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Joe Bausch

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Beschreibung

Als Rechtsmediziner Dr. Joseph Roth beugt er sich im Kölner Tatort mit grünem Kittel mürrisch über Leichen. Nach Drehschluss fährt er zurück in sein richtiges Leben: Seit über 25 Jahren arbeitet Joe Bausch als Gefängnisarzt in Werl, einer der größten deutschen Justizvollzugsanstalten.Die Häftlinge vertrauen ihm. Sie erzählen von den dunklen Seiten des Lebens, lassen ihn tief in die Abgründe ihrer Seele blicken. Hautnah erlebt er Konflikte und Tragödien: Ein Mann in U-Haft hat Angst um seine schwangere Frau. Bei Joe Bausch legt er eine Lebensbeichte ab – und erhängt sich zwei Tage später. Ein Mörder gesteht weitere Verbrechen, weil er weiß, dass sein Arzt an die Schweigepflicht gebunden ist. Persönlich und eindringlich erzählt Joe Bausch zum ersten Mal von einer Welt mit ihren eigenen Regeln.

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Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

ISBN 978-3-8437-0217-1

2012 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Alle Rechte vorbehalten Lektorat & Redaktion: Heike Gronemeier, München Satz und eBook: LVD GmbH, Berlin

Für meine Tochter Laura Anjulie

Dieses Buch befasst sich mit dem Alltag in deutschen Gefängnissen, nicht mit individuellen Biographien. Es handelt vom Zustand des Strafvollzugs, nicht von Einzelschicksalen. Auch dort, wo über abstrakte und typisierte Beschreibungen des Gefängnislebens hinaus Beispiele geschildert werden, hat der ­Au­tor seine Erfahrungen so verfremdet, dass sie niemandem zuzuordnen sind. Die geschilderten Fälle beschreiben also keine lebenden oder toten Personen; sie haben sich nicht zugetragen, hätten sich aber so wie beschrieben zutragen können.

Von Greueln flüstert man – und Taten unnatürlich erzeugen unnatürliche Zerrüttung. Die kranke Seele will ins taube Kissen entladen ihr Geheimnis.

Arzt über Lady Macbeth

Prolog

Seit fünfundzwanzig Jahren bin ich Arzt im Knast. Rechne ich 220 Arbeitstage im Jahr und die Zeiten für Nacht-, Wochenend- und Bereitschaftsdienste zusammen, habe ich bis heute gut zwölf Jahre meines Lebens hinter Gittern verbracht. Hätte mir das jemand vor dreißig Jahren prophezeit, ich hätte ihn ausgelacht. Damals träumte ich davon, als Flying Doctor in Australien zu arbeiten. Die endlose Weite dieses Landes war für mich der Inbegriff von Freiheit und Selbstbestimmung. Von Enge hatte ich weiß Gott die Schnauze voll: das kleine Dorf im Westerwald, aus dem ich stamme, die starren Familienstrukturen, überhaupt das ganze System, in dem ich während der fünf­ziger und sechziger Jahre groß geworden bin – alles war irgendwie reaktionär. Mein Weg schien vorgezeichnet. Als ältester Sohn sollte ich den Bauernhof meines Vaters übernehmen oder wenigstens katholischer Priester werden. Der Großbauer, der Pfarrer, das waren die Respektspersonen auf dem Dorf. Meine Freiheit habe ich mir hart erkämpfen müssen. Das Aufwachsen auf einem Bauernhof kann im Rückblick etwas sehr Romantisches haben. Tatsächlich war das Leben hart, wir Kinder mussten früh mit anpacken. Der Besuch des Gymnasiums war keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Privileg, das ich mir sauer verdienen musste. Der Hof, die Kirche und die Schule bildeten die drei Eckpfeiler, zwischen denen ich mich bewegte. Mehr Spielraum war nicht. Heute weiß ich, dass mir das Aufwachsen in diesen starren Strukturen dabei geholfen hat, frei zu sein. Zwänge entwickeln einen unguten Sog; aber wer es schafft, sich dagegenzustemmen, aufzubegehren und auf sich selbst zu vertrauen, bekommt eine Menge Rüstzeug für das Leben mit. Deshalb ist es auch gar nicht so paradox, dass ich meine Freiheit in gewisser Weise wieder an den Nagel gehängt habe. Ich bin im Knast gelandet, eine größere Enge gibt es nicht. Aber ich habe mich aus freien Stücken dafür entschieden – meinem ­Lebensmotto folgend: »Es gibt einen Weg, den nur du gehen kannst. Frag nicht, wohin er dich führt. Geh ihn!« Es ist etwas anderes, wenn man einen Pfad beschreiten muss, den andere vorab markiert haben.

Heute bin ich der Hausarzt von Sicherungsverwahrten, von Mördern, Kinderschändern, Totschlägern, Vergewaltigern, Erpressern, Räubern, Drogendealern, Betrügern und Dieben. Ich bin RAF-Terroristen begegnet, ehemaligen KZ-Wärtern, hochkarätigen Wirtschaftskriminellen, Heiratsschwindlern, Brandstiftern und Frauen, die ihr Baby umgebracht haben. Aber auch vielen Eierdieben.

Etwas anderes als Arzt hätte ich im Knast niemals sein wollen. Auch nach fünfundzwanzig Jahren nicht. Der Beruf des Arztes ist ein freier Beruf, er gewährt ein hohes Maß an Selbstbestimmung – außerhalb der Mauern und auch dahinter. Ein Arzt im Knast genießt Ansehen und Respekt, wenn er seinen Job gut macht und mit den Abläufen vertraut ist. Wenn er ­be­reit ist, seinen Rücken auch schon mal für seine Patienten breitzumachen, sprich: wenn er sich gegebenenfalls auch mit Anstaltsleitern, Psychologen, Sozialarbeitern, den Mitarbeitern von Sicherheit und Ordnung und nicht zuletzt mit dem uniformierten Dienst argumentativ auseinandersetzt. Auch wenn es nicht immer leicht ist, seine Unabhängigkeit zu wahren und sich dennoch einzumischen.

Mir macht es Freude, mit schwierigen Patienten umzugehen, ihre brüchigen Lebensläufe zu studieren und mich – anders als im Film oder auf der Bühne – mit realen Figuren zu beschäftigen, die plötzlich in der schlimmsten Tragödie ihres Lebens angekommen sind. Da geht es nicht um Fiktion oder irgendwelche Bagatellen. Im Knast ist alles echt. Das Leben hinter Gittern mag sich zwar hin und wieder um etwas drehen, was ich bereits im Theater gesehen oder sogar selbst auf der Bühne dargestellt habe. Aber hier stehst du nicht mehr auf Brettern, die die Welt bedeuten. Hier stehst du knöcheltief in der Scheiße, bist konfrontiert mit einer Realität, die dir alles abverlangt. Als Arzt im Knast bin ich verpflichtet, einen Menschen, dessen Taten ich womöglich zutiefst verurteile, als »normalen Patienten« zu betrachten. Hier sitzt ein Mensch, der meiner Hilfe bedarf. Ein armes Schwein, das im Knast an einer Krebserkrankung sterben wird. Das sich vor Schmerzen windet, nur noch ein Häufchen Elend ist. Auf seiner Akte prangt »Lebenslang«; wenn ich sie durchblättere, weiß ich, dass er wegen eines grausamen Doppelmordes zu Recht einsitzt. Wenn ich genauer lese, ergibt sich ein Gesamtbild; wie in einem Puzzle fügt sich ein Teil zum anderen. In den Biographien der Scheiternden zeigen sich menschliche Abgründe am exemplarischsten. Als Arzt im Knast kommt man diesen Abgründen sehr nahe. Sich davon abzugrenzen und dennoch die Fähigkeit zur Empathie nicht zu verlieren, ist wohl die größte Schwierigkeit. Ich bin der Überzeugung, dass mir mein zweites Leben als Schauspieler dabei hilft.

Das Theater, der Film, bildet immer auch ein Stück weit die Gesellschaft ab. Zeigt Ausschnitte einer inszenierten Wirklichkeit. Der Knast ist die Realität, ein Spiegel der gesamten Gesellschaft. Was hier angeschwemmt wird, gehört keineswegs nur zum Bodensatz Deutschlands, zur Unterschicht einer glo­balisierten Gesellschaft. Hier kommt es zu einem Frontal­zusammenstoß von Welten, die in Freiheit keinerlei Berüh­rungspunkte hätten. Das Einzige, was die Häftlinge eint, ist die Tatsache, dass sie mehr oder minder schwer gegen das Gesetz verstoßen haben. Wenn so unterschiedliche Charaktere auf engstem Raum zusammentreffen, sind Konflikte vorprogrammiert. Und ich als Arzt hinter Gittern bin oft die letzte vermittelnde Instanz. Ich bin für viele Häftlinge eine Vertrauensperson. Ich unterliege der Schweigepflicht, und das wissen auch die Täter, die im Knast einsitzen. Wir reden nicht nur über die Erkrankung, wegen der sie in meine Sprechstunde gekommen sind. Wir reden über das Leben, über die Straftat oder über den Druck, der im Knast herrscht. Als Arzt komme ich meinen kriminellen Patienten viel näher als mancher Anwalt oder Seel­sorger. Als Arzt muss ich darüber entscheiden, wer wie lange ineiner Beruhigungszelle eingesperrt bleiben soll, ich sehe die Auswirkungen schlimmster Misshandlungen, muss gegensteuern,wenn jemand an der Haftsituation zu zerbrechen droht. Manchmal habe ich das Gefühl, der Knast ist der Vorhof zur Hölle.

Dass ich an dieser Belastung noch nicht gescheitert bin, mag daran liegen, dass ich eine Art Doppelleben führe. Ich bin seit über zehn Jahren für das deutsche Fernsehen jener Mann im grünen Kittel, der sich im Kölner »Tatort« über Leichen beugt, nach dem ärztlichen Befund befragt wird und in knapper, zuweilen mürrischer Sprache Auskunft gibt. Nach der ­letzten Einstellung bei den Dreharbeiten ziehe ich den Kittel wieder aus und kehre in jene Strafvollzugsanstalt nach Südwestfalen zurück, wo ich mich seit fünfundzwanzig Jahren um knapp neunhundert Inhaftierte kümmere. Ich bin TV-­Pathologe und Gefängnisarzt in einer Person, und man könnte sagen, ich gebe im Fernsehen lediglich etwas von dem wieder, was ich hinter hohen Gefängnismauern tagtäglich praktiziere. Den TV-Gerichtsmediziner sehen sonntags bis zu zehn Mil­lionen Menschen über den Schirm flimmern. Den Gefäng­nisarzt, der seine Arbeit in einem uralten Knast verrichtet, sieht außerhalb der Mauern kein Schwein. Mir hat die Kom­bination mit der Schauspielerei geholfen, den Beruf des Gefängnisarztes so lange auszuhalten und dabei nicht zynisch zu werden.

Knast ist keine Autobiographie. Auch wenn mein eigener, auf den ersten Blick etwas unorthodoxer Lebenslauf sicher maßgeblich dazu beigetragen hat, dass ich heute als Arzt im Knast arbeite. Den Bausch im Knast gäbe es nicht ohne den Bausch auf der Bühne. Als junger Schauspieler am Theater war ich fasziniert von Regisseuren wie Zadek, habe alles aufgesogen, was irgendwie schräg war, authentisch, das pralle Leben. Im Knast schlägt es dir mit viel größerer Wucht entgegen. Du kannst dich nicht entziehen, hinter deiner Rolle verstecken. Ein Gefängnis ist eine hermetisch abgeriegelte Welt. Nur bei spektakulären Zwischenfällen hebt sich der Vorhang ein wenig, die »von draußen« können einen kurzen Blick erhaschen. Wie dieser Mikrokosmos tatsächlich funktioniert, erfährt man nicht. Wie schwer es ist, den Knast im Knast auszuhalten. Die Isolation, das System der Hackordnung unter den Häftlingen, die Spannungen, die beinahe körperlich spürbar sind, sobald das Haupttor hinter einem zufällt. Was macht das mit einem Menschen, der hier einsitzt oder auch nur hinter den Mauern einer JVA arbeitet? Als Schauspieler muss ich mich mit Haut und Haaren auf eine Rolle einlassen und meine eigene Persönlichkeit zurücknehmen. Als Arzt im Knast kann ich nur bestehen, wenn ich mich selbst akzeptiere – mit all meinen Stärken und Schwächen. Wenn ich mir meiner sicher bin und frei, wenn ich die Würde der Gefangenen respektiere.

Nirgendwo habe ich mehr über Moral, Menschlichkeit und Menschenwürde gelernt als in meinem Elternhaus und im Theater.

Und nirgendwo wurde ich schwerer geprüft als im Knast.

Arzt im Knast I

Der erste Gang

Im Februar1987 machte ich mich zum ersten Mal auf den Weg von Bochum zur Justizvollzugsanstalt Werl, um meinen zukünftigen Arbeitsplatz in Augenschein zu nehmen. Der Weg zum Gefängnis war wohl aus Rücksicht auf das Image der Stadt damals noch nicht ausgeschildert. Alles, was ich wusste, war, dass der Knast irgendwo am Langenwiedenweg liegt. Schon nach kurzer Zeit hatte ich mich heillos verfahren, weshalb ich einen Passanten nach dem Weg fragte. Der grinste nur und meinte, da hätte ich wohl noch ein ganzes Stück vor mir: Er habe schon einige gesehen, die seien vor ein paar Jahren hier entlanggefahren und seien bis heute noch nicht zurückgekommen. Haha! Wirklich ein guter Witz. Am Ende hat er mir dann doch den richtigen Weg gewiesen, und kurze Zeit später tauchte vor mir das gewaltige Areal auf.

Die JVA befindet sich auf einem knapp fünfzehn Hektar großen Gelände, die ältesten Gebäude stammen aus dem Jahr 1906. Ein altehrwürdiger Kasten mit drei Hafthäusern, in denen rund 630Einzel- und 240Gemeinschaftszellen untergebracht sind. Nach dem Zweiten Weltkrieg diente Werl den Alliierten als Knast für verurteilte Kriegs- und NS-Verbrecher; bis 1969 war es ein berüchtigtes Zuchthaus, spezialisiert auf harte Fälle. Ständig modernisiert und erweitert, ist Werl heute eine der größten Justizvollzugsanstalten in Deutschland.

Und hier sollte ich nun also arbeiten, als Hausarzt all derer, die man früher gerne als »Abschaum der Nation« bezeichnete. Ich hatte gemischte Gefühle und nur unter der Bedingung zugesagt, dass ich von einem Tag auf den anderen kündigen könne, denn ich war mir nicht sicher, ob ich diese Aufgabe packen würde. Klar, sie war spannend und interessant, eine große Herausforderung. Doch der Job erschien mir wie der berühmte Sprung ins kalte Wasser. Außer einem erfolgreich absolvierten Medizinstudium hatte ich kaum etwas vorzuweisen, meine praktischen Erfahrungen ich hatte bereits zwei Jahre als Assistenzarzt in einem Krankenhaus und einer Privatklinik gearbeitet wirkten angesichts der Größe der neuen Aufgabe beinahe kläglich. Ich sollte zunächst zweimal in der Woche Sprechstunden für Strafgefangene abhalten, die mit allen Wassern gewaschen waren und jede Unsicherheit vermutlich gnadenlos ausnutzen würden. Wie ich zu ihnen ein Vertrauensverhältnis aufbauen sollte, war mir schleierhaft. Zumal ich zumindest in der Anfangszeit sicher von allen Seiten kritisch unter die Lupe genommen werden würde. Nicht nur von den Häftlingen, auch von den übrigen Ärzten, den Pflegern und den Bediensteten. Das liegt in der Natur der Sache, im Knast muss man einfach auf der Hut sein, bis man weiß, wie der andere tickt.

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