Kleine Geschichte des Banats - Irina Marin - E-Book

Kleine Geschichte des Banats E-Book

Irina Marin

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Beschreibung

Das Temescher Banat ist eine multiethnische und multikonfessionelle Region im geopolitischen Spannungsfeld des Heiligen Römischen Reichs, des Habsburgerreichs, des Osmanischen und des Russländischen Reichs. Kompetent, fundiert und gut lesbar stellt Irina Marin mit diesem Band die Geschichte dieser Gegend einem breiten Publikum vor. Die Übersetzung durch das Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas e. V. (IKGS) an der Ludwig-Maximilians-Universität München macht diese zunächst in englischer Sprache erschienene Monografie nun auch einem deutschen Lesepublikum zugänglich.

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Irina Marin

KleineGeschichtedes Banats

Umkämpfte Grenzenim östlichen Europa

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2023 Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

Gutenbergstraße 8 | 93051 Regensburg

Tel. 0941/920220 | [email protected]

Herausgeber: Enikő Dácz und Tobias Weger

ISBN 978-3-7917-3383-8

Umschlaggestaltung: www.martinveicht.de

Karte auf dem Buchcover: Étienne Briffaut: Théatre de la Guerre dans le Bannat de Temeswar. Vienne 1738. Bibliothèque nationale de France, Paris, <https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b530408923>.

Satz: Vollnhals Fotosatz, Neustadt a. d. Donau

Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg

Printed in Germany 2023

eISBN 978-3-7917-6197-8 (epub)

Unser gesamtes Programm finden Sie unter www.verlag-pustet.de

Inhalt

Einleitung

1Einführung

2Temeswar/Timișoara/Temesvár/Temišvar: Eine Stadt der Kultur

Das Habsburger Erbe und wie es weiterging / Stadtbezirke / Schwere Zeiten / Eine Stadt der Kultur / Nach dem Ende der Monarchie

3Im Zeichen des Halbmonds

Die osmanische Macht und ihre Natur / Der Flickenteppich osmanischer Besatzung in Ungarn / Die osmanische Neuordnung der Verwaltung / Osmanische Kultur und ihre Festungen / Die Schildkröte von Temeswar / Der abnehmende Halbmond

4Habsburgisches Grenzland

Der Sieger bekommt alles / Demografischer Treibsand / Laboratorium für kaiserliche Politikstrategien / Eine Provinz, aus der Kutsche regiert / Militarisierung / Flüsse und Modernisierung

5Die Orthodoxen

Klassische Illyrer – die alten und die neuen / Von den Raizen zu den Illyrern

6Die Privilegierten und die Tolerierten

Privilegierte / Das gelobte Ödland / Je mehr, desto wohlhabender / Josephs protestantische Kolonialisierung / Eroberung mit Pflugscharen / Tolerierte – Die nützlichen Juden / Die Quadratur des Kreises des Nomadenlebens

7Durch den Spiegel der Revolution

Das Vorspiel einer gescheiterten Revolution / Schöne neue Welt / Das Banat am Vorabend der Revolution / Spiegelkabinett oder die Grenzen der Gleichstellung / Die Reaktion der Bauernschaft / Seiten wählen – eine schwierige Frage / Eulen nach Athen tragen / Der totale Krieg / Dankbarkeit und Strafe / Die Eisenbahnen des Neo-Absolutismus

8Staatsbürgerschaft und Konstitutionalismus 1867–1918

Geld und Verfassungen / Staatsbürgerschaft / Ungarischer Parlamentarismus / Politik im Banat: Das erste Aufblühen eines parlamentarischen Optimismus / Mitgliedschaft im Club der Nationen / Die nationalen Grenzen des Liberalismus / Das Wahlrecht in Ungarn / Magyarisierung oder Vaterlandsverrat / Die Stunde hat geschlagen

9Am Scheideweg

Der Loyalitätstest / Frieden für Klein und Groß / Eine Stunde stolzieren und ärgern / Ein Angebot für das Banat

10Das Banat in Jugoslawien

Imperiales Erbe und die Quadratur des Kreises / Minderheitenrechte auf dem Papier / Agrarreform – Gewinner und Verlierer / Das Banat im jugoslawischen Politkarussell / Königliche Diktatur und im Gleichschritt in den Krieg / Das jugoslawische Banat im Zweiten Weltkrieg

11Das Banat in Rumänien

Tintenkleckse und Ängste / Leben in einem neuen Staat / Stufen der Integration / Das Banat in der rumänischen Politik der Zwischenkriegszeit / Ein Land voller Fremder oder die fremdenfeindlichen 1930er-Jahre / Der Schmelzofen des Krieges

12Die kommunistische Erfahrung

Aus dem Krieg in den Kommunismus / Kollektivschuld / Von der Kollektivschuld zur Kollektivierung / Das Banat und Titos Bruch / Auf dem Scheideweg der Entstalinisierung / Monolith vs. Dezentralisierung oder das „goldene Zeitalter“ des kommunistischen Nationalismus

13Das Ende des Kommunismus: Der Aufstieg von Milošević und der Fall von Ceaușescu

Wirtschaftskrise / Geld und Radaubrüder, oder die lukrative deutsche Minderheit / Verfassungsrätsel / Die Revolution wird im Fernsehen übertragen / Der Aufstieg von Milošević

14Krieg und Demokratie: Das Banat nach 1989

Die Vojvodina während der Jugoslawienkriege / Die Beziehungen zwischen Bukarest und Belgrad / Die ungarische Minderheit in der Vojvodina / Jenseits des Nationalstaats: Die EU und die Wiedergeburt des Regionalismus

15Das Banat: Eine Grenzregion zwischen drei Staaten

Anhang

Übersichtskarten / Geografisches Register / Personenregister / Anmerkungen

Einleitung

Mit dem vorliegenden Band legt das Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) e. V. an der Ludwig-Maximilians-Universität München eine Einführung in die Geschichte des Banats vor, deren englische Originalausgabe von Irina Marin 2012 im Verlag I. B. Tauris in London unter dem Titel Contested Frontiers in the Balkans. Ottoman and Habsburg Rivalries in Eastern Europe erschien. Die Autorin skizziert darin für ein breites Publikum das Temescher Banat als eine Region im geopolitischen Spannungsfeld des Heiligen Römischen Reichs, des Habsburgerreichs, des Osmanischen Reichs und des Russländischen Reichs. Die verhältnismäßig kleine Region, die sich heute auf Rumänien, Serbien und Ungarn verteilt, steht nach der Intention von Marin stellvertretend für zahlreiche andere Gegenden im östlichen Europa mit komplexer Bevölkerungsstruktur. Die Verfasserin zeigt auf, wie moderne Nationalstaatsbildungen im östlichen Europa mit ihrem Bedürfnis nach klaren Grenzziehungen mit der Realität multiethnischer und multikultureller Gebiete kollidieren. Im Fall des Banats führte diese letztlich zu einer Aufteilung der heterogenen Region. Gleichzeitig führt die Autorin abschließend vor, wie nach 1989 in den einzelnen Bestandteilen der historischen Gesamtregion im Rahmen der Europäischen Union regionalistische Tendenzen gefördert wurden.

Irina Marin arbeitet derzeit als Assistenzprofessorin für Politische Geschichte mit einem Schwerpunkt auf der Frühen Neuzeit in Zentral- und Osteuropa an der Universität Utrecht in den Niederlanden. Die mehrfach ausgezeichnete Historikerin hat am University College in London promoviert und nahm dort sowie an den Universitäten von Oxford, Leicester und Augsburg Lehraufträge wahr. Im Fokus ihrer Forschungen stehen Grenzregionen von Imperien, ihre politische und soziale Dynamik, Nationalismus und Identitätspolitik sowie das Phänomen der sozialen Gewalt. Nach ihrer Darstellung zur Geschichte des Banats, die für den vorliegenden Band ergänzt wurde, veröffentlichte sie 2018 eine zweite Monografie zum Thema Peasant Violence and Antisemitism in Early Twentieth-Century Eastern Europe.

Jede Übersetzung ist nicht nur eine sprachliche, sondern auch eine kulturelle Transferleistung. Daher haben die Betreuer dieses Bandes in Absprache mit der Autorin im Zuge des Übersetzungsprozesses an einigen Stellen in den Text eingegriffen, ohne dessen Grundstruktur oder Intention zu verändern. Die Modifikationen betreffen insbesondere solche Passagen, in denen der Originaltext einem anglophonen Leserpublikum zentraleuropäische Phänomene erläuterte, die für deutsche Leserinnen und Leser einer anderen Kontextualisierung bedürfen. Außerdem hat die Autorin ihr Typoskript noch um ein Kapitel zu Temeswar (rum. Timișoara, ung. Temesvár) bzw. mit einigen Karten ergänzt.

Das IKGS bedankt sich bei der Autorin für die Bereitschaft, ihr Werk auch in deutscher Sprache erscheinen zu lassen und die Bearbeitung des deutschen Typoskripts konstruktiv und geduldig begleitet zu haben. Der englische Verlag I. B. Tauris hat uns für die deutsche Ausgabe die Übersetzungsrechte übertragen – auch dafür vielen Dank! Last but not least gebührt unsere Dankbarkeit dem Übersetzer Clemens Prinz für die Übertragung aus dem Englischen, Georg Aescht für das Lektorat des Textes und unserer Bundesfreiwilligendienstleistenden Kassidy Bogdan für die Prüfung der Formalia und die Erstellung der Register. Unser Dank gilt ferner Şeyma Nur Erdoğan, İstanbul, für die Prüfung von Fachtermini aus der osmanischen Zeit.

Das vorliegende Buch erscheint in dem Jahr, in dem Temeswar ein Jahr lang den Titel „Europäische Kulturhauptstadt“ führt. Das IKGS nimmt dies zum Anlass, auch zum Erscheinen einer kleinen Geschichte dieser Stadt beizutragen; sie erscheint gleichzeitig mit der „Kleinen Geschichte des Banats“ im Verlag Friedrich Pustet.

Wir hoffen, dass das Banat zu einer Zeit, in der imperialistische Bestrebungen erneut zum Krieg führen, in seiner Vielfalt und mit seiner abwechslungsreichen Geschichte noch stärker in den Fokus der allgemeinen Aufmerksamkeit und des Interesses rückt. Dem vorliegenden Band wünschen wir zahlreiche aufgeschlossene Leserinnen und Leser, die sich auf die Entdeckung dieser europäischen Region einlassen!

München, Dezember 2022

Enikő Dácz / Tobias Weger

1

Einführung

Das Temescher Banat ist eine historische Provinz – ein administratives Vermächtnis des Habsburgerreichs –, die heute auf Rumänien, Serbien und Ungarn aufgeteilt ist. Im 18. und 19. Jahrhundert war das Banat eine Art alternatives Amerika für mehrere Wellen von Siedlern aus dem Heiligen Römischen Reich, die meistens, aber nicht ausschließlich deutscher Abstammung waren. Im 20. Jahrhundert wurde die Region nach den Wirren der zwei Weltkriege hingegen zum Ausgangspunkt einiger Auswanderungswellen von Ostmitteleuropa nach Deutschland: während und nach dem Zweiten Weltkrieg, in der kommunistischen Zeit und auch noch nach dem Ende des Kommunismus. Im Banat nahm zudem die rumänische Revolution von 1989 ihren Ausgang; sie führte zum Ende der kommunistischen Diktatur Nicolae Ceaușescus. Das Banat ist die Heimat der Literaturnobelpreisträgerin des Jahres 2009, Herta Müller, und der Schauplatz ihrer erschütternden Erzählungen über die Unterdrückung im kommunistischen Rumänien. Für lange Zeit war seine geografische Beschaffenheit der Schlüssel zur Schifffahrt auf der unteren Donau, und die ethnische Karte des Banats war ein buntes, verworrenes Kaleidoskop von Völkern, die Epochen und Imperien hier zusammengeführt hatten: Ungarn, Serben, Rumänen, Deutsche, Bulgaren, Tschechen, Slowaken, Roma, Juden, Spanier, Franzosen, Italiener. Zahlenmäßig waren die Rumänen, Deutschen, Serben und Ungarn die dominanten Ethnien in dieser Provinz; um 1890 machten sie 39,08 Prozent, 27,44 Prozent, 18,20 Prozent bzw. 10,25 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Innerhalb der Provinz waren sie unterschiedlich verteilt. Slowaken, Kroaten, Ruthenen, Slowenen und andere diverse ethnische Gruppen bildeten die übrigen 5 Prozent.1

Es sind aber nicht in erster Linie diese Prozentzahlen, aufgrund derer das Banat Aufmerksamkeit verdient. Vielmehr machen das Aufeinandertreffen und die Interaktion dieser Gemeinschaften über mehrere Jahrhunderte hinweg und unter verschiedensten Verwaltungen diese Region überaus interessant.

Die Geschichte des Banats ist die Geschichte Mittel- und Osteuropas im Kleinen, mit seinen sich überschneidenden Herrschaftsbereichen, Bevölkerungsverschiebungen, einer immer neu gezogenen Grenze, zusammengesetzten Identitäten, prokrustischen Nationalstaaten, die sich über multiethnische Regionen erstrecken, mit dem Ansturm des Kommunismus und seinen Launen sowie der Wiederbelebung des Regionalismus im Rahmen der Europäischen Union.

Über friedliche, politisch unproblematische Regionen will man selten lesen. Die Geschichten dieser Gegenden fristen ein Schattendasein in der Lokal- und Regionalliteratur und sind nur wenigen Eingeweihten bekannt: Menschen, die sich dorthin wagen, und jenen, die sich auf ihren Reisen zufällig dahin verirren. Orte wie diese werden nur dann dem Vergessen entrissen, wenn jemand Öl findet oder Blut vergießt; plötzlich ist das Scheinwerferlicht der internationalen Öffentlichkeit auf diese Orte gerichtet, sie werden genau unter die Lupe genommen und zu etwas Außergewöhnlichem gemacht. So verhalfen die Jugoslawienkriege historischen Regionen wie Bosnien oder dem Kosovo zu trauriger Berühmtheit, stachelten das akademische Interesse an und ließen einen neuen Quell erläuternder historischer Literatur sprudeln. Das Problem mit selektiver Aufmerksamkeit ist, dass man bei der Betrachtung vorwiegend heikler Regionen und Gewalttätigkeiten ein eher unausgewogenes Bild erhält, das laufend die Mythen von Ostmitteleuropa als Ort des Stammesnationalismus und uralten ethnischen Hasses bestätigt.

Das vorliegende Buch soll dieses Ungleichgewicht beheben, indem es die Geschichte des Temescher Banats rekonstruiert – einer jener Regionen Ostmitteleuropas, die nicht der ungeheuerlichen Aktualität eines bewaffneten Konflikts bedarf, um unsere Aufmerksamkeit zu verdienen. Die zu erzählende Geschichte wird dabei über jene zeitlichen Meilensteine hinausgehen, die die Existenz des Banats als Provinz abgrenzen – seine Anfänge als habsburgische Provinz im frühen 18. Jahrhundert und seine Teilung als Folge des Ersten Weltkriegs –, und seine mittelalterlichen sowie frühneuzeitlichen Wurzeln werden ebenso betrachtet wie der Geist der Provinz nach ihrer Teilung im Jahr 1919 bis zum heutigen Tag.

Meine Absicht ist auf keinen Fall teleologisch: In diesem Buch versuche ich keineswegs, eine falsche Kontinuität des Banats (territorial oder anders geartet) über die Zeiten hinweg zu postulieren. Das Buch soll ganz im Gegenteil eine historische Meditation über die kreative Beliebigkeit von Grenzen sein – darüber, wie neue Grenzen etwas unterbrechen und zerstören, auf lange Sicht jedoch auch neue Bedeutungen und neue Formen von Zusammenleben schaffen; nicht zuletzt ist es auch eine Meditation darüber, wie Grenzen den Unterschied zwischen Leben und Tod, Frieden und Krieg, Wohlstand und Elend bedeuten können.

Dieses Buch ist nicht als dicker akademischer Wälzer oder umfassende aktuelle Geschichte des Banats gedacht, sondern als Zusammenfassung und lesbare Einführung in die Geschichte einer Region und ihrer Bewohner, die – unter Beibehaltung der notwendigen akademischen Genauigkeit der Informationen und Analyse – die Idee von Veränderung und Wandel zu betonen und keine bibliografischen Streitigkeiten zu schlichten sucht.

2

Temeswar/Timișoara/Temesvár/Temišvar: Eine Stadt der Kultur

Das Habsburger Erbe und wie es weiterging

Im Jahr 1916 wollten die Stadtoberen von Temeswar aus Anlass des 200. Jahrestags der Einnahme der Stadt durch die Habsburger Feierlichkeiten abhalten. Doch der Erste Weltkrieg, der damals schon zwei Jahre getobt hatte, machte aufwändige Festivitäten wie diese unmöglich, sie hätten in diesem Umfang bis zum Ende des Krieges verschoben werden müssen. Die Stadt, die man unbedingt feiern wollte, war das Zentrum der historischen Provinz Temescher Banat und hatte sich seit dem Ende der Osmanenzeit bedeutsam entwickelt. Unter habsburgischer Herrschaft waren alle Spuren der osmanischen Vergangenheit getilgt und die alte Festung in eine blühende mitteleuropäische Metropole verwandelt worden. Die Multiethnizität und die Multikulturalität der Region schlugen sich in architektonischen Formen nieder, es entwickelte sich ein lebhaftes Geschäfts- und ein modernes Kulturleben.

Stadtbezirke

Die Stadt wuchs über die mittelalterliche Festung hinaus, die wie eine Schildkröte – um das Bild des osmanischen Schriftstellers Evliya Çelebi zu gebrauchen – im Sumpfland zwischen den beiden Flüssen Temesch und Bega lag, an einem vorteilhaften Zusammenfluss von Gewässern und einem Straßenknotenpunkt. Die Osmanen, die diesen Ort 164 Jahre lang regiert hatten, hatten wenig gebaut, sich aber an der Regulierung der Bega versucht. Unter habsburgischer Verwaltung setzte ein wahrer Bauboom ein; er war eine Folge der Bauvorschriften, die der erste Gouverneur Florimund Graf de Mercy 1728 ersonnen hatte. Die neue Zitadelle erhielt mehrere Basteien und vier Tore (das Belgrader, das Peterwardeiner, das Siebenbürger und das Wiener Tor); einige davon wurden später abgerissen. Das Rathaus und zwei Kirchen – eine katholische, die auch Dom genannt wird, und eine serbisch-orthodoxe – zählten zu den ersten Gebäuden, die im ersten Jahrzehnt der Habsburger Herrschaft errichtet wurden. Sie repräsentierten – Stein auf Stein – die Stützen der kaiserlichen Macht: Verwaltung und Glaube. Gleichzeitig mit der Eingliederung eines Großteils des Banats in den ungarischen Teil des Kaiserreichs am Ende des 18. Jahrhunderts wurde Temeswar in den Rang einer Königlichen Freistadt erhoben und genoss fortan „innere Unabhängigkeit und das Recht auf einen Sitz im Landtag“1

Die Stadt entwickelte sich, von der alten Festung ausgehend, strahlenförmig nach außen, es entstanden neue Bezirke und Viertel, von denen jedes seine Besonderheit hatte. Die relativ großen Entfernungen zwischen dem Zentrum – der Zitadelle – und diesen neuen Bezirken war eine Folge des „Festungscharakters der Innenstadt, was bedeutete, dass innerhalb der Kanonenreichweite keine Häuser gebaut werden konnten“.2 Die Fabrik war die erste Vorstadt, die von den habsburgischen Behörden 1720 gegründet wurde. Sie war so weit vom Zentrum und den anderen Bezirken entfernt, dass die anderen Stadtbewohner sie als fernen, abgeschiedenen Teil der Stadt betrachteten. József Geml, von 1914 bis 1919 Bürgermeister von Temeswar, erzählte eine Anekdote, die nicht nur die räumliche, sondern auch die mentale Entfernung zwischen den Einwohnern der Fabrikvorstadt und jenen der Josefstadt, die fast eine Stunde Pferdestraßenbahnfahrt voneinander lagen, treffend veranschaulicht:

Am Neujahrstage 1883 trifft (der josefstädtische Gastwirt) Vetter Mühlbach in der Festung vor dem Stadthause den Parkinspektor Franz Fessler, der als Neuigkeit erwähnte, dass in der Silvesternacht Gambetta (berühmter französischer Staatsmann) gestorben sei, worauf er den Kopf schüttelnd sagte: „Den hab’ ich nicht gekannt, das muss a Fabrikler g’west sein.“3

Die Fabrikvorstadt war voller Leben; Produktion, Handel und nicht zuletzt das Gesellschaftsleben waren hier rege, es gab viele Kaffee- und Wirtshäuser, die Bewohner waren für ihre Gemütlichkeit bekannt:

[dass] Sonntags und an Feiertagen der größte Teil der Bürgerschaft in die Fabrik strömte, um hier in den angenehmen Lokalitäten der Gast- und Kaffeehäuser: Zum „Bären“, zum „Pfau“, im „Fabrikshof“, zum „Türkischen Kaiser“, zum „Marokkaner“, zur „Königin von England“ usw., einige fröhliche Stunden zu verbringen.4

Der Bezirk war so populär, dass man sich in Temeswar einig war:

Alles Gute kommt von der Fabrik: das Wasser, die Bega, die Pferdebahn, später die elektrische Straßenbahn, das Bier usw. Ja sogar die Sonne geht in der Fabrik (im Osten) auf, worauf die Fabrikler der damaligen Zeit nicht wenig stolz waren.5

Die anderen beiden Viertel, die Elisabethstadt und die Josephstadt, waren zunächst Vororte gewesen, in denen man Gemüse- und Weinanbau betrieb und die sich erst langsam zu Wohnvierteln entwickelten. Zuerst gab es dort nur Sommerhäuser wohlhabender Temeswarer, später mauserten sich diese Bezirke zu vollwertigen Wohnvierteln. In der Elisabethstadt, wie der Bezirk ab 1896 hieß, stand die älteste rumänisch-orthodoxe Kirche der Stadt, was vom hohen rumänischen Bevölkerungsanteil in diesem Viertel zeugt. Die Josefstadt bewohnten im Unterschied dazu vor allem Deutschsprachige, weshalb man sie auch „Neue Deutsche Meierhöfe“ nannte. Das Viertel erhielt den endgültigen Namen im Jahr 1793 zu Ehren des Habsburger Monarchen Joseph II., bevor es im 19. Jahrhundert eine Bevölkerungsexplosion erlebte, die auf die Einführung der Eisenbahn und den Bau des Hauptbahnhofs in diesem Teil der Stadt zurückgeht: In den 1890er-Jahren legte man mehrere Nebenstrecken von Temeswar aus an. Dieser Ausbau und die Tatsache, dass sich auch die Kornspeicher der Stadt und der Hauptsitz der Frachtenagentur der Donaudampfschifffahrtsgesellschaft hier befanden, machten diesen Bezirk zum geschäftigsten, lebendigsten der Stadt. Temeswar wuchs stetig, im 18. sowie im 19. Jahrhundert; der letzte Bezirk, den es sich einverleibte, war die Vorstadt, die schon seit der Türkenzeit bestand, zunächst Mehala hieß und erst 1910 mit der Eingemeindung den Namen Franzstadt erhielt.6

Die Gebäude bilden bis heute die Stein gewordene politische und konfessionelle Geschichte des Ortes ab. Der Hauptplatz mit zwei Kathedralen der bestimmenden Konfessionen – Katholizismus und Orthodoxie – zeugt von der Machtverteilung zwischen den beiden Kirchen. Die Habsburger Behörden bauten auf historischen Hinterlassenschaften auf: Das neue Rathaus baute man auf den Fundamenten eines türkischen Bades; das mittelalterliche Hunyadi-Schloss wurde durch wiederholte Belagerungen zerstört und 1856 neu errichtet; der große Scudier-Park, heute Zentralpark, befindet sich auf dem Areal eines ehemaligen Friedhofs.7 Die Funktion und Bedeutung der Bausubstanz veränderte sich von Gebäude zu Gebäude im Gleichschritt mit der Entwicklung der Stadt. Manche Gebäude waren anfälliger für politische Veränderungen, andere blieben, unabhängig von der Zeit und von sich verändernden Gesetzen und Grenzen, in ihrem ursprünglichen Zustand. Einige Gebäude, wie der Sitz der Woiwodschaft aus den 1850er-Jahren, blieben bestehen, änderten aber infolge der Kurzlebigkeit der politischen Institution, die sie ursprünglich beherbergen sollten, bald ihre Bestimmung. Nach dem Ersten Weltkrieg, dem Zerfall der Habsburgermonarchie und der Eingliederung der Stadt ins Königreich Rumänien entstanden neue architektonische Schichten, alte wurden umgewidmet. Die rumänischen Behörden verschafften nun auch dem nach der Zuwanderung vieler Menschen aus anderen Teilen Rumäniens dominierenden orthodoxen Glauben Geltung, indem sie zwischen 1936 und 1940 die imposante Kathedrale zu den Drei Hierarchen bauen ließen.8 Mit der Errichtung von repräsentativen Gebäuden wie dem Rathaus begann man noch in der Monarchie; sie wurden dann von den rumänischen Behörden übernommen, fertiggestellt und meist einem neuen Zweck gewidmet. Die Gebäude in der Nähe des heutigen Königin-Maria-Platzes, die dem Piaristenorden gehörten, wurden nach 1948 von verschiedenen Fakultäten der Technischen Universität in Anspruch genommen.9 Zweckbauten wie Militäranlagen und Krankenhäusern behielten ihre spezifischen Funktionen. So blieb das Johann-Nepomuk-Krankenhaus aus der habsburgischen Zeit dem Gesundheitswesen erhalten und fungierte als Augenklinik weiter. Das Militärkrankenhaus blieb ebenso erhalten, und das Zivilkrankenhaus wurde in eine onkologische Klinik umgewandelt.10 Auch beim Gebäude des Militärkommandos der Garnison blieb die historische Kontinuität gewahrt: Es beherbergt heute das Militärmuseum.

Schwere Zeiten

Temeswar erstand im 18. Jahrhundert nicht aus der Asche des Krieges, vielmehr tauchte es förmlich aus den Sümpfen auf. Während die Lage der Stadt im Marschland strategisch gesehen die Wehrhaftigkeit erhöhte, waren Klima und Umwelt dem Alltag der einheimischen Bevölkerung, insbesondere dem der neu angekommenen Kolonisten, nicht gerade zuträglich. Außerdem erhöhten die Nähe zur osmanischen Grenze und der immer wieder aufflammende Grenzkrieg das Risiko von Seuchen, vor allem der Pest. Einer der schlimmsten Pestausbrüche ereignete sich 1738. Als ein Jahr später die Epidemie endlich abflaute, errichteten die Stadtbehörden zum Dank die Rosalienkapelle und die Pestsäule am Domplatz.11

Die habsburgischen Behörden konzentrierten sich neben der Schaffung eines Cordon sanitaire an der Grenze zum Osmanischen Reich auch auf die Entwässerung des Sumpfgebietes um Temeswar und die Regulierung der beiden Flüsse, die jenes speisten. Claudius Florimund de Mercy, der erste Gouverneur des Banats, initiierte 1728 den Bau des Bega-Kanals, durch den die Flussläufe von Bega und Temesch, die bis dahin durch sich kreuzende Nebenarme miteinander verbunden waren, voneinander getrennt wurden. Erst 1760 waren die Regulierungsarbeiten abgeschlossen, und der Kanal wurde für die Schifffahrt geöffnet. Probleme wie saisonale Dürre und Überschwemmungen bestanden jedoch fort, sodass man weiterhin an der Verbesserung der Lage arbeitete. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden Dämme gebaut, die Arbeiten setzten sich bis ins 20. Jahrhundert fort. Die letzten Schleusen errichtete man 1916.12

Dreimal besuchte Kaiser Franz Joseph I. die Stadt, davon zweimal nach großen Naturkatastrophen: Die Reisen 1872 und 1879 dienten der Bestandsaufnahme nach den Überschwemmungen in Südungarn; der Monarch wollte sich ein eigenes Bild von der Not der betroffenen Bevölkerung verschaffen. Insbesondere im Jahr 1879 mussten zahlreiche Menschen wegen des Theiß-Hochwassers ihre Häuser verlassen. Viele kamen aus der fast vollständig unter Wasser stehenden Nachbarstadt Szegedin auf der einzigen nicht überschwemmten Bahnstrecke nach Temeswar. Wochenlang war der Ort das geschäftige Zentrum von Hilfsaktionen, hier waren die Obdachlosen untergebracht, hier wurden sie versorgt und Gelder gesammelt. Der Kaiser besuchte die Notunterkünfte, sprach Worte des Trostes und inspizierte Hilfskomitees.13 Sein dritter Besuch knüpfte dagegen an seine Teilnahme an den siebenbürgischen Militärmanövern vom Herbst 1891 an und war der Höhepunkt der Ausstellung für Industrie und Landwirtschaft, die in jenem Jahr in der Stadt veranstaltet wurde. In Pavillons wurden die Fortschritte der Industrie und Landwirtschaft Südungarns präsentiert. Franz Joseph I. hatte kurz zuvor ein Dekret unterzeichnet, das die Entfestigung der Stadt ermöglichte und Platz für ihre weitere Entwicklung schuf.14

Eine Stadt der Kultur

Unter der habsburgischen Herrschaft wurde Temeswar zum blühenden Zentrum von Kunst und Kultur in Südungarn. Theater-, Opern- und Operettenaufführungen sowie klassische Konzerte belebten die Kultur der Stadt. Die ersten Theateraufführungen gehen auf das Jahr 1753 zurück. Da es lange kein eigenes Theatergebäude gab, fanden die Aufführungen zunächst im rumänisch-serbischen Stadthaus statt. Zu den Persönlichkeiten, die die Bühnen in Temeswar bevölkerten, gehörten große Musiker wie Franz Liszt oder Johann Strauss (Sohn).15

Das deutsche Theater war das älteste der Stadt und lebte zunächst vor allem von der lokalen Garnison, für die es Unterhaltung bot. Es stand in Konkurrenz zu anderen Formen und Orten städtischer Unterhaltung: Konzerten, privaten Veranstaltungen, Restaurants und Varietés.16 Das Repertoire dominierten musikalische Werke (Opern, Operetten), wobei Gioachino Rossini und Adolf Müller am häufigsten aufgeführt wurden.17 Neben Stücken internationaler Autoren wurden Werke von August von Kotzebue, Johanna Franul von Weißenthurm, Johann Nestroy und Ferdinand Raimund inszeniert.18 Wie Paul S. Ulrich aufzeigt, waren Stücke, die sich ausschließlich auf das gesprochene Wort stützten, dem Wankelmut des Publikums eher ausgeliefert als Aufführungen mit Musik und Gesang. Nach 1836 nahm die Beliebtheit von Kotzebues Stücken zugunsten jener der Werke von Nestroy und Raimund ab. Opern und Operetten hingegen erfreuten sich einer wachsenden Beliebtheit.19

In der serbischen Gemeinde von Temeswar fand 1793 die erste Theateraufführung in Form einer Schülerproduktion statt, und das Amateurtheater blieb bis weit ins 19. Jahrhundert bestimmend. Das erste serbische Nationaltheater der Stadt wurde 1861 gegründet und lebte von der engen Verbindung mit dem serbischen Ensemble in Neusatz, das auch von der serbischen Gemeinde Temeswar Geldmittel erhielt und häufig dort gastierte. In der Doppelmonarchie wurden das serbische und das rumänische Theater zwar geduldet, von den ungarischen Behörden aber keineswegs gefördert. Nach dem Ersten Weltkrieg verschwand das serbische Theater infolge der massiven Auswanderung in das neu gegründete Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen fast vollständig. Erst nach 1970 gründeten Amateure wieder ein Ensemble unter dem Namen Thalia, und 2014 genehmigten die rumänischen Behörden die Errichtung eines serbischen Staatstheaters, des vierten neben dem rumänischen, dem deutschen und dem ungarischen.20

Die rumänische Gemeinde in Temeswar profitierte von der Gründung der ersten rumänischen Theaterstiftung im Jahr 1870, die das kulturelle und politische Erwachen der Rumänen im dualistischen Ungarn widerspiegelte. Häufig gaben Theatergruppen aus Rumänien Gastspiele, wie zum Beispiel die weithin bekannte Gruppe von Mihail Pascaly. Die sprachlichen Grenzen zwischen den Theatergruppen verschiedener Ethnien waren in Österreich-Ungarn fließend: So finden wir im 19. Jahrhundert ungarische Wanderensembles, die auch rumänische Stücke, Lieder und Tänze in ihrem Repertoire hatten, um auf Dorf- und Kirchweihfesten ein möglichst großes Publikum anzusprechen. Wie andere Temeswarer Ensembles hatte auch das rumänische kein eigenes Gebäude und spielte auf improvisierten Bühnen in Kaffee- und Wirtshäusern, was jedoch nicht an der kulturell restriktiven ungarischen Herrschaft lag, denn selbst nach dem Ersten Weltkrieg, unter nunmehr rumänischer Herrschaft, scheiterten die Versuche, ein rumänisches Theater zu etablieren. Man war auch weiterhin auf Gastspiele von Ensembles aus anderen Landesteilen angewiesen. Erst während des Zweiten Weltkrieges bekam die Stadt eine quasi ständige rumänische Theatertruppe, als das Klausenburger Nationaltheater dort Zuflucht suchte. Nach Kriegsende entstand dann neben dem deutschen und ungarischen auch ein rumänisches Staatstheater.21

Das erste Temeswarer Theatergebäude wurde 1872 bis 1874 errichtet und nach Kaiser Franz Joseph I. benannt; der Entwurf im Neorenaissance-Stil stammte von den Wiener Architekten Ferdinand Fellner und Hermann Helmer. Obwohl das Theater von einem mehrsprachigen Publikum besucht wurde, räumte man nach einer Grundsatzentscheidung der Stadtverwaltung 1885 ungarischsprachigen Aufführungen den Vorrang ein. Im 19. Jahrhundert gastierten zahlreiche ungarische Theaterensembles aus Budapest und Siebenbürgen in Temeswar, wo sie, sofern ihre Stücke positiv aufgenommen wurden, einige Wochen blieben. Das neue Theater erwies sich als ein geeigneter Spielort für diese Ensembles, und es folgte eine Blütezeit des ungarischen Theaters unter der Leitung von Ignác Krecsányi. Sein Wirken bereicherte das kulturelle Leben mehrerer Städte in Ungarn. Der tüchtige Direktor, der junge Talente förderte, baute Temeswar zu einem der Theaterzentren Ungarns aus. Das Repertoire reichte von William Shakespeare über Henrik Ibsen und Gerhart Hauptmann bis Johann August Strindberg und George Bernard Shaw; unter seiner Leitung gab es denkwürdige Inszenierungen von Maxim Gorki und Imre Madáchs Tragödie des Menschen.22

Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Zerfall der Monarchie brachen schwere Zeiten für das Theater an. Das Gebäude brannte 1920 ab. Bis zum Wiederaufbau im Jahr 1928 folgte man der Praxis des 19. Jahrhunderts: Man spielte hier und dort. Ein weiterer schwerer Schlag gegen das professionelle ungarische Theater in Temeswar war das Theatergesetz von 1921. Die Re-Professionalisierung begann erst Anfang der 1950er-Jahre und gewann in den folgenden Jahrzehnten an Schwung. Nach der Befreiung von ideologischen Zwängen schlug nach 1989 die große Stunde des ungarischen Theaters: Das Repertoire wurde vielfältiger, die Infrastruktur modernisiert, es wurden Schauspielseminare sowie das erste internationale Theaterfestival organisiert.23

Das öffentliche Interesse an bildender Kunst reicht im Banat bis ins 18. Jahrhundert zurück. In Temeswar gab es schon seit 1786 eine Normalschule für Zeichnen, die bis ins 19. Jahrhundert gut mit Wiener Lehrerpersonal ausgestattet war. Die Kunst verlagerte sich von ausschließlich religiösen auf ein breites Spektrum weltlicher Themen, und die Tafelmalerei, die Rolle der religiösen Ikonographie, trat in den Hintergrund. Der Maler entwickelte sich nach und nach vom Handwerker zum Künstler, unabhängiges Talent und Originalität wurden zunehmend geschätzt. Ateliers gab es nicht nur in der Temeswarer Kunstszene, sondern auch in Deutsch-Bokschan, wo eine Generation repräsentativer Künstler wie Nicolae Popescu und Ion Zaicu groß wurde. Die namhafteste Malschule in Temeswar wurde im Jahr 1914 von József Ferenczy gegründet, der auch Abendkurse für Arbeiter und Bühnenbildner veranstaltete. Seine Vorträge zur Kunstgeschichte, die er an seiner Schule hielt, erschienen später auch im Druck.

Der Übergang von der Monarchie zum Nationalstaat brachte der Stadt eine neue Kunstschule. 1926 von Ferdinand Gallas und Albert Varga gegründet, lebte sie in erster Linie von den handwerklichen und pädagogischen Fähigkeiten des Malers Julius Podlipny und brachte bedeutende Maler wie Iuliu Lausch, Viktor und Julius Stürmer und Romul Cândea sowie Bildhauer wie Andrei Galli und Andrei Orgonas hervor. Den größten Aufschwung erlebte die Kunstszene in den 1930er-Jahren, als die zuvor in Klausenburg ansässige Schule der Schönen Künste in die Hauptstadt des Banats umzog.24

Einer der ältesten und stolzesten Vertreter der schulischen Traditionen der Stadt ist das deutschsprachige Nikolaus-Lenau-Lyzeum. An der Stelle, an der das Schulgebäude Ende des 19. Jahrhunderts errichtet wurde, hatte sich zuvor das Raizische25 Stadthaus befunden. Die Unterrichtssprache war zunächst ausschließlich Deutsch, später wurde auch Ungarisch eingeführt. Nach dem Ende der Monarchie beherbergte das Gebäude mehrere Schulen: das Deutsche Staatliche Realgymnasium (1919–1942), eine Mädchenoberschule und eine Lehrerinnenbildungsanstalt (1942–1944). Nach der Schulreform 1948 wurden hier kurzzeitig eine Deutsche Pädagogische Schule und bis 1955 die Arbeiterfakultät untergebracht. Zwei ehemalige Schüler des Lenau-Lyzeums erhielten später einen Nobelpreis: Herta Müller für Literatur (2009) und Stefan Hell für Chemie (2014).26

Als Hauptstadt des Banats und eine der wichtigsten Städte Südungarns erlebte Temeswar eine frühe Entwicklung des Pressewesens. Wegen der nationalen Bestrebungen, die das 19. und frühe 20. Jahrhundert prägten, erschien hier auch eine Vielzahl von Druckschriften in allen Sprachen der Region. Im Gefolge der Gründung der ersten Druckereien im Banat kam 1771 auf Initiative von Matthäus Heimerle zudem die erste deutschsprachige Zeitung der Provinz auf den Markt, die Temeswarer Nachrichten. Die Wochenzeitung, von der allerdings nur 13 Ausgaben gedruckt wurden, enthielt außenpolitische Nachrichten, Neues aus dem Ausland, aber auch historische und statistische Informationen über das Banat.27 Die weitere Entwicklung der Presse in Temeswar zeugte von der steigenden Alphabetisierungsrate, die bis Ende des 19. Jahrhunderts auf 85 bis 87 Prozent anwuchs.28 Die herausragendste und zugleich ausgewogenste deutschsprachige Publikation war die nachrevolutionäre, liberale Temeswarer Zeitung (1852–1949), die sich auf das Prinzip berief: „Wir respektieren und lieben die deutsche Nation, gehören ihr aber nicht an.“ Dieser Grundsatz spiegelte die ethnische und konfessionelle Vielfalt der Zielgruppe wider.29

1872 erhielt Temeswar seine erste ungarischsprachige Zeitung. Sie diente den politischen Bestrebungen der ungarischen Regierung sowie der Komitatsverwaltung und war ein Versuch, das deutschsprachige Pressemonopol in der Stadt zu beenden. Die Zeitung wurde von örtlichen Gutsbesitzern sowie höheren Beamten finanziert und hielt sich an die politischen Grundsätze der Deák-Partei.30

Für die serbische Kultur Südungarns war weniger Temeswar das urbane Zentrum, sondern vielmehr Neusatz. Dort hatten die wichtigsten Zeitungen (wie Letopis) und Kulturvereine (wie die Matica Srpska oder das serbische Theater) ihr Zuhause und entwickelten sich rasch. Neusatz bot sich wegen seiner größeren Nähe zu Serbien, vor allem aber, weil Svetozar Miletić, der serbische Abgeordnete im ungarischen Parlament, hier Bürgermeister war, für ein aktives serbisches Kulturleben an.31

Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts erschienen in Temeswar auch viele rumänischsprachige Zeitungen und Zeitschriften wie die kirchliche Revista Preoților [Zeitschrift der Priester], Organe für bestimmte Gesellschaftsschichten wie die bäuerlich orientierte Plugarul român [Der rumänische Ackermann], Periodika zu allgemeinen politischen und kulturellen Themen wie Dreptatea și lumina poporului [Recht und Licht des Volkes] oder die Zeitung der Sozialdemokraten Votul Poporul [Volksstimme], die sich an Arbeiter und Bauern richtete.32

Nach dem Ende der Monarchie

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Stadt in das neue, erweiterte Königreich Rumänien eingegliedert und verlor durch Auswanderung und staatliche Intervention langsam, aber stetig etwas von ihrer Multikulturalität, wenn auch nie ganz. Für Temeswar galt nun offiziell seine rumänische Namensvariante Timișoara, und obwohl es seine imperiale Ausstrahlung und seine strategische Position unweigerlich verlor, behielt es seine westliche Ausrichtung bei. Während der kommunistischen Zeit erleichterte die geographische Nähe zu den entspannteren kommunistischen Systemen Jugoslawiens und Ungarns den Zugang zu Informationen, und die Perspektive auf das drakonische kommunistische Regime in Rumänien unterschied sich von der in anderen Teilen des Landes. Im Jahr 1989 ging Timișoara als jene Stadt in die Geschichte ein, in der die rumänische Revolution begann, die schließlich die Diktatur von Nicolae Ceaușescu zu Fall brachte.

In der Zeit nach dem Ende der Monarchie konsolidierte sich Temeswar als akademisches Zentrum und wetteiferte mit anderen Städten wie Bukarest, Jassy und Klausenburg. Die akademischen Anfänge gehen auf das Jahr 1920 zurück, als durch einen königlichen Erlass das Polytechnikum gegründet wurde.33 Die Medizinische Fakultät folgte 1948, während die Universität Temeswar 1962 ins Leben gerufen wurde, obwohl bereits 1944 ein königlicher Erlass den rechtlichen Rahmen festgelegt hatte. Damals erhob man das Pädagogische Institut in den Rang einer Universität.34

Als eines von vier großen Universitätszentren in Rumänien wuchs Temeswar nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell und hat bis heute eine reiche Kunst-, Literatur- und Festivalszene, in der experimentelle, moderne künstlerische Manifestationen stark repräsentiert sind.

In der kommunistischen Epoche entfalteten sich in Temeswar – trotz des repressiven Charakters und der lähmenden Wirkung des Systems – kulturelle und literarische Bewegungen, einige davon im Einklang mit dem Regime, andere entschieden gegen die Parteiideologie gerichtet. Eine solche subversive literarische Strömung war die Aktionsgruppe Banat, gegründet von jungen Vertretern der deutschsprachigen Minderheit. Insgesamt gab es damals in Temeswar vier literarische Gruppen.35 Der literarische Kreis der Aktionsgruppe bestand, mit den Worten eines seiner Gründer, Richard Wagner, aus selbsternannten Marxisten, und ihre politische Einstellung war eine

schräge Mischung aus Sozialismus mit menschlichem Antlitz, Che Guevara, Marcuse und Leninschen Merksätzen aus dem Vokabular unserer Schulzeit, die eine nicht minder erstaunliche literarische Entsprechung hatte. Wir lasen Bobrowski, Heißenbüttel, Volker Braun, die Wiener Gruppe, meist Autoren, die außer uns an unserem Wirkungsort Temeswar kaum einer kannte.36

Sie repräsentierten die erste Generation Rumäniendeutscher, die im Kommunismus geboren und sozialisiert worden waren. Auch die später international bekannte Schriftstellerin Herta Müller war der Aktionsgruppe Banat verbunden. Die Redefreiheit wurde zunächst in den 1960er-Jahren durch die Öffnung des kommunistischen Regimes gefördert, bald schon erregte die Gruppe aber die Aufmerksamkeit des rumänischen Geheimdienstes Securitate, und ihre Mitglieder wurden zu vorrangigen Zielscheiben der Bespitzelung und Einschüchterung. Die ersten engagierten Übersetzer ihrer literarischen Werke waren, so die traurige Ironie, Geheimagenten: „Wir schrieben deutsch, sie lasen rumänisch.“37

Die Gruppenmitglieder schrieben gegen den erstickenden Traditionalismus ihrer Heimatdörfer an und sympathisierten, wie bereits betont, anfangs mit den marxistischen Lehren. Die Geheimpolizei erklärte die Mitglieder jedoch zu Feinden des Regimes, ohne dass diese etwas getan hätten, was diesen Schritt gerechtfertigt hätte.38 In ihrer Literatur werden zweifache Entlarvungsbestrebungen manifest:

Unsere Literatur wurde zum Versuch, die Umklammerung der Provinz und das kommunistische Verbot gleichzeitig zu überwinden. Wir schrieben gegen Chiles Pinochet, gegen das Nazidenken der Eltern und gegen die realsozialistischen Mißstände der Heimat.39

Drei Jahre lang, von 1972 bis 1975, wurde die Gruppe von der Securitate toleriert. Der Grund dafür war, so meint Wagner, folgender:

Daß wir es so lange treiben konnten, hängt gewiß auch damit zusammen, daß wir Akteure auf einem Nebenschauplatz waren. Die rumäniendeutsche Literatur durfte vielleicht mehr als die rumänische, aber, und das ist sicher, sie wagte auch mehr.40

Die Mitglieder entschieden sich schließlich zu unterschiedlichen Zeitpunkten für die Emigration.

In der literarischen Szene Temeswars erschien 1992 eine neue Gruppe mit dem Namen Stafette. Ihre Mitglieder sehen sich als Fortsetzer des früher bestehenden Adam-Müller-Guttenbrunn-Literaturkreises. Stafette setzte sich zum Ziel, junge und schon etablierte Schriftsteller zusammenzubringen, regelmäßige literarische Lesungen zu organisieren und das Schreiben auf Deutsch zu fördern, unabhängig davon, ob es sich dabei um die Muttersprache des Schreibenden oder eine erworbene Fremdsprache handelt. Die Mitglieder der Gruppe verfassen vor allem Kurzprosa und Gedichte, einige von ihnen sind „selbstbewusst genug, um Romane und Theaterstücke zu schreiben“.41

Die Multikulturalität der Stadt wurde zu ihrem Kapital. Sie führte zu einer nie dagewesenen Öffnung für europäische Initiativen, Projekte und Förderungen. Die glückliche Folge davon war eine Flut von Festivals und Veranstaltungen sowie die Bereitschaft der Verwaltung, in die Sanierung des historischen Erbes zu investieren. Das pulsierende kulturelle Leben (siehe zum Beispiel das Internationale Literaturfestival West to East and East to West,42 das Installationsfestival Analog Mania,43 das Festival für Alte Musik,44 das Europäische Theaterfestival Eurothalia am Deutschen Staatstheater Temeswar45) sowie die Bemühungen der Behörden, das international ansprechende Bild einer multiethnischen, multikulturellen Stadt, die Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit als Teil einer historischen Provinz, die praktisch nationale Grenzen überspannt, zu vermitteln, haben der Stadt an der Bega den begehrten Titel der Europäischen Kulturhauptstadt 2023 eingebracht.46 Andere Städte in Rumänien wie Bukarest, Klausenburg und Frauenbach gingen hingegen leer aus.47 Die Bewerbung der Stadt Temeswar war eine ausgezeichnete Kombination aus Vorgeschichte (weit zurückliegend und aktuell), europäischen Werten wie Toleranz und Integration sowie dem Aktivismus der Zivilgesellschaft: „Light Up Your City!“ (Luminează orașul prin tine!) war das Hauptmotto, das auf die Anfänge der Zitadelle zur Zeit der Aufklärung anspielte, die bahnbrechende Einführung der Straßenbeleuchtung im 19. Jahrhundert, aber auch auf die Rolle von Temeswar als Ausgangspunkt der rumänischen Revolution, als Stadt inmitten eines kleinen politischen Erdbebens, aber auch inmitten eines gewaltigen europäischen Umbruchs, des Falls des Kommunismus.48

3

Im Zeichen des Halbmonds

Schimbarea domnilor, bucuria nebunilor.(Nur Narren freuen sich über neue Herren.)Rumänisches Sprichwort

Die Armeen, die im 16. Jahrhundert die Mauern Ofens und Temeswars belagerten, gehörten einem Reich an, das sich auf dem Höhepunkt seiner Macht befand und vom christlichen Europa mit Ehrfurcht und neidvoller Bewunderung zugleich betrachtet wurde. Zwischen 1526 und 1552 eroberten die Osmanen das südöstliche Ungarn und rückten mit dem Ziel Mitteleuropa gegen Wien vor. Obwohl die neue Obrigkeit völlig anders auftrat, änderte sich an der Basis kaum etwas. Das war dem Grundprinzip geschuldet, das hinter den Eroberungen der Osmanen stand: Ihr Reich expandierte nicht, um zu zivilisieren und zu bekehren oder um Siedlungsraum zu gewinnen, sondern um die gewaltige Kriegsmaschinerie, die den Staat ausmachte, zu befeuern. Ihre Herrschaftsstruktur spiegelte ihren Zweck wider. Die neuen Eroberungen bestätigten die glorreiche Macht des Sultans über die Ungläubigen und verhalfen dem Reich zu Geld und Kriegsvolk. In den anderthalb Jahrhunderten osmanischer Herrschaft über Teile des Gebietes zwischen den Flüssen Theiß, Mieresch und Donau erlebte das Osmanische Reich zugleich den Höhepunkt und den Tiefpunkt seiner Macht.

Die osmanische Macht und ihre Natur

Alles begann mit einem kleinen gazi (kriegerischen) Staat am Rande Anatoliens. Die Osmanen eroberten nach und nach Teile des Mongolischen Reichs im Osten und des altersschwachen Byzantinischen Reichs im Westen. Wie das Christentum im Falle der europäischen Mächte war der islamische Glaube ein Eckpfeiler der osmanischen Macht und galt als ihre metaphysische Legitimation. Er diente als strukturierendes Instrument innerhalb des Staates und schuf eine gesellschaftliche Hierarchie mit den Muslimen in privilegierter Position an der Spitze und Nicht-Muslimen (genannt reâyâ oder berâyâ, je nachdem, ob sie steuerpflichtig waren oder nicht)1 als Untertanen. Ein Muslim hatte deshalb bessere Voraussetzungen für den gesellschaftlichen Aufstieg, genoss gesetzliche Vorrechte vor Nicht-Muslimen und zahlte weniger Steuern. Obwohl Nicht-Muslime gesellschaftlich und rechtlich als geringer angesehen wurden, waren sie für das Reich in doppelter Hinsicht von vitaler Bedeutung: wirtschaftlicher bildeten sie die Haupteinnahmequelle, da sie den größten Teil der Steuerlast trugen, und militärisch waren sie aufgrund der Knabenlese (devşirme) ein wichtiger Rekrutierungspool.

Anders als viele christliche Mächte jener Zeit tolerierten die Osmanen andere Religionen und integrierten sie geschickt in den Staatsapparat. Sie teilten die Nicht-Muslime in millets (religiöse Gemeinschaften) ein, die eigenen Anführern unterstanden. Diesen wurden Befugnisse zur Verwaltung der inneren Angelegenheiten ihrer jeweiligen Gemeinschaften übertragen. Der osmanische Staat war dennoch völlig blind für das, was man ab dem 19. Jahrhundert als Nation oder Nationalität verstand: Serben, Walachen (Vlachen), Ungarn waren für die Osmanen – ungeachtet ihrer Sprache und Bräuche – alle ein und dasselbe: gâvur (Ungläubige). Solange der Strom an Geld und Soldaten aus einer bestimmten Provinz nicht abriss, herrschte relativer Frieden, der Sultan überließ die Verwaltungsangelegenheiten den örtlichen beylerbeyi (Provinz-Gouverneuren) und den religiösen Führern.

In den letzten beiden Jahrhunderten seines Bestehens machte das Osmanische Reich seine Feinde lieber zu Vasallen, als sie gänzlich zu unterwerfen. Eroberungen waren kostspielig und zogen die Errichtung einer Verwaltungsstruktur, die Bemannung von Festungen und bei Bedarf auch die Ansiedlung muslimischer Bevölkerung nach sich. Diese Dreistufigkeit bei der Eroberung – militärischer Sieg über den Feind, Aushandeln des Friedens bzw. der Bedingungen des Vasallentums und erst als letzter Schritt die tatsächliche Umwandlung in eine osmanische Provinz – zeigt die Natur der osmanischen Herrschaft als kosteneffizientes Militärunternehmen. Das Gebiet zwischen den Flüssen Theiß, Mieresch und Donau durchlief diese drei Stufen bis zur endgültigen Eroberung und Verwandlung in das Eyalet von Temeswar.

Der Flickenteppich osmanischer Besatzung in Ungarn

Das Gebiet zwischen Theiß, Mieresch und Donau wurde von den Osmanen nicht zur Gänze erobert: Die westlichen und südlichen Teile kamen im Jahr 1552 unter die Herrschaft des Sultans, während die nördlichen und östlichen Ausläufer ein Jahrhundert lang, bis in die 1650er-Jahre, unter siebenbürgischer Oberherrschaft blieben. Diese heterogene Herrschaft war das Ergebnis tektonischer Verschiebungen, die durch die osmanische Eroberung in der politischen Landschaft der Region ausgelöst wurden. Die dynastischen Brüche und Allianzen, die sich in Folge der osmanischen Eroberung im Südosten Ungarns ergaben, beeinflussten die Geschichte nicht nur unmittelbar, sondern schufen auch Präzedenzfälle und Verhältnisse, die die Beziehungen in der Region bis weit ins 20. Jahrhundert hinein belasteten: Zum einen kam es zu einer unsteten und umstrittenen Verbindung zwischen den österreichischen Habsburgern und der ungarischen Krone; zum anderen entstand das autonome Fürstentum Siebenbürgen unter osmanischer Suzeränität, getrennt vom königlichen Ungarn.

Nicht nur das Gebiet Ungarns war nach der Schlacht bei Mohatsch im Jahr 1526 geteilt, sondern auch sein Adel. Nach dem Tod König Ludwigs II. stellte sich die Frage der Nachfolge, und darüber zerstritten sich die ungarischen Adeligen. Es entstanden zwei Zentren der Macht: Das eine machte sich für die Krönung Ferdinands I. von Habsburg stark, des Bruders der Witwe des ungarischen Königs und österreichischen Monarchen; das andere wollte den siebenbürgischen Woiwoden Johann Zápolya (János Szapolyai) auf dem Thron sehen. Letzterer wollte Ersteren aushebeln, indem er die Oberhoheit der Osmanen anerkannte. Diese beobachteten genüsslich den zerstörerischen inneren Konflikt und zogen Vorteile daraus. Als die Dinge aus dem Ruder zu laufen drohten, griffen sie ein und dehnten ihre Eroberungen aus. So beschlossen sie 1552, fast dreißig Jahre nach der Schlacht von Mohatsch, auch Temeswar einzunehmen und im südlichen Ungarn eine zweite osmanische Provinz zu gründen. Im Konflikt zwischen den pro-habsburgischen und den prosiebenbürgischen Ungarn gewannen erste die Oberhand; deshalb sahen sich die Osmanen zum Handeln veranlasst.2

Das Flachland der südosteuropäischen Tiefebene konnte rascher und einfacher eingenommen werden als die Berge. Die einzelnen Abschnitte dieser fragmentierten Landschaft waren bestimmte, voneinander abgegrenzte Gebiete mit jeweils eigener politischer und militärischer Dominanz. Während die sumpfigen Ebenen zwischen Theiß, Mieresch und Donau, das westliche Banat, fast sofort nach dem Fall von Temeswar unter osmanische Herrschaft gelangten, wurden die Bergregionen im Osten, an der Grenze zur Walachei und zu Siebenbürgen sowie der Gürtel von Festungen nördlich des Mieresch nicht erobert. Ihre ungarischen Lehnsherren und die Verwaltung unter der Oberhoheit des siebenbürgischen Fürsten blieben bis weit ins 17. Jahrhundert unangetastet. Selbst nach 1658, als diese Randgebiete dem Sultan überlassen wurden, herrschten die Osmanen nur auf dem Papier über das Gebiet: Die Dorfbewohner, die wertvolle Abgaben leisteten, flohen nach Siebenbürgen, und die osmanischen Behörden waren bemüht, ihrer wieder habhaft zu werden.3

Die osmanische Neuordnung der Verwaltung

Einmal erobert, wurde das westliche Banat in das institutionelle Netz des Osmanischen Reichs als eyalet von Temeswar eingebunden und dadurch eine neue gesellschaftliche sowie administrative Hierarchie über die alten ungarischen Strukturen gelegt. Die Namen waren neu, die Gesetze anders, doch die grundsätzlichen Forderungen an die Bewohner uralt: Sie sollten Abgaben leisten. Die neuen Herren wollten dasselbe wie die alten, nur in neuem Gewand.

Der beylerbeyi (Provinz-Gouverneur) stand nun dem neu gegründeten eyalet vor– wäre er ein paşa (Pascha) gewesen, hätte man das Gebiet paşalık genannt – und residierte in Temeswar. Das Gebiet war in Verwaltungseinheiten unterteilt, deren Größe von den sancaks, den größten, bis zu den nâhyie, den kleinsten, abnahm. Im Sinne der Effizienz waren die neuen Einheiten an der vorherigen administrativen Einteilung ausgerichtet,4