Kirche und Krisen - Lukas Ohly - E-Book

Kirche und Krisen E-Book

Lukas Ohly

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Beschreibung

Die Reformation erscheint heute vorrangig als mediales Ereignis: ohne Buchdruck, Bibelübersetzung und Kirchenlied keine Botschaft. In unserer modernen Welt verlangt jeder Inhalt so sehr nach einer passenden, wirksamen Form, dass die Form das Wesentliche zu werden droht und der Inhalt nachrangig. Was bedeutet das für die Theologie, deren Gegenstand per Definition keine Gestalt und keine Form hat? Ihre Denkweisen bieten Anregungen, um die "Formalismuskrise" nicht nur der Theologie zu überwinden. Dazu bedient sich der Theologe und Pfarrer Lukas Ohly auch interdisziplinärer Theorien von Denkern wie Charles S. Peirce oder Ludwig Wittgenstein. Am Beispiel der Flüchtlingskrise 2015 und digitaler kirchlicher Angebote während der Corona-Krise 2020 zeigt er, wie wir Dingen auf den Grund gehen, Sachverhalte verstehen und Sinn finden können.

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Lukas Ohly

Kirche und Krisen

Theologische Perspektiven auf Inhalt und Form

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

Cover: Vetvector / iStock, Stock-Illustration-ID: 1218557964

 

 

 

© 2020 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.narr.de • [email protected]

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

 

Print-ISBN 978-3-89308-460-9

ePub-ISBN 978-3-89308-005-2

Inhalt

Für EmiliaEinleitung1 Der Formalismus in der Theologie: Präzisierungen zu einem aktuellen Denktyp1.1 Mit Denkformen Inhalten aus dem Weg gehen1.2 Die interdisziplinäre Herleitung des Formalismus1.3 Der schöpfungstheologische Hintergrund des Formalismus1.4 Debatten über Inhalte führen2 Die Flüchtlingskrise und der Formalismus in der Protestantischen Ethik2.1 Ist die universalistische Gesinnung der Inhalt, die begrenzte Verantwortung die Form?2.2 Warum der Inhalt nicht an die Form gebunden ist2.3 Der inhaltsoffene Formalismus der Semiotik2.4 Kann sich ethischer Universalismus aus dem Korsett der begrenzenden Form befreien?2.5 Folgerungen3 Digitalisierung und Corona-Krise. Wozu die Kirchen jetzt da sind3.1 Da sein oder im Netz sein?3.2 Die Form des Gottesdienstes – offline oder online, digital oder analog3.3 Kirche in der digitalen Welt: Form oder Inhalt?3.4 Die „Form“ im Digitalen3.5 Welche Gemeinschaft will und kann die Kirche sein?3.6 Christlicher Glaube und formale AmbiguitätLiteraturverzeichnisAnmerkungen

Für Emilia

Einleitung

Ein Jahr vor dem 500. Reformationsjubiläum saß ich auf einem Podium, um über den Vortrag eines Theologen zu diskutieren, der Martin Luthers Anliegen auf das 21. Jahrhundert übertragen wollte. Dabei hob er Äußerlichkeiten hervor, die Luthers theologisches Interesse so gut wie nicht berücksichtigten: Luther habe den populären Liedern seiner Zeit christliche Texte unterlegt; also müsse die evangelische Kirche auch heute die Kirchenmusik popularisieren. Ebenso habe Luther die Bibel nicht einfach in die deutsche Sprache übersetzt, sondern in die Umgangssprache der damaligen Bevölkerung. Daher müsse auch heute nicht nur die Bibel, sondern auch die christliche Botschaft in die Kultur- und Sprachgewohnheiten der Menschen umgesetzt werden.

Ein Jahr später hatte ich bei einer öffentlichen Frankfurter Veranstaltung den Segensroboter BlessU2 kennengelernt, den die Evangelische Kirche von Hessen und Nassau zur Reformationsausstellung in Wittenberg entworfen hatte. Es ging um die Frage: Können Roboter segnen? Dabei meldeten sich etliche theologische Vertreter, die argumentierten, dass der Segen generell nur über Medien zum Ausdruck komme. Daher mache es keinen prinzipiellen Unterschied, ob ein Pfarrerin ihre Hände hebe und dabei Segensworte spreche oder ein Roboter.

Was haben beide Beispiele miteinander zu tun? Sie reduzieren theologische Fragestellungen auf Formalfragen. Die Bedeutung des Segens wird auf seine mediale Ausdrucksform zurückgeführt. Ebenso wird das theologische Wahrheitsanliegen Martin Luthers auf seinen geschickten Einsatz von Medien reduziert. Dahinter liegt offenbar die Vermutung, Sachfragen ließen sich auf die begründete Entscheidung für geeignete Formen verkürzen. Diese Vermutung wird vor allem dann verstärkt, wenn behauptet wird, es gebe keine isolierte Sache, die ohne eine für sie passende Form überhaupt bedacht werden könne. Denn dann folgt, dass ungeeignete Formen die Inhalte verzerren oder verändern können. Also ist die Frage nach den Formen selbst eine Sachfrage. Die Grenzen zwischen Form und Inhalt verschwimmen, aber so, dass der methodische Gang doch signifikant die Formen in den Blick nimmt und nur vermittelt über sie auch die Inhalte. Es scheint dann so, als seien die Inhalte das Vermittelte, die Formen dagegen das Unmittelbare, das eigentliche Phänomen, das zu bedenken ist.

Ich halte diese Wahrnehmung für eine Formalismuskrise. Sie besteht nicht darin, dass gewohnte Formen in eine Krise geraten, was ja durchaus auch in den obigen Beispielen behauptet wird. Dort war ja suggeriert, die traditionellen Kirchenlieder entsprächen nicht mehr der Intention Luthers und würden sich somit gegen die Reformation stellen. Ebenso sollte der Segensroboter einen Denkanstoß bieten, über welche Formen die evangelische Kirche, die als Institution gegenwärtig einen Vertrauensverlust erfährt, wieder zu den Menschen findet. Das ist jedoch nur eine Formkrise, mit der sich die entsprechenden kirchenleitenden Personen und die Theologie beschäftigen. Eine Formalismuskrise jedoch besteht darin, dass Sachprobleme pauschal als Formkrisen bearbeitet werden. Die Benennung von Formkrisen ist also das Symptom der Formalismuskrise.

Es gibt kaum einen gesellschaftlichen Bereich, auf den der Formalismus nicht übergesprungen ist. Die Dominanz der Form macht sich durch einen technokratischen Umbau der Gesellschaft auch im Denken breit. Nicht erst die Digitalisierung erzeugt den starken Suggestionsschub, dass sich das menschliche Denken auf formelle Muster reduzieren lasse. Sie vollendet vielmehr ein Denken, das sich auf seine Formen durchsichtig macht, als gäbe es nichts darüber hinaus.

In diesem Büchlein untersuche ich zwar den Formalismus stets in theologischen Kontexten. Allerdings zeigen die drei Beispiele, die ich hier diskutiere, den gesellschaftlichen Bezug des Formalismus. Er schlägt sich in politischen und strategischen Entscheidungen von Organisationen ebenso nieder wie im Gebrauch von Technik. Dass der Formalismus auch in der Theologie angekommen ist, dürfte eher markieren, dass er auf die Spitze getrieben wird. Denn der Theologie als Reflexion des christlichen Glaubens ist es nie nur um die bloße Einübung und Wiederholung von Ritualen gegangen, sondern vor allem um das verstehende Erfassen der Wirklichkeit Gottes. Wenn es in der Welt kein Bild für Gott gibt, gibt es auch keine Formen für ihn. Folglich muss er für die Menschen anders zugänglich sein als alle anderen Gegenstände der Welt, bei denen man noch am ehesten vermuten könnte, dass ihnen verlässliche Formen zugrunde liegen.

Die Dominanz der Form unterschlägt den Außenbezug des Denkens, als gäbe es keine Sache, die zu denken ist. Schon der Theologe Karl Barth hat die „Sache“ vor den formellen Rekonstruktionen in der Theologie retten wollen. Adolf von Harnack hatte ihm daraufhin vorgeworfen zu übersehen, dass uns Jesus Christus nur über seine kirchengeschichtlichen Reminiszenzen zugänglich ist.1 Die Frage, die sich an diese Einsicht anschließt, heißt aber, ob sich theologisches Denken in der Rekonstruktion dieser Reminiszenzen erschöpft oder ob es dahinter zu einer Sache vorstoßen kann, die sich von der Form befreit: „Bis zu dem Punkt muss ich als Verstehender vorstoßen, wo ich nahezu nur noch vor dem Rätsel der Sache, nahezu nicht mehr vor dem Rätsel der Urkunde als solcher stehe.“2 Man könnte auch fragen, ob es im Formalismus überhaupt noch eine Sache gibt, auf die sich die Formen beziehen, oder ob sich die Funktion der Sache darin erschöpft, dass sie in den Formen ausgedrückt ist. Ist also Immanuel Kants „Ding an sich“ nur eine leere Konstruktion der Erkenntnis, so dass den Geisteswissenschaften nichts anderes übrig bleibt, als in intertextuellen Querverweisen lediglich formellen Sinn zu generieren?

Es gibt eine Lösung für diese Krise. Die Hauptthese dieses Buches besteht darin, dass der Formalismus in der Theologie von innen her aufgebrochen wird. Ich erinnere also an solche Quellen in der Theologie, die zwar die Bindung von Inhalten an ihre Formen zunächst akzeptieren, dann allerdings Brechungen darin aufdecken, die feste Formen verflüssigen, um sie an theologische Inhalte anzupassen. Denn gerade weil Gott kein Gegenstand der Welt ist und es daher anderer Zugangsweisen für die Gotteserkenntnis bedarf, müssen Formen überstiegen werden, von denen man ursprünglich ausgegangen ist. Dieser Ansatz ist ein Angebot, die Formalismuskrise zu überwinden – nicht nur innerhalb der Theologie.

Dazu verweise ich auf Autoren, die interdisziplinär gearbeitet haben. Zu ihnen gehören der Semiotiker Charles S. Peirce, die Philosophen Martin Heidegger und Ludwig Wittgenstein, der Theologe und Religionsphilosoph Paul Tillich sowie Ethiker der Gegenwart, die bei der Bearbeitung eines spezialethischen Problems an die Grenzen des Formalismus stoßen.

Das Büchlein hat drei Teile. Im ersten Kapitel werde ich die theoretischen Grundlagen der Formalismuskrise beschreiben und die religionsphilosophischen Ressourcen rekonstruieren, die aus der Krise herausführen. Die beiden anderen Kapitel werden auf diese Ressourcen vertiefend eingehen, um die Formalismuskrise an konkreten politischen oder strategischen Themen aufzuzeigen.

Die politische Ethik in der protestantischen Theologie hat in den vergangenen Jahren das Problem des Formalismus offengelegt, nämlich am kontrovers diskutierten Thema der deutschen Flüchtlingspolitik. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel im Jahr 2015 in einem deutschen Alleingang die Grenzen für Flüchtlinge geöffnet und eine Euphorie der „Willkommenskultur“ in Gang gesetzt hatte, die eine ebenso massive Gegenbewegung mit der Stärkung rechtspopulistischer Bewegungen hervorrief, haben etliche protestantische Theologen den Versuch unternommen, Merkels Flüchtlingspolitik allein unter formalen Aspekten ethisch zu verurteilen. Dass dieser Formalismus bereits politisch zu unterkomplex gewesen ist, legte die Debatte in den Folgejahren offen. Ich möchte im zweiten Kapitel zeigen, dass die Lösung zum Problem über politisch-ethische Vorschläge hinaus in einer Überwindung des Formalismus zu suchen ist.

Das dritte Kapitel untersucht die gesellschaftliche Entwicklung, die derzeit unter dem Containerbegriff „Digitalisierung“ zu beobachten ist, nur an einem, aber vermutlich repräsentativen Beispiel. Zwar ist die Ursache für dieses Beispiel historisch beispiellos und liegt in der Corona-Krise des Jahres 2020. Etliche Staaten haben Ausgehsperren verhängt, um die Ausbreitung des Corona-Virus Covid 19 einzuschränken. Das führte auch zum Verbot, sich zu Gottesdiensten zu versammeln. In dieser Situation haben etliche Religionsgemeinschaften das Internet für sich entdeckt, um ihre Angebote in den virtuellen Raum zu verlegen. Die Corona-Krise hat jedoch die Digitalisierung von Sozialformen nicht verursacht, sondern nur beschleunigt. Mit der Digitalisierung hat sich schon vorher ein sozialer Trend entwickelt, Inhalte zu formalisieren. Die naive Euphorie, mit der Kirchengemeinden und Kirchenleitungen virtuelle Gottesdienstangebote ins Internet stellen, macht diesen Trend nur besonders sichtbar. Denn sie belegt die Anfälligkeit für die Formalismuskrise im Denken von Organisationen.

Wenn dieses Büchlein die Aufmerksamkeit ein wenig dafür schärfen kann, was mit der Formalismuskrise verlorenzugehen droht und was deshalb zu verteidigen ist, wäre sein Ziel erreicht. Es gilt nämlich die menschliche Fähigkeit zu schützen, Sachverhalte zu verstehen, ihnen auf den realen Grund zu gehen, Ziele zu setzen, weil uns etwas trifft, was uns den Sinn offenbart, diese Ziele zu setzen; die menschliche Fähigkeit also, geistig zu sein und dem Geistigen zu begegnen.

1Der Formalismus in der Theologie: Präzisierungen zu einem aktuellen Denktyp

1.1Mit Denkformen Inhalten aus dem Weg gehen

Kein Zweifel, dass Denkformen Formen sind. Aber bestimmt damit die Form den Inhalt? Könnte es also sein, dass Inhalte nur in bestimmten Formen dargestellt werden können, ansonsten verlieren sie sich? Oder können bestimmte Inhalte überhaupt erst ihre eigene Form hervorbringen? Aber wenn es so wäre, wären sie dann nicht auch unmittelbar an die Form gebunden?

Anselm von Canterbury hat im 11. Jahrhundert den ontologischen Gottesbeweis formuliert. Er besteht darin, dass man Gottes Existenz aus dem Gedachtsein ableitet. Wer Gott denkt, muss ihn so denken, dass Gott nicht nur gedacht sein kann. Dieser originelle Gedanke wurde seitdem seiner Form nach immer wieder verwendet, auch um damit die Existenz von anderem zu beweisen. Der ontologische Beweis wurde zu einer Form, die andere Inhalte aufnehmen konnte. Sartre etwa hat mit diesem Verfahren die Existenz einer Außenwelt außerhalb der Ideen nachgewiesen. Auch dass es neben mir noch anderes Bewusstsein gibt, ließ sich für Sartre mit dieser Form beweisen.1 Doch dazu musste Anselm seinen Gottesbeweis zunächst einmal inhaltlich durchdrungen haben.

Vermutlich hat Anselm dazu auf andere Formen zurückgegriffen, etwa auf die Gebetsform, in der er seinen Beweis entfaltet. Doch soll das heißen, dass Inhalte letztlich nie ohne eine ihr vorausliegende Form entwickelt werden können? Das würde heißen, dass die Form des ontologischen Gottesbeweises im Grunde schon in der Gebetsform angelegt gewesen war. Wirklich Neues ist dann nicht zu erwarten, sondern nur die Entwicklung der Potenziale alter Formen. Umgekehrt heißt das, dass Neuheiten nur unabgeleitet auftreten können. Neuheit ist Schöpfung aus dem Nichts, oder sie ist keine Neuheit. Ihre Unableitbarkeit liegt nicht darin, dass sie sich nicht über vorhandene Formen stülpt, sondern dass sie nicht als Form auftritt.

Wer über das Verhältnis von Form und Inhalt nachdenkt, muss dazu bereits selbst Inhalte denken und sie in eine Form bringen. Dennoch denkt er über etwas nach, was nicht selbst Form oder Inhalt ist. Das Verhältnis zwischen Form und Inhalt liegt vielmehr zwischen beiden. Das ist einerseits so originell nicht: Der Gedanke über einen Dinosaurier ist nicht selbst ein Dinosaurier. Andererseits handelt es sich beim Nachdenken über Form und Inhalt ja um eine Selbstanwendung von Form und Inhalt. Irgendwie wird der Gedanke doch zum Dinosaurier, wenn Form und Inhalt Dinosaurier sind. Aber selbst dann ist ihr Verhältnis keiner. Oder in der Sache gesprochen: Zwar hat der Gedanke zum Verhältnis von Inhalt und Form selbst einen Inhalt und eine Form. Aber wenn das Verhältnis zwischen ihnen liegt, wird hier etwas gedacht, was selbst über Inhalt und Form liegt.

In der Logik versucht man solche paradoxen Gedanken so zu lösen, dass man sie auf verschiedene Stufen stellt: Inhalte über Inhalte sind dann Inhalte zweiter Ordnung. Es könnte aber auch sein, dass das Verhältnis zwischen Form und Inhalt nicht einmal Inhalt oder Form höherer Ordnung ist, sondern nichts von beidem, sondern Neuheit: Ein Verhältnis, das nicht fest besteht, sondern sich frei bildet. Ich möchte in diesem Kapitel zeigen, dass es sich so mit Form und Inhalt verhält.

Die Reflexion über Neuheiten gehört theologisch in die Lehre von der Schöpfung. Auf die Theologie selbst angewandt, ist Schöpfungslehre kein festes Fundament, weder für die Rede von Gott noch von der Welt. Theologische Rede ist daher selbst kreativ. Sie kann sich nicht auf feste Formen verlassen. Vielmehr müssen theologische Denkformen sich selbst übersteigen können. Und sie müssen ihre Inhalte in andere Formen bringen können.

In der gegenwärtigen Theologie hört man oft davon, dass sich Form und Inhalt zu entsprechen hätten. Bisweilen wird sogar von einer „Kongruenz von Form und Inhalt“ gesprochen. Dahinter liegt eine Vorentscheidung über eine andere Verhältnisbestimmung von Form und Inhalt, als sie mir vorschwebt. Diese Vorentscheidung besteht darin, die Verhältnisbestimmung als Dominanz fester Formen vorzunehmen. Ich spreche deshalb von einer Vor-Entscheidung, weil dieser Formalismus, wie ich diese Dominanz der Form in diesem Büchlein nenne, seine Selbstanwendung nicht überprüft hat. Er hat nicht geklärt, ob neue Denkformen auf alten Denkformen beruhen. Und er hat keine Antwort auf die Frage gegeben, ob das Verhältnis zwischen Form und Inhalt selbst eine Form ist.

Holt man diese Selbstaufklärung nach, ergibt sich eine andere Theologie, als sie von den gegenwärtigen Protagonisten des Formalismus vertreten wird. In diesem Kapitel werde ich theologische Konzepte eines sich revidierenden Formalismus vorstellen, der Neuheiten mitdenken kann. Damit wird der Formalismus zu einer typisch theologischen Denkfigur. Der gegenwärtige Formalismus mag sich zwar auf außertheologische Einsichten anderer Geisteswissenschaften berufen. Sobald er aber auf sich selbst angewendet wird, treten grundsätzliche Erwägungen auf, die eine schöpfungstheologische Dimension eröffnen.

Dazu möchte ich in diesem Kapitel die „Kongruenzthese“ zwischen Form und Inhalt in Frage stellen. Ich stelle also meine Einwände gegen die These vor, dass zwischen Form und Inhalt eine Kongruenz besteht. Die These kann trivialer gemeint sein als sie klingt. Sie kann meinen, dass die Form immer dem Inhalt entspricht, der ausgedrückt wird, dass es also nie formlose Inhalte gibt. Es kann aber auch im nicht-trivialen Sinn gemeint sein, dass ein Inhalt ein anderer wird, wenn er in einer „unpassenden“ Form auftritt. Tatsächlich scheint diese nicht-triviale These hinter den Bemühungen insbesondere der Praktischen Theologie zu stehen, die angemessenen Formen theologischer Inhalte zu finden.

Zunächst möchte ich die Grenzen des Formalismus aufzeigen. In einem nächsten Schritt rekonstruiere ich die schöpfungstheologischen Quellen des Formalismus, aus dem sich ein flexibleres Verhältnis von Form und Inhalt ergibt.

1.2Die interdisziplinäre Herleitung des Formalismus

Der Form-Inhalt-Zusammenhang wird interdisziplinär gestützt: Semiotisch gibt es keine Inhalte „an sich“, die erst sekundär an bestimmte Ausdrucksformen geknüpft würden. Vielmehr sind Inhalte immer schon an Ausdrucksformen gebunden. Zwar lasse sich Neues ausdrücken, aber nur, weil der dafür herangezogene Ausdruck selbst eine Form habe.1 Dieser Formalismus dürfte weitgehend der trivialen Variante entsprechen: Es gibt keine formlosen Inhalte. Insofern bestimmt die Form den Inhalt, was aber nicht heißt, dass derselbe Inhalt nicht auch in einer anderen Form ausgedrückt werden könnte.

Auch die Ästhetik „macht uns darauf aufmerksam, dass Inhalte immer nur in einer bestimmten Form für uns zugänglich sind. Das Was ist immer mit dem Wie verknüpft. Deshalb ist die Ästhetik falsch verstanden, wenn man sie – wie es nicht selten geschieht – auf Äußerlichkeiten, Stilfragen und formale Aspekte reduziert. Die Ästhetik ist vielmehr eine durch und durch inhaltsorientierte Wissenschaft.“2 In diesem Sinne wird dann sogar von einer „Kongruenz“3 von Form und Inhalt gesprochen. Hierbei handelt es sich um die eigentliche Kongruenzthese im nicht-trivialen Sinn: Wenn Inhalt und Form kongruent sind, folgt nämlich, dass eine Veränderung der Form unmittelbar zu einem anderen Inhalt führt. Ich werde im nächsten Schritt zeigen, dass diese These so konzipiert ist, dass sie sich nicht begründen lässt. Das kann man aber bereits an der geometrischen Metaphorik der Kongruenz erkennen: Das