Kiss and keep - Ewig in meinem Herzen - Rachel van Dyken - E-Book

Kiss and keep - Ewig in meinem Herzen E-Book

Rachel van Dyken

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Beschreibung

Hochdramatische und prickelnde Leidenschaft von USA –Erfolgsautorin Rachel van Dyken Gabe ist ein berühmter Popstar und Draufgänger. Als er die ruhige, ärmliche Musikstudentin Saylor beim Freiwilligendienst trifft, ist er sofort fasziniert von ihr. Dabei hat er mit der Liebe eigentlich genauso abgeschlossen wie mit seiner Vergangenheit als Musiker und Bad Boy. Saylor entfacht ein verloren geglaubtes Feuer in ihm, das stärker lodert, als Gabe es je erlebt hat. Ihre Beziehung könnte für beide die Rettung sein, aber zuvor müssen sie zusammen schwere Zeiten überstehen… »Kiss and keep« ist nach »Games of Love« die zweite Reihe der Autorin, die in Deutschland veröffentlicht wird. feelings-Skala (1=wenig, 3=viel): Erotik: 3, Humor: 1, Gefühl: 2

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Seitenzahl: 382

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Rachel van Dyken

Kiss and keep – Ewig in meinem Herzen

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch von Silvia Gleißner

Knaur e-books

Über dieses Buch

Inhaltsübersicht

PrologKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37Kapitel 38Kapitel 39Kapitel 40Kapitel 41Kapitel 42Kapitel 43Kapitel 44Kapitel 45Kapitel 46Kapitel 47Kapitel 48Kapitel 49Kapitel 50Kapitel 51Kapitel 52EpilogDanksagung
[home]

Prolog

Ende des Frühjahrssemesters

Ich wäre ihr überallhin gefolgt.

Komisch, nicht wahr? Die Leute behaupten immer, sie wüssten, was Liebe ist, aber kaum bekommen sie einmal die Gelegenheit, das zu beweisen – kneifen sie.

Ich wünschte, ich hätte kneifen können. Ich wünschte, ich hätte vor vier Jahren einfach gehen können. Dann hätte ich vielleicht die Kraft, jetzt zu gehen. Ihr in die Augen zu sehen und zu sagen: »Tut mir leid, aber ich kann das nicht noch einmal.«

Die Menschen meinen nur selten das, was sie sagen. Für mich war tut mir leid nur ein weiterer Ausdruck, den sie einfach gedankenlos gebrauchten – so wie Liebe.

Ich liebe Eiscreme, ich liebe Pancakes, ich liebe die Farbe Blau – Blödsinn. Denn wenn ich das Wort Liebe in den Mund nehme, dann meine ich damit, dass ich für dich blute. Wenn das Wort Liebe tatsächlich mal über meine Lippen kommt, dann erwecke ich es zum Leben, indem ich es ausspreche. Ich stärke meine Seele damit, und ich verbinde sie mit deiner.

Ich habe immer wieder von Wegkreuzungen gehört, davon, dass die Menschen eine Wahl im Leben haben, eine Wahl, die alles entweder zum Guten oder zum Schlechten für sie wendet. Ich hatte nie erkannt, dass ich diese zweite Chance erhalten würde; und nie hatte ich erkannt, dass ich es versäumen würde, sie zu ergreifen.

Ihre Augen flehten mich an. Mir zersprang das Herz in der Brust, und ich bewegte die Lippen – um irgendetwas zu sagen, damit sie verstand, wie tief meine Gefühle waren. Doch ich wusste: in dem Augenblick, in dem ich ihr sagte, was ich fühlte – wäre alles vorbei.

Mein Herz und meine Seele konnten nicht überleben, wenn ihr irgendetwas zustieße. Wenn sie nicht in meiner Welt war, dann würde mein Herz aufhören zu schlagen. Ich wusste, dass sie das umbrachte – weil es mich zerstörte.

Aber in dieses Leben zurückzukehren.

Selbst für sie.

Kam nicht in Frage.

Mich zu verlieben und den Sprung zu wagen, auch wenn ich genau wusste, dass sie mich auffangen würde – das war keine Option. Denn jeder weiß, wenn es um Liebe geht, dann ist es nicht der Sturz, der weh tut … sondern die Landung. Und ich wusste, es war nur eine Frage der Zeit, bis auch sie mich aufgab und zuließ, dass ich zerbrach.

Denn am Ende war alles, was ich war – Bruchstücke. Nur die Hülle eines Menschen.

»Ich verstehe es nicht!« Sie trommelte mit den Fäusten gegen meine Brust. »Du hast es versprochen! Du hast mir versprochen, dass du mich nie verlässt!« Tränen strömten ihr übers Gesicht, das Gesicht, das ich so geliebt hatte. Ich schloss kurz die Augen und warf dann einen Blick über die Schulter, während Saylor hinter mir auf meine Entscheidung wartete, die Schlüssel fest in ihrer Hand.

Es war ein Scheideweg. Ein Weg führte in meine Zukunft – und der andere in meine Vergangenheit und in die völlige Selbstzerstörung.

Ich konnte sie nicht ansehen. Ich ignorierte jegliches Gefühl – und badete in dem Schmerz, als mein Herz in eine Million Stücke zersprang. Ich streckte die Hand aus. »Du hast recht, ich habe es versprochen.«

»Gabe!«, rief Saylor hinter mir. »Es muss nicht so sein.«

»Verstehst du denn nicht?«, fragte ich leise, ohne mich umzudrehen. »Es war immer so, und es wird immer so sein. Ich habe dich gewarnt.«

»Aber …«

»Genug!«, schrie ich, und Tränen drohten, mir übers Gesicht zu laufen. »Du solltest gehen.«

Hinter mir schlug die Tür zu.

»Es ist in Ordnung!«, sagte sie und umfasste mein Gesicht mit den Händen. »Am Ende wird alles gut!«

»In Ordnung, Prinzessin.« Ich erstickte fast an dem Wort. »In Ordnung.« Ich richtete den pinkfarbenen Schal um ihren Hals und legte den Arm um sie.

»Danke«, seufzte sie glücklich. »Du hast versprochen, dich immer um mich zu kümmern. Du darfst nicht gehen, du kannst nicht …«

»Werde ich auch nicht«, gelobte ich, denn es war meine Schuld. So wie alles andere auch.

»Können wir jetzt spielen, Gabe?«

»Ja, Süße.« Ich faltete die Decke um ihre Beine, schob ihren Rollstuhl aus dem Zimmer – und wusste bei jedem Schritt, dass ich den falschen Weg wählte.

[home]

Kapitel 1

Der traurige Moment ist offiziell vorbei, also bitte, um der Liebe Gottes willen, nehmt euch ein Zimmer.

Gabe H.

Gabe
Mitte Frühjahrssemester

Konzentrier dich, Kiersten.« Ich schnippte vor ihrer Nase mit den Fingern. »Stadien der Mitose. Los.«

Wir saßen schon den ganzen Morgen im örtlichen Starbucks. Der Duft von gemahlenem Kaffee machte mich langsam krank – und ich konnte niemandem die Schuld dafür geben, außer mir selbst. Offenbar riecht ein neues Kapitel nach gemahlenem Kaffee. Und ich hatte offiziell ein neues Kapitel aufgeschlagen.

Kierstens Blick huschte zum Buch. Ich schob es beiseite und wartete geduldig, die Hände auf dem Tisch verschränkt.

Sie öffnete den Mund, um zu antworten, dann ein ausdrucksloser Blick und danach ein Aufstöhnen. »Gaaaabe.«

Sie lächelte. »Können wir nicht eine Kaffeepause machen? Bitte?«

»Nicht die Unterlippe vorschieben.«

Sie tat es trotzdem.

»Kiersten …«, warnte ich sie.

»Bitte!« Sie nahm meine Hände und machte noch mehr Schmollmund.

Schwer seufzend gab ich nach – ihr wisst schon, um klarzumachen, dass ich ihr nicht gern nachgab –, auch wenn es in unserer Freundschaft immer so lief. Sie sagte spring, und ich fragte wo, wie hoch, wie lange und wie schnell kann ich dir zu Diensten sein? »Na schön, Kaffeepause.«

»Ja!« Sie schlug das Buch zu. »Ich zahle.« Ihr schon fast unverschämt süßes Lächeln brachte mich zum Lachen. Schande, sie brachte mich immer zum Lachen, und ich befand mich an einem Punkt meines Lebens, wo ich Lachen echt dringend nötig hatte. Außerdem war ich mir ziemlich sicher, wenn ich nicht lachte, würde ich heulend zusammenbrechen. Und das Letzte, was die Welt brauchte, war, dass ich plötzlich besagter Welt klarmachte, dass ich Gefühle hatte.

Verdammt, ich wollte es ja mir selbst nicht klarmachen.

»Nein.« Ich winkte ab und musste sie dann mit aller Gewalt davon abhalten, zum Tresen zu stürmen. »Ich mache das. Außerdem würde Wes mich umbringen, wenn er wüsste, dass ich dich deinen eigenen Kaffee bezahlen lasse.«

»Ihr Jungs verwöhnt mich viel zu sehr.« Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und verschränkte die Arme. »Ihr müsst mich bald einmal loslassen, Gabe. Du und Wolf«, meinte sie. Wolf war Wes’ Spitzname. »Ich kann nicht ewig unter eurer schützenden Käseglocke leben.« Sie gähnte und stieß sich dabei versehentlich die Hand an der Wand an.

»Och, kleines Lamm«, neckte ich sie mit dem Spitznamen, den Wes für sie benutzte. »Hast du Aua?«

»Klappe.«

»Ich hole einfach mal deinen Kaffee.«

Sie kniff die Augen zusammen. »Mach das, Turtle.«

Wäre sie ein Kerl gewesen, hätte ich ihr den Stinkefinger gezeigt. Aber so lachte ich nur und ging.

Ich hatte mich immer über die Spitznamen, die sie füreinander erfanden – Lämmchen und Wolf – lustig gemacht und im Gegenzug selbst einen verpasst bekommen, was ich meiner idiotischen Cousine Lisa verdanke. Sie hatte beschlossen, ihnen zu erzählen, dass ich als kleiner Junge eine Schildkröte als Haustier hatte und dass ich geweint hatte, als die gestorben war.

Aber, hey, diese Schildkröte war der Hammer gewesen! Der kleine Kerl bekam von mir eine richtige Beerdigung – und ich heulte wie ein Schlosshund.

Kein stolzer Augenblick.

»Wie üblich?«, rief ich über die Schulter.

Sie faltete die Hände vor sich, als wollte sie beten, und rief: »Ja, bitte!«

Mit einem Lächeln drehte ich mich wieder um, stellte mich in die Warteschlange und versuchte dabei, lässig, entspannt und eben normal zu wirken. Ha! Komisch, dass ich das tatsächlich regelmäßig übte.

Ich hatte in den Spiegel gesehen, und musste mir regelrecht befehlen, Mundpartie, Schultern und Muskeln merklich zu entspannen. Diese Haltung musste ich mir erst einmal zu eigen machen, denn ich hatte so lange ein ziemlich irres Leben geführt – und offenbar ging ich auf eine bestimmte Art, an der die Leute mich erkannten. Wer weiß, oder? Jedenfalls war ich ein ganz harter Ninja-Meister der Tarnung, und davon hing nicht nur mein Leben ab, sondern auch ihres.

Vielleicht lag es daran, dass mein Schulabschluss näher- rückte, aber schon seit Beginn dieses letzten Semesters fühlte ich mich unruhig und gereizt, als sei ich eine traurige Gestalt, die draußen sitzt und auf eine Gewitterwolke wartet. Ich hatte gar keinen Grund, mich so zu fühlen, das Gefühl war einfach da. Und mal ganz ehrlich – es machte mir ein wenig Angst. Ich hoffte, dass es nur eine Nebenwirkung der Tatsache war, dass ich derzeit nicht mit jedem einzelnen Mädchen auf dem Campus in die Kiste stieg. Vielleicht passierte das mit einem Kerl, wenn er keinen Sex hatte … man wurde paranoid und nervös wie Hölle.

»Was kann ich dir bringen?«, fragte die Barista. Sie wirkte kühl und distanziert.

Ich beugte mich vor und lächelte breit. »Kommt darauf an. Was hast du denn anzubieten?«

»Meine Güte.« Sie schnippte mit den Fingern. »Hast du dich verlaufen? Der Sexshop ist ein paar Häuser weiter.« Mit einem Zwinkern beugte sie sich vor und flüsterte: »Wir servieren hier Kaffee.«

»Wie« – ich fuhr mir langsam mit der Zunge über die Lippen und verfiel automatisch in meine alte Gewohnheit – »peinlich.« Mein Herz fing an zu rasen, als ich gierig ihren straffen Körper musterte, dessen Reize von der grünen Schürze kaum verborgen wurden. Das war mein Spiel – das Einzige, das ich für mich am Laufen hatte. Das Einzige, was mich taub für meine Vergangenheit machte – für alles. Hey, kein Mitleid, ja? Ich liebte jede verdammte Minute davon – denn es war eine Minute mehr, in der ich nicht an die Vergangenheit dachte.

Vergangenheit, Vergangenheit, Vergangenheit. Ah, da war er wieder, der Grund, wieso ich meine Hosen inzwischen nicht mehr so schnell auszog. Mein Versprechen an Wes und – schlimmer noch – mein Versprechen an mich selbst. Sie würde nicht wollen, dass ich ein solcher Kerl war. Ich war hin- und hergerissen zwischen Schuldgefühlen wegen meines Verhaltens und der Erleichterung, dass es wenigstens noch etwas gab, das die Tristesse aus meiner Existenz vertrieb.

»Kann ja mal vorkommen«, antwortete die Barista atemlos, und ihre Augen wurden groß, als sie mich musterte. Daran war ich gewohnt, dafür lebte ich. Dadurch überlebte ich.

Und dann warf sie ihr Haar über die Schulter zurück.

Ein Hauch ihres Parfums traf mich mitten ins Gesicht und verscheuchte jedes Gefühl von Lust, das ich verspürt hatte.

Mist. Es war dasselbe Parfum.

Mit einem Ruck wich ich zurück und zwang mich zu einem schwachen Auflachen. »Jedenfalls, ähm, könnten wir einfach zwei große Latte Karamell haben? Mit dreifach Kaffee, und einen davon mit extra Sahne.«

»Oh.« Das Gesicht des Mädchens wurde tiefrot, als sie die Bestellung eingab und den Kopf schüttelte. »Ist das alles?«

Ihre Stimme klang bedauernswert hoffnungsvoll.

Aber ich hatte mich bereits entschieden.

Oder vielleicht hatte sich auch mein Körper entschieden und dann erst mein Verstand. So oder so, ich hätte mich am liebsten übergeben, wollte nach draußen rennen und nicht stehen bleiben, bis ich entweder im Musikzimmer oder auf meiner Harley saß.

»Ja.« Ich gab ihr meine Kreditkarte. Meine Finger verkrampften sich um die scharfe Kante des Plastikteils. »Das ist alles.«

Sie zog die Karte durch, gab sie zurück und brummte Arschloch vor sich hin. Ich trat etwas beiseite, um auf den Kaffee zu warten und dabei sicherzustellen, dass sie nicht hineinspuckte, bevor die Becher in meine Hände gelangten.

Minuten später hatte ich unseren Kaffee und saß wieder am Tisch.

»Also« – Kiersten trank langsam einen Schluck – »wie geht’s denn so?«

Ich verdrehte die Augen. »Können wir das lassen?«

»Was denn?« Sie zuckte unschuldig mit den Schultern.

»Die ganze Geschichte, dass du mich immer wieder fragst, wie es mir geht, und dabei hoffst, dass ich zusammenbreche, oder schlimmer, dass ich zu weinen anfange, und dann verrate ich dir all meine schmutzigen« – ich beugte mich vor – »kleinen« – noch etwas weiter – »Geheimnisse.«

»Dein sexy Blick wirkt bei mir nicht«, erwiderte Kiersten in einem richtig gelangweilten Tonfall.

Ich zuckte hilflos mit den Schultern und trank einen tiefen Schluck Kaffee. »War einen Schuss ins Blaue wert.«

»Wert, dir einen Schuss einzufangen?«, korrigierte Kiersten. »Denn genau das würde passieren. Wes würde dich erschießen.«

»Wes hasst Gewalt«, verteidigte ich mich.

»Nein, er hasst sie nicht.« Kiersten lachte und sah dann zur Tür. »Ach du meine Güte, das ist sie doch?«

»Welche sie?« Kiersten wusste, dass ich es nicht mit Namen hatte – ich erkannte die Mädchen, mit denen ich schlief, meist nicht wieder, wenn sie nicht gerade, das Shirt über den Kopf hochgezogen, auf mich zukamen. Na gut, ganz so schlimm war es nun auch nicht, aber schon ziemlich nahe dran. Ich schwöre, so fiel es mir leichter, Menschen auseinanderzuhalten.

»Raylynn.« Kiersten senkte die Stimme. »Das ist sie!«

»Ruf sie bloß nicht her«, brummte ich leise. Dieses Miststück war ein Psycho. Ich hatte einmal mit ihr geschlafen. Ein Mal! Und sie hatte mich drei Monate lang regelrecht gestalkt! Kiersten hatte sie wirklich gemocht, sie fand sie hübsch. Daher war meine Meinung unerheblich gewesen. Und nichts würde Kiersten glücklicher machen, als zu sehen, dass ich sesshaft wurde und aufhörte, mich durch alle möglichen Betten zu schlafen. Zumindest erklärte sie mir das alle paar Tage, wenn sie den Drang verspürte, mich zu bemuttern. Sie ahnte ja nicht, dass es schon Monate her war, die sich anfühlten wie Jahre, Jahrzehnte … oh, Hölle. Wem wollte ich etwas vormachen? Es fühlte sich an wie der Tod.

»O sieh nur, sie hat mich gesehen!«, rief Kiersten erfreut.

»Ich frage mich, ob es daran liegt, dass du ihr winkst.«

»Ich strecke mich nur.«

»Du winkst.«

»Raylynn!«, rief Kiersten so fröhlich, dass es klang, als sei sie in einem früheren Leben mal Cheerleaderin gewesen. »Wie geht es dir?«

»Gut.«

Alle Blicke richteten sich auf mich.

Ich starrte in meinen Kaffee. Kiersten verpasste mir unter dem Tisch einen Tritt. Ich fluchte lautlos, sah auf und sagte: »Yo.«

»Yo?«, wiederholte Kiersten lautlos.

»Ähm, Hi.« Raylynn errötete.

Verdammt.

Bei ihrem blassen Gesicht und dem hellblonden Haar war ihr deutlich anzusehen, dass sie peinlich berührt war.

Ich versuchte es noch einmal. »Wie geht es denn so?«

»Viel zu tun.« Sie räusperte sich und sah zwischen mir und meinem Kaffee hin und her, als warte sie darauf, dass ich sie bitten würde, sich zu uns zu setzen, oder noch schlimmer, dass ich sie um ein zweites Date bitten würde.

Totenstille. Schon wieder. Urplötzlich erfuhr ich ganz genau aus erster Hand, was der Begriff »bedeutungsvolles Schweigen« bedeutete.

»Tja …«, Kiersten räusperte sich hörbar und versetzte mir dann noch einen Tritt unter dem Tisch, »war schön, dich wiederzusehen!«

»Euch auch.« Raylynn warf mir einen letzten Blick zu, bevor sie die Schultern hängen ließ und ging.

»Du Mistkerl!« Kiersten trat mir noch einmal ans Schienbein. »Und: yo? Hast du tatsächlich yo gesagt? Kein Weißer wie du sollte dieses Wort je aussprechen. Niemals. Selbst wenn du gekidnappt wirst und die einzige Chance auf Freiheit darin besteht, entweder yo zu sagen oder dir den Arm abzubeißen – dann beiß dir den Arm ab, Gabe. Aber sag nicht … yo.«

»Wer sagt yo?«, fragte da ein Mann.

»Ah, Wolf«, scherzte ich und war froh, dass ich nicht mehr allein war mit Kierstens bohrendem Blick und ihren schwierigen Fragen.

»Turtle«, schoss er zurück.

»Gabe hat yo gesagt.«

»Was, laut?«, rief Wes laut. »Ist er scharf darauf, überfallen zu werden?«

Ich stöhnte in meine Hände und wartete darauf, dass die zwei aufhörten, über mich zu reden, als sei ich gar nicht da.

Das kam bei den beiden regelmäßig vor. Kiersten sagte so etwas wie: Ich mache mir Sorgen um Gabe, und dann fragte Wes: Isst er etwa nicht genug? Und dann hob ich die Hand und sagte: Es geht ihm gut, erst vor einer halben Stunde hat er einen Burrito gegessen.

»Leute!«, rief ich unwillig und ließ die Hände auf den Tisch fallen. »Es geht mir gut, alles ist in Ordnung. Ich habe yo gesagt, ich mache einen auf Gangster, kommt damit klar.«

Daraufhin starrten beide mich an, als hätte ich soeben verkündet, dass ich Mönch werden wolle.

»Heute Morgen habe ich etwas gehört.« Wes nahm Kierstens Kaffee und trank einen tiefen Schluck, bevor er sich wieder auf dem Stuhl zurücklehnte. Wäre ich nicht sein bester Freund, dann würde ich ihn, verdammt noch mal, hassen. Er war der ideale, typisch amerikanische Football-Star. Quarterback, dunkelblondes Haar, blaue Augen, muskulös, lässig. O ja, ich würde ihn ganz verdammt hassen.

»Ach ja?« Ich machte schmale Augen. »Dann erzähl mal, Klatschtante, was hast du gehört?« Ich trank einen tiefen Schluck Kaffee.

»Zölibat.«

Ich spuckte meinen Kaffee über den Tisch und hustete, dass ich beinahe erstickte. Verdammte Lisa, verdammte Familie, verdammte Cousine. »Keine Ahnung, wovon du redest.«

»Schon klar.« Wes fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, beließ es aber dabei. Er beugte sich hinüber, küsste Kiersten auf die Stirn und zog dann ihren Seidenschal enger.

Diese einfache Bewegung ließ mich beinahe die Fassung verlieren.

Ein Schal, der gerichtet wurde – das weckte Gedanken an Selbstmord in mir. Wenn die Leute nur wüssten. Wenn ich nur jemandem genug vertrauen könnte, um zu erklären, wie kaputt ich innerlich war.

Aber nein. Ich spielte eine Rolle. Ich war Gabe. Nie wieder würde ich er sein, nie wieder würde ich meine Vergangenheit sein.

Kiersten lachte und küsste Wes auf die Nase.

Das war zu viel. Plötzlich war alles zu viel, und in diesem Moment wusste ich es. Es war schon vor vier Jahren zu viel gewesen – meine Zeit war abgelaufen. Die Gewitterwolke kam. »Also Leute, ich muss los.«

»In Ordnung.« Kiersten wandte kaum den Blick von Wes ab. »Sehen wir uns am Taco-Dienstag?«

»Ja.« Ich drehte mich nicht um. Ich winkte nicht. Ich schnappte mir nur meine Sachen und rannte zur Tür hinaus, als wären mir alle Feuer der Hölle auf den Fersen.

Denn zum ersten Mal seit vier Jahren war die Zeitbombe kurz davor, hochzugehen, und ich wusste nicht genau, wie ich mit all dem umgehen sollte.

Mein Handy piepte: eine SMS.

Puget Sound N: Sie braucht dich. Kannst du anrufen und etwas singen? Oder ihr vielleicht ein Bild schicken?

O sieh mal einer an, die Bombe … sie tickte.

Ich: Ja. Ich melde mich gleich.

[home]

Kapitel 2

Man verbringt sein ganzes Leben damit, jede verdammte Entscheidung zu rechtfertigen. Man kämpft für alle falschen Dinge, bis einem endlich das eine Richtige direkt ins Gesicht starrt. Das ist dann der Augenblick, in dem Entscheidungen wichtig werden. Denn am Ende ist man doch nur ein Gewohnheitstier. Und so will man vielleicht die richtige Entscheidung treffen, trifft aber letztendlich doch die falsche – weil man es einfach verdammt so gewohnt ist. Tragische Sache – doch andererseits: das Leben ist tragisch, nicht wahr?

Wes M.

Gabe

Dein Zölibat geht dir echt an die Nieren, oder?« Lisa befühlte meine Stirn.

Ich schlug ihre Hand beiseite und verdrehte die Augen.

»Wenn es freiwillig ist, dann kannst du es nicht als Zölibat bezeichnen«, grummelte ich. »Und übrigens, vielen Dank auch, dass du es Wes erzählt hast.« Ich war aus dem Starbucks direkt zu Lisas Zimmer gerannt, in der Hoffnung, mit ihr über alles reden zu können. Sie hatte die Tür geöffnet und mir mit ihrem Lächeln ohne Worte zu verstehen gegeben, dass sie immer für mich da wäre und immer Verständnis haben würde.

Nur dass ich mich dieses Mal geweigert hatte, sie damit zu belasten.

Jetzt, einige Tage nach dieser Entscheidung, sah ich sie an, und mir wurde klar, dass das unsere gesamte Beziehung ausmachte. Ich gebe dir meinen Schmerz, und du gibst mir deinen. Und ich hatte genug davon. Ich hasste es, dass sie ein Teil von allem war, und ich hasste es, dass ich zum ersten Mal seit vier Jahren endlich beschlossen hatte, Rückgrat zu zeigen, indem ich sie da, verdammt noch mal, rausließ – sie verdiente die Finsternis nicht.

Ich dagegen schon.

»Und unleidlich bist du auch.« Sie ließ sich auf die Couch plumpsen und zerzauste mir mit den Händen das Haar. »Du musst mehr unter Leute.«

»Frage.« Ich stellte den Fernseher auf stumm und schob sie von mir. »Hast du mir nicht erst vor ein paar Wochen erklärt, dass ich mal entweder allein oder an zu vielen Geschlechtskrankheiten sterben würde?«

Lisas blaue Augen blitzten belustigt, als sie sich die Fernbedienung schnappte und den Fernseher wieder laut stellte. »Mach nicht so ein Drama. Ich sagte, du würdest mal allein mit Geschlechtskrankheiten sterben.« Sie warf sich das dunkle wellige Haar über die Schulter und lachte.

»Ach richtig. Riesenunterschied und unheimlich aufbauend. Cousine des Jahres.« Stöhnend lehnte ich mich auf der Couch zurück. Ich machte es mir gerade gemütlich, als mich ein Kissen im Gesicht traf.

Schimpfend sprang ich auf die Füße.

Wes hielt das Kissen in der ausgestreckten Hand und legte den Kopf schief. »Harter Morgen? Wo bist du überhaupt hin?«

»Kumpel«, krächzte ich und schüttelte nur den Kopf. Nicht er schon wieder. Ich war kurz vor einem Zusammenbruch.

Die Tür ging auf und enthüllte eine total ausgepowerte Kiersten. Sie schwitzte, also konnte ich nur annehmen, dass Wes sie dazu gebracht hatte, nach unserer morgendlichen Büffelstunde mit ihm zu trainieren. Ich schwöre, die beiden machten alles gemeinsam, und seit sie sich verlobt hatten, lebten sie praktisch zusammen. Es störte mich nicht – Korrektur: Es machte mir nicht besonders viel aus, aber ihre öffentlichen Liebesbekundungen wurden langsam etwas ermüdend. Typisches Beispiel: Heute im Coffeeshop war ich wahrscheinlich gerade noch rechtzeitig geflüchtet, bevor er sie mit Haut und Haaren verschlang.

»Du siehst aus, als wäre gerade jemand gestorben«, witzelte Kiersten, als sie neben Wes stehen blieb und sich an ihn lehnte.

Verdammt. Perfekt aussehendes Pärchen. Sie würden mal wunderhübsche Kinder bekommen. Wow, und ich war komplett neben der Spur. Dachte ich wirklich gerade über die Fortpflanzung der beiden nach? Und kriegte dabei auch noch einen Gefühlskoller? O sieh mal an, ich habe da was im Auge. Eine gottverdammte Träne. Zur Hölle, ich musste hier weg.

»Ha.« Ich machte schmale Augen. »Noch zu früh.«

»Mist, keine Sterbewitze?« Wes lachte, zog eine schwitzende Kiersten in seine Arme und attackierte ihren Mund mit einem derart hingebungsvollen Kuss, dass ich, Gabe Hyde, Casanova des Jahres, am liebsten errötet wäre.

»Leute, nicht hier neben dem Essen.« Ich zeigte auf das Obst auf dem Tisch. »Das ist schräg.«

»Knutschen neben Bananen?« Wes löste sich wieder von Kiersten. »Echt jetzt, Mann? Das von dir? Im Ernst, was ist los mit dir?«

Schweigen machte sich im Zimmer breit. Na toll. Perfekt. Ich zuckte mit den Schultern und zwang mich zu einem Lächeln. »Och, weißt du, meine verrückte Cousine behauptet, es wäre ein Zölibat.«

»Richtig.« Wes schnippte mit den Fingern. »Diese lustige Neuigkeit hätte ich ja beinahe vergessen.«

»Zum letzten Mal«, brüllte ich schon fast. »Es ist kein Zölibat, wenn es freiwillig ist!« Ich wurde nur selten laut. Alle starrten mich an, als hätte ich komplett den Verstand verloren. Ich war ein Liebhaber, kein Kämpfer. Der Don Juan, der jede anbaggerte und mit jeder schlief, die er rumkriegte. Der Kerl, der sogar noch eine Bundesrichterin mit seinem Charme becircen konnte. Der und brüllen? Zorn? Tja … Ich biss mir auf die Lippe und sah finster zu Boden. Tick, tack, tick, tack. Ich war echt kurz vorm Durchdrehen.

»Richtig.« Wes kniff die Augen zusammen. »Hey, ähm, Gabe, ich brauche noch deine Hilfe bei etwas. Kannst du mal ganz schnell mit zu mir kommen?«

»Klar«, sagte ich langsam und sah zwischen ihm und Kiersten hin und her. Sie tat so, als würde sie von der Spannung zwischen mir und Wes überhaupt nichts bemerken.

»Sehe dich beim Abendessen, Wes.« Sie küsste ihn auf die Wange, hüpfte in ihr Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.

»Denkt an Verhütung«, rief Lisa hinter Wes und mir her, als wir zur Tür gingen.

»Urkomisch!«, übertönte ich ihr Gelächter.

Schweigend marschierten wir zu Wes’ Zimmer. Wieso hatte ich plötzlich das Gefühl, ich würde gleich eine väterliche Standpauke bekommen? Ich schwitzte. Was, in aller Welt …!

Während der Aufzug in den fünften Stock fuhr, war es im Inneren so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Ich folgte Wes über den Flur und schließlich in sein Zimmer.

Obwohl er Anfang letzten Jahres die Krebstherapie durchgemacht hatte, hatte man ihm gestattet, weiterhin als Campusbetreuer für Studienneulinge zu fungieren. Daher wusste ich, dass wenigstens nicht plötzlich irgendwelche Mitbewohner auftauchen würden, wenn er mich zur Schnecke machte, weil ich in Gegenwart von Mädchen rumgebrüllt hatte.

Sobald wir im Zimmer waren, machte er die Tür zu, schloss ab und warf mir einen seiner Footballs an den Kopf.

»Wieso?« Ich duckte mich, und er warf noch einen. Den konnte ich gerade noch fangen, bevor er mir auf die Nase krachte. »Was soll das, Wes!«

»Na endlich!«, schrie er mich schon fast an. »Eine Reaktion. Du benimmst dich wie ein verdammter Zombie. Was ist los? Und lüg mich nicht an. Kiersten hat auch gesagt, du warst sehr eigenartig heute Morgen.«

Ich gähnte und versuchte, gelangweilt dreinzuschauen, auch wenn meine Handflächen ziemlich schwitzig wurden. »Nichts, Mann, nur Schulstress.«

»Schulstress?«, echote Wes. »Das willst du echt als Ausrede bringen?«

»Drogen?«, schlug ich vor.

Er schnaubte. »Ja, klar.«

»Blödmann.«

»Nutte.«

»Wes …«

»Was?« Er setzte sich an den Schreibtisch und verschränkte die Arme. »Was ist los?«

Ich schüttete ihm nicht mein Herz aus. Ich wusste, ich verdankte ihm alles – verdammt, es kam mir vor, als hätte er mir praktisch das Leben gerettet, als er fast gestorben war; er hatte mir das Gefühl gegeben, wieder zu leben. Seine Stärke war wie die Schwerkraft, die jeden innerhalb von fünfzig Meilen in ihr Zentrum zog. In seiner Nähe konnte man gar nicht anders, als ein besserer Mensch sein zu wollen, und das war das Problem.

»Ich werde langsam alt hier, Mann, und wir wissen beide, dass der Krebs jederzeit wiederkommen kann.«

»Im Ernst!« Ich warf den Football zurück. »Genau davon rede ich!«

»Was?« Er fing den Football und wirbelte ihn in die Luft. »Sprich lauter, ich kann dich nicht hören.«

Ich stöhnte in meine Hände. »Du bist so verdammt perfekt. Das ist echt total lästig.«

»Danke.« Er lächelte.

»Ich meine es ernst.«

»Ich weiß.«

Ich stöhnte wieder.

»Gabe …«

Ich griff in meine Tasche – das Medaillon lag kalt an meinen Fingerspitzen. »Hast du jemals so derart Mist gebaut, dass …«

»Dass was?«

Ich wandte den Blick ab. »Ich meine nur … du bist mein bester Freund, versteh mich nicht falsch, aber ich habe das Gefühl, als würdest du nie irgendwas Schlimmes anstellen. Du bist schlauer als die meisten Therapeuten, du hast jede Menge Kohle, du bist so was wie ein verdammter Gott hier … Ach ja, richtig, und ein Wunder auf zwei Beinen. Das kannst du alles auf deiner Liste abhaken. Ich weiß, dass das Leben nicht einfach für dich war, aber du baust keinen Mist, sondern nimmst die Dinge, wie sie kommen, und machst weiter. Ich wünschte nur, ich wüsste, wie das geht.«

Wes lachte laut auf. »Wow, schon ein wenig verrückt, dass du eine so hohe Meinung von mir hast. Muss ich wirklich eine Liste mit all den Gelegenheiten zusammenstellen, in denen ich im Leben Mist gebaut habe?«

»Würde helfen«, grummelte ich und verschränkte die Arme.

Ein paar Minuten tiefsten Schweigens folgten. Aber das machte mir nichts aus. Wes und ich waren so. Wir mussten nicht immer reden, streiten oder lachen. Manchmal war Schweigen das, was ich am meisten brauchte, und er wusste das. Er wusste mehr als jeder andere – sogar mehr als Lisa. Und ich hatte zunehmend den Verdacht, dass er genau wusste, dass jede verdammte Rolle, die ich spielte, nur Theater war.

»Was ist wirklich los?«

»Das Gewicht.« Ich fluchte. »Es hat sich um meine Beine gewickelt, zieht mich immer tiefer in den finstersten Ozean hinunter und, anders als sonst, will ich mich nicht wehren.«

»Wieso?«

Ich hob ruckartig den Kopf. In seinen Augen stand kein Urteil, nur Besorgnis. »Weil ich es verdient habe, unterzugehen.«

»Tut das nicht jeder?«

»Nein, du verstehst nicht.« Ich stand auf und tigerte hin und her. »Weißt du noch, wie du immer das Gefühl hattest, dass niemand es verstand? Weißt du noch, wie du gesagt hast, du würdest für den Rest deines Lebens schlechten Kaffee trinken, wenn du nur leben könntest? Erinnerst du dich noch an all die Unterhaltungen über Leute, die einfach durchs Leben marschieren, ohne eine verdammte Ahnung von deinem Schmerz? Deinem Weg?«

Wes nickte.

Ich fing an zu schwitzen. Ich umklammerte das Medaillon so fest, dass es einen Abdruck auf meinen Fingerspitzen hinterlassen würde. »Wie kann ein Mensch das Leben verdienen?«

»Fangfrage«, antwortete Wes leise. »Gar nicht.«

Da fing mein Handy in der Tasche gleichzeitig zu summen und zu klingeln an und unterbrach unser Gespräch. Es war der Klingelton meiner Mom – in der letzten Stunde hatte sie mindestens fünf Mal angerufen. Mir war klar, ich sollte wahrscheinlich mit ihr reden, aber das weckte einfach zu viele böse Erinnerungen. Und ich war offiziell zu spät dran für die nächste Unterrichtsstunde.

Ich drückte sie weg und zog eine Grimasse, als ich Wes ansah. »Hör mal, ich muss los. Können wir später reden?«

Wes winkte ab. »Klar, fang nur nicht an, von irgendwelchen Gebäuden zu springen oder wieder mit dem gesamten Schwimmteam zu schlafen, dann ist alles gut.«

Ich verdrehte die Augen. »Später.«

»Und vergiss nicht: Taco-Dienstag!«, rief er mir nach, als die Tür hinter mir zufiel.

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Kapitel 3

Mein Spiegelbild war mir fremd … ich erinnerte mich nicht einmal mehr an mich selbst – an den, der ich mal war. Ich lebte schon so lange mit dieser verdammten Maske, dass mir das komplett verloren gegangen war – alles davon. Gott sei Dank.

Gabe H.

Gabe

Ich machte mich auf den Weg zum Unterricht. Es war ein ziemliches Stück Weg – die Uni Washington war riesig, und an jedem anderen Tag hätte ich wahrscheinlich meine Harley genommen, aber heute brauchte ich den Fußmarsch. Ich konnte nur hoffen, dass mir das den Kopf wieder klarmachen würde.

Als ich über die Straße ging, verspürte ich plötzlich eine Art von Spannung um mich herum. Ich blieb stehen und sah mich um. Nichts. Nur Leute, die hierhin und dorthin gingen, plauderten, rauchten, lachten – jeder von ihnen in seiner eigenen kleinen Welt. So gefiel es mir. Wirklich. Im Laufe der letzten paar Jahre war es nur einige wenige Male eng für mich geworden, und nun, da ich in ein paar Monaten meinen Abschluss machen würde, war ich fast in Sicherheit.

Ich hatte zur Highschool gehen wollen – ich hatte Normalität gebraucht, mehr als alles Geld und alle Aufregung. Meine Eltern hatten es nicht verstanden. Andererseits, sie kapierten gar nichts, was nichts mit dem zu tun hatte, das sie für mein Leben wollten. Wie konnten sie nicht begreifen, dass der Grund, warum ich beinahe krepiert war und mein Leben ruiniert hatte, der war, dass sie von mir verlangten, etwas zu sein, das ich nicht war? Ich lachte laut auf und schob die Hände in die Taschen meiner Jeans, um das kühle metallene Medaillon zu streicheln. Jedes Jahr war ich mit einem neuen Tattoo nach L.A. zurückgekommen, jedes immer noch provokanter als das vorherige. Als ich mir die Nase piercen ließ, dachte ich fast, meine Mutter bekäme einen Herzanfall, und mein Vater war kurz davor gewesen, mich zu verstoßen.

Schade. Verstoßen zu werden, das hätte mir gefallen.

Lisa ermahnte mich immer, meine Eltern nicht zu sehr zu reizen – sie fürchtete, ich könnte vielleicht in die Klatschspalten geraten. Dazu müsste lediglich mein Dad meine Geheimnisse an die Medien ausplaudern, und dann wäre ich am Arsch. Die Geheimnisse? Meine Vergangenheit? Stoff für Titelseiten. Das Leben, das ich mir aufgebaut hatte? Nie wieder dasselbe.

Ich schluckte die Furcht hinunter und ging weiter zum Unigebäude. Noch zwei Monate, bis der Unterricht zu Ende war, und dann konnte ich mein eigenes Leben beginnen, weg von meiner Familie, weg von den schmerzvollen Erinnerungen – und weit entfernt von dem Mann, der ich mal gewesen war.

Als ich das alte Gebäude betrat, fühlte ich mich besser. Hausaufgaben waren etwas, worauf ich mich konzentrieren konnte … ich mochte ja aussehen, als sei ich Mitglied irgendeiner Punkrockband, aber ich hatte meine Bestnoten aus gutem Grund. Ich musste erfolgreich sein, um, verdammt noch mal, dem Klammergriff meiner Familie zu entkommen. Ich konnte fast körperlich spüren, wie sich ihre Hände um meinen Hals drückten und das Leben aus mir herausquetschten, so wie früher.

Ich zuckte zusammen, als mein Handy in der Tasche summte. Schnell ging ich ran, lehnte mich an die Wand und schloss die Augen, während mir das Herz in der Brust hämmerte.

Ich musste mich zusammenreißen – und zwar schleunigst.

»Hey!«, rief Lisa am anderen Ende der Leitung. »Was treibst du gerade?«

»Ich gehe zum Unterricht wie ein braver Junge. Wieso? Bist du in Schwierigkeiten?«

Lisa rief mich nur selten tagsüber an, es sei denn, sie brauchte einen Chauffeur … oder etwas zu essen … oder … Okay, gut, also rief sie mich ständig an. Es fühlte sich einfach armselig an, dass sie einer der ganz wenigen Freunde war, die ich hatte.

»Nein.« Sie räusperte sich. »Ich, ähm, dachte nur, du solltest es von mir erfahren.«

»Es erfahren?«, echote ich. »Was denn?«

»Meine Mutter hat angerufen.« Sie hielt inne.

»Lisa, was, in aller Welt, ist los? Spuck es schon aus«, grollte ich und versuchte, verärgert zu klingen, während ich in Wahrheit doch nur Angst vor den Neuigkeiten hatte, die sie mir gleich mitteilen würde. Ich hasste Furcht. Sie gab mir ein Gefühl von Schwäche. Und Schwäche kam direkt auf dem zweiten Platz meiner Liste der Dinge, die ich nie wieder fühlen wollte.

»Dein Vater … er ist …« Sie holte tief Luft und sprudelte dann den Rest hervor. »Er ist in finanzielle Schwierigkeiten geraten … nichts Großartiges. Ich meine, an deinen Treuhandfonds kommt er nicht ran, aber, na ja, meine Mutter hat mit deiner Mutter gesprochen, und sie sorgt sich, dass er deine Geschichte vielleicht an die Medien verkauft, um damit Geld zu machen.«

Mein Herzschlag dröhnte mir in den Ohren, und Adrenalin jagte durch meinen Körper, als ich mich gehetzt umsah – nach ihm, nach Kameras, nach Reportern. Mist, mir war ganz übel. Meine Hand fing so sehr zu zittern an, dass das Handy laut gegen mein Ohr schlug. Mir wurde kalt. Zitternd sah ich mich noch einmal um und trat dann in den Schatten des Gebäudes. »Tut mir leid, Lisa. Danke, dass du mir das gesagt hast, aber ich muss jetzt gehen, ich muss …« Ich legte auf und fing an zu rennen. Ich wusste nicht einmal genau, in welche Richtung ich rannte. Von mir aus hätte ich auch gegen einen Baum rennen können. Immer schneller rannte ich, und kalte Luft traf mein Gesicht. Ich konnte immer noch spüren, wie sie mich verfolgten. Ich konnte das Blut in meinem Mund schmecken, so sehr biss ich mir auf die Zunge.

 

»War es ein Unfall?«, fragte die Reporterin. »Sie sind über achtzehn. Denken Sie, man wird Sie dafür verantwortlich machen?« Sie hielt mir das Mikrofon vor die Nase und wartete.

Ich sah mich hilfesuchend um.

Niemand.

Wem wollte ich etwas vormachen? Niemand würde mir helfen.

»Ähm, nein, kein Kommentar«, stotterte ich.

»Ist das Ihre Antwort auf alles?«, fragte ein anderer Reporter unbarmherzig.

Ich starrte ihm in die kalten schwarzen Augen und nickte. »Für den Augenblick – ja.«

 

»Mist! Mist! Mist!« Ich fuhr mir mit den Händen durchs Haar und wurde wieder langsamer, als ich zurück in Richtung der Zimmer lief. Was, in aller Welt, konnte ich ihm geben, um ihn davon abzuhalten, zur Presse zu gehen? Ich hatte Geld, aber erst mit zweiundzwanzig Jahren kam ich an die ganze Summe heran, und bis dahin waren es noch vier Monate. Ich erhielt ein Stipendium von fünf Riesen pro Monat. Ich konnte mein Geld aus all meinen Investitionen abziehen, aber würde das denn irgendetwas lösen? Würde er jemals aufhören? Ich konnte ihm alles geben, was ich hatte, das wären in etwa zehn Millionen, und wahrscheinlich würde er dann immer noch einen Weg finden, alles zu verschleudern und mich doch wieder zu verfolgen. Es ging nicht um das Geld. Ich war nicht dumm. Ich war sein Goldesel. Er war immer noch sauer, weil ich gegangen bin.

Schon lustig. Mein Vater hatte sich nicht darüber aufgeregt, dass mein blitzsauberes Image durch Drogen, Alkohol und den Horror, der darauf folgte, ruiniert gewesen war. Er war sauer, weil ich abgehauen war und das aufgegeben hatte, was seiner Einschätzung nach eine Goldmine war.

Ich joggte an meinem Wohnheim vorbei.

Und dann sprang ich auf meine alte Harley. Ich musste weg hier – Fluchtmodus. Drogen kamen nicht in Frage – und damit blieb nur eines übrig.

So schnell ich konnte, fuhr ich zum Musikgebäude. Meine Harley fiel fast um, als ich sie hastig abstellte und dann die Treppe zu einem der abgelegenen Zimmer hinaufrannte. Als ich drinnen war, sperrte ich die Tür hinter mir zu, ließ die Jalousien herunter und setzte mich ans Klavier.

Mein Herz hämmerte, als mich die elfenbeinfarbenen Tasten anstarrten – mich riefen.

Meine Sucht.

Vier Jahre.

Vier verdammte Jahre lang hatte ich kein Klavier angerührt.

Das war jetzt vorbei.

Die Bombe ging hoch, der Timer piepte, meine Hände strichen über das Klavier. Ich stöhnte laut auf, ließ mich auf die Holzbank sinken, und mein Körper nahm seine natürliche Position über den Tasten ein.

Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich noch wusste, wie man spielte – wie man sang – wie ich mitteilen konnte, was meine Seele auffraß und sie langsam vergiftete.

Aber ich musste es versuchen.

In dem Augenblick, als ich die Tasten drückte, strömte das Verlangen aus mir heraus, bis meine zitternden Hände über dem Klavier schwebten, und bevor ich mich davon abhalten konnte, fing ich zu spielen an. Ich spielte die Lieder aus meiner Teenagerzeit, und dann schließlich – als könnten meine Finger gar nicht anders – spielte ich ihr Lied.

Eine merkwürdige Art Wahn überkam mich, als ich immer härter auf die Tasten hämmerte. Vielleicht, wenn ich nur laut genug spielte, würde sie zurückkommen, vielleicht erhielt ich eine zweite Chance, und die letzten vier Jahre wären nichts weiter als ein entsetzlicher Alptraum.

Ich kämpfte gegen die Tränen an und jagte meine Hände, so hart ich konnte, über die Tasten. Verfluchte die Vergangenheit, die mich nun doch wieder einholte.

Tick, tack, tick, tack, mit jedem Hämmern meiner Finger wurde auch das Hämmern in meiner Brust schneller.

Ich war so was von am Ende.

Ein Teil von mir hatte gewusst, dass es nicht ewig so weitergehen konnte.

Verdammt, es war schon ein Wunder, dass ich überhaupt in der Lage gewesen war, so eine Show abzuziehen – aber andererseits war ich ja ein unglaublicher Schauspieler. Ich hätte einen Oscar gewinnen müssen.

Mein Leben war ein einziger riesengroßer Witz.

Und schließlich, wie ein Stück Stahl, das bearbeitet und immer weiter gebogen wird – brach ich. Eine Träne lief mir übers Gesicht und tropfte auf das Klavier.

Mein Zeigefinger glitt über die Träne, als ich sie von den weißen Tasten wischte. Tränen hatten mir noch nie geholfen. Aber Sex? Verdammt, ja. Mit dem richtigen Mädchen war ich ein regelrechter Gott – mit den falschen Mädchen meistens auch. Und mit jeder Eroberung fühlte ich mich ein wenig göttlicher, undurchdringlicher, stärker, in der Lage, allem zu widerstehen. Abgesehen davon, dass ich damit in Wahrheit nur eine Festung um mich herum aufgebaut hatte. Aber in jenem Moment konnte ich alles sein, was ich diesen Mädchen – ihr – jemals versprochen hatte, was ich doch in Wahrheit niemals sein würde. Ich konnte die zersplitterten Teile meines Herzens beiseiteschieben und so tun, als wäre die Vergangenheit unwichtig und als spiele nur der Augenblick eine Rolle. So nahm ich jeden Moment mit jedem Mädchen als das, was er war: eine Gelegenheit, zu dem zu werden, was vor Jahren noch mein schlimmster Alptraum gewesen wäre.

Eine Zeitlang funktionierte das.

Denn dann konnte ich glauben, eine Sekunde lang, ich sei niemals er gewesen. Ich war Gabe.

Das einzige Problem dabei?

Das war nicht einmal mein richtiger Name.

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Kapitel 4

Klavierspielen mit Trommelstöcken – das war doch ganz bestimmt nicht gern gesehen.

Saylor

Saylor

Es war die letzte Übungsstunde vor der Änderung meines Stundenplans. Ich hasste diesen dämlichen Seminarkurs für Studienneulinge. Der war im Moment der Fluch meiner Existenz! Ich konnte mein Stipendium nur behalten, wenn ich einen hohen Punktedurchschnitt erzielte, und das war der einzige Kurs, in dem ich nachgelassen hatte, aber nur, weil die Anwesenheit dort nicht protokolliert wurde. Daher schwänzte ich regelmäßig, um mehr Zeit zum Üben zu haben.

Leider bedeutete das auch, dass ich keine Ahnung hatte, worum es ging, und dann für gewöhnlich nach Bauchgefühl handelte. Sagen wir einfach, der Professor war alles andere als beeindruckt davon, dass ich nicht in der Lage war, meinen Hintern auf einem Stuhl zu plazieren. Nicht einmal, als ich erklärte, es läge daran, dass ich in meinen Kernfächern so hart arbeitete.

Ich schlenderte über den Flur und blieb dann stehen. Der Übungsraum, den ich für gewöhnlich nutzte, war besetzt. Keine große Sache, aber unter den Leuten mit Musik als Hauptfach gab es eine Art ungeschriebenes Gesetz: Wenn man ein Jahr lang jeden Tag zur selben Zeit dort übte, dann gehörte einem diese Zeitnische für gewöhnlich. Jeder andere war dann ein dreckiger kleiner Wilderer.

Okay, ich war also angefressen, aber nur ein wenig. Ich meine, wer auch immer da gerade spielte, hatte wohl ein paar ernsthafte Probleme, sofern die Lautstärke irgendein Hinweis darauf war. Blieb nur zu hoffen, dass dieser Wer-auch-immer das Klavier bei seinem Prozess der Selbstfindung nicht zu Kleinholz machte. Obwohl – ich für meinen Teil hätte mir für besagte Selbstfindung wohl nicht gerade Musik von Ashton Hyde ausgesucht. Vielleicht mal vor acht Jahren, aber heute nicht mehr unbedingt.

Puh, diese Musik weckte viel zu viele Erinnerungen an peinliche Dates, Skate Nights und Highschool-Partys. Alles Dinge, die ich lieber vergessen würde, in Anbetracht dessen, dass ich immer der Musiknerd gewesen war.

Ich seufzte und ging zu dem Raum gegenüber von dem, aus dem die Musik drang, als die Klänge urplötzlich eine drastische Wendung nahmen.

Eine bewegende Melodie schwebte durch die Luft, gefolgt von Fluchen und dann Gehämmer auf die Tasten. Ich trat ein paar Schritte auf das Zimmer zu. Die Jalousien waren heruntergelassen. Das Hämmern ging weiter, das Fluchen auch. Im Ernst, der Typ da drin brauchte dringend ein Antiaggressionstraining. Ich wusste nicht recht, ob ich zum Fachbereichsleiter gehen und ihm sagen sollte, dass hier irgendwer eines seiner teuren Pianos buchstäblich zusammenschlug, oder ob ich mich einfach um meinen eigenen Kram kümmern sollte.

Mein Problem löste sich von selbst, als die Tür aufflog. Ich war so geschockt, dass ich direkt nach hinten wegkippte und auf dem Allerwertesten landete.

Na toll.

Jetzt hatte dieser wütende Klavierschläger mit mir ein neues Ziel: Ich hatte nicht nur gelauscht, sondern war auch noch auf meinen schuldbewussten Hintern geplumpst.

»T-tut mir leid«, stammelte ich leise und machte, dass ich wieder auf die Füße kam.

»Was denn?«, fragte der Typ. Seine tiefe Stimme klang sanft.

Ich sah auf.

Er lächelte mich an. Mich? Wieso lächelte er? Oh. Wahrscheinlich versuchte er, nicht in Gelächter auszubrechen. Ich verdrängte meine Verlegenheit, so gut ich konnte, und schenkte ihm ein schwaches Lächeln. »Ich wollte nicht, ähm …« Ich deutete auf die Tür und zuckte mit den Schultern. Und ich saß immer noch auf dem Fußboden wie ein Kindergartenkind auf einem magischen Teppich oder so.

»Spionieren?« Seine Augen wurden schmal, aber das Lächeln blieb. Er sah toll aus. Dunkelbraunes Haar, das ihm knapp über die Ohren reichte. Sein weißes T-Shirt spannte sich über einen breiten, muskulösen Brustkorb. Tattoos bedeckten jeden Quadratzentimeter Haut auf beiden Armen.

»Ja«, krächzte ich und erstickte beinahe an diesem einen Wort, während ich eine Hitzewelle über meinen Körper rasen fühlte. Ich zupfte an meinem Sweatshirt herum und verfluchte dabei die Tatsache, dass ich es für eine gute Idee gehalten hatte, Stiefel anzuziehen. Ich war gerade offiziell dabei, vor Hitze zu verschmachten …

»Kein Problem.« Er hielt mir die Hand hin, und ich war verwirrt. Wieso war er so nett zu mir, wenn sein Spiel doch vor fünf Sekunden noch so geklungen hatte, als sei er drauf und dran, irgendein Verbrechen zu begehen. Ich musterte seine Hand, bevor ich sie ergriff. Tattoos und irgendeine merkwürdige Inschrift bedeckten einige seiner Finger. Mit einem frustrierten Aufseufzen griff ich nach seiner Hand und ließ mich vom ihm hochziehen.

Er hatte so richtig leuchtend blaue Augen, umrahmt von ganz dunklen Wimpern. Ich schwöre, es sah fast so aus, als würde er einen Eyeliner tragen, aber ich wusste, dass dem nicht so war. Seine Augen waren einfach schön. Noch nie hatte ich jemanden, der so gut aussah, aus der Nähe zu Gesicht bekommen. Je länger ich ihn anstarrte, umso weniger Sinn ergab es. Auf den ersten Blick waren die Tattoos auf seinen Armen alles, was ich wahrnahm. Aber jetzt? Ich wünschte, ich hätte weggesehen, denn in diesem Augenblick konnte ich es nicht. Sein Blick drang durch mich hindurch, nagelte meinen Körper an die Wand und hielt mich gefangen, bis ich das Gefühl hatte, keine Luft mehr zu bekommen. Er hatte die Art von Augen, die einen dazu brachte, entweder all seine Sünden einzugestehen oder ebendiesen Sünden nachzugeben. Ich blinzelte einige Male und hoffte, damit die Verbindung zu unterbrechen, die mir langsam jedes bisschen Selbsterhaltungstrieb stahl, das ich besaß, und schließlich schaffte ich es, den Blick abzuwenden.