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Die Romanvorlage zum beliebten Studio-Ghibli-Anime-Film! Die kleine Hexe Kiki läuft nie vor einer Herausforderung davon. Als ihr dreizehnter Geburtstag ansteht, will sie unbedingt der Hexentradition folgen und sich eine neue Stadt aussuchen, in der sie ein Jahr lang leben möchte. Während dieser Zeit, darf sie nur mit ihren Kräften ihren Lebensunterhalt bestreiten, aber Zaubersprüche oder Zaubertränke zählen leider nicht zu Kikis Talenten. Kann sie ihre Flugfähigkeiten nutzen, um sich ihren eigenen Weg in der Welt zu bahnen? Zusammen mit ihrer geliebten schwarzen Katze Jiji begibt sie sich auf eine aufregende Reise. KIKIS KLEINER LIEFERSERVICE ist ein Roman der japanischen Autorin Eiko Kadono, illustriert von Yuta Onoda. In Japan erschien er 1985, gewann zahlreiche Auszeichnungen und wurde 1989 vom Studio Ghibli als Anime-Film adaptiert.
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Seitenzahl: 180
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Kapitel 1: Der Beginn der Geschichte
Kapitel 2: Kikis großer Tag naht
Kapitel 3: Kiki landet in der großen Stadt
Kapitel 4: Kiki eröffnet ihren Laden
Kapitel 5: Kiki steckt in großen Schwierigkeiten
Kapitel 6: Kiki ist ein wenig verstimmt
Kapitel 7: Kiki steckt ihre Nase in fremde Geheimnisse
Kapitel 8: Kiki löst das Dilemma des Kapitäns
Kapitel 9: Kiki bringt das neue Jahr
Kapitel 10: Kiki bringt den Klang des Frühlings
Kapitel 11: Kiki besucht ihre Heimat
Es war einmal eine kleine Stadt inmitten tiefer Wälder und sanfter Grashügel. Sie lag an einem leicht nach Süden abfallenden Hang. Kleine Dächer in der Farbe von dunkler Brotkruste reihten sich aneinander.
Im Zentrum der Stadt befand sich der Bahnhof und ein kleines Stück entfernt lagen dicht aneinandergedrängt das Rathaus, die Polizeistation, die Feuerwehr und die Schule. Es war eine ganz gewöhnliche Stadt, wie es sie überall gab. Doch bei näherem Hinsehen waren hier und da Dinge zu entdecken, wie man sie normalerweise nicht zu sehen bekommt.
Da waren die silbernen Glöckchen, die an den Spitzen der höchsten Bäume in der Stadt hingen. Hin und wieder klingelten diese Glöckchen, auch wenn kein Lüftchen wehte. Dann tauschten die Stadtbewohner einen Blick und sagten lachend: »Nanu, unsere kleine Kiki muss wieder drangestoßen sein.«
Ganz recht – diese Kiki, von der sie sprachen, war nämlich alles andere als gewöhnlich. Denn obwohl sie noch so klein war, brachte sie die Glöckchen an den Baumwipfeln zum Klingen.
Lasst uns die Augen zum östlichen Stadtrand richten und einen Blick auf Kikis Zuhause werfen.
An der Pforte zur Straße hing ein Holzschild mit der Aufschrift: Erkältungsmedizin erhältlich. Das grün gestrichene Törchen stand weit offen. Dort hindurch gelangte man in einen großen Garten, in dessen hinterem Teil links ein einstöckiges Haus stand. Im Garten wuchsen in ordentlichen Reihen viele eigentümliche Kräuter, manche mit großen Blättern, andere mit spitzen Nadeln. Ein aromatischer Geruch erfüllte die Luft. Der Duft führte bis ins Haus und war am stärksten um den großen Kupferkessel auf dem Herd in der Küche. Von der Küche aus war die Wohnzimmerwand zu sehen. Statt Bildern oder Fotos, wie man sie in anderen Häusern vorfindet, hingen dort zwei Reisigbesen – ein kleiner und ein großer –, was auf den einen oder anderen Betrachter etwas wunderlich wirken mochte.
Aus dem Wohnzimmer drangen die Stimmen der Familie, die gerade beim Tee saß.
»Kiki, wann willst du aufbrechen? Allmählich musst du dich entscheiden. Du kannst das nicht immerzu aufschieben. Komm endlich zu einem Entschluss!«, sagte eine Frauenstimme tadelnd.
»Nicht das schon wieder«, quengelte eine Mädchenstimme. »Mach dir mal keine Sorgen, Mama! Ich bin schließlich deine Tochter und eine Hexe. Ich denke schon darüber nach.«
»Warum überlassen wir die Entscheidung nicht Kiki, Liebling?«, mischte sich eine ruhige Männerstimme ein. »Wenn sie noch nicht so weit ist, können wir sie auch nicht dazu überreden.«
»Ja, da hast du wohl recht.« Die Stimme der Mutter wurde etwas lauter. »Ich bin nur beunruhigt, weißt du? Ich fühle mich doch verantwortlich.«
Sicher habt ihr schon erkannt, dass in diesem Haus eine Hexenfamilie lebt.
Oder genauer gesagt, Kikis Mutter Kokiri war eine echte Hexe mit einer langen Ahnenreihe von Hexen. Kikis Vater Okino hingegen war ein normaler Mensch. Als Volkskundler erforschte er Legenden und Volkssagen über Naturgeister und Hexen. Kiki war die einzige Tochter der beiden und würde schon bald dreizehn Jahre alt werden.
Gerade redeten sie über den Tag, an dem Kiki von zu Hause ausziehen würde.
Wenn ein Mensch und eine Hexe heirateten und eine Tochter bekamen, wuchs diese meistens zur Hexe heran. Da sich manche Mädchen jedoch dagegen sträubten, stand es ihnen frei, ihren eigenen Weg zu wählen, sobald sie zehn Jahre alt waren. Falls sie sich dazu entschied, Hexe zu werden, begann sie sofort bei ihrer Mutter mit ihrer magischen Ausbildung und zog in einer Vollmondnacht in ihrem dreizehnten Lebensjahr aus, um sich selbstständig zu machen. Das bedeutete für sie, ihr Elternhaus zu verlassen, eine Stadt ohne Hexe zu suchen und sich dort allein niederzulassen. Für so junge Mädchen war das natürlich keine leichte Aufgabe. Doch in Zeiten, in denen die Kraft der Magie immer schwächer wurde, war es eine wichtige Tradition, um die schwindende Zahl von Hexen zu erhalten. Außerdem war es auch ein guter Weg, um möglichst viele Menschen an möglichst vielen Orten wissen zu lassen, dass es immer noch Hexen gab.
Auch Kiki hatte sich Mitte ihres zehnten Lebensjahrs dazu entschlossen. Gleich darauf hatte sie begonnen, Kokiris Zauberkünste zu erlernen. Die erste war die Zucht von Heilkräutern und Herstellung von Medizin, die zweite das Fliegen auf einem Besen.
Auf dem Besen durch die Lüfte zu sausen lernte Kiki schnell. Da sie jedoch allmählich erwachsen wurde, ließ sie sich beim Fliegen oft von allerlei Dingen ablenken. Das konnte ein großer Pickel auf ihrer Nase sein oder auch die Frage, welches Kleid sie zur Geburtstagsparty ihrer Freundin anziehen sollte.
Wenn das geschah, sackte ihr Besen mitten im Flug plötzlich ab. Einmal war sie so mit ihrer hübschen neuen Spitzenunterwäsche beschäftigt gewesen, dass sie gar nicht bemerkte, wie sie in den Sinkflug überging. Daraufhin prallte sie in einen Strommast und ihr Besen brach entzwei. Kiki selbst trug drei dicke Beulen davon – mitten auf der Nasenspitze und an beiden Knien.
Daraufhin hatte ihre Mutter Kokiri die Glöckchen an den höchsten Baumwipfeln angebracht. Wenn Kiki nun wieder einmal geistesabwesend zu tief flog, riss sie das Klingeln der Glöckchen aus ihren Gedanken, sobald ihre Füße daran stießen. Inzwischen klingelten die Glöckchen schon viel seltener.
Das Zubereiten von Medizin lag Kiki dagegen gar nicht. Es mochte an ihrer Ungeduld liegen, doch es wollte ihr einfach nicht gelingen, Heilkräuter zu ziehen, Blätter und Wurzeln klein zu hacken und langsam köcheln zu lassen, um einen Sud zu bereiten.
»Ich fürchte, es wird wohl eine weitere Zauberkunst abhandenkommen«, jammerte Kokiri oft.
Früher hatten Hexen noch viele verschiedene Zauberkünste anzuwenden vermocht. Doch im Laufe der Zeit war eine nach der anderen verloren gegangen. Heutzutage verfügten selbst echte Hexen wie Kokiri nur noch über zwei Arten. Sie hatte also allen Grund zu klagen, wenn sich ihre Tochter gegen eine ihrer beiden Zauberkünste sträubte.
»Aber es macht eben viel mehr Spaß zu fliegen, als im Topf zu rühren«, sagte Kiki leichthin. Dann versuchte Okino seine Frau zu besänftigen.
»Nun, so etwas kann man nicht erzwingen. Und vielleicht kann eine verlernte Zauberkunst eines Tages wieder auftauchen. Immerhin hat sie eine schwarze Katze.«
Seit jeher wurden Hexen von schwarzen Katzen begleitet. Auch das war gewissermaßen eine Art von Magie.
Kiki hatte einen kleinen schwarzen Kater namens Jiji. Kokiris schwarze Katze hatte Meme geheißen. Gebar eine Hexe ein Mädchen, suchte sie ein schwarzes Kätzchen, das zur gleichen Zeit geboren worden war, und zog die beiden zusammen auf. Während sie aufwuchsen, entwickelten das Mädchen und die Katze eine gemeinsame Sprache. Wenn das Mädchen schließlich auszog, um auf eigenen Beinen zu stehen, war ihr diese Katze zudem ein wichtiger Freund. Schließlich ist es immer sehr tröstlich, jemanden zu haben, mit dem man die guten wie die schlechten Erlebnisse teilen kann. Wurde die junge Hexe erwachsen und fand einen Partner, der den Platz der Katze an ihrer Seite einnahm, suchte sich auch die Katze einen neuen Gefährten und von da an lebte jeder sein eigenes Leben.
Nach dem Nachmittagstee gingen Kokiri und Okino für Besorgungen außer Haus. So lange saß Kiki mit Jiji gedankenverloren an einem sonnigen Plätzchen im Garten.
»Ich sollte wohl möglichst bald aufbrechen«, überlegte Kiki laut.
»Ja, solltest du. Du wirst doch jetzt nicht kneifen, oder?« Jiji hob den Kopf und sah Kiki an.
»Auf keinen Fall. Ich habe mich doch selbst dazu entschieden«, entgegnete Kiki bestimmt. Dann erinnerte sie sich an ihre Begeisterung bei ihrem allerersten Flug auf dem Besen.
Bis zu ihrem zehnten Lebensjahr war Kiki ein ziemlich normales Mädchen gewesen. Mit einer Hexe als Mutter hatte sie schon immer gewusst, dass sie sich im Alter von zehn Jahren entscheiden müsste, ob sie selbst Hexe werden wollte. Doch sie hatte nie viele Gedanken daran verschwendet. Erst als ihr kurz nach ihrem zehnten Geburtstag eine Freundin erzählte, sie wolle in die Fußstapfen ihrer Mutter treten und Friseurin werden, begann Kiki, darüber nachzudenken. Sie spürte, dass Kokiri sich von ihr wünschte, ihre Nachfolge anzutreten. Doch Kiki widerstrebte der Gedanke, allein aus dem Grund Hexe zu werden, weil ihre Mutter Hexe war.
Ich werde sein, was ich will. Ich werde meinen Weg selbst wählen, dachte Kiki.
Eines Tages fertigte Kokiri ihr einen kleinen Besen an und fragte: »Möchtest du einmal versuchen zu fliegen?«
»Ich kann fliegen?«
»Du bist die Tochter einer Hexe. Sicher kannst du es!«
Kiki merkte schon, dass Kokiri ihr das Hexendasein schmackhaft zu machen versuchte. Gleichzeitig war sie durchaus neugierig. Also gab Kokiri ihr gleich eine kleine Lehrstunde in Abflug und Landung. Kokiris Beispiel folgend stieg Kiki vorsichtig auf den Besen und stieß sich vom Boden ab.
Gleich darauf wurde ihr Körper federleicht und Kiki schwebte in der Luft.
»Ich fliege!«, platzte es aus ihr heraus.
Sie schwebte nur drei Meter über dem Dach, doch es war ein großartiges Gefühl. Selbst die Luft erschien ihr etwas frischer. Seitdem wollte sie immer höher und höher fliegen. Sie war gespannt wie ein Flitzebogen, wie es dort oben sein mochte und was man von dort sehen konnte. Sie liebte das Fliegen auf Anhieb.
Und so hatte sie sich natürlich dazu entschieden, Hexe zu werden.
»Es liegt dir eben im Blut.« Kokiri war darüber sehr erfreut.
Doch Kiki war klar: Nein, es ist mehr als das. Ich habe mich selbst dazu entschieden.
Kiki sprang abrupt auf.
»Lass uns mal danach sehen. Nur kurz, solange Mama nicht da ist.«
Sie deutete mit dem Kinn auf einen Schuppen in einer Ecke des Gartens.
»Warum verheimlichst du es überhaupt vor Kokiri?«, murrte Jiji.
»Na, weil Mama so ein Theater wegen allem macht, was mit meinem Auszug zu tun hat. Außerdem will sie sich überall einmischen, das macht alles nur kompliziert.«
»Na, mir ist es gleich. Aber dann musst du ihn gut in der Sonne trocknen.«
»Ich schau doch nur kurz danach.«
»Ach so? Nimm ihn nur nicht wieder mit ins Bett, sonst schimmelt er noch.«
»Weiß ich doch. Ich werde aber deine Hilfe brauchen. Bald sind wir ganz auf uns gestellt«, sagte Kiki.
Geschickt schlüpfte sie zwischen den hüfthohen Heilkräutern hindurch und schob sich in den Spalt zwischen Schuppen und Zaun.
»Sieh nur!« Unter dem Dach des Schuppens hing ein langer schlanker Besen. Im Licht der Abendsonne glänzte er hell. »Wie hübsch er geworden ist! Ich glaube, er ist fertig«, flüsterte Kiki.
»Dieses Mal scheint’s geklappt zu haben«, sagte Jiji, der zu ihren Füßen mit großen Augen zu ihr hochschaute. »Wollen wir nicht mal kurz versuchen zu fliegen? Heute ist so schönes Wetter.«
»Das geht nicht.« Kiki schüttelte den Kopf. »Ich werde ihn bis zum Tag meiner Abreise nicht benutzen. Ich will, dass alles brandneu ist – mein Kleid, meine Schuhe und auch mein Besen. Als wäre ich neugeboren. Mama sagt immer: ›Du stammst aus eine alten Blutlinie von Hexen. Wir müssen die Traditionen achten.‹ Aber ich bin ich. Ich bin eine neue Hexe.«
»Und wie soll ich mich neu machen?«, fragte Jiji schmollend und seine Schnurrhaare zitterten.
»Nur keine Bange. Ich werde dein Fell bürsten, bis du glänzt wie frisch gebacken.«
»Hmpf«, schnaubte Jiji. »Frisch gebacken? Rede nicht so, als würde ich in den Ofen kommen. Du bist nicht die Einzige, die bald auf eigenen Füßen stehen muss.«
»Du hast recht. Tut mir leid.« Kiki unterdrückte ein Kichern und sah Jiji in die Augen. »Ich frage mich, wie ich mich bei der Abreise fühlen werde.«
»Du wirst wahrscheinlich weinen.«
»Werde ich gar nicht!«
»Wann willst du denn nun eigentlich aufbrechen?« Jiji blickte wieder zu Kiki hoch.
»Wir könnten jederzeit los. Wollen wir es einfach beim nächsten Vollmond machen?«
»Huch, beim nächsten schon?«, fragte Jiji überrascht.
»Ja, in fünf Tagen. Fühlt sich doch gut an, etwas gleich in die Tat umzusetzen, wenn man sich dazu entschieden hat, oder?«
»Du machst wieder so eine Riesensache daraus.«
»Ich sage Mama und Papa heute Abend Bescheid. Was glaubst du, in was für einer Stadt wir landen werden, Jiji?«
Kiki blickte in die Ferne und fühlte sich schon etwas erwachsen.
»Ich mache mir ein bisschen Sorgen, was aus uns wird. Du bist oft so holterdiepolter.«
»Ach, bin ich das? Also, ich mach mir da gar keine Sorgen. Das kann ich immer noch, falls etwas passiert. Aber jetzt gerade bin ich so aufgeregt, als würde ich ein Geschenk auspacken«, entgegnete Kiki heiter und tippte gegen den Besen, der vor- und zurückschwang, als würde er zur Zustimmung nicken.
Nach dem Abendessen pflanzten sich Kiki und Jiji vor Okino und Kokiri auf.
»Ihr müsst euch keine Gedanken mehr machen. Ich habe entschieden, wann wir aufbrechen werden.«
Bei diesen Worten sprang Kokiri vom Stuhl auf.
»Wirklich? Und wann?«
»Am Abend des nächsten Vollmonds.«
Kokiris Blick huschte zum Kalender an der Wand.
»Du liebes bisschen, das ist ja schon in fünf Tagen. Du machst wohl Witze! Verschieb es auf den Vollmond danach!«
Kiki verzog das Gesicht und zuckte mit den Schultern.
»Und schon geht’s wieder los. Du hast doch geschimpft, dass ich mir zu viel Zeit lasse und mich entscheiden soll!«
»Da muss ich ihr recht geben, Liebling. Das passt nicht zusammen«, wandte Okino ein.
»Ihr zwei habt gut reden! Es gibt noch so viel vorzubereiten. Als Mutter hat man es eben nicht leicht!«, protestierte Kokiri mit rotem Gesicht.
»Du musst auch mal Vertrauen in deine Tochter haben. Es ist alles schon vorbereitet«, rief Kiki in belehrendem Ton, wobei sie sich vorbeugte und mit dem Popo wackelte. Dann sagte sie an Jiji gewandt: »Stimmt’s?«
Statt einer Antwort schlug Jiji nur einmal mit dem Schwanz.
»Na, so was!«, staunte Kokiri mit offenem Mund. Schließlich senkte sie den Blick und fragte: »Und was genau hast du vorbereitet?«
»Meinen Besen! Ich habe einen neuen gebaut – zusammen mit Jiji. Warte, ich hole ihn schnell!«
Schon rannte Kiki zur Tür hinaus. »Hier, das ist er«, rief sie, als sie gleich darauf zurückkam und ihren Eltern den Besen hinhielt.
»Oho, gar nicht schlecht«, sagte Okino, der den Besen beäugte.
»Ich habe die Weidenzweige erst im Fluss eingeweicht und dann in der Sonne getrocknet. Ist er nicht toll geworden, Mama?«
Kiki schwang den Besen einmal kräftig. Doch Kokiri schüttelte langsam den Kopf.
»Es ist ein ausgezeichneter Besen. Aber den kannst du nicht nehmen.«
»Wieso nicht? Ich will nicht mehr mit dem kleinen Besen fliegen. Fliegen ist doch das Einzige, was ich kann. Ich will auf einem neuen Besen fliegen, der mir gefällt.«
Kokiri schüttelte wieder den Kopf.
»Gerade deswegen ist der richtige Besen umso wichtiger. Was, wenn du mit dem ungewohnten Besen nicht zurechtkommst? Ein guter Start ist wichtig. Auf eigenen Beinen zu stehen ist nicht leicht. Du wirst gerade so viel Geld haben, dass du mit viel Sparen ein Jahr über die Runden kommen kannst. Danach musst du dir deinen Lebensunterhalt als Hexe mit deiner Magie verdienen. So wie ich hier den Stadtbewohnern mit meiner Medizin helfe. Nimm meinen Besen, der ist eingeritten und fliegt sich gut.«
»Den will ich aber nicht!«, rief Kiki. »Der ist ganz schwarz vom Ruß, wie der Besen eines Schornsteinfegers! Und der Stiel ist so dick und rau. Stimmt doch, Jiji?« Fragend blickte sie Jiji zu ihren Füßen an. Die schwarze Katze hatte sich halb abgewandt und gab ein lautes Knurren von sich.
»Siehst du, Jiji findet das auch. Er meint, auf dem Besen sieht eine schwarze Katze aus wie eine Regenwolke. Auf dem Weidenbesen sähe er aus wie ein Bräutigam in einer gläsernen Kutsche.«
»Ihr beiden seid wirklich wie Pech und Schwefel«, sagte Kokiri und lachte. »Aber ihr seid eben immer noch Kinder. Besen sind kein Spielzeug. Irgendwann wird mein Besen zu alt sein. Dann kannst du dir einen nach deinem Geschmack aussuchen. Bis dahin bist du sicher auch schon erwachsen.«
Mit einem Mal schloss Kokiri nachdenklich die Augen.
Kiki schürzte die Lippen und klopfte mit dem Besenstiel ungeduldig auf den Boden.
»Dabei habe ich ihn extra dafür gebunden … Was soll ich denn jetzt damit machen?«
»Ich werde ihn statt meinem benutzen. Das ist doch eine gute Lösung, oder?«
Kiki betrachtete für einen Moment ihren Besen, blickte dann zu ihrer Mutter hoch und sagte: »Gut, damit bin ich einverstanden. Aber dann will ich aussuchen, was ich trage. Ich habe im Schaufenster des Ladens auf der Einkaufsstraße ein schönes Kleid mit Kosmeenmuster gesehen. Dann würde es bestimmt so aussehen, als würden Blumen durch die Luft fliegen.«
»Tut mir leid, aber das geht nicht.« Kokiri machte wieder eine ernste Miene. »Heutzutage tragen Hexen zwar keine spitzen Hüte und langen Umhänge mehr, aber unsere Kleidung ist immer schon tiefschwarz gewesen. Das steht unumstößlich fest.«
Kikis Gesicht verfinsterte sich.
»Das ist so altmodisch! Eine Hexe ganz in Schwarz mit einer schwarzen Katze, wie langweilig!«
»Natürlich ist es altmodisch. Wir stammen schließlich auch aus einer alten Blutlinie von Hexen. Aber mit dem richtigen Schnitt sieht auch schwarze Kleidung schick aus. Überlass das nur mir, ich nähe dir rasch etwas Hübsches.«
»Schon wieder dieses Gerede von der alten Blutlinie …«, grummelte Kiki und zog eine Schnute.
»Kiki, konzentriere dich nicht so sehr auf das Aussehen. Wichtig ist das Herz.«
»Das weiß ich doch, Mama. Mein Herz ist schon am rechten Fleck. Zu blöd, dass ich es dir nicht zeigen kann.« Kiki reckte enttäuscht das Kinn und stapfte zu Okino. »Papa, bekomme ich ein Radio? Ich würde gern beim Fliegen Musik hören. Aber ich will ein rotes!«
»Gut, gut, von mir aus«, stimmte ihr Vater lachend zu.
Auch in Kokiris Gesicht stahl sich ein flüchtiges Lächeln. Dann wandte sie sich abrupt ab und sagte: »Nun, das reicht für heute. Zeit fürs Bett, Kiki.«
Mit der rechten Hand griff sie nach dem Saum ihrer Schürze und tupfte ihre Augen ab.
Der Mond wurde von Tag zu Tag runder und schließlich kam der Tag des Vollmonds. Der Tag, an dem Kiki aufbrechen wollte.
Als sich die Sonne gen Westen neigte, zog Kiki ihr neues schwarzes Kleid an, das Kokiri für sie genäht hatte. Aufgeregt drehte sie sich vor dem Spiegel hin und her. Neben ihr spähte auch Jiji in seinem ebenso schwarzen Fell von der Seite in den Spiegel, streckte und krümmte sich. Dann setzten sie sich beide auf Kokiris Besen und taten so, als würden sie davonfliegen.
»Nun, ihr beiden. Ich denke, ihr habt euch schick genug gemacht … Schaut mal nach Westen, die Sonne ist schon fast untergegangen«, sagte Kokiri, die emsig herumwirbelte.
»Mama, kannst du das Kleid nicht noch etwas kürzer machen? Bitte, nur ein bisschen!«, rief Kiki, die ihr Kleid hochzog und sich auf die Zehenspitzen stellte.
»Warum denn das? Es steht dir sehr gut.«
»Ich fände es hübscher, wenn man mehr Bein sehen würde.«
»So ist es viel eleganter. Es ist besser, wenn du etwas braver aussiehst. Sonst reden die Leute schlecht über uns Hexen. Hier, ein bisschen Proviant für die Reise.« Kokiri klopfte Kiki auf die Schulter und stellte ein kleines Päckchen neben sie. »Ich habe das Essen mit Kräutern zubereitet, damit es nicht so schnell verdirbt. Lass es dir schmecken. Weißt du, meine Mutter hat mir damals bei meinem Auszug auch ein wundervolles Proviantpäckchen gemacht. Sie verstand sich noch darauf, die Kräuter im Brot mit irgendeinem Zauber zu belegen, damit es nicht verdirbt oder hart wird. Zu schade, dass dieses Wissen verloren gegangen ist.«
»Warum eigentlich? Das hätte sie dir doch leicht beibringen können. Ich frage mich, ob das einfach in der Natur der Magie liegt«, mischte sich Okino ein, der mit einem Buch in der Hand aus dem Arbeitszimmer kam.
»Es ist schon seltsam, dass selbst ich als Hexe das nicht weiß …«, antwortete Kokiri nachdenklich. »Manche Leute meinen, es läge daran, dass es keine wirklich finsteren Nächte und keine vollkommene Stille mehr gibt. Angeblich können wir heutzutage nicht mehr so gut Magie anwenden, weil unser Geist zu sehr von den Lichtern und den Geräuschen in der Welt abgelenkt ist.«
»Stimmt, verglichen mit früher ist es viel heller. Irgendwo brennt immer ein Licht.«
»So ist es. Die Welt hat sich verändert«, pflichtete Kokiri ihm bei.
Kiki drehte sich vom Spiegel zu ihnen um.
»Hm, meint ihr?«, murrte sie. »Ich glaube, es liegt nicht an der Welt, dass die Magie verschwindet. Schuld sind die Hexen, die sich zu sehr zurückhalten. Du sagst selbst andauernd, dass Hexen brav und bescheiden sein müssen, Mama. Aber ich will mir nicht mein ganzes Leben darüber Gedanken machen, was die Leute über mich denken. Ich will so leben, wie es mir gefällt.«
»Oho, gut gesagt, Kiki«, rief Okino und machte riesengroße Augen.
»Hör mir zu, Kiki«, sagte Kokiri. »Früher gab es nicht nur Hexen, sondern noch viel mehr Menschen, die alle möglichen Wunder vollbringen konnten. Aber viele normale Leute haben diese Gaben irgendwann mit dem Bösen in Verbindung gebracht. Man erzählte sich, dass sie Unglück bringen.«
»Da ist was Wahres dran …«, stimmte Okino nachdenklich zu.
»Allerdings! Das weitverbreitete Gerücht etwa, dass eine Hexe die Milch verderben lässt, geht auf die Herstellung eines besonderen Käses zurück. Dabei essen heutzutage alle gerne diesen Käse«, sagte Kokiri und blickte Kiki sorgenvoll an. »Hexen konnten in der heutigen Welt nur überleben, weil sie ihre Einstellung geändert haben, um mit den normalen Menschen in gegenseitigem Geben und Nehmen zusammenzuleben. Da muss man sich manchmal zurückhalten und einander helfen, so gut man kann. Ich denke, so ist es am besten. Inzwischen gibt es sogar Leute wie deinen Vater, die Hexen und Naturgeister für ein besseres Verständnis erforschen.«