Kiss and keep - Glücklich nur mit dir - Rachel van Dyken - E-Book

Kiss and keep - Glücklich nur mit dir E-Book

Rachel van Dyken

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Beschreibung

Hochdramatische und prickelnde Leidenschaft in der neuen New-Adult-Reihe von USA-Erfolgsautorin Rachel van Dyken Am College lernt die scheue Kiersten den Quarterback Weston kennen und fühlt sich sofort zu dem unverschämt attraktiven Mann hingezogen. Nach dem Tod ihrer Eltern scheint ihr Leben jeden Sinn verloren zu haben und sie scheut vor Beziehungen zurück. In Weston findet sie jedoch neue Lebenskraft und nie gekannte Leidenschaft – bis zu dem schicksalhaften Tag, der ihre Liebe auf eine harte Probe stellt… »Kiss and keep« ist nach »Games of Love« die zweite Reihe der Autorin, die in Deutschland veröffentlicht wird. feelings-Skala (1=wenig, 3=viel): Erotik: 3, Humor: 1, Gefühl: 2

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Rachel van Dyken

Kiss and keep – Glücklich nur mit dir

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch von Silvia Gleißner

Knaur e-books

Über dieses Buch

Inhaltsübersicht

WidmungPrologKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37Kapitel 38Kapitel 39Kapitel 40Kapitel 41Kapitel 42Kapitel 43Kapitel 44Kapitel 45Kapitel 46Kapitel 47Kapitel 48Danksagungen
[home]

 

Onkel Jobob, wenn ich an dich denke oder deinen Namen höre, dann fällt mir ein Wort ein: tapfer. Was noch? Held. Und danach? Frieden. Du bist ein Kämpfer und ein lebendes Beispiel für den Menschen, der ich im Alltag zu sein hoffe. Ich bewundere deine Tapferkeit so sehr. Du lässt dich vom Krebs nicht kleinkriegen. Stattdessen nutzt du ihn, um andere wieder aufzurichten. Worte können gar nicht ausdrücken, wie groß der Einfluss ist, den du auf mein Leben hast.

 

An meine liebe Schwiegermutter, die gegen ihren Brustkrebs gekämpft, ihm ins Gesicht gestarrt hat und nicht vor ihm in die Knie gegangen ist – ich liebe dich.

 

An Monica – du hast das im Griff, Mädchen. Du wirst damit fertig, und dann gönnst du dir ein Glas Wein und ein gutes Buch.

 

An alle, die jemanden durch Krebs verloren haben; alle, die dagegen kämpfen – Ärzte, Familien, geliebte Partner, die ihre Seelengefährten begraben mussten.

 

Mein Herz ist bei euch.

Dieses Buch

ist für euch.

[home]

Prolog

Kannst du mich hören? Kiersten?« Seine Stimme war so nahe; vielleicht fühlte es sich realer an, wenn ich die Augen schloss. Ich streckte die Hand aus, um ihn zu berühren, doch da war nur Luft. Er war nicht hier. Er war verschwunden.

Dann war es also wirklich passiert.

Ich blinzelte einige Male und versuchte, mich auf das zu konzentrieren, was sich vor mir befand. Er sah aus wie er, aber er stand zu weit weg. Wieso lag ich auf dem Boden?

»Komm zurück zu mir.« Seine Lippen bewegten sich, als er leise mit mir redete. »Nicht so, Kiersten. Nicht so, Baby.« In seinen lichtblauen Augen loderte Sehnsucht. »Alles wird gut. Ich verspreche es.«

Aber es war nicht gut. Ich wusste es. Und er wusste es.

Er war nicht mehr da – und ich halluzinierte.

Ich hatte die Liebe meines Lebens verloren – meinen besten Freund. Wie viel Verlust konnte ein Mensch ertragen, bevor er ebenfalls starb? Bevor ihn die Herzensqualen verschlangen? Erinnerungen jagten durch meinen Verstand, Erinnerungen an meine Eltern, Erinnerungen an ihn beim Footballspielen, Erinnerungen an all die kleinen Zettel, die er mir geschrieben hatte.

Unser erster Kuss.

Unser letztes Beisammensein.

Und dann das Krankenhaus.

Uns war nicht genug Zeit geblieben – und ich hasste Gott dafür, dass er mir jeden Menschen wegnahm. Ich hasste es, dass ich am Ende immer allein blieb, um den Verlust derer, die ich liebte, zu betrauern.

Ein letztes Mal wollte ich sein Gesicht berühren. Diesmal trafen meine Finger auf warme Haut. Das Ganze war ein Traum. Tja, wenn es schon ein Traum war, dann wollte ich es genießen, wie sein Lächeln das Zimmer zum Strahlen brachte. Seine Lippen berührten meine Stirn. Ich schloss die Augen und betete zu Gott, er möge mich doch auch holen.

Denn ich wusste: Sobald ich aufwachte, musste ich wieder einmal Lebewohl sagen, und dieses Mal hatte ich keine Ahnung, ob ich mich je wieder davon erholen würde, dieses eine Wort auszusprechen.

Lebewohl. Wer auch immer dieses Wort erfunden hat – er sollte in der Hölle schmoren.

[home]

Kapitel 1

Schwäche ist nur Schmerz, der den Körper verlässt.

 

 

Drei Monate zuvor
Kiersten

Immer wieder sagte ich mir dasselbe Mantra vor, bis ich glaubte, ich würde den Verstand verlieren. Es war nicht real. Ich hatte nur wieder diesen Alptraum. Es war nicht real.

Wenn man von seinen eigenen lauten Schreien aufwacht, ist das nie ein gutes Zeichen. Schritte näherten sich der Tür, sie flog auf, und meine Mitbewohnerin erschien. Genau: diejenige, die ich erst vor ein paar Stunden kennengelernt hatte.

»Alles okay bei dir?« Sie kam vorsichtig einen Schritt herein und verschränkte die Arme. »Ich habe Schreie gehört.«

Richtig. Ich war eine Irre. Ich wollte einen Neuanfang, und was kriegte ich? Ein Fleißbildchen dafür, dass ich meiner Mitbewohnerin, also dem einzigen freundlichen Gesicht, das ich seit meiner Ankunft in der Universität von Washington gesehen hatte, ein Trauma verpasste.

»Ähm, ja.« Ich schaffte es, ohne Zittern in der Stimme zu antworten. »Ich weiß, es ist schräg, aber ich habe nachts noch Alpträume.« Als ich ihre ungläubige Miene sah, fuhr ich schnell fort: »Aber nur, wenn ich wirklich total unter Stress stehe.« Und wenn ich starke Medikamente nehme, aber den Teil behielt ich für mich.

»Oh.« Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und warf einen Blick über die Schulter in den Flur. »Möchtest du, dass ich bei dir auf dem Boden schlafe oder so? Ich meine, das würde ich schon machen, falls du Angst hast.«

Gesegnet sei ihr gastfreundliches Südstaatenherz. »Nein.« Ich lächelte. »Es geht mir gut. Ich hoffe, ich habe dich nicht zu sehr erschreckt.«

»Och, na ja …« Lisa winkte ab. »Diese Lampe in meinem Zimmer habe ich sowieso noch nie gemocht.«

»Mein Geschrei hat eine Lampe zerdeppert?« Ich zuckte zusammen.

»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Das war mein Sturz. Offenbar zählt es als Kontaktsportart, wenn man um ein Uhr morgens aus seinem Hochbett springt. Mit meiner Lampe als Primärziel. Keine Sorge.« Sie seufzte. »Sie musste nicht leiden, sondern ist direkt beim Auftreffen auf den Boden zerbrochen. Und dann bin ich noch auf dem Teddybär ausgerutscht, der auch heruntergefallen war. Aber das ist ganz gut, denn der hat meinen Sturz gebremst, so dass ich mit zwei kleinen blauen Flecken davongekommen bin.«

Ich verbarg das Gesicht in den Händen. »Heilige Scheiße! Es tut mir so leid.«

»Ach was, alles in Ordnung. Ich bin ein Bruchpilot auf zwei Beinen.« Sie lachte. »Aber falls du vorhast, die ganze Nacht zu schreien, dann nehme ich den Boden. Meine Tage des Lampenmordens liegen hinter mir.«

Ich nickte grinsend. »Klar. Es ist nur … ich will nicht, dass du …«

»Hör auf, dich zu entschuldigen.« Lisas Lächeln war warmherzig. »Oh, ich bin übrigens Schlafwandlerin; also falls du aufwachst und ich direkt vor deinem Bett stehe, dann versuche, mir nicht sofort eine zu donnern.«

»Wow, wir sind echt ein lustiges Gespann.«

Sie schnappte sich eine Decke von meinem Bett und warf sie auf den Boden. »Du kennst doch die kleinen Rubriken für Bemerkungen in den Einschreibungsformularen, da, wo es um die Unterbringung geht?«

»Ja?«

»Ich schwöre dir, die sind dazu da, um die komischen Vögel unter uns zusammenzustecken.«

Ich gähnte.

»Ich brauche ein Kissen«, verkündete Lisa. »Bin gleich zurück. Kein Geschrei mehr. Mach die Augen zu, und morgen früh gehen wir Jungs angeln. Träum schon mal davon.«

»Jungs?«

»Ähm …« Lisa schob sich das braune Haar hinters Ohr. »Das heißt, es sei denn, du bist an Mädchen interessiert. Ich meine, ist cool, falls du im anderen Team spielst, ich meinte bloß …«

»Nein, nein, nein.« Ich ließ ein schwaches Lachen hören. Sehe ich denn so aus, als wäre ich vom anderen Ufer? »Nein, nichts dergleichen. Ich hatte nur noch nie einen Freund.«

»Du arme Seele!« Meinte sie das ernst? »Wie hast du denn bisher überlebt?«

»Netflix, Johnny Depp und Bücher. Ich habe mit Volldampf durchgemacht.« Ich zuckte mit den Schultern. »Glaub mir, wenn du in derselben Stadt wie ich aufgewachsen wärst, hättest du dich auch nie verabredet.«

»Ja? Wieso?« Dann hob sie eilig die Hand und rannte aus dem Zimmer. Als sie wiederkam, hatte sie ihr Kissen dabei. Sie warf es auf den Boden, ließ sich im Schneidersitz nieder und gähnte. »Okay, jetzt kannst du weitererzählen.«

»Jungs …« Ich legte mich auf die linke Seite, so dass ich sie ansehen konnte. »Ich habe mich nicht mit einem Einzigen verabredet, weil meine Stadt so verdammt winzig war, dass meine Mom schon Gesundheit sagte, wenn ich nur mal in die falsche Richtung nieste, und das bereits, bevor ich mit Niesen fertig war. Ich meine, das eine Mal, als ich eine schlechte Note im Zeugnis hatte, wurde davon gleich in der Zeitung berichtet.«

»Hä? Was für eine Stadt macht denn so was?«

»Eine, die buchstäblich dokumentiert, wie viele Leute in der Hochsaison zu Besuch kommen.«

»Hochsaison?«, fragte Lisa.

»Touristensaison. Wenn die Leute Weinproben besuchen. Letztes Jahr hatten wir fünfhundert Besucher, und das sind mehr Leute, als in unserer ganzen Stadt leben.«

»Das sind deprimierende Informationen«, erklärte Lisa. »Also keine niedlichen Jungs?«

»Der Sohn vom Bürgermeister war süß.«

»Oh, cool!«, meinte sie begeistert.

»Ja, der Quarterback des Footballteams war derselben Meinung.«

»Kam das auch in der Zeitung?« Sie zuckte zusammen.

Ich zog die Nase kraus und nickte. »Ja … gleich nach meiner schlechten Note.«

»Dann lieber die schlechte Note.«

»Stimmt.« Ich lachte. Es war ein gutes Gefühl, dass jemand nachfühlen konnte, wie absolut ätzend es war, sich im Zentrum der Aufmerksamkeit zu befinden. Langsam entspannte ich mich wieder.

»Tja, diese Situation müssen wir auf der Stelle bereinigen.« Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Ich kenne eine Menge Jungs. Bei der Einführung heute Morgen bin ich mindestens zehn begegnet. Einer von ihnen hatte Tattoos.« Sie seufzte sehnsüchtig. »Ich stehe auf Tattoos.«

»Aber die bedecken doch die Haut«, wandte ich ein. »Und ein Tattoo ist für immer. Ich meine, findest du das nicht ein wenig kitschig?«

»Wer bist du denn?« Sie blinzelte. »Offenbar liegt deine kleine Stadt hinter dem Mond.«

»Ähm …« Ich lachte. »Genau mein Argument.«

»Glaub mir, der einzige Grund, warum du keine Tattoos magst, liegt darin, dass du sie noch nie auf einem sexy Körper gesehen hast. Wenn du solche hübschen Bildchen erst mal auf einem Sixpack gesehen hast, wirst du deine Meinung ganz schnell ändern. Mensch, als ich das letzte Mal einen Typen oben ohne mit Tattoos gesehen habe, habe ich ihn gefragt, ob ich ihn ablecken darf.«

»Was hat er gesagt?«

Lisa seufzte. »Ja …« Dann zuckte sie mit den Schultern. »Wir sind eine Woche miteinander gegangen, und dann habe ich mich aufgemacht zu grüneren Weiden.«

»Größeres Tattoo?«

»Woher du das nur weißt!« Sie warf den Kopf in den Nacken und lachte. »Irgendwie war ich als die Schulschlampe bekannt, aber das ist immer noch besser, als gar nicht bekannt zu sein.«

Ich war nicht sicher, was ich davon halten sollte, aber ich hielt den Mund, vor allem in Hinblick auf die Tatsache, dass ich noch nie einen Jungen geküsst hatte. Ich genierte mich zu sehr, meine Unerfahrenheit zuzugeben, also zuckte ich nur mit den Schultern. »Na ja, dafür ist das College ja da. Es ist ein Neuanfang, richtig?«

»Richtig.« Einen kurzen Moment lang huschte ihr Blick weg von mir, und ihr Lächeln verschwand. »Auf jeden Fall sollten wir noch etwas schlafen, wenn wir morgen Jungs angeln wollen.«

»Richtig.« Ich gähnte wieder. »Und danke dir, Lisa, dass du nach mir gesehen hast.«

»Was für eine Mitbewohnerin wäre ich denn, wenn ich nicht zu Hilfe kommen würde?«

»Eine, die keine Lampen mordet und mit zwei blauen Flecken aufwacht?«

»Verflixte Lampe«, brummelte sie. »Nacht, Kiersten.«

»Nacht.«

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Kapitel 2

Wenn es aussieht wie eine Ratte, riecht wie eine Ratte und redet wie eine Ratte, dann ist es wahrscheinlich eine verdammte Ratte.

Kiersten

Name?« Der Typ bei der Einschreibung blickte nicht auf, sondern ließ lediglich die Finger abwartend über dem iPad schweben. Ich war schon früh um sieben Uhr aufgewacht, so dass ich es um acht zur Einschreibung geschafft hatte. Draußen vor dem Studentencenter standen Tische aufgereiht wie in einem Gefängnis, und vor diesen Tischen standen mindestens zwanzig höhere Semester mit Päckchen und gelangweilten Gesichtern.

»Kiersten«, antwortete ich.

Er stieß ein gereiztes Seufzen aus. »Es gibt mehr als fünfunddreißigtausend Studenten auf diesem Campus, und du willst, dass ich dich unter deinem Vornamen nachschlage, Kiersten?«

»Tut mir leid. Ähm … Rowe. Kiersten Rowe.«

Er tippte. »Also, Rowe Kiersten Rowe, wie es aussieht, hast du dich für neunzehn Scheine eingeschrieben und musst dich noch für ein Hauptfach entscheiden.«

Was war der Kerl? Ein Profiler? »Stimmt.« Ich stellte mich auf die Fersen und räusperte mich. Er blickte immer noch nicht auf.

»Hmm …« Seine Finger glitten geschmeidig über den Bildschirm. »In Ordnung, ich maile dir deinen Stundenplan an deine Schuladresse.« Er legte das iPad ab und griff nach einem Päckchen. »Campusplan, Mailboxnummer, Studentenmailadresse – alles, was du brauchst, ist in diesem Päckchen. Falls du irgendwelche Fragen hast, kannst du deinen CB fragen.«

Ich hoffte, damit meinte er den Campusbetreuer, denn falls er etwas anderes meinte, hatte ich keine Ahnung, wovon er sprach.

»Okay.« Ich nahm das Päckchen, das er mir unter die Nase hielt. »Was ist mit meinem Studentenausweis?«

»Der Nächste!« Er hob den Kopf und warf mir einen gereizten Blick zu.

»Verzeihung.« Ich rührte mich nicht von der Stelle. »Wo bekomme ich meinen Studentenausweis?«

Er ließ die Schultern hängen. »Sieh mal, Kiersten, ich habe hier eine Schlange von ein paar hundert Studenten vor mir, und ich sagte, alles, was du wissen musst, ist in deinem Päckchen, also schau in dein Päckchen. Falls du Fragen hast, frag deinen CB. Wir beide« – er zeigte erst auf sich selbst und dann auf mich – »sind hier fertig.«

Was, zum Teufel, war sein Problem?

Ich wusste nicht recht, ob ich verlegen war oder einfach nur verärgert. Schimpfend drückte ich das Päckchen an meine Brust und stampfte davon. Dabei drehte ich mich um, um ihm einen letzten wütenden Blick zuzuwerfen – und rannte direkt gegen einen Baum.

Zumindest fühlte es sich an wie ein Baum.

Aber Bäume waren nicht warm.

Und sie hatten nicht ein, zwei, drei, vier, sechs – Grundgütiger, acht? Ein Achtpack? Und noch dazu, hatte ich gerade wirklich den Waschbrettbauch mit Achtpack besagter Person betastet? Und, ach du lieber Gott, dabei auch noch gezählt? Ich hatte jeden einzelnen Muskel befühlt. Und, na toll, meine Hand drückte sich immer noch gegen den Bauch des Typen.

Ich riss die Hand zurück und schloss die Augen.

»Hast du gerade meine Bauchmuskeln gezählt?« Seine Stimme klang belustigt. Und wie die Stimme eines Filmstars, die Sorte, die einen dazu bringt, dass man in den Fernseher springen will. Tief, kräftig und mit einem leichten Akzent, den ich nicht zuordnen konnte. Britisch? Schottisch?

Ich biss mir auf die Unterlippe und überlegte, was ich jetzt sagen sollte. Tja, aus der Situation gab es wirklich keinen Ausweg. Ich nickte. »Tut mir leid, ich …« Ich hätte nicht hochsehen sollen. Wenn ich zurück in die Vergangenheit reisen könnte, hätte ich es getan. Ich hatte ja keine Ahnung, dass ein Blick mich vernichten würde. Wochen später würde ich diesen einen Blick bedauern, und das nur aus einem einzigen Grund.

Seine Augen waren mein Untergang.

»Weston.« Er streckte die Hand aus. »Und du bist?«

Verloren. »Kiersten.« Ich presste das Päckchen noch fester an meine Brust. Er spähte auf meine Hände und dann auf seine eigene.

»Hast du irgendwas mit Bazillen?«

»Hä? Was? Nein?«

»Hast du eine Krankheit?« Seine Hand war immer noch zwischen uns ausgestreckt, und die Situation wurde mit jeder Minute peinlicher. Nimm sie doch einfach weg!

»Ähm, nein.«

»Gut.« Die Hand bewegte sich auf mich zu, und plötzlich berührte er mich, okay, soll heißen, mein Päckchen, aber ich hätte schwören können, dass ich all seine Wärme spürte, als er es langsam aus meinem Klammergriff nahm. Jetzt hatte ich freie Hände. »Also«, wieder streckte er mir die Hand hin, »wo waren wir gerade?«

Was, in aller Welt, war denn los mit mir? Es war nicht so, dass ich ihm nicht die Hand schütteln wollte. Es war nur so, dass ich mich beschämt fühlte und abhauen wollte, und ich war mir nicht sicher, ob er nur nett zu mir war, weil er eben nett sein wollte, oder … Wow, ich war ein Fall für den Seelenklempner.

Ich räusperte mich, nahm seine Hand und schüttelte sie. Sein Grinsen versetzte mich in Panik. Er hielt meine Hand fest in seiner, senkte den Blick darauf und murmelte etwas vor sich hin. Ich verspürte ein Gefühl von Verlust, als er schließlich wieder losließ.

»Siehst du?« Er gab mir mein Päckchen zurück. »War gar nicht so schwierig, oder?«

»Nein.« Ich schluckte und warf kurz einen Blick über den belebten Rasen. Ich konnte ihm wirklich nicht ins Gesicht sehen; er war einfach umwerfend. Noch nie im Leben hatte ich einen so gutaussehenden Typen leibhaftig zu Gesicht bekommen. Klar, in Zeitschriften und Filmen hatte ich schon welche gesehen, aber dieser Typ … Er war lebendiger, atmender Sex auf zwei Beinen.

Und wenn man bedachte, dass ich auf dem Gebiet keinerlei Erfahrung hatte, fuhr ich innerlich jede Mauer hoch, die mir einfallen wollte, um nur nicht zu vergessen, wie man atmete.

Seine Augen waren hellblau, sein Haar goldblond, ein wenig zu lang und an den Ohren gekringelt. Und dann sein Lächeln. Tja, sein Lächeln würde mich wahrscheinlich für den Rest meines Lebens verfolgen. Es war unbefangen, und seine Grübchen machten das Ganze nur noch schlimmer. Und dann auch noch sein Duft. Eine Mischung aus einer Art Zimt und etwas anderem, das ich nicht recht definieren konnte. Es ärgerte mich, dass es für ihn anscheinend so leicht war, zu lächeln, als sei die Welt vollkommen in Ordnung, wenn sich innerlich alles danach anfühlt. Er wollte mir die Hand schütteln und meinen Namen wissen, und ich wollte nur weg von hier in mein Zimmer und dort am liebsten in einer Ecke vor und zurück schaukeln, bis meine Antidepressiva beschlossen, volle Kanne ihre Wirkung zu entfalten.

»Also«, sagte er mit einem leisen Lachen, »wir fangen damit an, dass du meine Bauchmuskeln betastest, gehen direkt weiter dahin, dass du mich beleidigst, indem du mir nicht die Hand schütteln willst, und von da aus an den Punkt, dass du mit offenen Augen träumst. Ist das so in etwa richtig?«

»Ach du meine Güte.« Ich schloss die Augen. »Es tut mir leid. Heute ist mein erster Tag, und ich bin einfach … nervös.« Da, das klang doch gut, jedenfalls gar nicht so, als sei ich kurz vor einem kleineren Ausraster.

»Lässt du mich helfen?«

»Aber ich kenne dich doch gar nicht«, platzte ich heraus.

»Klar kennst du mich.« Irgendwie hatte er sich um mich herummanövriert, so dass sein Arm jetzt auf meinen Schultern lag, und wir waren auf dem Weg zurück zu den Zimmern. Heilige Scheiße. So gerieten Mädchen in Schwierigkeiten. Voller Panik suchte ich mit den Augen den Rasen nach Lisa ab, aber sie war nirgendwo zu sehen.

»Nein.« Ich stemmte die Fersen in den Boden. »Ich, ähm, ich muss meine Zimmergenossin finden und meinen Studentenausweis besorgen! Ich muss meinen Studentenausweis holen. Na ja, zuerst muss ich meinen CB finden …« Ich klang wie ein verirrtes Kind im Park. Komisch, denn die meiste Zeit fühlte ich mich auch so, verloren wie ein fehlendes Puzzleteil, das vergessen hatte, dass es zum Puzzle dazugehörte. Die Ausgestoßene, die Einzelgängerin, die …

»Ich glaube«, erklärte er schmunzelnd, »ich sagte, dass ich dir helfen würde.«

»Ich brauche diese Art Hilfe nicht«, flüsterte ich.

»Hm?« Er blieb stehen und brach dann in Gelächter aus. »Ach du Schande, ich glaube, ich könnte dich lieben.«

Herz trifft Magengrube.

Immer noch lachend, drückte er mich an sich. Ich war nur etwa zehn Minuten davon entfernt, entführt zu werden. So wie in dem Film 96 Hours, nur dass ich keinen knallharten Dad hatte, der zu meiner Rettung eilen würde. Mein Herz zog sich wieder zusammen. Na ja, wenigstens musste mein Onkel sich dann keine Gedanken um die College-Gebühren machen.

»Ich will dich nicht ins Bett kriegen«, sagte Weston. »Nichts für ungut, aber du siehst für meinen Geschmack viel zu unschuldig aus, was du auch noch unter Beweis gestellt hast mit der fälschlichen Annahme, ich würde dir an die Wäsche wollen.«

Mein Gesicht wurde augenblicklich feuerrot.

»Außerdem …« Wir gingen wieder weiter. »Du bist ein Frischling. Ich mache nichts mit Frischlingen, soll heißen, ich fange keine Beziehungen mit ihnen an. Liebe Güte, normalerweise helfe ich ihnen nicht einmal, aber du hast mich fast umgeworfen, und auch wenn du es noch so sehr abstreitest, du hast meine Bauchmuskeln abgezählt …«

»Ich habe nicht …«

»Doch, hast du.« Er seufzte wehmütig. »Ich habe gesehen, wie sich deine Lippen bewegten, eins, zwei, drei. Es sind übrigens acht, ein Achtpack. Ich trainiere viel.«

»Toll«, stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen aus.

»Oh, Lämmchen, nicht schämen.« Er blieb stehen und ließ mich los.

»Lämmchen?«

»So rein.« Er lächelte. »Und verirrt.« Er zeigte auf das Wohnheim. »Wie ein kleines Lamm.«

»Tja dann, danke, dass du mich zum Wohnheim begleitet hast.« Ich ging an ihm vorbei, aber er hielt mich am Handgelenk fest.

»Willst du nicht noch mit dem CB über den Studentenausweis reden?«

»Ja, ich gehe jetzt gleich zu ihr.« Ich riss mich los. »Also, danke für … alles.« Ich war gerade dabei, dem Begriff sozialer Inkompetenz eine neue Bedeutung zu verleihen.

Er fuhr sich mit der Zunge über die vollen Lippen und lächelte wieder. »Okay, dann geh und frag sie.«

»Okay.« Ich stolperte rückwärts, fiel dabei fast über meine eigenen Füße und lief die Treppe zum Wohnheim hinauf.

Ich war schon drinnen und konnte spüren, dass er mir immer noch nachstarrte.

Ich drehte mich um.

Er grinste.

Ich winkte.

Er winkte zurück.

Ernsthaft? Was für ein krankes Spiel war das denn?

Ich brummelte ein Schimpfwort vor mich hin, las die Infotafel zu den einzelnen Stockwerken durch und machte das Zimmer des CB ausfindig. Fünfter Stock. Na klar. Ich ging zur Treppe und stieg langsam hinauf.

Als ich endlich im fünften Stock ankam, war ich bereit, auf den Studentenausweis zu verzichten, um ein Nickerchen machen zu können. Eine der Nebenwirkungen meiner Medikamente. Manchmal machten sie mich müde. Und manchmal hatte ich derart lebhafte Träume, dass ich mir vorkam wie Alice im Wunderland.

Mit einem Stöhnen zwang ich meine Füße, mich bis zum Ende des Flurs zu tragen. Zimmer 666. Das musste doch ein Scherz sein, oder? Ich klopfte zweimal an die Tür.

Die ging auf – und zum Vorschein kam mein Baum … »Weston?«

»Lämmchen.« Er machte die Tür weiter auf. »Wie kann ich dir helfen?«

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Kapitel 3

Das hätte ich mal besser gelassen.

Kiersten

Ich trat ein paar Schritte zurück, um die Nummer neben der Tür zu überprüfen. »Ich, ähm … ist die Betreuerin nicht hier? Bist du in ihr Zimmer eingebrochen?«

»Erstens« – er hielt einen Finger hoch – »fühle ich mich etwas beleidigt, weil du glaubst, ich müsste in das Zimmer eines Mädchens einbrechen, um reinzukommen. Glaub mir. Ich klopfe an, Mädchen macht auf, ich gehe rein. So einfach ist das.«

Jede Wette.

»Zweitens« – er hielt zwei Finger hoch – »siehst du den Campusbetreuer vor dir. Also, wieso kommst du nicht rein, und ich erkläre dir, wie das mit dem Studentenausweis läuft.«

Ich nickte entschlossen, die Lippen zusammengepresst, und betrat das Zimmer. Es war sauber. Nicht das, was ich erwartet hätte, nach dem, was ich so alles über Kerle und Hygiene gelesen hatte.

»Also …« Weston ging zu seinem Bett und setzte sich. »Zeig mir deinen Stundenplan, und ich beantworte dir alle deine Fragen.«

Ich war immer noch damit beschäftigt, die Tatsache, dass er mein Campusbetreuer war, zu verarbeiten. »Ich verstehe das nicht. Ich hätte schwören können, dass die Betreuung für Neulinge eine Frau ist.«

»Geschlechtsumwandlung«, antwortete Weston, ohne eine Miene zu verziehen. »Ich war ein gestörtes Kind.«

»Urkomisch.« Ich verdrehte die Augen. »Im Ernst? Ich wollte in ein reines Mädchenwohnheim und wurde in ein gemischtes Gebäude gesteckt, und dann ist mein Campusbetreuer auch noch ein …« Ich war kurz davor, heißer Typ zu sagen, aber ich konnte mich gerade noch davon abhalten, mich komplett zu blamieren.

»Sexgott.« Er sagte es für mich. »Ich weiß, manche haben einfach immer Glück.« Mit einem schweren Seufzer zog er einen Stapel Papiere aus meinem Päckchen und stieß einen Pfiff aus. »Scheint ja ein mörderischer Stundenplan zu sein. Neunzehn Scheine? Kein Hauptfach? Du siehst mir nicht aus wie jemand, der sich nicht entscheiden kann.«

Ich wollte ihm sagen, dass er mich doch gar nicht kannte. Genau genommen wollte ich ihn anfauchen. Was wusste er schon von meinem Leben? Meiner Vergangenheit? Von meinen Gründen, mich nicht an etwas zu binden? Da klingelte mein Handy, als würde es meinen Zorn spüren. Ich schaute aufs Display: Onkel Jobob. Ich nannte ihn Jo. Er hatte sich die letzten zwei Jahre um mich gekümmert. Seit … alles passiert war.

Ich drückte ihn weg. Onkel Jo würde ausflippen, wenn er eine Männerstimme im Hintergrund hörte, und Weston kam mir nicht wie der ruhige Typ vor. Nein, er war ein Angeber. Mist, sogar jetzt, während er auf dem Bett saß, sah er aus, als würde er die Muskeln spielenlassen. Sicher konnte ich mir da allerdings nicht sein, denn er trug ein weißes Hemd mit langen Ärmeln und eingerissene Jeans.

»Also …« Er holte einen Stift heraus und kritzelte etwas aufs Papier. »Der Campusplan wird dein täglich Brot. Verlauf dich nicht, und lauf nachts nicht allein herum, okay?«

»Ich denke, das kriege ich hin.« Ich nahm ihm die Papiere aus der Hand. »Studentenausweis?«

»Richtig.« Er stand auf und schob die Hände in die Hosentaschen. »Ich habe das Gebäude auf dem Plan eingekreist. Lächle schön für dein Foto, Lämmchen.«

Ich zog eine Grimasse. »Willst du mich jetzt das ganze Jahr lang so nennen?«

»Wäre es dir lieber, wenn ich dich anders nenne?«, flüsterte er, und seine Lippen waren nahe genug, um meine zu berühren.

»Ähm, nein danke.« Meine Stimme zitterte.

»Bist du sicher?« Er starrte auf meine Lippen. Ich ging einen Schritt rückwärts, er ging einen Schritt vorwärts.

»Ich dachte, du hast es nicht so mit Frischlingen.« Ich war in die Ecke gedrängt worden, buchstäblich. In meinem Rücken spürte ich etwas Scharfes.

»Vielleicht ändere ich gerade meine Meinung«, schlug er vor und hob mein Kinn an, seinem Gesicht entgegen. »Ich hatte schon immer eine Schwäche für Rotschöpfe.«

Ich machte schmale Augen. »Erdbeerblond.«

»Rotschopf.«

»Hellrot.«

Er seufzte. »Ich zerstöre deine Illusionen ja nur ungern, aber dein Haar ist rot. Du bist ein Rotschopf, nicht hellrot und auch nicht erdbeerblond. Akzeptiere es und nimm es an, liebe es. Denn du siehst einfach verdammt umwerfend aus.«

Okay, also das war ja mal geradeheraus. Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen und murmelte ein Dankeschön, bevor ich mich wegduckte und direkt auf die Tür zusteuerte.

»Vergisst du nicht etwas?«, fragte er hinter mir.

»Nein?« Ich erstarrte.

Seine Hände lagen auf meinen Schultern. Langsam drehte er mich zu sich herum und gab mir dann meinen Campusplan und mein Päckchen. »Bitte sehr. Denk daran, was ich dir gesagt habe: niemals nachts allein herumlaufen und immer lächeln.«

»Ich versuch’s.«

»Nicht nur versuchen.« Er hielt mein Päckchen fester. »Sei klug. Geh immer mit jemandem zusammen. Bildet Zweiergruppen. Trink nichts, was komisch riecht …«

»Und geh nie allein in das Zimmer eines Typen, auch wenn er ein Campusbetreuer ist.«

Sein Lächeln verschwand. »Touché.«

Ich zog mein Päckchen aus seinem Griff und ging hinaus.

»Nimm den Aufzug!«, rief er mir nach.

So hatte er es also so schnell nach oben geschafft. Bastard. Ich sah mich um. Und natürlich gab es ein Schild, das den Weg zum Aufzug anzeigte. Ich ging hin, drückte auf den Knopf und weigerte mich, mich noch einmal umzusehen. Auch wenn ich wusste, dass seine Tür noch offen stand und er mir immer noch nachstarrte.

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Kapitel 4

Mich vor dem heißesten Typen auf diesem Planeten zu blamieren? Erledigt.

Kiersten

Wo warst du?« Lisa hob resigniert die Hände und war stinksauer wegen meines Verschwindens. »Ich habe überall gesucht! Und Gabe konnte dich auch nicht finden!«

»Gabe?« Ich kam ins Zimmer.

Lisa zeigte auf die Couch. »Gabe.«

»Ich bin Gabe.« Ein Typ mit dunklem Haar bis zum Kinn hob die Hand und winkte. Er hatte einen Ring in der Nase und so viele Tattoos an den Armen, dass ich schon dachte, ich kriege einen Anfall bei so vielen bewegten Bildern.

»Hey.« Ich winkte zurück. »Nett, dich kennenzulernen. Und wie konnte Gabe nach mir suchen, wenn er gar nicht weiß, wer ich bin?«

»Facebook.« Lisa zuckte mit den Schultern. »Ich habe da nach dir gesucht, dein Bild hochgeladen, es ihm unter die Nase gehalten und …«

»Gebrüllt«, fiel Gabe ein. »Sie hat gebrüllt. Sie übertreibt gern ein wenig. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, dass du entführt wurdest.«

»Irgendwie schon«, grummelte ich.

»Wie bitte?«, kreischte Lisa.

»Bist du auf Drogen?« Ich beugte mich vor, um ihre Augen prüfend zu mustern.

»Kaffee«, erklärte Gabe. »Sie hat genug Kaffee getrunken, um jemanden umzubringen.«

»Wer hat dich entführt?« Lisa packte mich am Arm.

»Ich«, sagte da eine Stimme an der Tür. Auweia, hatte der Kerl einen Peilsender oder so was?

Lisa blieb der Mund offen stehen, und sie sah aus, als würde sie jeden Moment in Ohnmacht fallen. Sogar Gabe schien verblüfft zu sein. Okay, gut, Weston war ein heißer Typ, aber doch nicht so heiß, um Angehörigen beider Geschlechter die Sprache zu verschlagen.

Ich drehte mich um. »Was willst du?«

»Oh, wir sind empfindlich. Gefällt mir.« Er grinste schief. »Du hast deine Tasche vergessen.« Er gab mir meine schwarze Tasche, Marke Dooney and Bourke, zurück. »Ich habe nicht reingesehen, nur damit du es weißt.«

Nun ja, an diese Möglichkeit hatte ich noch nicht einmal gedacht. Da drin waren meine Pillen. Wenn er die zu Gesicht bekam, würde er mich wahrscheinlich als Freak abstempeln. Welcher Mensch brauchte schon Medikamente, um mit seinem Leben klarzukommen? Ich. Ich wünschte nur, ich müsste sie nicht nehmen.

»Ähm, danke«, sagte ich und wollte ihn damit entlassen. Stattdessen sah er sich im Zimmer um, und sein Blick schien sich auf jedes kleine Detail zu richten, von der Wandfarbe bis zum Teppich, und dann, endlich, ging er wieder hinaus auf den Flur. »Oh!« Er hielt die Hand hoch. »Das hätte ich beinahe vergessen.«

Weston holte einen Edding aus seiner Tasche und schnappte sich meine Hand, bevor ich sie in meine Tasche schieben konnte. Zügig schrieb er eine Telefonnummer auf meine Handfläche und pustete darauf, bis sie trocken war.

Ich spürte den Luftzug seines Atems bis in die Zehenspitzen. Vielleicht schwankte ich auch ein wenig, aber das konnte ich nicht sicher wissen, weil ich ein paar Sekunden lang weggetreten war.

»Hier.« Er hob den Kopf und sah mir in die Augen. »Nur für den Fall, dass Lämmchen den Weg nach Hause nicht finden kann.«

»Reizend.«

»Danke sehr.« Er zwinkerte und ging zur Tür hinaus.

Schweigen machte sich im Zimmer breit. Ich zuckte mit den Schultern und drehte mich zu Lisa um. Ihr stand der Mund immer noch offen. Sie sah zwar lebendig aus, aber außer einem leichten Aufstöhnen kam nichts über ihre Lippen. Hatte sie gerade einen Schlaganfall?

Gabe sprang von der Couch auf und schlug die Tür zu.

»Kacke!« Er klatschte in die Hände und sagte es noch einmal. »Außer bei Footballspielen und in Kursen habe ich ihn noch nie gesehen. Ich meine, er redet nicht mit anderen Leuten. Er bewegt sich nie außerhalb seiner Entourage!«

»Entourage?« Die einzige Erfahrung, die ich mit diesem speziellen Wort verband, bestand darin, dass ich mir die Dramedyserie mit diesem Namen immer auf meinem Computer ansah. Bedeutete das, dass er ständig eine Menge Leute um sich herum hatte? Merkwürdig, denn als ich bei ihm gewesen war, war er allein. »Er ist unser Campusbetreuer.«

»Rede nicht!« Lisa sah aus, als würde sie gleich umkippen. »Oh, ich muss mich hinsetzen, ich muss mich hinsetzen. Gabe, bring mir einen Fächer. Ich glaube, ich werde ohnmächtig.«

Gabe verdrehte die Augen. »Gut zu wissen, wie ich im Vergleich zu dem Gott abschneide.«

»Du hältst dich nicht mal im selben Dunstkreis auf wie Weston Michels.«

Michels? Wieso kam mir der Nachname bekannt vor?

»Danke sehr, Cousine.«

»Jederzeit gern.«

»Cousine?«, fragte ich.

»Ach ja, richtig, Gabe ist mein Cousin.« Sie winkte ab und fing an, Atemübungen zu machen.

Na ja, wenigstens brachte sie noch keine merkwürdigen Männer mit in unser Zimmer. Gabe ließ sich breit grinsend neben ihr nieder.

»Okay, was habe ich verpasst?« Ich setzte mich auf die Couch und beugte mich vor. »Ist dieser Weston jemand Wichtiges?«

Gabe ließ ein lautes Auflachen hören und schlug sich aufs Bein. »Du willst mich verarschen, oder? Wo kommst du noch mal her?«

»Bickleton.«

»Hm?« Er beugte sich vor, als wollte er mich mustern. Ich redete doch kein Chinesisch, oder?

»Kleinstadt.« Lisa gab ihm einen Klaps und konzentrierte sich dann wieder auf mich. »Ich kann gar nicht glauben, dass du nicht weißt, wer Weston ist. Im Ernst? Du sagtest doch, du siehst Fernsehen.«

»Mache ich ja auch«, verteidigte ich mich. »Also, ich meine, ich schaue auf Netflix, und ich lese Zeitschriften und so; du weißt schon, wenn es in unserem Laden an der Ecke welche gibt.«

»Heilige Scheiße, du lebst ja in den fünfziger Jahren.« Gabe schnaubte.

Ich sah ihn finster an.

»Weston Michels.« Lisa tippte den Namen in ihr Handy ein und gab es mir dann.

Ich hätte es wissen müssen.

Er hatte eine Website in der Internet Movie Database. Kein gutes Zeichen. Das schrie nach Unterhaltungsindustrie. Ich scrollte weiter nach unten.

Und da war es.

Der Artikel in der Forbes war um die zwei Jahre alt, also etwa zur Zeit des Unfalls entstanden. Zu der Zeit war ich kein sehr geselliger Mensch gewesen. Genauer gesagt erinnere ich mich deutlich daran, dass Onkel Jo gedroht hatte, mich rauszuwerfen, wenn ich nicht aus meinem Zimmer herauskäme.

Ich tippte auf den Bildschirm, um das Foto zu vergrößern. Sein Haar war inzwischen länger. Auf dem Bild sah er glücklicher aus, sogar unbeschwert. Ich schluckte gegen die Trockenheit in meiner Kehle an, als ich weiterlas und auf das nächste Bild schaute: Weston Michels und sein Vater, Randy Michels, einer der reichsten Männer der Welt. Sie waren in die Staaten gezogen, als Weston acht Jahre alt war. Daher sein Akzent – wusste ich doch, dass er britisch klang!

»Er ist so etwas wie ein Hybrid«, meinte Gabe und nahm mir das Handy aus der Hand. »Weston Michels ist in etwa zwei Monate davon entfernt, ein Vermögen von mehreren Millionen Dollar zu erben.«

»Wieso ist er dann unser Campusbetreuer?«, fragte ich erstaunt.

»Strafe für seine vielen Sünden.« Gabe atmete hörbar aus. »Und wenn man der Sohn von Randy Michels ist, dann sündigt man nicht im Stillen. Die ganze verdammte Welt sieht einen als das, was man ist.«

»Was man ist?«, wiederholte ich. »Was hat er denn getan?«

»Ein Mädchen vergewaltigt«, antwortete Gabe. »Sagt zumindest die Gerüchteküche. Seine Familie hat das Mädchen mit Geld ruhiggestellt. Die beiden gingen zu der Zeit miteinander. Sie hat ihn abserviert, und daraufhin hat er sich ihr aufgezwungen oder so. Die Details sind ein wenig unklar.« Gabe gähnte. »Es gab Gerüchte, dass er die Schule abbrechen wollte, aber sein Vater muss ihn dazu gebracht haben, alles zuzugeben.«

»Also dann …« Ich knetete meine Hände und versuchte, das zu kapieren. »Unser Campusbetreuer ist ein mutmaßlicher Vergewaltiger? Wie kann die Uni das in Ordnung finden?«

»Tja wirklich, wie nur?«, mischte sich schließlich Lisa ein. »Der Mann ist ein Gott. Ich wette, die Schlampe hat ihn reingelegt. Er würde doch auf keinen Fall so viel aufs Spiel setzen?«

»Aber reiche Typen neigen dazu, Kontrollfreaks zu sein«, erwiderte ich, und ich fühlte mich unwohl, als ich mich an den Austausch erinnerte, den Weston und ich in seinem Zimmer gehabt hatten. Du liebe Zeit, hätte ich etwa fast dran glauben müssen? Ich schlang mir meinen Pulli enger um den Oberkörper.

»Das zeigt nur wieder, dass man mit Geld alles kaufen kann.« Gabe streckte sich auf der Couch aus. »Er ist unser Campusbetreuer, er wurde nicht aus dem Footballteam geworfen, und Gerüchten zufolge hat er gerade ein Partywochenende in Malibu verbracht. Ich würde sagen, dem geht es echt gut.«

»Was ist mit dem Mädchen?«, fragte ich.

»Ah, Lorelei. Der geht es auch gut. Am Tag nach dem Vorfall wurde sie gesehen, wie sie mit einem anderen Kerl herummachte. Also … diese ganze Vergewaltigungsgeschichte? Wahrscheinlich gelogen, obwohl ich trotzdem immer eine Trillerpfeife mitnehmen würde.«

»Trillerpfeife?«, wiederholte ich. »Im Sinne von Vergewaltigungspfeife?«

»Nein.« Gabe schüttelte den Kopf. »So eine, wie man sie bei Basketballspielen benutzt. Bist du echt?«

»Ja.«

Er sah mich prüfend an. »Ich mache mir Sorgen um die Sicherheit deiner Mitbewohnerin, Lisa.«

»Äh, sie kommt klar.«

»Klar.« Gabe schloss die Augen und ließ ein unlustiges Lachen hören. »Und wenn der große böse Wolf, auch bekannt als Weston Michels, beschließt, sich zu ihr auf die Weide zu stürzen, was macht sie dann? Sich verstecken? Sieh sie doch mal an.«

Gabe zeigte auf mich. Ich machte einen Schritt zurück. Lisa legte den Kopf schief und ließ den Blick über meine Kleidung und mein Haar schweifen. Ich trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen und schob mir das Haar hinter die Ohren.

»Wir könnten sie hässlich machen.« Sie fuhr mit dem Daumen über mein T-Shirt und blinzelte. Ich schlug ihre Hand weg und verschränkte die Arme.

»Wir müssten ihr den Kopf rasieren.« Das kam von Gabe.

Lisa nickte. »Und ihr eine Maske übers Gesicht ziehen.«

»Das wäre möglich«, stimmte er zu.

»Ähm, nein.« Ich wich noch weiter zurück. »Wäre es nicht. Und hört auf, euch Sorgen um mich zu machen. Ich komme klar.« Richtig – solange ich meine Medikamente hatte und mindestens acht Stunden Schlaf jede Nacht. Ich ballte die Hände zu Fäusten und gestattete mir, dieses kurze Gefühl von Schmerz zu empfinden, als meine Nägel sich in meine Handflächen bohrten. Wenn ich Schmerz fühlen konnte, dann hieß das doch, dass ich wenigstens fühlen konnte, richtig? Manchmal brauchte ich diese kleine Gedächtnisstütze, um zu wissen, dass ich nicht nur ein funktionierender Zombie war.

»In Ordnung.« Gabe stand auf. Offenbar war das Thema durch. »Ich komme dann gegen neun Uhr wieder, um euch abzuholen, okay?«

»Neun Uhr?«, fragte ich.

»Wir sehen uns!« Lisa klopfte ihm auf den Rücken, als er aus dem Zimmer spazierte. Er war süß, so irgendwie auf die Art »finsterer Rocker«, und ich glaube, Lisa hatte recht. Tattoos waren gar nicht so übel. Zumindest nicht an Gabe.

»Hör auf, meinen Cousin anzustarren«, meinte sie und blieb hinter mir stehen. »Er ist tabu, im Sinne von böse Neuigkeiten für Mädchen wie dich. Er würde sich seinen One-Night-Stand holen und dich am Morgen danach einfach auf die Wange küssen, und das alles, bevor du nein sagen kannst.«

»Wie beruhigend.« Ich seufzte.

»Na komm.« Sie nahm meine Hand. »Wir haben eine Menge zu tun, wenn wir genug Zeit haben wollen, um uns für die Party heute Abend fertig zu machen. Und ich muss mir noch meinen Studentenausweis holen.«

»Ja, da kann ich helfen«, murmelte ich leise und erinnerte mich kurz an Westons besorgten Blick, als er sagte, ich sollte vorsichtig sein und nie allein irgendwohin gehen. Waren Vergewaltiger derart um die Sicherheit anderer besorgt? Er hatte das nicht getan. Das konnte nicht sein, denn er hätte mich mit Leichtigkeit flachlegen können, und er hatte es nicht getan. Stattdessen hatte er mir geholfen. Und doch, der Gedanke wollte nicht mehr verschwinden … was, wenn?

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Kapitel 5

Leben ist schwierig – Sterben ist einfach. Man macht die Augen zu und nie wieder auf. Was ist daran so kompliziert? Eigentlich nichts – außer, dass es höllisch weh tut, diejenigen, die man liebt, zurückzulassen.

Weston

Das hätte ich mal besser seinlassen. Mein Arzt hätte mir erklärt, dass ich mit Dingen spielte, die ich einfach vergessen sollte. Schließlich, so würde er fragen, wie viel Zeit hast du noch? Ich hatte es verdammt satt, ihn das sagen zu hören. Lächerlich. Sogar mein Dad hatte die Nase voll von den Ärzten. Andererseits war es mir schon so gegangen, als ich acht Jahre alt war und man mir mitteilte, dass meine Mutter die Operation nicht überstehen würde.

Und dann noch einmal letztes Jahr, im Krankenhaus, als mein Bruder nicht mehr aus seiner … Situation aufwachte. Manche Leute glauben, auf unserer Familie laste ein Fluch. Schließlich kann man nicht so viel Macht und Geld besitzen wie wir, ohne die Konsequenzen dafür tragen zu müssen. Als ich klein war, erklärte mir mein Lehrer in der Sonntagsschule mal, dass Tragödien manchmal passierten, um uns dazu zu bringen, mehr auf Gott zu vertrauen.