KOFA-Manual - Kitty Cassée - E-Book

KOFA-Manual E-Book

Kitty Cassée

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Beschreibung

Das vorliegende Handbuch konkretisiert die kompetenzorientierte Methodik, die Kitty Cassée in ihrem Buch "Kompetenzorientierte Methodiken" (2019) umfassend dargestellt hat, für die aufsuchende Arbeit mit Familien. Die 4. Auflage wurde nochmals erweitert: Neben den Erkenntnissen aus der Risikoeinschätzung bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung, die in der 3. Auflage neu dargestellt wurden, enthält diese Auflage ein neues Kapitel zu den Themen Bindung und Bindungstraumatisierung. Diese theoretischen Bausteine ermöglichen einen geschärften Blick auf die biografischen Ereignisse und eröffnen neue Perspektiven für das Fallverstehen. Die Arbeitsschritte in der kompetenzorientierten Familienarbeit (KOFA) mit den dazugehörenden theoretischen Grundlagen, Instrumenten, Methoden und Techniken werden systematisch eingeführt und mit Übungsbeispielen veranschaulicht. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der nunmehr vier KOFA-Interventionsmodule "KOFA-6-Wochen", "KOFA-6-Monate", "KOFA-6-Monate-PLUS" sowie "KOFA-Schule" werden dargestellt, und die Frage der Indikation für diese Module wird erörtert. Die Grundlagen für die Implementierung der KOFA-Methodik in Organisationen sowie der Aufbau und die Arbeitsweise eines KOFA-Teams bilden den Schluss des Manuals. Zusammen mit Vorgaben für die Evaluation mit Follow-up-Instrumenten wird ersichtlich, wie die KOFA-Methodik die Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität der aufsuchenden Familienarbeit sicherstellen kann.

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Seitenzahl: 361

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Kitty Cassée                                                                              KOFA-Manual

Kitty Cassée

KOFA-Manual

Handbuch für die kompetenz- und risikoorientierte Arbeit mit Familien

4., erweiterte Auflage

Haupt Verlag

[4] Kitty Cassée, Prof. Dr. phil., in Holland geboren, studierte in Holland und in der Schweiz (Medizin, Soziologie, Sozialpsychologie und Sozialpädagogik). Sie lehrte und forschte an der Universität Zürich und leitete verschiedene Forschungsprojekte im Bereich der stationären Kinder- und Jugendhilfe. Von 1981–2010 arbeitete sie als Dozentin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Departement Soziale Arbeit, mit folgenden Schwerpunkten: Kinder- und Jugendhilfe, Sozialisationstheorie, Theorien sozialer Probleme, Professionalisierung, Handeln in sozialen Organisationen, Konzeptentwicklung und Methoden, Sozialarbeitsforschung. Sie entwickelte und leitete den Masterstudiengang Kinder- und Jugendhilfe bis zur Gründung des Instituts kompetenzhoch3 im Jahr 2010. Das Institut mit Sitz in Zürich (Schweiz) entwickelt, implementiert und evaluiert Handlungsmodelle / Methodiken für die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien.

www.kompetenzhoch3.ch

Redaktion und Satzerstellung durch die Autorin

4. Auflage: 2019

3. Auflage: 2015

2. Auflage: 2009

1. Auflage: 2008

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

ISBN 978-3-258-08123-6 (Buch)

ISBN 978-3-258-48199-9 (EPUB)

Alle Rechte vorbehalten.

Copyright © 2008 Haupt Bern

Umschlaggestaltung: Pool Design, Zürich

Jede Art der Vervielfältigung ohne Genehmigung des Verlages ist unzulässig.

E-Book Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.haupt.ch

Inhalt

Vorwort zur 4. Auflage

Vorwort zur 3. Auflage und Dank

Einleitung

Grundlagen

1. KOFA: Kompetenz- und risikoorientierte Arbeit mit Familien

1.1 Paradigmawechsel in der Arbeit mit belasteten Familien

1.2 KOFA ist eine Methodik

1.2.1 Modell für den ganzen Hilfeprozess
1.2.2 KOFA-Methodik: Entwicklung und Implementierung
1.2.3 Manualisierung
1.2.4 Evaluationsstudien

1.3 KOFA ist kompetenzorientiert

1.4 Grundlagen und Handlungsorientierungen

1.4.1 Rechtliche Grundlagen
1.4.2 Fachliche Orientierungen
1.4.3 Methodiktreue/Qualitätssicherung

1.5 Welche Hilfe für wen?

1.5.1 Indikation
1.5.2 Merkmale von KOFA

1.6 Gute Informationen als Basis

2. Theoretische Grundlagen

2.1 Sozialisationstheorie: PIU

2.1.1 Multisystemische Perspektive
2.1.2 Familie als zentrales Sozialisationssystem
2.1.3 Schule als Sozialisationssystem

2.2 Entwicklungstheorien

2.2.1 Entwicklung als Interaktionsprozess zwischen Mensch und Umwelt
2.2.2 Grundlegende Entwicklungsbedürfnisse
2.2.3 Schutz- und Risikofaktoren der Entwicklung
2.2.4 Entwicklungsaufgaben

2.3 Bindung als entwicklungstheoretisches Konzept

2.3.1 Die Bedeutung von Bindung
2.3.2 Bindungsrepräsentationen
2.3.3 Bindungsentwicklung
2.3.4 Bindungstypen
2.3.5 Bindungstraumatisierung
2.3.6 Bindungsförderung in der Arbeit mit Familien

2.4 Lerntheorien

2.4.1 Die klassische Lerntheorie
2.4.2 Die operante Lerntheorie
2.4.3 Die soziale Lerntheorie
2.4.4 Die kognitive Lerntheorie
2.4.5 Die Selbstmanagementtheorie

2.5 Handlungstheoretische Bausteine

2.5.1 Informationen aus vorliegenden Dokumenten: Transparenz
2.5.2 Beobachtung
2.5.3 Kommunikation gestalten
2.5.4 Verstehend-empathische Gesprächstechnik
2.5.5 Beobachtung aus zweiter Hand
2.5.6 Sokratische Gesprächsführung
2.5.7 Psychoedukative Gesprächsführung
2.5.8 Motivierende Gesprächsführung
2.5.9 Konfrontative Gesprächsführung

3. Risikoorientierung

3.1 Risikoprozesse beurteilen

3.2 CARE: strukturierte Risikoeinschätzung

3.3 RE-KipE: Risikoeinschätzung für Kinder psychisch kranker Eltern

4. KOFA: Module und Phasen

4.1 Standardmodule

4.1.1 Modulbeschreibung KOFA-Intensivabklärung
4.1.2 Modulbeschreibung KOFA-Abklärung
4.1.3 Modulbeschreibung KOFA-6-Wochen
4.1.3 Modulbeschreibung KOFA-6-Monate und KOFA-6-MonatePLUS
4.1.4 Modulbeschreibung KOFA-Schule
4.1.5 KOFA-maßgeschneidert

4.2 Phasen

Diagnostikphase

5. Prozessgestaltung in der Diagnostikphase

5.1 Auftragsklärung und fachliche Qualität

5.2 Aufbau einer Arbeitsbeziehung

5.3 Instrumente für die Informationssammlung

5.4 Fallverstehen und Indikation

5.4.1 Fallverstehen: Schritte für die Gesamteinschätzung
5.4.2 Validieren der Gesamteinschätzung und Ableiten der Indikation
5.4.3 Kompetenzorientierte Diagnostik als integrative Diagnostik

5.5 KOFA-Berichte

5.5.1 KOFA-Intensivabklärung: Abklärungsbericht
5.5.2 Abklärungsbericht
5.5.3 Indikationsbericht

5.6 Handlungsziele und Arbeitspunkte erarbeiten

5.6.1 Ziele priorisieren
5.6.2 Weitere Ziele erarbeiten

5.7 SMART-Ziele und Arbeitspunkte

Arbeitsphase

6. Aufgaben erleichtern

6.1 Praktische Hilfe

6.2 Materielle Hilfe und Arbeitsgeld

6.3 Arbeit an Stressoren im Alltag

7.Neue Fähigkeiten erwerben

7.1 Feedback

7.2 Die Verhaltensanweisung

7.3 Modell Stehen

7.4 Die Verhaltensübung

7.5 Fähigkeiten generalisieren

7.6 Zusätzliche Aufgaben einführen

8. Gedanken und Gefühle beeinflussen

8.1 Störende und helfende Gedanken

8.2 Techniken für den Umgang mit Gefühlen

8.2.1 Gefühle erkennen und benennen
8.2.2 Gefühle steuern: Das Thermometer und die Erste-Hilfe-Karte

9.Alltagsprobleme lösen

9.1 Kleine Brötchen backen!

9.2 Bleistift- und Papier-Training

9.2.1 Bleistift- und Papier-Training mit der Familie
9.2.2 Bleistift- und Papier-Training mit einem einzelnen Familienmitglied

10. Erziehungsfähigkeit verbessern

10.1 Die Basisfähigkeiten

10.1.1 Beobachten
10.1.2 Kommunikationsfähigkeiten

10.2 Verhalten des Kindes als Fokus

10.3 Fähigkeiten der Eltern als Fokus

10.4 Verhalten von Jugendlichen als Fokus

10.5 Bedenken von Eltern

11. Das soziale Netzwerk aktivieren

11.1 Bedeutung des Netzwerkes

11.2 Fähigkeiten zur Aktivierung des Netzwerkes

11.3 Vermitteln in Konfliktsituationen: Netzwerkgespräch

Abschlussphase

12. Abschluss und Follow-up

12.1 Der geplante Abschluss

12.2 Der nicht geplante Abschluss

12.3 Die Anschlusshilfe

12.4 Berichterstattung

12.5 Evaluation: Prozessbeurteilung und Follow-up-Gespräch

12.5.1 Prozessbeurteilung
12.5.2 Follow-up-Befragung

Implementierung

13.Implementierung von KOFA

13.1 Konkrete Aufgaben für die Implementierung

13.2 Qualifikation der Mitarbeitenden

13.3 Qualitätsentwicklung

Literaturverzeichnis

Verzeichnis der Abbildungen

Verzeichnis der Tabellen

Vorwort zur 4. Auflage

[9] Gegenüber der 3. Auflage wurde diese 4. Auflage um die Themen Bindung und Trauma (Kap. 2.3) erweitert. Auf das Konzept der Mentalisierung wird hingewiesen, um die Rolle der Eltern (resp. der erwachsenen Bezugspersonen) im Erkennen und Befriedigen der grundlegenden Entwicklungsbedürfnisse von Kindern fachlich zu schärfen. Aus diesen neuen theoretischen Konzepten leiten wir lern- und veränderungsfördernde Interventionen ab, die von Fachpersonen in der Familienarbeit genutzt werden können. Im Literaturverzeichnis wurden entsprechende Ergänzungen vorgenommen.

In der Forschungszusammenarbeit mit der Pädagogischen Hochschule Nordwestschweiz (PH FHNW) wurde das Modul KOFA-Schule leicht modifiziert – die kleinen Anpassungen haben Eingang in diese vierte Auflage gefunden.

Im restlichen Text finden sich einige formale Korrekturen – die Inhalte sind gleich geblieben.

Werkzeugkoffer

Aus unserem transparenten und partizipativen Diagnostikverständnis heraus entwickelten wir 2017 einen kompetenzorientierten Werkzeugkoffer mit einer Fülle von didaktischen Materialien. Die Werkzeuge des Koffers unterstützen die Gestaltung eines aktivierenden Diagnostik- und Interventionsprozesses in belasteten Familien auf vielversprechende Art. Der Koffer liegt in einer Vollversion für unsere Partnerorganisationen vor, sowie in einer Teilversion mit Instrumenten für die Entwicklungsdiagnostik für interessierte Fachpersonen. Unter kompetenzhoch3.ch finden sich Hinweise auf Trainingsangebote für die Arbeit mit dem Werkzeugkoffer in der Schweiz. Auf Anfrage sind auch Weiterbildungstage im deutschsprachigen Ausland möglich.

Dank

Ich danke meinem Team für die bereichernden Diskussionen und das kritische Mitdenken. Spezieller Dank gebührt Lukas Bruderer, der als KOFA-Verantwortlicher im Institut die Weichen für die Weiterentwicklung der Methodik stellt, das Basiswissen in Trainings, Weiterbildungen und Coachings vermittelt und in verschiedenen Evaluationen einen wesentlichen Beitrag zur Qualitätssicherung von KOFA leistet. Meinem Stellvertreter, Donat Ruckstuhl, danke ich für die zielstrebige Weiterentwicklung des Werkzeugkoffers und die zukunftsorientierte Ausrichtung unserer Angebotspalette.

Ohne die konstruktive Zusammenarbeit mit unseren Praxispartnerinnen und -partnern in der konkreten Familienarbeit kann die KOFA-Methodik nicht weiterentwickelt und verbessert werden. In Entwicklungsgruppen, in Praxisforen und im direkten Kontakt setzen wir uns gemeinsam ein für

«gute Praxis» in der Familienarbeit – und das tun wir nun schon seit 15 Jahren. Allen Kolleginnen und Kollegen der ersten Stunde danke ich für die – durchaus auch kritische – Treue über die vielen Jahre. Ihnen allen wünsche ich zusammen mit den neu dazu gekommenen Kolleginnen und Kollegen gutes Gelingen im Feld der aufsuchenden Familienarbeit.

Zürich, Winter 2018

Kitty Cassée

Vorwort zur 3. Auflage und Dank

[11] Dieses Manual ist ein Handbuch für die aufsuchende Arbeit mit Familien. Nicht alle Familiensysteme verfügen über genügend Ressourcen und Fähigkeiten, um mit den anfallenden Aufgaben und Herausforderungen aus eigener Kraft fertig zu werden. Wenn spezielle Problemlagen in einer Familie vorliegen, wie Krankheit eines Elternteils, Arbeitslosigkeit, Armut, Verhaltensschwierigkeiten oder Delinquenz eines Kindes, kann die Situation eintreten, dass die Familie fachliche Unterstützung braucht. Die familialen Belastungen können so schwer werden, dass die Entwicklung der Kinder gefährdet scheint. In solchen Fällen müssen im Auftrag einer Behörde (in der Schweiz die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde KESB) die Entwicklungschancen und die Entwicklungsbedingungen des Kindes abgeklärt werden. KOFA – die kompetenzorientierte Arbeit mit Familien – stellt für die Abklärung und Intervention in Familien ein theoretisch begründetes und strukturiertes Handlungsmodell zur Verfügung, welches von mehreren Praxisorganisationen in vergleichbarer Weise genutzt werden kann.

Dieses Manual ist als Handbuch konzipiert, welches das professionelle Handeln von Praktikerinnen und Praktikern theoriegeleitet strukturiert, dokumentiert und einer systematischen Evaluation zugänglich macht. Es führt ein in die fachlichen Grundlagen der KOFA-Methodik und in die Prozessgestaltung mit Hilfe von qualitativen und quantitativen Instrumenten (z.B. Gesprächsleitfäden, Beobachtungsrastern, Tests, Berichtsvorlagen). Diese Instrumente haben sich seit der Erstentwicklung von KOFA bewährt und wurden auf der Basis von Evaluationsergebnissen und Praxiserfahrungen seit dem KOFA-Start im Jahr 2004 immer wieder neuen Erkenntnissen und Erfahrungen in der Praxis angepasst. KOFA ist spezifisch ausgestaltet als Modell für Praktikerinnen und Praktiker der Sozialen Arbeit.

Neu in der 3. Auflage: Risikoorientierung und neue Module

Die vorliegende 3. Auflage wurde umfassend bearbeitet. Gegenüber den vorhergehenden Auflagen wurde der Text neu gegliedert und aktualisiert. Als bedeutsame Neuerung enthält die 3. Auflage ein neues Kapitel zum Thema Risikoorientierung. Diese Erweiterung ist eine Antwort auf die Professionalisierung des Kindesschutzes und stellt Grundlagen und Instrumente bereit für die Risikobeurteilung bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung. Dazu wurde für die Arbeit von Kinderschutzbehörden und für Fachpersonen, die mit der Abklärung des Kindeswohls beauftragt sind, die Risikoorientierung in eine neue Modulvariante – KOFA-Intensivabklärung – integriert. So ist das KOFA-Manual in der 3. Version nicht nur ein Handbuch für die kompetenz-, sondern auch für die risikoorientierte Arbeit mit Familien.

Ein weiteres Modul entstand aus der Zusammenarbeit mit dem Bildungssystem. Das Modul KOFASchule ist spezifisch ausgerichtet auf jene Familien, die bei der Förderung eines Kindes für schulische Aufgaben überfordert sind. Es enthält – nach einer verkürzten und neu gestalteten Diagnostikphase

– kurze Interventionen im Familiensystem zur Verbesserung der Lernvoraussetzungen des Kindes bei schulischen Aufgaben.

Kooperation mit der Praxis

[12] Seit dem Start von KOFA im Jahr 2004 ist die Zahl der KOFA-Praxisorganisationen stetig gestiegen. Heute arbeiten ca. 20 Organisationen mit der KOFA-Methodik. Mit diesen KOFA-Praxisorganisationen besteht ein regelmäßiger Kontakt z.B. in den Praxisforen, bei Coachings, in den Mitarbeitertrainings etc. Hier werden Erfahrungen und Anliegen ausgetauscht und gemeinsam für die Weiterentwicklung von KOFA genutzt. Ohne die Zusammenarbeit mit diesen Praxisorganisationen hätte die KOFA-Methodik nicht weiterentwickelt und dieses Manual nicht geschrieben werden können. Eine erfreuliche Entwicklung sehe ich darin, dass stationäre Einrichtungen für die Arbeit mit Familien vermehrt mit der KOFA-Methodik arbeiten (in Kombination mit KOSS: Kompetenzorientierte Arbeit in stationären Settings).

Dank

Das KOFA-Manual entstand auf der Basis holländischer Quellen, die von mir in den letzten Jahren für den deutschsprachigen Kontext angepasst, erweitert und erprobt wurden. Ich danke meinen Kolleginnen und Kollegen von PI Research in Duivendrecht NL für die anregende Zusammenarbeit. Mein spezieller Dank geht an Han Spanjaard und Marianne Haspels, Autor/Autorin des holländischen Handbuchs für Families First (Spanjaard, H. & Haspels, M, 2005). Das KOFA-Manual in der 3. Auflage hat Impulse der ursprünglichen Families-First-Konzepte sowie des Kompetenzmodells aufgenommen, diese aber weiterentwickelt auf der Basis deutschsprachiger Literatur, eigener Evaluationen und Erfahrungen mit Praxispartnern. So entstanden neue KOFA-Module, die zugeschnitten sind auf den deutschsprachigen Kontext.

Donat Ruckstuhl und Tessa Porges waren bedeutsame Gesprächspartner für den nun vorliegenden Text. Tessa Porges hat zudem den Text – zusammen mit meinem Mann – schlussredigiert, wofür ich ihnen sehr dankbar bin. Meinem Mann danke ich auch dafür, dass er mich in intensiven Schreibphasen entlastet und ermutigt hat.

Ausblick

Ich freue mich, das KOFA-Manual – zehn Jahre nach den ersten Entwicklungsschritten – in einer aktualisierten und erweiterten Version für Praxis und Ausbildung vorlegen zu können. Meine Vision: In der Arbeit mit Familien wird als Standard mit Methodiken gearbeitet. Fachstellen der Familienarbeit ist es damit möglich, die Familienarbeit fachlich vergleichbar und transparent zu gestalten und zu begründen und die Wirkungen systematisch zu evaluieren.

Zürich/Brezzo di Bedero, Winter 2014/2015

Kitty Cassée

Einleitung

An wen richtet sich dieses Buch?

[13] Dieses Buch präsentiert eine Methodik für die aufsuchende Sozialarbeit in Familien, welche aus verschiedenen Gründen die Anforderungen des Alltags nicht in genügendem Maß aus eigener Kraft bewältigen können. Es richtet sich dementsprechend an Personen und Fachorganisationen, die in der Kinder- und Jugendhilfe tätig sind, sowie an zuweisende und finanzierende Stellen, welche Interventionen in Familien begründen, planen, begleiten und finanzieren. Es ist zudem gedacht für Dozierende und Studierende der Sozialen Arbeit/Sozialpädagogik auf Tertiärstufe (Höhere Fachschulen, Bachelor- und Masterausbildung auf Fachhochschulniveau), die an diesen Inhalten interessiert sind resp. die sich für die aufsuchende Arbeit mit Familien qualifizieren wollen.

Das Manual präsentiert – neben den drei bestehenden und leicht modifizierten Standardmodulen für die kompetenzorientierte Familienarbeit – neue Module, die den aktuellen Bedarf in der aufsuchenden Familienarbeit aufnehmen:

> ein Modul für Intensivabklärungen im Bereich Kindesschutz: KOFA-Intensivabklärung

> ein Modul zur Unterstützung von Familien im Kontakt mit der Schule: KOFA-Schule

Qualitätssicherung und Weiterentwicklung

KOFA konnte sich in den letzten zehn Jahren etablieren und hat zusammen mit Partnerorganisationen Standards für die Familienarbeit in Form einer Kooperationsvereinbarung formuliert. Die sechs in diesem Manual beschriebenen Module (mit Anpassungen an die Bedingungen und Möglichkeiten der jeweiligen KOFA-Fachstelle) sowie maßgeschneiderte Modulvarianten dürfen von jenen Anbietern mit der Bezeichnung KOFA versehen werden, welche mit dem Institut kompetenzhoch3 eine entsprechende Kooperationsvereinbarung abgeschlossen haben. Diese KOFA-Praxisorganisationen sind auf der Homepage des Instituts aufgeführt (www.kompetenzhoch3.ch) und engagieren sich für die Qualitätssicherung und Weiterentwicklung von KOFA. Alle anderen Varianten von aufsuchender Familienarbeit, die einzelne Instrumente aus diesem Handbuch verwenden, gelten nicht als KOFAAnbieter mit evidenzbasierter und vergleichbarer Prozessgestaltung. Diese Angebote dürfen die Bezeichnung KOFA nicht führen.

Das Manual stellt neben den KOFA-Modulen Grundlagen und Materialien bereit für andere Interventionsvarianten in Familien wie z. B.:

> für die Arbeit mit Familien im Rahmen stationärer Settings (Heime, Wohngruppen, Kliniken)

> für die Rückplatzierung nach einem stationären Aufenthalt (z. B. von Eltern nach einem Klinikaufenthalt sowie von Kindern und Jugendlichen nach einem Heimaufenthalt)

> für die Kompetenzerweiterung von Eltern resp. Elternteilen, die mit ihrem Kind in einem stationären Setting leben und nach dem Austritt weiter betreut werden (z. B. Mutter-Kind-Stationen)

[14] Sofern die Anbieter solcher KOFA-Varianten mit dem Institut kompetenzhoch3 eine Vereinbarung abgeschlossen haben, sind sie berechtigt, die KOFA-Bezeichnung für diese Angebote zu verwenden.

Handbuch für die Praxis und für erfahrene Fachpersonen

Das Buch ist kein Lehrbuch, das in erster Linie theoretische Ansätze umfassend vermittelt. Die für die Kompetenzorientierung bedeutsamen Referenztheorien werden eingeführt und eingeordnet, können jedoch im Rahmen eines auf die praktische Anwendung ausgerichteten Manuals nicht vertieft dargestellt werden. Weil es in diesem Manual um Interventionen in Familien geht, werden Grundlagen zum Thema Familie pragmatisch dargestellt, so dass sie als fachliche Basis in der Familienarbeit genutzt werden können.

Der Text richtet sich an ausgebildete und teilweise erfahrene Fachpersonen resp. an Personen in Ausbildung, die bereits über hinreichendes Fachwissen verfügen und Wissenslücken selbständig füllen können. Vertiefungen und ein ausführliches Literaturverzeichnis finden sich auch in Cassée, 2010.

Aufbau

Das Buch ist in fünf Hauptteile gegliedert:

> Im Teil «Grundlagen» wird dargestellt, was eine Methodik ist, und welche theoretischen Grundlagen in der KOFA-Methodik integriert sind. Es werden die Konzepte Risikoorientierung und Kompetenzorientierung erläutert, die in der Beschreibung der verschiedenen KOFA-Module konkretisiert werden. Als Bestandteil der Entwicklungstheorien werden die Konzepte Bindung und Trauma neu eingeführt und mit dem Konzept der Mentalisierung (neues Kap. 2.3) verknüpft. Die Gesprächstechniken werden mit dem Modell der Motivierenden Gesprächsführung ergänzt (Kap. 2.5.8).

> Im folgenden Teil «Diagnostikphase» werden die Schritte und Instrumente zur Sammlung von Informationen über die Familiensituation beschrieben. Zudem wird erläutert, wie mit Hilfe dieser Informationen konkrete Ziele und Arbeitspunkte für die nachfolgende Arbeitsphase in Kooperation mit dem Familiensystem erarbeitet werden können. Die Prozessgestaltung für das Fallverstehen und die Indikation wurden neu strukturiert (Kap. 5.4).

> Der Teil «Arbeitsphase» legt dar, durch welche Techniken und Methoden die Veränderungsprozesse in Familien unterstützt, und wie Eltern und Kinder befähigt werden können, ihren Alltag aus eigener Kraft zu bewältigen.

> Der Teil «Abschlussphase» erläutert den geplanten und den nicht geplanten Abschluss einer Intervention, sowie die Instrumente für die Evaluation: die Prozessbeurteilung (neu) und die Follow-up-Befragung zur Wirkungsüberprüfung.

> Der letzte Teil «Implementierung» formuliert die Anforderungen an Fachstellen und Organisationen, welche KOFA-Module anbieten (wollen). Es handelt sich um Hinweise auf den Einführungsprozess einer Methodik sowie auf Anforderungen an die Leitungspersonen und die Familienarbeitenden einerseits, an die Programmtreue und die Qualitätssicherung andererseits.

Trainings/Fallbegleitung

[15] Die für die Arbeit mit der KOFA-Methodik benötigten Kompetenzen werden in Gruppentrainings erworben, die im Institut kompetenzhoch3 in Zürich angeboten werden. Auf Wunsch werden in Organisationen, die mit KOFA arbeiten wollen, auch Inhouse-Trainings gestaltet. Das siebentägige Basistraining steht regelmäßig auf dem Programm – Vertiefungstrainings, Fresh-up-Trainings und Weiterbildungstage zu verschiedenen Themen werden bei Bedarf angeboten. Neben Intervisionsgruppen finden regelmäßig Fallcoachings und Fallseminare/Fallpräsentationen statt. Für Teamleiter/innen resp. für Stellenleiter/innen werden Weiterbildungen zur Fallbegleitung und für das Coaching des eigenen Teams angeboten. Aktuelle Informationen zu den laufenden und geplanten Angeboten finden sich unter kompetenzhoch3.ch/pages/termine. Als fachlicher Standard gilt: Nur Personen, die das Basistraining absolviert haben und bei ihren KOFA-Einsätzen fachlich begleitet werden, sind berechtigt, KOFA-Interventionen durchzuführen.

Downloads

Die Kompetenzorientierung kennt eine Reihe von Standardinstrumenten, die zur Facharbeit in den jeweiligen KOFA-Modulen eingesetzt werden. Die Standardinstrumente werden in Cassée (2019) eingehender erläutert und in diesem KOFA-Manual spezifisch auf die aufsuchende Familienarbeit nach der KOFA-Methodik zugeschnitten. Die Arbeit mit den Instrumenten ist anspruchsvoll und wird in den Basistrainings vermittelt. Die Praxisorganisationen tragen bei zur fachlichen Weiterentwicklung der Methodik und der erfahrungsbasierten Anpassungen in den Instrumenten. Die Instrumente sind aus diesem Grunde geschützt. Fachpersonen mit einem KOFA-Zertifikat und Praxisorganisationen mit einer Kooperationsvereinbarung erhalten Zugang zu den geschützten Downloads. In begründeten Fällen wird der Zugang zu den Instrumenten weiteren Fachpersonen ermöglicht – interessierte Kolleginnen und Kollegen können sich unter [email protected] melden.

Grundlagen

1. KOFA: Kompetenz- und risikoorientierte Arbeit mit Familien

1.1 Paradigmawechsel in der Arbeit mit belasteten Familien

[19] Familien befähigen statt Familien ersetzen: unter diesem Motto fand in den letzten Jahren ein tiefgreifender Wandel in der Hilfe für belastete Familien statt (Cassée, 2019). Dieser Paradigma-wechsel vollzog sich im deutschsprachigen Raum in großem Stil – aus fachlichen Gründen, aber auch beschleunigt durch die Finanzknappheit der öffentlichen Hand. Für den Zeitraum 1997 – 2007 berichtet Frindt (2010) von einer Verdreifachung der Fallzahlen in Deutschland: 1997 erhielten 17 von 10 000 Familien Unterstützung durch Sozialpädagogische Familienhilfe (SPFH), 2007 waren es 52. Für die Schweiz liegen keine vergleichbaren Zahlen vor – es ist aber von einer ähnlichen Zunahme auszugehen.

SPFH wird im deutschsprachigen Raum in unterschiedlichen Formen und mit verschiedenen Konzepten angeboten (Beckmann & Schrödter, 2006; Fröhlich, 2006; Helmig et al., 1997, Helmig, 2004). Es liegen nur wenige Evaluationsstudien zur aufsuchenden Familienarbeit vor (Erzberger, 2004; Frindt & Wolf, 2009; Cassée et al., 2010). Die als Programm strukturierte, dokumentierte und evaluierte Arbeit mit Familien ist im deutschen Sprachraum wenig bekannt, in den USA, in England, Australien und in den Niederlanden haben solche Programme hingegen eine lange Tradition. Es entstanden verschiedene Programme, in denen das Kind auch bei hoher Problembelastung (Delinquenz, Drogenkonsum der Eltern und/oder der Kinder, Kriminalität, Schulversagen, psychischer Erkrankung etc.) in der Familie belassen und intensiv und hoch strukturiert im Familiensystem gearbeitet wurde. Diese Programme, die z.B. in Holland als «Families First» (Berger & Spanjaard, 1999), in Deutschland als «FamilienAktivierungsManagement» (Pieper, 2013), oder «Homebuilders-Model» (Kinney et al., 1991) und jüngeren Datums als «Multisystemic Therapy» (MST, Henggeler & Lee, 2003; Swenson & Henggeler, 2005) und «Functional Family Therapy» (FFT, Sexton & Alexander, 2005) angeboten werden, wurden systematisch evaluiert und zeigen im Vergleich zu einer stationären Unterbringung gute Resultate bei bedeutend tieferen Kosten. 1 Alle Interventionsformen in dieser Tradition leisten möglichst wenig invasive und möglichst kurze und strukturierte Hilfe, bei der die Familienmitglieder aktiv einbezogen werden.

In den Niederlanden wurden einige dieser Programme (v.a. aus den USA) ab 1990 eingeführt, allerdings erweitert um entwicklungspsychologische und lerntheoretische Theoriebausteine und um die Instrumente aus dem Kompetenzmodell (Berger & Spanjaard, 1999; van Vugt & Berger, 1999; Spanjaard & Haspels, 2005). Die holländischen Weiterentwicklungen orientieren sich explizit an den Entwicklungsaufgaben von Kindern, Jugendlichen sowie deren Eltern (vgl. Cassée, 2019). Sie überwinden die stärker familientherapeutisch geprägte Ausrichtung der englischsprachigen Programme, die in den meisten Fällen von psychologisch geschulten Fachpersonen durchgeführt werden. In Deutschland erfolgte etwas später die Einführung von Programmen in Anlehnung an die [20] amerikanischen Vorbilder unter Bezeichnungen wie «FamilienAktivierungsManagement», «Familien im Mittelpunkt» oder «Familienkrisenhilfe». Es handelt sich dabei um Adaptationen amerikanischer Vorlagen ohne die expliziten entwicklungspsychologischen Erweiterungen der holländischen Programme (vgl. EREV, 1997; Klein & Römisch, 1996, 1997; Römisch, 1998).

«KOFA – kompetenz- und risikoorientierte Arbeit mit Familien» nimmt die hier skizzierten Entwicklungslinien auf und betont ein strukturiertes und alltagsorientiertes Vorgehen. KOFA wurde als weiteres Spezifikum in Kooperation mit Praxispartnern im Bereich aufsuchender Familienarbeit als manualisierte Methodik entwickelt, implementiert und evaluiert. Das Modell nennt sich kompetenzorientiert, weil es Eltern und Kindern diagnosegestützt befähigen und aktivieren will, die Aufgaben des Alltags gelingend, d.h. kompetent, zu bewältigen (siehe ausführlicher Kap 3). Neu ist der Blick auf die Risikoorientierung (Kapitel 4), die im Zuge der Ausdifferenzierung der Kindesschutzmaßnahmen und der Professionalisierung der Kinderschutzbehörden an Bedeutung gewonnen hat.

1.2 KOFA ist eine Methodik

KOFA ist als Methodik eine innovative Entwicklung für die aufsuchende Familienarbeit. Eine Methodik ist ein theoretisch begründetes Handlungsmodell, das von einer Forschungsstelle als «Halbfertigprodukt» entwickelt und in einem koproduktiven Prozess zusammen mit Praxisorganisationen umgesetzt und weiterentwickelt wird. Aktuelle Objekt- und Handlungstheorien werden ausgewählt, aufeinander bezogen und in Form von Arbeitsinstrumenten, Rastern, Checklisten und Berichtsvorlagen für den gesamte Hilfeplanungsprozess zur Verfügung gestellt (Cassée, 2019; Cassée & Los-Schneider, 2010). 2

Definition

Unter einer Methodik verstehen wir ein theoretisch begründetes Handlungsmodell, das als Standard bei mehreren Leistungserbringern vergleichbar zur Anwendung kommt. Eine Methodik umfasst Arbeitsschritte und Verfahren für die Diagnostik, die Planung und die Gestaltung von Interventionen sowie für die Evaluation.

Im deutschen Sprachraum ist die methodikgesteuerte Prozessgestaltung in der Familienarbeit noch wenig verbreitet. Die Ressourcen- und Lösungsorientierung sowie systemische Konzepte unterschiedlicher Provenienz sind zwar häufig erwähnte theoretische Orientierungen, sie sind aber nur sehr rudimentär als Handlungsmodelle mit entsprechenden Instrumenten standardisiert und evaluiert. Die Orientierung an Schutzfaktoren/Ressourcen sowie Systemische Ansätze und lösungsorientierte Gesprächstechniken sind in die KOFA-Methodik integriert. Vorliegende strukturierte Programme wie MST (Henggeler & Lee, 2003; Swenson & Henggeler) oder FFT (Sexton & Alexander, 2003) sind auf Jugendliche ausgerichtet und für die verhaltenstherapeutische Behandlung durch psychologisch qualifizierte Fachpersonen konzipiert (für MST in der Schweiz: siehe www.mst-thurgau.ch).

1.2.1 Modell für den ganzen Hilfeprozess

[21] Die KOFA-Methodik versteht sich als Modell für den ganzen Hilfeprozess. Cassée (2019) erläutert ein Zyklusmodell für den Hilfeprozess, für den eine Methodik die fachlichen Grundlagen und Instrumente über alle Phasen und Schritte hinweg bereitstellt.

Tabelle 1: Prozessschritte im Rahmen der KOFA-Methodik

Die KOFA-Fachstellen strukturieren die Prozessgestaltung entlang den in Tabelle 1 dargestellten Prozessschritten von der Fallaufnahme über Diagnostik und Indikation bis Hilfeplanung, Zielüber-prüfung, Abschluss und Evaluation. Die Methodik stellt für die einzelnen Schritte geeignete Instrumente zur Verfügung und unterscheidet sich damit von anderen Modellen für die Prozessgestaltung wie z.B. der kooperativen Prozessgestaltung von Hochuli Freund & Stotz, 2015.

Primär- und Sekundärprozesse

[22] Für die Prozessgestaltung unterscheidet KOFA zwischen Primär- und Sekundärprozessen. Primärprozesse umfassen alle direkt klientbezogenen Schritte, d.h. alle Kontakte mit Eltern, Kindern und Akteuren in der Lebenswelt der Familie. Sekundärprozesse sind organisationsbezogene Prozesse und müssen in der Aufbau- und Ablauforganisation einer KOFA-Fachstelle geplant und strukturiert werden. Dazu gehören: Kommunikations- und Entscheidungsprozesse, Fallbegleitung und Fall-coaching, Controlling und Qualitätssicherung sowie die fallübergreifenden Evaluationen.

Für die Praxis

Erfahrungen der letzten Jahre haben den Blick für die Sekundärprozesse geschärft. Definierte Kommunikations- und Entscheidungsprozesse sowie die fallbezogene Begleitung und Unterstützung der Familienarbeitenden erleichtern die Prozessgestaltung mit den Familien und sichern die fachliche Qualität. Der Aufwand für diese Unterstützungsprozesse muss in der Kalkulation von KOFA-Modulen ausgewiesen und von den Auftrag gebenden Behörden/Stellen als notwendiger Bestandteil der Leistung finanziert werden.

1.2.2 KOFA-Methodik: Entwicklung und Implementierung

Koproduktion mit Praxispartnern

Eine Methodik entsteht in einem koproduktiven Prozess mit Praxispartnern. Zwischen 2005 und 2009 wurde die KOFA-Methodik erstmals in Form von drei Standardmodulen zusammen mit fünf Partnerorganisationen ausdifferenziert. Die involvierte Forschungsstelle entwickelte eine Pilotversion der Methodik, die von den Praxispartnern in der direkten Familienarbeit und in einer Anpassung der Organisationsprozesse umgesetzt wurde. Erfahrungen in der Umsetzung führten zu Anpassungen bei den Grundlagen und Instrumenten. Der intensive Entwicklungs- und Implementierungsprozess wurde von einer Evaluationsstudie begleitet (Cassée et al., 2010).

Theoretische Fundierung

Eine Methodik ist ein Handlungsmodell, in dem Inhalte aus verschiedenen Theorien integriert und aufeinander bezogen werden. Die Theorieauswahl erfolgt pragmatisch: gefragt sind Theorieansätze, die geeignet sind, familiale Belastungen und Entwicklungsthemen der Familienmitglieder im aktuellen Lebenskontext und auf dem Hintergrund biographischer Erfahrungen zu verstehen und zu beeinflussen. Die eingebundenen Objekttheorien dienen der Beschreibung und Deutung von Alltagsituationen in Familien und in bedeutsamen Sozialisationssystemen, die als Schutz- oder Risikofaktoren für Entwicklung und Lernen wirksam werden können: systemische Ansätze, Theorien zur Struktur und Dynamik in Familien, Sozialisations- und Entwicklungstheorien sowie Lerntheorien. Andererseits werden Handlungsorientierungen und Handlungstheorien (Empowerment und Partizipation, Lebensweltorientierung, Gesprächstechniken und Beobachtungsmethoden) integriert, die geeignet sind, Interventionen in Familien zu begründen und zu gestalten.

Diese theoretischen Grundlagen können und müssen je nach Problemstellung mit anderen Objektoder Handlungstheorien ergänzt werden (z.B. Psychopathologie des Kindes- und Jugendalters, [23] psychische Erkrankungen im Erwachsenenalter, Theorien zu Interkulturalität/Migration, Dissozialitätstheorien, Arbeit mit Video, hilfreiche Methoden), die für die einzelnen Leistungserbringer bedeutsam sind. Auch die Entwicklungsstelle regt fachliche Erweiterungen an, die jeweils in die Basistrainings aufgenommen oder in Weiterbildungen für ausgewählte Praxisfelder vermittelt werden. Das Modell ist für solche Ergänzungen offen und anschlussfähig.

Methodikkreislauf

Eine einmal entwickelte Methodik wird immer wieder im Kontakt mit der Praxis auf ihre Tauglichkeit geprüft. Die Rückkoppelungsprozesse zwischen Praxis und Forschungsstelle garantieren eine praxisnahe Reflexion und Evaluation und eine transparente Weiterentwicklung des Modells. Nicht einzelne Praxisorganisationen entwickeln ihre eigenen Konzepte, sondern es wird in einem kollektiven und koproduktiven Prozess an einer Methodik weitergearbeitet. Eine Methodik ist somit eine effiziente und effektive Antwort auf die Herausforderungen der Sozialen Arbeit als Profession. Die folgende Darstellung bildet den koproduktiven Entwicklungsprozess einer Methodik ab.

Abbildung 1: Entwicklung einer Methodik

Für die Praxis

[24] Eine Methodik bildet den aktuellen Fachdiskurs ab und sichert, dass die Fachorganisationen vergleichbar und nach neuesten Erkenntnissen – «state of the art» – arbeiten.

KOFA als Methodik ermöglicht kostengünstige und wirksame Familienhilfe, die von Sozialarbeitenden geleistet wird, die evaluiert, vergleichbar und evidenzbasiert ist.

1.2.3 Manualisierung

Strukturierte Vergleichbarkeit

Die KOFA-Methodik ist durch theoretisch begründete Instrumente (Formulare, Checklisten, Notizblätter, Techniken, Berichtsvorlagen etc.) strukturiert, die von allen Mitarbeitenden einer KOFAFachstelle genutzt werden. Diese Manualisierung dient der professionellen Abwicklung der direkten Klientenarbeit (Primärprozesse) sowie der Falldokumentation, der Fallbegleitung und der Qualitätssicherung (Sekundärprozesse). Das vorliegende Manual stellt die Grundlagen der Methodik sowie die Instrumente vor und gibt Anwendungs- und Übungsbeispiele. Die Spezifika einzelner KOFA-Module werden ausführlich dargestellt.

Standardisierung und Offenheit, aber keine Rezepte!

Eine Methodik ist vergleichbar standardisiert, aber offen für neue Erkenntnisse und Erfahrungen. Der Hinweis auf die Offenheit des Modells ist bedeutsam, weil eine standardisierte Methodik leicht mit dem kritischen Einwand der Simplifizierung komplexer Zusammenhänge oder als «Rezeptlösung» resp. als «Korsett» qualifiziert wird. Dies ist keineswegs gerechtfertigt. Eine Methodik will Komplexität ordnen und strukturieren – nicht vorschnell reduzieren. In das Modell muss Wissen aus unterschiedlichen Theoriebereichen einfließen, aber so, dass dieses Wissen aufeinander bezogen werden kann, damit fundiertes Fallverstehen möglich ist und gut begründete und evidenzbasierte Interventionen daraus abgeleitet werden können (Cassée, 2019). Methodiktreue ist zentral, jedoch immer mit gemeinsamer Methodikentwicklung verknüpft.

Werkzeugkoffer

Im Erfahrungsaustausch mit Praxispartnern wurde immer wieder betont, dass Fachpersonen in der konkreten Umsetzung der KOFA-Methodik manchmal überfordert waren. Dies betraf vor allem das methodische Vorgehen in der Arbeitsphase sowie bei der Gestaltung guter Gesprächssettings. Aus diesem Grund wurde im Institut kompetenzhoch3 ein Werkzeugkoffer entwickelt, der die Arbeit in den Familien erleichtern soll. Im Koffer sind z.B. Karten zu den Entwicklungs- und Erziehungsaufgaben von Kindern und Eltern und weitere Materialien für die Visualisierung enthalten. Nach der Evaluation erster Erfahrungen in der Pilotphase wurde der Koffer leicht modifiziert (Hess & Cassée, 2017). Der Koffer steht zurzeit in einer Vollversion (für alle Phasen des Hilfeprozesses) sowie in einer Teilversion für die Entwicklungsdiagnostik zur Verfügung. Interessierte Fachpersonen (auch aus dem deutschsprachigen Ausland) können sich für eine Einführung in die Arbeit mit dem Werkzeugkoffer im Institut melden.

1.2.4 Evaluationsstudien

[25] Methodiken werden als Standard auf ihre Wirkung überprüft (für die USA und Holland vgl. Cassée, 2019). In Deutschland wurden in einer Studie für die Stadt Bremen drei Programme der Familienkrisenhilfe evaluiert, die nach dem Grundkonzept der Familienaktivierung arbeiten (Erzberger, 2004). Als Ergebnis dieser Studie formuliert der Autor: «… so muss als Fazit der Evaluation konstatiert werden, dass von der Bremer Familienkrisenhilfe in der jetzt praktizierten Form alle definierten Ziele in hohem Masse erreicht werden» (a.a.O., S. 55). Konkret heißt dies, dass bei 75% der Familien mit einer intensiven, 6-wöchigen Intervention in der Lebenssituation der Familien die Fremdplatzierung eines Kindes bis zwei Jahre nach der Familienintervention verhindert werden konnte. Wolf & Frindt (2009) legten eine Studie zur Steigerung der Wirksamkeit intensiver ambulanter erzieherischer Hilfen vor.

Auch KOFA wurde 2010 erstmals auf der Basis von 125 Familieninterventionen evaluiert. In drei schweizerischen Kantonen beteiligten sich fünf Praxisorganisationen an dieser Studie. Die Interventionen wurden evaluiert bei den betroffenen Familien, bei den zuweisenden Stellen sowie bei den Familienarbeitenden, welche die KOFA-Intervention durchgeführt hatten. Die Ergebnisse zeigen eine gute Methodiktreue in den KOFA-Fachstellen sowie eine gute Zielerreichung in den Familien. Es konnte – ähnlich wie in der Bremer Studie – in 76% der Fälle, in denen eine Fremdplatzierung geplant war, auf diese Maßnahme verzichtet werden. Die Familienarbeitenden und die zuweisenden Fachstellen äußerten sich sehr zufrieden über die Erfahrungen mit KOFA (Cassée et al, 2010).

Der Fachverband Schweiz für die Sozialpädagogische Familienhilfe (SPF) veröffentlichte 2011/2012 eine Statistik, die aber wenig aussagekräftig ist (nicht repräsentativ für die Familienhilfe in der Schweiz, keine Programmdaten, keine Angaben zur Zielerreichung (www.spf-fachverband.ch). Zurzeit laufende Forschungsprojekte des Fachverbandes können auf seiner Webseite (www.spf-fach-verband.ch) verfolgt werden.

1.3 KOFA ist kompetenzorientiert

KOFA ist eine kompetenzorientierte Methodik. Die Kompetenzorientierung ist die auf den deutschsprachigen Kontext adaptierte und erweiterte Version des Kompetenzmodells, wie es vor allem vom PI-Research – einem Institut für die Entwicklung und Evaluation von Programmen für die Kinderund Jugendhilfe aus den Niederlanden – entwickelt wurde. Das Kompetenzmodell hat sich in den Niederlanden in den letzten 30 Jahren als fachliche Grundlage für eine Reihe von Methodiken durchgesetzt. Das Modell ist theoretisch fundiert in einer entwicklungspsychologischen, systemischen sowie kognitiv-verhaltenstheoretischen Tradition und hat sich – neben anderen Theorieansätzen, die sich sinnvoll verknüpfen lassen – in der Praxis bewährt, wie viele niederländische Evaluationsstudien zeigen (siehe www.nji.nl). Aus unserer Sicht stellt die Kompetenzorientierung die Arbeit mit Familien auf eine neue Basis, die uns im deutschsprachigen Raum bisher gefehlt hat. KOFA orientiert sich deshalb für die Arbeit mit belasteten Familien an diesem Modell (vgl. Spanjaard & Haspels, 2005), das wir in den letzten Jahren weiterentwickelt haben.

Der Begriff Kompetenz wird in der Fachliteratur nicht einheitlich bestimmt. Eine Definition aus dem deutschen Sprachraum zu Beginn:

Definition 1

[26] Unter Kompetenz verstehen wir die Verfügbarkeit und die Anwendung von kognitiven, emotionalen und motorischen Ressourcen, die in konkreten sozialen Situationen zu einem langfristig günstigen Verhältnis von positiven und negativen Konsequenzen für den Handelnden führen und die von der sozialen Umwelt als akzeptabel bewertet werden (Hinsch & Pfingsten, 2002, S. 5).

In der holländischen Literatur finden wir sehr «handliche» Definitionen – die folgende übernehmen wir für dieses Manual:

Definition 2

Kompetenz heißt: Personen verfügen über genügende Fähigkeiten und nutzen diese, um die Aufgaben, mit denen sie im Alltag konfrontiert sind, adäquat zu bewältigen (nach Slot & Spanjaard, 2009, S. 40). Kompetenz ist gelingendes Tun in konkreten Situationen.

Kompetenz hat demnach eine normative Komponente: Kompetenz bemisst sich an der Beurteilung der Angemessenheit von Verhalten in konkreten Situationen des alltäglichen Lebens. Was adäquat und inadäquat ist, ist keine Eigenschaft einer Person und ist nicht objektiv festgelegt. Kompetenz hat demnach mit den Normen und Erwartungen der Gesellschaft, der sozialen Umgebung und den Besonderheiten der jeweiligen Situation zu tun. Jemand wird als kompetent beurteilt, wenn ein Gleichgewicht besteht zwischen den Aufgaben, vor die er gestellt wird, und den Fähigkeiten und Ressourcen, die er besitzt, um diese gelingend zu bewältigen (vgl. ausführlich dazu Cassée, 2019).

Kompetenz als gelingendes Tun kann gut als Balance zwischen Aufgaben und Fähigkeiten dargestellt werden.

Abbildung 2: Grundmodell der Kompetenz

Aufgaben – Entwicklungs- und Erziehungsaufgaben

[27] Für die Aufgabenseite greift die Kompetenzorientierung auf das Konzept der Entwicklungsaufgaben zurück (siehe Kap. 2.2). Damit das Modell im Alltag einer Familie vergleichbar eingesetzt werden kann, sind die Entwicklungsaufgaben für verschiedene Altersabschnitte sowohl für die Kinder als auch für die Eltern im Instrument Kompetenzprofil konkret beschrieben. Diese Kompetenzprofile (KP) wurden mit Hilfe von Leitfragen konkretisiert, die im direkten Klientenkontakt für Gespräche oder Beobachtungen genutzt werden können. Die Entwicklungsaufgaben mit Leitfragen sind Bestandteil des Werkzeugkastens.

Fähigkeiten

Unter Fähigkeiten verstehen wir alles, was eine Person denken, fühlen, wollen und tun kann. Darunter sind auch Begriffe wie Fertigkeiten und Motivation subsummiert. Wir unterscheiden soziale, emotionale, kognitive, volitive und physische Fähigkeiten, die in den KOFA-Instrumenten ausdifferenziert und in der Diagnostikphase auf Seite der Eltern und der Kinder nach Entwicklungsalter erfasst werden. In der nachfolgenden Tabelle sind die Fähigkeiten anhand von Beispielen konkretisiert. Diese müssen pro Altersphase weiter ausdifferenziert werden: die Denkfähigkeit eines Dreijährigen wird an anderen Indikatoren sichtbar als jene eines 15-Jährigen, die physischen Fähigkeiten eines Schulkindes unterscheiden sich von jenen eines Jugendlichen.

Tabelle 2: Konkretisierung von Fähigkeiten: einige Beispiele

Fähigkeiten

Konkretisierungen

soziale

Situationen und Personen angemessen wahrnehmen

sich einfühlen/Perspektivenwechsel

verbal und nonverbal adäquat kommunizieren

mit anderen zusammenarbeiten/Konflikte lösen in einer Gruppe mitmachen

emotionale

eigene Gefühle erkennen, benennen und steuern

über gute Strategien für die Emotionsregulation verfügen Gefühle zeigen

warten können

Bedürfnisse aufschieben können schwierige Emotionen ertragen

kognitive

gedankliche Fähigkeiten (im IQ abgebildet)

sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten

schulisch-berufliches Wissen/schulische Leistungen Lernfähigkeit/Lernstrategien

methodische Fähigkeiten

volitive

Willenskraft

Selbstmotivation

Sachmotivation

Ehrgeiz/Leistungswillen

[28]

physische

körperliche Kraft

Geschicklichkeit

Beweglichkeit

Gesundheit

Kompetenz als gelingendes Tun

Unter Kompetenz verstehen wir den Gebrauch von Fähigkeiten in konkreten Situationen, um anfallende Aufgaben zu bewältigen, so dass dies für die Umgebung akzeptabel ist. Kompetenz kann kurz als «gelingendes Tun» bezeichnet werden. Kompetenzorientierung beinhaltet folglich alle Bestrebungen, Kinder und deren Eltern zu gelingendem Tun zu befähigen.

Das Zusammenspiel von Ressourcen, Fähigkeiten und Kompetenz ist ein dynamischer Kreislauf: aus vorhandenen Ressourcen entwickeln sich in einer konkreten Umwelt und unter Einfluss externer Schutz- und Risikofaktoren Fähigkeiten, die sich als Kompetenz manifestieren können. Erlebte Kompetenz wird als Ressource über Bahnungen und neue Verdrahtungen der neuronalen Netze im Gehirn abgespeichert. Das Gleiche gilt für misslingendes Tun: fehlende Kompetenz wird als Scheitern abgespeichert und kann entmutigen und die Selbstwirksamkeit beeinträchtigen.

Die nachfolgende Abbildung illustriert den dynamischen Prozess der Kompetenzentwicklung unter den Umweltbedingungen im Lebenslauf

Abbildung 3: Zusammenhang von Ressourcen, Fähigkeiten und Kompetenz

Ein Kompetenzproblem – misslingendes Tun bzw. problematisches Verhalten – kann demzufolge aus ganz unterschiedlichen Gründen entstehen resp. aufrechterhalten werden:

> Neben Ressourcen bzw. Schutzfaktoren können in der Person Belastungen und Einschränkungen (Risikofaktoren) existieren. Ein Kind, das z.B. mit leichten hirnorganischen [29] Beeinträchtigungen geboren wird, hat u.U. größere Schwierigkeiten, seine kognitiven und emotionalen Ressourcen zu Fähigkeiten zu entwickeln.

> Vorhandene Ressourcen können nicht zu Fähigkeiten werden, weil Lernanregungen fehlen. So können gute Intelligenz und Lernmotivation unter ungünstigen Bedingungen nicht zu relevanten Fähigkeiten werden, weil externe Schutzfaktoren weitestgehend fehlen (z.B. Unterstützung durch Eltern oder Lehrpersonen).

> Vorhandene Fähigkeiten können aus internen oder externen Gründen nicht als Kompetenz manifest werden. Gute Fähigkeiten in einer Fremdsprache können z.B. dann nicht als Kompetenz erkannt werden, wenn ein Schüler sich im Unterricht nicht beteiligt, oder wenn eine Lehrperson ihn nicht zu Wort kommen lässt.

> Fehlende Kompetenzerfahrungen resp. Erfahrungen von Kompetenzmängeln werden als Entmutigung bzw. als Versagen abgespeichert und belasten als Risikofaktor die weitere Entwicklung.

1.4 Grundlagen und Handlungsorientierungen

Die KOFA-Methodik orientiert sich an einer Reihe von Grundlagen und Handlungsmaximen, die von übergeordneter Bedeutung für die kompetenzorientierte Familienarbeit sind. Diese Maximen bilden die professionelle Basis für Interventionen in Familien. Es sind dies:

> Rechtliche Grundlagen, im Speziellen die Rechte des Kindes (1.3.1)

> Handlungsorientierungen, welche die Haltung der Professionellen in der Arbeit mit Familien prägen: Transparenz und Partizipation (1.3.2)

> Modelltreue als professionelles Prinzip (1.3.3)

1.4.1 Rechtliche Grundlagen

Internationales Recht: UNO-Kinderrechtskonvention

In der UNO-Kinderrechtskonvention (UNO, 1989) werden die Rechte des Kindes in insgesamt 54 Artikeln beschrieben. Dazu zählen insbesondere die folgenden, die für die KOFA-Interventionen im Zentrum stehen:

> Schutzrechte

- Schutz vor sexuellem Missbrauch, vor Ausbeutung sowie vor dem Missbrauch von Suchtstoffen

- Schutz vor Diskriminierung

- Schutz vor Trennung von den Eltern

- Schutz vor Schädigung durch Medien

> Rechte auf Förderung

- Das Kindeswohl ist bei allen Maßnahmen öffentlicher und privater Einrichtungen sowie bei [30] Gesetzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen zu berücksichtigen

- das Recht auf Bildung, Gesundheitsförderung etc.

> Beteiligungsrechte

- Das Recht, bei allen Angelegenheiten, die das Kind betreffen, unmittelbar oder über einen Vertreter angehört zu werden

Interventionen in Familien haben diesen Rechten mit allen Mitteln Nachachtung zu verschaffen.

Nationale Grundlagen

KOFA bettet sich ein in die jeweiligen nationalen Rechtsgrundlagen, die stark differieren zwischen den einzelnen deutschsprachigen Ländern, aber auch innerhalb eines einzelnen Landes (vergleiche z.B. die kantonalen Gesetzgebungen und Behördenorganisationen in der Schweiz). Aus diesem Grund ist an dieser Stelle eine vertiefte Darstellung nationaler Rechtsgrundlagen nicht sinnvoll. Diese müssen von den KOFA-Stellen vor Ort aufbereitet und ihren Mitarbeitenden zur Verfügung gestellt werden.

Auf eine sehr bedeutsame Veränderung im Vormundschaftsrecht der Schweiz soll an dieser Stelle hingewiesen werden. Mit dem neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrecht wurde per 1. Januar 2013 eine neue Rechtsgrundlage geschaffen, und die Behördenorganisation wurde professionalisiert. Auswirkungen auf die Arbeit mit problembelasteten Familien zeichnen sich ab, und einzelne Kantone und Städte haben begonnen, die Prozessgestaltung im Bereich des Kindesschutzes an Standards auszurichten. Mit dem neuen Modul KOFA-Intensivabklärung und mit dem Einbezug der Risikoorientierung hat KOFA auf diese neue Ausgangslage reagiert.

1.4.2 Fachliche Orientierungen

Fachdiskurs

Im aktuellen Diskurs in der Sozialen Arbeit haben sich einige handlungsleitende Orientierungen durchgesetzt, die für KOFA zentral sind. Eine KOFA-Fachperson tritt in die Privatsphäre einer Familie ein und tut dies in der Regel im Auftrag einer Behörde, die ein genaueres Bild über die Situation in einer Familie erhalten will resp. eine Veränderung in der Familie für nötig erachtet. Damit eine solche – häufig unfreiwillige – Intervention gelingen kann, braucht es klare fachliche Orientierungen für die Fachpersonen. Orientierungen und Standards einer Profession verringern die Subjektivität und helfen, das Eindringen in die Privatsphäre zu legitimieren. Es folgen einige für die Familienarbeit bedeutsame Orientierungen der Sozialen Arbeit.

Lebensweltorientierung/Netzwerkarbeit

Lebensweltorientierung ist ein Handlungskonzept der Sozialen Arbeit, bei dem das Einbeziehen und Sich-Einlassen auf die unterschiedlichen Lebenswelten von Klienten/Klientinnen im Zentrum steht. Analyse und Intervention ergeben sich aus einer sozialökologischen, sozialräumlichen Perspektive (Bronfenbrenner, 1982), die den Blick öffnet für die Schutz- und Risikofaktoren in der Lebenswelt [31] der Familien. Dies geschieht in Partizipation mit den Familien und setzt Achtung für andere Lebensentwürfe voraus (vgl. Grunwald & Thiers, 2004). Fachpersonen lassen sich leiten vom Wissen, dass das Verhalten einzelner Personen im Rahmen einer spezifisch strukturierten Lebenswelt entsteht, in diesem Lebensraum bedeutsam ist und in diesem Rahmen verändert werden kann.

In der KOFA-Methodik werden die Lebenswelt und das Netzwerk differenziert erfasst und beschrieben unter Berücksichtigung folgender Merkmale:

> Strukturelle Merkmale

Familien stehen im Austausch mit bedeutsamen Sozialisationssystemen in der Lebenswelt (Schulen, Vereinen, Arbeitsorten, Kirchen etc.). Es geht darum, diese Systeme zu beschreiben: welche Systeme sind bedeutsam, welche Personen sind wichtig, und wie sind diese erreichbar?

> Funktionale Merkmale

Eine zentrale Frage ist, inwiefern das Netzwerk für Bedürfnisse und Anliegen der Familie als Schutzfaktor genutzt werden kann (Art der Kontakte, Frequenz, Bedeutung), und welche Risikofaktoren in der Lebenswelt wirksam sind.

KOFA ermittelt Systeme, Personen und Potenziale in der Lebenswelt während der Diagnostik und nutzt vorhandene Schutzfaktoren für die Interventionsgestaltung. KOFA-Interventionen tragen bei zu einer guten Zusammenarbeit mit verschiedenen Akteuren und Systemen in der Lebensweil.

Empowerment

Empowerment ist ein Handlungskonzept, das ausgerichtet ist auf Ermächtigung und Dialog statt auf Disziplinierung, Einmischung und Eingriff. (vgl. Herriger, 2014; Hintermair, 2014)

KOFA konkretisiert die Orientierung am Empowerment-Konzept wie folgt:

> Autonomie und Selbstbestimmung

Den Familienmitgliedern (Eltern und Kindern) steht das Recht zu, ihren Alltag so autonom und selbstbestimmt wie möglich zu gestalten. Familien haben ihre eigene Familienkultur, die es zu respektieren gilt, sofern keine übergeordneten Werte oder Gesetze verletzt werden.

> Stärken, Fähigkeiten und Ressourcen im Fokus

Interventionen sind so zu konzipieren, dass Familienmitglieder ihre Stärken, Fähigkeiten und Ressourcen im Alltag erleben, nutzen und erweitern können.

> Mitwirkungs- und Mitentscheidungsmöglichkeiten

Mitwirkungs- und Mitentscheidungsmöglichkeiten im Alltag reduzieren Gefühle von Hilflosigkeit, Machtlosigkeit und Fremdbestimmung bei den Familienmitgliedern. Eine transparente Prozessgestaltung erhöht die Chancen der Beteiligung und der Verantwortungsübernahme.

> Prozesse der Selbstgestaltung

KOFA regt Selbstgestaltungsprozesse an, fördert und unterstützt das Vertrauen in die eigenen Handlungsmöglichkeiten (Erhöhung der Selbstwirksamkeit).

Die Umsetzung des Empowerment-Ansatzes im Alltag der Familienarbeit sind auch Grenzen gesetzt:

> Grenzen bei Selbst- und Fremdgefährdung

[32] Wenn andere Personen bedroht, eingeschüchtert oder erpresst werden, wenn offene Gewalt angewendet wird oder eine Selbstgefährdung vorliegt, setzen Kontrolle und schützende Interventionen ein, weil nur so das Kindeswohl und die Sicherheit in der Familie gewährleistet werden können.

> Grenzen bei behördlicher Anordnung

Nicht immer erfolgt Familienhilfe auf der Basis von Freiwilligkeit. So entsteht eine nur schwer zu lösende paradoxe Situation: Prozesse der Ermutigung und Verantwortungsübernahme sind mit Zwang schwer in Einklang zu bringen. In der Familienarbeit ist die Situation des Zwangs häufig bei einer Abklärung des Kindeswohls gegeben – entsprechend anspruchsvoll ist die Balance zwischen der behördlichen Anordnung, Selbstgestaltungswünsche der Familienmitglieder und dem Aufbau einer tragfähigen Arbeitsbeziehung in der Familie (Herriger, 2014; Pankofer, 2000). Wolf spricht in diesem Zusammenhang vom Spannungsverhältnis zwischen kontrollierenden und helfenden Elementen und diskutiert Voraussetzungen für konstruktive Wirkungen (Wolf, 2012, S. 215-235).

Transparenz und Partizipation

KOFA legt großen Wert auf eine transparente Prozessgestaltung. Die Familienmitglieder sollten wissen, was geplant ist, wer für was zuständig ist, welche Schritte zu tun sind etc. Berichte werden mit der Familie besprochen und von den Eltern mitunterzeichnet. Nur bei vorhandener Transparenz ist Partizipation, d.h. Beteiligung und Verantwortungsübernahme, überhaupt möglich. Speziell zu beachten ist dabei der Kindeswille, d.h. der Miteinbezug der Sichtweisen und Veränderungswünsche der Kinder (vgl. Detterborn, 2007)

Im Falle einer Kindeswohlgefährdung kann die Transparenz von Seiten der Behörden teilweise eingeschränkt werden. So kann es nötig sein, dass ein Bericht der zuständigen Behörde unterbreitet werden muss, bevor die Familienmitglieder den Bericht gelesen haben. Wenn immer möglich sind die Kontakte mit der Familie jedoch so transparent zu gestalten, dass klar ist, wie Informationen gesammelt werden, wer die Informationen fachlich verarbeitet und wer über nächste Schritte entscheidet.

1.4.3 Methodiktreue/Qualitätssicherung

Die Arbeit mit KOFA setzt bei den Leitenden der jeweiligen KOFA-Fachstelle sowie bei den einzelnen Fachpersonen voraus, dass die Methodik möglichst gemäß den Modulbeschreibungen resp. nach den Grundprinzipien umgesetzt wird. Das bedeutet, dass in den Fachstellen eine Kultur der gemeinsamen Fachlichkeit gelebt und gefördert wird. Die Zusammenarbeit mit der Entwicklungsstelle und die Beteiligung an regelmäßigen Evaluationen sind Bausteine der Qualitätssicherung (vgl. Averdijk et al., 2014, S. 158).

1.5 Welche Hilfe für wen?

1.5.1 Indikation

[33] Eine Indikation gibt Antwort auf die Frage, welche Hilfe für das fragliche Klientsystem als geeignet und notwendig eingeschätzt wird. Hauptindikation für eine aufsuchende Familienintervention nach KOFA ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Familiensystems. Die Bewältigung alltäglicher Aufgaben ist gefährdet, und/oder es besteht Unklarheit über die Sicherheit und die Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder in der Familie. Ob für die Diagnostik und/oder Intervention die Präsenz im Familiensystem notwendig ist, muss für gegenüber anderen Hilfeformen (z.B. Beratung der Eltern, Elternkurse, Familienrat, Fremdplatzierung) abgewogen werden.

Zwei Indikationstypen – verschiedene KOFA-Module

In der Literatur zu Interventionsprogrammen in Familien werden zwei Indikationstypen unterschieden (Bakker et al., 2000, S. 19ff):

> Familien, in denen primär Erziehungsprobleme auftreten

> Familien, in denen sich Probleme in mehreren Bereichen manifestieren (so genannte Multiproblem-Familien)

Typus 1: Erziehungsprobleme der Eltern im Fokus

Die Kerndiagnose für diesen Typus ist die Überforderung der Eltern bei einer begrenzten und im Ansatz bekannten Auswahl von Erziehungsaufgaben. Die geeignete Hilfe richtet sich entsprechend aus auf die Erweiterung der Fähigkeiten der Eltern. Sie setzt auf die Verbesserung des Wissens der Eltern (Psychoedukation), auf die Verbesserung der Interaktion zwischen Eltern und Kindern (eventuell mit Unterstützung durch Videoaufnahmen) sowie auf die Strukturgebung im Alltag der Familie.

Bei diesem Indikationstypus ist zu prüfen, ob allenfalls ambulante Beratung, Elternbildung oder Erziehungskurse geeigneter sind. Diese Möglichkeiten gibt es vor allem bei Eltern mit guten kognitiven Möglichkeiten und klarer Veränderungs- und Lernmotivation. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass viele Familien erhebliche Schwierigkeiten haben, Gehörtes aus eigener Kraft und über längere Zeit in ihren Alltag zu integrieren.

Sind die Erziehungsprobleme noch nicht klar genug erkannt, wird die Situation insgesamt aber nicht als gravierend oder dringend eingestuft, besteht die Indikation für eines der Interventionsmodule, die immer mit einer Diagnostikphase starten, in der die Situation in der Lebenswelt der Familie differenziert erfasst wird.

Für fokussierte Fragestellungen des Typus 1 (z.B. bei Problemen mit oder in der Schule) gibt es folgende KOFA-Interventionsmodule (siehe für Detailbeschreibungen Kap. 5): KOFA-Schule, KOFA-6-Wochen oder KOFA-6-Monate ggf. mit Videounterstützung (Video-Home-Training VHT, Brümmer & ter Horst, 1997; Marte Meo, Aarts, 2002).

Typus 2: Multiproblem-Familien