Kikis kleiner Lieferservice 3: Kiki und die andere Hexe - Eiko Kadono - E-Book

Kikis kleiner Lieferservice 3: Kiki und die andere Hexe E-Book

Eiko Kadono

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Beschreibung

Kiki ist nun sechzehn Jahre alt. Zum vierten Mal kehrt in Koriko der Frühling ein, seit sie sich in der Stadt niederließ. Als eines Tages aus heiterem Himmel die zwölfjährige Keke auftaucht, wird Kikis Leben ordentlich durcheinandergewirbelt. Das freigeistige und schelmische Mädchen, das wundersame Kräfte zu besitzen scheint, schürt in Kiki viele Zweifel an sich und ihrem Dasein als Hexe. Um diese Krise zu überstehen und über sich hinauszuwachsen, muss Kiki zu sich selbst zurückfinden und lernen, was für sie wirklich wichtig ist.

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Seitenzahl: 210

Veröffentlichungsjahr: 2024

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INHALT

Einleitung

Kapitel 1: Ein neuer Frühling

Kapitel 2: Zwei leuchtende rote Kugeln

Kapitel 3: Calla Oktavia

Kapitel 4: Das Zeichen einer Hexe

Kapitel 5: Das fleckige Buch

Kapitel 6: Jiji reißt aus

Kapitel 7: Nene und Jan

Kapitel 8: Herr Elefant und Frau Hase

Kapitel 9: Ein großer Fang

Kapitel 10: Die Promenadenhalle am Flussufer

Kapitel 11: Onkel Tröter

Kapitel 12: Die Endetür

EINLEITUNG

In einer kleinen Stadt, umgeben von tiefen Wäldern und sanften, grasbewachsenen Hügeln, wurde vor sechzehn Jahren ein Mädchen namens Kiki geboren und dieses Mädchen hatte ein kleines Geheimnis. Ihr Vater Okino war ein ganz normaler Mensch, doch ihre Mutter Kokiri war eine Hexe, was Kiki also zu einer Halbhexe machte. Im Alter von zehn Jahren beschloss sie, ihr Leben wie ihre Mutter als Hexe zu bestreiten. Doch Kiki beherrschte keine mächtigen Zauber. Ihre Mutter Kokiri verstand sich aufs Fliegen mit dem Besen und die Herstellung von Erkältungsmedizin. Kiki hatte die Medizinherstellung jedoch früh aufgegeben, da sie ihr immer zu mühselig gewesen war. Ihre einzige magische Kraft war somit das Fliegen auf dem Besen. Ihr fiel es spielend leicht, Loopings zu fliegen oder steil zum Himmel aufzusteigen, während ihr schwarzer Kater Jiji hinten auf dem Besen saß. Jiji war mit ihr aufgewachsen und sie gingen zusammen durch dick und dünn. Daher war er eine sogenannte Hexenkatze, doch sein einziger Zauber war, mit Kiki sprechen zu können.

Alle Hexen zogen im Alter von dreizehn Jahren aus, um sich in einer Stadt oder einem Dorf ohne Hexe niederzulassen und mithilfe ihrer magischen Kräfte für zwölf Monate selbstständig zu leben. Dies war einerseits ein Lehrjahr, um eine vollwertige Hexe zu werden, und andererseits ein wichtiger Brauch, um die Menschen wissen zu lassen, dass es in der Welt noch Hexen gab. So kam unsere Heldin Kiki vor nunmehr drei Jahren in die große Küstenstadt Koriko. Im alten Mehllager der Bäckerei Gütiokipän, die von Osono und ihrem Mann geführt wurde, eröffnete Kiki einen Lieferservice mithilfe ihrer Flugkünste. Nachdem sie das Lehrjahr erfolgreich hinter sich gebracht hatte, kehrte sie in die Heimat zurück. (Kikis kleiner Lieferservice)

Doch Kiki konnte Koriko nicht bloß zu einem Ort in ihrer Erinnerung werden lassen. Schließlich lebte in dieser Stadt auch ihr guter Freund Tombo. Und so wuchs in Kiki der Wunsch, in Koriko zu leben, und sie reiste dorthin zurück. Sie begegnete vielen Menschen, brachte die unterschiedlichsten Dinge zu ihren Empfängern und machte dabei schöne wie schmerzliche Erfahrungen.

Seit dem Herbst jenes Jahres fühlte sich Kiki jedoch immer ruheloser. Sie wollte ihren Horizont als Hexe erweitern. Angetrieben von diesem immer stärkeren Wunsch kehrte sie in die Heimat zurück und erlernte dort von ihrer Mutter Kokiri die Herstellung von Erkältungsmedizin. Im Sommer darauf erntete Kiki die ersten selbst angebauten Kräuter und stellte eigene Medizin her. Seither hing neben dem Schild ihres Lieferservice noch ein weiteres mit der Aufschrift: Erkältungsmedizin erhältlich. Nun, da die Bürger der Stadt auf ihre Unterstützung zählten, wurde Kikis Leben noch geschäftiger. (Kikis kleiner Lieferservice 2)

KAPITEL 1

EIN NEUER FRÜHLING

Der vierte Frühling seit Kikis Ankunft in Koriko hielt Einzug in der Stadt. Die junge Hexe war inzwischen sechzehn Jahre alt. Schon zum zweiten Mal hatte sie in der Gasse vor dem Laden am Morgen und Abend der Frühjahrs-Tagundnachtgleiche die Heilkräuter ausgesät, wie ihre Mutter Kokiri es ihr beigebracht hatte.

Auch heute Morgen war sie früh aufgestanden, um die Kräuter zu gießen, wie es ihr zur Gewohnheit geworden war. Ihr schwarzer Kater Jiji kam heran und haschte mit den Vorderpfoten nach dem Wasserstrahl.

»Pass auf, sonst wirst du noch nass, Jiji!«, rief Kiki und hielt die Gießkanne hoch.

»Aber das Wasser glitzert so hübsch bunt im Sonnenlicht!«

»Du hast recht. Es sieht aus wie ein Regenbogen.«

Kiki blickte zum Himmel hinauf, von dem die helle Frühlingssonne schien. Da hörte sie hinter sich eine fröhliche Stimme rufen: »Hach, wie herrlich das schon duftet. Dabei sind die Pflanzen noch gar nicht aus der Erde gekommen. So muss das bei Heilkräutern wohl sein!«

Als Kiki sich umdrehte, stand Osono von der Bäckerei Gütiokipän lächelnd vor ihr. Ein kleines Mädchen hielt sich mit einer Hand an ihrem Rock fest und nuckelte geräuschvoll am Daumen der anderen Hand. Das war Nono, die im selben Jahr geboren worden war, in dem Kiki in diese Stadt gekommen war. Mittlerweile war sie schon drei Jahre alt. Und der Junge, der sich schüchtern hinter Osono versteckte, war der fast einjährige Ole.

»Hat die Erkältungsmedizin vom letzten Jahr denn ausgereicht?«, fragte Osono.

»Ich habe sogar noch etwas übrig«, antwortete Kiki. »Dabei sagte meine Mutter, man würde immer genau die richtige Menge haben. Und was die richtige Menge ist, sagt uns angeblich unser siebter Sinn …«

Sie wandte sich um und warf einen etwas besorgten Blick zu den Vorratsgläsern mit Medizin im Haus.

»Du bist den Stadtbewohnern mit deiner neuen, wundersamen Zauberkraft eine große Hilfe, Kiki.«

»Jetzt übertreibst du aber, Osono. Es ist doch nur Erkältungsmedizin«, entgegnete Kiki. »Trotzdem ist es schon aufregend, wie mein Geschäft gewachsen ist.«

Osono nickte ihr zu und atmete dann noch einmal tief den Duft der Erde ein. Dann begann sie, mit leiser Stimme zu singen:

»Bis zum Ende dieses Weges – hi hi! Bei jedem meiner Schritte – hi hi!«

»Hi hi, hm-hm, hi hi!«, summte Kiki mit.

Osono sang leise weiter, ehe sie sagte: »Jetzt habe ich gleich viel bessere Laune. Also dann, bis später!«

Sie hob Ole hoch, nahm Nono an die Hand und ging mit ihren Kindern zurück in die Bäckerei.

Kikis Geschäft hatte zu Beginn des Jahres in der Tat eine große Veränderung durchgemacht. Sie hatte sämtliche Mehlsäcke aus dem Erdgeschoss nach oben bugsiert, um mehr Platz im Laden zu schaffen und eine kleine Abstellkammer einzubauen. Außerdem hatte sie ihren Wohnraum auf Osonos Rat vom Obergeschoss nach unten verlegt. So fiel es ihr leichter, sich um die Kräuter in der Gasse zu kümmern, deren wunderbarer Duft den ganzen Raum erfüllte. Tombo und der Aeronautik-Klub von Koriko hatten ihr bei den Umbauarbeiten geholfen. Tombo hatte sogar ein kleines Fenster eingebaut, durch das sie hinaussehen konnte. Jeden Morgen, wenn Kiki durch ihr nun so viel geräumigeres Heim ging und durch das Fenster auf die Kräuterbeete draußen blickte, hatte sie das Gefühl, allmählich eine richtige Hexe zu werden, und dieser Gedanke verlieh ihr Selbstvertrauen.

Nachdem sie mit dem Wässern der Kräuter fertig war, setzte Kiki einen Tee auf. Es war der aromatische Wildkräutertee von ihrer Freundin Molli, die mit ihrem kleinen Bruder außerhalb der Stadt lebte. Der Tee war leicht süßlich mit einer sauren Note und hatte eine appetitanregende Wirkung. Molli hatte für Jiji sogar ein Bettchen aus Gräsern geflochten. Der legte sich nun der Länge nach hin, streckte seine rosa Zunge heraus und schleckte, als würde er etwas in der Luft trinken.

»Jiji, was treibst du denn da? Ahmst du Nono nach? Möchtest du ein Kätzchen sein?«, zog Kiki ihn auf, streckte dann aber selbst ihre Zunge heraus und sog schleckend die Luft ein.

»Lecker«, murmelte sie unwillkürlich.

Da sprang Jiji unvermittelt auf und sagte: »Ich bin zwar eine Katze, aber kann aus mir auch eine besondere Katze werden?«

Er stellte seinen Schwanz kerzengerade auf und drehte sich danach um, um ihn eingehend zu begutachten.

»Was hast du denn auf einmal? Wieso benimmst du dich so theatralisch …?«, fragte Kiki. »Was soll eine besondere Katze überhaupt sein? Ist denn nicht jeder auf seine Art besonders? Jeder ist doch für irgendjemand anderen etwas ganz Besonderes.«

»Ist das nicht zu einfach gedacht? Ich meine eine andere Art von besonders. Ich meine, sich selbst wirklich zu fassen zu bekommen, nicht nur seinen eigenen Schwanz.«

Die Nase krausgezogen blickte Jiji nachdenklich in die Ferne.

»Was redest du wieder für verworrenes Zeug? Ich habe dich lieb, Jiji, und für mich bist du eine ganz besondere Katze. Reicht das denn nicht?«

Kiki hob ihn hoch und drückte ihm einen kleinen Kuss auf die Nase.

»Nicht, das klebt!«

Jiji sprang aus ihren Armen und schüttelte sich. Kiki musterte ihn verblüfft, doch in diesem Moment klingelte das Telefon. Rrring, rrring.

»Hallo, hier bei Kikis Lieferservice!«, meldete sich Kiki wie üblich.

»Haaa… Hatschi! Hatschi!«, kam zur Antwort vom anderen Ende der Leitung. Der Nieser war so laut, dass Kiki den Hörer unwillkürlich vom Ohr weghielt.

»Ha… Ha… Ha…tsch-tsch-tsch… Hatschi! Tschi!«

Mehr Nieser. Kiki blinzelte verwundert. Die hohe Stimme klang so kraftvoll, als würde sie ein Lied singen. Entfernt hörte sie wie zur Begleitung sogar Klavierklänge.

»Äh, hier ist …«, wollte sie sich noch einmal vorstellen, als der Anrufer sie unterbrach.

»Ha… Ha… Ha… L… Liebe Hexe – hatschi! – könntest du uns bitte – tschi! – Medizin vorbeibringen? Hatschi!«

»G… G… Gern, wohin denn?«, stotterte Kiki. All das Niesen schien ansteckend zu sein.

»In die Radiosta…hatschi-on!«

»Gut, verstanden. Ich komme gleich in die Radiostation«, versprach Kiki und legte den Hörer auf.

Dann drehte sie den Deckel vom Medizinglas. Für einen Moment starrte sie nachdenklich ins Leere, bevor sie hineingriff und eine gute Handvoll davon in eine Papiertüte stopfte. Daraufhin machte sie große Augen.

»Oha, ist so viel nötig? Scheint mir etwas viel zu sein. Ich dachte, ich hätte noch genug, aber jetzt ist nur noch ein kleiner Rest übrig. Aber vielleicht ist ebendas der siebte Sinn einer Hexe, dass man immer genau so viel hat, wie man braucht. Nun gut, dann will ich darauf vertrauen«, murmelte sie vor sich hin, während sie die Medizintüte und einen Holzlöffel in einem Beutel verstaute. »Was ist mit dir, Jiji?«

»Ich komme natürlich mit!«, rief Jiji. »Es ist doch meine Aufgabe, dich zu begleiten.«

»In letzter Zeit murrst du dabei aber oft herum«, erwiderte Kiki, nahm den Besen vom Halter an der Wand und öffnete die Tür.

Vor dem Eingang der Radiostation stand ein Mann mit Kopfhörern um den Hals, der sie stürmisch heranwinkte.

»Hier-tschi! Hatschi!«, rief er, woraufhin er sich auch schon wieder umdrehte und ins Gebäude lief. Kiki folgte ihm rasch. Nachdem sie eine Treppe hinauf- und einen Gang entlanggeeilt waren und an dessen Ende eine massive Tür aufgestoßen hatten, dröhnte ihnen aus dem Inneren unvermittelt ein lautes Niesen wie eine gewaltige Explosion entgegen. Gut zwanzig Männer und Frauen wurden, eine Hand vor den Mund gepresst, von Niesern durchgeschüttelt.

»Ach du meine Güte, seid ihr etwa alle gleichzeitig erkältet?«, rief Kiki erschrocken.

»Das ist eine Frühjahrserkältung – tschi!«

»W… Wir haben uns alle angesteckt … hatschi!«

Der Mann, der sie am Eingang erwartet hatte, wischte sich mit einem Taschentuch den Mund ab und sagte: »A… Anscheinend ha… haben wir uns in der Radiostation auf der anderen Seite der Berge angesteckt, hatschi! Es ist eine sehr starke – hatschi! – Erkältung. Jetzt sitzen wir ordentlich in der Patsche, weil wir gleich auf Sendung gehen. Ich habe gehört, dass deine Hexenmedizin wahre Wunder vollbringen soll. Wirkt sie wirklich – hatschi! – so gut?«

»Ja, sie wirkt«, antwortete Kiki selbstsicher.

»Ich hoffe, sie macht auch nicht müde?«

»Nein.«

»Dann mach uns bitte schnell gesund. Zum Dank gebe ich dir schon mal vorweg dieses Taschenradio.«

Damit überreichte er ihr ein Päckchen.

Kiki erwiderte etwas verlegen: »Also, so schnell geht das nun auch wieder nicht. Sie müssen die Medizin dreimal täglich nach dem Essen als Tee einnehmen …«

»Waaas?!«, riefen alle enttäuscht.

»Geht das nicht anders?«

»So ist nun mal die Regel für die Einnahme … Aber wenn Sie alle zusammen die gleiche Erkältung haben, könnten Sie vielleicht auch versuchen, alle zusammen die dreifache Dosis der Medizin auf einmal zu nehmen«, schlug Kiki aus einer Eingebung heraus vor, obwohl sie damit die Regeln brach.

»Ja, bitte. I… In dreißig Minuten g… geht doch schon die Sendung los.«

»Oha, dann aber schnell!«

Kiki reihte die Tassen auf, die in einer Ecke des Zimmers standen. Dann musterte sie aufmerksam jeden einzelnen der Anwesenden, maß die Medizin mit dem Löffel ab und goss einen Tee damit auf, den sie allen nacheinander reichte. Sie hielten die Tassen zwischen den Händen und bliesen zum Abkühlen darauf, ehe sie den Tee zu trinken begannen. Sogleich erfüllte der angenehme Duft von Wildkräutern den ganzen Raum.

»Meine Nase ist schon etwas freier, hatschi!«

»Das scheint zu wirken.«

»Du hast recht! Fantastisch!«

Alle redeten durcheinander. Doch Kiki war noch etwas unsicher, denn sie hatte Kokiris Anweisungen missachtet und den Leuten die dreifache Dosis gegeben. Vielleicht würde es zu stark wirken … oder gar nicht …

»Dann lasst uns mit der Probe beginnen – tschi!«, rief der Mann von vorhin und stellte sich vor die anderen. Am Ende des Satzes ertönte immer noch ein besorgniserregendes kleines Niesen.

Alle anderen standen auf. Ein Klavierstück ertönte. Der Mann hob energisch die Arme in die Höhe. Die ganze Gruppe öffnete gleichzeitig den Mund, dann brach es aus ihnen hervor: »Haaa, haaa, hatschi! Tschi!«

Schlagartig wurden alle blass und tauschten Blicke.

»A… Aber zumindest waren wir im Einklang. Geradezu verblüffend …«, beeilte sich eine Frau zu sagen.

»Mhm, in der Tat. Derart perfekt aufeinander abgestimmt sind wir selten«, sagte der Leiter der Gruppe mit überraschter Miene. »Lasst es uns gleich noch einmal probieren!«

Wieder erklang das Klavierstück. Der Leiter hob die Hand und abermals öffneten alle den Mund.

»Ha-Ha-Haaa, hatschi! Hiii-hi-hi-hi, hiaaatschiii!«, kam es von hohen Stimmen und tiefen Stimmen in schönstem Einklang.

»Hach, mit euch allen so zu niesen, tut richtig gut!«, sagte jemand.

»Was denkt ihr, wollen wir es damit versuchen? Wir könnten es das ›Hatschipuh-Lied‹ nennen.«

»Du hast recht. Vertrauen wir auf die Magie der Hexe … tschi!«

Kiki schrumpfte ein Stück in sich zusammen und wich ein paar Schritte zurück. Als ihre Hand die Tür berührte, sagte sie leise: »Dann … noch viel Erfolg!«, und schlüpfte hinaus.

Auf dem Heimweg schaltete sie ihr Radio am Besen an. Die Stimme des Sprechers ertönte.

»Es ist an der Zeit für unser wöchentliches Programm ›Schallender Gesang‹, heute mit einer Darbietung der Gruppe Fortissimo, die dieses Jahr ihr fünfjähriges Bestehen feiert. Das Stück heißt ›Hatschipuh-Lied‹. Wie ich hörte, haben sich die Mitglieder eine Frühjahrserkältung zugezogen. Aber keine Sorge, über das Radio können Sie sich nicht anstecken. Und jetzt viel Vergnügen!«

Muntere Klavierklänge ertönten, dann setzte der Gesang ein.

»Haaatschi, puuuh!

Haaatschi, puuuh!

Ha-ha-ha-hatschi!

A-haaalle zusa-haaammen,

Ha-ha-ha-hatschi!

Bleibt a-haaalle gesund!«

»Hör sich das einer an, das klingt sogar richtig toll!«, rief Kiki kichernd.

»Vielleicht werden sie damit berühmt. So etwas kommt vor. Und wenn sie wieder gesund sind, ist alles wieder wie vorher«, bemerkte Jiji wissend, zog dann die Nase kraus und grinste breit. Doch sogleich wurde er wieder ernst und fügte hinzu: »Aber ob es so klug war, Kokiris Anweisung zu missachten …? Ich weiß ja nicht.«

»Ich hatte im Gefühl, dass die dreifache Dosis in Ordnung wäre. Das war eben nicht die Vorgehensweise der Hexe Kokiri, sondern die der Hexe Kiki. Also bin ich es auch, die die Medizin dosiert, und nicht Kokiri«, erklärte Kiki, den Blick fest nach vorn gerichtet, und flog einen raschen Salto.

»Hast du auch Appetit auf Schokolade, Jiji? Ich werde welche kaufen.«

»Ich verzichte. Wenn ich welche esse, klopft mein Herz immer schrecklich schnell.«

»Oh, wirklich? Dann frage ich Tombo, ob er welche mit mir essen möchte.«

Kiki flog auf den nächsten Süßigkeitenladen zu.

»Du möchtest wohl auch Herzklopfen erleben«, schmunzelte Jiji und sprang auf ihren Rücken.

Nachdem Kiki die Schokolade gekauft hatte und an Tombos Haus angekommen war, sah sie ihn hinter dem Fenster schwitzend ein Bambusteil mit Sandpapier abschleifen.

Überrascht flüsterte Kiki Jiji zu: »Nanu, ist Tombo in der kurzen Zeit schon wieder ein Stück gewachsen?«

»Könnte gut sein, dass er sogar noch größer wird. Er ist ja noch im Wachstum …«, sagte Jiji hinter ihr.

»Meinst du wirklich?« Kiki lachte.

Als sie ihm zuwinkte, bemerkte Tombo sie und kam hinaus.

»Grüß dich, Kiki! Was gibt’s?«, fragte er.

»Er klingt auch schon wie ein alter Mann«, sagte Jiji kichernd und duckte sich.

»Ich wollte fragen, ob du mit mir etwas Süßes essen möchtest«, fragte Kiki und zeigte ihm die Schokolade.

»Oh, wirklich? Mit dir? Möchtest du die wirklich teilen?« Mit großen Augen blinzelte Tombo sie durch seine Brille erfreut an. »Dann würde ich sie gern im Baum essen. Wenn du schon dabei bist, will ich hoch hinaus, weißt du?«

Mit diesen Worten kletterte Tombo auf einen Baum im Garten und schwang sich auf den untersten Ast. Kiki setzte sich neben ihn. Ein paar Vögel, die dort gesessen hatten, flogen hastig zum nächsten Ast, von dem sie die beiden Neuankömmlinge argwöhnisch beäugten.

»Selbst aus dieser Höhe sieht schon vieles anders aus als vom Boden. Wie aufregend! Ist es für dich immer so?«, fragte er Kiki.

»Ja, es ist immer spannend. Ich wünschte, du könntest mit mir fliegen. Dann wäre es noch aufregender!«

Sie zog verlegen den Kopf ein und streckte neckisch die Zunge heraus.

»Aber es hat auch seinen Vorteil, dass ich es nicht kann. So kann ich mir ausmalen, wie du dich dabei fühlen magst. Wenn ich fliegen könnte wie du, müsste ich das nicht.«

»Tust du das oft?«, fragte Kiki und beugte sich neugierig vor.

»Oh ja, ständig!«

Tombo erwiderte ihren Blick. In seinen Augen blitzte es wie so oft, wenn er ganz in vergnüglichen Gedanken versunken war.

»Wirklich? Du stellst dir … mich vor?« Kikis Stimme überschlug sich. »Dann muss ich in Zukunft noch schöner fliegen … Weißt du, ich habe gerade einem Chor Medizin gebracht. Aber ich habe es anders gemacht, als Kokiri es mir beigebracht hat. Eigentlich muss man die Medizin auf drei Dosen aufteilen, aber ich habe ihnen gesagt, sie sollen alles auf einmal nehmen. Ich hatte das Gefühl, es würde funktionieren«, versuchte sie, sich zu erklären.

»Ja, ist doch gut so. Du musst es eben auf deine Weise machen«, sagte Tombo heftig nickend. Er atmete einmal tief durch und steckte sich ein Stück Schokolade in den Mund. »Ich versuche mich auch gerade an etwas Neuem. Ich baue eine Bambuslibelle. Mit Aufziehmechanismus, Schwebe- und Rückkehrfunktion.«

Kiki musste unwillkürlich kichern.

»Ich kann verstehen, dass du da lachen musst. Ist schon witzig, weil mein Name Libelle bedeutet und ich jetzt eine baue, nicht wahr? Aber ich muss sagen, die Bambuslibelle wird echt toll. Sie fliegt vergnügt herum und kommt immer wieder zurück. Das musst du sehen!«

Tombos Augen funkelten.

»Die Bambuslibelle fliegt vergnügt herum? Das ist wirklich toll! Wie hast du das geschafft?«

Kiki wippte vor Begeisterung auf dem Ast auf und ab.

»Nun ja, ich habe den Samen gesät und gegossen, wie du es für deine Medizin tust. Nee, nur ein Witz!« Er grinste sie an, doch dann nickte er plötzlich ernst. »Aber vielleicht ist es gar nicht so viel anders … Vielleicht steckt ein wenig Magie darin.«

»Wie fliegt er denn?«

»Wie ein Blumensamen, huiii! Ich habe gehört, auf dem Nebula-Archipel im Süden gibt es geflügelte Pflanzensamen, die gut fliegen können. Aber meine Bambuslibelle soll auch in der Luft stehen und umherschweben können. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es mir gelingen wird.«

Tombo breitete die Arme aus und flatterte damit.

KAPITEL 2

ZWEI LEUCHTENDE ROTE KUGELN

Als Kiki und Jiji an diesem Abend wieder nach Hause kamen, dämmerte es bereits. Das Licht der Bäckerei Gütiokipän fiel auf die Gasse. Der Laden war voller Kunden, die auf dem Heimweg von der Arbeit noch Einkäufe erledigten.

Kiki hängte flugs ihren Besen an die Wand und lief hinüber, um Osono zu helfen.

»Willkommen zurück! Lieb, dass du uns hilfst. Pack dem Kunden hier doch bitte fünf Cremebrötchen ein«, rief Osono, als sie Kiki sah. »Oh, und Jiji, wärst du wohl so gut und würdest auf Nono aufpassen?«

»Jaaa«, kam es zur Antwort von Nono. Mit einem fröhlichen »Hüa, hüa!« stieg sie auf Jijis Schultern. Obwohl er fast zerdrückt wurde unter ihrem Gewicht, schleppte er sie mit Leidensmiene durch die Hintertür nach draußen.

»Hatschi!«, hörte man einen der beiden draußen niesen.

Kiki sah ihnen lächelnd nach, als plötzlich jemand auf ihre Hand auf dem Ladentisch schlug. Vor ihr stand ein Mädchen. Seine Haare waren zu zwei seitlichen Zöpfen zusammengebunden und über seinen scharf blitzenden Augen hingen lange Ponyfransen.

»He du, ich möchte zwei Schokoladenhörnchen.«

Ihre Stimme klang heiser. Obwohl sie um einiges jünger als Kiki sein musste, war ihre Stimme so rau, als wäre sie viele Jahre überanstrengt worden.

»Ja, natürlich, kommt sofort«, antwortete Kiki höflich. Sie nahm eine Tüte und wollte das Gebäck hineinstecken, als das Mädchen sagte: »Lass nur, ich nehm sie auf die Hand.«

Kichernd nahm es die Hörnchen entgegen und steckte die spitzen Enden in die Haargummis ihrer zwei Zöpfe. Während sie zahlte, sah sie mit schiefer Miene zu Kiki und Osono empor und fragte: »Wie findet ihr das? Sieht doch schick aus, oder?«

Sie griff nach oben, tauchte ihren Finger in die Schokolade, die aus dem Hörnchen quoll, und leckte ihn ab.

»Na, hör mal, wir sind doch kein Friseursalon, sondern eine Bäckerei!«, rief Osono und guckte sie tadelnd an.

»Deswegen bin ich doch auch hergekommen«, sagte das Mädchen. »Tschüs!«

Damit ging sie hinaus, wobei sie die Hände abwechselnd nach oben streckte, wieder einen Finger in die Schokolade steckte und ihn ableckte.

»Also so was«, sagte Osono, der vor Verblüffung der Mund offen stehen blieb. Auch Kiki sah dem davongehenden Mädchen erstaunt durch die Glastür nach.

Sein weites, langes Kleid war aus einem dünnen, schwarzen Spitzenstoff genäht, der im Wind flatterte wie ein Vorhang. Wie sie mit ihren Schokoladenhörnchen auf dem Kopf in den Sonnenuntergang schritt, sah sie aus wie ein kleiner Teufel.

Als Kiki und Jiji nach Hause kamen, blieb der Kater wie angewurzelt in der Tür stehen. Seine Nase zuckte eifrig schnuppernd.

»Ich kann riechen, dass jemand hier drinnen war.«

»Nicht möglich!«

Mit einer Hand auf der Türklinke spähte Kiki vorsichtig ins Innere.

»In dieser Stadt gibt es doch niemanden, der einfach in anderer Leute Haus gehen würde. Vielleicht ist deine Nase vom Niesen durcheinander?«

»Wir schließen die Tür nie ab. Jeder könnte hier hereinspazieren, wenn er wollte.« Jiji lugte ängstlich hinter ihr hinein und fügte ungewöhnlich angriffslustig hinzu: »Ich glaube eher, dass du im Stadtleben etwas von deiner Wildheit verloren hast. Du hast deine Instinkte eingebüßt.«

»Wenn schon, dann wäre es in meinem Fall nicht Wildheit, sondern Bosheit«, entgegnete Kiki, obwohl sie selbst wusste, dass das etwas übertrieben war. »Und warum sollte überhaupt jemand in dieses Haus gehen, wo es nichts zu holen gibt?«

Kiki trat ein und schaltete das Licht ein. Die Deckenlampe flutete den Raum sofort bis in den letzten Winkel. Im Hellen sah alles aus wie immer. Die Tür zur Abstellkammer, die Tombo mit den anderen gebaut hatte, stand einen Spalt offen. Ihr Besen hing an der üblichen Stelle.

»Mein wertvollster Besitz ist der Besen. Aber mit dem kann sowieso niemand außer mir fliegen. Das weiß jeder in der Stadt, seit Tombo ihn mal stibitzt hat und damit einen Abhang hinuntergestürzt ist.«

»Vielleicht glauben manche Leute, es gäbe hier noch tollere Dinge. Immerhin ist es ein Hexenhaus!«

»Da irren sie sich aber gewaltig. Hexen leben vom Geben und Nehmen, also dem, was andere ihnen abgeben. Sie besitzen gar keine Schätze.«

»Aber das weiß möglicherweise nicht jeder. Leute, die nicht von hier sind, zum Beispiel.«

»Warum zerbrichst du dir so den Kopf darüber, Jiji?«

»Na, weil du in der Hinsicht viel zu leichtfertig bist.«

Jiji setzte sich kerzengerade hin und ließ den Blick suchend durchs Zimmer schweifen. Dann sauste er plötzlich lautlos zur Abstellkammer und lugte durch die Tür.

»Was meinst du denn mit leichtfertig?«, fragte Kiki nach.

»Du bist wie alle anderen«, antwortete Jiji, ohne sich umzudrehen.

»Macht doch nichts«, sagte Kiki, die plötzlich an Kokiri denken musste. Ihre Mutter war wie alle anderen und doch anders. Sie war von einer besonderen Aura umgeben, ganz warm und weich.

»Hatschi!«

Kiki musste unvermittelt niesen.

»Tschi!« Auch Jiji schüttelte sich. »Wir haben uns angesteckt. Darf ich heute Nacht bei dir im Bett schlafen?«

»In Ordnung, wir machen mal eine Ausnahme«, näselte Kiki.

Jäh wachte Kiki auf.

Wo bin ich …?, fragte sie sich immer noch ganz schläfrig, obwohl ihre Augen weit geöffnet waren. Irgendetwas musste sie geweckt haben. Sie sah sich vom Bett aus im dunklen Raum um. Das matt glänzende Medizinglas in der Zimmerecke und die Vorhänge am Fenster sahen wie immer aus. Durch den Spalt der Eingangstür fiel ein schmaler Streifen des Mondlichts herein.

»Huch?«

Kiki setzte sich ruckartig auf. Hinter der halb geöffneten Tür der Abstellkammer leuchteten zwei kleine rote Kugeln, die an die Augen eines wilden Tieres im nächtlichen Wald erinnerten. Kiki stupste Jiji unter der Decke mit dem Fuß an.

»He, wach auf! Wach auf!«, flüsterte sie ihm zu und rieb sich die Augen. Doch im nächsten Moment waren die roten Kugeln verschwunden.

»Oh, ich habe wohl noch geträumt …«, murmelte Kiki erleichtert und schlief sofort wieder ein. Jiji dagegen war nun wach und krabbelte schwerfällig unter der Decke hervor. Derweil war Kiki schon wieder in tiefen Schlaf gefallen.

»Wieso weckst du mich denn?«

Jiji zog eine Schnute und wollte schon zurück ins Bett kriechen, als er schlagartig innehielt. In der Abstellkammer leuchteten schwach zwei rote Kugeln.

Er sprang leise knurrend aus dem Bett, rannte hinüber und stürzte sich mit ausgefahrenen Krallen darauf. Im gleichen Augenblick fiel ein schwarzes Tuch über ihn und er wurde darin eingewickelt. Vor lauter Schreck brachte er keinen Laut heraus. Dünne Arme hielten ihn wie ein verschnürtes Bündel fest.