Königin Donau und ihre Kinder - Dietmar H. Herzog - E-Book

Königin Donau und ihre Kinder E-Book

Dietmar H. Herzog

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Beschreibung

Die großen Ströme unserer Zeit haben ihre eigene Geschichte. Meist ist sie sehr lebendig und fröhlich, doch oft tritt sie auch düster und bedrohlich auf. In allen diesen Geschichten, seien es Sagen oder Märchen, spielt das Lokalkolorit eine wesentliche Rolle. Die Erzählung um die Königin Donau und ihre Kinder ist im süddeutschen Raum zwischen dem Schwarzwald und Passau verortet. Sie orientiert sich an vielen geografischen und geologischen, aber auch an technischen und ökologischen Gegebenheiten und ist aus der Liebe zur Natur und der Sehnsucht, eine eigene Geschichte zu haben, entstanden.

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Seitenzahl: 176

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Dietmar H. Herzog

Eine Erzählung

ISBN/EAN: 9783958706668

1. Auflage

Illustrationen: © Dietmar H. Herzog

Korrektorat: Dagmar Kloske

© nexx verlag gmbh 2020

www.nexx-verlag.de

Vorwort

Die großen Ströme unserer Zeit haben ihre eigene Geschichte.

Meist ist sie sehr lebendig und fröhlich, doch oft tritt sie auch düster und bedrohlich auf. In allen diesen Geschichten, seien es Sagen oder Märchen, spielt das Lokalkolorit eine wesentliche Rolle. So erfahren auch die Flüsse durch die Einbeziehung der Eigenheiten von Menschen und Tieren und die Besonderheiten der Natur eine individuelle Färbung. Dazu kommen charakteristische Auffälligkeiten der politischen und kulturellen Geschichte der entsprechenden Landstriche. Diese gemeinsamen Aspekte werden oft von den Verfassern der Sagen und Märchen als eine Art Lesekompass für den Leser eingebaut.

In der Vorbereitung meiner Erzählung sind mir beim Lesen herrliche Dichtungen, verwegene Abenteuer, Fantastisches, kaum Glaubhaftes, manchmal auch Besinnliches und Aufregendes begegnet. Zwischen den Zeilen erspürte ich immer, dass das Geschriebene in mir vor allem Empathie für das nicht ganz Alltägliche und seine Protagonisten entwickelte.

Dies beschäftigte mich immer wieder, bevor ich anfing, diese Erzählung zu schreiben. Und so prüfte ich während des Lesens einer Vielzahl von Sagen und Märchen um die Donau immer wieder, was in mir vorging. Mit wenigen Worten kann ich das heute in diesem Logbuch zusammenfassen:

Es ist die Liebe zur Natur, die Geborgenheit in der Heimat und die Sehnsucht eine eigene Geschichte zu haben, sie zu kennen, zu erkennen und wie einen Schutzpatron mit sich zu führen.

Die Geschichte der Flüsse, in deren Nähe ich wohne, wird im übertragenen Sinne somit auch ein Teil meiner Geschichte. Ihre Schicksale, im Guten wie im Schlechten, erlebe ich an manchen Tagen mit, kann sie sogar erspüren. Dann weiß ich, dass ich ganz nah dran bin – auch an meiner eigenen Geschichte. Genau daraus ist mein Wunsch entstanden, der Donau, an deren Ufer ich lebe und deren Brücken ich täglich überquere, diesen Vorzugsplatz auf den folgenden Seiten einzuräumen.

Die Erzählung um die „Königin Donau und ihre Kinder“ ist im süddeutschen Raum zwischen dem Schwarz-wald und Passau verortet. Sie orientiert sich an vielen geografischen und geologischen, aber auch an technischen und ökologischen Gegebenheiten. In ihrer Gesamtheit ist sie aus meiner Fantasie und vor allem aus Empathie zur Donau entstanden.

Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Donau und die ausgewählten Zuflüsse personifiziert sind, also ein eigenes, autonomes Leben in meiner Geschichte führen dürfen. Phantasiegestalten wie Elben, Wassermänner, Nixen, Waldfrauen, Zwerge und andere Wasser- und Elementarwesen bevölkern die Erzählung. Sie sind als Metapher für die Eigenart und Besonderheit der Donaulandschaft und den gesamten süddeutschen Raum zu sehen.

Ich hoffe, dass meine Geschichte um die Donau und ihre größeren Nebenflüsse zur Liebe und zum respektvollen Umgang mit der Natur als unserem einmaligen Lebensraum einen bescheidenen Beitrag leisten wird. Sie, liebe Leser, können dieses Anliegen, in welcher Form auch immer, unterstützen.

Schlussbemerkung

Mehrere überlieferte Sagen und auch einzelne Textteile habe ich in meine Erzählung eingewoben. Sie sind kursiv gestellt. Auf den letzten Seiten finden Sie die dazugehörigen Quellennachweise.

Das folgende Zitat aus diesen Quellen beschreibt besonders treffend meine Motivation zum Schreiben dieses Buches:

„Zur Sage gehört immer noch und immer noch mehr Liebe, und sie weist sich gewiss überall in Hülle und Fülle, aber für den Dichter nie genug.“

Und an anderer Stelle heißt es:

„Ich werde alle Sagen, auch die des Mains, aufzeichnen lassen, dachte (…) die Königin Donau. Was helfen (…) uns alle Siege, wenn wir nicht reich genug sind, die Geschichten zu behalten, die an unseren Ufern spielen?“

(Aus: Donausagen – Seite 62 unten; Zusammengestellt von Hans Friedrich Blunck; 1985, Loewe Verlag, Bayreuth)

Dieser Schlussgedanke soll den Leser durch alle Seiten dieser Geschichte um die Königin Donau und ihre Kinder begleiten.

1. Kapitel

Königin Donau. Wie viele Millionen von Jahren der Vertreibung waren vergangen und wie viele Jahrtausende lagen noch vor ihr? Das zwanzigste Jahrhundert, so definieren die Menschen dieses kurze, kaum messbare Zeitintervall, war gerade angebrochen. Müde und in sich gekehrt blickte die Königin hinauf zu der unvollendeten Stadtmauer Ulms. Der schräge, düstere Metzgerturm warf einen langen, dunklen Schatten auf ihre Wasseroberfläche und die wenigen Lichter auf der Herdbrücke kämpften im frühen abendlichen Nebel ums Überleben.

Ihr Wasserkleid war in diesen Jahren immer seltener so blau, wie es die Menschen in ihren Liedern besangen. Meist trug sie jetzt ein Kleid, das in seiner Farbe eher einem stumpfen Grün ähnelte. Und wenn sie aufgebracht war, was immer öfter geschah, verfärbte sich ihr Äußeres in einen grün-grau-braunen Ton. Dann schwammen auf ihrer Oberfläche ockerfarbene, schaumige Bläschen, die wie ein schwimmender Teppich orientierungslos am Uferrand hin und her schwappten. Es gab auch Tage, da lag auf ihrem Wasser eine geheimnisvolle dünne, ölige Schicht. Sie glitzerte und schimmerte in allen erdenklichen Farben und verbarg so ihre eigentliche Gefährlichkeit. Ja, die blauen, die frohen Tage, an denen man auf ihrem Grund die Millionen von mitgereisten Kieseln aus den Höhen der Alpen und den Tiefen des Schwarzwaldes sehen konnte, waren selten geworden.

Große Sorgen trieben die Königin um. Es war der ewig anhaltende Streit um die tatsächliche Donauquelle und die nicht endende Streitlust einiger ihrer zufließenden Gewässer, die sie nicht zur Ruhe kommen ließen. Doch besonders die mehrjährige Abwesenheit ihres Gemahls König Ingold, die sie des Nachts in Angst und Schrecken versetzte, ließ sie einsam und sehnsüchtig zurück. Die glänzend weißen, fast durchsichtigen Elben, die sich zwischen den lieblichen Wasserlinsen zu Tausenden tummelten, konnten die Königin durch ihren Schabernack nicht aufmuntern. Nicht einmal die Ausgelassenheit der prächtig mit Blütenblättern geschmückten Nixen zauberte an diesem Abend ein Lächeln auf das schöne Antlitz der Königin. Stattdessen kräuselte sich ihre Stirn zu tiefen Sorgenfalten, die sich an der Wasseroberfläche zu immer größer werdenden Wellen auftürmten.

Das flache Ufer verlor immer mehr seine scharfe Kontur und die erfahrenen Fischer wunderten sich über den ungewöhnlich hohen Wellengang zu dieser Jahreszeit. Sie schauten unverständlich, teils ängstlich und beschwörend in den dunklen Strom.

„Sie sind so unruhig heute“, sagte der Älteste unter den Fischern.

„Wer?“, fragte das Enkelkind den Alten.

„Die Elfen. Immer wenn die Luft so flirrt, steigen die Elfen in den kleinen Luftbläschen auf. Daher glänzen die Bläschen, die aus den Tiefen des Flusses auftauchen, so wunderschön bunt in den Regenbogenfarben.“

„Elfen?“, fragte der Junge weiter, „ich habe schon von ihnen gehört, aber ich habe noch nie welche gesehen.“

„Sie sind für uns Menschen auch unsichtbar. Es sind Naturgeister, die ursprünglich aus dem Norden stammen. Sie sind teils schlimmer und teils guter Art. Doch so klein sie sind, so groß ist ihre Kraft und ihre Macht. Das ist der Grund, warum der mächtige Strom im Norden, der bei Cuxhaven in die Nordsee mündet, die Elbe genannt wird.“

Der Junge schaute seinen Großvater ungläubig an.

„Ich denke, sie heißen Elfen und nicht Elben?“

„Bub“, sprach der Fischer lächelnd weiter, „Elben ist ein alter Ausdruck für Elfen. Das Wort Elfe entwickelte sich vor langer Zeit aus dem Wort Elbe. Es sind dieselben kleinen, zarten Elementarwesen. Sie haben meist spitze Ohren, sind sehr zierlich, musikbegabt und können sehr, sehr alt werden. Manche von ihnen sollen sogar unsterblich sein.“

„Aber Großvater“, erwiderte der Enkel empört, „woher weißt du das alles, wenn wir Menschen die Elfen gar nicht sehen können?“

„Das sind uralte mystische Weisheiten, die über Generationen von Menschen weitererzählt wurden“, antwortete der Fischer.

„Aber was sind jetzt schon wieder Weisheiten?“

„Pst! Seid leise und schweigt jetzt“, zischte ein anderer Fischer ungeduldig. „Wie soll da ein Fisch anbeißen, wenn ihr die ganze Zeit quasselt?“

Die Fischer schwiegen fortan, so wie sie es sonst immer getan hatten. Auch der Knabe schwieg, wenn auch mürrisch dreinblickend. Doch Fische bissen an diesem Abend keine mehr an. Die Fischer machten sich ungewöhnlich früh auf ihren Heimweg ins nahe gelegene Fischerviertel in Ulm und einige von ihnen brummelten missmutig vor sich hin:

„Was ist nur los mit unserer Donau? Morgen ist doch Fischerstechen! Bei dem Wellengang, wie soll das gehen?“

Niemand wollte oder konnte diese Frage beantworten, auch die Donau nicht. Zu sehr war sie in ihrem Schmerz gefangen. Einen klaren Gedanken konnte sie in diesen Stunden nicht mehr fassen. Ihr war so elend zumute, dass sie ohne viel zu überlegen beschloss, sich heimlich mit ein paar vertrauten Lichtelben in ihrem aufgewühlten Bett flussaufwärts fortzustehlen.

Es war noch nicht völlig dunkel, was auch keine Rolle gespielt hätte. Denn weder die Königin noch die mit einer überragenden Intelligenz und großer psychischer Stärke ausgestatteten Lichtelben waren für den Menschen sichtbar. Diese besondere Elbenspezies war bekannt für ihre Mütterlichkeit, ihre Liebe und vor allem wegen ihrer sagenumwobenen Schutzbereitschaft. Sie sorgten sich sehr um ihre Königin. Doch es gelang ihnen nicht, sie von ihrem gefährlichen Vorhaben abzubringen. So schlich die kleine Gruppe zunächst lautlos und mit großem Geschick immer weiter stromaufwärts, dicht am Ufer entlang. Nebelgestalten gleich ließen sie die Iller Mündung hinter sich, durchfluteten den Lichternsee, strömten weiter unbemerkt vorbei an der Mündung der lieblichen Rot bei Erbach und an der unauffälligen Mündung der Riß. Unaufgefordert folgten diese beiden bescheidenen Flüsschen in Erwartung eines Abenteuers aufgeregt der verschwiegenen Reisegruppe mit ehrbarem Abstand. Bald darauf erreichte die Gesellschaft das Städtchen Ehingen. Dort entschied sich die Donau spontan, was nicht ihrem Wesen entsprach, ihr Millionen Jahre altes Bett ganz zu verlassen, um unbekannte Wege zu fließen und Neues zu entdecken.

Große Unruhe kam damals bei den Lichtelben auf. Diese wussten um die Gefahren, die da lauern konnten. Es waren nicht nur die Menschen mit ihren bisweilen verrückt erscheinenden Ideen, sondern sie wussten auch um die Unberechenbarkeit, die von den sogenannten Schwarzelben ausgehen konnte. Diese gefürchtete Elbenart war nicht so friedlich und zuverlässig wie die ihr verwandten Lichtelben. Die Schwarzelben oder auch Schwarzalben genannt lebten bevorzugt nahe am Wasser, aber unter der Erde. Sie unterschieden sich äußerlich wie auch in ihren Verrichtungen und Absichten von den Lichtelben. Die Schwarzalben, so wird es überliefert, waren von kräftigem Körperbau und schwärzer als Pech. Man konnte ihnen nicht wirklich trauen. Die Lichtelben hingegen waren von besonders schöner Gestalt, gläsern weiß, fast durchsichtig, eher zierlich und sanftmütig. Das einzige, was alle Arten von Elben auszeichnete, waren ihre spitzen Ohren und ihre Langlebigkeit.

Die sich davonschleichende Donau spürte die aufkommende Unruhe und Angespanntheit unter den Lichtelben nicht. Fast trotzig zog sie weiter in Richtung einer steilen Felsformation, die die Menschen Schwäbische Alb nannten. Die der Königin anvertrauten Lichtelben wollten ihre Königin natürlich nicht alleine durch diese wilden, dunklen Schluchten fließen lassen und folgten ihr so dicht wie möglich. Die Donau quetschte sich immer tiefer durch düstere und feuchte Gerinne und Spalten des harten Juras. Bald kam sie mit ihrem Gefolge zu einem dunkelblauen, fast kreisrunden See. Blautopf hieß dieser See. Ein altes Benediktinerkloster lag an seinem Ufer und ein schweres Mühlrad drehte sich gemächlich und schöpfte Wasser. Dieses verschwiegene Gewässer, eingebettet in hoch aufsteigende Felsentürme, umgarnt von dicken, dunklen Fichten und Tannen, gefiel der Königin so sehr, dass sie beschloss, diesem herrlichen Stück Natur auf den Grund zu gehen. Der Blautopf fühlte sich natürlich über diesen überraschenden hohen Besuch sehr geehrt und seine Gastfreundschaft kannte keine Grenzen.

Die ersten Tage und Nächte vergingen wie im Fluge. Der romantisch daliegende See plauderte und scherzte mit seinen Gästen und erzählte viel von sich und seiner Umgebung. So versuchte er der Donau zu erklären, warum sein Wasser so tiefblau leuchtete.

„Wisse, große Königin“, begann er lehrerhaft zu erzählen, „ich bin hier in dieser Gegend die zweitwasserreichste Karstquelle Deutschlands. Hier entspringt die freundliche Blau, die dir nach 22 Kilometern in Ulm gnädig zufließt. Für meine tiefblaue Wasserfarbe ist vor allem der Lichteinfall verantwortlich. Meine Farbe“, und jetzt dozierte er regelrecht, „entsteht durch den physikalischen Effekt der Lichtstreuung an den nanoskaligen Kalkpartikeln, die in meinem Wasser dispergiert sind. Durch deren geringe Größe wird das blaue Licht bevorzugt gestreut und erzeugt das blaue Leuchten.“ Alle Anwesenden staunten und verstanden – nichts!

Der Donau und sicherlich auch dem Blautopf muss das wohl sehr unangenehm gewesen sein. Um die Stimmung wieder aufzuhellen, erzählte der See von nun an lieber ein paar humorvolle Geschichten und Anekdoten aus seiner Lebensgeschichte. Er erzählte unter anderem, dass die Wasserfärbung einst dadurch erklärt wurde, dass irgendjemand täglich ein Fass voll Tinte hineingeschüttet haben soll oder dass der See lange Zeit von den Menschen als bodenlos eingeschätzt worden sei. Die Donau musste daraufhin laut lachen.

„Ja, so sind sie die Menschen, einfältig und dumm“, gurgelte sie vergnügt vor sich hin.

„Die Versuche der einfältigen Menschen, mit einem Bleilot die Tiefe zu ermitteln, sollen immer wieder von einer Nixe vereitelt worden sein, die das Gewicht stahl“, erzählte der Blautopf weiter. „In Anlehnung an diese Geschichte gab es ganz in der Nähe einen Felsen mit dem Namen Klötzle Blei. Dort ist heute noch ein bekannter schwäbischerZungenbrecher zu lesen:

S leit a Klötzle Blei glei bei Blaubeira,

glei bei Blaubeira leit a Klötzle Blei.

Wieder lachte die Donau laut und herzlich, was alle Umstehenden sehr erfreute.

„Aber, sage mir bitte, wie tief bist du wirklich?“, fragte sie mit ernsthafter Mine.

„So ungefähr 62½ Fuß, das sind etwa 19 Meter. Aber bitte, sage es niemandem weiter. Sollen sie doch rätseln und messen, dann richten sie schon keinen weiteren Schaden an“, erwiderte der Blautopf und alle wussten, wen er meinte.

Die kleine Ausreißergruppe genoss mehrere Tage die ausgelassene Stimmung in dieser friedlichen Gegend. Tagsüber belagerten etliche Radtouristen den Rand des kleinen Sees. Kinder kreischten, Eltern schimpften und hin und wieder fiel ein unachtsam getragenes Eis am Stiel in das Wasser. Doch nachts war es, abgesehen von einzelnen werbenden Rufen einheimischer Tiere, völlig still. Der sanft durch das enge Tal streifende Westwind kühlte die Atmosphäre angenehm ab und der lachende Mond spiegelte sich pausbäckig auf der dunklen Oberfläche des Sees. Ab und zu streifte die eine oder andere Fledermaus knapp über dem Wasser, so dass sanfte Wellen entstanden. Sie ließen dort hüpfende Kügelchen zurück, die aussahen wie kleine, bunte Glasperlen. Die zierlichen Lichtelben nutzten diese winzigen, in allen Farben glitzernden Luftpaläste, um Verstecken zu spielen. Selbst noch zu früher Stunde, wenn das Leben in der nahegelegenen Kleinstadt Blaubeuren bereits langsam erwachte, waren die wässrigen Naturgeister kaum zu bändigen.

Doch dann kam der Sonntag! Der noch ruhende See wurde schon am frühen Morgen von ganzen Heerscharen einfallender Menschen bevölkert – eigentlich überbevölkert. Kinder mit ihren Eltern, eine Hochzeitsgesellschaft, Jogger, Radfahrer, Wanderer, Restaurant- und Biergartenbesucher – alle waren sie gekommen! Um die Mittagszeit kam noch eine vierzigköpfige Reisegesellschaft aus Österreich. Sie reiste in einem riesigen Bus an, belagerte nahezu das gesamte Ufer des Sees und begann augenblicklich, ihr mitgebrachtes Essen zu verschlingen. Der Höhepunkt war eine lautstarke Pfadfindergruppe, die mehrere Stunden die letzten freien Stellen am Ufer unsicher machte. Unentwegt warfen diese jungen Kerle kleine Steine und Stöcke in den See und schrien laut vor Begeisterung auf, wenn ihr eigenes Spiegelbild in den sanft dahingleitenden Wasserkreisen immer wieder zerstört wurde.

Die Donau verstand dieses allzu menschliche Verhalten nicht. Sie verspürte plötzlich nach diesen entspannten Tagen und ruhigen Nächten die unbändige Sehnsucht, in ihr Flussbett zurückzukehren. Dort fühlte sie sich am wohlsten und am sichersten, dort war sie zu Hause. Zudem drängten die Lichtelben sie, sich wieder auf den Rückweg zu machen, warteten doch einige schwere und unaufschiebbare Aufgaben darauf, von ihr gelöst zu werden. Und so gab sie schließlich allzu gerne ihren Begleiterinnen nach. Schon am folgenden Morgen, der Nebel hing dick wie Vanillepudding im Blautal, machten sie sich auf den direkten Rückweg. Sie nutzten dabei das Bett der kleinen Blau, eines kleinen, der Donau besonders verbundenen Flüsschens, bis vor die Tore Ulms.

Als sich die zurückgekehrte Gruppe in der Nähe von Ulm wieder einfand, war die Wiedersehensfreude zunächst etwas verhalten. Die Zurückgebliebenen hatten sich große Sorgen wegen des nächtlichen Verschwindens der Königin gemacht und bereits in alle Richtungen Suchtrupps ausgesandt. Ihr Erster Berater, ein überaus erfahrener Wasserfürst, beschwor die Königin, solche Alleingänge auf keinen Fall mehr ohne seinen Schutz zu unternehmen. Schließlich war er mit seinen Männern für sie so lange verantwortlich, bis ihr Gemahl, König Ingold, wieder zurück aus dem fernen Rumänien war. Das hatte er ihm geschworen.

Dieser Erste Berater war ein lang gedienter Wassermann, der Ingold und auch der Königin seit langem zur Seite stand. Dafür wurde er, ganz gegen die Regel, zum Wasserfürsten erhoben. Er war damit hoch dekoriert, entsprechend angesehen und von allen geschätzt und bewundert. Er war es, den alle Ratsuchenden zuerst fragten, dessen Meinung schwerer als Gold wog und dessen Erfahrungsschatz aus Jahrhunderten zusammengetragen schien. Ihm ließ man gewöhnlich das erste und das letzte Wort und er irrte fast nie. Er trug keinen Namen, zumindest war keiner bekannt. Alle sprachen nur vom Wasserfürsten oder vom Ersten Berater der Königin und jeder reihte sich respektvoll hinter ihm ein. Wenn König Ingold ihm seine Königin während seiner Abwesenheit anvertraute, war das die größtmögliche Auszeichnung. Der Wasserfürst war ein Wassergeist, der zunächst durch seine Bescheidenheit, seine Zurückhaltung, Höflichkeit und sein unauffälliges Äußeres kaum auffiel. Er war eher etwas schmächtiger als seine Artgenossen. Wer aber in der Lage war, seine mächtige Aura wahrzunehmen, konnte in seiner Gegenwart kaum frei atmen. Seine nie nachlassende Wachsamkeit und Klugheit sowie sein souveränes Auftreten waren gewaltig, eben atemberaubend.

Sein persönliches Gefolge waren zirka zwei Dutzend handverlesene Wassermänner, die ihm und damit auch der Königin unbedingt gehorsam waren. Diese kampferprobten Wassermänner reisten mit ihren Familien und so war es nicht verwunderlich, dass im Gefolge der Königin Donau auch hunderte Wasserfrauen und junge Nixen reisten. Die mitreisenden Wasserfrauen unterschieden sich in ihrem Aussehen kaum. Es waren Mischwesen mit schuppenbedeckten Fischschwänzen und ihr menschenähnlicher Oberkörper erklärte ihre liebende, ja beschützende und Segen bringende Einstellung gegenüber den Menschen. Es soll sogar schon vorgekommen sein, dass die Liebe einer Wasserfrau zu einem Menschen zur Heirat geführt habe! Wasserbraut, wurde sie dann genannt und zeitlebens war solch eine Wasserbraut eine wichtige Vermittlerin zwischen den Menschen und den Wassergeistern.

Doch nun waren die heimlichen Ausreißer augenscheinlich wohlbehalten nach Ulm zurückgekehrt. Nach einem Ansturm von Vorhaltungen einiger Wassermänner und dem sehnsuchtsvollen Klagegesang einiger Lichtelfen überwog die Freude des Wiedersehens.

Nach längeren Beratungen machte sich die Donau schon in der folgenden Nacht, dieses Mal mit ihremgesamten Gefolge, auf den langen Weg in RichtungDonaueschingen. Dort wartete ein alter, äußerst unangenehmer Streit auf die Königin, der nur durch sie endgültig geschlichtet werden konnte: Der Streit um dietatsächliche Donauquelle!

Die geheimnisvolle Gruppe reiste bevorzugt bei Nacht. Sie war noch nicht weit gekommen, als eine der älteren Lichtelben sich an eine Geschichte erinnerte, die ganz in der Nähe erzählt wurde. Da die Königin Donau gerne Sagen und Märchen lauschte, bat sie die Vertraute um diese kurzweilige Unterhaltung. Diese ließ sich nicht lange bitten und erzählte von den frühen Riesen, die es entlang der unteren Donau gegeben haben soll:

„Es haben lange Zeit Riesen an diesem Strom oder in seiner Nähe gewohnt. Bei Laichingen, dicht bei Blaubeuren, lebte einer dieser Hünen. Der begegnete eines Tages zwei Holzfällern, die sehr traurig dreinblickten. Als er sie fragte, was sie denn hätten, klagten sie ihm, sie hätten ihre Beile im Wald verloren.

Oh, meinte der Riese, er habe deren mehr, sie sollten sich nur einige aussuchen. Dann führte er die Männer an eine Bergwand und klopfte an. Als ein Fensterladen klappte, rief er: ´Der Waldgraf!´

Gleich öffnete sich vor den dreien ein Saal, der schimmerte von blanken Gesteinen. Der Hüne fragte, ob sie davon brauchten, aber die beiden Holzfäller sahen einige neue Beile an der Wand, die schienen ihnen besser zu sein. Da lobte sie der Waldgraf und ließ jeden eines wählen. Und er folgte ihnen nach draußen und trug selbst ein Beil, um ihnen bei der Holzarbeit zu helfen. Ja, er versprach, Tag um Tag zu kommen, wenn die Männer nur schwiegen und nicht verraten würden, dass sie mit ihm zusammen waren.

Die beiden schafften jetzt doppelt so viel als vorher und blieben gut Freund mit dem Riesen. War es Feierabend, stampfte der nur eben auf den Boden, gleich öffnete sich die Erde und man hörte, wie der Fremde brausend durch die Hölle nach seiner Felswand fuhr.

Schließlich hat doch einer der Holzfäller verraten, wer ihm half. Da hat der Hüne sich nicht wieder gezeigt.“

„Es gehen nicht alle Geschichten so gut aus wie eure“, rief eine noch sehr junge Elbin aus. „Und außer Riesen gab es hier auch die geheimnisvollen Waldfrauen!“

„Waldfrauen?“, fragte die Donau interessiert. „Davon habe ich schon gehört. Waren das Geister oder menschenähnliche Wesen oder gar etwas dazwischen?“

„Hört nicht hin, meine Königin“, versuchte eine andere Elbin abzuwiegeln. „Ich kenne diese Geschichte. Sie ist zu traurig.“

Doch die anderen Zuhörer wollten die Geschichte, sollte sie auch frei erfunden sein und schlecht ausgehen, unbedingt hören. Sie riefen laut:

„Erzähle, erzähle, wir haben die Waldfrauen gewählt.“ Die junge Elbin schmunzelte in sich hinein und nahm die Gelegenheit allzu gerne wahr, einmal im Mittelpunkt zu stehen. Mit überraschend ruhiger Stimme begann sie zu erzählen:

„Fragt die Schwaben nach den weißen Waldfrauen, die sich um ihre Häuser treiben. Zu den Bergbauern und den Sennern kommen sie und helfen wohl einen ganzen Tag und verstecken sich, wenn die Sonne untergeht. Auch zum Spinnen dringen sie in die Hütten und es ist gutes Linnen, das aus ihren Fäden wird.