Kind des Lichtes - Kerstin Wandtke - E-Book

Kind des Lichtes E-Book

Kerstin Wandtke

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Beschreibung

Als Raven, ein geflügelter Prinz des Südens, in einem dichten Schneesturm die stumme Alina findet, ahnt er nicht, wie dies sein bisheriges Leben verändern sollte. Fasziniert von ihr, nimmt er sie mit auf seinen langen Weg zurück ins ferne Baruth. Zwischen Beiden erblüht während ihrer gemeinsamen Reise eine zarte Liebe. Auf diesem Weg begegnet ihr jedoch zum ersten Mal der Schrecken der Menschenwelt, in der die alten Völker keinen Platz mehr finden. Vertrieben, verfolgt und getötet suchen Elfen, Einhörner, Drachen, Trolle und Zwerge ihr Heil im Verborgenen. Nur das geflügelte Volk vermag den ständig vorrückenden Menschen noch standzuhalten. Doch auch viele neue Freunde warten in Ravens Volk, welches um ihre Bestimmung weiß, und sie freundlich und mit offenem Herzen empfängt. Ihrem Schicksal gehorchend, ruft Alina alle der alten Völker zu sich, um mit ihnen gemeinsam diese Welt der Schrecken zu verlassen, und Raven in dessen Welt zu folgen. Die Flucht vor den heranrückenden Menschen gelingt, doch lauert in den eigenen Reihen eine noch weitaus größere Gefahr.

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Kerstin Wandtke

Kind des Lichtes

Dark-Fantasy Roman [FSK18]

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kind des Lichtes

Die Burg

Neue Freunde

Avalla

Neue Feinde

Todesangst

Fremde Völker

Der Aufbruch

Auf dem Meer

Karak

Die Verfolger

Der Dämon erwacht

Das Festland

Lacuna

Raven und Alina

Der Winter bricht an

Schlechte Nachrichten

Tharama

Leben und Tod

Wege mit Hindernissen

Die Verfolgung

Frühling

Der Bär

Licht in der Dunkelheit

Raven fällt

Totengesang

Rückkehr ins Leben

Ewige Dunkelheit

Baruth

Ein Dämon schleicht sich ein

Böse Ahnungen

Zurückgelassen

Vorbereitung zum Kampf

Das Böse häutet sich

In der Hand des Grauens

Der Kampf beginnt

Das letzte Kind des Lichtes

Epilog

Impressum neobooks

Kind des Lichtes

Von Kerstin Wandtke. Neuauflage 07.2017

Prolog

Begleitet mich in eine längst vergangene Zeit.

Eine Zeit voller Sagen und Mythen. Die Zeit der Drachen und Monster, der Märchen, der heldenhaften Prinzen, gütigen Königen und schönen Prinzessinnen. Eine, für sie, glanzvolle Zeit in der die Kirche langsam an Einfluss gewann und überall im Land neue Dörfer und Städte der Menschen entstanden. Doch es war auch eine dunkle Zeit, vor allem für jene, die jetzt auf Geheiß der Kirche, überall im Land erbarmungslos verfolgt wurden. Es gab oft Krieg, gegen andere Völker ebenso wie gegen Andersartige. Die große Zeit der Ausrottung hatte begonnen und würde noch Jahrhunderte andauern. Was vorher, manchmal unter Anbetung, geduldet wurde, ward nun hemmungslos verfolgt, gefangen oder oft einfach abgeschlachtet. Wölfe, Drachen, Bären, Einhörner, ja, sogar Zwerge und Elfen, von der Kirche als Geschöpfe des Teufels verrufen, wurden nun gejagt, gefangen, manchmal verbrannt oder einem staunenden Publikum vorgeführt. Ganze Völker, gegen die jetzt gezogen wurde.

Die ungewöhnlichsten von ihnen, oft Elfen und Einhörner, wurden dann in wunderschönen, reichverzierten Käfigen an die Schlösser der Könige gebracht, um dort wie exotische Haustiere bestaunt und gehalten zu werden. Vielen Elfen wurde dieses Schicksal zuteil. Diese kleinen, zarten, fast ätherischen Waldmenschen, äußerlich wunderschön, doch innerlich kalt und berechnend, faszinierten die Menschen dieser Zeit besonders. Dass Los der gefangenen Zwerge oder Trolle sah hingegen nicht so glanzvoll aus. Da sie klein, oft grobschlächtig und hässlich waren, zudem bei den Menschen dieser Zeit als verschlagen und listig galten, wurden sie, wo immer man sie fing, kurzerhand in Bergwerke gesteckt. Dort schufteten sie, egal ob Mann, Frau oder Kind, bis zum Ende ihres oft sehr langen Lebens. Die Einhörner, Drachen, Wölfe und Bären zogen sich immer tiefer in die unberührte Wildnis zurück und mit ihnen verschwand der Glanz der Welt.

Doch ein Volk ließ sich nicht so einfach vertreiben und nahm den Kampf gegen die sich ausbreitenden Menschen auf. Das gefürchtete geflügelte Volk, fast nur aus Männern bestehend, die, groß, stark und mit einer bezaubernden Schönheit gesegnet, oft des Nachts in die Dörfer der Menschen kamen um die Jungfrauen aus ihren Betten zu locken. Sie brachten die Mädchen in die dunklen Wälder um sich mit ihnen zu paaren und ließen sie danach, halb besinnungslos und heftig blutend dort zurück. Kaum eines überlebte eine solche Nacht und so wurde aus der Verehrung von einst ein Hass, der alles zuvor Gewesene in den Schatten stellte.

Die Kirche und ihre Anhänger taten ihr übriges dazu und verbreiteten Gerüchte über das geflügelte Volk, das sogar das Blut seiner Opfer trinken solle. Oder sich die abgezogene Haut seiner Gegner überstreifte, um für seine Feinde unsichtbar zu sein. Lauter solche Lügen, und die Menschen von einst schluckten sie begeistert. So wurden aus den ehemals Verehrten die Teufel dieser Zeit.

Für die Geflügelten und alle anderen, nicht menschlichen Völker eine wahrhaft dunkle Zeit.

Zu dieser Zeit lebte, hoch im wilden Norden fernab der südlichen Kriege, noch der Zauber der alten Welt. Über diesem Reich herrschte der kleine, alte und tief melancholische König Harold, der vom Volke auch ``Harold, der Einsame `` genannt wurde. Er war, wenn auch ungewöhnlich klein und oft kränklich, ein guter und weiser König, der vom Volk und Adel gleichermaßen geliebt wurde. Es gab nie den geringsten Zweifel an seiner Herkunft oder an seinem Blut und nur seine Mutter Abana, Gott habe sie selig, wusste es Zeit ihres Lebens besser. In Friedenszeiten den geflügelten Prinzen des Südens als flügelloses Mädchen geboren, wuchs sie am Hofe des großen Fürsten Morgans unter Menschen auf und bekam, wie seine eigenen Töchter, den Titel einer Prinzessin. Abana wurde eine große und außergewöhnlich schöne Frau, die aber keiner der Adligen, die alle um ihre Abstammung wussten, ehelichen wollte. Nun trug es sich zu, das eines Tages ein Ritter von König Herold den Hof dieses Fürsten erreichte, der auf der Suche nach einer Gemahlin für seinen Herrn war. Da bekannt war, das Herold, König des Nordlandes, schon Alt war, wollte man dem Ritter keine eigene Tochter des Hofes anvertrauen, fürchtete aber auch die Konsequenzen und gab ihm deshalb die schöne Abana mit. Zeit seines Lebens war Herold völlig von seiner Frau verzaubert und auch sein Volk blickte mit Freude zu ihr auf. Abana hingegen schenkte dem alten König und seinem Volke alle Liebe die sie besaß und kümmerte sich, neben ihrem Gemahl um die belange ihres Reiches. Doch eine dunkle Wolke verfinsterte das Reich. Der König war schon ein alter Mann und, sosehr sie sich auch bemühten, er konnte keinen Samen in ihr pflanzen. Er glaubte schließlich, ohne männlichen Erben vergehen zu müssen.

So trug es sich zu das Abana, eines lauen Sommerabends, allein durch den großen Schlosspark zum Pavillon ging. Die Luft war kühl und es roch nach Blumen und Heu. Die Bäume, die Hecken, ja, sogar die Luft, alles leuchtete ihr im goldenem Licht entgegen und sie tauchte ein, in diese verzauberte Welt der Farben. Sie erreichte, wie auf Flügeln, den hinter hohen Hecken verborgenen Pavillon und wurde dort schon erwartet. Ein kleiner, ungewöhnlich heller aber schöner junger Mann blickte ihr freundlich lächelnd entgegen,

„Ich habe euch hergerufen, denn der Zauber der tiefen Wälder schickt mich zu euch.“

Seine seltsam blaugrünen Augen sahen sie liebevoll an.

„Wir wissen um eure Not und ich werde euch geben, wonach ihr euch sehnt.“

Glücklich lächelnd nahm sie seine Hand und ließ sich von ihm entführen.

Die Frucht dieser Begegnung war der kleine Harold, und Abana, sich der Folgen ihrer Tat wohl bewusst, verschwieg seine wahre Herkunft. So glaubte das Volk, die kränkliche, zarte Kleinheit des Knaben sei auf das Alter des Königs zurückzuführen. Und als Abana ihrem König, nach relativ kurzer Zeit, ins ewige Reich folgte, wurde Harold, unter Pomp, Glanz und Gloria vom Volke unter Segnung der allgegenwärtigen Kirche zum König des Nordlandes, gekrönt. Doch der Knabe, der bald zum Mann reifen sollte, würde ein sehr einsamer König werden. Harold suchte lange nach einer Frau, doch Zeit seines Lebens fand er keine Gemahlin. Er war nicht mit Schönheit gesegnet, anders als seine Eltern. Er war sehr verwachsen und besaß als erwachsener Mann nur die Größe eines Halbwüchsigen, hatte glattes schwarzes Haar und kleine braune Augen. Als junger Mann, in der Blüte seines Lebens, suchte er oft die Nähe des zarten Geschlechtes. Doch schon damals wollte sich keine Adlige, keine Zofe, noch nicht einmal eine Bauernmagd zu ihm legen und um ihnen Gold anzubieten war Harold zu stolz. In den Nachbarreichen wurde im Laufe der Jahre viel über den kleinen König des Nordens gelacht und gescherzt und, je öfter er nach einer Gemahlin schicken ließ, desto lauter erklang es in seinen Ohren. So zog er sich immer weiter von ihnen zurück und regierte einsam und still sein großes Reich. Seinem Volke ging es in seiner Amtszeit recht gut.

Es gab keinen Hunger, genug Arbeit, Kleidung und auch genügend Schulen im Land. Die Kirchen waren immer gut gefüllt und es gab schon lange keinen Krieg mehr. So flogen die Jahre dahin und über den einst jungen Harold senkten sich die Jahre, und mit ihnen die Leiden des Alters und der Einsamkeit. Doch, doch, er hatte einen großen Hofstaat, der auch immer für ihn und seine Wünsche da war, aber kann dieser die Liebe zweier Menschen zueinander Ersetzen. Als Harold diesmal, wie schon so oft zuvor, nach schwerer Krankheit langsam gesundete, hielt ihn eine so tiefe Melancholie gefangen, dass sogar seine vielen Minister keinen Rat mehr hatten. So wurde wieder ein Ritter gen Süden geschickt, in der Hoffnung, etwas zur Erbauung des müden Königs zu finden.

Rechtzeitig zum Geburtstag des Königs kehrte der Gesandte glücklich zum Hof zurück und übergab den aufgebrachten Ministern ein großes, von einem wundervollen Tuch, verhülltes Gebilde. Er meinte, das Wesen dahinter würde dem König bestimmt sehr gefallen, da es ebenso zart sei wie dieser. Das Fest wurde ein voller Erfolg und man sprach noch Jahre später, als Harold schon längst begraben und langsam vergessen wurde, davon. Harold trug, auf anraten seiner Minister prächtige Gewänder und als schließlich der verhüllte Käfig zu ihm getragen, und, unter musikalischer Begleitung, das prächtige Tuch gehoben wurde, ging ein Raunen durch den Saal. Sie alle hatten schon von diesen zarten, leuchtenden Wesen des Südens gehört aber keiner hatte je eins von ihnen gesehen.

Es war ein hübsches, kleines, weißes Elfenmädchen, das, völlig nackt, nur durch sein langes, weißes Haar bedeckt in einem großen, goldenen Käfig hockte und mit kaltem Blick die Anwesenden musterte. Sie erkannte recht schnell, das in Harold ihr Schlüssel zur Flucht steckte. Harold indessen war völlig von der kleinen Elfe verzaubert und wem im Reich verwunderte es. Etwas wie dieses kleine, hübsche Ding hatte es noch nie hier gegeben. Am Abend ließ er den Käfig in seine Gemächer tragen und damit begann das Ende von Harolds Herrschaft. Sie war ein gerissenes kleines Ding und so dauerte es nicht lang, bis der kleine, alte, einsame König ihr völlig verfallen war. Sie lockte, sie gurrte, sie berührte ihn, und bewegte sich dabei auf ganz bestimmten Arten und machte Harold so halb wahnsinnig vor verlangen nach ihr. Es verging nicht viel Zeit bis Harold sie zum ersten Mal aus ihrem Gefängnis entlies und sie ihm zu Willen war. Sie hasste den alten König, der in ihr fand wonach ihm immer schon dürstete. Dennoch verführte sie ihn weiter und Harold, völlig von ihrer zarten Schönheit geblendet, genoss ihre Wonnen immer zügelloser und unbefangener. Bei ihr war er der, der er immer schon sein wollte, groß, stark und mit jedem Mal, da er in sie stieß, wuchs er weiter.

Doch die Machenschaften im königlichen Schlafgemach blieben nicht lange unbemerkt, und die Zofen begannen als erste hinter vorgehaltener Hand zu flüstern. Schließlich wurde aus dem ständigen Geflüster schnell Gerede. Die Kirche erfuhr, dass der König nicht nur an der Betrachtung seiner Elfe vergnügen fand, sondern vielmehr noch dabei war, seien königlichen Samen im Bauch einer Hündin zu pflanzen. Auf das Vermischen zweier Rassen stand bei den Menschen jener Tage der Tod durch die Verbrennung und so war das Schicksal des Königs, bevor er auch nur etwas davon ahnte, bereits Besiegelt. Als er wieder einmal ihre Freuden genoss, wurde kurzerhand sein Schlafgemach gestürmt, er verhaftet, danach von der Kirche des Verrates am Volke angeklagt und fast augenblicklich für schuldig befunden. Das kleine Elfenmädchen konnte im Tumult bei ihrer Entdeckung gerade noch fliehen und war schon weit vom Schloss entfernt, als Harolds Kopf, nach reichlicher Überlegung seitens des Bischoffs, ins Sägemehl unter dem Henkersblock fiel. Die Verbrennung eines Mitgliedes des Königshauses war zu dieser Zeit noch undenkbar. Aber auch dieser Brauch würde unter dem Einfluss der Kirche bald schwinden.

Sie schickten danach Ritter aus, die nach der Elfe suchten, aber gefunden haben sie das kleine, kalte Geschöpf nie. Da Harolds Reich nun ohne Herrscher war, wurde seitens der Kirche beschlossen das Königreich an einen der entfernten Verwandten des ehemaligen Königs zu übergeben. Das Volk, das einst den kleinen, zarten Harold geliebt hatte, verfluchte diesen jetzt und bejubelte später den neuen Herrscher.

Sie wollte heim, zu ihrem Volke, kam dabei aber nur langsam voran, des neuen Lebens wegen, das unter ihrem Herzen wuchs. Sie hasste es, wie sie den Verursacher gehasst hatte und versuchte, mit allen ihr bekannten Mitteln, zu töten was immer dort in ihr heranreifte. Dies gelang ihr nicht und so schwoll im Verlauf der nächsten Wochen ihr Bauch und behinderte sie sehr auf ihren Heimweg.

Ihre Schwangerschaft dauerte nur kurz, bei ihrem Volk völlig normal, und sie war immer noch in einem der verzauberten Wälder des Nordens, als sie sich hinhockte und ein kleines, weißes Mädchen gebar. Da dieses nicht ihre erste Geburt war, ging alles entsprechend schnell und problemlos. Sie hatte zudem keine Hemmungen, den Säugling dort zu belassen, wo er aus ihr herausgeglitten war. Mit Hass dachte sie an Harold, der sich an ihr vergnügt hatte, sie gezwungen hatte, ihm zu Willen zu sein, und sie betrachtete das kleine, weiße Mädchen kalt und mit Verachtung. Sie peinigte die Kleine ein wenig mit einem Stöckchen, wurde dessen aber bald überdrüssig, und setzte unbeirrt ihre Reise nach Süden fort. Dem Säugling würdigte sie keinen Gedanken mehr.

Danach wurde ihr jedoch auch kein langes Leben mehr vergönnt. Sie hatte ihr Ziel fast erreicht, als Jäger sie in den Wäldern unter einem Baum schlafend vorfanden, sie einfingen, fesselten und in deren Lager brachten. Dort vergingen sie sich viele Nächte an ihr. Sie waren schon lange von ihren Frauen getrennt, und es bereitete ihnen Vergnügen dieses stolze, harte und schöne Wesen zu demütigen. Doch als sie schließlich ihrer überdrüssig wurden, beendeten sie rasch ihr Leben und vergruben sie unter einer alten Eiche.

Begegnungen

Er erhob sich, lauschend des fernen Geheuls und wandte sich dem Eingang der kleinen Höhle zu. Die fortschreitende Dämmerung ließ draußen alles wie im Zwielicht erscheinen. Er gehörte dem Volk der geflügelten Prinzen an, groß und kraftvoll. Er hatte langes, schwarzes Haar, eine sonnengebräunte, glatte Haut und dieses schöne Gesicht, das allen seines Volkes zuteil war.

Auf diesem lag nun der goldene Schein des kleinen Feuers, das die Höhle sanft erhellte.

Trotz des harten Winters bestand seine Kleidung aus eher dünnem, schwarzem Leder und er hielt seine ledernden, braunen Flügel halbgeöffnet vom Körper ab. Er trug nur wenige Felle und Taschen mit sich, obwohl seine Reise schon lange Jahre andauerte und noch lange nicht beendet war.

Draußen, vor der Höhle, tobte über dem Tal ein fürchterlicher Schneesturm und Raven verspürte nicht die geringste Lust diese zu verlassen, auch wenn ein Rudel Wölfe vielleicht eine warme Mahlzeit versprach.

„Nein, meine Brüder, heute abend ohne mich,“ flüsterte er in den Wind, der in die warme Höhle wehte und ihm Schneeflocken ins Gesicht trieb. Im Umdrehen hörte er wieder ihr Heulen, voller Hunger, aber auch voller Furcht. Ihre Rufe hallten in seiner Seele noch lange nach und er fühlte sich ihnen in ihrer Einsamkeit sehr verbunden. Hatte er doch als junger Mann seine Heimat verlassen, von einer tiefen Sehnsucht getrieben und reiste seitdem durch die Welt, immer auf der Suche nach etwas, dass er nie gefunden hatte. Nun kehrte er Heim von einer jahredauernden Suche und verspürte einen Schmerz, der so tief, so fest in seinem Innern saß, das ihn manchmal Angst vor seiner Zukunft beschlich. Angst vor einer einsamen, vor einer stillen Zeit und ihm wurde klar, dass sie derselbe Hunger nach Liebe und Vertrauen trieb. Nun, dachte er, das Wild ist fort, schon vor dem Winter in tiefere Täler gezogen, also entweder ein schlaftunkender Bär oder ein sehr, sehr dummer Mensch. Ein Bär hatte von ein paar klapprigen Wölfen nichts zu befürchten und ein Mensch? Sei es drum. Raven, Sohn seines Volkes, verachtete die Menschen ebenso sehr wie diese ihn und er würde nie einem Feind helfen. Dennoch, etwas ließ ihn einhalten. Es war ein sonderbares Gefühl, ein starker Drang, der Sache auf den Grund gehen zu müssen. Er trat in die schneedurchtoste Dunkelheit auf das Plateau vor der Höhle, und schwang sich, Kontrolle über seine Flügel suchend, in den Wind empor.

Der Schneesturm war dicht und die Sicht sehr schlecht. Der Wind heulte so sehr, dass er das andere Heulen darüber kaum vernehmen konnte. Nachdem er seinen Flug stabilisiert hatte, war es nicht mehr schwer das halbverhungerte Rudel auf einer großen Lichtung im Tal zu finden. Die Wölfe umschlossen in engeerwerdenden Kreisen einen kleinen Fellberg. Also, doch ein Bär, dachte Raven. Ein Jungtier, dem in seinem Bau wohl zu kalt geworden ist. Armer kleiner Kerl, dachte er mit Bedauern, aber ich werde dir nicht helfen können, das ist etwas, womit du allein mit fertig werden musst. Er beschloss zur warmen Höhle zurück zu kehren, doch etwas hielt ihn hier fest, zog ihn wie magisch zum Bündel, das bewegungslos auf dem Schnee lag.

Stimmt, bemerkte er, wie konnte ich das übersehen.

Er schallt sich einen Narren. Ein Bär, egal ob klein oder groß, würde toben, angesichts des hungrigen Rudels und auch ein Mensch würde versuchen sich zu wehren. Und noch etwas war Merkwürdig, denn, obwohl das Fellbündel völlig bewegungslos dalag, hatten die Wölfe große Angst davor und wohl nur ihr rasender Hunger ließ sie langsam näher rücken. Jetzt war seine Neugier geweckt und er beschloss, das Fellbündel samt Inhalt mit zur Höhle zu nehmen. Sollte der Inhalt sich doch als feindlich erweisen, konnte er es immer noch dem hungrigen Rudel überlassen oder gar mit denen teilen. Im Sturzflug, trotz schlechter Sicht, ergriff er das Bündel recht zielsicher und stellte überrascht fest, wie ungewöhnlich leicht es war. Die Wölfe, vorher schon verängstigt, suchten jetzt ihr Heil in der Flucht und rannten jaulend zurück in die dunklen, verschneiten Wälder.

Raven war verwirrt.

Nach dem er zur Höhle zurückgekehrt war, legte er das kleine, leichte Bündel nahe ans wärmende Feuer und nahm gegenüber Platz. Er war sehr neugierig auf das, was die Wölfe so eingeschüchtert hatte, doch es dauerte noch lange, bis die Felle sich zu rühren begannen. Er lehnte sich erwartungsvoll nach vorn, als eine kleine, weiße Hand langsam und tastend zum Vorschein kam.

Ein Kind! Dachte er mehr als überrascht.

Bei den alten Göttern, was suchte ein Kind mitten im Winter allein in den Bergen und warum hatten die Wölfe solche Scheu davor? Dann wich er verblüfft zurück, als der kleine Kopf zum Vorschein kam. Ihr kleines, elfenhaftes Gesicht wurde nur von ihrem langen, weißen Haar eingerahmt und er sah in die ungewöhnlichsten Augen, die er je erblicken sollte. Ihr blaugrüner Blick war verwirrt und unsicher und sie wich scheu, das Bärenfell mit sich zerrend, zur Höhlenwand zurück.

Er bemerkte, dass sie außer dem alten Bärenfell keine Kleidung oder Taschen trug.

„Auf was, bei den alten Göttern, bin ich hier gestoßen?“ Sprach er leise mehr zu sich, spürte er doch ihre Unsicherheit und wollte ihr etwas Zeit lassen. Von den Frauen der Völker wusste er, das diese irgendwann zu Reden begannen, egal wie tief der anfängliche Schock auch immer saß, und das konnte ihm manchmal recht lästig werden. Doch, obwohl er lange Zeit wartete, schien sie irgendwie anders zu sein. Er sah in ihre großen, leuchtenden Augen und beherrschte seine Aufregung nur schlecht.

„Sag, was treibst du hier allein in den Bergen,“ er sah sie neugierig an, „wo sind deine Leute, woher kommst du?“ Sie blickte langsam zum Höhleneingang, gab ihm aber keine Antwort. Ihr Blick war traurig und sehnsüchtig auf die Ferne gerichtet, so als warte sie auf etwas, auf jemanden, den sie sehr vermisste.

„Gut, du redest nicht mit jedem,“ meinte er resigniert, „das kann ich verstehen, ich mache das auch nicht, aber verrate mir doch wenigstens deinen Namen.“

Sie sah in verunsichert aber nicht unfreundlich und mit leicht schrägehaltendem Kopf an, blieb aber auch weiterhin stumm. Er betrachtete sie. Sah in ihr schönes, kleines Gesicht, bekämpfte dabei seine wilde Neugier und zuckte dann schließlich nur mit seinen Schultern.

„Nun denn, belassen wir es vorerst dabei, vielleicht reden wir später.“

Die Abenddämmerung wich langsam der Nacht und es wurde kälter in der kleinen Höhle, so das beide dichter ans Feuer rückten um sich zu wärmen. Raven besaß als Proviant Dörrfleisch und einige der kleinen, harten Äpfel, die im Norden wild wuchsen. Beim gemeinsamen Mahl betrachtete er sie etwas eingehender. Sie war ungewöhnlich, etwas wie sie war ihm noch nie zu Gesicht gekommen und er war schon weit gereist und hatte viel gesehen. Irgendwie war sie halb Mensch, halb Elf. Dennoch hatte sie auch etwas Fremdes an sich, ihre sonderbar leuchtenden Augen, wie aus einer anderen Welt. Sie steckte für ihn voller Rätsel, denn zwischen Menschen und Elfen gab es seines Wissens nach keine Verbindungen, die ein Wesen wie sie wachsen ließen. Zudem lebte das Elfenvolk viel weiter südlich, an den warmen Küsten des großen Meeres. Dennoch ähnelte sie einer Elfe auf verblüffender Weise und er war von ihrem zarten Anblick seltsam berührt. Zum ersten Mal in seinem Leben spürte er, das er auf etwas Neues, etwas Ungewöhnliches gestoßen war und das kleine, helle Mädchen begann ihn zu faszinieren. Vielleicht hatte mit ihr seine unruhige, quälende Suche nun endlich ein Ende gefunden. Die ganze restliche Nacht, während sie unruhig schlief, beobachtete er sie. Es bedrängten ihn viele offene Fragen, wo zum Beispiel ihre Wurzeln lagen und was sie mitten im Winter allein und halbnackt durch die Berge trieb und er beschloss, dies herausfinden zu wollen. Gegen Morgen dachte er, sie vorerst mitzunehmen, wenn sie es denn wollte. Nur so würde er, wie er sich erhoffte, Antworten auf seine Fragen erhalten. Sie machte auf ihn einen hilflosen, einen zurückgelassenen Eindruck, doch sie schien freundlich und entgegenkommend zu sein und, bei den alten Göttern, sie war wunderschön.

Am anderen Morgen betrachtete er sie, nochmals überlegend, und fragte sie schließlich ob sie ihn begleiten wolle. Raven wunderte sich ein wenig über seine erfreute Reaktion als sie, nach langer Überlegung ihrerseits, ihn anblickte und schließlich nur kurz nickte. Nachdem sie den Rest des Fleisches gegessen hatten, reichte er ihr seine Wechselkleidung und verließ dann die kleine Höhle, damit sie sich anziehen konnte.

Er stand draußen auf dem kleinen Plateau vor der Höhle, und sog die frische, kalte Luft tief in seine Lungen. Der Morgen war wieder klar, der Sturm des Abends vorbei und die ersten Sonnenstrahlen glänzten hell auf dem neuen Schnee, der das ganze Tal unter ihm bedeckte. Er fühlte sich stark und lebendig und freute sich seid langem wieder auf den weiten Flug nach Süden. Kurze Zeit nach ihm trat sie aus der Höhle und als Raven sich umwandte, musste er laut Auflachen, ihres Anblicks wegen. Sie erschrak, wich zurück und sah ihn sehr misstrauisch an.

„Nein, nein, du musst keine Angst haben,“ er hob beschwichtigend seine Hände und unterdrückte einen erneuten Anfall, „aber, wenn du dich sehen könntest.......,“ wieder musste er Lachen und sie sah mit Unverständnis im Blick zu ihm auf. Sie war so klein und verschwand dabei völlig in seiner Kleidung. Die Hose, die Weste, der Fellüberwurf, alles schlotterte an ihr, war ihr viel zu groß.

„Warte,“ meinte er, immer noch lachend, „ich werde dir helfen.“

Er betrat erneut die Höhle und kramte in seinen Taschen nach Lederbändern und seinem Messer, um ihr, wieder draußen, seine Kleidung zu kürzen und ihr mit den Bändern etwas mehr halt zu geben. Die Reste des Fellüberwurfs band er um ihre kleinen, weißen Füße und als er sich wieder erhob, er war mit dem Ergebnis seiner Arbeit sehr zufrieden, lächelte sie ihn zum ersten Mal freundlich an.

„So, fertig,“ Raven sah erstaunt zu ihr herab, sie schien zu Leuchten, wenn sie so lächelte, „bist du bereit, kann es losgehen?“ Sie sah zu ihm auf, nickte und begann dann schnell und geschickt ihr langes Haar zu einem dicken Zopf zu drehen, der ihr anschließend, mit den Resten der Bänder zusammengehalten, bis zur schmalen Hüfte fiel. Anschließend packten beide ihre Habseeligkeiten zusammen, löschten das Feuer und traten zum letzten Mal auf das Plateau. Er würde mit ihr fliegen müssen, wie Leute seines Volkes mit ihren Kindern flogen, und er überlegte kurz, ob sie dies wohl zulassen würde.

„Warte,“ Raven löste seinen dicken, schweren Gürtel von seiner Taille, „du wirst dich in der Luft sonst nicht lange halten können. Dafür ist es zu kalt, und ich muss meine Hände freibehalten. Möchtest du nach oben sehen oder die Landschaft betrachten?“

Er sah sie hoffend und abwartend an. Sie überlegte nur kurz und trat dann so auf ihn zu, das sie sich gegenüberstanden.

„Gut,“ meinte er, ging freudig in die Knie und band sie mit dem Gürtel fest an sich. Ihre Nähe, ihr Geruch, sie machte ihn nervös und er versuchte, sich auf den bevorstehenden Flug zu konzentrieren. Als er sich wiederaufrichtete, hing sie, wie seine Taschen auch, fest an ihm verschnürt und er ging zum Rand des Plateaus.

„Halte dich fest und habe Vertrauen,“ flüsterte er ihr zu, jetzt ihre Angst fühlend, breitete danach seine großen, ledernen Schwingen aus und stürzte sich dann mit ihr in die Tiefe. Er fing sich mühelos ab, sie wog fast nichts, und rauschte mit ihr erst segelnd über die Wipfel der schneebedeckten Bäume, um danach mit mächtigen Flügelschlägen langsam an Höhe zu gewinnen. Sie klammerte sich ängstlich zitternd an ihn, und er fürchtete dadurch schon um seine Fassung.

„Sieh mich an, kleine Fee.“ Langsam hob sie den Kopf und öffnete die Augen.

„Es wird dir nichts passieren, das verspreche ich dir, aber bitte, klammere dich nicht so fest.“ Daraufhin entspannte sie sich ein wenig und auch Raven ging es nun etwas besser, obwohl ihr Zauber ihn immer weiter gefangen nahm. Um sich etwas von ihr abzulenken, hielt er den Blick stur nach unten, um nach Leuten, Häusern oder Vieh Ausschau zu halten, denn irgendwo her musste sie schließlich kommen. Doch nichts dergleichen bekam er zu sehen, und gegen Mittag gab es er auf.

Die schneebedeckte Landschaft unter ihnen war Atemberaubend, doch nichts deutete auf Menschen oder anderes Leben hin, außer einigen mageren Rehen, von denen er eines im Flug packte und schnell in der Luft tötete. Sie flogen den ganzen Tag hindurch, und er begann am Nachmittag wieder nach einem Lagerplatz für die Nacht zu suchen und fand später eine kleine Lichtung im Wald. Keine Höhle, aber besser als nichts. Raven landete sehr vorsichtig da sie jetzt schon seid geraumer Zeit fest schlief. Er legte sie sanft zu Boden und bereitete so schnell er konnte das Lager, um sie dann in die wärmenden Felle zu betten. Sie schlief unter seinem wachen Blick bis zum Abend und als sie dann erwachte, brannte ein Feuer und darüber hing das magere Reh. Er saß am Feuer und schnitzte, als sie sich schlaftrunken die Augen rieb. Erfreut blickte er sie an.

„Du hast lange geschlafen, kleine Fee, bist du hungrig?“ Sie gähnte, streckte sich ausgiebig und nickte ihm danach immer noch etwas müde zu.

„Das ist gut, denn dieser prächtige Braten wäre für einen allein sowieso viel zuviel,“ meinte er grinsend und sie lächelte verschlafen zurück. Er erhob sich, ging zum Feuer und gab ihr danach ein großes Stück vom Reh. Sie aßen schweigend, und er fühlte sich seid sehr langer Zeit wieder wohl. Normalerweise banden sich die Männer seines Volkes nicht an eine Frau. Aber ja, sie hatten Frauen, und wo immer sich die Gelegenheit bot, teilten sie mit ihnen die Wonnen, was bei Menschenweibern oft deren Tot zur Folge hatte. Sein Volk war in vielerlei Beziehung mächtig und einige waren dieser Macht eben nicht Gewachsen, was bedauerlich war, sich aber nicht ändern ließ. Doch sie übte eine besondere Faszination auf ihn aus, und er war neugierig, ob es nur ihm so ging oder auch andere Männer seines Volkes betreffen konnte.

Sie war so klein, so jung und wunderschön. Er unterdrückte nur mit Mühe den Drang sie zu berühren und schwor sich, so lange zu warten, bis sie auf ihn zukommen würde. Doch es würde hart werden, das wusste er. Nach dem gemeinsamen Mahl reinigte sie ihre Hände mit Schnee und begann danach ihren, jetzt unordentlichen Zopf zu lösen und einige Kletten im langen Haar zu entwirren. Er erhob sich, ging ums Feuer und reichte ihr seine Schnitzerei.

„Hier, kleine Fee, bis du einen neuen hast wird dieser es auch tun.“ Damit reichte er ihr einen kleinen Holzkamm, an dem er schon den ganzen Nachmittag lang gearbeitet hatte. Erstaunt sah sie zu ihm auf, nahm ihm den Kamm dann auch aus der Hand, aber betrachtete ihn danach nur fragend. Schließlich legte sie ihn in ihren Schoß und bearbeitete ihr langes Haar weiter mit den Händen. Raven sah sie völlig verblüfft an und so langsam dämmerte ihm, in was er da hineingeraten war. Sie kannte keinen Kamm? Jede Frau, absolut jede, egal ob stolze Königin oder arme Bäuerin, ob Elfenprinzessin oder Zwergin nannte einen Kamm ihren Besitz. Wenn sie die Funktion eines solchen nicht kannte, hatte sie nie unter Menschen oder anderen Völkern gelebt. Er beugte sich herunter, nahm ihr den Kamm aus dem Schoß, setzte sich hinter sie und begann vorsichtig ihr langes, schönes Haar zu kämmen. Zuerst zappelte sie dabei ein wenig herum, doch als er mit ihr sprach, beruhigte sie sich und saß dann still.

„Du hast schönes Haar, kleine Fee, und um es zu pflegen habe ich dir diesen Kamm gemacht. Du kennst keine Kämme, das heißt, du kennst auch die anderen Dinge der Völker nicht. Keine Häuser, keine Städte, keine Länder. Gut, die dreckigen Orte der Menschen muss man auch nicht kennen. Aber es gibt auch sehr schöne Dinge, unsere Schlösser zum Beispiel sind so schön wie du. Oder Schmuck, oder schöne Kleider, oh es gibt so viel, was ich dir zeigen könnte. Aber ich habe die Vermutung, dass du ein Wolfskind bist, du mich darum nicht richtig verstehen kannst..........“

Wütend warf sie sich plötzlich herum und überraschte Raven mit ihrem Angriff total. Sie sprang ihn an und durch die Wucht wurden beide nach hinten geworfen. Sie landete auf ihm und bearbeitete fast augenblicklich seinen Oberkörper mit ihren kleinen Fäusten. Raven, noch immer vom plötzlichen Angriff verwirrt, brauchte etwas Zeit um ihre Arme zufassen zu kriegen, doch dann hielt er mit eiserner Kraft fest.

„Gut, es ist gut,“ rief er sie an, „hörst du mich, es tut mir leid.“

Ihr Wutanfall ließ langsam nach und er lockerte augenblicklich seinen festen Griff.

„Beruhige dich, bitte, es tut mir leid, ich wollte dich nicht verletzen, glaub mir, ich wollte dir nicht weh tun.“ Er sah in ihre, vor Tränen schimmernden Augen, ließ einen ihrer Arme los und streichelte ihr dann nur kurz, aber zärtlich über die erhitze Wange.

„Du verstehst alles, was ich sage, richtig?“ Sie nickte und ihre Tränen liefen jetzt.

„Was bin ich für ein Narr, bei den Göttern, was für ein Narr. Ich habe noch niemals im Leben ein Wesen wie dich getroffen und ich weiß absolut nichts von dir......... es tut mir leid....... Bitte, kleine Fee, verzeihst du mir?“ Sie ließ sich Zeit, doch dann nickte wieder und ihn durchströmte ein so starkes Gefühl für sie, das er sie in seine Arme zog, sich mit ihr zurücksinken ließ und sie einfach nur festhielt. Er bemerkte mit Verwunderung, das er dabei war sich zu verändern. Was berührte dieses kleine Ding in ihm, zumal nach so kurzer Zeit, dass er sich für etwas Gesagtes Entschuldigte. Er, Raven, einer der Könige der Lüfte und Herrscher seines großen, fernen Reiches wurde beherrscht von diesem kleinen Mädchen. Und doch, merkte er, es gefiel ihm.

Diese Gefühle, die er jetzt empfand, waren ihm zwar fremd, aber er genoss sie dennoch. Noch nie hatte er so für ein Wesen gefühlt. Noch niemals etwas wie sie erblickt. Er streichelte über ihr jetzt gekämmtes Haar und fühlte seine Weichheit, spürte ihr Gewicht, ihre Wärme auf seinem Körper und die dadurch beginnende Hitze in seinen Lenden. Doch er wollte diesen Moment nicht von seinen Treiben stören lassen und unterdrückte diese rasch.

„Wer bist du, kleine Fee,“ flüsterte er sanft, „wer bist du bloß.“

Sie erwachte wieder lautlos schreiend aus dem immer wiederkehrenden Traum. Sich umschauend erhob sie sich und sah den großen, geflügelten Mann dicht bei ihr am Feuer schlafen und langsam kehrte die Erinnerung zurück. Stimmt, dachte sie, ich habe ihn begleitet, als er mich gefragt hatte. Doch er war so sonderbar. Mutter hatte ihr zwar viel von den Anderen erzählt, wie sie lebten, was sie taten, aber auf dies hatte sie Alina nicht vorbereitet. Mutter, wo war sie bloß, ging es ihr gut?

Alina erinnerte sich an den Traum, der sie bis jetzt in jeder Nacht verfolgt hatte. Mutter, die plötzlich fortging und sie zurückließ, an den vielen Schnee, wie sie nach ihr rief, sie suchte, Stunde um Stunde, Tag um Tag. An die freundlichen Wölfe, und wie sie dann überraschend empor und in die Luft gerissen wurde. Sie dachte an den vergangenen Abend, an die Worte, die er gesprochen hatte. Dass alles verwirrte sie so sehr, und vieles von dem, was er redete, verstand sie auch nicht richtig. Doch Mutter hatte ihr einmal erzählt, was es bedeutete, wenn sie jemand ein `Wolfskind´ nannte, nur, weil sie nicht sprechen konnte. Für viele Völker waren Wesen ohne Worte entweder tumb oder vom Teufel besessen, wer immer das auch sein mag. Deshalb tat es ihr sehr weh, als er sie so nannte. Mutter sagte immer, man müsse sich vor den Anderen in Acht nehmen, doch sie fühlte sich so einsam, so allein, nachdem Mutter fort war. Deshalb war sie doch nur mit ihm gegangen und hatte ihre Wälder verlassen. Die Wälder, die ihr Heim waren. Die Wälder, in denen sie aufgewachsen war. Mutter würde sehr böse mit ihr sein. Doch er war so gut zu ihr gewesen und als sie in seinen Armen gelegen hatte war da plötzlich etwas Neues, etwas Aufregendes tief in ihr. Sie mochte diesen großen, hübschen Riesen wirklich, beschloss aber vorerst, etwas vorsichtiger zu sein und nicht zuviel von sich preiszugeben. Sie setzte sich aufrecht hin und begann, wie schon einige Male zuvor, mit geschlossenen Augen und offenem Geist nach ihrer Mutter zu rufen.

Sie irrte wieder durch die schneedurchtoste Dunkelheit. Sie weinte und rief in den heulenden Wind nach ihrer Mutter. Fühlte nur Einsamkeit in sich und den harschen Schnee im Gesicht.

„Mutter, bitte, Mutter, wo bist du, lass mich doch hier nicht alleine, bitte.“ Sie lief Barfuss durch den zwielichtigen Wald, fror und fühlte dabei heiße Tränen über ihre Wangen laufen.

„Alina.“ Der Ruf wurde vom heulenden Wind wie von weit hergetragen, und erstarb fast durch diesen. Doch sie hörte ihn mehr in sich, als mit den Ohren.

„Mutter, ich höre dich. Warte, ich komme zu dir,“ rief sie in den heulenden Wind und stapfte entschlossen durch den tiefen Schnee in Richtung der fernen Stimme.

„Alina,“ erklang es wieder aus weiter Ferne zu ihr, „bleib bei ihm. Es ist sehr wichtig, das du mit ihm gehst. Er ist deine, er ist unser aller Zukunft. Folge ihm. Folge ihm in seine Welt.“ Die Stimme ihrer Mutter verhalte langsam in der Ferne und ließ sie einsam und frierend inmitten des Schneesturms zurück.

Sie erwachte langsam aus ihrer Trance und fand sich im Lager neben dem schlafenden Mann wieder. Mutter war nicht böse, das sie ihn begleitet hatte. Mutter hatte ihr sogar zugerufen, dass sie bei diesem Mann bleiben solle. Er, der ihrer aller Zukunft darstellen sollte. Aber was hatte das alles zu bedeuten. Sie überlegte dies gründlich, fand aber vorerst keine Antwort auf ihre Fragen. Nun, sie vertraute ihrer Mutter von ganzem Herzen und würde sich ihrem Wunsch gemäß fügen. Dennoch fühlte sie sich nicht ganz wohl bei dem Gedanken, Mutter und ihre Heimat jetzt verlassen zu müssen. Diese verwunschenen Wälder des Nordens, in denen sie geboren war, stellten ihr Reich da. Hier lebte sie bisher, kannte die Pflanzen und Tiere und fühlte sich auch ohne Mutter geborgen. Und nun sollte sie ihre Welt vielleicht für immer verlassen?

Sie fühlte sich sehr einsam, klein und traurig am nächsten Morgen, und obwohl der große Mann später viel unternahm um sie aufzuheitern, gelang es ihm nicht. Als sie schließlich ihre Reise fortsetzten stellte sie sich dieses mal mit dem Rücken zu ihm. Sie nahm mit dem Blick auf ihre verschneiten Wälder, still Abschied von ihnen und ihrer Mutter, die irgendwo dort unten war. Gegen Mittag, ihre Tränen waren langsam versiegt, begann sie doch noch gefallen am Fliegen zu finden. Es berauschte sie, dass alles unter ihr nur so vorbeirauschte. Er musste wohl eine Veränderung bei ihr bemerkt haben, denn er verlangsamte sein Tempo, und segelte dann ruhig mit ihr über die dicht bewaldeten, verschneiten Berge und Täler dahin. Von Gefühlen überwältigt, streckte sie ihre kleinen Arme aus und stellte sich vor, sie sei ein kleiner Vogel der frei und ohne Sorgen durch die Lüfte glitt. Er ergriff behutsam ihre kleinen Hände.

„Ja, kleine Fee, fliege mit mir,“ flüsterte er leise, und so glitten sie durch die Kälte dahin, jeder in seinen eigenen starken Gefühlen gefangen. Die Sonne glitzerte auf dem dicken Schnee, und mehr als ein Ast brach unter ihnen unter dessen Gewicht. Die sanften Wolken zogen über ihnen hinweg Richtung Süden, und sie würden ihnen folgen.

Der Drachen

Am späten Nachmittag fanden sie eine alte, verlassengeglaubte Drachenhöhle, die zwar nicht besonders gut roch, aber dafür groß und windgeschützt lag. Sie schlugen gemeinsam ihr Lager auf und stellten mit Erstaunen fest, das der alte, trockene Drachendung hervorragend brannte. Sie aßen die letzten Reste des Rehs und saßen sich danach noch lange gemeinsam am Feuer gegenüber. Raven hatte jetzt genauso lange mit sich gerungen. Während des Fluges hatte er hin und her überlegt, und er fand nur eine einzige Möglichkeit, nur einen einzigen Weg, den er mit ihr würde gehen können, sosehr dieser ihn auch schmerzen würde.

„Ich weiß nicht,“ begann er unruhig, „wie lange du mich noch begleiten kannst, kleine Fee. Für deinesgleichen verkörpere ich nur tot und verderben, und meine Reise zurück zu meinem Reich ist noch lang und beschwerlich. Ich muss bald das große Meer überqueren und ich weiß nicht, ob ich das mit dir schaffen werde, oder ob du überhaupt so weit mit mir kommen möchtest.“ Er sah ihr lange ins schöne Gesicht. Sie erwiderte seinen traurigen Blick nur ruhig, verstand aber nicht ganz, worauf er jetzt hinauswollte. Innerlich voller Neugier wartete sie, dass er fortfuhr.

„Du bist so ungewöhnlich. So schön. Ich könnte es nicht ertragen, dich in deinen Tot zu führen.“

Sie sah ihm jetzt ernst in die Augen, denn sie wusste, was der Tod zu bedeuten hatte.

„Weißt du,“ fuhr er versonnen fort, „auch ein Prinz der Lüfte sehnt sich manchmal nach Liebe, nach Nähe und Geborgenheit. Sehnt sich nach einem Wesen, das mit ihm gemeinsam durchs Leben zieht. Du bist noch fast ein Kind und wirst noch nicht viel von diesen Sachen wissen, aber glaube mir, es wird mir nicht leichtfallen dich zurücklassen zu müssen.“ Sie schüttelte jetzt entschlossen ihren kleinen Kopf. Er sprach für sie zwar oft in Rätseln, aber zurück lassen durfte er sie nicht.

„Doch,“ wiedersprach er jetzt ihrem Kopfschütteln,“ im Süden leben noch viele meines Volkes, dort wird man sich gut um dich kümmern. Dort wirst du in Frieden vor den Menschen leben und viele Freunde finden, glaube mir bitte, es wird so besser sein. Ich wäre über kurz oder lang nur dein tot.“ Alina war zwar entsetzt, aber nicht darüber, dass er ihr Tod sein könnte. Denn, zuerst nahm er sie mit, riss sie mit sich fort in seine Welt hinein und nun das. Dabei hatte Mutter ihr gesagt, sie solle ihm unbedingt folgen, und nun wollte er sie im Süden, was immer das war, zurücklassen? Sie war völlig verzweifelt. Wie sollte sie ihm nur klarmachen, wie wichtig es Mutter war, dass sie ihn begleitete. Sie sah hilflos zu ihm auf und erkannte einen tiefen und dunklen Schmerz in seinen braunen Augen, der sie innerlich sehr tief berührte. Sie wusste nicht was Liebe, Nähe oder Geborgenheit bedeutete, spürte aber, wie wichtig diese Dinge jetzt für ihn wurden. Sie fragte sich, in wie weit dies wohl an ihr läge und fühlte sich darum den Rest des Abends sehr klein und hilflos.

„Mutter, was ist Liebe?“ Sie lagen gemeinsam auf einer wunderschön blühenden Wiese und die Sonne schien sanft auf sie herab. Überall summten die wilden Bienen, und auch bunte Schmetterlinge flatterten fröhlich um sie herum. Mutter war bezaubernd anzusehen, wie sie so in der Sonne lag und leuchtete und Alina war sehr glücklich in ihrer Nähe.

„Alina, meine kleine Tochter, das ist schwer zu erklären,“ sanft lächelnd sprach sie weiter, „wenn du jemanden sehr, sehr gern hast, dann liebst du ihn. So wie die Mutter ihr Kind, oder der Mann seine Frau. Verstehst du das, mein Kind?“ Fragte sie jetzt und Alina nickte lächelnd.

„Die Liebe macht dich glücklich,“ erklärte Mutter weiter, „sie erfüllt dein Herz mit Freude, du strahlst sie aus und es geht dir gut.“ Sie schien einen Moment zu überlegen.

„Sie verleiht dir Flügel,“ sagte sie weiter, „und du gleitest auf ihren Schwingen dahin. Für die Anderen ist die Liebe ihr wertvollstes Gut und sie kämpfen um sie, oder töten gar im Namen der Liebe.“ Mutter hob jetzt lauschend ihren Kopf und blickte versonnen in die Ferne.

„Ja, und manchmal töten sie sogar das, was sie eigentlich von Herzen lieben.“ Sie machte wieder eine Pause und lauschte noch einmal in die Ferne.

„Alina, Kleines,“ sagte sie nun, und lächelte dabei so sanft, „dein Vater ruft nach mir, ich muss dich jetzt verlassen.“ Sanftes Licht tauchte sie jetzt ein, und Alinas Herz schwoll vor Liebe zu ihr.

„Bitte Mutter, einen Augenblick noch,“ bat Alina, jetzt traurig geworden, dass ihre Mutter schon wieder gehen musste. Doch jetzt vernahm auch sie den ungeduldigen Ruf ihres Vaters.

„Es tut mir leid, Kleines, aber du weißt wie er ist. Komme wieder her, wann immer du möchtest, ich werde hier auf die warten,“ damit erhob sie sich und ging langsam über die Wiese fort.

Alina erhob sich langsam, und nur schwer gelang es ihr anfänglich, sich dem Bann des eben geträumten zu entziehen. Es herrschte noch dunkle Nacht, doch die sah das der Geflügelte ihr wach gegenübersaß und sie besorgt musterte.

„Du hast sehr unruhig geschlafen, geht es dir gut?“ Fragte dieser sie jetzt leise. Sie nickte, immer noch gefangen vom erfahrenem. Sie hatte jetzt eben einen ersten Eindruck von der Liebe bekommen, verstand aber nicht, warum sich dieser große Mann nach etwas sehnte, das für ihn bestimmt nicht schwierig zu bekommen war. Sie musterte ihn nun eingehend, und er rutschte unter ihrem Blick nur unbehaglich umher. Er war jung, groß, stark und für sie auch noch sehr gutaussehend, zudem besaß er ein ganzes Königreich, warum also war er so einsam. Das verstand sie nicht. Es musste noch mehr dahinterstecken und sie beschloss, dieser Sache irgendwann einmal auf den Grund zu gehen. Doch zu aller erst musste sie versuchen, irgendwie bei ihm zu bleiben. Mutter hatte ihr gesagt, das sie und Vater ihr folgen würden, und der Süden noch weit entfernt war. Ihr dabei aber auch noch einmal nahegelegt wie wichtig es für sie war, das Alina ihm weiterhin folgte. Binde ihn an dich, hatte sie zu ihr gesagt, du hast die Macht. Gebe ihm wonach er dürstet, liebe ihn. Auf Alinas Frage nach dem warum, schwieg sie nur lächelnd. Gut, dachte Alina, er sehnte sich nach Liebe, und wenn es Mutter so wichtig erschien, dann sollte er sie auch bekommen. Alina sah über das Feuer hinweg zu ihm, sah seinen sonderbaren Blick, mit dem er sie jetzt musterte und in diesem Augenblick begann sie ihn tatsächlich ein wenig zu Lieben. Sie stand leise auf, ging ums Feuer herum und als er einen seiner Arme hob, kuschelte sie sich eng an ihn. So saßen sie den Rest der kalten Nacht schweigend beieinander.

Im Morgengrauen, er hatte sie schon früh verlassen um zu jagen, hatte sie das Gefühl als riefe jemand nach ihr. Die Stimme war leise und uralt, und obwohl sie die Worte nicht genau verstand, nahm sie ein brennendes Holzscheit, der Dung war ihnen mittlerweile ausgegangen, und folgte dieser tiefer in die Höhle hinein. Die Stimme, sie hörte sie mehr in ihrem Kopf als mit den Ohren, rief sie mit einer solch tiefen Liebe und Zärtlichkeit, dass sie ihre Ängste schließlich verwarf und ihr langsam folgte. Sie ging, ohne lange zu zögern, tiefer in den dunklen Korridor aus der sie zu kommen schien. Doch etwas unbehaglich war ihr dabei dennoch zumute.

„Komm, mein Kind, komm zu mir, habe keine Angst.“

Der Korridor weitete sich schließlich zu einer großen, matt erhellten Höhle und inmitten dieser fand sie ihn. Riesig und wirklich schon uralt lag er hier. Seine trüben Augen sahen ihr freundlich entgegen und seine rauen Schuppen glänzten matt im sanften Licht ihrer Fackel. Mutter hatte einmal von ihnen erzählt, aber Alina hatte noch nie einen der großen alten Drachen gesehen. Ehrfürchtig blieb sie vor ihm stehen und sah bewundernd zum großen Kopf auf, der sich jetzt vor ihr mächtig erhob.

„Tritt näher mein Kind,“ sagte der Drache sanft, „meine Augen sind schlecht und mein Körper alt, dir droht keine Gefahr von mir.“ Langsam und leise trat Alina vorsichtig näher.

„Bist du das Kind des Waldes, das Mädchen, das uns zur Neuen Welt führen soll?“ Wollte der Alte jetzt zärtlich von ihr wissen, und blickte sie dabei voller Liebe an.

`` Ich verstehe den Sinn deine Worte nicht, `` dachte sie, `` und ich kann nicht sprechen. ``

„Das weiß ich,“ erwiderte dieser ruhig, „aber ich höre deine Gedanken in mir, wie du meine Stimme und das soll uns erst einmal reichen.“ Der alte Drache änderte knurrend etwas seine Position und blickte Alina danach wieder sanft an.

„Hör zu, mein Kind, es gibt eine alte Prophezeiung von der ich dir erzählen will. Seid Anbeginn der Zeit wartet jedes der alten Völker auf ein stummes Kind, das alle Sprachen der Welt in sich vereint. Ein Mädchen des alten Blutes, dem wir folgen werden, fort von der Menschenwelt und der Grausamkeit in ihr. Bist du dieses Kind? Bist du vom alten Blut?“ Er blinzelte sie gütig an.

`` Ich verstehe dich nicht, alter Drache, eine Prophezeiung? Altes Blut? ....... ich bin noch so jung und wie könnte ich so mächtige Wesen wie euch führen, wo ich selbst das Ziel meiner Reise noch nicht einmal kenne? Du musst dich irren, `` dachte sie verwirrt und blickte den Alten fragend an.

„Nun irrst du, kleines stummes Mädchen, meine Augen mögen schlecht sein, aber ich erkenne das Leuchten, welches dich umgibt.“ Sanft schnaubte der Alte, und sein warmer Atem strich über sie hinweg. Alina blickte ihn nun mehr als verwirrt an.

`` Was sagst du da, alter Drache? Dein Geist muss wirr sein. Ich bin nicht die auf die du wartest, glaube mir. Ich führe nur meine Familie und ich weiß noch nicht einmal genau wohin ``

Der Alte lachte nun leise, aber schnaufend.

„Wir alle sind deine Familie,“ grunzte dieser nun immer noch lachend, „und du glaubst, du gehst allein? Nein, kleines Mädchen, wir alle haben nur auf dich gewartet und wir alle werden dir jetzt folgen.“ Alina war nun sehr ängstlich und verwirrt, drehte sich um und verließ schnell die tiefe Höhle. Fast rannte sie hinaus, doch sie hörte ihn noch sagen,

„So wie du meinem Ruf gefolgt bist, werde ich dem deinen im nächsten Frühjahr folgen.“

Damit sank er glücklich zurück in seinen tiefen Winterschlaf, begleitete von dem Wissen, das endlich das warten beendet wäre, und der Zug zu einer besseren Welt begonnen hatte.

Sie lief schnell zum Feuer zurück und dachte über die Worte des alten Drachen nach. Sie sollte sie führen, ihr würden sie alle folgen? Wer würde ihr folgen? Und warum? Das alles war totaler Unsinn. Mutter und ihre Familie, gut, aber die Drachen? Oder andere? Unmöglich.

Ich bin zu klein, zu jung und ich kenne die Welt da draußen überhaupt nicht. Ich sah nie etwas anderes als die dunklen Wälder des Nordens, und ausgerechnet ich soll sie führen? Sie verwarf diesen Gedanken, beschloss aber dennoch in der kommenden Nacht mit Mutter darüber zu reden.

„Sieh, was ich erlegen konnte.“

Raven warf einen großen, schwarzen Keiler in die Höhle und betrat diese dann Blut überströmt.

Sie stürzte hastig zu ihm und untersuchte ihn schnell.

„Nein,“ beruhigte er sie, obwohl ihre Sorge ihm gefiel, „das Blut ist von ihm, ich bin nicht verletzt.“ Und dann, plötzlich, brach alles über sie herein. Die Worte ihrer Mutter, die des Drachens, Ravens aussehen und ihr erschrecken darum, das alles wurde ihr jetzt zuviel, und sie klammerte sich einfach weinend an ihn. Behutsam und überrascht hob er sie hoch und trug sie zu ihren Fellen, legte sie dort sanft nieder und deckte sie zart zu.

„Ich werde mich kurz mit etwas Schnee reinigen, dann komme ich zu dir, der Eber kann warten.“ Damit verließ er sie und sie kroch tiefer in die warmen Felle, als könne sie so ihren Gedanken entkommen. Es dauerte nur eine weile bis sie hörte, dass er zurückkam und sich zu ihr legte. Er nahm sie in seinen Arm und sie legte ihren Kopf auf seine Brust, dankbar für seine wärme.

„Was ist nur mit dir, kleine Fee,“ sagte er zart, „manchmal bist du so heiter und ausgelassen wie ein junges Fohlen. Doch dann habe ich wieder das Gefühl, alle Last der Welt läge auf deinen Schultern.“ Er seufzte tief, „wenn ich nur wüsste, was dich quält und wie ich dir helfen könnte.“ Mit einem Ruck hob sie den Kopf und sah ihn ernst an.

„Das heißt, ich kann dir helfen?“ Er sah sie verblüfft an, „wie, kannst du mir zeigen wie?“

Sie erhob sich und dachte lange nach. Wie sollte sie ihm nur begreiflich machen, dass er sie nicht zurücklassen durfte. Sie überlegte lange, doch dann, nach einer Weile, schüttelte sie nur resigniert den Kopf. Ihr fiel einfach nichts ein und leise begann sie zu weinen. Raven setzte sich jetzt behutsam auf, zog sie an sich und hielt sie danach einfach nur fest im Arm.

„Es ist gut, hörst du, alles wird gut. Sieh mich an,“ er hob ihren Kopf und wischte ihr eine Träne aus dem Gesicht, „wir werden einen Weg finden, um miteinander zu reden, ja?“

Sie nickt langsam, glaubte ihm aber nicht. Dennoch streichelte sie ihm zärtlich und voller Dankbarkeit über sein schönes Gesicht und bemerkte wieder dieses angenehme Gefühl, das sie eigentlich immer in seiner Nähe hatte. Doch sie wollte die Höhle jetzt so schnell wie möglich verlassen, des alten Drachen und seiner verwirrenden Geschichten wegen. So erhob sie sich jetzt rasch und begann eilig große Stücke Fleisch aus dem Eber zu trennen. Raven sah ihr einen Moment überrascht zu bis er begriff und nun seinerseits zu Packen begann. Als sie später wieder in der Luft waren, schmiegte sie ihr kleines Gesicht an seine warme Brust und je mehr Raum er zwischen ihnen und der Höhle des Drachen brachte, desto wohler begann sie sich zu fühlen.

Glücklich betrachtete sie den blauen Himmel. Atmete die kalte Luft, fühlte seinen kraftvollen Körper sich bewegen, streckte wieder ihre Hände aus, die er sofort ergriff und flog wieder mit ihm durch den stillen Winter einer ungewissen Zeit entgegen.

Die Burg

Mehrere Tage waren sie so schon unterwegs, als Raven am Nachmittag dieses Tags in der Ferne auf einem Berg eine alte, von Bränden geschwärzte Burgruine trohnen sah. Er zeigte sie ihr begeistert, doch Alina spürte sofort Unbehagen in sich aufsteigen.

„Nun, was meinst du,“ rief er über den Wind, „es ist trocken und wir haben für diese Nacht ein Dach über dem Kopf.“ Sie war etwas unsicher angesichts des dunklen Gemäuers, nicke dann aber doch zögernd, obwohl etwas Bedrohliches von diesem Ort ausging.

„Gut, es wird dir bestimmt gefallen.“ Das sah sie anders, aber ein wenig neugierig wurde sie dann doch, und sei es nur ihm zur Freude. Raven landete kurze Zeit später geschickt auf dem kleinen Burghof, band sie danach rasch los und bedeutete ihr wortlos hier auf ihn zu warten. Sie vermutete, dass er mit unfreundlichen Bewohnern rechnete und war froh, als er erst sehr viel später wieder auf dem kleinen Burghof erschien.

„Es ist alles in Ordnung. Sie ist schon vor vielen Jahren verlassen worden,“ er schwang eine brennende Fackel, „komm, ich habe unten eine große Halle gefunden. Der Kamin ist frei und alte Möbel zum verbrennen sah ich auch.“ Er war aufgeregt wie ein kleines Kind, wollte ihr unbedingt etwas aus seinem Leben zeigen, nahm ihre Hand und zog sie ins düstere Innere der alten Burg. Voller Unbehagen lief sie hinter ihm her, doch verblüfft blieb sie im Vorraum der Burg stehen und sah sich mit großen wachen Augen erstaunt um. Die Steine unter ihren Füßen waren flach und glatt und sie glänzten nur schwach im Schein Ravens Fackel. Die Wände des Raumes, und, wie sie später feststellen sollte, auch aller übrigen, waren mit einem dunklen Holz verkleidet. Hinten, am Ende des Raumes schwang sich auf jeder Seite eine riesige Treppe nach oben und sie fühlte sich unangenehm an die Höhle des alten Drachens erinnert. Sie wich ängstlich zurück, doch Raven war schon an ihrer Seite.

„Komm, hier gibt es nichts, wovor du dich fürchten musst,“ sagte er vergnügt, „außerdem bin ich bei dir und du vertraust mir doch, oder?“ Er sah ihr dabei fest in die Augen. Sie nickte, ergriff dennoch seine große Hand und ließ sich von ihm tiefer in dieses dunkle Gemäuer führen. Die Halle, die Raven meinte, lag links neben dem Raum mit den Treppen und beeindruckte sie noch mehr. Ihr Boden bestand aus abwechselnd schwarzen und weißen Steinen, die absolut regelmäßig angeordnet waren. Die Wände waren auch aus Holz, doch dieses schimmerte, trotz seines Alters, immer noch in einem tiefen Rotbraun und war zudem noch reich mit kunstvollen Schnitzereien bedeckt. Doch der Kamin war das Schönste, was sie bis dahin gesehen hatte und sie erinnerte sich später immer gern an seinen Anblick zurück. Er bestand aus einem leicht rosafarbenen Stein und wurde von zwei dicken Säulen eingefasst, über diesen lag eine starke Platte, doch das schönste an ihm waren die zwei Figuren, die auf jeder der Säulen hockten. Sie waren wie Raven, nur unbekleidet und zeigten dadurch ihre ganze Kraft, ihre ganze Macht und Männlichkeit. Die großen Schwingen wie zum Abflug erhoben, hockten sie dort zum Sprung bereit, und starrten wie stolz und erhaben auf Alina herunter. Raven trat hinter sie und folgte ihrem Blick.

„Sie sind wunderschön,“ flüsterte er leise, „nicht wahr?“ Sie nickte, deutete dann auf eine der Figuren, danach auf ihn und sah ihn dabei fragend an.

„Stimmt, sie stellen Männer meines Volkes dar,“ erklärte Raven ihr jetzt ruhig.

„Diese Burg gehörte wohl einem der Großfürsten, aber das muss jetzt schon lange her sein,“ er legte einen Arm um ihre Schultern, „wahrscheinlich wurden sie von Menschen getötet oder sie konnten noch rechtzeitig fliehen.“ Sie sah ihn jetzt traurig an.

„Kleine Fee, nicht traurig sein,“ er zog sie an sich,“ mein Volk lebt, und wird es auch in Zukunft. Es gab, solange ich mich zurückerinnern kann, immer Kriege zwischen den Menschen und uns, für sie sind wir Monster und manchmal stimmte es sogar.“ Sie sah entschlossen zu ihm auf und schüttelte ernst ihren Kopf. Raven musste nun doch etwas grinsen.

„Oh, doch,“ sagte er nun, „in jedem Volk gibt es gut und böse. Ich hoffe das du keinem Wolf meines Volkes begegnest, denn manche von uns nehmen sich etwas, ohne vorher um Erlaubnis zu fragen.“ Er sah zärtlich zu ihr herunter.

„Aber nicht, wenn ich es vorher nicht verhindern kann.“ Er lachte, küsste einmal ihren Scheitel und verließ dann die Halle um ihre Sachen zu holen. Sie blieb beim Kamin, sah wieder zu den prachtvollen Männern empor und konnte ihm kaum glauben, das einige seines Schlages auch böse sein konnten. Als Raven zurück kehrte half sie ihm mit den Fellen und beim Feuermachen. Nachdem das Fleisch zum Garen über dem Feuer hing, fragte Raven sie ob sie ihn am Morgen begleiten wolle, ein wenig die Burg zu erkunden. Sie nickte zögernd, wusste ja nicht was sie zu erwarten hatte, doch er schloss sie glücklich in seine Arme und hob sie hoch.

„Das wird ganz wundervoll, glaube mir, ich werde dir alles zeigen, dir alles Erklären. Du wirst so viele neue Dinge sehen, und ich werde bestimmt gut auf dich Acht geben, versprochen.“

Damit wirbelte er sie ausgelassen herum, dass ihr ganz schwindelig wurde. Sie schlang beide Arme um seinen kräftigen Hals und barg ihr Gesicht unter sein Kinn. Er stoppte langsam und streichelte anschließend über ihr langes, weißes Haar.

„Du bist so schön, kleine Fee, so wunderschön, dass es einem in der Seele schmerzt dich zu betrachten. Wie gern würde ich dich in Liebe berühren, dir zeigen, was es heißt eine Frau zu sein, aber keiner meines Volkes wird je mit dir die Wonnen teilen.“ Sie sah fragend zu ihm auf, verstand nicht, was er damit meinte. Zärtlich, aber auch voller Trauer blickte er zu ihr hinunter.

„Du bist so klein, so zart,“ er sah sie traurig lächelnd an, „Menschenweiber sind so viel größer als du und doch sterben sie häufig noch unter uns. Was würde mit dir Geschehen, wo du doch so viel kleiner und zarter als sie bist?“ Er küsste sie ganz zärtlich auf ihre glatte Stirn.

„Nein, keiner meines Volkes wird dich je in Liebe berühren.“ Er setzte sie jetzt ab, streichelte ihr noch einmal traurig über ihr Haar und ging dann rasch zum Feuer, um nach dem Fleisch zu sehen. Seine Traurigkeit hielt ihn auch noch den ganzen weiteren Abend gefangen, und so sehr Alina sich auch bemühte, sie konnte ihm kein Lächeln mehr entlocken. Das betrübte sie sehr, zumal sie nicht verstand, warum er so verzweifelt war. Sie ahnte nur, dass es etwas mit ihr zu tun hatte. Raven fühlte sich an diesem Abend trotz ihrer Nähe sehr einsam. Der Gedanke, sie zurück lassen zu müssen, betrübte ihn mehr, als er sich eingestehen wollte. Sie fesselte ihn, und er wusste, er hätte bald nicht mehr die Kraft, sich ihr zu entziehen. Was sollte er nur machen, mir ihr und mit sich selbst. So lagen beide des Nachts wach, und im großen Kamin knisterte nur leise das behagliche Feuer, das diesem Ort nach Jahrzehnten wieder Licht und wärme gab.

Am Morgen des folgenden Tages weckte er sie schon früh, und nachdem sie gegessen hatten machten sie sich an die Erforschung des alten Gemäuers. Sie beraten zunächst wieder den Raum mit den Treppen am Ende. Dunkelheit erwartete sie dort oben.

„Komm, wir gehen erst nach oben,“ meinte er jetzt wieder vergnügt und zog sie mit sich. Vorsichtig erstiegen sie die erste Treppe und betraten danach einen breiten Flur, der auf jeder Seite von großen, schweren und reichverzierten Türen gesäumt wurde. Raven öffnete die Erste, stemmte diese mit ganzer Kraft auf und beide sahen vorsichtig hinein. Das Zimmer war groß und ehemals bestimmt sehr prächtig. Doch jetzt waren die Wände verstaubt, die Möbel zerbrochen oder schimmlig, die Vorhänge hingen in Fetzen und die hohen Pfosten des ehemals schönen Bettes ragten wie die knorrigen Finger einer alten Hand empor. Dieser Raum ließ Alina schaudern und sie wandte sich rasch ab. Die restlichen Zimmer dieser Etage glichen einander in ihrer Einrichtung und ihrem Zerfall. Raven fragte sich, warum die ehemaligen Bewohner ohne ihre vielen Habseeligkeiten fortgegangen waren. Er sah viele Spiegel, Kämme, Börsen aus Leder und andere Gebrauchsgegenstände. Wurden sie überrascht? Sind sie eiligst geflohen, während eines der vielen Kriege?

Oder wurden sie von einer Krankheit dahingerafft? Es gab so viele Fragen zu diesem düsteren Ort. Sie folgten dem Flur bis zu dessen Ende und betraten danach eine lange Galerie. Die großen und dabei bunten Fenster, die regelmäßig an der linken Seite verliefen, tauchten sie in ein diffuses Licht. An der langen rechten Wand hingen die alten, dabei aber kunstvollen Gemälde der ehemaligen Bewohner. Einige hingen noch an ihrem Platz, andere lagen zerstört darunter. Sie waren staubig, die Farben zum Teil schon abgeblättert, doch auf Alina verübten sie einen ganz besonderen Reiz. Raven folgte ihr zu jedem Einzelnem und sah, wie genau sie die alten Bilder betrachtete, wie sie diese manchmal zart, fast ehrfürchtig berührte. Er sah an der Kleidung der dargestellten Männer und Frauen seines Volkes, das deren Zeit schon lange verstrichen sein musste. Dennoch berührten sie auch ihn, konnte er doch durch sie in eine ferne, eine prachtvolle Zeit zurückblicken.