Kommunikationswissenschaft - Wolfgang Sucharowski - E-Book

Kommunikationswissenschaft E-Book

Wolfgang Sucharowski

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Beschreibung

Ziel des Bandes ist es, in das komplexe Themenfeld Kommunikation und Kommunikationswissenschaft so einzuführen, dass Studierende angemessen und systematisch Anschlussmöglichkeiten an die vielfältigen und verschiedenen Bereiche dieses Themen- und Forschungsfeldes finden können. Die Einführung will Verständnis für das Phänomen Kommunikation wecken und dazu befähigen, begründete Fragestellungen abzuleiten, die ein Verstehen der Diskussionen in der Forschung erleichtern. Dabei wird versucht, Verknüpfungen zu Modulen in den verschiedenen Bachelorstudiengängen der Kommunikationswissenschaft herzustellen. Absicht des Bandes ist es nicht, in die Praxis kommunikativen Handelns einzuführen, sondern eine Orientierungshilfe in der sehr breit aufgestellten Wissenschaftsdisziplin Kommunikationswissenschaft zu bieten.

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Wolfgang Sucharowski

Kommunikationswissenschaft

Eine Einführung

A. Francke Verlag Tübingen

 

 

© 2018 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.francke.de • [email protected]

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

 

ePub-ISBN 978-3-8233-0081-6

Inhalt

VorwortKommunikation und WissenschaftInteressen an der KommunikationDas Fach KommunikationswissenschaftDie Breite des Faches KommunikationswissenschaftSich einer Kommunikationswissenschaft annähernLiteraturProblemstellung und FragenKommunikation setzt Kommunizieren voraus – der Alltag der KommunikationDer Gebrauch des Wortes KommunikationKommunikation braucht UmgebungenKommunikation setzt Ordnung vorausKommunikation als Wissenschaft – die Anfänge der TheoriebildungLiteraturProblemstellung und FragenInformation und Nachricht – Zeichen im KontextNachricht und NachrichtenverarbeitungDaten und die Welt der Zeichen: Index, Ikon, SymbolDer Gebrauch der ZeichenAndere Zeichen und FunktionshintergründeLiteraturProblemstellung und FragenHandeln und Deuten in kommunikativen AlltagssituationenHandeln und HandlungKommunikation als HandlungDeutungsunsicherheitMotivation interaktiver Ereignisse – Theorien des HandelnsLiteraturProblemstellung und FragenMedien: Die Verbreitung kommunikativer Praktiken – in lokalen und globalen KontextenMedien erfahrenDer MedienbegriffMedien im Wandel der ZeitDie Dynamik der aktuellen MedienLiteraturProblemstellung und FragenPraktiken des Zusammenlebens und kommunikative KonsequenzenKommunikative Erwartungen im AlltagKommunizieren in fremden UmgebungenMiteinander Reden in institutionellen KontextenDie Mehrschichtigkeit von MehrwertenLiteraturverzeichnisProblemstellung und FragenModellbildung: Theorien der Zeichenübertragung und ZeichenverarbeitungÜbertragung von SignalenDie Rezeption des Transfermodells in anderen WissenschaftsdisziplinenDie Transfer-MetapherKommunikation – ganz andersLiteraturProblemstellung und FragenTheorien über die Konstruktion des Zusammenwirkens – der Andere und das IchSymbol und BedeutungDer Andere und das IchDie Dynamik der WechselseitigkeitInterpretation und KommunikationLiteraturProblemstellung und FragenTheoriebildungen über das kommunikative Handeln und der gesellschaftliche KontextKommunikation – offene oder geschlossene SystemeUnsicherheit bedingt KommunikationSymbolisch generalisierte MedienFormen und Funktionen, die Kommunikation erkennbar machenLiteraturProblemstellung und FragenDie Rolle der AkteureDie Dynamik gesellschaftlicher Systeme und ihre Folgen für die KommunikationKommunikation in NetzwerkenDas Akzeptieren der AkteurswirklichkeitDie Sichtbarkeit von KommunikationLiteraturProblemstellung und FragenKommunikation analysieren – geisteswissenschaftliche VerfahrenKommunikative Phänomene und ihre ErfassbarkeitGeisteswissenschaftliche Methoden zur Beschreibung von KommunikationHermeneutik als wissenschaftliche MethodikBedeutungsbezogene BeschreibungsmethodenLiteraturProblemstellung und FragenKommunikation als DokumentDas Dokumentieren von KommunikationDas Transkript – Mündlichkeit verschriftlichenTranskribieren heißt beobachtenBeispiele für TranskriptionssystemeLiteraturProblemstellung und FragenAnwendungen der KommunikationsanalyseFunktionale Interpretationstechniken„Inhaltsfreie“ InterpretationstechnikenDie Quantifizierung von InhaltlichkeitBefragen als MethodeLiteraturProblemstellung und FragenDer Markt der KommunikationsratgeberDie Popularität des Themas KommunikationDer alltägliche Umgang mit AnderenIm Ausdrucksraum der ZeichenDas Arbeiten an den Wahrnehmungs- und DeutungsmusternLiteraturProblemstellung und FragenPersonenregisterSachregisterAbbildungsverzeichnis

Vorwort

Kommunikation – und Mensch sein – ist nicht einfach … aber überraschend wendungsreich.

Damaris Wieser

Wer eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft veröffentlicht, muss sich die Frage des Warum gefallen lassen. Gibt es doch zahlreiche Bücher, in denen ganz viel und Wichtiges zur Kommunikationswissenschaft gesagt wird. Warum dann noch ein Buch?

Das Thema Kommunikation ist so vielfältig wie auch die wissenschaftlichen Interessen daran. Das spiegelt sich in den sehr unterschiedlichen Einführungen wider. Studierende wünschten sich ein Buch, das sie mit Praktiken der Analyse und Beschreibung von alltäglicher Kommunikation in ihnen bekannten Handlungsfeldern bekannt macht. Aufseiten der Lehrenden war vom Wunsch nach einem Buch zu hören, das Theorieansätze in ihren Grundzügen vorstellt, die auf ihre praktische Relevanz hin mit Studierenden geprüft werden könnten. Bei den über das Lehrfach hinaus interessierten Personenkreisen wurde angeregt, darüber nachzudenken, ob es nicht eine Darstellung geben könne, die einerseits mehr Verständnis für Kommunikation ermöglicht und andererseits auch die Schwierigkeit, über Kommunikation wissenschaftlich reden zu können, plausibel macht; jeder glaube, über Kommunikation reden zu können.

In den vorhandenen einführenden Darstellungen der vergangenen Jahre wird zum einen auf die Vielfalt der Interessen verwiesen, zum anderen orientieren sich die Einführungen an einer für sie wichtigen Bezugsdisziplin. Im deutschen Sprachraum waren das lange Zeit die Signaltheorie der Informatik und zeitlich fast parallel dazu die Psychologie und Psychotherapie. In den 80er Jahren galten als Reaktion auf die Bildungsreformen die Pädagogik und Soziologie als wichtige Bezugsgrößen für ein Nachdenken über Kommunikation. Seit den 90er Jahren findet ein grundlegender Wandel in den Medien statt, sodass die Medienwissenschaft die Aufmerksamkeit auf Kommunikation bindet. Parallel dazu hat die Sozialwissenschaft aufgrund ihrer Methoden großen Einfluss auf die Kommunikationsforschung genommen.

Die Idee für die hier vorgelegte Hinführung besteht darin, den Blick auf das Kommunikationsereignis in der Alltagswelt durch typische Sichtweisen einzelner Fachdisziplinen zu weiten. In Verbindung mit einem Kommunikationsbeispiel aus dem alltäglichen Umfeld soll fallweise herausgearbeitet und gezeigt werden, welche Merkmale von Kommunikation dadurch sichtbar gemacht werden und welcher Anspruch auf Gültigkeit mit diesen verbunden werden kann.

Dabei gilt die Grundannahme, wer sich auf Kommunikation wissenschaftlich einlässt, muss respektieren, dass Kommunikation ein flüchtiges Ereignis ist und sich nicht einfach in die Hand nehmen lässt, nicht durch ein Mikroskop betrachtet werden kann oder in chemische Elemente zerlegbar ist. Als mediales Ereignis ist Kommunikation an Raum, Zeit und Akteure gebunden. Die Akteure sind als Personen oder Institutionen fassbar. Ihr Handeln vollzieht sich in Räumen, die oft dafür geschaffen wurden, z.B. Schule, Gericht, Arztpraxis. Das Handeln ist sehr oft an bestimmte Zeiten gebunden, z.B. Sprechstunde, Seminarsitzung, Vollversammlung der Studierendenvertretung. Hier werden Dokumente erzeugt, die nach dem Kommunikationsereignis aufbewahrt werden, z.B. Protokolle, Berichte, Nachrichten in Massenmedien. Das alles kann nur stattfinden, weil es unter den Akteuren Erfahrungen im Umgang miteinander und ein Wissen übereinander gibt.

Im Buch werden Beschreibungsansätze ausgewählt und vorgestellt, an denen gelernt und geübt werden kann, solche Bedingungen zu erkennen, welche das kommunikative Verhalten für die beteiligten Akteure gegenseitig als Handeln abschätzbar macht. Was der Andere tut, ist nicht ohne weiteres als bestimmte Handlung identifizierbar. Es muss einen Kontext für das Tun geben, der bekannt ist. Kommunikation setzt Medien voraus, und diese nutzen Techniken. Das kann nur funktionieren, wenn es Zeichen gibt, deren Nutzung unter den Akteuren eingeübt worden ist. Der ganze Aufwand wird gemacht, weil Bedürfnisse vorhanden sind, die ohne die Anderen nicht befriedigt werden können.

Kommunikation ist ein komplexes Ereignis, das von den Akteuren vielfältigste Entscheidungen abverlangt. Um Kommunikation wissenschaftlich zu beschreiben, bedarf es daher theoretischer Konzepte und dazu passender Methoden. In den verschiedenen Einheiten wird darauf sukzessive eingegangen.

Den Ausgangspunkt bilden Fragen nach dem Verhältnis von Kommunikation und Wissenschaft in der gesellschaftlichen Diskussion (Einheit 1) und in den Lebenswelten des Alltags (Einheit 2). Der bekannteste Zugang zur Kommunikation erfolgte über die Nachrichtenübertragung und das Nachdenken darüber, wie Daten über weite Strecken hinweg versendet werden können (Einheit 3). Das kann nur funktionieren, wenn das dabei Vermittelte auf Mitspieler trifft, die aus dem Gesendeten Nachrichten generieren können (Einheit 4). Hier nun zeigt sich, wie erfinderisch Akteure im Laufe der Kulturgeschichte waren und gegenwärtig noch sind (Einheit 5). Das alles ist nur möglich, weil Gesellschaften und ihre Mitglieder Praktiken zur gemeinsamen Bewältigung ihrer Lebenswelten entwickeln (Einheit 6). Zu diesen Praktiken gehört die Nutzung von Signalen und mit ihnen verbundene Erklärungsmodelle, die das Verstehen von Kommunikation beeinflussen und damit verbundene Erwartungen verknüpfen (Einheit 7). Kommunikative Praktiken basieren nicht nur auf dem Zeichenaustausch, sie leben von der Auseinandersetzung mit dem Gegenüber des Einzelnen. Hier lernt er, ob und wie der Andere reagiert (Einheit 8). Einen weiteren Bezugshorizont, der den Einzelnen beeinflusst bzw. den er wählt, um Einfluss zu nehmen, findet der Einzelne in den gesellschaftlichen Verhaltensmustern und den für sie typischen Umgebungen (Einheit 9). Interessant ist auch die Frage, welche Dynamiken von diesen Bezugshintergründen ausgehen, wer sie auslöst und wie sie steuerbar sind (Einheit 10).

Kommunikation zu beschreiben, setzt handwerkliches Können voraus. Das beinhaltet eine geisteswissenschaftliche Komponente. Kommunikative Praktiken basieren auf Verständigungs- und Verstehensleistungen. Diese setzten das Deuten Können dessen voraus. Was andere für einen tun, spielt eine zentrale Rolle. Daher bedarf es einer Auseinandersetzung mit dem, was Interpretieren genannt wird (Einheit 11). Das kommunikative Ereignis ist ein flüchtiger Prozess, der zeitlich gebunden nicht wiederholbar ist. Dieser Vorgang lässt sich heute auditiv und bildlich, analog oder digital festhalten. Ein solches Dokument kann in Text umgewandelt werden. Dieser bietet sich dann als eine Grundlage für neuerliche Interpretationen an (Einheit 12). Kommunikation durchzieht alle Lebensbereiche und erzeugt vielfältigste Dokumente, die nicht nur klassisch interpretatorisch erschließbar sind, sondern auch mithilfe quantifizierender Verfahren Einsichten in kommunikatives Handeln ermöglichen (Einheit 13).

Die Darstellung endet mit dem Blick auf Praktiken der Kommunikationsberatung, wie sie vor allem in den USA entstanden und heute auch hier bei uns zur Selbstverständlichkeit geworden sind (Einheit 14).

Kommunikation und Wissenschaft

Inhalt
1.1

Interessen an der Kommunikation    2

1.2

Das Fach Kommunikationswissenschaft    3

1.3

Die Breite des Faches Kommunikationswissenschaft    7

1.4

Sich der Kommunikationswissenschaft annähern    9

1.5

Literatur    16

1.6

Problemstellung und Fragen    17

 

Überblick

Kommunikation ist immer und überall präsent. Die Wissenschaft geht damit sehr unterschiedlich und hoch ausdifferenziert um. Wenn allgemein von Kommunikation geredet wird, dann steht Kommunikation für Verständigung, Beziehungspflege und Durchsetzungsvermögen. Die Wissenschaft zur Kommunikation wird eher in der Medienwissenschaft vermutet. Gesellschaftlich ist das Interesse stark auf die technische mediale Seite ausgerichtet, die Psychologie der Kommunikation wird eher als Bildungsgegenstand der Kompetenzförderung betrachtet. Dabei stellt Kommunikation vielfältigste Anforderungen an den Alltag beginnend im privaten Umfeld und weiterreichend in die institutionellen und politischen Kontexte der Gesellschaft. Dort haben sich unübersehbar viele Praktiken entwickelt, die in Kulturen sichtbar sind und gelebt werden. Die Herausforderung für die Wissenschaft besteht darin, aufzuzeigen, wie diese Praktiken beobachtet, beschrieben und analysiert werden können und welche Schlüsse daraus für die betroffenen Akteure gezogen werden können.

Interessen an der Kommunikation

Wo wird Kommunikation zu einem Thema? Das Thema Kommunikation interessiert den Einzelnen genauso wie Organisationen und Institutionen und zwar unter dem Aspekt, wie Aufgaben im persönlichen Alltag, Beruf und in der Gesellschaft kommunikativ möglichst optimal gelöst werden können. Ärzte zum Beispiel lernen in Kursen, wie sie mit ihren Patienten in der Sprechstunde umzugehen haben: Die Patienten sollen sich ernst genommen fühlen und vom Arzt das erfahren, was sie über ihre Krankheit wissen müssen. Verkaufseinrichtungen schulen ihr Personal darin, das Interesse von Kunden zu wecken und sie an das Unternehmen zu binden. In Verkaufsschulungen werden Verkäufer trainiert, wie Kunden angesprochen werden sollten, um ihnen ein Produkt nahe zu bringen und sie zum Kauf zu motivieren. Sogar der Umgang mit Kundschaft an Supermarktkassen ist ein Übungsfeld für die Kassiererinnen. In eigens dafür eingerichteten Kursen werden mit ihnen Verhaltensregeln eingeübt. Themen wie Freundlichkeit, Höflichkeit und Geduld gehören in das Repertoire solcher Übungen. In Betrieben wird das Leitungspersonal auf Schulungen geschickt, um zu lernen, wie sie mit ihren Mitarbeitern möglichst konfliktfrei zusammenarbeiten können.

Für die Bildung spielt Kommunikation eine zentrale Rolle, weil Unterrichten und Lehren zunehmend als dialogisches Handeln gesehen wird. Erhofft wird, dass die Lernenden zum Vermittelten leichter einen Zugang finden und selbst in die Lage versetzt werden, das nicht Verstandene dem Lehrenden anzeigen zu können. Der Einzelne erfährt in seinem Alltag, dass Kommunikationsfähigkeit eine Schlüsselfunktion hat. Ständig wird er mit Situationen konfrontiert, die er kommunikativ lösen muss. Das geschieht nicht nur mündlich, sondern bedingt durch die elektronischen Medien in gleichem Maße auch schriftlich. Ihm werden entsprechend zahlreiche Bildungsangebote gemacht, wie er sich richtig im Umgang mit Anderen verhalten kann, die angemessenen Themen findet und die richtige Argumentation wählt. Wichtig erscheinen der Umgang mit Konflikten und das Finden einer kommunikativen Lösung. Ebenso kann er lernen, wie er sich im Internet effektiv darzustellen kann und einen Freundeskreis findet und pflegt.

Das Fach KommunikationswissenschaftKommunikationswissenschaftFach

Kommunikationswissenschaft zu studieren, ist ein beliebter Studienwunsch, aber was bedeutet eigentlich Kommunikation, wenn sich Wissenschaft ihr zuwendet? Schmidt und Zurstiege (Schmidt und Zurstiege 2000b, S. 9–57) Schmidt, Siegfried J.Zurstiege, Guido sprechen in der Einleitung ihrer Einführung zur Kommunikationswissenschaft davon, dass sich diese Wissenschaft mit etwas ganz Faszinierendem im Leben eines jeden beschäftige und sie charakterisieren dieses als den Stoff, aus dem Lebenswelt, Gesellschaft und Kultur bestehen. Alle möglichen Lebensbereiche weisen engste Verbindungen zur Kommunikation auf und erwecken so den Eindruck, alles sei Kommunikation. Dieser offenen Lesart steht ein Verständnis gegenüber, das Kommunikation auf Schlüsselbegriffe wie Sprecher und Hörer, Kanal und Medium, Botschaften, die gesendet und empfangen werden, verengt.

Siegfried J. Schmidt (*1949)

Germanist, Professor für Kommunikationstheorie und Medienkultur, Schwerpunkte: empirische Literaturwissenschaft, Texttheorie und Kommunikationswissenschaft

 

Guido Zurstiege (*1968)

Professor für Medienwirtschaft, Schwerpunkte: Empirische Medienforschung, Kommunikationstheorie sowie Rezeptions- und Wirkungsforschung

Bild in der ÖffentlichkeitKommunikationswissenschaft wird in der Öffentlichkeit nicht vorrangig mit den genannten Aspekten identifiziert. Schmidt und Zurstiege (2000a, S. 11) knüpfen an Diskussionen über die Medien- und Kommunikations- oder Informations- und Kommunikationsgesellschaft an. Wenn wir uns im Freundeskreis als Kommunikationswissenschaftler zu erkennen geben, kommt es zu Kommentaren wie „Ach, Sie machen Fernsehen!“ oder „Machen Sie uns mal einen Flyer!“ bzw. „Schauen Sie sich mal unseren Webauftritt an! Wie könnten wir ihn besser machen.“ Gleichzeitig spricht derselbe Kreis vom Axiom des „Nicht-nicht-Kommunizieren-Könnens“ des Watzlawick (1969, S. 4–26) Watzlawick, Paulund der Beziehungskommunikation eines Schulz von Thun (1982) und wie wichtig sie diese für ihren Alltag halten.

Paul Watzlawick (1921–2007)

Österreichisch-amerikanischer Kommunikationswissenschaftler, Psychotherapeut und Soziologe, Mitbegründer der Palo Alto Schule

 

Friedemann Schulz von Thun (*1944)

Psychologe und Kommunikationswissenschaftler

In den sich daran anschließenden Gesprächen wird offenkundig, dass wenig Wissen darüber besteht, womit sich Kommunikationswissenschaft beschäftigt. Wer Kommunikationswissenschaft beispielsweise mit der Medienrezeptionsforschung verbindet, sieht darin Befragungen über Medienverhalten und rückt das Fach in die Nähe der Meinungsforschung. Im Fall einer psychologischen Orientierung wird an das viel zitierte „Vier-Ohren-Modell“ Schulz von Thun (1982, S. 13–15) Schulz von Thun, Friedemanngedacht und es finden sich Kommentare wie, man sei ein Typ, der eher beziehungsorientiert und weniger sachorientiert kommuniziere. Kommunikationswissenschaft ist keine klassische Disziplin. Sie kann sich nicht wie etwa die Physik, Biologie oder Mathematik auf eine lange Tradition in der Entwicklung von Theorien und Methoden beziehen. Sie wird auch nicht automatisch mit einer Geisteswissenschaft wie der Germanistik, Philosophie oder Soziologie gleichgesetzt. Am ehesten gibt es im öffentlichen Bewusstsein Verknüpfungen zur Psychologie und in den letzten Jahren zur Medienforschung.

Erklärung

Das Fach hat viele Gesichter. Wenn Kommunikation den Stoff bietet, aus dem sich Lebenswelt, Gesellschaft und Kultur speisen, dann verwundert es nicht, dass sich eine Kommunikationswissenschaft vielfältigen und sehr unterschiedlichen Bereichen zuwendet. Entsprechend verschiedenartig sind die Gegenstände der Beobachtung und das Forschungsinteresse, das dem Verhalten von Personen gilt, dem Erscheinungsbild von Druckerzeugnissen oder Bildproduktionen gewidmet wird oder sich mit bestimmten thematischen Feldern wie Politik und Kultur auseinandersetzt. Damit verbunden sind ganz spezielle Methoden, die sich teilweise sehr deutlich voneinander unterscheiden. Kommunikationswissenschaft ist ein Sammelbegriff für Programme, die sich darin unterscheiden, wie sie das Thema der Kommunikation wissenschaftlich aufnehmen und behandeln.

Kommunikation wird in der gegenwärtigen Gesellschaft als fundamentale Bezugsgröße wahrgenommen. Daher überrascht es nicht, dass 2007 der deutsche WissenschaftsratWissenschaftsrat (Wissenschaftsrat 21.05.2007) die gesellschaftliche Bedeutung der Kommunikationswissenschaft betont hat und glaubt, dass von ihr „wesentliche Impulse für kulturelle, ökonomische und technische Entwicklungen“ ausgehen werden und „eine enorme Nachfrage“ zu erwarten sei. Vorgeschlagen wird, die Kommunikationswissenschaft in eine sozialwissenschaftlich orientierte Kommunikationswissenschaft, eine kulturwissenschaftliche Medialitätsforschung und in eine an der Informatik ausgerichtete Medientechnologie zu unterteilen. Dabei wird darauf hingewiesen, dass in Deutschland, im Gegensatz zu den USA, die Teilbereiche kaum vernetzt sind. Dem wird gegenwärtig versucht, durch eine besondere Forschungsförderung entgegenzuwirken.

Wissenschaftsrat

Der Wissenschaftsrat ist ein wichtiges Beratungsgremium. Er wurde am 5. September 1957 gegründet und berät Bund und Länder in Fragen der Weiterentwicklung des Hochschulsystems sowie der staatlichen Förderung von Forschungseinrichtungen. Er hat seinen Sitz in Köln.

Ursprünge des Faches PrintmedienWenn nach den Anfängen des Faches gesucht wird, so werden europäische Emigranten genannt, die in den 1930er Jahren in die USA ausgewandert sind, dort 1924 die Zeitschrift JournalismBulletinJournalism Bulletin gegründet haben und sich erstmals zum Ziel gesetzt haben, die Printmedien wissenschaftlich zu begleiten. Im Zusammenhang damit entstand die erste Schule zur Ausbildung von Journalisten. In Deutschland erfolgte zwei Jahre später die Gründung der Zeitschrift ZeitungswissenschaftZeitungswissenschaft. Sie versuchte, ganz ähnlich wie in den USA, die Pressearbeit journalistisch und wissenschaftlich im Blick zu behalten. Parallel dazu muss die Entwicklung des Rundfunks sowie die zunehmende Bedeutung des Films in der breiten Öffentlichkeit gesehen werden. Es bildete sich durch die Erweiterung der Zeitungswissenschaft die Publizistikwissenschaft heraus. Sie widmete sich der Erforschung der Wirkung öffentlicher Reden auf die Rezipienten. Im Zentrum stand die Frage nach der Beeinflussbarkeit der Rezipienten. Den Schwerpunkt bildeten Diskussionen darüber, ob Rundfunk und Film das Verhalten der Masse beherrschen können.

Kommerzielle InteressenEs zeigte sich bald ein großes kommerzielles Interesse, was einen entscheidenden Schub in der Entwicklung des Fachs auslöste. Die Wirtschaft erkannte, dass mit den Medien Möglichkeiten der Werbung für ihre Produkte geschaffen wurden. Wissenschaftlich fanden darüber ab 1937 in der Zeitschrift Public Opinion Quarterly intensive Diskussionen statt. Diese wurden von der Soziologie, Psychologie und der Betriebswirtschaft aufgenommen und systematisch verfolgt. In Deutschland wurde nach dem Krieg 1956 mit der Gründung der Zeitschrift PublizistikPublizistik der Weg frei, um das, was in den USA entwickelt worden war, aufzunehmen und auf die speziellen Problemstellungen der neu gegründeten Bundesrepublik und auf die damit verbundenen Einführung der Rundfunkorganisation zu übertragen. Damit wird auch verständlich, warum der Begriff Kommunikationswissenschaft so eng mit der Medien- und Medienrezeptionsforschung assoziiert und in Deutschland vielfach gleichgesetzt wird.

Die wissenschaftliche Grundlegung des Faches fand nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA statt. Dort wurden systematische Forschungen begonnen und präzise Frage- und Problemstellungen entwickelt. Das wurde durch die Öffnung hin zu den Disziplinen Psychologie und Soziologie verstärkt. Ausdruck fand diese Tendenz in der Gründung des Journal ofCommunicationJournal of Communication1951. Die Etablierung des Communication Yearbook of International CommunicationAssociationCommunication Yearbook of International Communication Association im Jahr 1978 schloss diese Entwicklung dann ab.

Communication Yearbook of International Communication Association

Communikation Yearbook veröffentlicht State-of-the-Disziplin Literatur, Rezensionen und Essays. Es agiert sowohl hoch international als auch interdisziplinär, mit Autoren und ihren Werken, die die breiten globalen Interessen der International Communication Association (ICA) vertreten. ICA ist eine wissenschaftliche Vereinigung für interessierte Wissenschaftler in der Studie, Lehre und Anwendung aller Aspekte der menschlichen und vermittelten Kommunikation.

PsychologieGrundlegend für die eigenständige, wissenschaftliche Entwicklung war die Forschung auf der Basis von empirischen Methoden. Das hatte sehr konkrete Hintergründe. Schnell wurde nämlich erkannt, dass sich die Wirkung von Medien nicht allein mit rhetorischen Stilen befriedigend erklären ließ. Dramatische Fehleinschätzungen bei Wahlvoraussagen zwangen die Medienforschung dazu, Verfahren aus der Psychologie und Sozialwissenschaft in die Kommunikationswissenschaft zu integrieren, um gesicherte Aussagen über die Wirkung von Äußerungsformen machen zu können.

Kommunikationswissenschaft verbindet sich daher seit den 1960er Jahren in den USA eindeutig mit Methoden, wie sie aus der Sozialforschung heraus entwickelt worden sind. Diese sollten dazu beitragen, gesicherte Aussagen über die Medienwirkung machen zu können. Ein weiterer Entwicklungsschub erfolgte durch die Adaption der nachrichtentechnischen Modellierung von Kommunikation in der Psychologie und Psychotherapie. Damit öffneten sich völlig neue Felder im sozialen und allgemeinen gesellschaftlichen Bereich, in denen sich ganz spezifische Fragestellungen auftaten und Methoden der Bezugsdisziplinen einen Forschungszugang ermöglichten.

Thematische FelderIm Jahrbuch der International CommunicationAssociationJahrbuch der International Communication Association wird 2004 eine Liste veröffentlicht, die Teildisziplinen der Kommunikationswissenschaft benennt: KommunikationswissenschaftArbeitsfelder

Information Systems

Interpersonal Communication

Mass Communication

Organizational Communication

Intercultural and Developmental Communication

Political Communication

Instructional and Developmental Communication

Health Communication

Philosophy and Communication

Communication and Technology

Popular Communication

Public Relations

Feminist Scholarship

Communication Law and Policy

Language and Social Communication

Visual Communication

Informationssysteme

Interpersonale Kommunikation

Massenkommunikation

Organisationale Kommunikation

Interkulturelle und Entwicklungskommunikation

Politische Kommunikation

Unterrichts- und Entwicklungskommunikation

Gesundheitskommunikation

Philosophie und Kommunikation

Kommunikation und Technik

Alltagskommunikation

Öffentlichkeitsarbeit

Feministisches Stipendium

Rechts- und politische Kommunikation

Sprache und soziale Kommunikation

Visuelle Kommunikation

Die Ansätze zeigen einen hohen Differenzierungsgrad einzelner Teilbereiche und geben Hinweise auf die innerfachlichen Entwicklungen sowie die dort bestehenden Schwerpunktthemen. Wenn nach Gemeinsamkeiten bzw. gemeinsamen Ausgangspunkten gesucht wird, lassen sich die verschiedenen Ansätze übergreifend in drei Themenschwerpunkten einer Kommunikationswissenschaft erfassen:

Öffentliche Kommunikation

Interpersonelle Kommunikation

Organisationale Kommunikation

Die Kommunikation im öffentlichen Raum umfasst das, was vor allem durch die Medien beherrscht wird und dort ganz eigenständige Entwicklungen im Rahmen der Medienwissenschaft bewirkt hat. Das thematische Feld der interpersonellen Kommunikation begleitet die alltägliche Kommunikation und wird in hohem Maße von der Psychologie erforscht. Die organisationale Kommunikation ist eng mit der Erforschung institutioneller Zusammenhänge verbunden und wird stark durch Ideen der Soziologie geprägt.

Die Breite des Faches Kommunikationswissenschaft

Wenn die Vorstellung der International Communication Association mit den Vorschlägen des WissenschaftsratesWissenschaftsrat verglichen wird, fällt eine Schwerpunktverschiebung und eine thematische Einengung auf. Der Rat versteht die interpersonelle Kommunikation im Sinne einer sozialwissenschaftlichen Kommunikationswissenschaft und legt sich dadurch auf ein wissenschaftliches Paradigma fest, welches die empirischen, quantitativen Methoden präferiert. Eine Verengung bedeutet auch die Fokussierung auf eine informatikorientierte Medientechnologie, denn hier wird ein Spezialbereich der Technik zu einem eigenständigen Feld in der Kommunikationswissenschaft erklärt. Niemand bezweifelt, dass die Kommunikation aufgrund der Computertechnologie grundlegende Veränderungen erfahren hat. Problematisch erscheint jedoch eine Fokussierung auf Techniken des digitalen Austauschs. Kommunikation zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie vielfältigste Technik(en) nutzt. Sie darf aber nicht mit den von ihr verwendeten materiellen Mitteln bzw. Instrumenten verwechselt werden. Das Handy ist keine Kommunikation, sondern schafft Bedingungen für diese. Interessant sind die dabei eintretenden Verhaltensmodifikationen. Das gilt im Übrigen auch für die Weiterentwicklung des Geräts selbst wie auch für das konkrete Verhalten der Nutzer, das sich in Abhängigkeit zu immer wieder auftretenden Situationen verändern kann.

Das Einbeziehen der kulturwissenschaftlichen Medialitätsforschung in das Fach Kommunikationswissenschaft ist für eine Weiterentwicklung des Faches wichtig und vielversprechend. Kulturelle Ereignisse werden zunehmend als Prozess der gesellschaftlichen Selbstfindung wahrgenommen und genutzt. Während noch bis in die 1970er Jahre hinein Kultur als ein eher schichtenspezifisches Phänomen galt, hat sich der Kulturbegriff seit den 1990er Jahren so weit geöffnet, dass eine Vielzahl gesellschaftlicher Ereignisse darunter subsumiert werden und eben nicht nur die bildenden Künste. Grundsätzlich finden sich bei den geisteswissenschaftlichen Disziplinen Anschlussmöglichkeiten für die Entwicklung im Fach Kommunikationswissenschaft. Sie bieten im Methodischen Werkzeuge, die gegenüber den empirisch quantitativ ausgerichteten medial- und sozialwissenschaftlichen Teildisziplinen eine Erweiterung des Beschreibungsspektrums bedeuten.

Erklärung

Kommunikationswissenschaft ist eine dynamische und im Grundverständnis interdisziplinär angelegte Fachdisziplin, deren Stärke in ihrer Interessensbreite liegt und die damit eigentlich auf Kooperation mit anderen Fächern angelegt ist. Sie ist eine Wissenschaft, die in Abhängigkeit von der Konfiguration ihrer wissenschaftlichen Umgebung sehr unterschiedliche Ausprägungen zulässt. Kommunikation ist immer Teil des allgemeinen Handelns. Insofern ist es kaum vorstellbar, über Kommunikation wissenschaftlich nachzudenken und zu reden, ohne sie im Verhältnis zu Theorien über das Handeln zu verorten. In Abhängigkeit zu dem, wie Handeln erklärt wird, lässt sich Kommunikation als eine Praxis im gesellschaftlichen Alltag verorten, zu der es noch viele unbeantwortete Fragen gibt.

Erkenntnisse aus verschiedenen DisziplinenGrundsätzlich gilt für eine Kommunikationswissenschaft, dass sie sich als Grundlagenwissenschaft mit der Semiotik als Bezugswissenschaft auseinandersetzen muss. Denn diese versucht zu erklären, wie und warum es mithilfe von Zeichen gelingt, das Miteinander von Individuen und Institutionen zu organisieren. Von der Kommunikationswissenschaft kann erwartet werden, Aussagen darüber zu machen wann und warum es in den verschiedenen gesellschaftlichen Zusammenhängen zum Austausch von Zeichen kommt und unter welchen Bedingungen dieser als erfolgreich eingeschätzt wird. SemiotikBeobachtet werden muss im Rahmen kommunikationswissenschaftlichen Arbeitens, was den Einzelnen zum kommunikativen Handeln mit den realen oder nur vorgestellten Anderen motiviert. Diese agieren nicht als isolierte Individuen, sondern sind Teil umfassender gesellschaftlicher Verhältnisse. Hierbei kann eine Kommunikationswissenschaft auf Diskussionen und Erkenntnisse in der Soziologie zurückgreifen. Denn diese geht Fragen nach, ob und wie auf der Basis von Kommunikation Gesellschaft überhaupt ermöglicht wird.

PsychologieAls fundamental werden die Einsichten in die Kommunikation eingeschätzt, die aus den Arbeiten der Psychologie hervorgegangen sind. Ein zentraler Fokus lag dabei auf dem Einzelnen und seinem Verhältnis zu seinen persönlichen Umwelten. Diese haben sich in medialen Bereichen stark verändert, sodass die Entwicklung in der Medientechnologie weiße Flecken bedingt hat, auf die eine kommunikationspsychologische Forschung Antworten finden will.

Hans Strohner (1945–2006), Professor an der Universität Bielefeld, Schwerpunkte: Text-, Kognitions- und Psycholinguistik

Kommunikationswissenschaft kann zu Erkenntnissen gelangen, bei denen Strohner (2006, 15–16; 467) Strohner, Hansbetont, dass ihre Verbreitung über die Wissenschaft hinaus von Bedeutung sein kann und ein Missbrauch nicht ausgeschlossen ist. Sie muss sich deshalb auch der Verantwortung dafür bewusst sein. Bei der Werbung und in der Politik sind Einsichten vorstellbar, die nicht nur zum Vorteil des Anderen genutzt werden können. Das Problem ist aus Diskussionen in der Medizin bekannt. Auch die Kommunikationswissenschaft braucht einen ethischen Diskurs.

Sich einer Kommunikationswissenschaft annähern

Nachdem Kommunikationswissenschaft kein Fach ist, das sich durch nur eine Theorie und eine Methodik erschließt, ist eine Einführung nur als Hinführung bzw. als eine wissenschaftliche Annäherung an das Themenfeld Kommunikation möglich. Das kann nicht ohne eine subjektive Perspektivenverkürzung geschehen. Man muss das nicht als Einschränkung sehen, wenn bewusst bleibt, dass der Weg zum Verstehen von Kommunikation verschlungener ist, als das mit dieser Annäherung erfasst werden kann. Sie folgt der Spur, Kommunikation im Handlungsfeld zu erfahren.

AkteureWer kommuniziert, setzt voraus, dass es zumindest einen Anderen gibt, der mit ihm in Verbindung tritt, wie auch immer das geschieht und was es konkret bedeuten kann. Die Frage nach dem Anderen lässt sich aber sehr unterschiedlich stellen. Die interpersonelle Kommunikation blickt anders darauf als die massenmedial organisierte. Erstere fragt, was der Andere will und wie mit ihm kooperiert werden könnte. Die massenmediale Kommunikation bedingt ein Nachdenken darüber, wie Ideen von Individuen, die gar nicht oder nur bedingt bekannt sind, so angesprochen werden können, dass sie sich auf das Geäußerte einlassen. Das Medium der Vermittlung funktioniert anders als bei einer Face to Face Begegnung. Der Raum der Öffentlichkeit erzeugt eigene Bezugsrahmen und unterscheidet sich von der privaten und persönlichen Umgebung. Die Perspektive auf den Einzelnen ändert sich, wenn wir betrachten, wie das Individuum in einer Organisation seinen Part wahrnimmt bzw. wie sie mit ihm als Teil derselben agiert. Er steht einem „abstrakten“ Partner gegenüber, wenn ihm in einem Schreiben von seinem Rathaus mitgeteilt wird, er habe sich ordnungsgemäß in dieser Kommune anzumelden. Wer der Einzelne ist, darüber wird wieder anders nachgedacht, wenn ich mich in einem Online Chat als Partner eines mir Unbekannten wahrnehme.

FormateKommunikation setzt etwas gegenseitig Erwartbares voraus. Das können formale Eigenschaften sein, die immer wieder auftreten. In einem institutionellen Kontext weisen sich die Interaktanten regelmäßig Rollen zu. Eine Gerichtsverhandlung folgt einer festgelegten Ordnung. Die Handlungen des Einzelnen sind nicht frei wählbar, sondern erfolgen in Abhängigkeit zu der jeweils zugewiesenen Rolle als Richter, Staatsanwalt, Verteidiger und Angeklagter. Der kommunikative Ablauf entspricht einer gesetzlich vorgegebenen Ordnung, von der nicht ohne weiteres abgewichen werden darf. Auch in religiösen Kontexten ist dies deutlich sichtbar, z.B. in Gottesdiensten. In der Alltagskommunikation erscheinen solche Regeln offener. Gespräche lassen sich in Abhängigkeit zu Stimmungen auf die eine oder andere Weise führen. Allerdings fällt auch hier auf, dass sie in Abhängigkeit zu der aktuellen Situation vom Angesprochenen unterschiedlich angenommen werden können und keineswegs gesichert ist, dass die gewählte Form beim Angesprochenen gut ankommt. Kommunikatives Handeln erzeugt eigenmächtige Wirkungen.

WirkzusammenhängeSeit der Antike beschäftigen sich Gesellschaften mit der Frage nach der Wirkung öffentlicher Reden. Daraus ist ein eigenständiges Fach entstanden, die Rhetorik. Sie hat Formen entwickelt, wie vor Gericht oder in politischen Versammlungen geredet werden sollte, um akzeptiert zu werden und die Meinung der Anwesenden für sein Anliegen zu gewinnen. Die Erfindung des Radios hat bei Politikern das Interesse geweckt, mehr darüber zu erfahren, wie sie durch dieses Medium ihre Wähler ansprechen und für ihre Anliegen gewinnen können. Die Ausweitung des Mediums durch den Film und das Fernsehen hat die Aufmerksamkeit der Wirtschaft geweckt, weil sie mithilfe von Werbung Käufer zu gewinnen hofft. Knape (2005) Knape, Joachim lässt darüber diskutieren, welche Handlungsformen sprechen in welchem der Medien die Rezipienten an. Das setzt Wirkungsforschung voraus. In der Neuzeit vornehmlich seit den 1960er Jahren hat die Psychologie die Wirkweisen kommunikativen Verhaltens in den Bereich des Privaten, der Zweierbeziehung, der Familie oder kleiner Gruppen zu beobachten begonnen und sich gefragt, welche Verhaltensformen unerwünschte Wirkungen auf die Anderen auslösen und zu Konflikten führen. Für Überraschung sorgen die sozialen Netzwerke in der Gesellschaft. Sie lösen Effekte aus, die im privaten und öffentlichen Raum immer wieder für Unruhe sorgen und über deren Wirkweisen noch wenig bekannt ist.

Joachim Knape (*1950)

Deutscher Literaturwissenschaftler, Schwerpunkte: Rhetorikgeschichte und Rhetoriktheorie

MediatisierungMediatisierungKommunikation wirft immer die Frage auf, wie eine Nachricht weiter gegeben wird. Was geschieht mit dem, was an jemanden gesendet wird und wie muss es arrangiert worden sein, damit er daraus das erschließt, was der Sendende sich wünscht? Missverständnisse sind dabei nicht zu verhindern, das gilt nicht nur für den persönlichen Bereich, sondern ist auch in öffentlichen Kontexten ein Problem. Eine Nachricht verändert sich auf ihrem Weg zum Anderen und verfehlt unter Umständen ihr Ziel oder sie wird bei der Übermittlung durch andere bewusst manipuliert. Zu erklären ist, wie es zu solchen Veränderungen kommen kann. Denn dasselbe, was gesagt oder geschrieben worden ist, verstehen die Angesprochenen ganz unterschiedlich und ziehen so nicht vorhergesehene Schlüsse daraus. Das alles geschieht, wie Krotz (2007) zeigt, in einer Welt sich ständig verändernder Medien. Höflich (1996) Höflich, Joachimberichtet, als das Telefon eingeführt wurde, war es ein Kommunikationsmedium für Behörden, Organisationen und Betriebe. Entsprechend eingeschränkt war die kommunikative Nutzung, es ging um Nachrichten offizieller Belange von betrieblichen und behördlichen Einrichtungen. Erst mit der Glasfasertechnik konnte ein Angebot geschaffen werden, dass erlaubte, private Haushalte an das Medium anzuschließen und durch die günstigen Preise zu ermöglichen, beliebig viel zu telefonieren. Es entwickelte sich eine eigene Gesprächskultur am Telefon, die mit dem Handy eine Weiterentwicklung erfahren hat. Jetzt kann immer und überall mit Anderen über alles gesprochen werden und das geschieht in einem nicht mehr dafür eingerichteten Raum wie einer Telefonzelle. Handys erlauben es, Fotos und Mitschnitte von Episoden zu versenden und erzwingen damit neue Kommunikationsformen.

Joachim R. Höflich (*1954)

Professor für Kommunikationswissenschaft, Schwerpunkte: interpersonale Kommunikation und Medienintegration

Ein erneuter Wandel vollzog sich mit neuen Nutzungsmöglichkeiten des Internets. Höflich (2016) sieht, wie dem Einzelnen und der Art seiner Präsenz im Internet eine besondere Rolle zukommt. Wenn wir uns in einem Chatroom bewegen, ist aber nicht mehr sicher abschätzbar, wer mit uns in Kontakt getreten ist. Obwohl sich ein Gegenüber als Individuum darstellt, ist unklar, um „was“ es sich dabei handelt. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Interaktion mit einer Maschine erfolgt. Das passiert, wenn beispielsweise eine Auskunft eingeholt wird und der Auskunft Gebende, der freundlich mit dem Anrufer spricht, ein Rechner ist. Ein anderes Beispiel für solche Veränderungen ist die heute selbstverständlich gewordene E-Mail. Sie wurde zu Beginn als Ersatz für einen Brief kommuniziert und entwickelte sich rasch zu einem beliebten Kommunikationsmittel, dass wegen seiner zeitlichen Nähe zum Kontaktpartner bis heute geschätzt wird.

DatentransferKommunikation wird konkret fassbar als eine Welt voller Daten. Sie werden in einer Vielfalt von Zeichen an uns herangetragen bzw. sie umgeben uns ständig und das erfolgt in den unterschiedlichsten Ausformungen. Daher gilt es zu klären, wie Daten für das Kommunizieren genutzt werden. Sie sind nicht einfach da, hinter ihnen stehen tatsächliche oder gedachte Individuen, welche mit ihnen jemanden zu etwas bewegen wollen. Wie erreichen diese Akteure sich mit den Daten gegenseitig so, dass kalkulierbar erscheint, wie mit ihnen umgegangen wird? Eine kommunikationswissenschaftliche Diskussion wird daher mit Akteuren konfrontiert, die voneinander etwas wollen. Zentral ist die Frage, wie sie das anstellen, um erfolgreich zu sein. Wie nutzen sie Daten und warum können sie sich darauf verlassen? Welche Fähigkeiten müssen sie sich gegenseitig unterstellen, denn die Umwelt stellt vieles als Daten zur Verfügung? Woher kommt das Wissen darüber, welche der Daten zu einem bestimmten Zweck genutzt werden sollen? Daten müssen daher für den Anderen als etwas erkennbar werden, das anzeigt, dass es auf der anderen Seite jemanden gibt, der ihn mit Daten ansprechen will. In der kommunikationswissenschaftlichen Diskussion tritt der Begriff des Signals auf, um diesen Zusammenhang deutlich zu machen. Signale werden gesetzt, um anderen Hinweise zu geben, wie sie sich in der Umwelt, in der das Signal auftritt, verhalten sollen.

SignalfunktionSignalfunktionDas Erkennen des Signals beinhaltet zugleich ein Wissen darüber, dass es einen Sender gibt, der sich mit dem Signal an einen Empfänger wendet. Signale funktionieren deshalb nicht für sich, sondern sind an bestimmte Umwelten gebunden, in denen ein Sender agiert. Für die Nutzer bedeutet das, sie müssen gelernt haben, Umwelten voneinander zu unterscheiden und solche zu erkennen, die dem Augenblick des Handelns Sinn zuzuschreiben erlauben. Zum Beispiel: Florian zeigt ein Verhalten, das Streit provoziert oder Ausdruck einer Depression ist oder Zeugnis fehlender Disziplin oder etwas nicht näher Bestimmbares. Die Sozialisation eines Einzelnen hilft ihm dabei, Erfahrungen zu sammeln, welche Daten in welcher Umwelt Signalfunktion haben oder nicht. Der Akteur sucht nach Indizien dafür, in welchen Handlungszusammenhängen diese Daten auftreten und mit welcher Bedeutung sie sich dort aufladen. Die kommunikationswissenschaftliche Diskussion hat daher Zusammenhänge aufzudecken, welches Formeninventar in welchen Umwelten auftritt, welche Eigenschaften Daten haben, um als Signal fungieren zu können. Genauso wichtig ist zu analysieren, welche Effekte dabei zu beobachten sind und welche Entwicklungen durch Veränderungen auftreten.

WeltwissenWeltwissenDas wirft die Frage auf, woher die Akteure wissen, wie sie jeweils reagieren sollen. In der kommunikationswissenschaftlichen Debatte werden unterschiedliche Erklärungsansätze diskutiert. Den Akteuren wird ein Wissen unterstellt, welches sie in die Lage versetzt, mit jeweils vorfindlichen Verhältnissen umgehen zu können. In der Soziologie gibt es Ansätze, die davon ausgehen, dass sich in Gesellschaften Systeme entwickelt haben, die Regeln und Verhaltensformen festlegen und so den Akteuren Deutungsmöglichkeiten an die Hand geben. Vieles spricht dafür, dass sich Praktiken unter den Akteuren herausbilden, die über das Situative hinausreichen und unter ihnen Erwartungen aufbauen, die rechtlich abgesichert werden oder politisch erwünscht sind. Wer ein Klassenzimmer als Schüler oder Lehrer betritt, hat gelernt, was er dort darf oder nicht, welches Verhalten Vorteile und welche Nachteile beinhaltet und was von den anderen Akteuren zu erwarten ist. Das wird für die Beteiligten durch die Örtlichkeit bewusst gehalten und umfasst die Themen und Gegenstände, über die gesprochen wird.

Symbolische UmweltSymboleUmweltDie Sozialpsychologie legt die Annahme nahe, dass die uns umgebende Welt mit Bedeutungszuschreibungen geordnet wird und die Bedeutungen durch Interaktionen abgeglichen werden. Auch sie kennt das Phänomen stabil auftretender Handlungsabfolgen und spricht dann von (Ablauf-)Mustern, die regelmäßig mit typischen Handlungen und Handlungsfolgen verbunden auftreten. Für die kommunikationswissenschaftliche Fragestellung sind diese Beobachtungen relevant, weil sie Hinweise darauf geben, von welcher Art Erwartung Akteure im Normalfall ausgehen, wenn sie miteinander interagieren, und wie stabil damit verbundene Erwartungen faktisch sind. Bedeutsam ist ferner die Klärung, woran sie sich orientieren, wenn sie Annahmen bilden, und nach welchem Ablaufmuster sie effektiv agieren können. Diese Frage interessiert auch die digitale Kommunikation, wenn automatische Auskünfte gegeben werden sollen.

KommunikationskompetenzDas Erkennen von gesellschaftlichen, systemisch wirksamen Umwelten bedeutet für das kommunikationswissenschaftliche Beobachten nicht, die Praktiken des Einzelnen nur als Reflex darauf zu analysieren. Das tatsächliche Verhalten des Einzelnen ist vielfältiger und wird nur bedingt durch die genannten Ansätze erklärt.KommunikationKompetenz Welches Aktionspotential dem Akteur zur Bewältigung seiner Umwelt zur Verfügung steht, hängt einerseits von seinem Wissen um systematische bzw. typische Handlungszusammenhänge ab, es wird aber auch von der Fähigkeit beeinflusst, welches strategische Potential ihm zur Verfügung steht, wie gut er mit Anderen, mit Themen, mit situativen Umständen ganz unterschiedlicher Art umgehen kann. Handlungstheorien wollen dem Verhalten einzelner auf die Spur kommen, indem sie aufzudecken und zu klären versuchen, auf welchem Weg der jeweilige Akteur zum Erfolg gelangt oder scheitert. So werden ihm Ziele und Motivlagen unterstellt, oder von einer besonderen Art der Umweltbearbeitung ausgegangen, indem er diese aufgrund von ihm akzeptierter Vorgaben deutet und Handlungskonsequenzen daraus ableitet. Der Charakter solcher Vorgaben wird von einzelnen Theorieansätzen unterschiedlich bewertet.

Erklärung

Interessant sind die Ansätze, die davon ausgehen, dass sich Handeln aus dem Augenblick heraus konstituiert und Ziel und Motiv erst im Nachhinein erkennbar werden. Damit wird eine Erfahrung beschrieben, die besonders in der Alltagskommunikation auftritt. Dieser Aspekt ist für die Kommunikationswissenschaft wichtig, weil er an ein Phänomen anschließt, das jeder kommunikativen Handlungsfolge inhärent ist. Ob der nächste Beitrag in einem Gespräch aus dem Bisherigen erklärt werden kann, ist grundsätzlich immer offen. Bei diffusen Gefühlslagen tritt vermehrt der Effekt ein, dass plötzlich etwas geäußert wird, was nicht zu passen scheint. Gesprächen haftet insofern immer das Gefühl an, mit Unerwartetem konfrontiert zu werden.

BeobachtungsfeldKommunikationBeobachtenDie Kommunikationswissenschaft muss beobachten, wie Akteure miteinander umgehen, wenn sie etwas voneinander wollen, und wie sie sich beobachten, wenn sie gemeinsam etwas tun. Dieser Vorgang erschließt sich aber nicht aus sich selbst, denn, was beobachtet werden kann, hängt von Annahmen und Erwartungen ab, die wissenschaftlich durch die jeweilige Bezugstheorie getragen werden oder alltagspraktisch mit den sozialen Erfahrungen verbunden sind, die sich die Akteure erworben haben. Worauf zu achten ist, erweist sich als Strategie des erfolgreichen Kommunizieren. In der Kommunikationswissenschaft bietet eine Teildisziplin der Theologie und Philosophie dafür Anknüpfungspunkte: die Hermeneutik. Diese versucht zu klären, wie es Leser schaffen, Texten Bedeutung zuzuschreiben und wann und wodurch diese Zuschreibungen Gültigkeit beanspruchen können. Dem liegen Interpretationsprozeduren zugrunde, die Merkmale aus der Umwelt einbeziehen, beispielsweise die besonderen zeitlichen Verhältnisse der Entstehung. Was hat die Gesellschaft zu der Zeit bewegt, über welche Probleme hat sie diskutiert.

Wenn Akteure miteinander sprechen, kann das Geäußerte wie ein Text gedeutet werden, der unter bestimmten Bedingungen entsteht. Dann lassen sich ihm Deutungen zuweisen und darüber diskutieren, welches Deutungsverhalten bei den Akteuren selbst vermutet werden kann. Es kann nach Deutungsmustern gesucht werden und ihre Verbindlichkeit im Hinblick auf den konkreten Fall und darüber hinaus. Ein Gesprächstext ist ein flüchtiges Ereignis. Er entsteht im Moment der zeitlichen Äußerung und vergeht im selben Augenblick. Seit es Aufzeichnungstechniken wie die Ton- und Videobandaufzeichnung gibt, lässt sich das Ereignis archivieren. Es kann dann als Aufzeichnung unabhängig von der Zeit angehört oder angesehen werden. Dabei hat sich eine wissenschaftliche Praxis herausgebildet, das Ereignis in ein Textformat zu transferieren. Es wird ein Transkript erarbeitet, weil es als Text verschiedenen Interpretationsansätzen zugänglich wird.

Ein anderer Weg ist das Dokumentieren dessen, was bei der Kommunikation geschieht. Ein solches Verfahren zwingt dazu, Kategorien dafür festzulegen, wie bestimmte Gegebenheiten im kommunikativen Geschehen erkannt und festgehalten werden können. Ihre Auswahl wird damit begründet, dass die Kategorien als signifikant für das Funktionieren von Kommunikation eingestuft werden. Das erlaubt Aussagen über die Häufigkeit und die Konfiguration ihres Auftretens. Diese Merkmale können Hinweise auf auffällige Verhaltensweisen geben. So lassen sich große Datenmengen bearbeiten. Zum Beispiel kann beobachtet werden, wie sich Zeitungstexte über längere Zeiträume hinweg verändern.

KommunikationskompetenzKommunikationKompetenzKommunikationKompetenzBeherrschung von Kommunikation wird als eine Schlüsselqualifikation angesehen, für die sich ein eigener Markt entwickelt hat. Da der Lebensalltag unserer Gesellschaft von den unterschiedlichsten Kommunikationsaufgaben geprägt ist, ist die Individualberatung und -schulung entstanden. Zunehmend entwickelte sich ein Bewusstsein für Kommunikation und damit verbunden ist der Wunsch, das eigene kommunikative Verhalten zu optimieren und sich Techniken anzueignen, welche die eigene Kommunikation für bestimmte Zwecke kalkulierbarer machen sollen. Vielfältige Trainings und Coachings werden daher angeboten. Sie zielen darauf ab, als nachteilig bewertete Verhaltensformen im Umgang mit anderen abzubauen und Strategien der Selbstdarstellung zu entwickeln, denen mehr Erfolg bei der Kommunikation zugesprochen wird.

KommunikationsberatungFerner wächst ständig die Nachfrage nach Kommunikationsberatung in Institutionen, bei Organisationen und zu Events. Gleichzeitig verändern sich die Formen der Kommunikation. Dabei geht es nicht nur um Fragen der inneren Kommunikation, sondern ebenso sehr um das Bild in der Öffentlichkeit, das Einrichtungen oder Ereignisse nach außen erzeugen, welches wiederum auf Kommunikation basiert. Fragen, ob die Selbstbilder und die tatsächlich beobachtbaren Images übereinstimmen und wie sie sich annähern lassen, gehören zu den Aufgaben der Beratung. Auch unerwartete Ereignisse, beispielsweise Naturkatastrophen oder Vorfälle bei Großveranstaltungen und ihre Konsequenzen, sind nicht mehr nur ein Thema für Psychologen, sondern gehören im Rahmen der Krisenbewältigung zum Arbeitsbereich von Kommunikationsfachleuten.

Die empirische Wirksamkeit und vor allem die Nachhaltigkeit solcher Beratung können als ungeklärt angesehen werden.KommunikationBeratung Brünner et al. (2002) verweisen in den Beiträgen darauf, dass Kommunikation komplexer als die Beherrschung einzelner Verhaltensmuster und das Einüben bestimmter Taktiken ist. Ferner gibt es Probleme mit der Erwartung, rasch und schnell eine hundertprozentig Lösung zu erhalten. Das zwingt die Berater zu einem Handeln, dessen Verankerung in theoretischen Kontexten nicht ohne weiteres gegeben ist und damit nicht immer auf einer wissenschaftlichen Grundlage zustande kommt. In diesen Fällen ist die Kommunikationswissenschaft gefordert, Modelle zu entwickeln, deren wissenschaftliche Zuverlässigkeit nachgewiesen ist, die gleichzeitig aber praktische Anwendbarkeit ermöglichen. Die alternative Lösung könnte im Praktischen vermutet werden, d.h. der Berater verfügt über sehr umfassendes handlungspraktisches Wissen. Aber auch hier gilt, dass das praktische Wissen in Kontexte eingebunden ist, die erst in ihrer Inhaltlichkeit erkannt bzw. vermittelt werden müssen.

Ein weiteres Beratungsfeld erschließt sich aus der rasanten Entwicklung neuer Kommunikationsformen im Internet. Es entsteht ein Medium, dessen Bedeutung für soziale Gemeinschaften noch völlig unzureichend erforscht ist. Diese neuen Kommunikationsformen beeinflussen unseren Alltag und fordern Reaktionen. Auch hier wird Beratung benötigt und ist Forschung gefordert.

Zusammenfassung

Weil das Phänomen Kommunikation komplex ist, d.h. ihm liegt ein Handeln zugrunde, dessen Entscheidungen immer wieder neu und anders getroffen werden können, ist die Entwicklung einer Kompetenz zur Kommunikation nicht auf das Erlernen und Trainieren von speziellen Skills zu beschränken. Kompetenz bildet sich heraus, wenn Raum für Erfahrungen in einer Vielfalt von Handlungsfeldern geboten wird und eine Fähigkeit zur Reflexion des kommunikativen Handelns besteht. Seine eigenen Praktiken reflektieren zu lernen, setzt bereits ein intensives Üben voraus und erweist sich als ein eigenständiges Handlungsfeld, in der Auseinandersetzung mit Kommunikation.

Literatur

Beck, Klaus (2017): Kommunikationswissenschaft. 5. überarbeitete Auflage. Konstanz, München, Konstanz, München: UVK Verlagsgesellschaft.

Brünner, Gisela; Fiehler, Reinhard; Kindt, Walther (2002): Angewandte Diskursforschung. Mannheim: Verlag für Gesprächsforschung.

Höflich, Joachim R. (1996): Technisch vermittelte interpersonale Kommunikation. Grundlagen, organisatorische Medienverwendung, Konstitution 'elektronischer Gemeinschaften'. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwiss.; Imprint (Studien zur Kommunikationswissenschaft, 8).

Höflich, Joachim R. (2016): Der Mensch und seine Medien. Mediatisierte interpersonale Kommunikation: eine Einführung. Wiesbaden: Springer VS.

Knape, Joachim (Hg.) (2005): Medienrhetorik. Tübingen: Attempto-Verlag.

Krotz, Friedrich (2007): Mediatisierung Fallstudien zum Wandel von Kommunikation. 1. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwiss.

Lenke, Nils (1995): Grundlagen sprachlicher Kommunikation Mensch, Welt, Handeln, Sprache, Computer. München: Fink (UTB).

Schmidt, Siegfried J.; Zurstiege, Guido (2000): Orientierung Kommunikationswissenschaft. Was sie kann, was sie will. Orig.-Ausg. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt (Rowohlts Enzyklopädie, 55618).

Schulz von Thun, Friedemann (1982): Miteinander reden. Störungen und Klärungen; Psychologie der zwischenmenschlichen Kommunikation. Orig.-Ausg., 16.–22. Tsd. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

Strohner, Hans (2006): Kommunikation. Kognitive Grundlagen und praktische Anwendungen. [Vollst. überarb. und erw. Neuaufl.]. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Watzlawick, Paul (1969): Menschliche Kommunikation Formen, Störungen, Paradoxien. Bern u.a.: Huber.

Wissenschaftsrat (21.05.2007): Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Kommunikations- und Medienwissenschaften in Deutschland. Köln. Online verfügbar unter www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/7901–07.pdf, zuletzt geprüft am 08.03.2017

Weiterführende Literatur

Burkart, Roland; Hömberg, Walter (2015): Das Erkenntnisobjekt „Kommunikation“ – eine fachbezogene Auswahl universaler Kommunikationstheorien. In: Burkart, Roland; Hömberg, Walter (Hg.) (2015): Kommunikationstheorien. Ein Textbuch zur Einführung. 8., durchges. und akt. Aufl. Wien: new acad. Press, S. 11–15.

Pürer, Heinz; Springer, Nina; Eichhorn, Wolfgang (2015): Grundbegriffe der Kommunikationswissenschaft. 1. Aufl. Stuttgart, Konstanz: UTB. Online verfügbar unter http://www.utb-studi-e-book.de/9783838542980.

Rau, Harald (2013): Einladung zur Kommunikationswissenschaft. Baden-Baden, Stuttgart: Nomos; UTB (utb-studi-e-book, 3915). Online verfügbar unter http://www.utb-studi-e-book.de/9783838539157.

Schmidt, Siegfried J. (2007): Kommunikationswissenschaft. Systematik und Ziele. Originalausg. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag.

Problemstellung und Fragen

Kennen Sie die Schwerpunktbildung Ihres eigenen Studiengangs? In welchem Verhältnis steht er zu den genannten Teildisziplinen? Wo liegt Ihr eigenes Interesse?

Erstellen Sie eine Prioritätenliste über Themen, mit denen sich eine Kommunikationswissenschaft Ihrer Meinung nach auseinandersetzen sollte! Finden Sie in den Kapitelhinweisen in diesem Band (direkte) Anknüpfungspunkte?

Das Interesse an der Kommunikation ist gesellschaftlich sehr vielfältig. Es gibt deutliche Unterschiede bei den wissenschaftlichen Entwicklungen zwischen der USA und Deutschland. Welche können Sie benennen? Wo würden Sie den Standort Ihres Studiengangs sehen? (Vgl. 1.2)

Um Kommunikation verstehen zu lernen, bedarf es der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Wo werden gegenwärtig die zentralen Forschungsfelder gesehen und wie wird das begründet? (Vgl. 1.2)

Mit Kommunikation haben sich ganz unterschiedliche Fachdisziplinen auseinandergesetzt. Welche haben früh erkannt, wie wichtig Erkenntnisse über Kommunikation für den Einzelnen und die Gesellschaft sind? (Vgl. 1.3)

Wer sich mit Kommunikation befassen will, wird mit ganz unterschiedlichen Problemstellungen konfrontiert. Die Übersicht im Abschnitt 1.4 vermittelt einen ersten Eindruck davon. Wenn Sie Ihr gegenwärtiges Verständnis von Kommunikation dazu ins Verhältnis setzen, wo finden Sie Übereinstimmungen und wo Differenzen? (Vgl. 1.4)

Kommunikation setzt Kommunizieren voraus – der Alltag der Kommunikation

Inhalt
2.1

Der Gebrauch des Wortes Kommunikation    20

2.2

Kommunikation braucht Umgebungen    24

2.3

Kommunikation setzt Ordnung voraus    28

2.4

Kommunikation als Wissenschaft – die Anfänge der Theoriebildung    34

2.5

Literatur    39

2.6

Problemstellung und Fragen    41

 

Überblick

Kommunikation scheint allgegenwärtig, aber nicht alles, was so scheint, ist Kommunikation. Akteure nutzen alles Mögliche zur Kommunikation, ob und was davon kommunikativ wirksam wird, ist nicht ohne weiteres bestimmbar. Sie suchen nach Indizien für das, was Kommunikation sein kann. Selber verfügen sie über vielfältige Erfahrungen mit Situationen und Umgebungen, wo bestimmte Verhaltensformen regelmäßig zum Kommunizieren genutzt werden. Kommunikation ist ein komplexes Phänomen. Daher muss die Wissenschaft, die sich mit Kommunikation beschäftigt, einzelne Phänomene, wie beispielsweise das Signal und seine Übertragbarkeit, das Zeichen und seinen kulturellen Kontext, den Wechsel von Sprecher zu Sprecher oder die Gesellschaft als Ort des Kommunizierens, in den Griff bekommen.

Das Wort Kommunikation hat viele Bedeutungen. Um über Kommunikation sprechen zu können, muss daher immer geklärt werden, in welchem praktischen und theoretischen Handlungskontext darüber geredet werden soll. Die Alltagserfahrung konfrontiert den Handelnden mit vielfältigen Problemen. Die Wissenschaft greift auf diese nur sehr selektiv zu und beschreibt lediglich Teilaspekte Albert Einstein (1927) verweist auf die Schwierigkeit, mit der sich eine Wissenschaft konfrontiert sieht, wenn sie ihren Blick auf ein Phänomen ausrichtet.

Werner Heisenberg zitiert Einstein 1927 in: Heisenberg (1969, S. 85)

Aber vom prinzipiellen Standpunkt aus ist es ganz falsch eine Theorie nur auf beobachtbare Größen gründen zu wollen. Denn es ist ja in Wirklichkeit umgekehrt. Erst die Theorie entscheidet darüber, was man beobachten kann.

Der Gebrauch des Wortes KommunikationKommunikationBegriff

Was Kommunikation ist, weiß eigentlich jeder, was Kommunikation bedeutet, dazu kann jeder etwas sagen und irgendwas wird damit sicherlich auch erklärt. Der Wunsch nach einer grundsätzlichen Klärung macht indes wenig Sinn, denn das würde bedeuten, zu den von Faßler (Faßler 1997, S. 20) identifizierten 160 Definitionen weitere hinzuzufügen. Halten wir daher für uns fest: Kommunikation ist ein Phänomen, das uns allen vertraut ist und auf das wir mit dem Wort Kommunikation hinweisen. Eine Ausdifferenzierung der Begrifflichkeit wird im Verlauf und in Abhängigkeit zu den einzelnen Themen erfolgen.

Manfred Faßler (*1949)

Professor für Soziologie, Medienwissenschaftler, Schwerpunkte: Medienevolution und medienintegrierte Wissenskulturen

Kommunikation wird im allgemeinen gesellschaftlichen Bewusstsein stark mit Sprache assoziiert.KommunikationverbalKommunikationnonverbal Das ist gewiss nicht falsch, trifft aber nur eine ihrer spezifischen Formen. Generell kann Kommunikation weiter gefasst werden, und spätestens seit den Arbeiten von Watzlawick (1969) und der Paolo Alto Gruppe Ende der 60er Jahre ist das in der wissenschaftlichen Diskussion auch geschehen. Intensiv wurden die körperbezogenen Ausdrucksformen unter dem Begriff der nonverbalen Kommunikation diskutiert. Eco (1977) Eco, Umbertoöffnete als einer der ersten den Blick auch auf Bilder und ihre Kommunizierbarkeit. Um sich dem Phänomen der Kommunikation in einem ersten Schritt anzunähern, soll die Aufmerksamkeit einer kleinen Geschichte gelten. Die Erzählung entstand als Reaktion auf Überlegungen in der SprachphilosophieSprachphilosophie, wo der Frage nachgegangen worden war, ob Kommunikation ohne Sprache überhaupt vorstellbar sei.

Umberto Eco (1932–2016)

Italienischer Schriftsteller, Kolumnist, Philosoph und Medienwissenschaftler, Schwerpunkt: Semiotik

Ein Vorspiel – die Beerenfalle

Jill und Jack kennen sich schon lange. Jill macht einen Waldspaziergang, als sie bemerkt, dass sie von Jack beobachtet wird. Sie weiß, dass Jack aus dem, was sie tun wird, jetzt seine Schlüsse ziehen wird. Sie steht vor einer Reihe von Sträuchern mit Beeren. Einige kann man essen, andere nicht. Sie weiß, dass sich Jack mit Beeren nicht auskennt, aber wie sie Brombeeren mag. Diese pflückt sie, um sie zu essen, und steckt auch einige in den Mund. Sie greift nur nach den Brombeeren an einem bestimmten Strauch. Sie tut damit zweierlei. Sie mag Beeren und pflückt sich diese, um sie zu essen. Da sie weiß, dass Jack sie beobachtet und er auch Beeren mag, aber keine Kenntnisse hat, welche giftig und welche nicht giftig sind, zeigt sie Jack mit ihrem Handeln, welche Beeren er pflücken und essen darf. Jack ist heimlich Jill gefolgt und glaubt, dass er nicht gesehen wird. Ihn interessiert, was Jill macht und wo sie hingeht. Dass sie Beeren pflückt, nimmt er mit besonderem Interesse wahr, weil er sich nicht traut, selbst welche zu pflücken, da er unsicher ist, welche essbar sind und welche nicht. Die Beobachtung von Jill, wo sie Beeren pflückt und welche sie dann isst, erlaubt ihm, daraus auf die Essbarkeit zu schließen.

Nach einer Idee von Sperber und Wilson Sperber, DanWilson, Deirdre

Dan Sperber (*1942)

Französischer Anthropologe und Linguist, Schwerpunkte: Anthropologie und Relevanztheorie

Deirdre Wilson (*1941)

Britische Linguistin und Kognitionswissenschaftlerin, Schwerpunkte: linguistische Pragmatik, Relevanztheorie und Sprachphilosophie

Merkmale der EpisodeDie Szene für sich betrachtet hat zunächst einmal nichts Ungewöhnliches, außer dass sie nicht unbedingt typisch dafür ist, als Ausgangsszene für die Betrachtung von Kommunikation gewählt zu werden. Denn das, was wir gemeinhin mit dem Begriff Kommunikation verbinden, kommt hier auf den ersten Blick nicht vor. Eigentlich könnte man sogar meinen, die Szene sei ein Beispiel dafür, wie Kommunikation nicht funktioniert. Denn eine der beiden beteiligten Personen will von der anderen noch nicht einmal gesehen werden. Und doch werden wir erkennen, dass sich Schlüsselfragen der Kommunikation gerade aus dieser Episode herleiten lassen.

Paar-StrukturAn Kommunikation, darüber besteht kein Zweifel, sind wenigstens zwei beteiligt, und das ist auch hier der Fall. Es müssen nicht immer Individuen sein, die an der Kommunikation teilnehmen; denn es gibt viele Formen, bei denen eine Institution der Kommunikationspartner sein kann, wenn beispielsweise die Polizei mir mitteilt, dass ich mein Auto falsch geparkt habe. Auch stehen Institutionen oder Organisationen in kommunikativem Austausch miteinander, wenn die Einwohnermeldebehörde von Rostock bei der von Passau anfragt, ob ich dort gemeldet bin.

Absichtsvolle HandlungDie zitierte Episode weist eine Besonderheit auf, denn Kommunikation lässt normalerweise erwarten, dass die daran Beteiligten etwas voneinander wollen und dass ihnen das auch im Normalfall bewusst ist. Zwar will Jill Jack etwas mitteilen und Jack möchte etwas erfahren, allerdings will er die Information unbemerkt und nur durch das Beobachten von Jill gewinnen. Dabei unterstellt er nicht, dass Jill ihm Informationen übermitteln will. Denn er will ja von Jill nicht gesehen werden, aber trotzdem wissen, was sie tut. Er informiert sich, nicht wissend, dass die Andere mit ihm „kommuniziert“. Erkennbar wird, dass das (Sich-)Informieren und das Jemandem-etwas-mitteilenMitteilung eigenen Gebrauchsbedingungen unterliegen. Information ist nicht automatisch Kommunikation.

Es scheint daher möglich, dass jemandem etwas mitgeteilt wird, ohne dass dieser eine Mitteilung erwartet. Trotzdem kann er von dem so Mitgeteilten profitieren, wie das Beispiel belegt. Des Weiteren fällt auf: Das Mitteilen selbst muss nicht durch einen expliziten Akt des Mitteilens erfolgen. Denn es wird nichts gesagt, was der Andere hören kann. Interessant ist nun aber beobachten zu können, dass auch Jills Beerenpflücken kommunikativ nutzbar ist. Denn Jill will ja Jack vor giftigen Beeren warnen bzw. ihm essbare zeigen. Ich kann also jemanden warnen, ohne dass ich ihm sage: Ich warne dich. Ferner kann ich jemanden darüber aufklären, was er darf oder nicht. Ein und dieselbe Handlung wird mehrfach und zu verschiedenen Zwecken genutzt, so dass man sagen kann: Nicht das Tun an sich ist kommunikativ, sondern die kommunikative Funktion erfolgt durch eine Zuschreibung der jeweils am Ereignis Beteiligten. Jill will mit ihrem Verhalten Jack warnen und ihm mitteilen, was er darf. Jack will wissen, welche Beeren essbar sind und welche nicht. Er sucht nach Informationen.

Vertraut ist uns der Gedanke, dass eine InformationInformation bzw. eine BotschaftBotschaft weitergegeben wird. Jill will Jack darüber informieren, wo er essbare Beeren findet. Überraschend ist hier eben das Wie. Die Voraussetzungen sind, dass Jack ein bestimmtes Verhalten beobachten kann und dass er daraus für sich Schlüsse zieht. Diese Schlüsse gehören zum Kalkül der beobachteten Person, denn sie will zeigen, welche Beeren essbar sind. Obwohl für den Rezipienten gar nicht offenkundig ist, dass ihm etwas mitgeteilt wird, kann ihm durch den Handelnden durchaus etwas mitgeteilt werden. Beide Akteure teilen nämlich den Blick auf eine ihnen bekannte Wirklichkeit – die Beeren – und das Bedürfnis, von diesen zu essen. Ohne diese Gemeinsamkeit gelänge der Austausch über die Eigenschaften des Nahrungsmittels nicht. Nur weil Jill weiß, was Jack will, und Jack weiß, dass Jill etwas tut, was Jack auch für sich möchte, kann er dem Tun von Jill vertrauen.

TransferleistungAus Vorfindlichem auf etwas damit Gemeintes zu schließen, ist im Alltag nichts Ungewöhnliches. Im Gebirge ist es üblich, die Wanderwege mit Farbpunkten zu markieren. Wenn diese Markierungen nicht sorgfältig gepflegt werden, verwittern die Punkte und verlieren ihre Farbqualität, so dass sie wie natürliche Flecken eines Steins aussehen können. Wenn wir den Wanderweg nehmen wollen, suchen wir in der Umgebung des Weges an den Steinen oder Baumstämmen nach Farbflecken, von denen wir annehmen, dass sie dort jemand hingepinselt hat. Wenn wir unsicher sind, vergleichen wir die Form und Farbqualität mit der Struktur des Steines, auf dem wir den Flecken vermuten, und entschließen uns dann, ihn als Markierung zu akzeptieren oder als natürliche Erscheinung zu betrachten. Im ersten Fall folgen wir dem Kommunikationsangebot dessen, der die Markierung gelegt hat. Im zweiten Fall unterstellen wir, dass dieser Färbung keine kommunikative Funktion zugeschrieben werden kann.

Markierung eines Bergwanderweges

Der Erfolg der Kommunikation zwischen Jill und Jack basiert daher auf der Fähigkeit von beiden, aus Beobachtungen in ihrer Umwelt auf etwas zu schließen, was für sie von Belang ist. Die Episode erzählt davon, dass Jill mit ihrem Verhalten die Erwartung verbindet, Jack werde es wahrnehmen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Jack weiß davon nichts, macht sich aber die Beobachtung des Verhaltens von Jill zunutze und beseitigt so sein Informationsdefizit. Wer eine Wanderung in einem fremden Gebiet macht, orientiert sich an Wegmarken. Diese können natürlich sein, markante Gesteinsformationen beispielsweise. Üblich sind jedoch kommunikativ gesetzte Markierungen wie Farbpunkte. Kommunikation erweist sich als ein Ereignis, das auf Gegenseitigkeit abzielt, ohne sich dieser sicher sein zu können. Denn was der Andere mit dem Angebot tun wird, hängt von seiner Befindlichkeit und den Umständen ab, in denen er sich gerade befindet. Dabei ist bedeutsam, dass jemand das in der Umwelt Vorgefundene nur so wahrnimmt, wie er es möchte oder kann.

Erklärung

Kommunikation ist nicht einfach da, sondern sie wird von jemandem gesucht oder sie wird versucht. Das setzt jemanden voraus, der sich darauf einlassen kann und will. Es muss nicht unbedingt eine Person sein, sondern kann beispielsweise ebenso in der Form einer Behörde in Erscheinung treten. Der Vorgang kann als gelungen wahrgenommen werden, wenn die betroffenen Akteure herausfinden bzw. erkennen können, was es mit dem Kommunikationsversuch auf sich haben könnte.

Kommunikation braucht Umgebungen

Um verstehen zu können, womit sich die Kommunikationswissenschaft beschäftigt und welche Probleme sie zu lösen hat, muss die besondere Rolle der Umwelt bzw. der Dinge, die uns umgeben, in Betracht gezogen werden und ebenso die Art, wie wir mit ihnen umgehen. Umwelt ist zuerst einmal der Wahrnehmungsraum eines jeden Einzelnen. Dieser Wahrnehmungsraum lässt sich formal als Datenmenge betrachten. Der Einzelne wird also mit einer Vielzahl von DatenDaten konfrontiert, die zuerst einmal nur als strukturelle Daten existieren.

Hörsaal aus der Dozentenperspektive

Wer zum ersten Mal einen Hörsaal betritt, findet alles Mögliche darin vor: Bänke und dazu gehörende Schreibflächen, einen Anstieg der Sitzreihen, eine breite Tafelwand vorne, links und rechts weiße Flächen für visuelle Präsentationen, an den Wänden Tafeln mit Schriftzeichen, Zeichen für Fluchtwege, Haken für Mäntel, leere Flaschen und liegen gelassene Papiere und anderes mehr. Das alles sind strukturelle Daten, die sich für ein Lebewesen wie einen Hund völlig anders als für einen Menschen darstellen würden. Wird der Raum vom Putzdienst aufgesucht, spielen leere Flaschen und weggeworfene Papiere eine andere Rolle als für Besucher, die am Tag der offenen Tür in den Hörsaal schauen.

Hörsaal aus der Studentenperspektive

Lehrende und Studenten sehen diese Dinge unter Umständen gar nicht. Was in einem solchen Raum Bedeutung erlangt und welche Bedeutung es erlangt, hängt also davon ab, was derjenige, der den Raum wahrnimmt, mit ihm machen möchte bzw. wofür er ihn nutzen will. Erst wenn eine Vorstellung über die Nutzung vorhanden ist, können die vorgefundenen Daten näher bestimmt und verstanden werden, und es lassen sich ihnen Eigenschaften zuweisen, aufgrund derer sie dann als Bankreihe und Wandtafel erkannt und benannt werden können, wenn die Vorstellung Hörsaal die Wahrnehmung ordnet. Aus strukturellen werden die relevanten Daten.

Besuch auf einer Werft – ein Beispiel

Wir sind im Alltag gewohnt, unbewusst und spontan auf Umgebungen zu reagieren. Zu Orientierungshandlungen kommt es erst dann, wenn sich die Umgebung mit den gewohnten Erwartungen nicht fassen lässt. Wir besichtigen eine Werft und werden in einen Schiffsrohbau geführt. Da sind wir von Metallplatten umgeben, die auf einzelne von uns wie bizarre Raumgebilde wirken, da fühlen wir uns verwirrt von Stiegen in höher gelegene Plateaus, die große runde Löcher enthalten. Jeder ordnet das, was er sieht, individuell. Der eine spricht von einem Schrottplatz, auf dem er sich befindet, der andere fühlt sich wie bei der Begehung einer modernen Skulptur, und wieder ein anderer sagt, er kenne sich überhaupt nicht aus und habe komplett die Orientierung verloren. Erst als uns der bauleitende Ingenieur erklärt, wir befänden uns im Bug-Teil des künftigen Schiffes, können wir den Formen und Flächen Eigenschaften zuweisen, die sie als Bug erkennbar machen. Das runde Loch wird als Öffnung nachvollziehbar, aus der die Ankerkette heruntergelassen wird. Bestimmte Bauteile lassen sich als Reling vermuten. Der uns angebotene Bezugshintergrund erlaubt es nun, den Daten Funktionen zuzuweisen.

Solche Bezugshintergründe ermöglichen das Verstehen unserer Umgebungen und das gilt nicht nur in physikalischer Hinsicht. Durch weitere Hinweise des Ingenieurs werden wir plötzlich fündig. Er macht uns nämlich auf kleine Markierungen an bestimmten Stellen der Platten aufmerksam, die bisher als Rostflecken oder Verschmutzung wahrgenommen worden waren. Die Platten werden nicht nur als Bauteile eines Schiffes erkennbar, sondern sie werden mit einem Mal „lesbar“; auch wenn wir das, was dort steht, nicht verstehen, so erkennen wir doch, dass es sich um Mitteilungen handelt, die von den Schweißern, wie uns der Bauleiter erklärt, als Anweisungen verstanden und insofern kommunikativ benutzt werden. Dieses Wissen eröffnet die Möglichkeit, etwas als kommunikativ nutzbare Daten von anderen Daten zu unterscheiden. Die Schweißer müssen die Daten als Markierung auf den Metallplatten erkennen und können sie deuten. Eine Vorbedingung für kommunikatives Handeln ist das Erkennen von Daten, die kommunikativ genutzt werden sollen.

DatenDatenDaten nennen wir bis auf Weiteres alles, was in der Umwelt von einer Person selektiv wahrgenommen und zu einem bestimmten Zweck kognitiv verarbeitet wird. Um mehr über die Daten zu erfahren, ist daher grundsätzlich zu fragen, welche Bedingungen für solche Daten gelten, die kommunikativ verwendet werden sollen. Denn an der Episode in der Werft ist deutlich geworden: Daten müssen sich von anderen abheben, um überhaupt in das Aufmerksamkeitsfeld der Beteiligten treten zu können. Sie tun das nicht aus sich heraus, sondern erst dann, wenn wir ihnen einen Funktionszusammenhang zuordnen können, d.h. wenn es einen Bezugshintergrund gibt, der sie für uns sichtbar und dann verarbeitbar macht.Kontext