11,99 €
WEST GOLDEN - leicht zu hassen, unmöglich, ihm zu widerstehen
Das geleakte Video von West und ihr hätte Blue beinahe alles gekostet: ihren guten Ruf, das Stipendium an der Cypress Prep - und West. Doch gerade, als sich alles aufgeklärt hat und sie sich versöhnt haben, droht eine neue Gefahr: Blue wird erpresst, und das von dem undurchsichtigen Geschäftsmann Vin Golden, dem Vater der Golden Boys. Sie soll West innerhalb von zwei Monaten das Herz brechen oder ihr Leben und das ihrer Schwester sind nicht mehr sicher. Obwohl sie nicht weiß, was dahintersteckt, ist Blue bereit, ihr Glück zu opfern, um West zu schützen. Aber so einfach gibt West seine große Liebe nicht auf ...
»Dieses Buch war ALLES! Ich liebe die Reihe und kann nicht genug bekommen. Das Drama, die Spannung, die Gefühle!« THE SMUTBRARIANS
Das große Finale der KINGS OF CYPRESS POINTE-Reihe von den Bestseller-Autorinnen Rachel Jonas und Nikki Thorne
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 440
Veröffentlichungsjahr: 2025
Titel
Zu diesem Buch
Playlist
Leser:innenhinweis
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
Epilog
Die Autorin
Die Bücher von Rachel Jonas und Nikki Thorne bei LYX
Impressum
RACHEL JONAS / NIKKI THORNE
Hidden Truth
KINGS OF CYPRESS POINTE
Roman
Ins Deutsche übertragen von Beate Bauer
Das geleakte Video von West und ihr hätte Blue beinahe alles gekostet: ihren guten Ruf, das Stipendium an der Cypress Prep, für das sie so hart gearbeitet hat – und die Beziehung mit West. Doch nachdem sie anfänglich den Star-Quarterback der Schule in Verdacht hatte, den Film an die Öffentlichkeit gebracht zu haben, hat sich herausgestellt, dass West ebenso Opfer ist wie sie! Denn seine frühere Freundin und Blues Rivalin ist die wahre Schuldige. Nachdem alle Missverständnisse aus der Welt geschafft sind, können sich Blue und West endlich aufeinander einlassen und ihre Beziehung genießen. Diese ist allerdings einigen ein Dorn im Auge, denn zu verschieden ist ihre Herkunft. So setzt Vin Golden, Vater der Drillinge und erfolgreicher, wenn auch undurchsichtiger Geschäftsmann, Blue unter Druck und erpresst sie: Wenn sie nicht innerhalb der nächsten zwei Monate mit West Schluss macht und ihm das Herz bricht, dann sind sie und ihre Schwester Scarlett in Gefahr. Und obwohl sie nicht weiß, was dahintersteckt, ist Blue bereit, ihr Glück zu opfern, um West zu schützen. Aber so leicht lässt West seine große Liebe nicht gehen …
Gambling Hearts – Harrison Brome
Shelter – Harrison Brome
Come Together – Gary Clark Jr.
Gold – Kiiara
It Was a Good Day – Ice Cube
There’s No Way – Lauv
Ruin – Shawn Mendes
Slow Dancing in the Dark – Joji
Fallingforyou – The 1975
Often – The Weeknd
She Wants – Metronomy
Crave You – Clairo
Time of the Season – The Zombies
Bad Things – Cults
I Found – Amber Run
Teeth – 5 Seconds of Summer
Novacane – Frank Ocean
We Can Make Love – SoMo
Losin Control – Russ
Who Needs Love – Trippie Redd
Body – Sinead Harnett
Abandoned – Trippie Redd
Run – Joji
Candy Castle – Glass Candy
Yeah Right – Joji
I Think I’m Okay – Machine Gun Kelly
Bad Things – Machine Gun Kelly
Tearing Me Up (Remix) – Bob Moses
Stuck in the Middle – Tai Verdes
Sweater Weather – The Neighbourhood
Broken – lovelytheband
Liebe Leser:innen,
bitte beachtet, dass dieses Buch neben sexuellen Inhalten und derber Sprache auch Elemente enthält, die triggern können.
Dies betrifft: Drogenmissbrauch, Gewalt, elterliche Vernachlässigung, das Bedrohen mit einer Waffe, Erpressung.
Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.
Euer LYX-Verlag
»Irgendetwas stimmt nicht.«
Ich habe ein ungutes Gefühl und laufe in meinem Zimmer auf und ab, seit ich vor einer Stunde nach Hause gekommen bin. Ich kann es nicht erklären, aber ich weiß, dass ich recht habe.
»Vielleicht ist sie einfach irgendwie beschäftigt«, meldet sich Joss zu Wort. Sie sitzt zwischen Dane und Sterling auf dem Sofa.
»Zu beschäftigt, um von meinen fünf Anrufen auch nur einen anzunehmen? Zu beschäftigt, um eine der sieben Textnachrichten zu beantworten, die ich ihr geschickt habe?« Kopfschüttelnd trete ich ans Fenster. »Sie würde nicht einfach … nicht reagieren.«
Joss verstummt, und bei mir liegen die Nerven blank. Die Paranoia hat begonnen, als ich vorhin mit Casey gesprochen und dabei erfahren habe, dass Vin sie und Parker kontaktiert hat – und jetzt ist Southside verschwunden.
»Zum Teufel … Ich fahr jetzt rüber.« Ich habe die Worte kaum ausgesprochen, da halte ich meine Schlüssel schon in der Hand.
»Okay, ganz ruhig. Du versuchst erst seit einer Stunde, sie zu erreichen«, meint Joss. »Natürlich fühlt es sich viel länger an, aber … meinst du nicht, du solltest noch ein bisschen warten? Vielleicht ist das einfach typisch Blue, und sie will dir das Leben ein bisschen schwer machen. Ich meine, es ist doch möglich, dass sie dein Treffen mit Casey doch nicht so toll fand, wie sie behauptet hat. Oder?«
Joss lächelt sanft, aber sie kennt Southside nicht so, wie ich sie kenne. Wenn es um mein Treffen mit Casey gehen würde, würde sie mich nicht ignorieren. Ihre Reaktion sähe eher so aus, dass ihre Faust in meinem Gesicht landen oder ein Baseballschläger wundersamerweise meine Windschutzscheibe zertrümmern würde.
»Bevor du zum Neandertaler wirst und ihre Tür eintrittst, solltest du vielleicht noch mal versuchen, sie anzurufen«, schlägt Joss vor.
Ich denke über Joss’ Rat nach, überlege, ob ich warten soll, bis ich dazu in der Lage bin, mich bei Southside anzukündigen, anstatt einfach auf ihrer Veranda aufzutauchen, aber wenn es um sie geht, setzt meine Vernunft meistens aus. Ich weiß nur, dass ich entweder ihre Stimme hören oder sie sehen muss.
Jetzt.
Sofort.
»Wenn sie sauer reagiert, weil ich einfach vorbeikomme, dann soll sie eben sauer sein«, sage ich. Die Entscheidung ist gefallen.
Ich spüre Joss’ Blick und weiß, dass sie denkt, ich sollte mal einen Gang runterschalten, aber ich höre bei dieser Sache lieber auf mein Bauchgefühl.
»Dann kommen wir mit«, sagt Dane, der bereits aufsteht.
»Einverstanden«, stimmt Sterling zu. »Wenn etwas nicht stimmt, läufst du da wenigstens nicht ohne Verstärkung auf.«
»Ich komme ebenfalls mit«, meldet sich Joss zu Wort, während ich schon in meinen Mantel schlüpfe. Ich stoße einen Seufzer aus in dem Wissen, dass ich die drei nicht davon werde abbringen können.
»Na schön, aber folgt mir in einem eigenen Wagen«, verlange ich. »Wenn alles in Ordnung ist – was hoffentlich der Fall ist –, könnt ihr einfach wieder abhauen.«
Drei Paar Füße folgen mir zum Aufzug, und die Fahrt nach unten zum Parkhaus scheint Stunden zu dauern. Keine Rückmeldung zu bekommen, nachdem ich so oft versucht habe, Blue zu kontaktieren, zerrt an meinen Nerven, weil es sich anfühlt, als lägen Welten zwischen mir und Southside und nicht nur ein paar Meilen.
Ich sitze in meinem Wagen und lasse den Motor aufheulen, während meine eigenen Worte in meinem Kopf widerhallen. Drei Worte, die ich erst gestern Abend gesagt habe. Drei Worte, die ich noch nie im Leben zu einem Mädchen gesagt habe.
Ich habe Southside gestanden, dass ich sie liebe, und ich schwöre, ich fühle es jetzt, nachdem ich diese Worte laut ausgesprochen habe, noch deutlicher. Sie treiben mich heute Abend an, lassen mich Joss’ Rat ignorieren und mit quietschenden Reifen aus der Tiefgarage rasen.
Wenn tatsächlich etwas nicht stimmt, wenn ich tatsächlich in Gefahr geraten sollte … sie ist es wert.
»Verdammt.«
Ich blicke hinauf zu der roten Ampel, die mich wertvolle Sekunden kostet, aber so habe ich wenigstens einen Moment Zeit, um meine Nachrichten zu checken.
Womöglich hat sie zurückgerufen, und ich habe es verpasst.
Womöglich hat sie eine Nachricht geschickt, um zu sagen, dass es ihr gut geht.
Die einzige Benachrichtigung stammt von Pandora und sorgt dafür, dass mein Kiefer vor Ärger zuckt. Normalerweise ignoriere ich ihren Schwachsinn, aber aus irgendeinem Grund gelingt mir das diesmal nicht. Ich drücke also auf das vertraute rosa-schwarz getigerte Icon und … mir rutscht das Herz in die Hose.
Hast du Pandoras neuestes Update gelesen?
Danes Nachricht erscheint auf dem Display, und ich kann nicht einmal antworten, weil Sterling gleichzeitig anruft.
»Ich sehe es«, antworte ich und spüre, wie trotz der niedrigen Temperaturen draußen und in meinem Wagen mein Blut anfängt zu kochen.
»Anscheinend hattest du recht. Vin zieht wie üblich irgendeine miese Nummer ab.«
Als ich Sterlings Worte höre, rast mein Herz zehnmal schneller, denn er hat bestimmt recht. Er war erst vor Kurzem mit Parker und Casey in Kontakt, was bedeutet, dass er sich Southside wahrscheinlich ebenfalls vorknöpfen will.
Ich habe keine Ahnung, was mein bescheuerter Erzeuger zu ihr gesagt oder ihr getan hat, aber ich bin mir sicher, dass es nichts Gutes sein kann.
Das ist es nie, wenn er seine Finger im Spiel hat.
Die Ampel schaltet auf Grün, und ich rase mit quietschenden Reifen über die Kreuzung. Pandoras Post treibt mich an, und mein Bedürfnis, Southside zu sehen, ist kaum auszuhalten.
Ich schwöre, wenn er sie auch nur komisch angeguckt hat … werde ich das Arschloch umbringen.
Wenn West pausenlos anruft, heißt das, er verliert gerade die Nerven. Mittlerweile denkt er bestimmt das Schlimmste, und ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob das, was gerade passiert, nicht auch wirklich »das Schlimmste« ist: Ich wurde in die Ecke gedrängt und bedroht.
West wird eine Antwort auf die Frage fordern, weshalb ich heute Abend nicht auf seine Anrufe und Textnachrichten reagiert habe, eine Antwort darauf, weshalb ich mich nicht an unsere Absprache gehalten und mich sofort gemeldet habe, sobald er von seinem Besuch bei Casey zurück war. Aber ich darf ihm das alles nicht erzählen. Je weniger er weiß, desto besser.
Und je schneller ich aus dieser verdammten Stadt herauskomme, desto besser für uns alle.
Wie aufs Stichwort ruft Jules an, gefolgt von Lexi und anschließend Scar. Ich ignoriere alle drei Anrufe und laufe weiter. Über meinem Kopf schwebt eine unsichtbare Uhr, und laut Vin läuft die Zeit ab.
So wie ich West kenne, hat er sich wahrscheinlich schon auf die Suche nach mir gemacht und fährt gerade die Straßen von Cypress Pointe ab. Auf einmal bereue ich es überhaupt nicht mehr, nicht zurückgeschrieben zu haben, um zu sagen, dass es mir gut geht.
Das wäre auch total gelogen. Mir geht es alles andere als gut. Ich bin ein Wrack.
Fast blind durch meine Tränen der Wut habe ich den Koffer aus dem Schrank gerissen und alles hineingestopft, was mir wichtig erschien.
Mein Telefon meldet sich erneut, und es ist, wie bereits vermutet, West. Mir ist klar, dass er sich Sorgen macht, aber ich kann gerade nur an eines denken und muss jetzt das durchziehen, wofür ich in diesen Teil der Stadt gekommen bin.
Und zwar schnell.
Ich sehe hinauf zu den dunklen Fenstern eines Hauses, das ich seit Jahren nicht betreten habe. Aus gutem Grund. Ich habe schon genug Probleme in meinem Leben.
In der Sekunde, in der ich die erste Verandastufe nehme, trifft mich ein Windstoß. Es erscheint mir wie ein Omen, das mich warnt, mich drängt, kehrtzumachen und nach Hause zurückzukehren, ohne an diese Tür zu klopfen.
Doch weil mir das Ungeheuer heute Abend ein wenig zu nahe gekommen ist, ist dieser Besuch unvermeidlich. Wenn ich auch sonst nichts richtig mache in diesem Leben, so werde ich auf keinen Fall dabei versagen, das Leben meiner Schwester zu beschützen.
Ein Hund bellt und knurrt auf der anderen Seite der Tür, als ich klopfe und einen paranoiden Blick über meine Schulter werfe. Es ist sowohl Segen als auch Fluch, dass das Verandalicht nicht an ist. Während ich froh bin, mit der Dunkelheit zu verschmelzen, bedeutet es auch, dass ich meine Umgebung nicht klar erkennen kann. Als Mädchen, das schon sein Leben lang in der South Side lebt, kenne ich die Gefahren, die im Dunkeln lauern.
Die Schritte, die sich der Tür nähern, sollten mich ein wenig beruhigen, tun es aber nicht. Denn ich weiß, dass die Geschichten, die in den letzten Jahren in meiner Nachbarschaft erzählt wurden, nicht erfunden sind. Alles, was ich über Tommy Navarro gehört habe, ist zu hundert Prozent wahr. Doch es gibt einen Unterschied zwischen ihm und Vin: Dieses Böse hier kenne ich, während das andere ein Mysterium für mich ist, das ich nicht kontrollieren und dessen Spielzüge ich nicht vorhersehen kann.
Ein scharfer Befehl auf Spanisch lässt den Hund verstummen. Dann herrscht einen Moment lang Stille, während ich mir vorstelle, wie Tommy durch den Spion blickt, bevor er dem Geräusch nach zu urteilen zehn Riegelschlösser öffnet. Schließlich geht die Tür auf.
Sein neugieriger Blick fällt auf mich, und er ist eindeutig überrascht, aber wahrscheinlich ist ihm klar, dass etwas Schlimmes passiert sein muss, wenn ich vor seiner Tür stehe.
»Scheiße, die kleine Ruiz. Ist lange her«, neckt er mich, während er einen Zahnstocher zwischen seinen Lippen hin- und herschiebt.
Er mustert mich von oben bis unten, und sein Blick ruht für einen Moment auf meiner schlecht verbundenen Hand. Ich erkläre ihm nicht, dass ich mir diese Verletzungen selbst zugefügt habe – das Ergebnis davon, wenn man in einem Wutanfall den Spiegel einschlägt –, und er fragt auch nicht. Stattdessen lehnt er sich gegen den Türrahmen und setzt ein breites teuflisches Grinsen auf.
Ich habe es schon gehasst, die kleine Ruiz genannt zu werden, als Ricky und ich noch zusammen waren. Jetzt geht es mir auf die Nerven, weil jeder – Tommy eingeschlossen – weiß, dass das längst vorbei ist.
»Blue«, seufze ich. »Ich heiße Blue. Schon immer.«
»Meinetwegen. Hast du geheult? Du siehst fertig aus.«
Es ist schon eine Weile her, dass ich jemandem in die Eier treten wollte, aber ja, da ist er wieder: dieser allzu vertraute Wunsch.
»Du musst mir einen Gefallen tun.«
»Hoppla, mal schön langsam.« Er lacht. »Gefallen sind umsonst. Alles, was ich anzubieten habe, hat einen Preis. Das weißt du.«
Ich blicke ihn an und erinnere mich an die vielen Male, die ich ihn beschimpft habe. Plötzlich bin ich noch mehr davon überzeugt, dass die Sache hier ein Fehler ist.
Er kann es wahrscheinlich an meiner Miene ablesen, dass ich das nicht witzig finde, und verdreht die Augen.
»Entspann dich. Ich mache nur Spaß. Sag mir, was du brauchst, und ich sage dir, was es kostet. Dann kann ich mich hoffentlich wieder auf mein Sofa verziehen und weiter fernsehen.«
Ich werfe erneut einen schnellen Blick über meine Schulter, um mich zu vergewissern, dass ich nicht beobachtet werde.
»Hier draußen?«, frage ich. »Können wir das nicht drinnen besprechen? Es wäre mir lieber, wenn nicht die ganze Nachbarschaft zusieht.«
Sein Lächeln wird noch breiter.
»Vielleicht hast du’s nicht bemerkt, aber ich bin bereits drin, weshalb das eher dein Problem ist, kleine Ruiz«, sagt er mit einem kurzen Lachen. »Und jetzt komm zur Sache. Hab dir doch gerade gesagt, dass ich beschäftigt bin.«
Tommy war schon ein Arschloch, als er sich noch regelmäßig mit Ricky und Hunter getroffen hat, doch dann wurde er so schlimm, dass auch sie es in seiner Gesellschaft nicht mehr ausgehalten haben.
»Ich brauche … eine bestimmte Sache von dir«, bringe ich mühsam heraus, nachdem ich weiß, dass in seinen Augen »Gefallen« nicht das richtige Wort ist.
Er runzelt neugierig die Stirn. »Was denn für eine?«
»Eine, die ich benutzen kann, um meine Schwester zu beschützen. Und … Munition wäre nicht schlecht«, füge ich hinzu. Meine Stimme zittert bei dem bloßen Gedanken an das, was ich zu tun bereit bin.
»Ah, verstehe.« Das großspurige Lächeln ist zurück. »Hat das vielleicht etwas mit dem Foto zu tun, das Pandora gepostet hat?«
»Welches Foto?« Mein Herz hämmert bei der Frage.
»Das von dir, wie du aus Goldens Wagen steigst. Du wärst nicht die Erste, die den Wichser am liebsten umbringen würde.«
Er lacht, aber ich finde das überhaupt nicht witzig. Und als mein Telefon erneut klingelt, bin ich nicht überrascht, dass es diesmal Ricky ist. Offenbar bin ich die Letzte, die mitbekommt, dass Pandora meine Begegnung mit Vin bereits öffentlich gemacht hat.
Nun, das war’s dann mit meinem Plan, heimlich zu verschwinden.
Scheiße.
Als die Angst mich überwältigt hat und meine Gedanken durchgedreht sind, bin ich gar nicht auf die Idee gekommen, dass einer ihrer Lakaien mich gesehen haben könnte. Ein weiterer Grund dafür, besser nicht hier zu sein.
»Vergiss es einfach.«
Ich bin schon halb die Stufen runter und bereue, dass ich das hier je für eine gute Idee gehalten habe. Ich meine, natürlich habe ich jeden Grund, Angst zu haben vor Vin Golden, aber wenn es eins gibt, dass ich sicher über diese Stadt weiß, dann, dass mit Pandora in der Nähe Geheimnisse nie geheim bleiben.
»Ich such dir was Passendes für deine Zwecke raus, denn ob es dir gefällt oder nicht, du wirst zurückkommen, kleine Ruiz«, ruft mir Tommy hinterher.
Ich mache mir nicht die Mühe, zu antworten, während er mir nachschaut, wie ich im Eilschritt durch den Schnee auf dem Bürgersteig stapfe. Tief in meinem Herzen weiß ich nämlich, dass er ziemlich sicher recht hat.
Die Jungs und Joss halten direkt hinter mir, als ich am Straßenrand vor Southsides Haus stehen bleibe. Ich habe kaum den Motor ausgeschaltet, da taucht ein drittes Paar Scheinwerfer im Rückspiegel auf. Bei näherem Hinsehen erkenne ich zu meinem Missfallen ein schnittiges blaues Muscle-Car.
Ricky.
Na klar.
Es überrascht mich nicht, dass er es ist, aber trotzdem geht es mir gegen den Strich. Er hat so eine bestimmte Art, was Southside betrifft. So als glaubte er, er wäre der Einzige, der sie beschützen könnte. Wahrscheinlich hat er wie alle anderen Pandoras Update gesehen, aber trotzdem … Dieses Arschloch hat noch nicht verstanden, dass sie sich weiterentwickelt hat.
Wenn sie jemals etwas von irgendjemandem braucht, dann kümmere ich mich darum.
Leise fluchend steige ich aus. Ricky tut das Gleiche und schlüpft in eine dunkle Lederjacke. Ziemlich sicher denken wir das Gleiche, als sich unsere Blicke begegnen – zum Teufel mit dem Typen.
In dem kurzen Moment, als die Innenbeleuchtung seines Wagens angeht, erkenne ich Shane und Scarlett auf der Rückbank. Meine Brüder und Joss stapfen mit knirschenden Schritten durch den Schnee, dicht gefolgt von Ricky. Er wartet am Fuß der Treppe, bleibt auf Distanz, während ich mit der Faust gegen die Sicherheitstür schlage.
Zwischen uns herrscht stets eine unterschwellige Spannung. Aus diesem Grund weiß ich, dass seine gespielte Höflichkeit nicht von Dauer ist. Warum? Weil er irgendwann seinen verdammten Mund aufmachen und irgendwas raushauen wird, bei dem ich bestimmt die Beherrschung verliere.
Wie immer.
»Wie es aussieht, sind meine Worte bei dir wohl zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus«, knurrt er.
Hab ich’s nicht gesagt?
Ich schaue über meine Schulter, und sein hasserfüllter Blick sollte mich nicht überraschen.
»Wovon zum Teufel redest du?«, frage ich mit zusammengebissenen Zähnen, denn … Wieso ist er überhaupt hier???
Er schnaubt kopfschüttelnd, als fände er meine Bemerkung absolut unglaublich.
»Ich hab dir gesagt, du sollst sie gefälligst in Ruhe lassen, aber ich rate einfach mal, was passiert ist. Du wolltest sie, stimmt’s? So sehr, dass du sie absichtlich ins Fadenkreuz deines Daddys gebracht hast.«
Ich drehe mich jetzt ganz zu ihm um, und es gefällt mir nicht, was ich jedes Mal, wenn ich dem Mistkerl in die Augen blicke, sehen kann: alles, was er für sie empfindet. Er macht wirklich keinen Hehl daraus. Er ist beinahe arrogant, wenn es um seine Liebe zu ihr geht. Falls ich es also noch nicht gesagt haben sollte … Zum. Teufel. Mit. Ricky. Ruiz.
Zum Teufel mit ihm.
»Wieso sollte ich …«
»West«, unterbricht mich Sterling mit warnender Stimme. »Wir haben keine Zeit für den Scheiß. Konzentrier dich.«
Ich balle die Hände zu Fäusten. Natürlich hat er recht, aber es ist höchste Zeit, Ricky in seine Schranken zu verweisen. Doch ein zweiter warnender Blick – diesmal von Dane – hält mich davon ab: Lass es gut sein – zumindest für den Moment.
Ich atme einmal tief durch – und schwöre mir insgeheim, mir Ricky vorzuknöpfen, wenn weniger los ist –, dann drehe ich mich um und beende damit die Unterhaltung. Das Problem ist, dass Ricky etwas anderes im Sinn hat, denn kaum dass ich entschieden habe, die Sache auf sich beruhen zu lassen, reißt er wieder das Maul auf, und etwas an diesem Blödmann geht mir so auf die Nerven, dass es praktisch unmöglich ist, ihn zu ignorieren.
»Ich schwöre, falls dein beschissener Daddy etwas gesagt oder getan hat, was Blue aus der Bahn geworfen hat, dann werde ich …«
»Dann wirst du was, Arschloch?« Im Bruchteil einer Sekunde bin ich die Treppe runter und stehe dicht vor ihm, während mir die vielen Gründe durch den Kopf schießen, die ich hätte, ihn auf der Stelle bewusstlos zu schlagen. Im Gegensatz zu allen anderen in seiner Nachbarschaft habe ich keine Angst vor ihm.
»Das willst du ganz bestimmt nicht, rich boy. Glaub mir. Vor allem nicht heute Abend«, warnt er mich.
Aber damit irrt er sich. Genau das ist es, was ich will – ich will beenden, was wir begonnen haben, seit er vor dem Stadion aufgetaucht ist. Meine Brust stößt gegen seine, als ich näher trete, und er erwidert den Stoß. Erst als sich Joss’ zarte Gestalt zwischen uns drängt und für ein wenig Abstand sorgt, besinne ich mich wieder.
»Also … ich bin dafür, dass wir uns alle erst mal beruhigen und daran erinnern, dass wir wegen Blue hier sind«, meldet sie sich zu Wort, wobei sie eine Hand auf Rickys Brust legt und die andere auf meine.
Ich habe das nicht aus dem Blick verloren, doch wie immer, wenn er sich einmischt, sehe ich rot und frage mich, was Southside je in einem Hitzkopf wie ihm gesehen hat.
Dann wird es mir klar. Wahrscheinlich das Gleiche, was sie in mir sieht – etwas Verrücktes, das wiederum zu ihr passt.
Ich weiche zurück und gehe erneut zur Tür, um ein zweites Mal zu klopfen. Im Grunde will ich sie einfach aufbrechen, hineingehen und nachsehen, ob es ihr gut geht. Ich bin nicht wegen Ricky oder seinem Schwachsinn hier. Doch als er sich an mir vorbeidrängt und dabei gegen meine Schulter stößt, stellt er meine Geduld erneut auf die Probe. Dann jedoch muss ich zusehen, wie er einen Schlüsselbund aus der Tasche zieht, einen Schlüssel ins Schloss steckt und aufschließt.
Dieses Arschloch hat einen verdammten Schlüssel.
Zum Haus meiner Freundin.
Ich mache einen Schritt auf ihn zu und komme zu dem Schluss, dass heute Abend – hier und jetzt – der Abend ist, an dem Ricky Ruiz alle seine Zähne verlieren wird, doch drei Paar Hände halten mich zurück.
»Das ist nicht der richtige Zeitpunkt«, wiederholt Sterling leise an meinem Ohr.
Schäumend vor Wut wende ich den Blick nach rechts und sehe ihn an. Er schüttelt den Kopf und drängt mich, es gut sein zu lassen, auch wenn die Sache mich fertigmacht.
»Konzentrier dich auf Southside«, fügt er leise hinzu.
Die kurze Bemerkung erinnert mich daran, dass ich nicht wegen ihrem Ex hier bin, der anscheinend nicht begreift, wo sein Platz ist. Verdammt, es hat nicht einmal etwas mit mir zu tun. Die einzige Person, die in diesem Moment zählt, ist sie.
Ich verkneife mir eine Bemerkung, als die Tür aufschwingt. Ricky drückt auf den Lichtschalter, und das Wohnzimmer wird von einer einzigen Lampe am Ende des Tisches erhellt. Es ist absolut nichts zu hören, nur das Rauschen des Bluts in meinen Ohren, weil mein Herz doppelt so schnell pumpt wie normal.
Sie ist nicht da.
Sie ist verdammt noch mal nicht da.
Mir ist bewusst, dass noch vor ein paar Wochen mein erster Gedanke, wenn ich Southside beim Aussteigen aus einem der SUVs meines Vaters gesehen hätte, der gewesen wäre, dass ich recht mit ihr hatte. Dass sie tatsächlich seine jüngste Affäre war. Doch abgesehen davon, dass sie zu so etwas gewiss nicht in der Lage wäre, sprechen alle Beweise gegen Vin.
»Vielleicht ist sie unterwegs«, meint Sterling, während meine Panik ein ganz neues Level erreicht.
»Ihr Wagen steht draußen«, wende ich ein.
Joss sieht sich um, während sie nachdenkt. »Vielleicht … ist sie zu Fuß unterwegs?«
Es ist eiskalt draußen und schneit wie verrückt, aber wenn sie sauer ist, ist ihr das wahrscheinlich egal.
»Ich schau mal in ihrem Zimmer nach«, sagt Ricky.
»Nein, das tue ich.«
Als er daraufhin an mir vorbeizugehen versucht, stemme ich meine Handflächen gegen seine Brust.
Er verströmt seinen Hass in heißen Wellen, was nicht zu übersehen ist, während er langsam den Blick von meinen Händen zu meinen Augen hebt. Doch ich werde auf keinen Fall nachgeben. Ob es ihm gefällt oder nicht, wenn einer von uns den Flur zu Southsides Zimmer entlanggeht, dann bin ich das.
Allein.
Ich warte nicht, bis er darüber hinweggekommen ist, dass ich ihn an seinen Platz verwiesen habe, sondern wende mich in Richtung ihres Zimmers. Ich mache das Licht im Flur nicht an, aber mir wird klar, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe, als Glas unter meinen Sohlen knirscht. Es dauert nicht lange herauszufinden, woher es stammt – ein zerbrochener Spiegel hängt schief an der Wand. Dieselbe Wand hat ein riesiges Loch, das gestern Abend noch nicht da war.
Es gibt nicht ausreichend Beweise für das, was sich hier abgespielt hat, doch ich bewege mich nun schneller, ohne Scham zu zeigen, dass ich total verzweifelt bin, denn genau das bin ich.
Verzweifelt.
Ich betrete ihr Zimmer und schalte das Licht an. Mein Herz rast, als ich es leer vorfinde. Obwohl … nicht ganz.
Neben ihrem Bett stehen drei Koffer. Zwei von ihnen platzen aus allen Nähten, und der andere ist halb offen, und Kleidungsstücke quellen an einer Seite heraus.
Es ist, als hätte sie eilig alles, was sie finden konnte, hineingestopft, um davonzulaufen.
Was zum Teufel hat das Arschloch zu ihr gesagt?
»Sie ist weg. Wir müssen sie suchen«, sage ich hastig und versuche, nicht auszurasten, während ich zu den anderen ins Wohnzimmer zurückkehre. Ich verschweige ihnen, was ich gesehen habe – die gepackten Koffer, den zerbrochenen Spiegel.
Alle sind sichtlich besorgt, aber nur bei einem ist das Paniklevel ähnlich hoch wie bei mir – bei Ricky.
»Ich rufe Jules an«, sagt er rasch und wählt bereits.
»Und wir gehen einmal um den Block, vielleicht entdecken wir sie«, schlägt Dane vor.
Mir schwirrt der Kopf, und ich kann an nichts anderes denken, als dass ich sie finden muss, um mich zu vergewissern, dass es ihr gut geht. Ich sehe noch immer die Koffer vor mir und frage mich, was ihr wohl durch den Kopf gegangen ist. Was war so furchtbar schlimm, dass sie abhauen wollte?
Ohne auch nur eine meiner Textnachrichten oder einen meiner Anrufe zu beantworten.
Meine Stimmung schlägt unvermittelt von besorgt in wütend um. Nicht auf sie, sondern weil das hier das Werk meines Vaters ist.
Sterling packt den Türgriff, hält jedoch inne, als die Sicherheitstür auf der anderen Seite quietscht. Mein Blick ist starr auf die Tür gerichtet, als er beiseitetritt, um jemanden eintreten zu lassen. Ihr blonder Kopf schaut herein und blickt uns fünf an, die wir im Wohnzimmer stehen.
»Oh mein Gott. Du bist okay.«
Was anderes kann ich nicht sagen, während ich auf Southside zugehe, die ihre schlecht verbundene Hand zu verstecken versucht. Nun wird mir klar, woher die kaputte Wand und der zerbrochene Spiegel kommen, die ich im Flur gesehen habe.
»Wo zum Henker warst du?«, gelingt es mir zu fragen, als ich sie fester an mich drücke, als ich wahrscheinlich sollte.
»Mir geht’s gut«, antwortet sie. »Hab nur einen Spaziergang gemacht, um den Kopf freizukriegen, aber … wie seid ihr denn hier reingekommen?«
Ricky lässt als Antwort die Schlüssel von seinem Finger baumeln, und Southside verspannt sich an meiner Brust.
»Wieso zum Teufel hast du den noch?«, faucht sie und löst sich leicht aus meinen Armen, während sie ihn wütend anstarrt. Doch anstatt die Frage zu beantworten, duckt sich Ricky nur tiefer in seine Jacke und legt trotzig den Kopf schräg, was bedeutet, dass er nicht vorhat zu antworten.
Aber wir müssen uns um wichtigere Dinge kümmern als um Ruiz.
»Wir alle haben Pandoras neuestes Update gesehen«, sage ich zu ihr, woraufhin sie einen frustrierten Seufzer ausstößt.
»Tja, anscheinend hat das wohl jeder gesehen.«
Mein Blick fällt wieder auf den blutigen Verband um ihre Hand, aber als sie es merkt, steckt sie diese in ihre Manteltasche, als hoffte sie, ich würde sie vor den anderen nicht darauf ansprechen.
Im Raum herrscht absolute Stille, aber er fühlt sich überfüllt an, was mir zeigt, dass ich mit ihr allein sein muss. Es ist die einzige Möglichkeit, frei zu sprechen und ohne Zuhörer alles rauszulassen.
Ein Blick zu meinen Brüdern genügt, dass sie meinen Wunsch erfassen.
»Wir hauen dann mal ab, da ja alles okay ist«, meldet sich Sterling zu Wort.
Er nickt in Richtung Tür, und Dane folgt ihm. Joss legt Southside auf dem Weg hinaus mitfühlend die Hand auf die Schulter.
Während es den dreien leicht zu vermitteln war, dass sie gehen sollen, ist Ricky lästig wie eine Klette. Sein Blick ist auf Southside gerichtet, und er tritt näher. Näher, als ich es für nötig halte, aber wieso überrascht mich das überhaupt?
»Was ist mit deiner Hand passiert?«, fragt er rundheraus.
Während er auf Southsides Antwort wartet, sehe ich wieder diesen verdammten Ausdruck in Rickys Augen, bei dem ich ihn jedes Mal am liebsten in der Luft zerreißen würde.
»Ich war wütend«, antwortet sie mit einem Seufzer. »Da erschien es mir sinnvoll, die Wand mit meiner Faust zu bearbeiten. Und dann … den Spiegel.«
Ein kurzes, freudloses Lachen soll ihre Beschämung verbergen, aber ich durchschaue es. Vor allem weil ich weiß, was in ihrem Zimmer versteckt ist, direkt neben ihrem Bett. Außerdem weiß ich, dass sie vor ihrem Spaziergang hier hereingekommen ist und um sich geschlagen hat, um ihre Wut rauszulassen. Etwas ist heute Abend passiert, und ich bekomme langsam das Gefühl, dass sie nicht darüber reden will. Doch weil Vin in die Sache verwickelt ist, ist eins klar: Es handelt sich um etwas absolut Zwielichtiges.
Ricky und ich tauschen einen Blick aus. Unsere gegenseitige Feindseligkeit lässt nicht nach. Sie wird sogar größer, wenn wir uns gegenüberstehen und anerkennen müssen, dass wir einander irgendwie am Hals haben. Ich weiß, dass Southside ihn nie ganz aus ihrem Leben verbannen wird, weil sie seit ihrer Kindheit befreundet sind. Und sosehr er es sich auch wünschen mag, ich werde nirgendwohin gehen.
»Ich erwarte bis morgen einen Anruf von dir, rich boy«, droht er mir. »Entweder du findest heraus, was da los ist, oder ich kümmere mich selbst darum. Und glaub mir, das willst du ganz bestimmt nicht.«
»Das ist nicht hilfreich, Ricky!«, faucht Southside genau in dem Moment, als ich dem Blödmann sagen will, dass er sich zum Teufel scheren soll.
Er begegnet ihrem Blick, und erst dann lässt sein Hass auf mich ein wenig nach. Weshalb? Weil er nicht mehr mich ansieht, sondern sie, und seine Schwäche für sie kommt erneut zum Vorschein.
»Ich weiß, du machst dir Sorgen um mich, und ich weiß, du hast Hunter ein Versprechen gegeben, aber das hier hat nichts mit dir zu tun«, fügt sie hinzu. »Ich bin ein großes Mädchen und kann selbst auf mich aufpassen.«
»Dann soll ich also nur …«
»Du brauchst lediglich zu wissen, dass West dich sicher nicht morgen früh anrufen wird, um dir irgendwas zu berichten«, unterbricht sie ihn. »Also bitte, hör einfach auf. Ich kann das gerade nicht.«
Ricky starrt sie an, während sich seine Schultern heben und senken und er für sich behält, was er am liebsten loswerden würde.
Ich fasse es nicht. Sie hat es geschafft. Sie hat den Ausschaltknopf bei diesem Idioten gefunden.
Ich habe ihn noch nie so schweigsam erlebt. Während ich normalerweise schadenfroh gewesen wäre, bin ich es diesmal nicht. Denn weil ich Ricky schon in allen möglichen Situationen erlebt habe, weiß ich, dass das hier nur ein weiterer Beweis dafür ist, wie tief seine Gefühle für sie gehen.
»Ich bringe Scar heute Abend zu Jules und Shane nach Hause, aber ich komme zurück«, sagt er schlicht. Als wäre er bereits zu einer Entscheidung gelangt.
»Ricky …«
»Ich komme zurück, B«, wiederholt er, aber diesmal mit mehr Nachdruck. »Ich stelle mich in die Einfahrt und schiebe Wache. Nur für den Fall, dass Daddy Warbucks beschließt, sich hier noch mal blicken zu lassen.«
Es verlangt Stärke, von der ich nicht wusste, dass ich sie besitze, ihn nicht in seine verdammten Schranken zu verweisen. Er geht in Richtung Tür und ist schon draußen auf der Veranda, als Southside ihm hinterherruft: »Und ich hätte gern meinen Schlüssel zurück. Hunter hat ihn dir nur für Notfälle gegeben.«
»Dann war das hier wohl ein Notfall.« Er macht sich nicht die Mühe, sich umzudrehen, sondern geht weiter zu seinem Wagen.
»Na schön, dann sage ich Dusty, dass er die Schlösser austauschen soll.«
Ricky zuckt mit den Achseln und wendet sich noch immer nicht um. »Tu, was du nicht lassen kannst.«
»Oh Mann! Er ist stur wie ein Esel«, stöhnt sie und beobachtet wütend, wie er in seinen Wagen springt und den Motor aufheulen lässt.
Frustriert schlägt sie die Tür zu. Und nun kann ich nur noch daran denken, was mein Vater womöglich gesagt oder getan hat, dass sie ihre Sachen gepackt und sich ihre Hand verletzt hat.
Ich erinnere mich an etwas, das mir meine Brüder vor nicht allzu langer Zeit beigebracht haben: Ich darf bei Southside nicht zu viel Druck machen, sie nicht in eine Ecke drängen.
Also muss ich langsam und Schritt für Schritt vorgehen.
Ich hebe ihr Kinn an, bis ihr Blick meinem begegnet. Sie ist verdammt schön, ja, aber das ist es nicht, warum ich süchtig nach ihr bin. Das Leben hat ihr übel mitgespielt, und trotzdem ist sie einer der stärksten Menschen, denen ich je begegnet bin. Da ist ein Feuer in ihr, das nichts ersticken kann – nicht einmal ich, bevor ich zur Vernunft gekommen bin.
Ich senke den Blick auf ihre Hand und begutachte sie vorsichtig. Der Verband ist blutiger als eben noch, was bedeutet, dass die Wunde behandelt werden muss.
»Tut es sehr weh?«
Sie zuckt die Achseln und erwidert meinen Blick. »Wahrscheinlich weniger, als du denkst. Es ist ja auch nicht das erste Mal, dass ich so etwas aus Wut getan habe.«
Das überrascht mich nicht, aber was mich kalt erwischt, ist, dass sie ein Lächeln zustande bringt. Ihre Augen sind allerdings glasig, so als würde sie Tränen zurückhalten.
»Ich weiß, dass du allein klarkommst, und ich weiß, dass du niemanden brauchst, der sich um dich kümmert, aber … aber vielleicht darf ich es trotzdem tun. Wenigstens dieses eine Mal.«
Sie starrt mich einen Moment lang an und spürt vielleicht all die unausgesprochenen Gedanken, die mir durch den Kopf gehen: dass ich sie liebe und so sein will, wie auch immer sie mich braucht.
Schließlich nickt sie. »Okay.«
Mir ist bewusst, dass sie nicht viele Leute an sich heranlässt, aber aus irgendeinem Grund – obwohl ich der verkorkste Typ bin, der ich nun mal bin – gestattet sie es mir. Ich nehme das nicht auf die leichte Schulter. Aber etwas Unerwartetes geht damit einher, mit einem Mädchen wie Southside befreundet zu sein. Sie bringt diese starke Loyalität in jede Beziehung mit, sodass diejenigen, die ihr am nächsten stehen, ebenfalls bedingungslos loyal ihr gegenüber sind.
Deswegen bin ich wahrscheinlich hier bei ihr zu Hause und nicht dort draußen, auf der Jagd nach meinem Vater wegen dem Scheiß, den er abgezogen hat. Ich bleibe, wo ich bin, um dafür zu sorgen, dass es Southside gut geht, weil sie heute Abend mehr denn je jemanden braucht.
»Wir versorgen erst einmal deine Hand. Dann reden wir.«
Sie zögert, nickt jedoch schließlich. Uns steht eine schwierige Unterhaltung bevor, aber wir werden sie so angehen, wie wir gerade lernen, auch alle anderen Dinge anzugehen.
Gemeinsam.
Frag nicht nach den Koffern. Erst wenn ihre Hand versorgt ist.
Southside folgt mir, als ich auf der Suche nach Desinfektionsmittel ins Bad gehe. Während ich den Medizinschrank durchsuche, setzt sie sich wortlos auf den Badewannenrand. Ich finde nur einen kleinen Rest Alkohol, eine Tube Antiseptikum, bei der der Deckel fehlt, und einen Streifen Mullbinde, der vielleicht genügt.
Kauf dem Mädchen schleunigst einen Erste-Hilfe-Kasten. Sie rastet zu häufig aus, da braucht sie dringend einen.
»Na schön, ich warne dich vor, dass sich meine Erfahrung in der Behandlung von Wunden auf die Verletzungen beschränkt, die ich mir auf dem Spielfeld zuziehe. Das solltest du vielleicht wissen.«
Sie setzt ein weiteres trauriges Lächeln auf, bevor sie antwortet. »Danke für die Vorwarnung, aber ich denke, ich bin in guten Händen.«
Ich deute ebenfalls ein Lächeln an, doch ihres ist bereits verschwunden. Vin muss heute Abend wirklich eine beschissene Nummer mit ihr abgezogen haben.
Konzentrier dich auf sie! Kümmre dich später um ihn!
Southside hebt ihren Blick und erlaubt mir, dass ich mich neben sie auf den Wannenrand setze. Dann sieht sie mir dabei zu, wie ich den alten Verband löse und es irgendwie schaffe, ihr nicht noch mehr wehzutun. Ihre Fingerknöchel sehen wirklich übel aus, aber keine der Wunden scheint tief genug zu sein, dass sie genäht werden müsste. Sie hat Glück gehabt.
Ich sehe sie an und ziehe eine Braue hoch.
»Wunderschönes Mädchen, hitziges Temperament – eine tödliche Kombination«, necke ich sie. »Schon mal über ein Antiaggressionstraining nachgedacht?«
»Ein- oder zweimal, aber manche finden, dass die unberechenbare Art meinen besonderen Charme ausmacht.« Sie zwinkert, als ich erneut von ihrer Hand aufblicke.
»Na ja, wir alle kennen Leute, die manchmal lügen, Southside.«
Der Scherz entlockt ihr ein Lachen, das authentisch und gelöst klingt. Ich möchte gerne glauben, dass das etwas damit zu tun hat, dass ich hier bei ihr bin und mich um sie kümmere.
»Autsch«, sagt sie und zuckt ein wenig zurück, während ich ihre Knöchel mit Alkohol abtupfe.
»Alles okay?«
Ihre dunkelblauen Augen blicken einen kurzen Moment zu mir hoch, und sie nickt. Ich ziehe ihre Hand erneut zu mir heran und puste auf ihre Haut, um das Brennen zu lindern. Jetzt ist ihre Aufmerksamkeit auf mich gerichtet anstatt auf den Schmerz.
»Besser?«
Sie nickt erneut, bevor sie antwortet. »Ja, ein wenig.«
Trotz allem, was diese Augen vermutlich schon gesehen haben, sind sie unschuldig. Es berührt mich jedes Mal, wenn ich sie ansehe. Je länger ich darüber nachdenke, was Vin getan haben mag, desto dringender will ich ihn zur Strecke bringen, auch ohne die Einzelheiten ihres Gesprächs zu kennen.
»Ich muss wissen, was er gesagt hat.«
Die Worte verlassen meinen Mund, während ich Salbe auf ihre Wunden tupfe, und mir ist bewusst, dass es überstürzt ist. Mein Plan war, sie zuerst einmal runterkommen zu lassen, bevor ich davon anfange, aber ich konnte mich nicht länger beherrschen. Es ist ein Wunder, dass ich es überhaupt so lange ausgehalten habe.
Dieses Mädchen … ihr gehört mein ganzes verdammtes Herz, und manchmal ist das einfach überwältigend.
Unbequem.
Wie unbequem, ist mir bis zu diesem Moment wohl nicht klar gewesen, aber jetzt erkenne ich, dass ich sie nicht vor allem und jedem beschützen kann.
Jede Sekunde, die ich auf ihre Antwort warten muss, ist eine Qual, ebenso wie der Anblick ihrer rot geränderten Augen. Es ist offensichtlich, dass sie geweint hat, auch wenn sie den Eindruck zu erwecken versucht, dass alles in Ordnung ist. Während ich sie anschaue – und die Auswirkungen des Hurrikans Vin –, sehe ich alles, was ich sehen muss.
Sie weicht nun schon seit einer vollen Minute meinem Blick aus. Aber ich dränge sie nicht. Stattdessen verbinde ich ihre Wunde, räume den Erste-Hilfe-Kram weg und greife dann nach ihrer unverletzten Hand.
»Wohin gehen wir?«, fragt sie und sieht erwartungsgemäß beunruhigt aus.
»In dein Zimmer, um zu reden.«
Ihre Augen weiten sich bei dem Vorschlag, und noch bevor sie den Mund aufmacht, weiß ich, worum es geht.
»Warum gehen wir stattdessen nicht ins Wohnzimmer? Auf meinem Bett liegen überall Klamotten und …«
»Ich habe die Koffer bereits gesehen«, unterbreche ich sie, damit sie nicht lügen muss.
Jetzt weiß sie, dass es sinnlos ist, die Wahrheit zu verbergen – nämlich dass sie abhauen wollte. Soweit ich weiß, ist das leider immer noch ihr Plan.
Während sie mich ausdruckslos anschaut, wird die Stille ohrenbetäubend. So ohrenbetäubend, dass ich meine Annahme bestätigt sehe: Sie war bereit, ohne ein einziges Wort zu verschwinden.
Ihre Miene ist auf einmal voller Schuldgefühle, und ihre Augen füllen sich mit Tränen.
»Ist schon okay. Ich bin nicht böse. Du hast nur getan, was du geglaubt hast, tun zu müssen«, sage ich leise.
Es ist nicht gelogen – ich verstehe es wirklich. Sie hat getan, was klug und sicher zu sein schien. Aber es tut verdammt weh, sich vorzustellen, dass sie einfach verschwunden wäre. Es zeigt mir allerdings, dass da noch immer so viel ist, was ich nicht weiß und nicht verstehe.
Zögernd folgt mir Southside in ihr Zimmer. Es gibt einen seltsamen, stummen Moment, als sie ihr Gepäck nimmt und in ihren Schrank stellt. Danach setzt sie sich auf den Fußboden und lehnt sich mit dem Rücken gegen das Bett, und ich lasse mich neben ihr nieder. Nach einer längeren Phase des Schweigens, in der wir nichts tun, als an die Wand zu starren, versuche ich erneut mein Glück.
»Du musst mir erzählen, warum Vin heute Abend hier war.«
Keine Antwort.
Ich versuche wirklich, mich zusammenzureißen, verdammt noch mal, aber ich habe keine Ahnung, was in ihrem Kopf vor sich geht oder wie verletzlich sie ist, daher laufe ich wie auf rohen Eiern.
Ich lege meine Hand auf ihre – auf die unverletzte –, und sobald diese körperliche Verbindung zwischen uns besteht, füllen sich ihre Augen erneut mit Tränen. Sie so zu sehen, geht mir unter die Haut, wahrscheinlich mehr, als ihr bewusst ist.
»Bitte, erzähl mir, was passiert ist.«
In dem Moment, in dem die Worte meinen Mund verlassen, senkt sie den Blick. »Es war keine große Sache.«
»Es war keine …« Ich breche die Wiederholung ihrer Worte ab, hebe jedoch eine Augenbraue.
Es war keine große Sache? Wieso zum Henker ist sie dann ausgerastet und hat mit ihrer Faust Dinge zerschlagen? Wieso zum Henker hatte sie schon gepackt, um abzuhauen?
Natürlich war es eine große Sache, was bedeutet, dass sie mich an der Nase herumführen will.
Tief Luft holen. Fahr jetzt nicht aus der Haut.
»Hat er dich gezwungen, etwas zu unterschreiben?«, frage ich.
Southside sieht mich verwirrt an. »Nein, nichts dergleichen.«
Als sie es dabei belässt, spüre ich eine weitere Welle der Frustration, und ich lasse sie keine Sekunde aus den Augen. Es hätte mich nicht gewundert, wenn Vin mit der gleichen schwachsinnigen Geheimhaltungsvereinbarung zu ihr gekommen wäre wie zu Parker und Casey. Es würde Sinn ergeben, wenn er – völlig zu Recht – vermuten würde, dass Southside mein Geheimnis kennt. Also ist es durchaus vorstellbar, dass er vorhat, sie genauso wie die anderen zum Schweigen zu bringen.
»Du machst dir zu viele Sorgen.«
Sie zwingt sich zu einem Lächeln, aber ich sehe, dass sie schon wieder kurz davor ist, in Tränen auszubrechen.
»Du hattest allen Grund auszurasten. Wahrscheinlich hast du fast einen Herzinfarkt bekommen, als du hereingekommen bist und die vielen Scherben gesehen hast.«
»Und dein Gepäck. Vergiss das nicht«, füge ich hinzu, damit sie weiß, dass wir darauf auf jeden Fall noch zu sprechen kommen werden.
Verärgert lässt sie den Blick einen Moment lang auf mir ruhen, bevor sie ihn zur Decke hebt.
»Ich habe überreagiert und mich in meine Gefühle reingesteigert.«
Jetzt versucht sie also, mir diesen Schwachsinn aufzuschwatzen, wobei sie wirklich schlecht darin ist, so zu tun, als würde sie das alles nicht aus der Bahn werfen. Und verdammt, dieses Herumeiern macht mich einfach wahnsinnig.
»Ich kann nicht in Ordnung bringen, was mein Dad verbrochen hat, wenn ich nicht weiß, wo ich anfangen soll, Blue.«
Noch ein falsches Lächeln, nur breiter diesmal. »Wenn du mich Blue nennst, dann machst du aus einer Mücke einen Elefanten.«
»Wen versuchst du hier eigentlich zu verarschen? Ein paar Witze können die Tatsache nicht verbergen, dass du weinst. Oder die Tatsache, dass etwas, was das Arschloch gesagt hat, dich um ein Haar dazu gebracht hätte, sang- und klanglos von hier zu verschwinden. Ob dir das nun gefällt oder nicht, du musst mir was Besseres als diesen Schwachsinn auftischen.«
Ja, schon gut. In der Ruhe liegt die Kraft ist nicht so mein Ding.
Ich bemühe mich, die Fassung zu bewahren, aber sämtliche Alarmglocken schrillen bei mir gerade in einer Höllenlautstärke. Sie versucht das, was passiert ist, herunterzuspielen, was mir verrät, dass es etwas zu verbergen gibt.
Ihr Blick bohrt praktisch ein Loch durch mich hindurch, aber sie scheint zu begreifen, dass ich ihr nicht auf den Leim gehe. Daher stecken wir jetzt in einer Pattsituation.
Sie richtet ihren Blick wieder zur Decke. Ich kann ihre Gedanken nicht lesen, aber sie zwingt sich nicht mehr zu lächeln, was sehr vielsagend ist.
»Du kannst das nicht in Ordnung bringen, West. Lass es einfach gut sein.«
Ich hole tief Luft, und in meinen Schultern stauen sich eine Menge Frust und Anspannung an.
Was zum Teufel will sie mir nicht sagen?
»Du meinst also, wir sollten es dabei belassen? Ich soll glauben, dass er überhaupt nichts gesagt hat? Ich soll dir abnehmen, dass du sauer warst und dir die Hand verletzt hast, weil dir die Innenausstattung seines SUV nicht gefallen hat oder irgend so was Dämliches?«
Den Blick noch immer zur Decke gerichtet, seufzt sie. »Verdammt, West! Er … er will einfach nicht, dass wir zusammen sind!«
Sie presst auf seltsame Art ihre Lippen zusammen, so als hätte sie lieber die Hand auf eine heiße Herdplatte gelegt, als die Worte auszusprechen.
»Und?«
»Und was?«, faucht sie und verdreht die Augen. »Für den Mann bin ich ›South-Side-Abschaum‹, während du sein verdammter Erbe bist und so weiter. Zusammengefasst will er nicht, dass jemand wie ich deinen Ruf ruiniert.«
Sie will mir unbedingt einreden, dass das der Inhalt des Gesprächs war, aber das funktioniert nicht.
»Schwachsinn.«
Sie schnaubt, und ich sehe, dass sie vor Wut beinahe platzt, aber das kümmert mich nicht.
Noch ein dramatisches Augenrollen, und sie blickt mich erneut an. »Verdammt, West! Was soll ich denn sonst noch sagen? Er will nicht, dass du mit mir zusammen bist. Dein Image soll keinen Schaden nehmen, weil wir ein Paar sind. Ende der Geschichte«, faucht sie.
Ich koche vor Zorn und habe beide Hände zu Fäusten geballt, weil da noch mehr ist. Viel mehr.
Ein paar Sekunden verstreichen, in denen wir schweigen angesichts der verfahrenen Situation. Ich weiß, dass es nicht leicht sein wird, sie dazu zu bringen, mit der ganzen Wahrheit rauszurücken, aber sie muss es tun. Die einzige Möglichkeit, etwas zu bewirken, ist, dass wir beide an einem Strang ziehen. Bei allem.
Der nächste Seufzer von ihr bedeutet, dass sie genug hat vom Reden, genug davon, dass ich ihr mehr entlocken will, als sie teilen möchte.
»An dem Abend, als ich vorbeigekommen bin, um den ganzen Frust wegen uns loszuwerden, habe ich dir erklärt, weshalb ich dich nach unserem Kennenlernen ins Visier genommen habe. Da hast du etwas gesagt, das mir bis heute im Kopf geblieben ist. Erinnerst du dich noch daran, was du mich gefragt hast?«
Das einzige Geräusch im Zimmer ist ihr schwerer Atem, den sie wütend durch die Nasenlöcher ausstößt. Nach ein paar Sekunden bekomme ich wenigstens eine Reaktion, indem sie den Kopf schüttelt.
»Du hast gesagt, eine simple Unterhaltung hätte genügt. Nur ein Augenblick des Vertrauens und der Klarheit. Das ist bei mir hängen geblieben, und es ist der Grund dafür, weshalb ich seither in allem absolut ehrlich zu dir war«, füge ich hinzu. »Du, meine Brüder und Joss sind die Einzigen auf diesem Planeten, denen ich zu hundert Prozent vertraue. Ich weiß, du hast eine Menge schlimmer Sachen gesehen und hast einiges durchgemacht, aber du sollst wissen, dass du mir vertrauen kannst.«
Sie antwortet nicht gleich, aber ich bemerke etwas, das ihr selbst vielleicht nicht einmal bewusst ist. Sie zittert. Sicher, es ist nur ganz leicht, aber ich merke es sofort.
»Du bist bei mir sicher, Southside. Immer.«
Wieder bekomme ich keine Reaktion von ihr, aber sie scheint ein wenig nachzugeben. Also rede ich weiter.
»Ich habe dich nicht einfach ohne Grund gefragt, ob Vin wollte, dass du etwas unterschreibst. Ich habe gefragt, weil er schon bei Casey gewesen war, bevor ich mich mit ihr getroffen habe. Er hat sie gezwungen, eine Geheimhaltungsvereinbarung über das, was zwischen uns passiert ist, zu unterschreiben. Dann habe ich herausgefunden, dass er das Gleiche mit Parker gemacht hat. Das bedeutet, dass er auf dem Kriegspfad ist, weil er versucht, seine und meine Spuren zu verwischen, aber ich habe keine Ahnung, warum. Casey zu sehen war ohnehin schon ein wenig komisch, und erst recht, als ich erfahren habe, dass sie erst neulich meinen Dad getroffen hat. Außerdem war sie wahnsinnig verschlossen und hat alle paar Minuten über ihre Schulter geschaut. Das hat alles nur noch schlimmer gemacht.«
Southside blinzelt, und ich kann nur hoffen, dass ich irgendwie Fortschritte mache.
»Er hat Casey die ganze Sache auch finanziell noch ordentlich versüßt. Meiner Einschätzung nach hat er das Gleiche bei Parker getan, was ihre Shoppingtour neulich erklären würde. Doch etwas Gutes hat all das auch – wenn man es so sagen will.«
Southside runzelt die Stirn – das erste richtige Lebenszeichen seit einer Weile.
»Dank ihrer Unterschrift unter die Geheimhaltungserklärung können wir jetzt zu Dr. Pryor gehen. Wir können ihr von dem Video erzählen, ohne dass Parker sich dafür rächen kann, indem sie erzählt, was sie über Casey weiß.«
Southside schweigt noch immer, aber ihre sanfter werdende Miene macht mir ein wenig Hoffnung. Vielleicht lenkt sie ja ein.
»Ich dachte, du hättest es nur einer Handvoll Leute erzählt«, sagt sie. »Wie hat dein Dad es dann erfahren?«
»Das habe ich mich auch schon gefragt. Mein erster Gedanke war, dass Casey vielleicht noch mit jemand anders als Parker darüber gesprochen hat und es irgendwie zu Vin durchgesickert ist. Doch das erscheint mir ein zu großer Zufall zu sein. Jedenfalls weiß er Sachen, die er nicht wissen sollte, aber …«
»Die Telefone.«
Ich blicke zu Southside hinüber, als sie das gedankenverloren vor sich hin murmelt.
»Was meinst du damit?«
»Hunter hat so was bei meinem letzten Besuch gesagt. Er hat mir befohlen, den Telefonen nicht zu vertrauen, und ich … ich habe damals eins und eins nicht zusammengezählt, aber es ist das Einzige, was einen Sinn ergibt. Es würde erklären, wieso dein Dad von dir und Casey weiß. Es würde erklären, wie er an das Bild gekommen ist, das ich nur an Ricky geschickt habe. Ich …«
Sie verstummt und starrt auf den Boden, als sie die Erkenntnis trifft, als sie uns beide trifft.
Würde Vin wirklich so weit gehen? Würde er Anrufe abhören und fremde Textnachrichten lesen?
Angesichts dieser Frage fallen mir all die anderen krummen Dinger ein, die er in letzter Zeit gedreht hat, und mit einem Mal ist es nicht mehr so abwegig. Der Mistkerl ist absolut dazu in der Lage, auch wenn die übergeordnete Frage noch nicht beantwortet ist: Warum?
Was hat er davon, dass er uns überwacht? Oder was hat er zu verlieren, wenn er es nicht tut und ihm etwas entgeht?
Ich fasse einen Entschluss. Ich werde das Arschloch zur Rede stellen. Ihm ist sicher klar, dass ich Pandoras Posting gesehen habe und somit weiß, dass er heute Abend mit Southside gesprochen hat, weshalb er das wahrscheinlich erwartet. Ich werde nicht alle meine Karten auf den Tisch legen, aber er soll erfahren, auf wessen Seite ich stehe.
Auf ihrer.
Es wird immer ihre sein.
Ich betrachte erneut Southsides Hände, und sie zittern ein wenig mehr als zuvor. Es ist das einzige Anzeichen dafür, dass sie nicht so tough ist, wie ihre Miene es suggeriert. Als ich meine Finger mit ihren verschränke, wendet sie mir ihre tränenfeuchten Augen zu.
»Er … hat mich bedroht.«
Diese Worte sind wie eine Kugel, die mich mitten ins Herz trifft.
»Und auch wenn du ihn dafür zur Rechenschaft ziehen willst, West … du darfst es nicht tun«, fügt sie hinzu.
Mein Blick wird unerbittlich. »Er darf mit diesem Scheiß nicht weitermachen. Wenn ich ihm das nicht eindeutig klarmache …«
»Er hat gesagt, er würde Scar was antun.«
Diese Worte lassen mich stumm bleiben. Als sie meinte, er habe sie bedroht, bin ich davon ausgegangen, dass er versuchen würde, sie aus der Schule werfen zu lassen oder so etwas.
»Seine genauen Worte waren, dass er sie mir wegnehmen würde«, erklärt Southside, wobei sie mich voller Verzweiflung ansieht. »West … er hat keinen Zweifel daran gelassen, wie leicht es wäre, sie verschwinden zu lassen – uns beide verschwinden zu lassen –, wenn ich nicht kooperiere«, fügt sie mit bebender Stimme hinzu.
»Kooperieren?«
»Ja.« In ihren Augen sehe ich echte Angst.
»Was zum Teufel soll das heißen?«
Um nicht auszurasten, atme ich sehr bewusst, während sie wieder eine Ewigkeit braucht, um zu antworten.
»West, ich sollte dir das alles nicht erzählen. Wenn er das herausfindet …«
Ich falle ihr ins Wort. »Ich würde niemals etwas tun, das dich oder Scar in Gefahr bringen könnte. Was immer er nicht erfahren darf, wird er nicht erfahren. Das verspreche ich dir.«
Sie betrachtet mich einen Moment. In diesem Moment läuft schließlich doch eine Träne über ihre Wange, und es verleiht ihren folgenden Worten ein erdrückendes Gewicht.
»Ich habe gesagt, dass er dich von mir fernhalten will, aber er hat das noch genauer ausgeführt«, gesteht sie schließlich. »Seine Anweisung war nicht nur, dir das Herz zu brechen. Er hat gesagt, ich soll dich brechen.«
Ich bin fassungslos, was ich wahrscheinlich nicht sein sollte, wenn man bedenkt, dass wir schließlich über Vin reden. Ich fahre mir mit einer Hand durchs Haar und versuche, diese ganze Sache zu verstehen.
Ich kann zumindest eins sagen: Es ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.