Killer Pott - P. J. Mulder - E-Book

Killer Pott E-Book

P. J. Mulder

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Beschreibung

P J. Mulder hat gerade den vierten Wolf Unger Thriller Killer Pott beendet. Wieder nimmt der Plot den Leser hart ran: Wolf Unger kann nicht ahnen, dass zwei verdammte Worte, die er auf Bitte seines Freundes Joe Leland einer Zielperson in Tanger übermittelt, den Beginn eines Komplotts markieren. Eines Komplotts, das eine Katastrophe biblischen Ausmaßes auslösen soll: Terroristen übernehmen ein mit Sprengstoff beladenes Containerschiff, das in den neuen Hafen Tanger-Med crashen und zur Explosion gebracht werden soll. Unger jagt zwischen Frankfurt, Tanger und Marrakesch die Hintermänner, während sich das Terrorschiff mit voller Fahrt der Straße von Gibraltar mit Kurs auf Tanger nähert Auf hoher See kommt es zum finalen Showdown. Aber noch ist es nicht vorbei. In Ceuta, der spanischen Exklave auf dem afrikanischen Kontinent, muss sich Unger entscheiden: eliminieren oder liquidiert werden.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: Quesnel Lake, British Columbia, Kanada

Kapitel 2: Makarska, Kroatien

Kapitel 3: Marrakesch, Marokko

Kapitel 4: Vancouver, British Columbia, Kanada

Kapitel 5: Doha, Qatar

Kapitel 6: Tanger, Marokko

Kapitel 7: Quesnel lake British Columbia, Kanada

Kapitel 8

Kapitel 9: Tanger, Marokko

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13: Frankfurt am Main, Deutschland

Kapitel 14

Kapitel 15: Tanger, Marokko

Kapitel 16: Frankfurt am Main, Deutschland

Kapitel 17

Kapitel 18: Marrakesch, Marokko

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23: Tanger, Marokko

Kapitel 24: Mittelmeer, Höhe Algier, Algerien

Kapitel 25: Tanger, Marokko

Kapitel 26: Melilla, Nordafrikanische Küste

Kapitel 27: Doha, Qatar

Kapitel 28: Tanger, Marokko

Kapitel 29: Mittelmeer, Höhe Algier, Algerien

Kapitel 30: Tanger, Marokko

Kapitel 31: Mittelmeer, Höhe Algier, Algerien

Kapitel 32: Tanger, Marokko

Kapitel 33: Mittelmeer, Höhe Algier, Algerien

Kapitel 34: Mittelmeer, Höhe Berkane, Marokko

Kapitel 35: Tanger, Marokko

Kapitel 36

Kapitel 37: Ceuta, Nordafrikanische Küste

Kapitel 38: Epilog

1

QUESNEL LAKE,BRITISH COLUMBIA, KANADA.

„Ich halte nicht sehr viel vom Fliegenfischen,Jim.Es kommt mir ein bisschen zu sehr wie masturbieren ohne Höhepunkt vor.“ John Travolta als Gabriel Shear in „Passwort: Swordfish.“

Zwei Worte. Zwei verdammte Worte. Vor- und Nachname, die ihm Joe Leland bei seinem Abschied aus New York persönlich mitgeteilt hatte. Die er keinem Computer oder Smartphone, keinem USB-Stick oder iPad anvertrauen wollte.

„Präg dir den Namen ein“, hatte er zu Wolf Unger gesagt. „Kann sein,dass ich dich bitten muss,diese verfickten Worte persönlich zu übermitteln.“

In diesem Job, geprägt durch galoppierende Paranoia und zynisches Misstrauen, wo Dienste wie Lelands Global Investigations Agency geheim oder im staatlichen Auftrag, legal oder illegal, zivile, militärische und wirtschaftsbezogene Informationen sammeln und zu gigantischen Summen handeln, spioniert jeder jeden aus.

Mobiltelefone werden zu Wanzen umfunktioniert. Name, Adresse und PIN des Inhabers eines Mobiltelefons und die dynamische IP-Adresse des Handys, mit der es sich im Netz einbucht, die Passwörter, mit denen ein Mailaccount geschützt wird oder in der Cloud gespeicherte Texte und Dateien – alles kann ausgeforscht werden.

Skrupellose Hacker und wahnsinnige Nerds mit weit überdurchschnittlichem IQ knacken fast jeden Code. Groß angelegte Ausspähprogramme des US- und britischen Geheimdienstes, Wanzen in EU-Einrichtungen in Washington, New York und Brüssel, Infiltration und Zugriff auf interne Netzwerke, Einsicht in E-Mails und interne Dokumente bilden nur die Spitze eines gigantischen Eisbergs.

In dieser Welt ist eine mündlich überlieferte Botschaft eine anachronistische, aber relativ sichere Maßnahme. Allerdings wussten damals weder Leland noch Unger, von welch tödlicher Brisanz diese zwei Worte, dieser Name, sein würden.

Fünf Monate später.

Mit einer horizontalen Bewegung des Wurfarms wirft Joe Leland die Angelschnur aus. Es gelingt ihm, die Leine samt künstlicher Fliege dort auf dem Wasser zu platzieren, wo angeblich Zielfische auf Insekten lauern, die auf der Wasseroberfläche treiben. Ein erfahrener Angler, Gast der Askook Lodge,in der Leland seit drei Tagen Ruhe und Abgeschiedenheit sucht, hatte ihn in das klassische Trockenfliegenfischen eingeweiht. Als Köder verwendet Leland die Nachbildung eines Käfers, die eingefettet unsinkbar auf dem Wasser treibt.

Seine Füße stecken in grünen Naturgummistiefeln, die am Uferrand einen festen Stand gewähren. Auf die üblichen wasserdichten Anglerhosen, die einen Ausflug ins flache Gewässer erlauben, hat er verzichtet. Mit einem tropentauglichen Insektenschutz hatte er sich Gesicht, Nacken und Arme eingesprayt, in dieser Jahreszeit eine essenzielle Maßnahme, um nicht von Moskitos bei lebendigem Leib gefressen zu werden.

Überrascht musste er feststellen,dass Angeln ihn Zeit und Umwelt vergessen ließen. Er betrachtet die Angelschnur als magische Verbindung zwischen Mensch und See, Seele und Natur.

Gedanken darüber, was er mit einem gefangenen Fisch anfangen soll, hat er sich noch nicht gemacht, tendiert aber dazu,ihn wieder freizulassen.Andere Gäste der Lodge zeigen stolz ihren Fang vor, reden Anglerlatein mit den anderen Sportfischern,bevor der Koch die gefangenen Fische, hauptsächlich Forellen, Barsche und Lachse, zubereitet und danach am großen, runden Restauranttisch serviert. Zugegeben, der Koch, der sich zur Ethnie der Métis zählt, Nachkommen französischer und indianischer Vorfahren vom Volk der Cree, zaubert Fischgerichte, wie sie Leland noch nie zuvor gegessen hat. Aber genauso exzellent sind auch seine klodeckelgroßen, saftigen Steaks, die fast wie Butter auf der Zunge zergehen.

„Nennen Sie mich Keme“, hatte sich der Chef de Cuisine vorgestellt. „In meiner Sprache bedeutet das Donner.“

Dann hatte er Leland anvertraut, dass seine Steaks von der legendären Double RR Ranch aus der Okanagan Region im Staate Washington geliefert werden. Steaks, die man nur in den besten Steakpalästen Kanadas und der USA bekommt. Außerdem hält die Lodge in einem gigantischen Weinklimaschrank eine bemerkenswerte Auswahl französischer, kalifornischer und kanadischer Spitzengewächse bereit, einige davon mit dem goldenen VQA-Siegel der Provinz British Columbia. Wäre Leland Restaurantkritiker, er würde der Lodge die höchste Punktzahl geben. Und Leland ist Gourmet. Er versteht, genussvoll zu essen und zu trinken.

Im Shop der Lodge hatte er für dreißig Dollar eine zwei Wochen gültige Angelerlaubnis erstanden, dazu ein Freshwater-Fishing-Booklet mit Tipps und dem komplizierten Regelwerk. Eigentlich hatte er nicht vorgehabt, sich mit Fliegenfischen oder irgendeiner anderen Angelkunst zu beschäftigen. Vierzehn Tage wollte er einfach nur abschalten, im Quesnel Lake schwimmen, im Kanu über den See gleiten, die Uferregionen erforschen,Tiere beobachten – er hofft, Weißschwanzhirsche, Elche, Schwarzbären, Grizzlys, Pumas zu treffen – und abends in Gesellschaft anderer Gentlemen interessante Gespräche zu führen, gut zu essen und zu trinken.

So hatte er sich das vorgestellt, bevor er Odilia Gress, seiner Stellvertreterin der New Yorker Filiale, die Leitung übergab und die Stadt Richtung Kanada verließ. Von New York aus dreitausend Meilen ins verstaubte Kamloops in British Columbia und weiter mit dem Wasserflugzeug zum dreihundertsechzig Meilen entfernten Quesnel Lake.

Der Tipp für die Lodge stammte von Wolf Unger, der immer mal wieder als freischaffender Ermittler, manchmal auch in tödlicher Mission, für Lelands Global Investigations Agency tätig ist und sich ansonsten in der Welt herumtreibt und sein Leben lebt. Im Moment befindet er sich auf dem Weg nach Tanger, um Lelands Zielperson den ominösen Namen zu übermitteln.

Ein harmloser Auftrag.

Auf Lelands Nacken brennt sengende Mittagssonne, Moskitos umschwärmen ihn. Am Horizont die Cariboo Mountains,vor ihm der glasklare,tiefblau schimmernde See, die wenigen weißen Wolkenfetzen am Himmel spiegeln sich auf der Wasseroberfläche. In der Nase den harzigen Duft der Tannen in Ufernähe, auf denen Eichhörnchen die Zweige wippen ließen und wo sich der vom See gekrochene Morgennebel eine Stunde zuvor unter den Nadelhölzern gesammelt hatte, parkt er den alten AMC-Jeep auf einem schmalen Waldweg. Er legt den Kopf in den Nacken und beobachtet einen kreisenden Fischadler. Jäh verharrt er in der Luft, stürzt sich dann wie ein Pfeil aufs Wasser, verfehlt jedoch seine Beute und schwingt sich wieder hoch. Ruhe und das Gefühl der unendlichen Weite und Ursprünglichkeit überträgt sich auf Leland. Seine Nervenfaserbündel scheinen sich zu entknoten,das Blut dünner,die verkrampften Muskeln entspannter und der Kopf klarer zu werden.

Nach einem Blick auf die Uhr an seinem Handgelenk, eine bei Polizei und Militär geschätzte Luminox Recon Point Man aus seiner Zeit beim NYPD, wischt er sich den Schweiß von der Stirn. In zehn Minuten ist er am Jeep mit Keme verabredet, der ihm einen Wildwechsel im dunklen Tannenwald zeigen will. Inzwischen sind seine Gummistiefel bis über die Knöchel durch die Schicht aus Sumpfgräsern, Schilf und Binsen ins Wasser gedrungen. Mit schmatzenden Geräuschen hebt er abwechselnd die Beine, löst seine Füße vom Schlamm und holt die Schnur ein, klemmt die Rute unter den Arm und will Richtung Jeep davon stapfen.

Als leises Motorengeräusch an seine Ohren dringt, hebt er den Kopf, dreht sich wieder um und lauscht. Dabei geht er automatisch in die Knie, so, als wolle er sich im meterhohen Sumpfgestrüpp verbergen. Schließlich entdeckt er das schmale Kanu mit Außenbordmotor, das langsam seinen Blickwinkel kreuzt.

Aus seiner Umhängetasche fummelt er das Nighthunter-Fernglas von Steiner hervor, hält es vor die Augen und justiert den Autofokus. Mühelos erkennt er Bootsführer und Passagier, so nah, als müsse er nur die Hand ausstrecken, um sie zu berühren. Den Mann am Ruder kennt er nicht. Er gehört nicht zu den Gästen der Lodge, vielleicht ein Neuankömmling oder, der Jagdkleidung nach zu schließen, ein Einheimischer. Der andere ist Paul Prescott, angeblich ein Anwalt aus Chicago – was Leland allerdings bezweifelt – der ihm die Grundkenntnisse des Fliegenfischens vermittelt hatte.

Dann macht Leland den Fehler, sich ohne Not aufzurichten und zu winken.

Als der Unbekannte das Ruder loslässt, routiniert mit einem Scharfschützengewehr auf ihn anlegt, ist es zu spät. Leland hat keine Chance mehr, zu entkommen. Nanosekunden vor dem Schuss meldet sich sein Fluchtimpuls. Adrenalin wird ausgeschüttet. Sein Herz galoppiert. Die Atemfrequenz wird erhöht. Blut in die Muskeln gepumpt. Sein Hirn signalisiert dem Körper: Flucht! Der Stress gibt ihm einen Schub von Kraft und Energie. Als er lospreschen will, hört er den Schuss. Fast gleichzeitig schlägt die Kugel in seinen Rücken. Jäh hängt blutiger Dunst in der Luft. Sein Gesichtsfeld kippt. Leland kracht zu Boden.

Das Boot dreht ab und tuckert leise über den friedlichen See.

2

MAKARSKA, KROATIEN.

„I’ll be back.“ Arnold Schwarzenegger als Terminator in „Terminator“

Nach dem ersten Klingeln sitzt er aufrecht im Bett. Zuerst ein Blick auf seine Armbanduhr – kurz nach acht – dann befreit er seine Beine vom Laken, geht stöhnend neben dem Bett in die Knie und sucht sein Smartphone. Der Klingelton kommt aus einem Haufen achtlos auf den Boden geworfener Klamotten. Er wühlt sich durch Jeans und T-Shirts, wirft BH und ein Höschen zur Seite und packt das Handy. Auf dem Display leuchtet die Nummer. Hamburger Vorwahl.

Endlich der ersehnte Anruf.

Schon bevor Kroatien Mitglied der Europäischen Union geworden war, hatte er sich bei der Heuerstelle für Seeleute der Hamburger Arbeitsagentur registrieren lassen. Er hatte seine Papiere eingereicht – Abschlusszeugnis des Hochschulstudiums der Schiffsbetriebstechnik mit der Befähigung zum nautischen Offizier und Bachelor of Science, Nachweise über mehrjährige Fahrenszeit, seine Patente und Zertifikate nach STCW95, der International Convention on Standards of Training, Certification and Watchkeeping for Seafarers, ein internationales Übereinkommen über Normen für die Ausbildung, Zeugnisse einer renommierten kroatischen Sprachenschule über sehr gute Englisch- und Deutschkenntnisse sowie Bescheinigungen seiner Arbeitgeber, die ihm selbstständiges Arbeiten, hohes Verantwortungsbewusstsein, Durchsetzungsvermögen und Teamfähigkeit bestätigten, was sein Profil abgerundet hatte. Außerdem hatte er in Hamburg neun Tage erfolgreich an einem Schifffahrtsrechtskurs teilgenommen.

Er räuspert sich, hält das Handy ans Ohr und meldet sich: „Josip Simunovic.“

Eine weibliche Stimme nennt einen Namen, teilt ihm mit, dass man leider noch keine deutsche Reederei gefunden hätte,die einen Ersten Offizier oder Kapitän suchen würde.

Sie holt Atem und Simunovic flucht innerlich.

Auf Deutsch.

Aber, fährt sie fort, man hätte eine Anfrage eines Reedereiagenten aus Qatar vorliegen, der dringend einen deutschen oder europäischen Kapitän mit dem Befähigungszeugnis für den Dienst auf Schiffen aller Größen in allen Fahrtgebieten, für ein Containerschiff der Panamax-Klasse suchen würde.

Panamax-Klasse, ruft sich Simunovic ins Gedächtnis, mittelgroße Schiffe die gerade noch durch die Schleusen des Panamakanals passen, maximale Länge dreihundert Meter, dreiunddreißig Meter breit, zwölf Meter tief.

Man hätte ihm Simunovics Unterlagen gemailt, sagt die Mitarbeiterin der Arbeitsagentur, von denen der Agent, ein Qatari namens Nasser Al Kaabi, sehr beeindruckt schien. So beeindruckt, dass er ein First Class Ticket mit Qatar Airways zum Internationalen Flughafen Doha plus Reisespesen per Kurier zu Simunovics Adresse in Dalmatien schicken wolle. Sie hätte schon mal Flüge ausgesucht, von Pleso Airport in Zagreb nach Frankfurt und von dort weiter nach Doha. Sie rasselt die Daten runter und Simunovic sagt leise: „Halt! Stopp!“

Er eilt an seinen überladenen Schreibtisch, findet einen Fetzen Papier und einen Werbekugelschreiber des Beach Clubs, in dem er als Barmann Arbeit gefunden hat und sagt: „Okay, ich höre.“ Er notiert sich die Daten. Die nette Stimme wünscht ihm viel Glück. Er bedankt sich und beendet das Gespräch.

„Endlich!“, jubelt Simunovic verhalten und atmet tief durch. Adieu, scheiß Pechsträhne, denkt er und dann sieht er das nackte Frauenbein, das unter der dünnen Decke hervorragt. Die Frau atmet tief und ruhig. Das Klingeln des Handys und die paar gesprochenen Worte haben sie nicht aufgeweckt. Er wirft einen Blick auf die Gestalt in seinem Bett und versucht, sich an ihren Namen zu erinnern. Eine große, dunkelhaarige, rassige Frau, die überhaupt nicht dem gängigen Klischee einer Deutschen entspricht.

Sie war die Letzte an der Bar gewesen, erinnert er sich. Hatte darauf gewartet, dass er endlich Feierabend machen und sie abschleppen würde. Was er nach ein paar Runden Sliwowitz schließlich auch getan hatte. Sie hatte darauf bestanden – des Schnapses wegen – ein Taxi zu seiner Bude in der Altstadt von Makarska an der kroatischen Adria zu nehmen.

Ein Loch, dreißig Quadratmeter, nicht größer als ein Hotelzimmer, spärlich mit billigen Möbeln eingerichtet, Kochnische mit Kühlschrank und einer Caffettiera, der traditionellen italienischen Kaffeemaschine,separates Bad,aber mit einem kleinen Balkon, breitem Bett und einer guten Matratze ausgestattet,die er mit eigenem Geld bezahlt hatte.

Zwei lange Jahre war er arbeitslos.

Die Finanzkrise hatte auch die Schifffahrt gebeutelt, viele Jobs wurden vernichtet. Jahrelang war er als Erster Offizier auf Frachtschiffen zur See gefahren, zuletzt als Kapitän eines Stückgutfrachters. Weil die Reederei den Ersten und Zweiten Offizier eingespart hatte, fungierte er gleichzeitig als Ladungsoffizier, was für die Erstellung des Stauplans auf Grund des Fahrtgebiets und der Anzahl der anzulaufenden Lösch- und Ladehäfen sowie unterschiedlicher Ladung eine sehr anspruchsvolle Aufgabe war. Dann meldete seine Reederei Konkurs an, er verlor seinen Job. Mit achtunddreißig und einem mickrigen Sparguthaben in Kroatischer Kuna stand er auf der Straße.

Schließlich, als er vollkommen pleite war, fand er den Job als Barmann in einem Aufreißerschuppen mit dem originellen Namen Beach Club Adria. Trotz Überqualifizierung wurde er eingestellt, erhielt einen Hungerlohn, war allerdings mit fünf Prozent am Getränkeumsatz beteiligt. Er hatte sich keine Illusionen gemacht, den Job hatte er seinem guten Aussehen zu verdanken. Die Besitzer der Bar, zwei clevere Geschäftemacher, rechneten damit, dass es sich bei den sexhungrigen Singles weiblichen Geschlechts in den Hotels an der Strandmeile herumsprechen würde, dass ein Ex-Kapitän den Laden schmeißt, ein echter Kerl mit einer interessanten Vita.

Die Rechnung ging auf.

Touristinnen und einheimische junge Männer bevölkerten jede Nacht die Kaschemme, umlagerten den stets gerammelt vollen Bartresen. Anfangs hatte Simunovic kein Problem damit, den Zuchthengst zu spielen. Die Frauen, meist Deutsche oder Italienerinnen, suchten nicht den Mann fürs Leben. Sie suchten One-Night-Stands, wollten unkomplizierten Sex. Das konnte er bieten. Später wurde er etwas wählerischer in der Auswahl seiner Gefährtinnen der Nacht. Einige verbrachten sogar ihren gesamten Urlaub mit ihm.

Seine ganze Hoffnung ruhte auf der bevorstehenden Mitgliedschaft Kroatiens in der EU. Er hoffte auf den Job als Kapitän oder auch als Erster Offizier auf einem Schiff einer deutschen Reederei. Seine Hoffnung schien sich jetzt zu erfüllen. Zwar nicht bei seiner Wunschreederei, aber immerhin, Kapitän eines Containerschiffs der Panamax-Klasse war auch nicht zu verachten.

Unter seinen Utensilien auf dem Nachttisch findet er eine zerdrückte Packung Ronhill-Zigaretten. Da er befürchtet, die Frau mit dem Klicken seines Zippos aufzuwecken, reißt er ein Streichholz an, hält es an die Zigarette und inhaliert.Nach ein paar Zügen drückt er sie angewidert in einen überquellenden Aschenbecher. Er geht nackt in das kleine Bad und stützt sich aufs Waschbecken. Aus dem Spiegel blickt ihn ein müdes Gesicht mit trüben Augen an. Beim Zähneputzen fällt ihm ihr Name ein: Katrin.

Ein schöner Name.

Eine schöne Frau.

An den Sex mit ihr kann er sich nur dunkel erinnern. Zuviel Sliwowitz. Ein Wunder, dass er überhaupt noch einen hoch bekommen hatte. Seufzend geht er unter die Dusche. Als er danach wieder sein Zimmer betritt, steht sie in das Bettlaken gehüllt auf dem Balkon, blickt über die Dächer der Altstadt und raucht. Sie dreht sich um und lächelt. Von Kater keine Spur, klare Blauaugen, nur ihr Haar ist verwuschelt.

Vielleicht hat ihr der Sex mit mir gefallen, hofft er und sagt: „Ich habe wieder einen Job als Kapitän und muss nach Frankfurt. Kannst du mir tausend Euro leihen?“ Dann fällt ihm ein, dass Spesen erwähnt wurden und er winkt ab. „Vergiss es. Die Reederei schickt einen Vorschuss.“

Blaue Augen blicken ihn intensiv an.

Bis es fast wehtut.

Dann nickt sie. „Wann?“

„Sobald mein Ticket eingetroffen ist.“

„Ich wohne in Frankfurt“, sagt sie, immer noch lächelnd. „Warum fliegen wir nicht gemeinsam?“

3

MARRAKESCH, MAROKKO.

„Schicksal ist etwas, was wir erfunden haben, weil wir den Gedanken nicht ertragen können, dass alles, was passiert reiner Zufall ist.“ Meg Ryan als Annie Reed in „Schlaflos in Seattle.“

Odilia Gress, genannt Odi, Lelands New Yorker Stellvertreterin und Ex-Mitglied der Groupe d’Intervention de la Gendarmerie Nationale, einer Antiterroreinheit der französischen Polizei, erreicht Unger schließlich drei Stunden später auf seinem Iridium-Satellitenhandy und berichtet.

„Der Koch der Lodge, mit dem er verabredet war, hat den Schuss gehört und ihn kurz danach gefunden“, sagt sie. „Leland hatte hinterlassen, dass ich im Notfall sofort verständigt werde. Gott sei Dank hat einer der Gäste, ein bekannter Chirurg aus Montreal, erste Hilfe geleistet und sich um ihn gekümmert. Mit ihm habe ich den sofortigen Transport nach Kamloops und von dort mit einer Chartermaschine nach Vancouver ins UBC Hospital veranlasst, wo er seit einer Stunde von einem Ärzteteam unter Leitung dieses Chirurgen operiert wird.“

Unger steht unter Schock.

Seine Stimme klingt angespannt.

„Leland hat mit einem Notfall gerechnet? Wo hat ihn die Kugel getroffen? Wie schwer ist die Verletzung? Wird er überleben?“

Odi seufzt.

„Schultersteckschuss“, sagt sie. „Keine Austrittswunde. Sein Zustand war bei der Ankunft im Hospital stabil, was immer das heißt.“ Dann fügt sie hinzu: „Mehr weiß ich auch nicht.“

„Wo bist du?“

„LaGuardia Airport. Mit Lelands Tochter. Wir haben eine schnelle Citation Ten gechartert. Start in fünfzehn Minuten. Peter fliegt separat von Los Angeles.“

Lelands Tochter Natalie, die Unger nur von einem Foto kennt – dunkelblond, attraktiv und geschieden – ein paar Jahre jünger als er, hatte als Analystin im Directorate of Intelligence der CIA gearbeitet. Seit etwa einem Jahr gehört sie neben Odi dem Führungsteam von Lelands Firma an. Sein Sohn Peter leitet die Filiale in Los Angeles.

„Und wo steckst du?“, verlangt Odi zu wissen.

„Marrakesch“, sagt Unger knapp.„ Bin schon unterwegs.“ Dann: „Schaff diesen Koch aus der Lodge her und halte den Doktor aus Montreal fest.“

„Schon geschehen.“

„Wir sehen uns in Vancouver“, sagt Unger und beendet das Gespräch.

Er starrt auf das Handy in seiner Hand und versucht, seine Gedanken zu ordnen. Dann hebt er den Kopf und blickt über den Dachpool auf die Medina, lässt seinen Blick von der blühenden Dachterrasse über die nistenden Störche auf der Mauer eines nahen Palais schweifen und wappnet sich innerlich gegen die beschissene, reale Welt.

Seit zwei Wochen hält er sich im Riad seiner Freundin Kahina Yassine auf. Ein dreistöckiges Stadthaus hinter dicken Mauern mit unauffälligen Türen in einer ruhigen Seitenstrasse der südlichen Medina. Aufwendig und liebevoll restauriert und renoviert, in unterschiedlichen orientalischen Stilrichtungen ausgestattet. Marmor, Naturstein und gebrannte Ziegel, Terrakotta und Holz. Eingerichtet und dekoriert mit erlesener arabischer und marokkanischer Handwerkskunst. Angelegt um einen mit exotischen Pflanzen, Pinien, Atlaszedern und kleinen Palmen begrünten kühlen Innenhof, mit einem Mosaikbrunnen aus Fés, einem der Zentren der Mosaik-Handwerkskunst. Die wundervollen Ornamente der Brunnen-Oberfläche sind aus von Hand geschlagenen Mosaikkacheln unterschiedlicher Form und Größe zusammengesetzt. Ein sehr aufwendiges Kunsthandwerk, die arabische Variante einer Klimaanlage.

Eigentlich hatte er vorgehabt, solange in diesem Palast zu bleiben, bis Kahina genug von ihm haben und ihn rauswerfen würde. Dabei ist er sich aber ziemlich sicher, dass sie alles tun würde, um ihn zum Bleiben zu veranlassen.

Für immer.

Noch einmal genießt er den Panoramablick über die Dächer der Medina. Dann erhebt er sich von der Liege, reckt sich, streckt die Arme aus und brüllt: „Gottverdammte Scheiße!“

Damit weckt er Kahina auf, die auf der anderen Poolseite nackt in der warmen Nachmittagssonne geschlafen hat. Sie blinzelt ein paar Mal und setzt die Sonnenbrille auf. Ratlos blickt sie zu ihm rüber.

„Was ist?“, fragt sie und muss gähnen.

„Ein Anschlag auf meinen Freund Joe Leland. Ich werde gebraucht.“

„Wo?“

„Vancouver.“

„Du musst fort?“

Unger nickt.

„Sofort?“

Unger nickt wieder.

„Ich komme mit“, sagt sie spontan.

Unger geht nicht darauf ein. Er muss die Nachricht verdauen, seine Sachen packen und einen Flug organisieren.

Kahina steht auf, schüttelt die schwarz gelockte Mähne und kommt geschmeidig wie ein Ozelot um den Pool auf ihn zu. Das kurz gestutzte Schamhaar schimmert ölig in der Sonne. Ihr tatsächliches Alter hat er nie erfahren. Ende dreißig, vielleicht auch fünfundvierzig. Im Grunde ist es ihm völlig egal. Sie übt eine magische Faszination auf ihn aus, ist groß, über einsachtzig, mit langen Modelbeinen und kleinen, eleganten Stehbrüsten. Eine hellhäutige, von der Sonne gebräunte Berberfürstin, halb Spanierin, halb Marokkanerin. Ovales Gesicht, hohe Stirn und etwas zu weit auseinanderstehende intensivblaue Augen. Hohe, markante Wangenknochen, makellose Haut, gerade, edle Nase und volle, sinnliche Lippen. Wenn sie lächelt, blitzt ihr weißes Raubtiergebiss. Eine sehr schöne und – wie Unger weiß – auch sehr gefährliche Frau.

Sie schaut ihn scharf an.„ Du hast mich doch verstanden, oder?“

Unger sträubt sich ein wenig. „Ja, ja.“

„Und?“

Er sieht ihr fest in die Augen und sagt: „Du kannst nicht mitkommen. Die Gründe muss ich nicht aufzählen. Die kennst du bereits.“

Sie lächelt leicht und Unger weiß, was sie denkt – du kannst mich mal, kreuzweise – oder so ähnlich.

Ablenkend sagt er: „Ich muss Flüge und Zeitzonen checken.“

Kurze Zeit später.

„New York ist vier, Vancouver sieben Stunden zurück“, sagt er und will eine Nummer eintippen.

Sie nimmt ihm das Handy aus der Hand.

„Von Marrakesh nach Vancouver dauert der Linienflug, eingerechnet zwei Zwischenstopps, über sechsunddreißig Stunden. Guck nicht so verdattert. Als ehemaliges Model kann ich dir sämtliche Verbindungen nach New York, Los Angeles, San Francisco oder Vancouver auswendig aufsagen. Das waren die Städte, in denen die meisten meiner Shootings stattfanden.“

„Was schlägst du vor?“

„Meine Firma verfügt über eine Gulfstream.“

Unger weiß jetzt, dass er ohne Kahinas Hilfe aufgeschmissen ist. Ohne einen Business Jet mit großer Reichweite wird er tagelang unterwegs sein. Sein innerer Widerstand gegen ihre Begleitung beginnt zu bröckeln.

Und Kahina weiß, dass sie gewonnen hat.

Sie beginnt zu telefonieren.

Eine Stunde später steht folgendes fest: Flug mit einer Gulfstream G650 nonstop nach Vancouver. Flugzeit circa sieben Stunden. Abflug von Marrakesch-Menara, dem internationalen Flughafen, gegen zwanzig Uhr, Ankunft in Vancouver zur gleichen Zeit, zu der man in Marrakesch gestartet ist. Eine Limousine wird sie ins Hotel bringen, wo Unger von Odi, Natalie und Peter zur Lagebesprechung erwartet wird.

Danach wird man weitersehen.

Zwei Stunden später, nachdem er Pilot und Copilot, beide Franzosen, die Hand geschüttelt hat, räkelt sich Unger auf einem der superbequemen Sitze und streckt die Beine aus. Kahina hat es sich auf der anderen Seite des Gangs bequem gemacht und sich in die Lektüre eines Buches vertieft. Helle Ledersitze, bequemes Sofa, davor eine gut bestückte Bar, auf dem Tresen ein Humidor aus spanischer Zeder und ein fünfzig Zoll Flachbildfernseher. Die Sitze waren von acht auf sechs verringert, die Waschräume vergrößert und Duschen sowie eine Edelstahlbordküche eingebaut worden, komplett mit schickem, italienischem Kaffeeautomaten. Der kleine Kühlschrank ist mit Leckereien von Foie gras bis Beluga-Kaviar gefüllt. Unger entdeckt sogar eine Dose mit Weißwürsten, dazu eine Packung mit tiefgekühlten Brezeln und ein Sixpack Weißbier. Rauchen an Bord ist erlaubt, ein raffiniertes Lüftungssystem über dem Bartresen sorgt für angenehme Frischluft.

Auf einem mit Gravuren verzierten Messingtablett mit Löwenfüßen sind sechs Gläser platziert. Die Teekanne und die kugelförmigen Behälter für Minzeblätter, grünen Tee und Zuckerkegel sind aus Silber, ebenso das Hämmerchen zum Zerkleinern des Zuckers. Alles für eine perfekte, marokkanische Teezeremonie in über fünfzehntausend Metern Höhe. In einem der Behälter entdeckt Unger dunkelbraune, fast schwarze, minzig riechende Brocken.

Er blickt zu Kahina. „Haschisch?“

Kahina klappt ihr Buch zu, steht auf und kommt an die Bar.

„Black Maroc“, stellt sie fest. „Von Pflanzen mit afghanischem oder Himalaya-Erbgut gewonnen, die Blütenstände vor der Weiterverarbeitung fermentiert und von Hand gepresst.“ Sie zerbröselt einen kleinen Brocken, senkt die edle Nase über ihre flache Hand, zieht den Duft ein und murmelt: „Etwas ganz Besonderes. Ziemlich hinterhältig. Die Wirkung kommt mit Verzögerungseffekt.“

„Es spricht die Fachfrau“, meint Unger trocken.

Um die Charterkosten macht sich Unger keine Gedanken. Eigentlich hatte er vorgehabt, die Rechnung an Odi weiterzureichen. Auf seine vorsichtige Frage, mit welcher Summe er zu rechnen habe, hatte Kahina erstaunt geantwortet: „Summe? Die Maschine steht zu meiner Verfügung.“

Daraufhin hatte er seinen Mund gehalten.

Kahina ist auf ihren Sitz zurückgekehrt, hält die Augen geschlossen und scheint eingeschlafen zu sein.

Unger beobachtet die Frau, mit der er die letzten zwei Wochen verbracht hat. Sie trägt einen leichten Cashmere-Pullover mit Rundausschnitt in der Farbe ihrer Augen, eine Khakihose – durch die Gürtelschlaufen ein Seidentuch von Hermès geschlungen – und modische, olivfarbene Desert-Boots aus Wildleder.

Eine Zufallsbekanntschaft.

Nach seinem erledigten Auftrag in Tanger hatte er zur blauen Stunde auf der Terrasse des Café Hafa, einst das Stammcafé von Paul Bowles, die Aussicht auf das Mittelmeer genossen. Auf der steil aufragenden Klippe über der Bucht von Tanger umschwirrten Bienen die Gläser mit süßem Thé à la Menthe. Stammgäste beim Kartenspiel oder Buberuku hatten darauf gewartet, dass die Sonne im Meer unterging und nuckelten an ihren Wasserpfeifen, gefüllt mit Kif, dem Haschisch aus dem nahen Rif-Gebirge. Einer der umherwimmelnden Dealer hatte dreist versucht, ihm sogenanntes marokkanisches Premier-Hasch aufzuschwätzen, bis Unger ihm gereizt bedeutet hatte, er solle sich verpissen.

Plötzlich stand die große Frau mit einem Drink in der Hand neben seinem Tisch und sprach in schnellem mit Französisch vermischten Marokkanisch-Arabisch auf den Dealer ein, der zusammenzuckte und sich in devoter Haltung davonschlich. Die Frau, schön,rassig, die so aussah, als würde sie sich für Politik und Literatur interessieren und die neuesten Filme kennen, deutete fragend auf den freien Stuhl, den Unger bisher erfolgreich gegen andere Gäste verteidigt hatte.

Er machte eine einladende Handbewegung.

Sie setzte sich, zog die Sonnenbrille ein Stückchen runter und sagte in fließend amerikanischem Englisch: „Sie sind kein Haschraucher, oder?“ Sie wartete seine Antwort nicht ab und fuhr fort: „Was Ihnen der Wichser angeboten hat, ist kein Premier-Hasch, sondern vierte oder fünfte Siebung, in die alles hineingedroschen wird, was in der Scheune herumliegt, inklusive Dreck und Ziegenscheiße.“

Unger musste lachen.

„Finden Sie mich aufdringlich?“, wollte sie wissen und musterte ihn.

„Überhaupt nicht“, hatte Unger schnell geantwortet.

Eine Aura lässiger Kultiviertheit, die er noch bei keiner anderen Frau gespürt hatte, umgab sie.

„Ich habe Sie beobachtet“, sagte sie und wies mit dem Daumen über die Schulter. „Von der Bar im Café aus. Wie ein Tourist oder Dealer wirken Sie nicht auf mich.“

„Ich habe Sie sofort erkannt“, sagte Unger.„ In den neunziger Jahren waren Sie eines der Supermodels.“

„Lächeln, bis dir das Gesicht weh tut“, erwiderte sie und streckte die Hand aus.„ Ich bin Kahina Yassine. Nennen Sie mich bitte Kahina.“

Unger drückt sie.

„Schöner Name“, sagte er und meinte es auch so. „Ich heiße Wolf.“

„Wolf wie Canis lupus?“

Unger nickte.

„Es gibt wahrscheinlich kein Hochglanzmagazin auf der Welt, auf dessen Cover ich nicht mindestens einmal abgebildet war.“ Sie nahm die Brille ab und lächelte verhalten. „Was glauben Sie, für wie viele Männer und Frauen ich die Onaniervorlage abgegeben habe – tausend, zehntausend oder mehr?“

Damit brachte sie Unger wieder zum Lachen.

„Millionen, schätze ich“, japste er.

Eine Stunde später wälzten sie sich in ihrem Bett.

Später am Abend.

Von der Terrasse in Kahinas Haus hatte man das Panorama der Bucht von Tanger vor sich, mit einem Blick bis zur Straße von Gibraltar. An die Brüstung gelehnt rauchte Unger eine Zigarette und fragte sich, warum er sich schon wieder auf ein flüchtiges Abenteuer mit einer fremden Frau eingelassen hat, dessen Konsequenzen er nicht abschätzen konnte. Ohne zu wissen, ob man ihm, sollte er erschöpft neben ihr eingeschlafen sein, etwas verabreichen würde, was seinen Tod wie Herzversagen aussehen ließe. Oder noch simpler, ob man ihm einen Eispickel ins Herz rammen oder einfach eine Kugel in den Schädel schießen würde. Bei einem Deutschen mit zweifelhaftem Ruf würden sich die marokkanischen Ermittler – sollte seine Leiche überhaupt jemals gefunden werden – keine Mühe geben, den Tod eines Privatdetektivs aufzuklären. Natürlich fand er keine Antwort, jedenfalls keine, mit der er etwas anfangen konnte. Aber irgendwann kommt der Zeitpunkt, wo man seine Paranoia überwinden muss, weil man sonst nicht mehr leben kann.

Dann erschien Kahina auf der Terrasse.

Fast wäre ihm die Zigarette aus dem Mund gefallen, als sie provozierend vor ihm poste: bronzefarbene Haut, leuchtend blaue, dunkel mit Kajal umrandete Augen, die wildlockige Mähne im Nacken zu einem lockerem Pferdeschwanz gebändigt, berberblaue Djelaba mit kostbar besticktem Ausschnitt, eng anliegende dunkelblaue Leggins und spitz zulaufende marokkanische Schuhe.

„Du bist unglaublich“, hatte er gemurmelt und sie an sich gezogen, den Duft von Oud, Orangenöl und Minze eingeatmet.

„Du auch“, murmelte sie. „Du bist ein romantischer, fantasievoller und einfühlsamer Liebhaber, bist dir deiner Attraktivität und Qualität im Bett bewusst und ich glaube, du kannst auch tiefe, intensive Zuneigung empfinden.“ Sie hatte sich von ihm gelöst, einen Joint angezündet und einen tiefen Zug genommen. „Keine Ahnung, ob wir uns morgen wie Fremde verhalten werden, sollten wir uns wieder begegnen. Solltest du dich gefragt haben, warum ich dich angesprochen habe, antworte ich dir mit einem marokkanischen Sprichwort: Die Zunge ist die Übersetzerin des Herzens.“

„Wer bist du?“, fragte Unger.

Kahina drehte sich zu ihm.

„Mein Stamm, Berber in der Region von Marrakesch, baut seit dem fünfzehnten Jahrhundert Kif an. Kif zu pflanzen, ist bis heute ein Zeichen unserer Selbstständigkeit. Unser Reichtum gründet auf Topqualität und uralten Handelsbeziehungen und Partnern. Außerdem handeln wir mit Oliven, Datteln, Artischocken und sonstigen Südfrüchten. Uns gehören Fischfabriken, wir versenden Sardinen- und Schalentier-Konserven in die ganze Welt. Das grüne Gold Marokkos, eines der besten Gourmet-Olivenöle, vielleicht sogar das Beste weltweit, wird von meinem Stamm hergestellt und vertrieben. Unsere Schiffe transportieren Waren – ja, auch Haschisch – von Tanger und Ceuta nach Tarifa oder Algeciras in Spanien und Sète in Südfrankreich, von Melilla nach Malaga und Almeria. Tanger ist eines unserer Handelszentren“, sagte sie und reichte ihm den Joint. „Übrigens, sämtliche halbherzigen Versuche der marokkanischen Regierung – egal welcher – den Anbau von Kif zu unterbinden, sind bisher fehlgeschlagen.“

Unger machte einen tiefen Zug, behielt den Rauch kurz in der Lunge und stieß ihn dann aus.

„Was bist du? Eine Haschisch-Prinzessin?“

„Eine Berberfürstin“, hatte sie ernsthaft erwidert.„ Liberale Familie, mein Stamm hält sich nicht an die strenge muslimische Doktrin der Araber. Privatinternat in der Schweiz, Studium an der Ecole Nationale d‘Administration in Paris, wo ich von einem bekannten Fotografen für Modeaufnahmen entdeckt wurde und plötzlich, womit niemand gerechnet hatte, auf dem Cover der französischen und amerikanischen Vogue erschien. Durchbruch mit dem allerersten Shooting. Andere Fotografen, weitere Shootings, Supermodel-Status, was immer das auch sein mochte, Regisseure, Werbefilme, Musik-Videos, eine kleine, aber bedeutende Nebenrolle in einem französischen Action-Thriller – et cetera, et cetera.“

Sie schnippte den Stummel über die Brüstung. Funken sprühend traf er unten auf.

„Seit fast zehn Jahren bin ich jetzt so eine Art Aufsichtsratsvorsitzende unseres Familienunternehmens.“

Damit schien alles gesagt zu sein.

Nach einer Pause fragte Unger: „Warum erzählst du mir das?“

Sie zuckte mit den Schultern.

„Was könntest du schon damit anfangen?“

Sie starrten schweigend in die Nacht. Unzählige Sterne glänzten aus dem schwarzblauen Himmel auf Tanger, spiegelten sich auf der Wasseroberfläche des Swimmingpools und an den bunten Kacheln der Säulen. Käfer zirpten und Nachtfalter flatterten herum, torkelten gegen die Lampen, die einen matten Schein verbreiteten.

„Und – was machst du?“, hatte sie schließlich gefragt.

„Ich erledige Dinge.“

Sie lächelte ihr orientalisches, geheimnisvolles Lächeln.

„Ich wusste, dass du das sagen würdest.“ Dann fügte sie hinzu: „Warum kommst du nicht für ein paar Tage mit mir nach Marrakesch?“

Aus ein paar Tagen wurden ein paar Wochen.

Außer mit seiner Ex-Frau, war Unger noch nie mit einer anderen Frau solange zusammen gewesen. In den heißen Sommernächten, wenn kühler Wind von den Bergen des Hohen Atlas blies und das Klima am Rande des Hochgebirges erträglich machte, verbrachten sie die Nächte auf dem Dach des Riad. Kahinas Berber-Köchin servierte exquisite Gerichte, sie tranken eisgekühltes, aromatisiertes Wasser und Les Trois Domaines, einen Rotwein, dessen Reben im Weinbaudelta zwischen Mittelmeer, Atlantik und Atlasgebirge auf fünfhundertfünfzig Meter Höhe wachsen. Dazu hörten sie John Coltranes Olé und Blue Train und von Miles Davis Sketches of Spain oder Kind of Blue, knabberten köstliche, halbmondförmige Gebäckstücke, gefüllt mit fein gewürzter Mandelpaste, in Orangenblütenwasser getaucht und mit Puderzucker überzogen und rauchten reines Haschisch aus dem Harzdrüsenpulver der feinen und vorsichtig durchgeführten ersten Siebung. Haschisch, das – wenn überhaupt – nur sehr selten in den Handel gelangt. Und in solchen Nächten hatte Unger viel von sich preisgegeben.

Vielleicht zu viel.

Er unterbricht seine Gedanken, steht von seinem Sitz auf und deckt Kahina mit einer leichten Cashmere-Decke zu.

Sechs Stunden später.

Aromatischer Duft steigt ihm in die Nase und lässt ihn aufwachen.

„Thé à la menthe“, sagt Kahina und reicht ihm ein Glas.

Unger nickt dankend und schlürft das süße, belebende Gebräu.

Kahina ist bereits geduscht und umgezogen. Sie verströmt einen Hauch von Orange und Zimt, steckt zwei marokkanische Zigaretten mit Knistereffekt und intensivem Nelkengeruch an und schiebt ihm eine zwischen die Lippen. Unger muss husten und sieht sich nach einem Aschenbecher um. Schließlich lässt er die Zigarette auf dem Grund einer leeren Cola-Dose verzischen, packt frische Klamotten und Waschbeutel und verschwindet im Waschraum.

Als er geduscht und rasiert wieder auftaucht – dem Septemberwetter in Vancouver gemäß in blauem Polohemd, khakifarbener Leinenhose, die Füße sockenlos in weichen, hellbraunen Sattelschuhen, über dem Arm ein leichtes dunkelblaues Blouson – findet er Kahina im Gespräch mit dem Piloten.

„Bonjour Monsieur“, begrüßt ihn der Captain.„ Wir landen in einer halben Stunde.“

4

VANCOUVER, BRITISH COLUMBIA, KANADA.

„Ernest Hemingway hat mal geschrieben: ‚Die Welt ist so schön, und wert, dass man um sie kämpft.‘ Dem zweiten Teil stimme ich zu.“ Morgan Freeman als William Somerset in „Sieben.“

Vancouver, später in der Nacht. Peter Lelands Hotelsuite.

Peter, dessen Ähnlichkeit mit seinem Vater unverkennbar ist und der aus dem gleichen Holz geschnitzt ist, sagt in dozierendem Tonfall: „Sein Zustand ist stabil. Keine Lebensgefahr.“

Er blickt auf seine Armbanduhr.

„Im Moment schläft er. Bisher war er nicht vernehmungsfähig.“

Er lässt seinen Blick über die Runde schweifen.

„Für den Anschlag wurde ein McMillan-Scharfschützengewehr mit Standard-Natopatronen benutzt, wie es kanadische Streitkräfte verwenden, das Taucher der Mounties circa fünfzig Meter entfernt aus dem noch flachen See gefischt haben. Zehn, zwanzig Meter weiter draußen, wäre die Waffe in über fünfhundert Meter Tiefe unauffindbar verschwunden gewesen. Der Schütze hat durch den Rücken aufs Herz gezielt, vermutlich von einem Boot aus. Nur ein glücklicher Zufall und die Schutzweste – wahrscheinlich hat sich Vater direkt vor dem Schuss im Bruchteil einer Sekunde bewegt – ließ die Kugel das Schulterblatt treffen und stecken bleiben ...“

„Er trug eine Schutzweste?“ unterbricht Unger verblüfft.

„Ja. Eine SK vier mit Keramikplatten, die vor Langwaffenmunition mit Vollmantel und Hartkern schützt“, antwortet Natalie. Ihre Stimme klingt gefasst. „Sein Schulterblatt ist zertrümmert. Die Schutzweste hat die Kugel nach oben gelenkt, sonst wäre Dad jetzt tot.“

„Vier Fragen“, sagt Unger und zählt an den Fingern ab. „Wer wusste von Lelands Reise? Warum hat er mit einer Notsituation gerechnet? Warum trug er eine Schutzweste? Und warum hielt er sich in dieser Lodge auf?“

„Die Fragen können wir nicht beantworten, aber den Tipp für die Lodge hatte er von dir“, sagt Natalie.„ Er wollte ein paar Tage ausspannen.“

„Fuck“, lautet Ungers Kommentar.

Er denkt kurz nach.

Dann: „Kann sein, dass wir über die Lodge gesprochen haben. Vor ein paar Jahren habe ich dort gewohnt und in den Wäldern Weißschwanzhirsche gejagt.“

Er atmet tief durch.

„Vier Gründe für einen Mord: Geld, Sex oder Rache ...“

„Rache“, wirft Natalie ein.

„... oder man wollte ihn zum Verstummen bringen.“

Unger berichtet in groben Zügen von seinem Auftrag in Tanger.

„Die Worte, die ich zu übermitteln hatte, lauten: Mounir Youssoufi. Nein, ich habe keine Ahnung, ob es sich um ein Codeword oder um einen Namen handelt. Ich kenne keine Hintergründe und ich habe auch nicht danach gefragt. Kann sein, dass dieser Name – sollte er sich als solcher entpuppen – und der Anschlag zusammenhängen. Ich habe den Eindruck, ein Schachbrett vor mir zu haben, glaube, die ersten Züge der Figuren zu erkennen, aber die Spieler sind noch verborgen.“

Er blickt in die Runde.

„Lasst den verdammten Namen durch eure Datenbänke laufen. Schickt mir alle Infos auf mein Smartphone.“

Er nickt Peter zu.

„Sorry, ich hab dich unterbrochen.“

Peter fährt mit seinem Bericht fort. „Bei einer Videokonferenz mit Sheila Farr, der Besitzerin der Askook Lodge, haben wir folgendes erfahren: Circa eine Stunde, nachdem mein Vater eingecheckt hatte, traf ein Paul Prescott ein, angeblich Anwalt aus Chicago, der ihm das Fliegenfischen beibringen wollte. Sheila hat uns eine Kopie seines Führerscheins gemailt, den wir sofort an unsere Filialen weitergeleitet haben. Ergebnis: gefälscht. Auch bei der Gesichtserkennung kein Treffer. Es gibt einen realen Anwalt Paul Prescott, der sich allerdings im Moment mit seiner Familie in Südfrankreich aufhält ...“

„Der falsche Prescott war nicht der Killer“, unterbricht Unger. „Er hätte genügend Gelegenheiten gehabt, Joe an einsamen Flecken des Sees umzulegen. Warum hat er’s nicht getan?“

„Ich stimme zu“, sagt Peter.„ Der Wichser hat Vater diese Anglerscheiße interessant gemacht, um ihn zu beobachten und zu studieren, mit dem Ziel, ihn alleine loszuschicken, damit ihn der echte Killer ungestört erledigen kann.“

„Prescott fungierte als Aufklärer für den eigentlichen Sniper“, sagt Unger.„ Er überwachte sein Objekt und sicherte Räume.“

„Das klingt nach Ex-Militär“, wirft Odi ein.

„Joe wurde bereits in New York observiert, wahrscheinlich saßen Sniper und Aufklärer mit ihm im gleichen Flugzeug“, sagt Unger.

„Wie gehen wir vor?“, fragt Peter.

„Wer leitet die Ermittlung?“, will Unger wissen.

Peter blickt auf sein Smartphone und liest die Namen vom Display ab. „Chief Superintendent Alain Charnier und Sergeant Don Ellis von der Royal Canadian Mounted Police.“

Odi kommt auf Peters Frage zurück.

„Sobald Joe ansprechbar ist, werden wir in Erfahrung bringen, was aus seiner Sicht geschehen ist. Dann fliege ich mit Natalie zurück nach New York. Von dort können wir euch besser unterstützen, als uns hier auf die Zehen zu treten.“

Natalie nickt zustimmend.

Peter legt Unger eine Hand auf die Schulter und sagt: „Wolf, kannst du bitte die Sache übernehmen? Du hast Generalvollmacht. Ich kann hier nicht von Nutzen sein. Außerdem ist ein einziger Ansprechpartner für die lokalen Ermittler von Vorteil. Du weißt schon, kein Kompetenzgerangel ...“

Unger fällt ihm ins Wort: „In Ordnung.“

Peter atmet auf. „Danke, mein Freund.“

„Du bekommst jegliche Unterstützung“, bekräftigt Natalie.

Als auch Odi einstimmen will, hebt Unger die Hände. „Ich werde Joe nicht im Krankenhaus besuchen. Er möchte bestimmt nicht, dass ich ihn krank und elend erlebe, den Körper voller Schläuche, mit Sauerstoff-Nasensonde und wie eine Mumie mit Binden umwickelt.“

Alle nicken.

„Ich werde morgen mit dem Koch und dem Arzt sprechen, danach mit den Mounties.“ Er überlegt kurz. „Dazu muss ich zum Quesnel Lake. Ich brauche ...“

„Eine Twin Otter steht zu deiner Verfügung und ein Zimmer in der Lodge ist bereits gebucht“, sagt Odi.„ Keme, der Koch, wird mit dir fliegen. Du wirst beide, Koch und Chirurg, morgen zum Frühstück hier im Hotel treffen.“

Unger nickt.„ Nur damit ihr Bescheid wisst: um so schnell wie möglich hier sein zu können, war ich auf die Hilfe von Kahina Yassine, einer Freundin, angewiesen, die mir ihren Privatjet nur unter der Bedingung zur Verfügung gestellt hat, dass sie mitkommen kann. Morgen fliegt sie zurück nach Marrakesch.“

Er wendet sich an Odi und Natalie.„ Nutzt eure Quellen und überprüft Kahina. Ihr werdet wahrscheinlich auf eine glamouröse Vergangenheit und dunkle Gegenwart stoßen. Ich will alles wissen, was ihr über sie ausgraben könnt.“

„Der Name kommt mir bekannt vor. Sie war ...“, beginnt Odi, die selbst mit Unger vor einem Jahr eine kurze, aber heftige Affäre hatte.

„Ja“, sagt er und beendet das Thema. Einen Moment später fügt er hinzu: „Ich berichte an Odi, die dann Natalie und Peter informiert. Okay?“

Zustimmendes Nicken.

Kurzes Gespräch, kein Bullshit, so wie es Unger mag. Alle bekannten Fakten auf den Tisch. Kompetenzen aufgeteilt. Keine Eitelkeiten. Kein Rumgezicke. Pragmatische Entscheidungen, mit denen alle einverstanden sind.

„Absacker an der Bar?“, fragt Peter. „In zehn, fünfzehn Minuten?“

In Ungers achtzig Quadratmeter Suite im vierzehnten Stock, elegant eingerichtet mit schicken italienischen Designmöbeln, großzügigem Bett und riesigem Marmorbad, Terrasse mit spektakulärem Blick über die Dächer der City, wird er bereits ungeduldig von Kahina erwartet. Sie hat sich umgezogen, trägt ein weißes Button-Down-Hemd, knallenge, verwaschene Jeans und einen dunkelblauen Blazer von Ralph Lauren mit einem Phantasiewappen auf der Brusttasche.

Sie sieht umwerfend aus.

„What’s up?“, fragt sie, breitet die Arme aus und schenkt ihm ein charmantes Lächeln.

Unger leckt über die empfindliche Stelle hinter ihrem Ohr und lutscht an ihrem Ohrläppchen, was sie erschauern lässt. Er inhaliert ihren Duft, spürt die Hitze ihres Körpers und fühlt sich plötzlich wie benommen. Sie schlingt die Arme um seinen Hals, drängt ihren Körper an seinen und beginnt schwer zu atmen. Widerwillig löst er sich, schüttelt sich innerlich und murmelt: „Wir nehmen ein paar Drinks mit den Lelands und Odi. Die brennen darauf, dich kennenzulernen.“

Sie lächelt ihr orientalisches Lächeln, deutet mit dem Kinn aufs Bett und flüstert: „Obwohl du es kaum ertragen kannst, jetzt keinen Sex mit mir zu haben?“

„Sex gibt’s später“, seufzt er.

5

DOHA, QATAR.

„Wer sich mit dem Teufel einlässt, landet auf dem Scheiterhaufen. Jeder weiß das.“ Keanu Reeves als Donnie Barksdale in „The Gift – Die dunkle Gabe.“

Sechs Stunden dauerte der Flug von Frankfurt nach Doha, wo Josip Simunovic gegen dreiundzwanzig Uhr sein Gepäck durch die Ankunftshalle rollt und sich nach Nasser Al Kaabi, dem Agenten der Reederei umschaut. In Frankfurt hatte er einige Tage mit Katrin verbracht, die sich als Office Managerin und rechte Hand eines stinkreichen Honorarkonsuls entpuppte, der als Immobilien-Tycoon in südlichen Urlaubsländern Millionen gescheffelt hatte und jetzt den Philanthropen mimt.

Sie hatte ihn in ihre schicke Eigentumswohnung im hippen Sachsenhausen eingeladen, wo er versuchte, seinen Minderwertigkeitskomplex in den Griff zu kriegen – fast schämte er sich für sein kümmerliches Dasein in Makarska. Katrin war im zivilen Leben so völlig anders als die Touristin in Bikini, Jeans und T-Shirt, die in Kroatien sein Bett mit ihm geteilt hatte: zu Hause war sie elegant, selbstbewusst und emanzipiert. Doch Katrin ist nicht nur eine schöne, sondern auch eine sehr intelligente Frau. Mit unbefangener Selbstverständlichkeit half sie ihm, seine verdammten Probleme zu überwinden. Unaufdringlich beriet sie ihn beim Kauf neuer Klamotten – seine Reisespesen waren überaus großzügig ausgefallen – zeigte ihm Frankfurt, führte ihn zum Essen in angesagte Restaurants, schlürfte Cocktails mit ihm in coolen Clubs und Bars und stellte ihn ihren Bekannten vor. Die fanden ihn und seinen Beruf faszinierend, führten interessante Gespräche mit ihm und als sich allmählich das Unterlegenheitsgefühl verflüchtigte, begann sich Simunovic in Katrin zu verlieben.

„Willkommen in Qatar. Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Flug“, sagt der große Mann, der in einem eleganten petrolfarbenen Leinenanzug auf ihn zukommt und der die Hand ausstreckt, in fließend Britischem Englisch. „Ich bin Nasser Al Kaabi, der Generalbevollmächtigte der Reederei.“

Simunovic bekommt einen festen Händedruck.

„Wir freuen uns“, fährt Al Kaabi fort, „dass Sie unser Angebot angenommen haben.“

„Noch habe ich nicht zugesagt“, sagt Simunovic leicht verwirrt und mustert sein Gegenüber.

„Sie kennen ja auch noch nicht mein Angebot.“

Nasser Al Kaabi ist Mitte vierzig. Dunkler Hautton, kahl rasierter Schädel, kurz gestutzter Vollbart mit grauen Sprenkeln, Hakennase und weiß schimmernde Zähne hinter dicken, roten Lippen. Die feucht schimmernden Augen stehen dicht beisammen.

Er wirkt genau so, wie sich Simunovic den Nachkommen eines nomadisierenden Beduinenstammes vorstellt, der im achtzehnten Jahrhundert von seinen angestammten Weidegebieten im Inneren der arabischen Halbinsel in das Gebiet des heutigen Qatar gestoßen war. Wüstensöhne, die später als Piraten die Küstengewässer beherrschten.

Auf ein Handzeichen von Al Kaabi taucht wie aus dem Nichts ein Uniformierter auf, der sich um sein Gepäck kümmert. Simunovic tippt auf Pakistani. Im Auto, einem schwarzen S-Klasse Mercedes, blickt Al Kaabi auf seine goldene Rolex und sagt: „Wir fahren zu Ihrem Hotel, dem Saint Regis. Im Restaurant ist ein Tisch für uns reserviert. Sie können sich in Ihrer Suite frisch machen, danach besprechen wir die Details. Morgen begleite ich Sie zum Schiff, wo Sie auch den Rest der Besatzung kennenlernen werden.“

Als Simunovic zu einer Entgegnung ansetzen will, fährt Al Kaabi schnell fort: „Ich kann Ihnen versichern, alles erfahrene und hochqualifizierte Seeleute.“ Und: „Ich weiß, dass Sie ein Mitspracherecht bei der Auswahl der Mannschaft haben, aber die Reederei stellt die Besatzung ein und außerdem haben wir keine Zeit gehabt, Sie einzubeziehen. Das Schiff läuft übermorgen aus.“

Simunovic schwirrt der Kopf.

Das geht alles hoppla hopp.

Die Ereignisse überrollen ihn.

Erst der Anruf aus Hamburg, dann der Flug mit Katrin, die ihre Pauschalreise abgebrochen und ein reguläres Ticket nach Frankfurt gekauft hatte, das wahrscheinlich teurer als der gesamte Urlaub in Kroatien war. Leben und Lifestyle in Frankfurt. Katrins Freunde und Bekannten. Der First Class Flug mit einer der besten Airlines der Welt nach Doha. Seine Suite im Luxushotel, die er sich auch vom recht ordentlichen Gehalt eines Kapitäns nicht hätte leisten können – überwältigt schließt er die Augen.

Später, nach dem Essen im Astor Grill, der arabischen Interpretation eines New Yorker Steakpalastes, nach dem besten Porterhouse-Steak seines Lebens und einer halben Flasche Château Teyssier Le Dôme Grand Cru, lehnt sich Simunovic zurück und hat das dringende Bedürfnis zu rauchen.

Als hätte er seine Gedanken erraten, sagt Al Kaabi:„ Wenn Sie rauchen möchten – bitte.“

Simunovic kramt eine Zigarettenpackung aus seiner Sakkotasche und blickt sich um. Im Restaurant hält sich eine Gruppe Amerikaner auf. Die kurz geschorenen Haare weisen die Amis als GIs aus dem Hauptquartier der US-Truppen im Nahen Osten aus, die Heimweh nach einem ordentlichen Stück Fleisch haben. An einem weiteren Tisch palavern europäische Manager in Business-Anzügen mit ihren in Dishdashas gehüllten arabischen Partnern

„Man darf hier rauchen?“

„Wir