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Konfliktlandschaften des Südsudan E-Book

Jan Pospisil

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Beschreibung

Nach einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg erlangt die Republik Südsudan am 9. Juli 2011 ihre Unabhängigkeit. Doch trotz aller Bemühungen um einen friedlichen Staatsaufbau nimmt die erste Dekade der Eigenstaatlichkeit einen gewaltsamen Verlauf: Im Dezember 2013 schlittert der Südsudan in einen blutig geführten Bürgerkrieg, der sich nicht als einheitlicher Konflikt mit klar definierbaren Parteien, sondern zu einem Amalgam komplex verschachtelter Konfliktlandschaften entwickelt. In analytischen Vignetten, die verschiedene Regionen sowie die nationale und internationale Dimension des Bürgerkrieges untersuchen, gibt Jan Pospisil einen Einblick in die südsudanesische Konfliktrealität.

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Seitenzahl: 512

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Jan Pospisil, geb. 1974, ist Forschungsdirektor am Austrian Study Centre for Peace and Conflict Resolution (ASPR), und Privatdozent für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Zudem arbeitet er im Rahmen des Political Settlements Research Programme (PSRP) an der University of Edinburgh.

Jan Pospisil

Konfliktlandschaften des Südsudan

Fragmente eines Staates

This work was supported by the UK Foreign, Commonwealth, and Development Office under Grant PO 6663 (Political Settlements Research Programme).

Die Drucklegung wurde vom Autrian Study Centre for Peace and Conflict Resolution (ASPR) unterstützt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution 4.0 Lizenz (BY). Diese Lizenz erlaubt unter Voraussetzung der Namensnennung des Urhebers die Bearbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung des Materials in jedem Format oder Medium für beliebige Zwecke, auch kommerziell. (Lizenztext:https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de)

Die Bedingungen der Creative-Commons-Lizenz gelten nur für Originalmaterial. Die Wiederverwendung von Material aus anderen Quellen (gekennzeichnet mit Quellenangabe) wie z.B. Schaubilder, Abbildungen, Fotos und Textauszüge erfordert ggf. weitere Nutzungsgenehmigungen durch den jeweiligen Rechteinhaber.

Erschienen 2021 im transcript Verlag, Bielefeld © Jan Pospisil

Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld

Umschlagcredit: Yei im Südsudan; Foto von Jan Pospisil

Print-ISBN 978-3-8376-5580-3

PDF-ISBN 978-3-8394-5580-7

EPUB-ISBN 978-3-7328-5580-3

https://doi.org/10.14361/9783839455807

Buchreihen-ISSN: 2702-9050

Buchreihen-eISSN: 2702-9069

Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de

Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

Vorwort

Fragmentarische Erkundungen

»Vor Reisen nach Südsudan wird gewarnt. Es wird dringend empfohlen,das Land zu verlassen.«

Die Unordnung der Fragmente

Die Methodologie des Fragments

Fahrplan

Koloniale Integration

Geschichten des Werdens und Scheiterns

Prästaatliche Institutionalisierungen

Periphere Integration

Wirkungen des Kolonialismus

Sudan

Anti-Antikolonialismus

Diskrepanzen des Widerstandes

Vorboten eines Bürgerkrieges

Ein umfassendes Friedensabkommen

»Nationale« Geschichte

Unabhängigkeit

Der Weg in den Bürgerkrieg

Zusammenbruch und Revitalisierung

Durchdringungen

Kolonialismus

Sklaverei

Wasser

Hilfe

Aktivismus

Politischer Marktplatz

Ein Marktplatz politischer Loyalität

Entrepreneure

Schmiermittel

Ethnopolitik

Eine Frage der Diktion

Dinka-Dominanz?

Vielschichtigkeit. Die ethnopolitische Konfliktlandschaft in Jonglei

Transition

Die politische Transition

Sicherheitssektorreform

Verfassung und Wahlen

Tajility

(De)Marginalisierung

Vulnerabilität

Abgeschiedenheit

Rollenbilder

A good place to make money

»I eat at my Table«

Zeit

Footing

Rule by Law

Korruption

Fragmente eines Staates

Ein Staat in Fragmenten

Ein Staat in Konfliktlandschaften

Dieses Land hat alles

Eine Nation in Fragmenten

Strategische Ambivalenz

Institutionelles Unsettlement

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Geografie

Sachindex

Personenindex

Vorwort

Jedes Buch hat seine ganz spezielle Geschichte. Dies gilt umso mehr für Bücher, die eigentlich nie geplant gewesen waren. Zu diesen zählt das vorliegende. Eine Fokussierung auf ein spezifisches Land lag und liegt nicht in meinem persönlichen Forschungsinteresse. Meine Forschungsbiografie ist, im Unterschied zu spezifischer Land- und Area-Expertise, bewusst empirisch vergleichend angelegt. Die innige Beziehung zum Südsudan, die für das Schreiben dieses Buches Voraussetzung war, entwickelte sich erst nach und nach. Und sie entstand mehr oder minder zufällig.

Es war das weitgehend zufällige Aufeinandertreffen dreier für sich genommen wenig einschneidender Ereignisse, die den zu diesem Zeitpunkt für mich noch unhörbaren Startschuss für die vorliegende Monografie über den Südsudan und seine mannigfaltigen wie fragmentierten Konflikträume gaben. Die routinemäßige EMail des Lektors von transcript, ob nicht gerade eine für die breitere Öffentlichkeit relevante Forschungsarbeit anhängig wäre, die in Buchform gegossen werden könnte. Die Frage meines mir lange bekannten Kollegen Thomas Schmidinger, ob ich nicht sein ebenfalls auf Deutsch erschienenes Buch zum Sudan (»Unvollendete Revolution in einem brüchigen Land«, Schmidinger, 2020) für eine Fachzeitschrift rezensieren wollte. Und schließlich die Bitte meiner guten Prager Kollegin Lucia Najslova, doch einen Blick auf ihr gerade fertiggestelltes Buchmanuskript zu den EU-Türkei-Beziehungen zu werfen. Dem Verlag erschien es absurderweise als nicht klassisch wissenschaftlich genug argumentiert. Das Buch ist mittlerweile erschienen als »Turkey and the European Union: The Politics of Belonging« (Najslova, 2021). Es war das Zusammenspiel dieser drei Episoden, die in mir die Motivation reifen ließ, meine Forschungsarbeiten im Südsudan doch in einer Monografie zusammenzuführen. Der bevorstehende zehnte Jahrestag der südsudanesischen Unabhängigkeit am 9. Juli 2021 gab für dieses Projekt eine enge, aber machbare und unverrückbare Zeitleiste vor.

Ein weiterer, noch viel unerwarteterer Faktor war der Ausbruch der Covid-19-Pandemie und die damit einhergehenden Reisebeschränkungen des Jahres 2020. Die Absage vieler Konferenzen und Treffen eröffnete eine ungewohnt lange ununterbrochene Arbeitsperiode. Diese konnte ich – paradoxerweise – mit Feldforschung und mit dem Schreiben eines Manuskripts sinnvoll füllen. Es mag absurd klingen. Ohne die durch die Pandemiebekämpfung veranlassten Beschränkungen wäre das vorliegende Buch nicht geschrieben worden. Selbst der längere Arbeitsaufenthalt in Juba von Oktober bis Dezember 2020 wäre in »normalen« Zeiten aller Wahrscheinlichkeit nach verschiedensten Anwesenheits- und Lehrverpflichtungen zum Opfer gefallen. Es traf sich gut, dass sich gerade über das letzte Jahr das mobile Internet in Juba beständig verbessert, wenngleich obszön verteuert hat. So konnte ich während des Forschungsaufenthalts die meisten meiner nun in den virtuellen Raum verlegten Verpflichtungen aus der Distanz absolvieren.

Überhaupt hatte meine Arbeit im und zum Südsudan in den beiden Jahren vor der Unterzeichnung des Buchvertrages stark zugenommen. Dies ist nicht nur dem Zufall zu verdanken, sondern – allen voran – Alex de Waal. Alex ist Direktor der World Peace Foundation und einer der unbestritten besten Kenner der Region des Roten Meeres. Er brachte mich in Kontakt mit David Deng, der selbst wiederum Mitstreiter:innen für ein Forschungsprojekt suchte. Dieses Projekt, »Citizen’s Perceptions of Peace«, sollte für das US State Department und das US Institute for Peace die Wahrnehmungen des Friedensprozesses durch die Bevölkerung im Südsudan untersuchen. Die Forschungsfrage erweiterte sich auf die Auswirkungen auf das alltägliche Leben in den verschiedenen Teilen des Landes. Das Projekt war der Startschuss einer fruchtbaren und noch immer andauernden Zusammenarbeit. Sie schließt neben David auch Christopher Oringa Mark von der University of Juba und Sophia Dawkins, Doktoratskandidatin an der Yale University, mit ein. Ohne diese drei wäre das vorliegende Buch nicht möglich gewesen.

Insbesondere mit Chris ist im Zuge unserer gemeinsamen Arbeit eine Freundschaft gewachsen, die nicht nur für unsere jeweilige Forschungsarbeit wichtig ist. Es ist wahrscheinlich eines der größten Privilegien von im Norden lozierten Wissenschaftler:innen, unter lösbaren Bedingungen Forschungsreisen antreten zu können, die solche interkontinentale Freundschaften ermöglichen. Es ist eine aus diesem Privileg entstehende Verantwortung, sich unermüdlich für einen beidseitigen flachen Austausch einzusetzen. Dies betrifft nicht zuletzt die Arbeit von Lösungswegen für die beständigen Herausforderungen von Finanzierung und Visa-Vergabe für Forschungsreisen in die Gegenrichtung.

Das zweite wissenschaftliche Unterfangen, das die Untersuchungen zu diesem Buch über die Jahre möglich gemacht hat, ist das vom neu formierten britischen Foreign, Commonwealth, and Development Office (FCDO) finanzierte Political Settlements Research Programme (PSRP) an der University of Edinburgh. Im PSRP graduierte ich seit meinem Einstieg im Jahr 2015 von einer Stelle als Post-Doc-Researcher zum Projektpartner und Leiter des Forschungsbereiches zu lokalen Friedensprozessen. Dies ist hauptsächlich der Forschungsdirektorin Christine Bell, Professorin für Constitutional Law an der Edinburgh Law School, zu verdanken. Die Tätigkeit im PSRP ermöglichte mir eine vertiefende Auseinandersetzung mit den subnationalen Konfliktlandschaften im Südsudan. Sie motivierte mich auch zur vertieften Auseinandersetzung mit den intellektuellen Konzepten, auf denen die vorliegende Monografie beruht. Die Zusammenarbeit mit PSRP-Kolleg:innen wie Monalisa Adhikari, Sanja Badanjak und Laura Wise ist eine beständige intellektuelle Bereicherung.

Christine Bell hat entscheidend zur Entwicklung des konzeptionellen Apparats dieser Monografie beigetragen. Es war unser gemeinsames Nachdenken, das zum Ansatz der Konfliktlandschaften und der Idee, einen Staat als eine Ansammlung von Fragmenten zu verstehen, geführt hat. Darüber hinaus wirkt Christine seit Jahren als meine wichtigste intellektuelle, aber auch berufliche Mentorin. Letztlich gehen für meine Untersuchungen so wichtige Begriffe wie »Formalised Political Unsettlement« und die Unterscheidung zwischen einem fragmentierten und einem »Fragment State« auf ihre intellektuellen Eingebungen zurück. Obwohl kontinuierlich mit gefühlten dreißig täglichen Arbeitsstunden kalkulierend, findet sie immer Zeit zum Vorantreiben dieses intellektuellen Austausches.

Hervorzuheben ist ebenso einer der wesentlichen Financiers meiner wissenschaftlichen Tätigkeit der vergangenen Jahre. Das FCDO war und ist allerdings mehr als ein reiner Geldgeber. Es ist ein intellektuell herausfordernder und interessanter Partner. Für dieses Buch wichtig waren nicht nur Gespräche mit dem britischen Südsudan-Team – Louise Hancock und Danny Shimmin sei an dieser Stelle für wiederholte spannende Diskussionen gedankt. Auch der Austausch mit anderen FCDO-finanzierten, im Südsudan aktiven Forschungsprogrammen, insbesondere dem Conflict Research Programme (CRP) an der London School of Economics, und dem unter anderem vom Rift Valley Institute (RVI) betriebenen X-Border Research Network, waren und sind essenziell.

Einige der Protagonist:innen aus dem CRP-Umfeld haben mich, in unterschiedlicher Weise, in meinen intellektuellen und praktischen Annäherungen an den Südsudan und die Interpretation seiner Konfliktlandschaften in den letzten Jahren unterstützt. Neben dem schon erwähnten Alex de Waal, ohne den dieses Buch definitiv nie geschrieben worden wäre, sei vor allem die langjährige Direktorin des CRP, Mary Kaldor, erwähnt. Mit ihr haben sich gerade in der Phase der Überlegungen zum intellektuellen Grundgerüst dieses Buches einige wichtige Diskussionen ergeben. Matthew Benson hat durch viele Hinweise, Diskussionen und Kontakte zur Arbeit an diesem Buch beigetragen.

Aus dem X-Border-Programm waren die Diskussionen mit einigen Kolleg:innen aus dem RVI-Umfeld überaus wertvoll. Natürlich besonders hervorzuheben ist die Büroleiterin von RVI in Juba, Anna Rowett. Sie stand für eine Unmenge konkreter Hilfestellungen, von der Unterstützung bei den nicht immer einfachen Visa-Prozessen bis hin zu konkreten Kontakten, immer bereit. Ich weiß nicht, wie es mir gelingen wird, mich angemessen zu revanchieren. Anna ist eine jener Menschen, die mir in Juba das unzweifelhafte Gefühl geben, daheim zu sein.

Ebenfalls zu danken ist dem Team von Trias Consulting, Tom Hockley und Vanda Santos, mit denen Chris und ich gemeinsam Arbeiten für die UN durchlebt – manche würden meinen, durchlitten – haben. Benjamin Moore und seinen Kolleg:innen vom UN RCO in Juba sind ebenfalls hervorzuheben. Mit ihnen haben sich im Zuge dieser Arbeiten einige interessante Diskussionen ergeben. Ebenso Erwähnung finden müssen Joshua Craze, Pauline Eloff und Alan Boswell, die ich mit ihrem enzyklopädischen Wissen zur politischen Geschichte und Gegenwart des Südsudan wiederholt zurate zog.

Zum Gegenlesen des Manuskripts erklärten sich Lucia Najslova, Wilfried Graf, Stefan Hinsch, Nico Trunk sowie Dolores Reiner bereit. Einige Teile wurden von Georg Lennkh, ehemaliger österreichischer Sonderbotschafter für Afrika und EU-Botschafter für den Tschad und guter Kenner der sudanesisch/südsudanesischen Geschichte in der CPA-Periode, und Johanna Rodehau-Noack, einem der Rising Stars am Firmament der Critical International Relations, gegengelesen und kommentiert. Auch Irene Fabiano, Junubin mit wundersamen Beziehungen zu Deutschland, und Manut Juac in Wien haben sich einzelner Teile der Arbeit angenommen.

Meine Direktorin am Austrian Studies Centre for Peace and Conflict Resolution (ASPR), Gudrun Kramer, hat mir so flexibel wie konsequent die Rahmenbedingungen zum Schreiben des Manuskripts ermöglicht. Sie bewilligte mir eine bei vielen anderen akademischen Arbeitgebern undenkbare Reisetätigkeit, um die für dieses Buch unerlässlichen Besuche im Südsudan zu unternehmen. Ohne Zögern entschied sich das ASPR dafür, einen Druckkostenzuschuss zur Verfügung zu stellen. Auch wurde mir eine Reihe an internen Sonderregelungen zuteil, ohne die die zügige Umsetzung des Projekts nicht möglich gewesen wäre. Was aber viel wichtiger ist: Gudrun hat einige der wichtigsten Fragen gestellt, die in der einen oder anderen Form in die hier dargelegten Ausarbeitungen eingeflossen sind. Ich glaube nicht, dass ich die von ihr aufgeworfenen generellen Problemstellungen zu Gesellschaft, Konflikt, Frieden und grundlegenden menschlichen Bedürfnissen auch nur annähernd beantworten konnte. Sie haben aber in jedem Fall die hier dargelegten Auseinandersetzungen maßgeblich mitgeprägt.

Angesichts der vorbehaltlosen Unterstützung am ASPR für mein Projekt wäre es ungerecht, weitere Namen herauszustreichen. Eine wichtige logistische Rolle während meiner Aufenthalte im Südsudan hatte Augustin Nicolescou, der in den als riskant geltenden Regionen, in denen ich mich aufhielt, das Back-up für den Sicherheitsdispositiv übernahm und für Tracking und tägliche Check-ins verantwortlich zeichnete.

Es ist unerlässlich, einigen wichtigen Freund:innen in Juba zu danken. Sie ließen und lassen mich an Teilen ihres Lebens teilhaben und ermöglichen mir so einen Einblick in Lebensrealitäten, der alles andere als selbstverständlich ist. Besonders gilt das für Nyibol Gai Kok, die mir in vielen Gesprächen geholfen hat, mich einem Verständnis der sozialen Dimension des Lebens in institutionellen Fragmenten anzunähern. Ich hoffe, dass sie sich beim Erscheinen dieses Buches endlich nach Khartum begeben hat, um dort ihr Medizin-Studium abzuschließen.

Ein solches Studium hat mein Freund Professor Constantine Jervase Yak schon vor vielen Jahren absolviert, ebenso in Khartum. Im weiteren Verlauf seiner Karriere gelangte er über eine Funktion als Vice Chancellor an der Universität von Bahr el-Ghazal ins Council of States, das parlamentarische Oberhaus in Juba. Er hat mir in zahlreichen langen Diskussionen, oft während gemeinsamer Mittagessen im Council of States, viel über die Region begreiflich gemacht. Als jemand, der einige Zeit in Europa verbracht hat, kam ihm auf sozialer Ebene auch eine Art übersetzender Kapazität zu. Es ist ihm zu wünschen, dass das von ihm aufgebaute und betriebene Projekt einer Diabetes Control Clinic in Juba einen nachhaltigen Finanzierungspartner findet. Jene, die gerne mehr über dieses Projekt wissen wollen, bitte ich, mit mir umgehend in Kontakt zu treten.

Florence Miettaux ist nicht nur eine der interessantesten Gesprächspartnerinnen in Juba, ihr Juba in the Making-Projekt1 hat einige wichtige Informationen erarbeitet und bereitgestellt, die in diesem Buch Verwendung fanden. Zu meiner unerschütterlichen Basis in Juba hat sich über die Jahre das Oasis Camp entwickelt. Trotz aller ökonomischen Schwierigkeiten und der Überschwemmung meiner geliebten Beach Bar im Zuge des Nil-Hochwassers im Jahr 2020 ist es weit mehr als eine simple Unterkunft. »This is home for you.« Umso bitterer, dass die ökonomischen Schwierigkeiten im Frühjahr 2021 derart anwuchsen, dass Oasis seine Pforten schließen musste – hoffentlich nur vorübergehend.

Und natürlich will ich mich bei Elisabeth Reiner bedanken. Entgegen meiner Zusicherung kam es zur direkten zeitlichen Kollision unserer jeweiligen Buchprojekte. Das hat den wechselseitigen Rückhalt in einer für uns beide harten Arbeitsphase nicht einfach, aber umso wichtiger gemacht.

Zum Schluss dieses Vorwortes noch einige Gebrauchshinweise. In der Orthografie habe ich weitestgehend auf Übersetzungen ins Deutsche verzichtet. Das mag an einzelnen Stellen seltsam wirken. So ist beispielsweise die Bezeichnung der Region Equatoria in der englischen Schreibweise verblieben, während die Bezeichnung des Äquators in Deutsch erfolgt. Die Vorgangsweise dient aber der Stringenz und der Anschlussfähigkeit an die überwiegend englischsprachige Literatur zum Südsudan. Auch Funktionsbezeichnungen wurden in ihren englischsprachigen Originalen belassen. Aussagen von Personen wurden dann auf Deutsch wiedergegeben, wenn sie auf Basis von Notizen mittelbar zitiert wurden, die Beibehaltung der englischen Sprache bezeichnet wortwörtliche Zitate.

Die Personennamen werden bei der ersten Erwähnung voll mit ihren zumeist drei Namenskomponenten ausgeschrieben, danach folgt die Nennung der ersten beiden Namen, mitunter, bei häufiger Erwähnung, nur des zweiten Namens. Letztere Version ist im Südsudan unüblich, da sich die formale Bezeichnung auf den ersten Namen bezieht (etwa Salva für den Präsidenten Salva Kiir Mayardit, oder Dr. Riak für Riak Machar Teny), aber für ein internationales Publikum gewohnter.

Ein südsudanesisches Spezifikum ist die Unzahl an Abkürzungen, die der großen Zahl an Organisationen und Bewegungen sowie den vielen zumeist durch Friedensverträge eingerichteten Kommissionen geschuldet ist. Mitunter werden diese zur besseren Lesbarkeit mehrmals im Text ausgeschrieben. Es empfiehlt sich jedoch vermutlich für die meisten Leser:innen, wiederholt das Abkürzungsverzeichnis zu konsultieren. Dieses wurde angesichts dieser spezifischen Problematik durch Kurzbeschreibungen der jeweiligen Begriffe und Eigennamen ergänzt. Für all jene, die mit den geografischen Grundzügen des heutigen Südsudan nicht vertraut sind, empfiehlt sich vor der Lektüre des Hauptteils ein Blick auf die Karte und eine Konsultation der dieser Karte beigefügten kurzen Darlegung. Zumindest eine Kenntnis der Lage der drei Großregionen Bahr el-Ghazal, Equatoria und Upper Nile ist für eine gute Nachvollziehbarkeit des geschichtlichen Teils vonnöten.

Sprachlich wurde zur Sichtbarmachung der Gender-Formen der Doppelpunkt gewählt. Dies ist aufgrund dessen häufiger Verwendung als Satzzeichen keine unumstrittene Option, erscheint aber im Vergleich der Lesbarkeit des Textes gegenüber anderen Darstellungen der Gender-Lücke im Vorteil. In den Fällen, in denen eine Darstellung aller Gender-Formen durch einen solchen Doppelpunkt unterbleibt, ist nur das jeweils dargestellte Geschlecht gemeint.

1https://jubainthemaking.com/

Fragmentarische Erkundungen

Die Idee scheint naheliegend. Am 9. Juli 2021 ist die Republik Südsudan im Begriff, den zehnten Jahrestag ihrer Unabhängigkeit zu begehen. Nach wie vor gibt es keine deutschsprachige Monografie, die sich eingehend mit dem jüngsten Staat der Welt auseinandersetzt. Die Zahl jener, die eine solche Monografie vorlegen könnten, ist begrenzt. Was gäbe es also in der Tat für eine bessere Gelegenheit, meine mit dem Land verbundene Arbeit der letzten Jahre einem breiteren Publikum zugänglich zu machen? Nachdem es sich primär um Vergleichsstudien oder vertrauliche Consultancy-Aufträge gehandelt hatte, war diese Arbeit ohnehin bislang kaum als solche publiziert worden.

Aber wie es so ist mit guten Ideen, beinhalten sie oft Schwierigkeiten, die sich erst in ihrer Umsetzung offenbaren. Es war meine Prager Kollegin Lucia Najslova, die mein geflissentlich zurechtgelegtes Konzept einer sorgfältig sortierten Abhandlung über die südsudanesischen Konfliktlandschaften ins Wanken brachte. »Was fasziniert dich eigentlich an dem Land?«, warf sie ein. »Warum willst du da immer hin, was macht diese Anziehung aus?« Ich kann mich nicht mehr genau an meine vage Antwort erinnern. Jedenfalls warf ich wissenschaftliche und private Motive weitgehend unstrukturiert durcheinander. Nach unserer Konversation war mir weit weniger klar, was ich mit diesem Projekt eigentlich wollte, als ich vorher gedacht hatte. Die Frage zwang mich zu einem erneuten Nachdenken über dieses Buchprojekt.

Für jemanden, der seit Jahrzehnten zu bewaffneten Konflikten forscht, ist der Südsudan natürlich von naheliegendem wissenschaftlichem Interesse. Ein jahrzehntelanger Bürgerkrieg durchzieht die Geschichte der Region, unterbrochen von nur wenigen mehr oder minder friedlichen Perioden. Der Kontext ist konkret wie intellektuell schwer zugänglich für vergleichend arbeitende Forscher:innen, humanitäre und Entwicklungs-Professionals, oder andere Interessierte. Es ist zumindest für all jene schwierig, die den zumeist vereinfachten Darstellungen der (wenigen) Medienberichte kritisch gegenübertreten. Der einstmalige Forschungshype zum Südsudan fand im Zuge des im Jahr 2013 beginnenden Bürgerkrieges ein schnelles Ende. Er hatte bald nach der Unterzeichnung des Comprehensive Peace Agreement (CPA) zwischen dem Sudanese People’s Liberation Movement/Army (SPLM/A) und dem vom Bashir-Regime regierten Sudan eine kurze Boomphase durchlaufen. Spätestens mit Ausbruch der zweiten Phase des südsudanesischen Bürgerkrieges im Jahr 2016 ist die Forschung im Land zum Erliegen gekommen. Getragen von zahlreichen, zumeist US-amerikanischen und britischen Master- und PhD-Studierenden, oftmals in Doppelfunktionen als Konsulent:innen für die in dieser Periode zahlreich vertretenen internationalen Entwicklungspartner, NGOs und UN-Agenturen, hatte dieser Höhenflug ohnehin nur zu einer überschaubaren Zahl an reflektierten und konzeptuell anspruchsvollen Arbeiten geführt. Sehr wohl aber zum mittlerweile fest verankerten Narrativ, der Südsudan sei überforscht.

Die Behauptung der Überforschung ist richtig wie falsch zugleich. In der Tat untersucht eine Unzahl an Reports humanitäre und entwicklungspolitische Herausforderungen wie die Lebensbedingungen und Vulnerabilitäten einzelner Bevölkerungsgruppen, Gender-Disparität, lokale Peacebuilding-Mechanismen oder die Wechselwirkungen zwischen bewaffnetem Konflikt und Naturkatastrophen. Zum Teil hervorragende und detailreiche Berichte, etwa von Small Arms Survey, beleuchten spezifische Konfliktlagen in verschiedenen Teilen des Landes. Und dennoch, trotz all dieser Materialien bleibt eine Annäherung an den Südsudan, was immer auch dieser Begriff umschließen mag, schwierig und seltsam abgerissen.

An diesem Punkt setzt meine spezifische Intention an. Eine strukturierte und konzise Analyse der bewaffneten Gewaltkonflikte im Südsudan zu erarbeiten, erschien mir nach dem zuvor geschilderten Gespräch mit Lucia Najslova als kein hilfreicher Ansatz. Einerseits haben die Konfliktlandschaften des Südsudan viele Spezifika, ganz sicher sind sie aber weder strukturiert noch konzise. Eine meiner Arbeiten im Land, die Erarbeitung einer klassischen Konfliktanalyse für die Agenturen des UN-Country Team (UNCT), hatte mir das eindeutig vor Augen geführt. Insbesondere die Diskussionen mit Kolleg:innen aus dem weiteren UN-Kosmos waren ein beständiger Erkenntnisprozess. Was sind die »root causes« des Konfliktes? Ist dieser oder jener Faktor nicht eher ein »proximate cause«? Welche Maßnahmen sind nun geeignet, diese »root causes« wirksam zu adressieren?

Die Erarbeitung dieser Analyse war ein Prozess der wiederholten intellektuellen Kapitulation. Die Analyse hatte sich gemäß den vertraglichen Vorgaben primär an den Bedürfnissen des Auftraggebers zu orientieren. Wenngleich sich in solchen Aufträgen immer wieder Schlupflöcher auftun, waren die am Schluss aufgelisteten Empfehlungen eher eine Auflistung der ohnehin gegebenen UN-Interessen denn Konsequenzen einer rigiden Kontextanalyse. Bei aller Unklarheit war in Bezug auf die vorliegende Monografie sicher, dass ich den Weg argumentativer Stringenz nicht beschreiten wollte. Wahrnehmungen sollten nebeneinander bestehen können, ohne in richtig und falsch unterteilt werden zu müssen. Unmittelbare praktische Konsequenzen sollten sich nicht zwangsläufig ableiten lassen müssen, Einblicke und Orientierungen jedoch schon. Diese wollte ich mit diesem Projekt sehr wohl anstreben, mit all den Schwierigkeiten und potenziellen Anmaßungen, die mit einer solchen Absicht einhergehen.

Andererseits musste ein klar definierter Untersuchungsfokus grandios in der Beantwortung der Frage nach meinen Eigeninteressen in dieser Untersuchung scheitern. Sicher, da war eine gewisse Faszination in der Analyse eines Kontextes mit fortdauernden Gewaltkonflikten. Aber das erklärte nicht mein Bedürfnis, das zu tun, was ich mir fest vorgenommen hatte nie zu tun, eine Monografie über ein spezifisches Land zu schreiben. Tatsächlich war da also um einiges mehr. Und es ist ein immer wieder geäußerter Wunsch vieler meiner südsudanesischen Freund:innen und Kolleg:innen, denen ich von diesem Buchprojekt erzählte, dieses »Mehr«, die Besonderheiten des südsudanesischen Kontexts, im positiven Sinne, deutlich hervorzuheben und darzustellen. Zumindest, soweit es mir mit meinem Gewaltkonflikt-affinen Forschungshintergrund möglich wäre.

»Vor Reisen nach Südsudan wird gewarnt. Es wird dringend empfohlen, das Land zu verlassen.«

Es ist ein den Meisten bewusster, aber oftmals implizit gehaltener Widerspruch. Die ursprüngliche Materie – und damit das primäre Interesse – der Friedens- und Konfliktforschung und der Internationalen Beziehungen als Forschungsdisziplin im Allgemeinen ist der Gewaltkonflikt, zumindest in seiner Potenzialität. Diese Disziplinen arbeiten nicht zum skandinavischen Sozialstaat oder zu den Spielarten des deutschen Föderalismus. Und dies zumeist aus einem einzigen, trivialen Grund: das würden viele der in diesem Bereich Forschenden als furchtbar langweilig empfinden. Es benötigt nicht viel Selbstreflexion zuzugeben, dass ein relevanter Teil des Interesses an der Beschäftigung mit dem Südsudan oder sogar an einer Reise dorthin mit den in der Überschrift stehenden Sätzen zusammenhängt. Sie entstammen den Federn der deutschen und österreichischen Außenministerien, finden sich aber in der einen oder anderen Form in den Reisehinweisen aller Staaten der nördlichen Hemisphäre.

Und in der Tat. Südsudan ist eine herausfordernde Umgebung. Natürlich ist empirische Forschung nirgendwo einfach, aber die Bedingungen im Südsudan sind ohne Zweifel besonders. Das beginnt selbstredend mit der Befriedigung des individuellen Sicherheitsbedürfnisses. Dazu ist zunächst festzuhalten, dass, entgegen mitunter gepflegter Vorurteile, dieses Sicherheitsbedürfnis ein weitgehend universales ist. Es vereint Südsudanes:innen aller Schichten und Gemeinschaften, afrikanische Expatriates und »Khawajas«, wie das kreolische Juba Arabisch die weißen Nicht-Arabisch-Sprechenden benennt.

Khawajas mögen, bedingt durch ihre Hautfarbe und den damit verbundenen Wahrnehmungen und Erwartungshaltungen, spezifischen Sicherheitsherausforderungen begegnen. Das Bedürfnis und die Sorge nach Sicherheit hingegen sind allgemein spürbar. Sicher gibt es die überschießenden Praktiken jener internationalen Professionals, die, zumeist untergebracht in hochgesicherten Compounds, jede Bewegung auf einer ungesicherten Straße ohne panzerverglasten SUV als potenziell suizidal einstufen. Aber diese kleine Gruppe übersteigert lediglich ein Gefühl, das alle antreibt. Im Gegensatz zu romantizistischen Annahmen einer autochthonen Risikoignoranz überlegt jede:r in allen Regionen des Südsudan zu jeder Zeit, was wann zu tun möglich, oder zu lassen nötig ist.

Eine solche sicherheitstechnische Geworfenheit führt jedoch mitnichten zu einem Hobbesschen »homo homini lupus«. Im Gegenteil. In vielen Fällen resultiert sie in integrativem Gemeinschaftssinn, sogar in Freundschaften, die sich aus kurzfristigen, pragmatisch geschlossenen alltäglichen Sicherheitskoalitionen ergeben. Ein kurzer Spaziergang im Dunkeln über wenige hundert Meter zwingt zu Gruppenbildung und dementsprechender kommunikativer Offenheit.

Es muss an dieser Stelle dazugesagt werden, dass Tourismus im Südsudan nicht stattfindet. Nie stattfand, auch nicht innerafrikanisch. Das ist global nahezu einzigartig. Irak und Syrien waren über Jahrzehnte ausgesuchte Ziele bildungsbürgerlicher Eliten aus Europa und den Vereinigten Staaten. Meine überaus risikoaversen Eltern besuchten vor einiger Zeit touristisch den Jemen. Afghanistan war, nicht zuletzt aufgrund seines Drogenangebots, ein Traumziel der Hippie-Generation. Die Demokratische Republik Kongo (DRC) hatte touristische Phasen. Andere Staaten mit nicht lange zurückliegenden oder noch andauernden Gewaltkonflikten wie Kolumbien, die Philippinen oder Sri Lanka sind ohnehin designierte touristische Destinationen.

Nicht so der Südsudan. Eine urbane Legende erzählt, dass vor Zeiten ein Wagemutiger, der es geschafft hatte, ein – theoretisch existierendes – Touristenvisum zu ergattern, am Flughafen in Juba alle Register und eine relevante Zahl an US-Dollar-Banknoten ziehen musste, um ins Land einreisen zu dürfen. Niemand wusste etwas mit diesem Visum anzufangen. Vier russische Abenteurer, die im Januar 2021 mit einigem Kameraequipment als Touristen einreisten, wanderten direkt ins Gefängnis. Sie hatten ihren Trip mit einem Foto-Shooting am kleinen Kapoeta Airstrip in Eastern Equatoria eingeleitet, was der nationalen Sicherheit mehr als nur missfallen hatte. Es bedurfte diplomatischer Interventionen, um sie wieder außer Landes zu bringen.

Dementsprechend sind Khawajas ohne individuelles Sicherheitsdispositiv de facto nicht anzutreffen. Selbst libanesische Freunde, seit Langem im Juba ansässig und im Baugewerbe tätig, handeln im Bewusstsein dieser spezifischen Situation. »Hier schaue ich immer in den Rückspiegel, wenn ich fahre. Und auch, wenn ich nicht fahre.« In objektiven Zahlen ist das Leben nicht zwangsläufig riskanter als in anderen Weltgegenden – die Mordrate liegt beispielsweise deutlich unter den Staaten in Mittelamerika. Dennoch kommt diese relative Sicherheit nur für all jene zum Tragen, die aufgrund ihrer privilegierten ökonomischen Situation besonders betroffene Konflikt- und Katastrophenzonen des Landes meiden oder im Zweifelsfall verlassen können. Ein umfassendes Risikobewusstsein bleibt. Und es resultiert in einer unvermeidlichen sozialen Intensität und Prekarität, einem, wie Anna Tsing es nennt, »life without the promise of stability« (Tsing, 2005: 2).

Prekarität als ein einigendes Gefühl erklärt so manches an der Faszination des Südsudan. Diese Faszination hat eine wissenschaftliche Dimension, denn die kontinuierliche Turbulenz der politischen Realitäten macht jeden Ansatz einer stringenten Analyse prekär. Aber Prekarität ist auch ein sozialer Prozess, der Alternativen zum in Vor- und Umsorge erstickenden risikoaversen Lebensmodell europäischer Wohlfahrtsstaaten erahnen lässt. So liegt in dieser umsorgten Risikoaversion ein gewichtiges ethisches Problem. Sie bedient sich der Gleichförmigkeit als Modell und trachtet damit auch, in den Worten von Marianne Gronemeyer, »das Leben als letzte Gelegenheit« zu verhindern.

»Über die Unerträglichkeit der Kluft zwischen Lebenszeit und Weltmöglichkeit kann man zur Ruhe kommen, wenn weltweit Gleichförmigkeit hergestellt ist, wenn da draußen nichts zu wünschen übrigbleibt, wenn das andere und das Fremde nur als ein schwacher Abglanz, eine Minderform des Eigenen erscheint. Darum konnte man sich nicht damit begnügen, das Fremde verstehend und durchschauend zu entschrecken, sondern musste sich an die praktische Tilgung der Andersartigkeit machen.« (Gronemeyer, 1993: 155)

Diese Art von Gleichförmigkeit ist dem südsudanesischen Kontext unbekannt. Trotz all ihrer nachteiligen Effekte hat Prekarität eine Wahrnehmung, Gespür und Solidarität schärfende Dimension.

Der entwicklungspolitische Narrativ ist ein anderer. Er ergeht sich in einem solchen von Gronemeyer geschilderten Prozess der, wohlgemeinten, Tilgung der Andersartigkeit, umgesetzt im Versuch der globalen Reproduktion visionärer, real nichtexistierender Modelle inklusiver Wohlfahrtsstaatlichkeit. Es geht um die entwicklungspolitisch fazilitierte Duplikation westlicher liberaler Demokratien. In anderen Worten: »getting to Denmark« (Pritchett et al., 2010: 42; Fukuyama, 2012: 14-22).

Wenn das Narrativ der unbeschränkten Funktionalität einer Gesellschaft wie der dänischen global Platz greift, ist der Weg zum entwicklungspolitischen Modellfall nicht weit. Der Südsudan ist einer jener Kontexte, die sich konsequent und kontinuierlich einer solchen Einebnung verweigern. Die zum Teil katastrophalen Implikationen sind nicht zu leugnen. Allerdings sind sie in einem historischen Vergleich von Staatsentwicklungsprozessen keineswegs so singulär, wie sie gegenwärtig erscheinen mögen. Die Unmöglichkeit einer institutionellen Einebnung unter Maßgabe des liberaldemokratischen Modells lässt jedoch alternative Perspektiven und Entwicklungswege offen. Nüchterner formuliert macht sie zumindest die Suche nach Alternativen zu nicht realisierbaren Idealtypen zu einer unabdingbaren Notwendigkeit.

Zugleich ändert Prekarität weltweit ihren Charakter. Grundlegend. »Precarity once seemed the fate of the less fortunate. Now it seems that all our lives are precarious – even when, for the moment, our pockets are lined.« (Tsing, 2005: 2) Während einer meiner jüngsten Reisen in den Südsudan, am 2. November 2020, ich befand mich gerade in der im Zuge der Covid-19-Krise vorgeschriebenen zweiwöchigen Selbstquarantäne in meinem üblichen Quartier in Juba, wird Wien, jene Stadt, aus der ich etwa zehn Tage zuvor angereist war, von einem Terroranschlag heimgesucht. Ein wirrer ISIS-Sympathisant hatte den letzten Tag vor einem weiteren Covid-19-Lockdown dazu auserkoren, ein größtmögliches Massaker in der belebten Wiener Innenstadt anzurichten. Vier Tote und 23 Verletzte bleiben zurück und, wie mir berichtet wurde, eine Stadt in tiefem Schock. Das Massaker wird zum Thema in Al-Jazeera und den allgegenwärtigen kenianischen KBC-Nachrichten. Am Morgen wissen alle Bescheid. Mein WhatsApp ist voll von Nachrichten südsudanesischer Freund:innen in Sorge ob der Situation in Wien. Der Anschlag ist das Thema meiner Frühstücks-Unterhaltung in Juba. Wie gefährlich ist Wien? Wie ist die Situation? Wie geht es meiner Familie?

Diese Besorgnis unterstreicht die durchdringenden subjektiven Erfahrungen mit allgegenwärtiger Prekarität. Sie sind aber auch Zeichen einer Zeitenwende. Wie es eine südsudanesische Freundin nahezu empört als Antwort auf meine Verwunderung ob der Situation formuliert, »tables turn«. Natürlich ist es keine vollendete Umdrehung eines globalen Struktur-Verhältnisses, die hier sichtbar wird, aber doch eine Aufhebung lange als fixiert und klar verortet angenommener Muster von Sicherheit und Frieden. Wien, jene Stadt, die fast schon penetrant alljährlich das Mercer-Ranking der lebenswertesten Stadt der Welt einheimst, kann tatsächlich unruhig und bedrohlich wirken. Sogar unruhiger und bedrohlicher als Juba, der Hauptstadt des, je nach Rangliste, drittunsichersten Staates der Welt. Einer Stadt, die zu peripher gelegen ist, um überhaupt in das illustre Ranking der lebenswertesten Orte Eingang zu finden (Khartum war im Jahr 2019 – in offenkundiger Ignoranz gegenüber der Schönheit dieser Stadt – als Nummer 227 gereiht, Bangui als Nummer 230, gerade einen Platz vor Bagdad, das den letzten Rang belegte). Dass sich Wien einen Tag nach dem Anschlag in einem Covid-19-Lockdown wiederfand, während das Leben in Juba seinen gewohnten Gang ging, war nur ein weiterer Aspekt in dieser vor Kurzem noch unvorstellbaren sicherheitspolitischen Schieflage.

Anschläge und Pandemien sind zweifelsohne Zeichen einer weitreichenden Veränderung der Lesarten von Sicherheit. »If we are to take seriously all of the warning signs that tell us that humanity is careening headfirst into a new world that offers no platform of stability, no guarantees of safety or survival, what then?« (Harrington und Shearing, 2017: 13) Der Kontext Südsudan trägt zu solchen Debatten zwei relevante Aspekte bei. Einerseits motiviert er zu einem beträchtlichen Maß an Relativierung des Gefühls von Unsicherheit. Auch wenn Anschläge und Pandemien die Perspektive der Unsicherheit als paradigmatischen Wechsel in idealtypische Stadtkonfigurationen wie Wien transferiert, bleibt nach wie vor Überraschung zurück. Auf allen Seiten. Diese Überraschung hat mit Erwartungshaltungen zu tun, die wiederum auf idealtypische und öffentlich transportierte Vorstellungen von Staatlichkeit und Gesellschaft zurückgehen. Wenn umfassende Sicherheit versprochen wird, ist jeder Bruch eines solchen Versprechens ein Skandal. Wenn keinerlei diesbezügliche Erwartung besteht, ist jede ruhige Periode ein Genuss.

Andererseits ist der Umgang mit Prekarität als existenzieller Unsicherheit ein grundlegend anderer. Die Behandlung von Prekarität im Südsudan ist unromantisch und hart, aber sie führt zu fundamentalen ethischen Herausforderungen, die sich schematischen Antworten entziehen. »Angst vor Covid-19?«, fragt eine südsudanesische Freundin rhetorisch. »Wenn Gott will, dass wir sterben, sterben wir. Also brauche ich mir keine großen Gedanken zu machen.« Und sie ist eine der wenigen, die demonstrativ eine Mund-Nasen-Bedeckung mit sich führen, nicht zuletzt aufgrund ihrer zweifellos gehobenen politischen Ambitionen. Doch selbst diese schnell eingelernte Symbolik kann den erlernten Umgang mit Risiko nicht konterkarieren.

Ist es Fatalismus oder Resilienz? Wahrscheinlich beides. Mit der Erwartungshaltung an ein staatliches Gemeinwesen, vollkommenen Schutz vor jeder Unbill zu gewährleisten, wie den Wirkungen von Anschlägen und Pandemien, lässt sich weder individuelle noch kollektive Resilienz aufbauen. Es ist paradoxerweise gerade die vollkommene Erwartungslosigkeit gegenüber dem südsudanesischen Staat, die soziale und politische Prozesse in diesem Kontext so lehrreich macht, gerade im internationalen Vergleich.

Die Unordnung der Fragmente

Die meisten Analysen und Berichte, die dem Südsudan gewidmet sind, leiden unter demselben Problem: sie verstehen den Kontext mitunter viel zu gut. Und sie sehen diesen Kontext als eine einheitliche Größe, ganz so, als handle es sich beim Südsudan um einen von 193 gleichwertigen Staaten, ebenso wie Dänemark, Australien, oder Somalia. Und in gewisser Weise ist diese Sichtweise korrekt. Da ist ein Unabhängigkeitstag, eine Flagge, ein Pass, eine Hymne. Da ist der Versuch der Konstruktion einer einheitlichen Geschichte. Elemente, die alle 193 Staaten dieser Welt einen, und einige mehr, die diesen Status gern erhalten würden. Doch auch das prototypische Dänemark wäre in einer solchen formalen Geschichte ohne seine Einbettung in den regionalen Kontext, ohne ein Einlassen auf seine Vielfältigkeit, ohne das Verständnis seiner spezifischen Geworfenheit in einen globalisierten internationalen Raum nicht zu begreifen.

Es war nicht zufällig die Forschung zu Risiko und zu den Veränderungen von Risiko und dessen Bedeutung in modernen und nachmodernen Gesellschaften, die das einem solchen Zugang inhärente Problem des methodologischen Nationalismus thematisierte.

»Lange Zeit unterstellte die Gesellschaftstheorie als ihre Untersuchungseinheit den Nationalstaat; die Begriffe ›Gesellschaft‹ und ›Kultur‹ bezogen sich unreflektiert auf das, was man als abgegrenzte, unabhängige und relativ homogene Einheiten wahrnahm, die sich durch nationale Grenzen, Institutionen und Gesetze konstituierten. Dementsprechend ging das theoretische Nachdenken von der unhinterfragten Annahme aus, dass sich Nation, Territorium, Gesellschaft und Kultur nahtlos ineinander fügen.« (Beck und Grande, 2010: 189)

Es ist die Annahme des Ineinanderfügens, die Annahme einer Einheitlichkeit eines Nationalstaates, die implizit, in einigen Fällen sogar ausdrücklich, viele der Analysen zum Südsudan oder anderer sogenannter »fragiler Staaten« prägt. Doch die Kritik Becks und Grandes an der analytischen Fehlannahme des Nationalstaates als außerordentlicher, übergeordneter, fixierter und unveränderlicher Kategorie ist stichhaltig. Diese Kritik trifft im Südsudan auf spezielle Bedingungen. Im jüngsten Staat der Welt wird Nation-Building nach wie vor als ein zentraler Hebel auf dem Weg zur Errichtung eines friedlichen, demokratischen Staatswesens verstanden.

Viele Analysen sind daher durch einen spürbaren pädagogischen Impetus geprägt. Sie konstruieren den Südsudan als eine einheitliche Größe. Zuweilen ergehen sie sich sogar in dem Versuch, ihn mit einer Nationalgeschichte auszustatten und auf diese Weise greifbar zu machen, nicht zuletzt für Südsudanes:innen selbst (vgl. etwa Breidlid et al., 2014; Johnson, 2016b). Das großartige Projekt eines Nationalarchivs, betrieben vom Rift Valley Institute in Juba und finanziert von einer Reihe internationaler Partner, sieht sich als wesentlicher Beitrag der Konstruktion eines Gefühls der nationalen Zugehörigkeit in einer Region, die nie einen klassischen Prozess der Durchstaatlichung erfahren hat. Auch die vorliegende Monografie führt Südsudan im Titel und ist im Erscheinungsdatum sogar mit dem zehnten Jahrestag der staatlichen Unabhängigkeit getaktet.

Dennoch ist der Anspruch ein anderer. Es ist eine dem methodologischen Nationalismus inhärente Schwäche, dass er zu Geschichten des Scheiterns neigt. Fallen die von Beck und Grande aufgezählten Elemente – Nation, Territorium, Gesellschaft und Kultur – nicht kongruent zusammen wie von den impliziten Grundannahmen des methodologischen Nationalismus postuliert, konstituiert sich ein strukturelles Problem. Diskrepanzen, Disruptionen, Dissonanzen sind in Geschichten der Einheitlichkeit nicht erwünscht. Sie gelten als dysfunktional und der teleologisch vorgegebenen Entwicklung der Einheitlichkeit abträglich. Südsudan wird zumeist in einer solchen Form erzählt, als eine dissonante Geschichte einer Staatswerdung, die justament nach Erlangung der formalen Unabhängigkeit auseinanderbricht. Policy-Analysen lieben diese Storyline, denn sie beruhen auf einer im Kontrast zum analysierten Chaos konstruierten Synchronität und Linearität.

Es sind zwei spezifische Missgriffe, die diese einheitliche Erzählung der Dysfunktionalität mit sich bringt. Erstens ist sie falsch. Ein ganzer Literaturstrang, eingeleitet durch den einflussreichen Band »Africa Works« von Patrick Chabal und Jean-Pascal Daloz (1999), hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Unordnung und Sedimentierung politischer Systeme auf ihre Funktionalität hin zu analysieren. »The rise and fall of the post-colonial patrimonial system has contributed to the sedimentation of a political (dis)order, of which the dominant characteristic is that it is informal and personalized.« (Ebd.: 1) Geschichten des Nicht-Funktionierens, in entwicklungspolitischem Duktus oftmals übersetzt als »schwache Institutionen«, die durch »institution building« oder »capacity building« gestärkt werden sollten, ignorieren den oft formidablen Charakter informeller Institutionalisierung politischen und sozialen Handelns (für das Konfliktsystem in den Kivu-Provinzen in DRC siehe etwa Verweijen, 2016). Und somit die inhärente Funktionalität des Systems.

Zweitens verführt eine solche Erzählung zur performativen Wahrnehmung des Ausgangspunktes, dem Staat als übergeordneter Instanz der Organisation einer national gesetzten Gesellschaft. Ohne der späteren Diskussion vorgreifen zu wollen sei an dieser Stelle gesagt, dass dieses Bild grundsätzlich in Zweifel gezogen werden muss. Der Nationalstaat löst wenig und zerstört viel. Und auch die Idee von Gesellschaft ist alles andere als ein integratives Modell zur Interpretation des Sozialen. Das zeigt sich etwa an jüngeren, zutiefst unglücklichen Wortschöpfungen wie »Mehrheitsgesellschaft« oder »Parallelgesellschaft«. Derartige Kreationen zielen auf nichts anderes ab als auf den gezielten Ausschluss von Menschen aus einem anhand eines irrealen Idealbildes konstruierten Ganzen.

Natürlich gibt es davon abweichende Vorstellungen von Nation, gerade im afrikanischen Kontext. Das südafrikanische Konzept der »Rainbow Nation« ist das wohl bekannteste Beispiel. Auch wenn es das Rainbow-Nation-Narrativ, zumindest bislang, nicht geschafft hat, das Problem des Rassismus nachhaltig zu lösen (Walker, 2005), hat es doch eine wesentliche Verschiebung in der Erzählung und Wahrnehmung von Nation ausgelöst: die Abkehr vom Modell einer einheitlichen Geschichte und einer nationalstaatlichen Realität hin zur Pluralität unterschiedlicher Lebenswelten. Die Nation als Gebilde wandelt sich zur Nation als Kontext.

Wenn das vorliegende Buch von und über den Südsudan spricht, greift es diese Idee auf. Es geht nicht um eine einheitliche Lebenswelt, die ein solcher Nationalstaat produzieren würde. Dazu ist der südsudanesische Staat, wie letztlich kaum ein Staat auf der Welt, nicht in der Lage. Vielmehr ist »Südsudan« als Überbegriff für eine Diversität an Kontexten zu verstehen, die sich alle mit dem Label verbinden lassen. Südsudan wird so gewissermaßen zu einem Nicht-Ort, oder zu Orten im bewussten Plural. Obwohl territorial mehr oder minder klar begrenzt – die Grenzziehungen sind, insbesondere gegenüber dem Sudan und Äthiopien, nicht an allen Stellen unumstritten und geklärt – gibt es doch kaum eine verallgemeinerbare südsudanesische Lebensrealität, die alle Staatsbürger:innen einen würde. Südsudan ist eine Größe, die sowohl Südsudanes:innen als auch internationalen Beobachter:innen überaus unterschiedlich gegenübertritt und dementsprechend unterschiedlich zurückstrahlt. Das in diesem Buch verfolgte Argument interpretiert diesen fragmentarischen Charakter nicht als Schwäche, sondern als Stärke. Anstelle einer einheitlichen Erzählung der Dysfunktionalität fokussiert der Band auf fragmentarische Erzählungen der Funktionalität.

Der titelgebende Begriff der Konfliktlandschaften fängt diese Sichtweise ein. Er bezieht sich auf den Vorschlag von Arjun Appadurai, die Ungleichzeitigkeit und Irregularität einer globalisierten Welt mithilfe der Landschaftsmetapher zu begreifen. Sein Ausgangspunkt ist der disjunktive Charakter der globalen Moderne, die in einem beispiellosen Ausmaß gleichzeitig verbindend wie trennend wirkt. Wir erfahren eine

»complex, overlapping, disjunctive order that cannot any longer be understood in terms of existing center-periphery models [… or] simple models of push and pull (in terms of migration theory), or of surpluses and deficits (as in traditional models of balance of trade), or of consumers and producers (as in most neo-Marxist theories of development)«(Appadurai, 1996: 32).

Die Landschaftsmetapher setzt am Ineinandergreifen der unterschiedlichen politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Dimensionen an, die diese Ordnung gleichzeitig ineinander ziehen und auseinander treiben oder oftmals überhaupt erst verbinden und ermöglichen. Konfliktlandschaft ist in diesem Zusammenhang als die bestmögliche deutsche Entsprechung des Begriffes der »conflictscape« zu verstehen, der sich direkt aus Appadurais Konzept ableitet (Pospisil, 2020). »The suffix -scape allows us to point to the fluid, irregular shapes of these landscapes.« (Appadurai, 1996: 33)

Fluid, irregulär und fragmentarisch, ineinander verwoben und doch in ihrem eigenen, spezifischen Charakter einzigartig, sind Konfliktlandschaften ein konzeptioneller Ansatz, der grundsätzlich jedem Kontext zugänglich ist. Er erweitert Appadurais ethnografisch-soziologische Sichtweise um das Element des eigentümlich institutionalisierten Feldes der Politik und der politischen Auseinandersetzung. Keinesfalls beschränkt sich der Begriff auf Gewaltkonflikte. Vielmehr schließt er, wie es Mary Kaldor in einer Diskussion um den Begriffsgehalt treffend bemerkt hat, Friedenslandschaften unabdingbar mit ein. Wenn sich das vorliegende Buch also der Konfliktlandschaften des Südsudan annimmt, geht es also keineswegs nur um Krieg und Gewalt. Es geht um eine Annäherung an einen vielschichtigen Kontext, in den unterschiedliche soziale Konfigurationen zusammengeworfen sind, ähnlich den vielschichtigen Bildern einer Landschaft und den diversen Formationen, die sie im Austausch mit Klima, Jahreszeiten, Wetter und humanen wie nichthumanen Einwirkungen annimmt.

Die Möglichkeiten, Konfliktlandschaften zu beschreiben, sind endlos. Von einer zeitlich, territorial, oder hinsichtlich der Dimension abgegrenzten Darstellung nehme ich Abstand. Zu viel der Wechselwirkungen würde angesichts dieser scheinbaren Ordnung verloren gehen. Die gewählte Vorgangsweise fokussiert daher auf den Charakter, den Inhalt, die besondere Gestalt dieser Konfliktlandschaften, jene Aspekte, die sie in Dynamik bringen und halten: Logiken und Felder.

Die Methodologie des Fragments

Eine umfassende analytische Beschreibung solcher Konstellationen ist ein hoffnungsloses Unterfangen. Es würde auf der Notwendigkeit von Typologisierungen und Kategorisierungen beruhen, welche wiederum ein konsistentes Ganzes als Referenzpunkt benötigen, um greifbar zu bleiben. Es ist daher unvermeidlich, eine solche Herangehensweise zu verwerfen. Die Formulierung einer Alternative ist jedoch um einiges schwieriger. »How does one write a book about the inability to understand without occasionally committing the same misdeed?« (Najslova, 2021: 11)

Wie also ein Buch gestalten, das sich mit dem Südsudan und seinen Konfliktlandschaften auseinandersetzen soll? Vollkommen gerecht kann eine solche Darstellung der Realität nie werden. Dennoch gibt es bessere und schlechtere, einfühlsamere und weniger einfühlsame Möglichkeiten, sich dieser Aufgabe zu nähern. Schon eine oberflächliche Überlegung macht klar, dass weder eine stringente und wie immer komplex verschachtelte Analyse noch eine chronologisch angelegte historische Abhandlung gangbare Optionen der Darlegung bereitstellen.

Die Metapher der Landschaft hilft bei der Erarbeitung von Alternativen. Methodisch ist eine vollkommene Darstellung von Landschaften unmöglich. Karten geben uns einen verkleinerten und vereinfachten Ausschnitt, sie können verschiedene Formationen in ihrer Geworfenheit abbilden, aber nur in ihrer oberflächlichen, auf den ersten Blick sichtbaren Dimension. Es benötigt eine Verlagerung des Blicks von der umfassenden Einhegung hin zum Einlassen auf relatives Verstehen. David Chandler hat diese Veränderung der Perspektive mit dem Begriff des »Mapping« umschrieben, einem Ansatz, den er als alternativen Ansatz von Governance charakterisiert, und der die moderne Steuerungstechnik grundsätzlich infrage stellt. Mapping verschiebt den Fokus »from the subject of power (the ideas and understanding of governing agencies) to the importance of the object of governance itself«und akzeptiert so die Abkehr von liberalen Grundpfeilern wie Linearität und Universalität (Chandler, 2018: 21).

Ein solches Mapping erscheint als ein tragfähiger Ansatz für das vorliegende Unterfangen. Er kann auch auf einzelne Beispiele verweisen. Obwohl ich der Anthropologie und ihrer untilgbar kolonialen Herkunft kritisch gegenüberstehe, sind es oft gerade Ethnografien, die zu den methodisch einprägsamsten Werken gehören. Sie weisen in der Darstellung mitunter Wege, die klassische Sozialwissenschaft trocken und angestaubt zurücklassen. Für den vorliegenden Band waren es insbesondere zwei Ethnografien, die Methodik und Erzählweise prägen. Zunächst Anna Lowenhaupt Tsings bahnbrechende Studie über »The Mushroom at the End of the World«, eine kraftvolle Geschichte, die sich entschlossen gängigen wissenschaftlichen Darstellungsklischees verschließt. Tsing begibt sich auf die Suche nach Brüchen, Widersprüchen, Non-Linearität. Sie unternimmt ein Nachzeichnen von in sich widersprüchlichen Realitäten anstatt einer glatten und bestechenden Strukturanalyse. Nur so gelingt es ihr, den Weg des Matsutake, dieses seltsamen Pilzes, der sich von abgeschiedenen Regionen wie aufgegebenen Nutzwäldern in Oregon nach Japan aufmacht, um dort als Delikatesse Top-Preise zu erzielen, verständnisvoll darzustellen.

»In the intellectual woodlands I have been trying to encourage, adventures lead to more adventures, and treasures lead to further treasures. When gathering mushrooms, one is not enough, finding the first encourages me to find more.« (Tsing, 2015: 287-288) Das Problem von Tsing ist eben nicht die Einebnung analytischer Pfade auf eine einheitliche Geschichte. Ihr zentrales Argument ist das der Pluralität von Realitäten und Erzählwegen, nicht verstanden als postmodern argumentierte Stringenz, sondern als perspektivische Diversität.

Das zweite Buch, das die vorliegende Arbeit methodologisch geprägt hat, ist Lucia Najslovas (2021) Annäherung an das beständige türkisch-EU-europäische Missverständnis, »Turkey and the European Union: The Politics of Belonging«. Angesiedelt zwischen Ethnografie, politischer Analyse und hintergründigem Journalismus arbeitet Najslova dieses schwierige, widersprüchliche Verhältnis in nur lose zusammenhängenden Vignetten auf. Die Fragmente des Missverstehens, die sie schildert, erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Repräsentanz. Vielleicht eröffnen sie aber gerade deswegen einen innovativen Blick auf eine Konstellation, zu der eigentlich alles gesagt zu sein schien. Fragmente werden von Najslova konsequent zur Methodik erhoben, und in der Tat, »fragmented stories may well be the best thing to share, once the grand narratives have started falling apart«(Najslova, 2021: 11).

Fragmente als Methodologie übersetzen sich im gegenständlichen Fall in eine fragmentarische Methodik. Im Gegensatz zu Tsing und Najslova kann ich allerdings nicht mit einer geplanten Ethnografie aufwarten. Ganz im Gegenteil. Dem vorliegenden Buch liegt keine spezifische Forschung zugrunde. Es ist ein Nebenprodukt aus unterschiedlichsten Vorhaben, die mich in den vergangenen zwölf Jahren immer wieder in den Südsudan geführt und mit dem Land beschäftigt haben. Die methodische Vorgangsweise war zumeist klassisch qualitativ. Interviews, Gespräche, Dokumentenanalysen. Über die Jahre ergänzen sich diese traditionellen methodischen Elemente mit Freundschaften, Begegnungen, Eindrücken, vertieften Auseinandersetzungen mit Kontexten, Elemente, die im sozialwissenschaftlichen Duktus für gewöhnlich als teilnehmende Beobachtung charakterisiert werden. Ein Feldtagebuch existiert nicht. Die Reflexion der Eindrücke erfolgt aus der Erinnerung, nur wörtliche Zitate sind Wiedergaben aus Notizen, festgehalten kurz nach den entsprechenden Konversationen.

Die Freude der Arbeit an einer Monografie ist die relative methodische Freiheit, die sie bereithält. Dieses Buch nimmt sich diese Freiheit. Es ist nach strikten Kriterien als nur peripher wissenschaftlich zu charakterisieren und hätte in einem Journal-Peer-Review-Prozess vermutlich mit relevanten Schwierigkeiten zu rechnen. Gerade deswegen ist es notwendig, die drei Zielsetzungen, die das Unterfangen verfolgt, klar darzulegen: Interessierten unterschiedlicher Provenienz einen Einblick in mögliche Wahrnehmungen des südsudanesischen Kontexts zu bieten, die Diskussion um nachmoderne Ansätze in der Friedens- und Konfliktforschung anhand eines konkreten Kontexts voranzutreiben, und, letztendlich, das egoistische Motiv, mir selbst die Gelegenheit zu einer Reflexion meiner erlebten Forschung zu bieten. Auch wenn eine vollumfängliche Zielerreichung wohl nicht möglich ist, war dies doch die Intention, die hinter dieser Arbeit steht.

Fahrplan

Gemäß der dargestellten Methodologie erschließt sich der Inhalt dieser Monografie nicht chronologisch. Vielmehr bilden die folgenden elf Abschnitte in sich abgeschlossene Erzählungen, die in den Kontext Südsudan aus unterschiedlicher Perspektive eindringen. Diese Vorgangsweise erhebt nicht den Anspruch, eine Erzählung zu generieren, an deren Ende ein systematisches Verständnis steht.

Dennoch versuchen sich die folgenden drei Kapitel in einer gerafften Version einer weitgehend einheitlich erzählten Geschichte des Südsudan. Es ist eine im historischen Institutionalismus verankerte Diskussion der Entwicklung von Fragmenten einer nationalstaatlichen Ordnung, die den heutigen südsudanesischen Staat kennzeichnet. Diese Erzählung verfolgt einen doppelten Zweck: einerseits ist dieser Staat manifest, wenngleich in spezifischen und oftmals unerwarteten Formen und Praktiken. Diese Formen und Praktiken zu kennen und geschichtlich zurückzuverfolgen ist ein wichtiger Baustein zur Annäherung an südsudanesische Realitäten. Andererseits liefert die Darstellung ein Grundgerüst, das die Einordnung der folgenden Vignetten erleichtert, insbesondere für Leser:innen, die mit der Materie weniger vertraut sind.

Die folgenden fünf Kapitel widmen sich spezifischen Konfliktlandschaften, wobei deren Darstellung weder als vollständig noch als abgeschlossen zu lesen ist. Die erste derartige Konfliktlandschaft beschäftigt sich mit über den unmittelbaren südsudanesischen Kontext hinausgehenden Durchdringungen. Allzu oft werden Staatsentwicklungen in sich geschlossen erzählt, ganz so als wären die Grenzen, die die Einordnung von Territorien als politische Entitäten ermöglichen sollen, naturgegeben. Dieses Missverständnis hat in Sub-Sahara Afrika eine besondere Spielform entwickelt, die Diskussion über sogenannte »natürliche« und »willkürliche«, also von Kolonialmächten gezogene Grenzen. Ein solches Argument übersieht allerdings, dass es einerseits keine »natürlichen« Grenzen gibt. Schließlich ist jeder Nationalstaat nichts anderes als ein künstliches Konstrukt. Andererseits ist es seit der Entkolonialisierung trotz der angenommenen Willkürlichkeit seit der Ziehung dieser Grenzen zu nur wenigen territorialen Veränderungen gekommen (Herbst, 1989).

Die international anerkannten Unabhängigkeitserklärungen von Eritrea und dem Südsudan repräsentieren die zwei wichtigsten Ausnahmen. In bewusster Kontrastierung einer nationalen Erzählung fokussiert das Kapitel daher auf die regionalen und internationalen Verflechtungen, die die südsudanesischen Realitäten bis heute bestimmen. Verschiedenste Formen ökonomischer, sozialer und kultureller Durchdringung kennzeichnen die Region und formen ihren spezifischen, zutiefst hybriden (Mac Ginty, 2010) Charakter.

Die nachfolgenden zwei Kapitel fokussieren auf omnipräsente Konfliktlandschaften, die als Konfliktlogiken diskutiert werden können: den politischen Marktplatz und die Ethnopolitik. Der Ansatz von Konfliktlogiken ist eine Entwicklung des Conflict Research Programme (CRP) an der London School of Economics, das im Zuge seiner Untersuchung der Wirkungsweise von »public authority« in Konfliktkontexten übergreifende Erklärungsmuster entwickelt hat (Theros and Kaldor, 2018). Diese zwei Konfliktlogiken sind weder ausschließend noch erschöpfend. Nichtsdestotrotz sind beide im südsudanesischen Kontext allgegenwärtig. Sie repräsentieren prävalente Mechanismen politischer, ökonomischer und sozialer Herrschaft, wenngleich ihre Wirkungen auf unterschiedlichen Ebenen uneinheitlich und zum Teil widersprüchlich sind.

Das folgende Kapitel widmet sich dem Transitionsprozess, der durch das revitalisierte Friedensabkommen, das Revitalised Agreement on the Resolution of the Conflict in the Republic of South Sudan, R-ARCSS, eingeleitet wurde. Diese Transition bildet in sich genommen eine weitere Konfliktlandschaft, wahrscheinlich die politischste aller beschriebenen. Oft wird der formalen Transition das Prädikat »post-konflikt« zugeschrieben. Anhand eines detaillierteren Blicks auf die von RARCSS bestimmte politische Machtteilung, die Reform des Sicherheitssektors sowie auf den anvisierten verfassungsgebenden Prozess und die als Abschluss des Transitionsprozesses vorgesehenen Wahlen argumentiert der Abschnitt, dass die südsudanesische Transition ein lang andauernder und widersprüchlicher Prozess ist, den ein Friedensabkommen zwar beeinflussen aber keinesfalls bestimmen kann.

Das letzte einer spezifischen Konfliktlandschaft gewidmete Kapitel setzt sich mit Prozessen der Marginalisierung und Demarginalisierung auseinander. Es geht in dieser Auseinandersetzung nicht um eine stringente Theorieentwicklung. Vielmehr reflektiert die Auseinandersetzung kritisch das Vulnerabilitäts-Dogma, das vielen rezenten Friedens- und Demokratisierungsprozessen innewohnt. Es geht um Diskrepanzen in ihren unterschiedlichen Formen, als bewusste oder tradierte Mechanismen von Ein- und Ausschluss, beispielsweise anhand von Geschlecht, Alter oder ökonomischer Positionalität, und deren Auswirkungen auf das weitere soziale Gefüge.

Das auf die Darstellung der Konfliktlandschaften folgende Kapitel diskutiert anhand anekdotischer Beobachtungen einige der besonders markanten soziopolitischen Ausdrucksweisen, die der Umgang mit und die Aushandlung zwischen den mannigfaltigen Konfliktlandschaften hervorgebracht hat. Diese Diskussion strebt ein Nachdenken über Grundverständnisse institutioneller Funktionalität an, wie etwa über die möglichen Zugangsweisen zu physischen Grundkonstanten wie Zeit und Raum, oder soziale Aushandlungsprozesse wie Korruption oder Gastlichkeit.

Daran anschliessend folgt eine konzeptionelle Reflexion. Was sagt der Ansatz der »Fragmente« über den südsudanesischen Kontext, gerade im Unterschied zur Idee der Fragmentierung, die noch in der Vorstellung des einheitlichen Ganzen verhaftet bleibt? Zweifellos ist es unüblich, dass ein solcher konzeptioneller Teil am Ende – und nicht am Anfang – einer Untersuchung steht. Und doch lässt der methodologische Ansatz keine andere Möglichkeit. Es sind nicht nur Fragmente eines Staates, es sind auch analytische Fragmente, die es einzusammeln gilt. Da eine solche Sammlung nicht in einer einheitlichen Erzählung, sehr wohl aber in weiterreichenden methodologischen Einsichten münden kann, steht das Kapitel an dieser Stelle.

Das Schlusskapitel bringt die dargelegten analytischen Vignetten schließlich zurück zu der zuvor angerissenen Diskussion um die Faszination, die der südsudanesische Kontext ausstrahlt. »Dieses Land hat alles.« Ein Satz, der oft in Diskussionen über die aktuellen Schwierigkeiten in den verschiedenen Teilen des Landes fällt, oftmals um darauf zu verweisen, dass die immensen Schwierigkeiten menschengemacht sind, hat eine tiefe Richtigkeit. Nachdem es keine einheitliche Geschichte zu reflektieren gilt, kann es keine Schlussfolgerung geben. Dennoch gibt es Elemente, die die widersprüchlichen Realitäten des Südsudan zusammenführen und mit Perspektiven versehen. Solchen Elementen ist dieser Abschnitt gewidmet.

Koloniale Integration

Der Südsudan ist nicht verortbar. Jedenfalls nicht als ein einheitliches Projekt politischer Institutionalisierung. Auch wenn es gegenüber einem Staat, der nach einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg vor gerade einmal zehn Jahren seine Unabhängigkeit errungen hat, wie Häresie klingen mag, will ich diese Annahme der nun folgenden Geschichtserzählung voranstellen. Was wir allzu selbstverständlich unter dem nationalstaatlichen Begriff »Südsudan« subsumieren, ist ein komplexes Geflecht von diversen Landschaften, Lebenswelten, Wahrnehmungen und Zuschreibungen. Die nationalstaatliche Dimension ist nur eine von diesen, und keineswegs die wichtigste. Joel Migdal (1998) hat schon vor Jahrzehnten schwache Staaten in ihrem prekären Verhältnis zu »strong societies« – für unseren Zweck am besten als »starke Gemeinschaften« übersetzt – analysiert. Diese Frage ist nach wie vor die Ausgangsproblematik, der sich jede Auseinandersetzung mit südsudanesischer Geschichte zu stellen hat.

Wie im vorangegangenen Kapitel andiskutiert, erfüllt eine solche Darstellung einen doppelten Zweck. Einerseits liefert sie ein Raster zur Einordnung der in den an die geschichtliche Darstellung anschließenden Kapiteln dargebotenen Vignetten. Dies ist zwar in gewisser Weise eine Umgehung der Methodologie der Fragmente. Es ist aber ein wahrscheinlich notwendiger Kompromiss, der für viele die Lesbarkeit erleichtert. Andererseits ist diese Geschichte für sich genommen fragmentarisch, und die in ihr liegende Stringenz durch die Methode der Darstellung konstruiert. Dennoch ist diese Geschichte Bezugspunkt nicht nur für staatliche Institutionen und internationale Partner. Sie ist einer der wenigen einigungsfähigen, zusammenhängenden nationalen Narrative. Und sie zeichnet gewissermaßen eine Karte der südsudanesischen Konfliktlandschaften. Als solches repräsentiert sie in gleicher Weise Fiktion und Realität. Fiktion, weil eine Karte immer ein konstruiertes Zerrbild der Wirklichkeit darstellt. Realität, weil Geschichte selbst zum Faktum wird und damit in die Lage versetzt wird, selbst Fakten zu schaffen. Insbesondere in der in diesem Kapitel im Mittelpunkt stehenden kolonialen Periode werden performative Diskurse produziert, die von langer, zum Teil noch immer ungebrochenen Wirkdauer sein werden. Schließlich ist diese Kolonialgeschichte die erste Periode, die so etwas wie eine einheitliche südsudanesische Geschichte konstruiert, oder, besser gesagt, erzwingt.

Es geht in den Abhandlungen in diesem und den zwei folgenden Kapiteln also nicht um historische Akkuratheit und Präzision. Es geht um die Entstehung von bis heute maßgeblichen und wirkmächtigen diskursiven Figuren. Von besonderer historischer Relevanz ist die Dichotomie zwischen einem »afrikanischen« und einem »arabischen« Sudan. Diese Dichotomie liefert die Folie der Behauptung einer schutzbedürftigen Rückständigkeit des Südens. Ebenso bedeutsam entwickeln sich in Antwort auf die koloniale Durchdringung entstehende tribalistische Erzählungen. Alle diese Figuren können bis in die Anfangszeit nationalstaatlicher Institutionalisierung zurückverfolgt werden. Die Konstruktion der Diskurse und deren performative Funktionalität in Prozessen der rudimentären Staatlichkeit stehen in einer engen Wechselwirkung zueinander, die in der Periode der kolonialen Durchdringung ihren Ausgang nimmt.

Geschichten des Werdens und Scheiterns

Vor dem Aufbruch in die turbulenten Ereignisse empfiehlt sich ein Blick in den mittlerweile stark angewachsenen Literaturkorpus zur südsudanesischen Geschichte, der einiges über Geschichtswahrnehmung offenbart. Die geraffteste Darstellung liefert der einzige je erschienene Reiseführer zum Land, der von Sophie und Max Lovell-Hoare (2013) verfasste »Bradt Travel Guide«. Der praktische Nutzen dieses Reiseführers tendierte immer schon gegen null. Vermutlich gedacht als eine Appetitanregung für kommende Zeiten, wurde er im ersten Jahr nach der Unabhängigkeit geschrieben, als einige Unentwegte Tourismus als eine konkrete und naheliegende ökonomische Perspektive einstuften. Es kam anders.

Der Informationsgehalt des Bradt ist bescheiden. Dort, wo er gegeben ist – viele Teile des Landes sind nicht umfasst –, haben fünf Jahre Bürgerkrieg derart einschneidende Änderungen mit sich gebracht, dass das wohl interessanteste Element des Buches jene Teile sind, die in Reiseführern für gewöhnlich verächtlich übersprungen werden: Geschichte, Kultur, Land und Leute, Flora und Fauna. Geschichte und Politik füllen gerade einmal acht Seiten. Diese sind jedoch bemerkenswert. Das ist nicht zuletzt der Phase geschuldet, in der sie entstanden sind. Es gab wohl bislang keine günstigeren Jahre, eine Geschichte des Südsudan zu schreiben, als 2011 und 2012. Auch die vielleicht positivste Geschichtsaufarbeitung des jungen Staates, LeRiches und Arnolds (2013) »South Sudan: From Revolution to Independence«, entstammt dieser Zeitspanne.

Die Darstellung des Bradt ist nüchtern und emotionslos, ohne den so oft üblichen moralischen Impetus. Sie ist schnell nacherzählt. Es beginnt mit einem kurzen Abriss über jene Epoche, die gerne als »Vorgeschichte« bezeichnet wird und die sich mangels breiter Studien auf die nubischen Königreiche im ersten Jahrtausend v.u.Z. konzentriert. Danach werden in rascher Folge zunächst die historischen Reichsbildungen der Shilluk und der Zande, die ägyptisch-türkische Expansion und schließlich die Kolonialpolitik des britisch-ägyptischen Kondominiums diskutiert und mit einem ausführlichen Exkurs zur Problematik der Sklaverei ergänzt. Die sudanesische Geschichte fokussiert auf den südlichen Widerstand, vor allem gegen die drei sudanesischen Diktaturen von Abboud, Nimeiri und der National Islamic Front (NIF). Das CPA steht bereits gegen Ende der Darstellung, den würdigen Abschluss bildet das Unabhängigkeitsreferendum. Das politische System ist kurz und formal abgehandelt. Dessen einzige Bewertung liegt in der Anerkennung der historisch zu erklärenden Komplexität: »Politics is complicated at the best of times, but South Sudan manages to add an unprecedented level of complexity and confusion by having its own government in place some six years before the country actually became independent.« (Lovell-Hoare und Lovell-Hoare, 2013: 11) Trotzdem diese Betrachtung einer vertiefenden Analyse kaum standhält, hebt sich ihr empathischer und klarer Charakter von den meisten Arbeiten, die die folgenden Jahre nach Ausbruch des Bürgerkrieges dominieren und von dem unausgesprochenen Paradigma der enttäuschten Hoffnung durchzogen werden, erfreulich ab.

LeRiche und Arnold (2013) fokussieren ihre detailreiche und informierte, an einigen Stellen allerdings ungenaue Abhandlung auf die Phase der südsudanesischen Staatswerdung. Auch wenn sie diese keineswegs als eine gegebene Notwendigkeit annehmen, ist es doch die Idee der Nationalstaatsbildung, die in ihrer Darstellung zum entscheidenden Kriterium wird. Diese Nationalstaatsbildung ist in dem ebenfalls vor Ausbruch des südsudanesischen Bürgerkrieges geschriebenen Band mit einer deutlichen Warnung verbunden: »The biggest threat [South Sudan] faces is from within; simply maintaining coherence will be a massive challenge given the depth of its socio-political fractiousness.« (Ebd.: 21) Fraktionalisierung und Sedimentierung sind wiederkehrende Themen in den akademischen Publikationen zum Südsudan. Sie finden sich auch in den stärker Akteurs-fokussierten Arbeiten von John Young (2012, 2015, 2019), in einer prononciert institutionell-historischen Dimension bei Rolandsen und Daly (2016) und, mit einem spezifischen Fokus auf Jonglei, bei Edward Thomas (2015).

Douglas H. Johnsons Referenzwerk »Root Causes of Sudan’s Civil Wars« (Johnson, 2016a), das mittlerweile in der 2016 erschienenen dritten Auflage vorliegt, nimmt einen ähnlichen Blickwinkel ein. In den Schlussfolgerungen ist sich Johnson seiner Strukturanalyse über die einzelnen Auflagen hinweg weniger und weniger sicher. Seine explizit in der Longue Durée-Tradition stehende Kurzgeschichte des Südsudan vertieft diese Empfindung. In den finalen Teilen kontrastiert sie die gewonnene Unabhängigkeit mit der sich durch diese Unabhängigkeit fast unvermeidlich ergebende Verstetigung der politischen und militärischen Macht der SPLM/A (Johnson, 2016b: 168-175).

Eine spezifische Literaturgattung bilden die Schilderungen von Diplomat:innen (Johnson, H., 2011, 2016; Coghlan, 2017) und Journalist:innen (Copnall, 2017; Martell, 2018). Diese Werke liefern mit persönlichen Eindrücken garnierte Verfallsgeschichten, die in erster Linie einer Abarbeitung eigener, zumeist durch liberalen Internationalismus geprägten Erwartungshaltungen dienen. Die prominenteste Vertreterin dieser Gattung ist Hilde Frafjord Johnson. Johnson begleitete als norwegische Entwicklungsministerin die CPA-Verhandlungen. Einige Jahre später, von 2011 bis 2014, übernahm sie als UN Special Representative of the Secretary-General (SRSG) die Leitung der UN-Peacekeeping-Mission UNMISS. Johnson hat zu beiden Episoden ihres Engagements detaillierte und hochinteressante Monografien vorgelegt, die freilich ihre eigene Rolle nicht unbedingt zurückhaltend reflektieren. Insbesondere in der Aufarbeitung der CPA-Verhandlungen beschreibt sich Johnson als engagierte und verantwortungsvolle Diplomatin, die die Position Norwegens als Teil der Troika (mit Großbritannien und den USA) aktiv und gestalterisch anlegt.

Die Darlegung endet mit einer in diplomatischem Slang gehaltenen Erklärung, die die Positionalität und inhärente Arroganz des liberalen Peacemaking mit erstaunlicher Präzision wiedergibt: »It is my hope that maturity on both sides, and among leaders in the Three Areas and other marginalized areas, as well as strong and competent engagement and leadership by the international community, will prevent such a worst case scenario from becoming a reality.«(Johnson, H., 2011: 218) Die Enttäuschung, dass eine solche »Reife«nicht gezeigt wurde, ließ Johnson nach ihrer Rolle als SRSG ernüchtert, aber nichtsdestotrotz urteilend zurück: »As I left the region, I wondered whether South Sudanese leaders would be willing to do what was needed to save their country, not only from fighting, but also from failing. […] Only then would South Sudan stand a chance of becoming a nation. I was not sure.« (Johnson, H., 2016: 286)

Das Verteilen von Betragensnoten und Erfolgschancen wird vom ehemaligen kanadischen Botschafter, Nicholas Coghlan, nochmals übertroffen. In der Reflexion seiner Amtszeit zitiert er einen kanadischen Militär, der in Ruanda zur Zeit des Genozids als Kommandant der damaligen UN-Mission fungierte. Mit Verweis auf den Südsudan soll dieser schlicht gemeint haben: »this place smells bad« (Coghlan, 2017: 247). Coghlan lässt diese Stellungnahme unkommentiert.

In Bezug auf ein vertieftes Verständnis der südsudanesischen Konfliktlandschaften ist aus solchen Arbeiten, abgesehen von empirischen Daten, wenig zu gewinnen. Sie sind dennoch, auch abseits der dargebotenen faktischen Informationen, lehrreich. Sie überzeichnen das medial wie in urbanen Legenden humanitärer Helfer:innen reproduzierte Schauerbild des Südsudan als einem scheiternden Staat, gebeutelt von einer unheilsamen Kombination tribalistischer Mordlust und unreifer, wenn nicht gar bösartiger politischer Führung. Solche Einschätzungen, in sich genommen stringent und den Referenzobjekten der Berichtenden angemessen, helfen bei einer analytischen Annäherung naturgemäß wenig. Nicht vergessen werden darf hingegen, dass sie eine Perspektive repräsentieren, die, in abgeschwächter Form, von einer gar nicht so geringen Zahl an Südsudanes:innen eingenommen wird, vor allem in der weit verstreuten Diaspora. Letztlich sind diese Schauergeschichten eines der vielen Fragmente, die die südsudanesische Realität konstituieren.