielleicht hätten wir ihn zur Ablenkung hin und wieder mal nach Herzenslust herumtollen lassen sollen. Jedenfalls hing dann einmal Marcos Schwänzchen durch das Gitter … und da hat der Löwe zugeschnappt.«
»Auweia, das tat bestimmt weh!«, rief Kiki und Jiji schüttelte sich mitfühlend.
»Ja, ich denke, das war ziemlich schmerzhaft. Aber ich habe seine Wunde gut versorgt, Schmerzen sollte er also keine mehr haben. Daher könnte Marco allmählich auch mal aufhören, um seinen Schwanz zu trauern. Bloß wie du siehst, schmollt er noch immer.«
Mama wischte sich mit der Hand den Schweiß vom Nasenrücken.
»Aber so ein Schwanz ist ja auch wichtig.«
»Sieht ganz so aus. Dabei ist er ohnehin nur so winzig. Wahrscheinlich hat Marco seinen eigenen Schwanz vorher auch nie gesehen. Sein riesiger Hintern ist im Weg. Doch seit Marco bemerkt hat, dass er weg ist, hat er sich beleidigt zurückgezogen. Selbst seine Mutter Tarco ist schon ganz niedergeschlagen und kommt nicht mehr aus dem Wasser. Und das ist gar nicht gut, weil sie nun auch beide aufgehört haben zu fressen.«
»Verstehe«, sagte Kiki.
Staunend musterte sie Marco und wandte sich dann an Jiji, der mit besorgter Miene um ihre Füße strich: »Sind Schwänze wirklich so eine große Sache?« Jiji stellte wortlos seinen Schwanz auf. Im Wasserbecken wackelten Marco und Tarco mit den Ohren, als würden sie dem Gespräch lauschen.
»Ich habe ihm gesagt, es sei ja nur ein Schwanz. Dass er nicht so eitel sein soll wegen etwas, das er nicht sieht. Und dass er nicht so ein Aufheben darum machen muss, wenn er doch nicht mal rankommt. Allerdings ist es wohl nicht so einfach …«, sagte Mama, bevor sie sich umdrehte und mit sanfter Stimme an Marco wandte: »Nur keine Sorge. Jetzt ist die Hexe hier.«
»Jetzt bringen Sie mich vielleicht in Verlegenheit. Ich bin zwar eine Hexe, aber einen Schwanz kann ich nicht nachwachsen lassen.«
Mama nickte leicht.
»Nun, du bist doch aber eine Kurierin, oder? Du beförderst Dinge, stimmt’s?«
»Sie meinen ja wohl nicht …?«
»Doch, genau das. Ich möchte, dass du Marco transportierst.«
Sprachlos starrte Kiki sie mit offenem Mund an.
»Und das so schnell wie möglich.«
Nun schnappte Kiki nach Luft.
»Wie soll ich etwas so Schweres befördern?«
»Ich habe gehört, dass du alles, sogar unsichtbare Dinge, schneller ans Ziel bringst als sonst jemand. Da dachte ich, es gebe keine Grenzen bei Größe und Gewicht.« Mama sah Kiki eindringlich an. »Liebe Hexe, ich meine das vollkommen ernst. Ich habe mich überall umgehört und dabei herausgefunden, dass es nicht nur der Schock über den Verlust seines Schwanzes ist, der Marco plagt. Er ist wirklich krank. Laut dem Arzt leidet er an einem Schwerpunktdefizitsyndrom von Körper und Geist, verursacht durch den Verlust seines Schwanzes.«
»Solch eine Krankheit gibt es?«
»Anscheinend schon. Wenn sie sich verschlimmert, weiß der Erkrankte irgendwann nicht mehr, wer er ist. Deswegen musst du ihn bitte geschwind zum Arzt bringen.«
»Lassen Sie den Arzt doch hierherkommen. Wäre das nicht viel einfacher?«
»Na ja, das ist so … Der Einzige in der näheren Umgebung, der diese merkwürdige Krankheit erforscht, ist ein Tierarzt aus der Stadt Iina. Und selbst das ist zweihundert Kilometer weit weg. Trotzdem habe ich ihn mal angerufen. Und dann hat mir der Arzt – Doktor Ishi heißt er – erzählt, dass sie auch dort gerade alle Hände voll zu tun haben. Wie es scheint, haben sie ein paar Probleme. Aber dann sagte er, dass in unserer Stadt doch eine Hexe einen Lieferservice betreibt und er sich den Kleinen mal ansehen würde, wenn sie ihn zu ihm bringt. Er hat mir eingeschärft, Marco nicht in einem Lastwagen oder mit dem Zug zu transportieren. Aus irgendeinem Grund hat er ausdrücklich nach dir verlangt, liebe Hexe.«
»Das ist ja alles schön und gut …«, murmelte Kiki unschlüssig.
»Es tut mir leid, aber die Zeit drängt. Wenn Marco und Tarco weiter im Wasser bleiben, ist das nicht gut für die Bisswunde und auf ihren Körpern könnte sich sogar Schimmel bilden. Schimmelpilze sind gefährlich. Die könnten sogar in den Körper eindringen!«
Je mehr Kiki hörte, desto heißer wurde ihr. Was soll ich nur tun? Was soll ich nur tun? Unaufhörlich kreiste dieser Gedanke in ihrem Kopf. Sie sah Marco im Becken an. Seine Augen, die aus dem Wasser lugten, blinzelten sie ängstlich an. Von einem Schwerpunktdefizitsyndrom hörte sie zum ersten Mal, doch es klang nach einer äußerst besorgniserregenden Krankheit, die nicht auf die leichte Schulter genommen werden durfte.
Immer mehr Leute versammelten sich neugierig am Flusspferdgehege und wunderten sich, was die Hexe Kiki mit dem Besen und ihrem schwarzen Kater dort mit der Tierpflegerin besprach.
»Heda, Hexe, wirst du nun auf einem Flusspferd fliegen?«, rief ihr jemand zu.
Kiki wurde nur noch nervöser.
»Es ist zwar nur ein Junges, aber trotzdem schwer«, bemerkte Kiki beklommen.
»Ja, seine hundert Kilo wird er wohl wiegen«, stimmte Mama ihr zu.
»Was, hundert Kilo …?«
Kiki erschauderte und betrachtete ihren Besen. Der Stiel war nicht dicker, als sie mit Daumen und Zeigefinger umfassen konnte.
Aber nicht der Besen lässt mich fliegen. Ich kann fliegen, weil ich eine Hexe bin, versuchte Kiki sich an ihre eigene Stärke zu erinnern. Um sich selbst zu ermutigen, ballte sie die Fäuste.
»Marco, Marco«, rief Mama dem Flusspferdjungen vom Rand des Beckens zu. »Dieses nette Fräulein wird dich zum Arzt bringen, damit dein Aua geheilt werden kann.«
Da geriet das Wasser in Bewegung und kleine Wellen breiteten sich aus.
»M… Moment mal, nicht so schnell!«, rief Kiki bestürzt und eilte an Mamas Seite.
Doch diese hielt sie mit erhobener Hand zurück und sagte: »Psst, Marco hat sich endlich in Bewegung gesetzt.«
Marco schwankte auf das Ufer zu. Sein Körper neigte sich und sein riesiges Hinterteil wackelte hin und her. Offenbar existierte das Schwerpunktdefizitsyndrom wirklich. Mitten auf seinem Hintern klebte ein großes Pflaster. Als die Leute das sahen, brachen sie in schallendes Gelächter aus.
»Mach dir nichts draus, Marco. Du willst doch schnell wieder gesund werden, oder? Gut so, braver Junge.« Mama tätschelte Marco den Rücken und sah Kiki an. »Wie wirst du ihn transportieren, liebe Hexe? Du kannst ihn wohl kaum einfach auf den Arm nehmen.«
»Wird er denn nicht herumzappeln?«
»Na ja … manchmal ist er schon ein wenig übermütig …«, gab Mama zögerlich zu. Da blieb ihr Blick an dem Radio an Kikis Besen hängen. »Ich habe eine Idee! Vielleicht könntest du ihm Musik vorspielen. Es heißt, Tiere mögen schöne Klänge.«
Kiki drehte mit einem Klicken den Knopf am Radio, bis ein ruhiges Lied ertönte. Marco wackelte zwar lustig mit den Ohren, blieb aber ruhig stehen. Auch Tarco, die ebenfalls aus dem Wasser gekommen war, hielt inne. Im Nachbargehege drückte der Löwe sein Gesicht gegen das Gitter und beobachtete die ganze Szene, als fühlte er sich schuldig.
Kiki sah sich um und fragte: »Haben Sie vielleicht so etwas wie eine große Hängematte?«
»Da habe ich genau das Richtige. Wir haben eine benutzt, als unsere Giraffe Kiriko sich ein Bein verstaucht hat. Warte hier!«
Mama schlüpfte durch die Umzäunung aus dem Gehege und kam bald darauf tatsächlich mit einer Hängematte wieder, die sie auf dem Boden ausbreitete.
»Komm, leg dich darauf, Marco. Zum Glück bist du noch ein Baby«, sagte sie.
Marco stapfte schwankend auf die Hängematte, wo er sich auf die Seite fallen ließ und herzhaft gähnte.
»Guckt euch das an, was für ein schlaues Kerlchen!«, rief einer der Zuschauer.
Mama schlug erleichtert die Hände zusammen.
»Sehr gut! Nun solltest du das Radio am besten ausschalten und ganz leise sein.«
Kiki tat wie geheißen und schaltete das Radio ab. Dann führte sie den Besenstiel durch die Enden der Hängematte.
»Ob der Besen ihn trägt?« Besorgt stieg Kiki auf.
»Oh, warte kurz!«, rief Mama.
Sie griff sich einen Eimer, schöpfte Wasser aus dem Becken und goss es über Marcos Rücken.
»Flusspferde mögen es, nass zu sein. Nun schau sich das einer an, er ist schon eingeschlafen. Es ist so niedlich, wie arglos er ist. Hoppla, Kätzchen, was machst du denn? Wenn du dich nicht beeilst, bleibst du noch zurück.«
Jiji plusterte sein Fell auf und sprang auf Marcos Rücken.
»Katzen hassen es, nass zu werden«, knurrte er und schüttelte das Wasser von seinen Pfoten.
»Bis dann!«
Damit stieß sich Kiki kräftig vom Boden ab.
»Oooh!«, riefen die Schaulustigen.
Der Besen schwankte bedenklich, stieg jedoch auf. Die Enden der Hängematte streckten sich und rutschten langsam zur Seite – dann wurde auch Marco emporgezogen.
»Ohaaa!«, entfuhr es der Menge wie aus einem Mund.
Kiki sah überrascht zu Mama hinunter.
»Er ist viel leichter, als er aussieht. Kaum zu glauben!«
»Oh, wirklich? Hat Marco etwa innerhalb eines Tages so viel Gewicht verloren? Oje, das wäre aber besorgniserregend. Doktor Ishi muss ihn schnellstens untersuchen.«
Mama wedelte mit den Armen, als wollte sie jeden Moment selbst losfliegen. Kiki hob den Kopf, doch dann wandte sie sich hastig wieder nach unten.
»Ich kenne die genaue Adresse noch gar nicht!«
»Ach herrje, entschuldige! Die Stadt heißt wie gesagt Iina. Der Ort liegt jenseits der zwei Flüsse im Osten in den Bergen. Mittendrin gibt es zwei verbundene Weiher. An deren nördlichem Ufer liegt die Tierklinik von Doktor Ishi. Ich bin sicher, du wirst sie gleich finden.«
»Dann mach ich mich mal auf den Weg.«
Kiki winkte noch einmal, bevor sie höher emporstieg und sich nach Osten wandte.
Kiki flog über die beiden großen Flüsse und knapp über die Gipfel der Bergkette hinweg, genau wie die Tierpflegerin Mama ihr erklärt hatte. Dahinter entdeckte sie am Fuß eines sanft abfallenden Berghangs zwei kreisrunde, miteinander verbundene Weiher. In den hell glitzernden Flächen spiegelten sich der blaue Himmel und die watteweichen Wölkchen, die an das flaumige Haar eines Neugeborenen erinnerten. Von hier oben betrachtet wirkte es, als hätte ein Riese seine Brille dort abgelegt.
»Dort ist es. Iina ist zwar klein, aber ein hübscher Ort, nicht wahr?«, sagte Kiki.
»Zum Glück sind wir endlich da. Die schöne Aussicht ist mir schnurz. Ich will schnellstens hier runter. Und Marco trocknet auch allmählich aus«, rief Jiji vom Rücken des Flusspferdjungen herauf.
»Oje, wirklich? Wie geht es ihm denn?«
»Ich weiß nicht. Er hat die ganze Zeit die Augen zu. Wenn du ihn in den Weiher schmeißt, wacht er bestimmt auf!«
»Jiji, nun red doch nicht solchen Käse. Marco ist krank«, sagte Kiki tadelnd.
»Mag sein. Aber ich glaube, dass er sich darüber mehr freuen würde als über einen Besuch im Krankenhaus.«
»Da magst du recht haben. Die Weiher sehen auch wirklich hübsch aus.«
Indessen kam Iina rasch näher. Rings um die Weiher verlief ein Trampelpfad, gesäumt von hohen Bäumen, die aussahen, als hätte man eine Reihe Besen wie Kikis kopfüber aufgestellt. Wiederum dahinter standen Häuser und Geschäfte.
»Nanu?«, rief Kiki und lehnte sich vor. »Das müsste die Tierklinik sein, aber irgendetwas stimmt nicht. Was ist da los …?«